Die drei ???® Kids
Band 8
Nacht unter Wölfen
Mit Illustrationen von Stefanie Wegner
KOSMOS
Umschlagillustration von Stefanie Wegner, Hamburg
Innenillustrationen von Stefanie Wegner
Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart
Grundlayout: Friedhelm Steinen-Broo, eStudio Calamar
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© 2016, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-440-15341-3
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Die Geschäfte in Rocky Beach öffneten gerade die Türen, als Justus Jonas auf seinem Fahrrad um die Ecke bog. Das Rad quietschte und schepperte so laut, dass auch die letzten Bewohner der kleinen Stadt aus ihrem Schlaf gerissen wurden. Justus strampelte schnaufend die Hauptstraße hoch und erreichte mit rotem Kopf den Marktplatz. Am Brunnen stellte er das klapprige Gefährt ab, nahm eine Handvoll Wasser aus dem Becken und kühlte damit sein Gesicht. Es schien ein sehr heißer Tag zu werden. Plötzlich hörte er über den Platz eine bekannte Stimme rufen. »He, Just, was machst du denn hier?« Es war Bob Andrews, der jetzt zu ihm kam. »Willst du den Brunnen leer saufen?«, lachte er und lehnte sein Rad an das von Justus.
»Quatsch, ich hab nur fast einen Hitzschlag bekommen. Der Schrotthaufen lässt sich kaum vorwärtsbewegen«, stöhnte Justus und zeigte verächtlich auf sein Fahrrad. Onkel Titus hatte es ihm aus vielen alten Teilen zusammengebaut. Am liebsten hätte Justus das Vehikel an ein Museum verschenkt, aber es war immer noch besser, als zu Fuß zu laufen.
»Ich muss für Onkel Titus ein paar Sachen aus einer Druckerei abholen. Er hat sich jetzt endlich vernünftige Geschäftspapiere für unseren Schrotthandel drucken lassen. Und was treibst du hier?«
Bob zeigte auf die kleine Wäscherei gegenüber. »Genau dasselbe wie Peter. Wir mussten beide für unsere Eltern einen Haufen Klamotten zum Waschen abgeben. Peter wird da gleich rauskommen.« Kurze Zeit später gesellte sich Peter Shaw zu ihnen, und das Trio war komplett. Sie beschlossen, Justus bei seinem Auftrag zu begleiten.
Die Druckerei lag versteckt in einer kleinen Seitengasse am Rande der Stadt. Justus zeigte auf ein altes und heruntergekommenes Gebäude. »Onkel Titus sagte, dass der Laden hier irgendwo im Kellergeschoss sein soll. Hauptsache, der Schuppen bricht nicht über uns zusammen.«
Neben dem Haus entdeckten sie eine steile Steintreppe und stiegen vorsichtig die Stufen hinab. Über dem Eingang war ein verrostetes Eisenschild angebracht. »Templer Druckereierzeugnisse aller Art«, las Peter vor und öffnete die schwere Stahltür. Ihre Augen gewöhnten sich nur langsam an das spärliche Licht. Es roch nach Farben, und der Raum war erfüllt vom rhythmischen Klopfen, Ticken und Hämmern der Druckmaschinen. Bob betrachtete die alten Anlagen und schüttelte den Kopf. »Das sieht hier ja aus wie in einem Museum. Kein Mensch druckt noch mit solch verstaubten Apparaten. Ich war mal mit meinem Vater in einer modernen Offset-Druckerei – dagegen könnte das hier vom alten Gutenberg persönlich stammen.«
Plötzlich erhob sich ein von Druckerschwärze verschmiertes Gesicht zwischen den großen Maschinen. »Lacht nicht über Gutenberg! Ohne ihn würden wir heute noch – wie in der Steinzeit – auf Felswänden herumkratzen. Diese Maschinen sind zwar alt, erfüllen aber alle ihren Zweck.« Der kleine Mann wischte seine Hände an der Schürze sauber und kam sichtlich erregt auf sie zu. »Was versteht ihr denn schon vom Druckhandwerk, hä? Damit meine ich nicht eure billigen Comics, nein, ich meine damit die hohe Kunst der Papierbeschichtung. Ahnt ihr überhaupt, wie viel Arbeit es macht, solch ein Druckwerk wie dieses herzustellen?«, schnaubte er und hielt ein buntes Werbeplakat für einen Wanderzirkus in die Luft.
Peter betrachtete es und murmelte belanglos: »Macht man das heutzutage nicht besser mit einem Farbkopierer?«
Jetzt war Mister Templer nicht mehr zu halten. »Farbkopierer? Eine primitive computergesteuerte Belichtungsmaschine soll das besser machen? Ihr habt ja keine Ahnung. Billigware ist das. Kein Glanz, keine Tiefenschärfe, keine Leuchtkraft. Das alles erreicht man nur im komplizierten Siebdruckverfahren. Traditionelles Handwerk und Können sind da gefragt! Aber nun Schluss mit dem Vortrag. Was wollt ihr überhaupt?«
Justus hatte die ganze Zeit interessiert zugehört und fast den Auftrag seines Onkels vergessen. »Wir sollen für Titus Jonas eine Bestellung abholen. Sein Pick-up ist kaputt.« Die Stimmung von Templer verbesserte sich schlagartig. »Titus Jonas? Ja, der weiß wenigstens, was Qualität bedeutet. Hier, ich hab schon alles zusammengestellt.« Er deutete auf einige Kartons, und Bob musterte den hohen Stapel.
»Welcher davon ist es denn?«, fragte er und nahm die Hände aus den Taschen.
»Na, alle sind es«, grinste der Drucker vergnügt und verschwand hinter seinem Tresen.
Justus gab ihm die zweihundert Dollar, die ihm sein Onkel mitgegeben hatte, und bekam einen Zehndollarschein als Wechselgeld zurück.
Danach beluden sie vor der Tür schimpfend ihre Fahrräder. Unter der Last der Kartons verbogen sich die Gepäckträger. »Jetzt verstehe ich, was Templer mit schwerer Kunst meint«, stöhnte Bob. »Was will nur dein Onkel mit so viel Papierkram?«
Justus packte den letzten Karton auf den Sattel und musste sein Rad schieben. »Keine Ahnung. Wahrscheinlich hat er Mengenrabatt bekommen und sich gleich für die nächsten hundert Jahre mit Geschäftspapieren eingedeckt. Tante Mathilda macht das genauso. Neulich hat sie sechzig Dosen Erbsen gekauft, nur weil sie billig waren. Ich kann keine Erbsen mehr sehen.«
Es dauerte über eine halbe Stunde, bis sie mit ihrer Ladung den Schrottplatz erreichten. Onkel Titus kam unter seinem Pick-up hervorgekrochen. »Da seid ihr ja endlich«, lachte er und legte einen großen Ringschlüssel in den Werkzeugkasten zurück. Justus stand der Schweiß auf der Stirn. »Endlich? Du bist gut. Das Zeug ist schwer wie Blei.«
Sein Onkel steckte die restlichen zehn Dollar von Justus zurück ins Portemonnaie und trug die Kartons in sein Büro. Als alles verstaut war, klopfte Onkel Titus den drei ??? gönnerhaft auf die Schultern und beförderte die Banknote umständlich wieder zum Vorschein. »Na gut, dann will ich mal nicht so sein. Als Lohn könnt ihr das Wechselgeld behalten.« Justus, Peter und Bob strahlten, und keine zehn Minuten später standen sie wieder auf dem Marktplatz, direkt vor Giovannis Eiscafé.
»Voll in Ordnung von deinem Onkel. Für zehn Dollar würde ich den ganzen Tag Kartons durch die Gegend fahren«, freute sich Peter und bestellte einen Rocky Beach Spezialbecher. Bob nahm ein Bananensplit und Justus fünf Kugeln Zitrone mit doppelter Sahneportion.
»Molto bene, das macht acht Dollar und fünfzig Cents. Mamma mia, ich hatte als kleines Bambino nix so viel Geld.« Justus hielt ihm die zehn Dollar entgegen, und Giovanni nahm ihm den Schein aus der Hand. Doch plötzlich stockte er, hielt die Banknote gegen das Licht und schüttelte erschrocken den Kopf. »Was ist das? Wollt ihr den armen Giovanni anschmieren, hä? Das ist nix guter Dollar, das ist eine – wie sagt man – Blüte.«
»Eine Blüte?«, wiederholte Justus verwirrt.
Giovanni schaute sich nervös um. »Ja, heiße Kohle, schlechte Dollars, Falschgeld eben. Hier, nicht mal einen Sicherheitsfaden im Papier.«
Die drei ??? waren sprachlos. Peter bekam schlagartig einen roten Kopf und stammelte vor sich hin. »Mister Giovanni, seien Sie sicher, wir hatten keine Ahnung. Wir würden niemals mit Falschgeld bezahlen.«
»Mamma mia, ich weiß. Mir ist es auch komplett egal, wer euch den Schein angedreht hat. Ich will auf jeden Fall nix davon wissen. Hier, nehmt die Blüte wieder zurück, pronto! Habt ihr noch richtige Dollar?« Die drei schüttelten den Kopf. »Dann gibt es auch nix Eis für euch. Ciao!« Er nahm die drei fertigen Portionen und schmiss sie schwungvoll in den Mülleimer. Justus, Peter und Bob konnten es nicht fassen und verließen mit hängenden Köpfen das Café.
Erst als sie wieder bei ihren Rädern ankamen, fand Bob die Worte wieder. »Der Fall ist klar: Templer hat uns die Blüte untergejubelt. Wenn ihr mich fragt, der druckt sich die Kohle in seinem Keller selber.« Justus knetete angestrengt seine Unterlippe. »Nicht so schnell! Es kann gut möglich sein, dass der Schein von Templer stammt. Ob er aber das Geld tatsächlich gefälscht hat, muss erst noch bewiesen werden. Und außerdem hast du eine Sache nicht bedacht: Onkel Titus hat die zehn Dollar von Templer zwar in sein Portemonnaie gesteckt – hat er aber denselben Schein auch wieder herausgezogen?«
Bob war empört. »Just, du willst doch wohl nicht deinen eigenen Onkel verdächtigen?«
»Unsinn, ich versuche nur, zweifelsfrei herauszufinden, welchen Weg der gefälschte Schein bisher gemacht hat. Vielleicht ist er schon durch hunderte von Händen gegangen, und keiner hat gemerkt, dass es Falschgeld war. Wir haben es doch auch nicht entdeckt.«
Diese Überlegung überzeugte Bob und beruhigte ihn. Peter nahm den Schein und hielt ihn gegen die Sonne. »Wenn man es weiß, ist es ganz deutlich. Ich habe vorher niemals auf so einen Sicherheitsfaden im Papier geachtet. Aber ob der Schein von Onkel Titus oder von Templer kommt, können wir ganz einfach herausfinden.«