Trau keinem Mörder über 30: Fünf Kriminalromane um das Jahr 1968

Tomos Forrest

Published by BEKKERpublishing, 2021.

Inhaltsverzeichnis

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Trau keinem Mörder über 30: Fünf Kriminalromane um das Jahr 1968

Copyright

Der Engel mit dem goldenen Revolver

Mandelaugen und harte Kerle

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Der nächste Tote bin ich

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Wo die Macht des Wortes endet

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Mit Morden vergeht die Zeit so schnell

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Also By Tomos Forrest

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Trau keinem Mörder über 30: Fünf Kriminalromane um das Jahr 1968

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von Tomos Forrest

Der Umfang dieses Buchs entspricht 641 Taschenbuchseiten.

Diese Band enthält folgende Romane:

Tomos Forrest: Der Engel mit dem goldenen Revolver

Tomos Forrest: Mandelaugen und harte Kerle

Tomos Forrest: Der nächste Tote bin ich 

Tomos Forrest: Wo die Macht des Wortes endet  Berlin

Tomos Forrest: Mit Morden vergeht die Zeit so schnell 

Ganz Berlin scheint einen Verbrecher zu feiern, einen Mann, der sich auf den am Tatort zurückgelassenen Visitenkarten als „Engel“ bezeichnet. In Selbstjustiz verfolgt er Verbrecher und ermordet sie. Das ist natürlich Stoff für die Boulevard-Presse, die ihn in den höchsten Tönen für seine Taten lobt. Privatdetektiv Bernd Schuster setzt sich auf seine Spur, auch ohne sich mit seinem Auftraggeber detailliert abzustimmen. Dann aber begegnet er Beatrice Wilde, dem einzigen Menschen, der den Mann mit dem goldenen Revolver gesehen hat und – diese Begegnung überlebte. Doch der ‚Engel‘ hat mit ihr ganz eigene Pläne...

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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

Titel/Charaktere/Treatment © by Marten Munsonius & Thomas Ostwald, 2021

Roman – Nach Motiven – by Tomos Forrest, 2021

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Der Engel mit dem goldenen Revolver

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Berlin 1968 Kriminalroman Band 6

von Tomos Forrest

Ganz Berlin scheint einen Verbrecher zu feiern, einen Mann, der sich auf den am Tatort zurückgelassenen Visitenkarten als „Engel“ bezeichnet. In Selbstjustiz verfolgt er Verbrecher und ermordet sie. Das ist natürlich Stoff für die Boulevard-Presse, die ihn in den höchsten Tönen für seine Taten lobt. Privatdetektiv Bernd Schuster setzt sich auf seine Spur, auch ohne sich mit seinem Auftraggeber detailliert abzustimmen. Dann aber begegnet er Beatrice Wilde, dem einzigen Menschen, der den Mann mit dem goldenen Revolver gesehen hat und – diese Begegnung überlebte. Doch der ‚Engel‘ hat mit ihr ganz eigene Pläne...

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1

Franziska schreckte aus dem Tiefschlaf hoch und benötigte einen Moment, um zur Besinnung zu kommen. Weshalb sie aufgewacht war, wusste sie nicht sofort. Dann fiel ihr ein, dass sie etwas berührt hatte, ganz sanft. Für einen kurzen Moment hoffte sie, Bernd an ihrer Seite zu finden. Aber die Doppelbetthälfte neben ihr war leer.

Ein leises Scharren jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken.

Jemand bewegte sich in dem Sessel gegenüber am Fenster.

Das fahle Licht eines kalten Novembermondes fiel zwischen den nur halb zugezogenen Gardinen auf die Silhouette eines Menschen.

Ihre Finger glitten zur Nachttischlampe, fanden den Schalter, aber nichts geschah.

„Keine Sorge, Fräulein Markworth. Ich bin es, Frank Todd.“

Jetzt reagierte Franziska blitzschnell. Ihre Hand fuhr seitlich an den kleinen Nachttisch. Als sie wieder hervorkam, schimmerte das Mondlicht matt auf dem Lauf einer Pistole.

„Wie kommen Sie dazu, hier einzubrechen? Verschwinden Sie sofort aus meiner Wohnung!“

„Wir müssen reden, Fräulein Markworth!“

„Jahn! Ich heiße Franziska Jahn. Auch, wenn ich geschieden bin, habe ich meinen Mädchennamen nicht wieder angenommen!“

„Das ist sehr schade!“, antwortete der nächtliche Besucher, von dem Franziska bei der schlechten Beleuchtung nur die Umrisse erkannte. „Ich finde ihn viel schöner. Er passt zu Ihnen.“

„Hören Sie auf, mitten in der Nacht einen solchen Blödsinn zu reden und verschwinden Sie endlich aus meiner Wohnung, oder ich rufe die Polizei!“

Ein Geräusch wie von einem unterdrückten Lachen drang an ihr Ohr.

Neben der Lampe stand auch ihr Zweitapparat auf dem Tischchen.

Franziska nahm den Hörer ab und drückte rasch hintereinander die 110.

Jetzt war das Lachen ihres Besuchers laut geworden.

„Legen Sie wieder auf, Fräulein Markworth. Das Telefon funktioniert heute nicht. Und ehe Sie auf dumme Gedanken kommen: Bevor ich mir erlaubt habe, Sie zu wecken, habe ich das Magazin aus ihrer Pistole genommen.“

„Was? Sie verdammter Scheisskerl – was soll das? Ich schreie das ganze Haus zusammen, wenn Sie...“

„Werden Sie doch bitte nicht hysterisch, Fräulein. Wir haben eine Vereinbarung, und an die wollte ich Sie erinnern. Ich nehme an, Sie haben das Geld gut angelegt?“

Franziska hatte die nutzlose Waffe neben sich gelegt und spürte, wie ihr Herz bis hoch in den Hals hinauf schlug.

„Sie waren im Mai im Büro in der Kurfürstenstraße und wollten Informationen von mir haben. Der Umschlag, den Sie mir damals gegeben haben, befindet sich unangetastet dort drüben in der ersten Schublade der Kommode. Nehmen Sie ihn und verschwinden Sie! Ich will Sie nie wiedersehen, Herr Todd!“

Erneutes Gelächter des nächtlichen Besuchers, aber gedämpft.

„Fräulein, Seien Sie doch nicht albern! Haben Sie Ihrem Chef von unserem kleinen Handel erzählt?“

„Ich wüsste nicht, was Sie das angeht!“, fauchte Franziska.

„Nun gut, ist ja auch egal und vielleicht auch viel besser so. Ich hatte vor, Sie schon viel früher aufzusuchen, hatte aber zwischenzeitlich sehr viel außerhalb von Berlin zu tun. Nun bin ich zurück und möchte von Ihnen alles erfahren, was Ihr Chef Bernd Schuster über Luigi Espasito herausgefunden hat.“

„Espasito? Warum fragen Sie ihn nicht selbst?“

„Ich möchte es von Ihnen erfahren, weil ich nicht glaube, dass Herr Schuster ehrlich zu mir wäre. Also, Fräulein, Sie haben jetzt nach so vielen Monaten die Gelegenheit, etwas für die Tausend Mark für mich zu machen. Ich melde mich in einer Woche wieder bei Ihnen. Wo genau, weiß ich noch nicht. Vielleicht sogar wieder in dieser traulichen Zweisamkeit?“

„Verschwinden Sie endlich! Informationen gibt es von mir nicht, nehmen Sie den verdammten Umschlag mit und lassen Sie sich nie wieder bei mir blicken, sonst...“

Der Besucher hatte sich erhoben und beugte sich etwas vor.

Selbst bei den schlechten Lichtverhältnissen erkannte Franziska sein höhnisch grinsendes Gesicht. Es jagte ihr einen erneuten Schauer über den Rücken.

„Also – bis bald, Fräulein Markworth!“

Frank Todd war nahezu geräuschlos aus dem Schlafzimmer verschwunden, und für einen Augenblick musste Franziska sich beherrschen, um nicht laut herauszuschreiben. Sie atmete kräftig ein und aus, dann hatte sie sich so weit unter Kontrolle, dass sie von ihrem Bett aufsprang und auf den Flur hinauslief.

Der kalte Fußboden brachte sie wieder zurück in die Wirklichkeit.

Als sie den Lichtschalter im Flur betätigte, flammte die Deckenbeleuchtung auf. Ihre Wohnungstür war wieder geschlossen, aber die Sicherheitskette schwang noch leicht hin und her.

Was Franziska einen weiteren Schauer über den Rücken laufen ließ, war die Tatsache, dass die Kette durchgetrennt war. Ein Stück hing noch in der Halterung an der Tür, das andere baumelte im Türrahmen.

„Verdammt, verdammt, verdammt!“, schrie Franziska und starrte auf die Sicherheitskette.

Die Kälte auf dem Flur und den Fliesen trieb sie schließlich ins Schlafzimmer zurück.

Hier kleidete sie sich hastig an, entdeckte im Licht der Flurbeleuchtung das Magazin ihrer Beretta auf der Kommode und schob es wieder in die Waffe. Eine dicke Jacke vom Flur, dazu die Wollmütze. Dann war sie bereit, ihre Wohnung zu verlassen, die für sie bis zu dieser Stunde ein sicherer Hort war.

Die italienische Pistole vom Typ Beretta 81 war eigentlich für eine Frau etwas zu klobig. Aber als sie nun in ihre Außentasche der dicken Wolljacke geschoben wurde, behielt Franziska den Griff in der Hand, bereit, sich kein weiteres Mal unterwegs im nächtlichen Berlin überrumpeln zu lassen. Sie hatte keinen weiten Weg von ihrer Wohnung in der Bayreuther Straße zum Büro in der Kurfürstenstraße, und darüber war sie heute besonders froh.

Kurz überlegte sie, ob sie einfach zu Bernd Schuster in den 14. Stock hinauffahren sollte, denn einen Wohnungsschlüssel hatte sie schon länger. Aber dann entschied sie sich doch für das Sofa in Bernds Büro, weil sie Rücksicht auf seine Tochter Lucy nehmen wollte. Es war unnötig, die Siebzehnjährige aus dem Schlaf zu schrecken, schließlich musste sie morgen wieder früh raus.

Das Büro der Detektei befand sich in einer kleinen Ladenzeile direkt vor dem Wohnhaus. Franziska atmete erleichtert auf, als sie die Tür hinter sich abschloss und die vertraute Atmosphäre des Büros aufnahm. Es war zum Glück durchgehend geheizt, und wie durchfroren sie nach dem kurzen Gang bis hierher war, spürte sie erst, als sie sich unter der warmen Mohairdecke auf dem Sofa ausstreckte. Langsam kehrte die Wärme in ihren Körper zurück und sie spürte, dass sie müde wurde.

‚Diese Decke war mal die beste Anschaffung für das Büro!‘, dachte sie noch, dann sank sie in den Schlaf.

*

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Zunächst war Bert erstaunt, zu so später Stunde noch eine junge Frau allein zu unterwegs zu sehen. Doch rasch wurde ihm klar, dass hier keineswegs ein wehrloses Opfer vor ihm ging. Sie war groß und ging mit federndem, elastischen Schritt vor ihm her. Was Bert überhaupt nicht gefiel, war die rechte Hand der Frau. Sie steckte in ihrer Jackentasche und schien dort etwas bereit zu halten.

Was es genau war, konnte er natürlich nicht erkennen. Wahrscheinlich eine von diesen Sprühdosen. Nein, das gab keinen Sinn. Er würde ein anderes Opfer finden, nicht gleich und sofort, aber dafür gut ausgewählt und völlig risikolos.

Bert kicherte leise vor sich hin, als die junge Frau die Straße überquerte und auf eines der Hochhäuser zusteuerte.

‚Nein, Mädchen, du bist mir etwas zu forsch in deinem Auftritt. Mein Ding ist mehr eine alte, hilflose Frau. Vielleicht gerade auf dem Rückweg von einer Bankfiliale. So etwas findet man heute noch immer, obwohl bei der ansteigenden Kriminalität es ja auch für unsereinen immer schwieriger wird!‘

*

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Bert folgte seinem Opfer, er fühlte sich prächtig dabei. Das war immer so, bevor er zuschlug. Er brauchte dieses Gefühl kribbelnder Hochspannung, das Wissen um den baldigen Triumph. Die Alte war eine leichte Beute für ihn, sie bewegte sich rasch und gebückt vorwärts, sie hatte Angst, das war zu sehen und zu spüren.

Eine alte Frau. Bert schätzte sie auf etwa Mitte der Sechzig. Wahrscheinlich kam sie von einem Kaffeeklatsch, auf dem sie sich das Schandmaul über andere Leute zerrissen halte, über das Anwachsen der Kriminalität, über die Verrohung der Sitten, den Terror auf den Straßen. Die Studenten, die nicht zu den Vorlesungen gingen, sondern auf der Straße demonstrierten. Gegen den Krieg in Vietnam. Gegen irgendwelche Notstandsgesetze, von denen sie nichts verstand. Hauptsache, man war dagegen!

Eine Vogelscheuche, eine schlampige Heuchlerin. Bert fand es leicht, die Alte zu hassen, es tat ihm geradezu gut, sich in eine kalte Wut hineinzusteigern.

Die Alte hatte vergeblich nach einem Taxi Ausschau gehalten, jetzt befand sie sich auf dem Wege zur nächsten U-Bahn-Station. Sie hatte es eilig, Menschen und Licht zu finden, die schmalen, dunklen Straßen beunruhigten sie.

Bert grinste in sich hinein, er kam seinem Opfer langsam näher. Wenn die Alte das nächste Mal über die bösen Menschen sprach, würde sie ein Erlebnis aus dem eigenen Erfahrungsschatz zum Besten geben können.

Es nieselte. Ein scharfer Nordostwind trieb beißende Kälte in die tristen Häuserschluchten. Bert, der eigentlich Berthold Fischer hieß, wusste genau, wo er handeln würde. Gegenüber von dem türkischen Imbiss lag das kleine Stück Grünfläche beim Moritzplatz. Da entlang und Richtung Oranienplatz, und man war schnell zwischen den Leuten verschwunden, die hier ihrer Beschäftigung nachgingen und vielleicht noch rasch beim nächsten Bolle ihre Einkäufe erledigten.

Die alte Frau kam von der Stallschreiberstraße herüber und schien zur U-Bahn-Station am Moritzplatz zu wollen. Er würde ihr blitzschnell die Handtasche entreißen und um die Ecke verschwunden sein, noch bevor sich die komische Alte von ihrem Schrecken erholt hatte und im Hilfe schreien konnte.

Es war schwer zu sagen, wie viel Geld die Alte bei sich führte. In diesen Zeiten riskierten es die wenigsten, größere Bargeldbeträge bei sich zu führen, aber vielleicht besaß sie einen Ring oder eine Kette, irgendein Schmuckstück, um das er sie erleichtern konnte. Es war kaum jemand auf der Straße zu sehen, alles würde so rasch gehen, dass niemand Zeit zum Eingreifen fand.

Bert verzog das Gesicht. Bis jetzt hatte es noch niemand gewagt, ihm ins Handwerk zu pfuschen. und er gehörte nicht zu den Leuten, die an dieses neue Schreckgespenst, an „Engel“ glaubten. Ein Verrückter! Nannte sich einfach Engel, weil er meinte, sei nun ein Engel, der gekommen sei, um mit dem Verbrechen in Berlin aufzuräumen. Möglicherweise war er nur eine Erfindung cleverer Pressefritzen, die sich einbildeten, damit die Szene verunsichern zu können.

Bert beschleunigte seine Schritte. Es war soweit. Jetzt würde er sich gleich sein Opfer krallen. Es wurde Zeit, dass diese alte Schlampe eine Lektion erteilt bekam. Sie hatte hier nichts verloren, sie sollte nach Einbruch der Dunkelheit gefälligst zu Hause bleiben und mit ihrem zahnlosen Mund von den guten, alten Zeiten brummeln, die Gott sei Dank endgültig vorüber waren.

Er hatte die Frau erreicht, seine Hand schnellte vor, er riss an der schäbigen, großen Tasche. Die Frau wurde buchstäblich herumgewirbelt, ihre weit aufgerissenen, schreckensstarren Augen hingen an seinem Gesicht. Sie war unfähig, ein Wort zu äußern, sie konnte nicht einmal schreien, aber sie hielt die Tasche fest, als hinge ihr Leben daran.

Bert war verdutzt. Er wandte den Kopf und zerrte immer noch an der Tasche. Er sah eine jüngere Frau, die sich von ihm fortbewegte und die nicht bemerkte, was hier geschah.

Auf der anderen Straßenseite stand ein Mann. Er schaute rasch weg, als Berts Blick sich mit seinem kreuzte. Nichts sehen, nichts hören, so lautete die Devise in diesem Viertel. Wer sich nicht daran hielt, bekam Ärger. Oft genug war es sein letzter.

„Loslassen!“, keuchte Bert. Er war jetzt stocksauer. Er verstand nicht, weshalb die Frau die Tasche festhielt. Er riss die geballte Faust hoch, er schlug zu, zweimal hintereinander. Die Frau sank lautlos zu Boden. Er nahm ihr die Tasche ab. Der Mann auf der anderen Straßenseite hatte sich abgewandt, er studierte die Auslagen in einem Schaufenster.

Bert sah, dass die Frau einen Ring trug. Er riss und zerrte daran, er wollte ihn abstreifen, aber das verdammte Ding ging nicht über das gichtig angeschwollene Gelenk hinweg, er gab es auf und rannte mit der Tasche in das dunkle, nur von zwei, drei mickrigen Lampen notdürftig aufgehellte Stück der Grünanlage.

Er stoppte, als er das andere Ende der Gasse, öffnete die Tasche und blickte hinein. Es störte ihn nicht, dass er dabei direkt unter einer Lampe stand, er brauchte Licht, um zu sehen, was die Tasche enthielt.

Ein Päckchen mit Papiertüchern, eine alte, kleine Sprungdeckeluhr, eine Geldbörse. Bert grinste zufrieden. Die Uhr sah aus wie Gold, jedenfalls ließ sich so etwas leicht zu Geld machen. Er steckte die Uhr ein, dann öffnete er die Geldbörse.

Seine Augen quollen aus den Höhlungen, als er das dicke Banknotenbündel sah. Er hatte weder Zeit noch Lust, das Geld an Ort und Stelle nachzuzählen, aber es gab keinen Zweifel, dass er ein paar hundert Mark erbeutet hatte. Sein größter Fischzug seit Langem.

Er wischte die Tasche ab, um sie von seinen Fingerabdrücken zu befreien, steckte die Börse zu der Uhr, warf die Tasche über einen Zaun und bewegte sich pfeifend auf die Hochbahnbrücke zu. Es empfahl sich, der Gegend für zwei, drei Stunden den Rücken zu kehren, die Bullen würden sie verunsichern und nach dem Mann Ausschau halten, auf den die Beschreibung der komischen Alten passte.

Vor allem musste er die Uhr verstecken, sie konnte ihn verraten. Er erreichte seinen alten Opel und schloss ihn auf. Jemand tippte ihm auf die Schulter. Bert zuckte auf den Absätzen herum. Er war eher überrascht als erschrocken, er hatte niemand gesehen oder gehört, im ersten Moment war er der Meinung gewesen, eine der Tauben, die in dem Stahlträgerwerk der Brücke nisteten, habe ihn beschmutzt, aber jetzt sah er sich einem Fremden gegenüber, einem hochgewachsenen Mann mit markanten Gesichtszügen und tiefen, dunklen Augen.

„Ist was?“, fragte Bert. Er merkte, dass er die eigene Stimme und seine gewohnte Flapsigkeit einsetzen musste, um die plötzliche Furcht in den Griff zu bekommen.

Hatte der Mann etwas gesehen? Unsinn! Der Tatort lag mehr als dreihundert Meter von hier entfernt, der Überfall hatte sich vor dem Grünstück ereignet, er war praktisch lautlos vor sich gegangen, es hatte weder Schüsse noch Hilfeschreie gegeben, das Ganze war ein perfekter Job gewesen.

„Du bist Bert, nicht wahr?“, fragte der Mann. Seine Stimme war leise, aber sie war auf seltsame Weise kraftvoll, in ihr schwangen Spott und Selbstsicherheit, daneben aber noch etwas Anderes. Unwägbares, das Berts Furcht vertiefte. Ein Verdacht sprang ihn an, ein absurder, geradezu grotesker Verdacht, aber er wischte ihn beiseite, er wollte nicht wahrhaben, dass er, ausgerechnet er mit Engel zusammengetroffen sein könnte. Nein. Engel nahm sich nur die großen Fische vor, die Männer der Berliner Unterwelt, er gab sich nicht mit kleinen Taschendieben ab, das war unter seiner Würde.

„Ja, kennen wir uns?“, fragte Bert. Seine Stimme klang belegt. Plötzlich wurde er wütend. Sein Gegenüber war höchstens Mitte Dreißig und gut gekleidet. Bert kannte sich im Umgang mit Fäusten aus, er hatte ein Klappmesser in der Tasche und wusste es zu handhaben, es gab also keinen Grund, vor dem Unbekannten zu kneifen. Nicht vor einem feinen Pinkel!

‚Aus dem mache ich Kleinholz‘, dachte Bert. Ich nehm‘ ihm die Brieftasche ab und beende den Abend mit der hübschen, erhebenden Tätigkeit des Geldzählens.

„Ich kenne dich“, sagte der Mann. „Du gehörst zu denen, die die Straßen verpesten, die sie unsicher und gefährlich gemacht haben, und die glauben, vom Terror leben zu können.“

‚Ein Polyp‘, dachte Bert beklommen. ‚Irgendeiner von diesen beschissenen Typen, die aus einem anderen Revier kommen und meinen, als Zivilstreifen Ordnung schaffen zu können. Vielleicht ist er nicht mal allein, vielleicht lauert ganz in der Nähe sein Kollege und wartet darauf, dass du angreifst, dass du einen Fehler machst.‘

„Das soll wohl ‘n Witz sein“, sagte Bert und schob seine Daumen in den breiten Ledergürtel seiner abgewetzten, verbeulten Jeans. „Können Sie sich ausweisen?“

„Sicher“, sagte der Mann. „Ich bin Engel.“

Er hielt plötzlich einen Revolver in der Hand, eine ziemlich seltsame Waffe, wie Bert fand. Sie war vergoldet, und ihr matter Glanz bildete einen seltsamen, faszinierenden Kontrast zu dem dünnen, schwarzen Lederhandschuh, den der Mann trug.

Bert schluckte. Er konnte und wollte nicht begreifen, dass ausgerechnet er so viel Pech gehabt haben sollte, nach einem Superfischzug vom Engel gestellt zu werden, aber er wusste plötzlich mit quälender, schmerzhafter Deutlichkeit, dass es stimmte.

Bert hatte die Zeitungsberichte von dem Mann mit dem goldenen Revolver für Spinnereien gehalten, für eine Garnierung erfundener Schauergeschichten für die Springerpresse, aber jetzt zeigte es sich, dass das Ganze stimmte, sogar die Sache mit dem goldenen Revolver traf zu. Nur eines stimmte nicht. Es würde einen Mann geben, der den Engel überlistet und überwunden hatte, und dieser Mann würde er, Berthold Fischer, alias Bert, sein!

„Lass ihn“, sagte Bert und blickte über die Schulter des Mannes hinweg. Der Trick hatte schon hundertmal funktioniert, aber Engel fiel nicht darauf herein, er wandte sich nicht um, er schaute nur Bert an, unentwegt.

Bert bekam einen trockenen Mund. „Wenn Sie wirklich Engel sein sollten ...“, begann er. Er führte den Satz nicht zu Ende. Wenn Engel auftrat, blieb eine Leiche zurück. Die Leiche eines Kriminellen.

„Ich bin‘s, Junge, ich bin‘s“, sagte der Mann und hob kaum merklich das Kinn, als das Donnern eines heranbrausenden Zuges hörbar wurde.

Berts Herz hämmerte, seine Hände waren schweißfeucht. Das konnte doch nicht das Ende sein! Wegen eines Handtaschenraubes wurde man nicht umgelegt, das war absurd, das war einfach gegen die Spielregeln.

„Ich könnte Ihnen helfen“, stieß Bert hervor. Die Lippen seines Gegenübers bewegten sich, aber Bert konnte nicht verstehen, was der Mann sagte. Der Zug donnerte über sie hinweg, er erfüllte die Luft mit metallischem Hämmern, Stampfen und Kreischen.

Wenn Engel jetzt abdrückte, in diesem Moment, würde der Schuss untergehen, einfach verschluckt werden, aber Engel tat nichts dergleichen, er hatte den Finger zwar am Abzug liegen, aber dieser Finger rührte sich nicht. Bert stieß die Luft aus. Er fühlte sich wie befreit, er war gerettet. Wenn Engel jetzt nicht geschossen hatte, würde er es niemals tun, nicht bei ihm, nicht bei Berthold Fischer.

„Ich könnte Ihnen helfen“, wiederholte Bert, weil er nicht sicher war, ob Engel ihn verstanden hatte.

„Wie denn?“, fragte der Mann. Seine Stimme klang spöttisch.

„Ich könnte Ihnen Tipps geben ...“

„Tipps?“

„Ja. Ich kenne eine Menge Leute, die Sie interessieren würden“, stammelte Bert und hasste sich dafür, dass seine Stimme vor Eifer fast umzukippen drohte. Er sang. Er war bereit, andere in die Pfanne zu hauen, um die eigene Haut zu retten. Das war schäbig, er wusste es, aber hier ging es um sein Leben, um seinen Kopf, da hatte es keinen Zweck, pingelig zu sein.

„Welche Leute?“, fragte der Mann.

„Richtige Verbrecher, nicht so kleine, harmlose Burschen meines Kalibers ...“

„Du bist nicht harmlos. Du bist eine Ratte“, sagte Engel. „Ratten vernichtet man.“

Bert schluckte. Er starrte in die auf ihn gerichtete Waffenmündung, seine Angst, die vorübergehend kleiner geworden war, nahm wieder die alten, erschreckenden Dimensionen an. Engel, der Rächer!

„Ich weiß zum Beispiel, was nächsten Sonnabend steigen soll“, stieß Bert hervor. Der Nieselregen war stärker geworden. Der Nordost heulte, und aus der Gegenrichtung kam eine weitere S-Bahn heran. Die Gegend war trist, ein Alpdruck. Kein Wunder, dass weit und breit keine Menschenseele zu sehen war!

„Nächsten Sonnabend, morgen also?“, fragte Engel.

„Ja, morgen. Ganz will die Wildes ausnehmen.“

„Langsam, langsam“, sagte der Mann. „Wer ist Ganz?“

„Gernot Ganz, er arbeitet für die Italiener.“

„Ich weiß Bescheid. Und wer sind die Wildes?“

„Sie können von mir nicht erwarten, dass ich das einfach auspacke, ohne Garantien ...“

„Rede!“

„Hören Sie mal ...“

Der Zug war direkt über ihnen. Er schien noch lauter zu sein als derjenige, der vorher die Gegenrichtung passiert hatte. Bert zuckte zusammen, als er den grellen, kleinen Feuerblitz aus dem Revolverlauf springen sah, er spürte einen heftigen Schlag an der Schulter und brach in die Knie, eher infolge des plötzlichen Schocks als echter Schwäche.

Bert griff sich an die Schulter, er spürte das Loch in der Lederjacke und darunter die warme Klebrigkeit des austretenden Blutes. Ihm war auf einmal sterbensübel. Die S-Bahn donnerte vorüber, der Lärm verebbte.

„Sprich!“, sagte der Mann. Seine Stimme war hart und befehlend, sie drückte Ekel aus. Abgrundtiefe Verachtung, aber auch noch etwas Anderes, etwas, das Bert tiefer und nachhaltiger entsetzte als bloße Brutalität. Bert fand, dass diese Stimme von Sadismus getragen wurde, von der Lust am Leid des anderen, von einem abwegigen, irren Killerinstinkt.

Bert umklammerte die blutende Wunde, er zitterte am ganzen Körper, er konnte sich nicht erinnern, sich jemals miserabler gefühlt zu haben. War das das Ende? Er wehrte sich dagegen, er konnte und wollte nicht glauben, dass er, mit den Taschen voller Geld, an diesem tristen Ort ins Gras beißen sollte.

„Sing, Ratte, sing!“, sagte der Mann.

„Es handelt sich um das Ehepaar Wilde“, stieß Bert hervor. „Sie beschäftigen einen Leibwächter, aber der liegt nach einem Unfall im Krankenhaus.“

„Danke, das genügt“, sagte Engel.

„Nein!“, schrie Bert. „Nein ...“

Er wollte noch etwas sagen, aber die beiden kurzen, trockenen Schüsse aus dem goldenen Revolver fegten ihm die Worte von der Zunge, sie peitschten ihm ein Gefühl unter die Haut, das neu für ihn war, enervierend und betäubend zugleich. Er kippte vornüber, schlug mit der Stirn auf schmutziges Pflaster und hörte einen weiteren Knall, jedenfalls schien es ihm so, aber er spürte keinen Schmerz, er begriff nur, dass es aus war. Aus und vorbei.

Seine Lippen bewegten sich, und seine Finger wurden starr, dann rollte sein Kopf zur Seite, und er hörte auf, etwas zu denken oder zu fühlen.

Berthold Fischer war tot.

––––––––

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2

Die Männer bauten die Scheinwerfer auf, sie rollten die Kabeltrommeln ab und fluchten, wenn ihnen irgendetwas in den Weg kam. Inspektor Südermann hatte den Mantel seines Trenchcoats hochgestellt und verzog das Gesicht, als eine S-Bahn die Luft mit ihrem stählernen Getöse erfüllte.

„Wissen Sie, was ich glaube?“, fragte Karl-Anton Flemming, einer der Ermittler aus Südermanns Team, der sich eine seiner scheußlich riechenden Zigaretten drehte. „Das war gar nicht Engel. Ein Nachahmer. Einer, der sich an Engels Ruhm hochrangeln will. Engel legt nur echte Verbrecher um. Wenn es stimmt, was wir wissen, war Fischer nur ‘n mieser, kleiner Strichjunge, ein Handtaschenräuber ...“

Ein Polizist kam heran und salutierte. „Die Presseleute möchten Sie sprechen, Herr Inspektor“, sagte er, „es ist beinahe unmöglich, sie jenseits der Absperrung zu halten.“

Inspektor Südermann sah zu, wie Flemming sich die Zigarette ansteckte, dann ging er zur anderen Straßenseite, blinzelnd und jäh geblendet von ein paar aufflammenden Blitzlichtern.

„Es ist zu früh für bindende Schlüsse, Leute“, sagte er mit hochgezogenen Schultern. Er kannte die meisten Reporter und Fotografen, es gab ein paar davon, die er schätzte und als seine Freunde betrachtete. aber es geschah nur selten, dass das Zusammentreffen mit ihnen seine Laune verbesserte.

Die Männer wollten immerzu Erfolgsmeldungen hören, Details, sie lebten von deren Auswertung, aber erstens war er nicht ihr Brötchengeber, und zweitens musste er sich hüten, durch eine zu offene Informationspolitik Porzellan zu zerschlagen oder dem Täter Hinweise auf den Ermittlungsstand zu geben.

Hier und heute war es freilich relativ leicht, etwas zu sagen. Engels übliche Visitenkarte machte das Geschehen zu einer runden Sache, und die Presseleute würden keine Mühe haben, ihrem gegenwärtigen Lieblingsthema ein paar neue Glanzlichter aufzusetzen.

„Er muss doch mal mehr als seine blöde Karte am Tatort zurücklassen“, sagte einer der Männer, der für die BZ schrieb. „Nach so vielen Morden muss auch ihm mal eine Panne passieren, muss er einen Knopf verlieren, einen Fußabdruck hinterlassen. Irgendetwas, womit man ihn festnageln kann ...“

„Du bist lustig, wirklich“, höhnte sein Kollege von der Morgenpost. „Wenn die Leute des Inspektors was finden würden, hätten sie gute Gründe, das zu verschweigen. Oder irre ich mich, Inspektor?“

„Ich wüsste gern, was Sie damit sagen wollen“, meinte Südermann. Aber natürlich hatte er sofort kapiert, worauf der Reporter hinauswollte. Die Spatzen pfiffen es schließlich schon von den Dächern, dass die Polizei verdächtigt wurde, in Engel einen willkommenen Helfer, einen uneigennützigen Helfer gegen das organisierte Verbrechen zu sehen.

„Sie können doch heilfroh sein, dass der Engel Ihnen die Dreckarbeit abnimmt“, sprach der Reporter aus, was die meisten Leute in der Stadt dachten. „Engel braucht keine Anklage aufzubauen, er muss sich nicht damit abrackern, Beweise zu finden, er kann es sich leisten, auf die sogenannte Rechtsstaatlichkeit zu pfeifen. Er pickt sich einen Verbrecher heraus und legt ihn um. So einfach ist das für ihn. Wie viele Opfer schreiben Sie ihm zu?“

„Neun“, sagte Horst Südermann. „aber unseres Wissens hat er erst nach dem dritten Mord die Masche mit der Visitenkarte entwickelt.“

„Benutzt er wirklich eine vergoldete Waffe?“, fragte einer der Männer.

„Er behauptet es. Am Telefon. Die Toten, die darüber Auskunft geben könnten, sind leider nicht imstande, uns aufzuklären“ sagte der Inspektor bitter. „Aber nun zu Ihnen, mein Freund. Sie können nicht im Ernst glauben, dass wir Engels Verbrechen gutheißen. Man kann Mord nicht mit Mord bekämpfen, das ist unsinnig, eine Kette ohne Ende. Und Sie dürfen mir glauben, dass ich in Engel alles andere als einen Freund und Kollegen sehe. Er macht die Stadt verrückt, vor allem aber uns. Wir bekommen kaum noch Schlaf, auf meinem Schreibtisch häufen sich die Akten, die Unterschriftentinte auf einem Protokoll ist noch nicht trocken, und schon erreichen uns die nächsten Alarmrufe, die nächsten Mordmeldungen. Nein, der Engel ist nicht unser Freund, und schon gar nicht unser Helfer. Eines Tages werden sich Nachahmer finden, die Selbstjustiz ist wie eine ansteckende Krankheit, sie weckt Killerinstinkte und gibt Leuten mit Aggressionszwängen den Vorwand, dem Recht zu dienen – aber in Wahrheit sind sie nicht besser als diejenigen, die sie töten oder auf andere Weise bekämpfen, sie sind eher noch schlimmer. Nehmen Sie einen Mann wie den ermordeten Berthold Fischer. Ein kleiner Ganove, zugegeben. Ein Mann aus Kreuzberg, der niemals Nestwärme genossen und von früher Jugend an gezwungen war, sich ...“

„Hören Sie bloß auf, mir bricht gleich das Herz“, warf der Reporter dazwischen. Er war Klaus Gunthermann, der Senior der Kriminalreporter, ein alter Haudegen mit verwitterten, wie gegerbt wirkenden Gesichtszügen, von dem behauptet wurde, dass er am Tage einen Liter Weinbrand trinken müsste, um einigermaßen fit zu bleiben. Sein Mundgeruch schien diese These zu untermauern, aber es gab niemanden, der ihn jemals hätte schwanken selten. „Immer diese blöden, alten Märchen von der harten, lieblosen Umgebung, von der Elternschuld, der Lehrerschuld, der Erwachsenenschuld. Nachkriegsgeneration, Vater im Krieg geblieben, Mutter mit neuem Macker. Oder Flüchtlingskind, möglichst mit ganz tragischer Geschichte. Mich kotzt das an. Ich kenne ‘ne Menge Waisenkinder, die es zu was gebracht haben und gar nicht wissen, was Liebe ist. Wer kriminell ist, darf sich nicht wundern, bekämpft zu werden, und der Engel weiß genau, dass gegen Härte nur mit noch größerer Härte angegangen werden kann.“

„Terror und Gegenterror, ein hübsches Rezept“, spottete Inspektor Südermann. „Unsere Stadt wird sich an eine reizende Zukunft gewöhnen müssen, an Ströme von Blut, was?“

„Blut“, sagte Gunthermann , „fließt jetzt schon genug. Hat die Mordkommission auch noch Zeit, sich mal bei den wöchentlichen Demos umzusehen, Inspektor? Ich habe Fotos von Menschen gemacht, die einen Ziegelstein mitten ins Gesicht bekommen haben! Das heizt die Stimmung auf. Und wenn nun auch noch so ein Mörder frei herumläuft, schlägt das dem Fass die Krone aus! Es liegt nicht zuletzt an Ihnen, Inspektor, diesen Trend aufzuhalten.“

„Ich kann nicht zaubern, Gunthermann. Vielleicht werfen Sie hin und wieder mal einen Blick auf die Statistiken, auf die Zahl der geklärten Mordfälle. Sie werden einsehen müssen, dass sich diese Zahlen sehen lassen können. Und die Demonstrationen gehen mir sehr auf den Wecker und ich bedaure die Kollegen der Bereitschaftspolizei, sich mit diesem Pöbel herumschlagen zu müssen. Studenten? Für mich sind das asoziale Kriminelle, die sich an die Demonstranten hängen, um sich mit den Polizisten zu prügeln und dann feige in der Menge unterzutauchen, wenn die Gegenseite versucht, sie zu fassen.“

„Ich kenne diese alte Litanei“, winkte Guntermann ab. „Das Lied vom Personalmangel, von Übermüdung und Überlastung. Diese Stadt hat genügend Männer, die tüchtig sind und durchaus bereit wären, die Polizei tatkräftig zu unterstützen. Leute wie Bernd Schuster zum Beispiel.“

„Bernd“, seufzte der Inspektor, „ist mein Freund. Ein guter Freund. Ich weiß, was er kann, er hat mir mehr als einmal aus der Klemme geholfen. Bernd ist Privatdetektiv. Er lebt recht gut von seinem Beruf. Er lebt von seinen Honoraren – und die zahlen ihm mehr oder weniger betuchte Klienten. Die Polizei jedenfalls hat keinen Etat für die Beschäftigung von Privatdetektiven – aber das wissen Sie so gut wie ich.“

„Warum“, spottete einer der Reporter, „gehst du nicht zu deiner Redaktion und bittest sie darum, Bernd Schuster auf Engels Fährte zu hetzen? Es wird euch ein paar Tausender kosten, fürchte ich, aber wenn Schuster Erfolg haben sollte, wäre das eine gute, eine blendende Investition, euch würden Zehntausende neuer Leser zufließen.“

Gunthermann starrte dem Sprecher in die Augen. „Gottfried, alter Junge“, sagte er dann. „Das ist eine Idee. Ich bringe dich um, wenn du versuchen solltest, sie deiner eigenen Redaktion zu verkaufen.“ Dann machte er kehrt und ging davon.

Einer der uniformierten Männer kam herangehetzt. Ihm war anzusehen, dass er soeben über Funk eine wichtige Durchsage erhalten hatte. Die Reporter spitzten die Ohren, aber Inspektor Südermann zog den Mann soweit zur Seite, dass kein Unbefugter hören konnte, was gesagt wurde.

„Ein Toter ist gefunden worden, in der Nähe vom Nollendorfplatz. Engels Visitenkarte liegt dabei.“

„Weiß man, wer der Mann ist?“

„Nein, noch nicht. Wilhelm Krone ist bereits unterwegs zum Tatort.“

„Armer Wilhelm“, sagte der Inspektor grimmig. „Er wird sich dort mit den gleichen Problemen und den gleichen Leuten herumschlagen müssen wie ich.“ Er wandte sich mit einem Anflug von Schadenfreude den Reportern zu. Er sagte ihnen, was geschehen war und grinste matt, als er beobachtete, wie die Meute davonstob, um den neuen Tatort zu erreichen. Dann ging er hinüber zu dem Toten, der jetzt im gleißenden Licht der Scheinwerfer lag und fragte sich, was Engel veranlasst haben mochte, einen Mann wie Berthold Fischer abzuservieren.

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3

Sie war nackt, als sie das Badezimmer verließ. Die Art, wie sie sich bewegte, graziös und herausfordernd kokett, machte klar, dass sie sich ihrer Jugend, ihrer Schönheit und ihrer Wirkung durchaus bewusst war, und dass sie gelernt hatte, daraus optimalen Nutzen zu ziehen. Sie blieb auf der Schwelle stehen, lächelnd, lehnte sich gegen den Türrahmen und fragte: „Musst du wirklich schon gehen?“

Gernot Ganz saß auf dem Bett.  Er zog die Reißverschlüsse seiner schicken, halbhohen Stiefel aus rotbraunem Chevreauxleder zu und grinste matt, als er seine Blicke über Christas makellosen Körper wandern ließ. Sie war ein kleines Biest, sie konnte von der Liebe einfach nicht genug bekommen.

Er schaute auf die Uhr. „Ich muss mich trollen“, sagte er. „Sonst komme ich noch zu spät.“

„Nur noch ein Stündchen – bitte“, sagte Christa und formte ihren herzförmig geschnittenen, roten Mund zu einem schmollenden O. Sie kam auf ihn zu, ihre vollen, hübschen Brüste schwangen provozierend und ließen Gernot Ganz plötzlich bedauern, dass er gehen musste.

Er stand auf. „Es dauert nur ein paar Stunden“, sagte er. „Ich rufe dich an.“

„Kann ich hier auf dich warten?“

„Nein“, sagte er und gab ihr einen Klaps auf den Popo. „Das geht nicht.“

„Du vertraust mir nicht“, beklagte sie sich und legte ihre Arme um seinen Nacken. Sie presste ihren Unterleib gegen seinen Körper und rechnete mit seiner männlichen Reaktion, aber er zog ihre Arme herunter und sagte, diesmal schon weniger freundlich: „Anziehen, los!“

Christas Lächeln fiel in sich zusammen. Sie kannte diesen Ton und hatte gute Gründe zu spuren. Sie zog sich an, dann verließ sie mit Ganz die Wohnung. „Bleib zu Hause, bis ich dich anrufe“, sagte er, stieg in seinen Wagen und fuhr davon.

Christa Zelter war schließlich froh, dass sie ein paar Stunden allein sein konnte. Eigentlich konnte sie Gernot nicht leiden, sie hatte sogar Angst vor ihm, aber er bot ihr zwei Vorteile, die sie nicht aufzugeben wünschte: Er war ein guter Liebhaber, und er war großzügig. Er unterhielt ihre Wohnung, er hatte ihr erst kürzlich einen echten Nerz gekauft, und wenn nicht alles trog, würde er fortfahren, sie mit seinen Gunstbeweisen zu verwöhnen.

Dafür war sie gern bereit, seine speichelnde Aussprache, seinen trotz reichlich verwendeten Körpersprays immer wieder durchbrechenden Schweißgeruch und seine gelegentlichen Wutausbrüche hinzunehmen. Er war ein übler Bursche, sie wusste es. Aber wenn man, wie sie, aus dem Osten stammte und einen Vater hatte, der im Gefängnis saß, eine Mutter, die sich mit Pennern vergnügte, konnte man mehr als zufrieden sein, sich Gernot Ganzs Freundin nennen zu dürfen.

Sie fuhr nach Hause, stellte das Fernsehgerät ein, mixte sich einen Martini und fragte sich, was Gernot wohl an diesem Abend für ein Ding zu drehen gedachte. Sie war froh, keine Einzelheiten zu kennen, wünschte Gernot aber alles Gute, weil es vom Erfolg seines Fischzugs abhing, wie großzügig seine nächsten Geschenkgesten ausfallen würden.

Als es klingelte, ging sie neugierig zur Tür. Sie langweilte sich und freute sich auf eine Abwechslung, egal, wie sie auch beschaffen sein mochte.

Der Besucher, dem sie sich gegenübersah, war ein Mann Ende der Dreißig, groß und schlank, sehr gut angezogen, vielleicht um eine Note zu konservativ, um Christas Geschmack zu treffen, aber sie mochte sein Gesicht, es wirkte hart und melancholisch zugleich, es hatte, wie sie meinte, das gewisse Etwas.

„Sie wünschen?“

Sie erhielt keine Antwort und erschrak, als der Mann einfach über die Schwelle schritt, sie wich vor ihm zurück, prallte mit dem Rücken gegen den Garderobenschrank und fragte: „He, was soll das? Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?“

Sie hatte keine Angst. Dazu bestand kein Grund. Erstens wusste sie mit Männern umzugehen, und zweitens glaubte sie nicht daran, dass es jemand darauf abgesehen haben könnte, sie zu berauben. Sie war Gernot Ganzs Freundin. Das wusste man in der Gegend, das verschaffte ihr Respekt und hielt gewisse Leute davon ab, sich an ihr zu vergreifen.

Der Mann drückte die Tür hinter sich ins Schloss. Er war frei von Nervosität, sein markantes Gesicht mit den dunklen, tiefliegenden Augen strahlte Ruhe und Besonnenheit aus. „Gehen Sie ins Wohnzimmer“, sagte er.

Christa gehorchte. Sie setzte sich und wusste nicht, was sie tun sollte. Schreien, toben, wilde Hysterie produzieren? Nein, das würde bei diesem Typ nicht ankommen, er beherrschte auf eine schweigende, unwiderstehliche Art die Szene. Christa konnte nichts Anderes tun, als schweigend darauf warten, was er ihr zu eröffnen gedachte.

„Ein hübsches Liebesnest“, sagte er. Seine Stimme klang verächtlich. Er schaute sich genau um, seine Mundwinkel zuckten dabei, es war Ekel in dieser Reaktion, aber auch ein Anflug von Amüsement, als fände er nur bestätigt, was er sich von diesem Besuch versprochen hatte.

„Wer sind Sie?“, wiederholte Christa fragend.

Er setzte sich ihr gegenüber in einen Sessel, sehr lässig, schlug ein Bein über das andere und musterte sie prüfend. Sein dunkler Regenmantel stand offen. Christa bemerkte unter seinem Jackett eine Ausbeulung, die ihr von Gernot Ganz nur allzu vertraut war. Der Fremde trug ein Schulterhalfter mit Schusswaffe. Das erschreckte und beruhigte sie zugleich, es fiel ihr nicht ganz leicht, sich für das eine oder das andere zu entscheiden. Wenn er ein Verbrecher war, einer von Gernots Zuschnitt, würde sie mit ihm klarkommen, davon war sie überzeugt. Der Bursche konnte ihre Reize nicht ignorieren, sie arbeitete oft genug als Fotomodell und wusste, was die Männer von ihr hielten und wünschten.

Natürlich gab es gewisse Gefahren.

Gernot hatte Feinde, mehr als genug.

Hatten sie vor, ihn zu treffen, indem sie sich seiner Freundin bemächtigten?

Nein, ausgeschlossen! Niemand würde so töricht sein, zu glauben, bei Gernot damit irgendwelche Ziele erreichen zu können. Gernot war scharf auf sie, vielleicht hatte er sich sogar in sie verliebt, aber wenn es ums Geschäft ging, um die Interessen der Bande, der er diente, oder gar um seine persönlichen Belange, würde er nicht die geringsten Skrupel haben, sie zu opfern, das wusste sie. Das wussten sicherlich auch andere.

Ein Polizist? Nein, dafür war er zu gut gekleidet, diese Möglichkeit schloss Christa aus. Sie hatte einen Riecher für Polizisten, der Fremde roch anders.

‚Wie ein Raubtier‘, dachte Christa plötzlich, aber sie verdrängte den Gedanken, es war nur ein dummer Impuls, denn tatsächlich roch der Fremde gar nicht, allenfalls sehr schwach nach einem teuren Rasierwasser ...

„Können Sie nicht sprechen?“, fragte Christa.

„Ich bin Engel“, sagte der Fremde.

Sie starrte ihn fassungslos an, dann lachte sie. Natürlich wusste sie, wer Engel war. Die ganze Stadt sprach davon, und die Zeitungen machten daraus ein Riesengeschäft. Engel hinten und Engel vorn, er dominierte in den Schlagzeilen, er geisterte durch Leitartikel und Fernsehsendungen, er war zu einem Markenartikel geworden, zum Mörder Nummer Eins.

Nur sahen ihn die Leute nicht so, für die meisten war er der einsame Held, der Prototyp des entschlossenen Kämpfers, der Mann, der das Verbrechertum bekämpfte, rücksichtslos, ohne fremde Hilfe, der Mörder mit dem Glorienschein.

„Sie machen Witze“, murmelte Christa.

Sie spürte ein seltsames Kribbeln auf ihrer Haut, aber noch immer keine Angst.

Er war ein Mann. Ein Mann besonderer Art. Dass er getötet hatte, schreckte sie nicht. Es hieß auch von Gernot, dass sein Weg mit ein paar Leichen gepflastert sei, damit musste man in solchen Kreisen fertig werden.

‚Wenn du es richtig anstellst, wird er dich begehren‘, dachte sie. ‚Vielleicht opfert er sogar Gernot, um dich zu bekommen ...‘

Sie war unsicher und leicht nervös. Was ging bloß in dem Burschen vor, was wollte er hier? Er sah gut aus, daran gab es nichts zu rütteln. Wenn seine Potenz mit seinem Äußeren Schritt hielt, bot sich die Perspektive eines aufregenden Abenteuers ...

„Ja, ich bin Engel“, sagte der Mann und lächelte zum ersten Male auf eine müde, düstere Weise, die ihn merkwürdigerweise recht anziehend erscheinen ließ. „Engel, der Rächer. Ich nehme an, Sie haben von mir gehört.“

„Die ganze Stadt spricht von Ihnen.“

„Das ist meine Absicht“, nickte er. „Ich will, dass die Verbrecher sich in die Hosen machen, dass sie endlich aufhören, Berlin zu terrorisieren.“

„Was – was hat das mit mir zu tun?“, fragte Christa mit bebender Stimme.

„Eine ganze Menge“, sagte er und schaute sie an. „Sie sind eine Gangsterbraut.“

Christa schoss die Röte ins Gesicht. Sie wusste selbst sehr gut, was sie war, aber die Worte des Besuchers machten ihr mit einem Schlag bewusst, in welcher Gefahr sie sich befand. Sie begriff, dass er vorhatte, seinen Krieg gegen die Unterwelt auszuweiten. Er übernahm den Begriff der Kollektivschuld, er bezog die unmittelbare Umgebung der Verbrecher in sein Feindbild ein.

„Ich bin nur ein Mädchen, das ...“, begann sie lahm, aber der Besucher fiel ihr barsch ins Wort.

„Sie sind ein mieses, kleines Flittchen. Mir wäre das egal, wenn Frauen wie Sie nicht diese Bastarde ermutigten, wenn Frauen wie Sie diesen Mistkerlen nicht noch Mut machen würden, ihr dreckiges Handwerk fortzusetzen. Sie kosten ihn eine Menge Geld, was? Ich brauch mich hier nur umzusehen, um zu wissen, wie Sie leben. Wie die Made im Speck.“ Er stand auf und öffnete die Tür des Einbauschrankes, er riss den Nerz heraus, warf ihn zu Boden und trat darauf. „Wer musste sterben, damit Sie dieses Scheißding tragen können – wer?“, stieß er hervor.

Christa war entsetzt. Ihre Furcht nahm zu. Sie begriff, dass es um ihr Leben ging. Engel machte nicht den Eindruck, als ob ihn weibliche Reize fesseln könnten. Seine Stimme war nicht sehr laut, aber schneidend, hasserfüllt und kalt. Es war die Stimme eines Mannes ohne Mitleid, ohne Gefühle, die Stimme eines Mörders.

„Gehen Sie zum Telefon“, sagte er.

Christa gehorchte. Sie hatte keine Ahnung, was Engel beabsichtigte, aber ihre Furcht blieb, das Wissen um ein schreckliches Ende.

„Wählen Sie die Nummer der Mordkommission“, forderte er. „verlangen Sie Inspektor Südermann. Ich sage Ihnen, was Sie ihm mitteilen werden.“

Er nannte ihr die Nummer, und Christa wählte mit zitterndem Finger, was er ihr auftrug. Sekunden später hatte sie den Inspektor an der Strippe.

„Sagen Sie ihm, dass Sie in meinem Auftrag handeln und sprechen“, zischte er und trat dicht hinter sie, „aber nennen Sie nicht Ihren Namen.“

Er zog seinen Revolver aus dem Schulterhalfter. Christa bekam schwache Knie, sie hätte sich am liebsten hingesetzt, aber sie wagte nichts zu tun, was den Unwillen ihres Besuchers erregen konnte. Er war auch so schon wütend genug, ein Bündel von Hass. Christa starrte auf die Waffe. Ihr Gold hatte einen rötlichen Glanz. Es war eine schreckliche Vorstellung zu wissen, dass damit schon viele Menschen getötet worden waren. Sollte sie die nächste sein?

„Engel ist bei Ihnen?“, fragte der Inspektor, nachdem Christa sich mit bebender Stimme ihres Auftrages entledigt hatte. Er war nicht versucht, das Ganze für einen Witz zu halten. Er hatte ein Ohr für Zwischentöne und spürte, dass die Angst in der Stimme der Anruferin nicht gespielt war.

„Ja“, sagte Christa, hörte sich an, was der Mann ihr zuflüsterte und wiederholte: „Ich soll Ihnen mitteilen, dass der Mord bei der Nolle nicht auf sein Konto geht. Das war jemand, der sich auf diese Weise ein Alibi verschaffen wollte. Engel hat nur Bert umgelegt – und das zu Recht.“

„Ich verstehe“, sagte der Inspektor. „Lassen Sie mich mit ihm reden, bitte.“

„Er will mit Ihnen reden“, sagte Christa und schaute Engel an.

Der drückte plötzlich ab, zweimal, ganz kurz hintereinander. Das Mädchen riss den Mund auf, hatte aber nicht mehr die Kraft zu schreien. Sie brach zusammen, versuchte noch einmal hochzukommen, aber die Reflexbewegung zerbrach am jähen, mitleidlosen Zugriff des Todes. Sie sackte zurück und rührte sich nicht mehr.

Der Mann steckte die Waffe zurück ins Schulterhalfter und griff nach dem in der Luft baumelnden Telefonhörer.

„Inspektor?“, fragte er leise. So sprach er immer, wenn er mit den Behörden telefonierte. Man hatte wiederholt seine Stimme auf Band geschnitten und mehr als hundertmal über alle Rundfunkstationen gesendet, aber keiner der zahlreichen Hinweise und Verdächtigungen hatte auf die Spur des Täters geführt.

„Sie haben sie getötet“, sagte Inspektor Südermann. „Dafür wird man Sie zur Verantwortung ziehen, für diesen und für alle anderen Morde!“

Er kam sich idiotisch vor. Warum sagte er das? Erstens war es sowieso selbstverständlich, und zweitens konnte er nicht erwarten, damit auf den Mörder irgendwelchen Eindruck zu machen.

Der Engel hatte seine eigenen Gesetze. Er fand immer mehr Geschmack an ihnen, er war offenbar schon so weit gekommen, dass er pro Woche mindestens einen Mord verübte.