ROLAND STEINACHER
DIE VANDALEN
AUFSTIEG und FALL
eines BARBARENREICHS
KLETT-COTTA
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Klett-Cotta
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Printausgabe: ISBN 978-3-608-94851-6
E-Book: ISBN 978-3-608-10951-1
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Vorwort
Einleitung: Eine Geschichte der Vandalen
1. Namen und Historie
Der Vandalenname und die Ergebnisse der Archäologie
Der Beginn der vandalischen Geschichte: Römisches Militär an der Donau
Schatzfunde von Osztrópataka
2. 395–429: Von der Donau nach Afrika
Die Regionalisierung des Römerreichs
401: Vandalen in Rätien?
401–405: Stilicho, Alarich und Radagais in Italien
Heermeister und Barbaren: Das Westreich bis 425
Die Rheininvasion von 406
Eine Stimme aus Bethlehem: Der 123. Brief des heiligen Hieronymus
Constantin III. und die gallischen Barbaren: Britannia fertilis provincia tyrannorum
407–409: Vandalen, Alanen und Sueben in Gallien. Kämpfe und Bündnisse
Wurden Abteilungen der Rheininvasoren von Constantin III. nach Britannien verlegt?
Alanen im Gallien der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts
408: Das Ende des Vandalen Stilicho
409: Die Herrschaft des Gerontius in Spanien
409: Alanen, Vandalen und Sueben ziehen nach Spanien
410/411: Das Ende Constantins III. und des Gerontius. Die gallische Präfektur versinkt im Chaos
410–412: Ein spanischer Bürgerkrieg
412: Vandalen, Alanen und Sueben teilen Spanien auf
417: Die Goten greifen ein
Gotisch-vandalische Beziehungen
422: Die neuen Vandalen greifen nach der Macht
Das römische Militär in Afrika
Die Vorgänger Geiserichs: Gildo, Heraclianus und Bonifatius
Geiserich (428–477), der neue König der Vandalen und Alanen
Wie kamen die Vandalen und Alanen Geiserichs nach Afrika?
Wie viele Barbaren kamen nach Afrika?
Barbarische Vorläufer Geiserichs seit dem 3. Jahrhundert
429–435: Die Kämpfe in Afrika
3. 435–455: Aus barbarischen werden römische Könige von Karthago
Die Machtübernahme in den afrikanischen Provinzen und der Vertrag von 435
Afrikanische Alternativen zur Herrschaft der Vandalen
Der vandalische Arianismus als politische Religion
Erste Konflikte mit der katholischen Kirche
Arianer im Römischen Reich
Vandalische Seeräuber auf eigene Rechnung?
439: Die Besetzung Karthagos und eine politische Datierung
Karthago als hasdingische Hauptstadt – eine neue vandalische Identität
Die angebliche Verwüstung Karthagos und Afrikas
Die Leiden der Afrikaner
Dekadenz oder Keuschheit der Vandalen?
Afrika, die neue Macht im westlichen Mittelmeer
441: Der gescheiterte Angriff der beiden Römerreiche
442: Frieden mit dem Kaiser
Der Adelsaufstand von 442
Die Nachfolgeordnung Geiserichs
Die sortes Vandalorum und die Organisation der Provinzen
Der königliche Besitz
Der königliche Hof und die Verwaltung
Recht
Die Steuern
Die Wirtschaft
Das Geldwesen
450: Sebastianus. Schwiegersohn des Bonifatius und Konkurrent Geiserichs
450/451: Hatte Geiserich etwas mit Attilas Angriff auf das Westreich zu tun?
454: Die Ermordung des Aëtius und die Folgen
455: Geiserichs »sacco di Roma«
4. Der vierte punische Krieg. Nach der Eroberung Roms 455 bis zum Tod Geiserichs 477
Geiserich und der Kampf um die Macht im Westreich
460: Scheitern und Untergang des Kaisers Maiorianus. Separatfrieden der Vandalen mit Konstantinopel
Geiserichs Fahrten »gegen diejenigen, denen Gott zürnt«
468: Ein abermals gescheiterter römischer Großangriff
474/476: Der »Ewige Frieden« zwischen Vandalen und Römern
Sardinien, Korsika und die Balearen werden afrikanisch
5. 477–533: »La Galerie des rois« – Von Hunerich bis Gelimer
Hunerich 477–484
Hunerich und Konstantinopel: Dem Kaiser ein wahrer Freund …
Ein afrikanischer Dichter über Hunerich
Hunerich und die Opposition des Adels und der Königsfamilie
Hunerich und die »einzige« Kirche
Die Spirale der Gewalt dreht sich
Afrika soll arianisch werden: Das Religionsgespräch in Karthago und die königliche Gesetzgebung von 484
484: Hunerichs Tod – ein Exemplum
Die maurische Alternative
Archäologie und Identität. Prunkvolle Gräber der barbarischen Eliten
Gunthamund 484–496
Ein römischer Dichter im Kerker
496–523: Thrasamund und seine lange Herrschaft
Der König und die Kirche: Fulgentius und Thrasamund
Ravenna und Karthago heiraten
Eine neue Haltung Konstantinopels nach 518
An den Rändern des Vandalenreichs
Hilderich (523–530): Wieder ein Greis auf dem Thron
Gelimer 530–534: Usurpator und letzter König der Vandalen und Alanen
Kriegsvorbereitungen in Konstantinopel
6. 533–551: Ein schneller Sieg und der lange Verlust des Friedens
Juni 533: Belisars Flotte segelt nach Afrika
31. August 533: Landung an der Küste der Byzacena
13. September 533: Ad Decimum. Die erste Niederlage der Vandalen und der Verlust Karthagos
Mitte Dezember 533: Die Katastrophe von Tricamarum
534: Das Königreich ist verloren
Die justinianische Neuordnung der Provinzen
Belisar verlässt Afrika
Solomon und die Mauren
536: Der Osteraufstand des Stotzas
539: Solomon kehrt nach Afrika zurück
545/546: Der Usurpator Guntharis und die letzten Vandalen
Nach den Vandalen: Das byzantinische und arabische Nordafrika bis ins 11. Jahrhundert
7. Der Vandalenname in Mittelalter und Neuzeit
»Ganz Gallien rauchte als ein einziger Scheiterhaufen«
Der Vandalismus der Franzosen
Von den Vandalenslaven zu den Königen der Schweden, Goten und Vandalen
Vandalen = Wenden und Slawen
Mittelalterliche Vandalen-Wenden
Polnische Vandalen-Wenden
Albert Krantz’ »Wandalia« und polnische Gegenstimmen
Der König der Schweden, Goten und Vandalen
Dank
Anhang
Vorgeschichte(n) und Archäologie
Die kaiserzeitlichen Ethnographen – Vandilier oder Vandalen?
Die Ergebnisse der Archäologie
Anmerkungen
Abkürzungen und Siglen
Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Literatur
Nachweise der Bilder und Karten
Namen- und Sachregister
Tafelteil
BRIGITTE UND WALTHER
»Unser, unser sind der Goten, Vandalen und Franken Triumphe.« So konnte der sonst so besonnene Beatus Rhenanus (1485–1547)(1) jubeln, wenn er über die Anfänge der deutschen Geschichte nachdachte. Damit vermochte der deutsche Humanist aber auch den welthistorischen Prozess zu beschreiben, den sein jüngerer Zeitgenosse Wolfgang Lazius (1514–1565)(1) erstmals und nachhaltig »Völkerwanderung« nannte. Längst ist der Begriff »Völkerwanderung« als Epoche einer vornehmlich germanischen Geschichte problematisch geworden. Schon Seneca(1) hat im Trostbrief an seine Mutter Helvia erkannt, dass Wanderungen und Migrationen zu allen Zeiten die Entstehung von Staaten und Völkern bewirkten: »Du wirst sehen, dass alle Völker ihre Sitze verändert haben« und es daher in der Vergangenheit zahlreiche Völkerwanderungen gab und auch in Zukunft geben werde.
Heute ist man jedoch weit davon entfernt, Goten, Vandalen und Franken als Deutsche zu bezeichnen. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Selbstbezeichnung »deutsch« nicht lange vor der ersten nachchristlichen Jahrtausendwende entstanden ist. Aber die Vorstellung hat ihre Gültigkeit bewahrt, dass es die drei Völker waren, die wesentlich den Übergang von der Spätantike ins Frühmittelalter bestimmten. Die Vandalen haben freilich ein schlechtes Andenken hinterlassen. Wenn öffentliche Anlagen verwüstet, weiße Wände besprüht und Friedhöfe geschändet werden, haben dies Vandalen getan. Die Gründe für das in vielen Sprachen übliche Schimpfwort hat Roland Steinacher ebenso erklärt, wie er die im Mittelalter entstandene Annahme behandelt, die Vandalen seien Slawen gewesen. Eine Folge davon war, dass die dritte Krone im schwedischen Staatswappen fast bis heute für ein Regnum Vandalorum stand, das sich auf Rügen und das pommersche Wendenland bezog.
Den Hauptteil des vorliegenden Bandes bildet die vornehmlich schriftlich überlieferte Geschichte der Vandalen, die rund ein halbes Jahrtausend dauerte und von der Mitte des 1. bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts reichte. Diese Geschichte begann nach heutigen Begriffen in Ostmitteleuropa, wo Vandalen auf wahrscheinlich keltischer Grundlage eine große germanische Völkergruppe bildeten, die selbst die Burgunder und die gutonischen Vorläufer der Goten umfasste. Die Geschichte der Vandalen endete im römischen Nordafrika mit dem Zentrum Karthago, wo ihr Reich nach ständigen ethnogenetischen Veränderungen neben den einheimischen Römern auch sarmatische Alanen, Goten, Sueven und nicht zuletzt mehr oder weniger botmäßige Berbervölker umfasste.
Die vandalische ist aber auch Teil der Geschichte der westeuropäischen, insbesondere der spanischen Provinzen des Römerreichs. Sie ist ebenso römische wie nichtrömische, sowohl europäische wie afrikanische Geschichte, wie dies das bahnbrechende Buch von Christian Courtois »Les Vandales et l´Afrique« bereits in der Mitte des vorigen Jahrhunderts so eindrucksvoll vermittelte. Seinem Beispiel ist die deutschsprachige Forschung bisher nicht immer in wünschenswerter Weise gefolgt, obwohl derzeit wieder viel auf diesem Gebiet geforscht und veröffentlicht wird. Das Buch von Roland Steinacher soll diesem Mangel abhelfen, aber auch zeigen, dass der Forschungsstand, den Courtois einst erreichte, erweitert, ja übertroffen werden kann. Es soll das von namhafter Seite (Rudolf Schieffer) geforderte Vandalenbuch in deutscher Sprache werden. Sollte sich diese berechtigte Hoffnung erfüllen, ist dies wahrlich nicht zuletzt dem Verlag Klett-Cotta und seinem Lektor Dr. Christoph Selzer zu verdanken.
Wien/Salzburg im Winter 2013/14 Herwig Wolfram
Wenn eine Geschichte der Vandalen auch sonst nichts leisten sollte, so ist sie doch ein Beytrag für den noch zukünftigen Geschichtsschreiber der Völkerwanderungen, wenn sie mit Genauigkeit beschrieben und in guter Ordnung vorgetragen ist. Ob mein Versuch, diese Eigenschaften besize, muß ich der Beurtheilung gründlicher Geschichtsforscher überlassen. Daß ich es glaube, ist ganz natuerlich, sonst wuerde ich es ja nicht wagen, diesen kleinen Aufsaz dem Publikum vorzulegen. So viel ist gewiß, daß ich mit allem mir möglichen Fleiß die Quellen, nebst den hieher gehörigen Huelfsmitteln gebraucht habe, und daß ich mir schmeichle, in Ansehung der Genauigkeit und Vollstaendigkeit so viel geleistet zu haben, als die mangelhaften Nachrichten der Alten erlaubten. Die Fehler des Vortrags wird man hoffentlich einem angehenden Schriftsteller, der gern billige Zurechtweisungen annehmen wird, uebersehen.1
CONRAD MANNERT (1756–1834)
Während Conrad Mannert(1) 1785 noch einen »kleinen Aufsaz dem Publikum« vorlegte, sind nun die Leserinnen und Leser auf den folgenden Seiten eingeladen, die wechselvolle Geschichte der Vandalen in extenso zu verfolgen. Vom Erscheinen vandalischer Kontingente an den Grenzen des römischen Imperiums im späten 2. Jahrhundert bis zum Verschwinden dieses Völkernamens unter Kaiser Justinian (527–565)(1) wird von den – stets zwischen Konflikt und Bündnis wechselnden – Verhältnissen zwischen Barbaren und Römern berichtet.2 Die Herkunft und der Bedeutungsgehalt des Vandalennamens liegen, wie bei so vielen sozialen Gemeinschaften außerhalb der Grenzen des Römischen Reichs, im Dunkeln. Über zweihundert Jahre lang lebten Vandalen an den römischen Grenzen, und nicht wenige machten Karriere in der kaiserlichen Armee. Zu Beginn des 5. Jahrhunderts änderten sich die bis dahin einigermaßen stabilen Verhältnisse dramatisch. Vandalen, Alanen und andere Militärverbände drangen 406 mit Gewalt ins Reich ein. Von der unteren Donau über den Rhein bis nach Gallien und weiter nach Spanien und Afrika beteiligten sich diese Truppen an römischen Bürgerkriegen, kämpften in eigener Sache oder standen im Sold römischer Anführer.
Die Ereignisse 405/406 am Rhein und in Gallien fielen in eine kritische Phase der römischen Geschichte. In Britannien(1) erschienen 406/407 gleich drei neue Kaiser, und einer von ihnen, Constantin (III.), schaffte es in weniger als zwei Jahren, Gallien und Spanien zu kontrollieren. In diese römischen Machtkämpfe wurden auch jene Gruppen verwickelt, die die Quellen »Vandalen« und »Alanen« nennen. Mehrere Faktoren kamen zusammen. Innerhalb der Reichsgrenzen verlor die Zentralmacht in den westlichen römischen Provinzen zusehends an Ansehen und Durchsetzungskraft. Immer deutlicher traten lokale Interessen und Lösungen in den Vordergrund. Die Folge war eine fortschreitende Auflösung der Bezüge einzelner Provinzen zum politischen Zentrum. Neue, regionale Strukturen bildeten sich aus, und deren militärische Führungsschicht geriet mit den eingesessenen zivilen und kirchlichen Eliten in teils heftige Konflikte. Auch ohne eine ›Invasion der Barbaren‹ verlor die römische Führung in den Reichszentren während des 5. Jahrhunderts die Kontrolle über die zentrifugalen Kräfte in den Provinzen. Damit eröffneten sich ehrgeizigen Heerführern römischer wie nichtrömischer Herkunft immer größere Spielräume, und so konnte letztlich Geiserich(1) (regierte 428–477) in Nordafrika sein Vandalenreich errichten. Dabei knüpfte er übrigens auch an die Politik afrikanischer Vorgänger wie der Mauren Firmus(1) und Gildo(1) oder der Römer Heraclianus(1) und Bonifatius(1) an.
Es gelang Geiserich also nach Jahrzehnten des Kriegs, seinen Leuten Afrika zu sichern. Ein mit der weströmischen Regierung geschlossener Friedens- und Freundschaftsvertrag im Jahr 442 lieferte ihm zudem einen legitimen Vorwand, sich und seine Soldaten mit Land zu versorgen. Macht war an Grundbesitz gebunden; die Zahl der Kämpfer, die man bezahlen konnte, war folglich am Ausmaß dieses Besitzes ablesbar. Geiserich musste zudem die vandalisch-alanische Elite zusammenhalten. Trotz schwerer Verteilungskonflikte im Lauf des vandalischen Jahrhunderts von 429 bis 533 schaffte es die Dynastie Geiserichs, an der Macht zu bleiben. Geiserich(2) gewann dabei mehr Handlungsspielräume als jeder andere Militär, der die Machtfrage im Westen stellte, musste er doch von Anfang an weniger Rücksicht auf bestehende Eliten nehmen. Afrika war nicht das Reichszentrum, und die weltlichen wie kirchlichen Machthaber hatten nicht das Potential ihrer Amtskollegen in Italien. Die militärischen Verbände um den rex Geiserich konnten daher andere Methoden für den Machterhalt nutzen als ihre Konkurrenten in Hispanien, Italien, Gallien oder im Osten des Reichs. Dieser Weg war gegenüber der katholischen Kirche und den etablierten aristokratischen Familien bisweilen harscher und gewalttätiger als der gotische, fränkische, burgundische oder jener der Heermeister im Reichszentrum, bewegte sich aber letztendlich genauso im Rahmen der römischen Ordnung.
Dieses Buch versteht vandalische Geschichte als einen Teil der römischen Geschichte. Die Vandalen waren »römische Barbaren« – Soldaten, die sich im spätantiken Mittelmeerraum einen privilegierten Platz in der Gesellschaft zu sichern wussten. Dabei gilt es zu beachten, dass die Bezeichnung »Barbar« im spätantiken Latein eine bezeichnende Bedeutungsverschiebung erfahren hat. Meinte barbarus zunächst »fremd«, »unrömisch« oder »ungesittet«, bedeutete das Wort wenig später »unbändig« oder »wild«, um dann den semantischen Gehalt von »tapfer« oder »wacker« wie im Englischen und Französischen brave und im Italienischen und Spanischen bravo anzunehmen.3 Barbarisch und soldatisch waren in der Spätantike nicht voneinander zu trennen. Das hatte auch finanzielle Gründe: Ein römischer Rekrut kostete im 5. Jahrhundert sechs Mal so viel wie ein barbarischer Föderat. Gleichzeitig militarisierte sich die römische Gesellschaft. Eine Armee von Barbaren war für einen reichen Mann durchaus finanzierbar, und Kaiser oder Heermeister operierten mit eigenen Hausarmeen. Jeder, der im Imperium Romanum seine Ansprüche durchsetzen wollte, musste (zumindest im Westen) auf preisgünstige barbarische Krieger zurückgreifen.
Die Barbaren wiederum waren sich der finanziellen und machtpolitischen Möglichkeiten, die sich ihnen durch diese Konstellation ergaben, durchaus bewusst. Die Übernahme der Macht, wie es die Vandalen in den afrikanischen Provinzen vorgezeigt hatten, war verlockend. Menschen barbarischer Herkunft und entsprechender Rechtsstellung waren spezialisierte Dienstleister, die die Gelegenheit der Auflösung der römischen staatlichen Strukturen wahrnahmen. Sie machten sich selbständig, operierten ohne römische Titel und Aufträge, und unter günstigen Umständen gelang es, eigene regna zu errichten, die sie nun nach ihren Bedürfnissen gestalten konnten. Denn die neuen militärischen Eliten strebten die Kontrolle des römischen Steuersystems und den Besitz landwirtschaftlicher Güter an. Diese Übernahme funktionierender römischer Provinzen und Städte ermöglichte eine langfristige Versorgung der barbarischen Soldaten. Zugleich wurde es für viele Menschen attraktiv und wünschenswert, ein Vandale zu werden. So kann nur vor dem Hintergrund der Verhältnisse des römischen Mittelmeerraums im 5. und 6. Jahrhundert verstanden werden, was es bedeutete, Vandale zu sein.
Die vandalischen reges bzw. Könige orientierten sich seit Geiserich an den Kaisern des Reichs und regierten, wenn man so will, ein Imperium im Kleinen. Wie Theodosius der Große(1) waren sie ostentativ christliche Herrscher, nur förderten sie die homöische oder arianische Kirche. Das lag daran, dass durch die Entwicklungen des 4. Jahrhunderts die in Nicäa(1) und Konstantinopel verabschiedeten Glaubenssätze für alle römischen Bürger absolut gestellt worden waren. Diese Regelung galt jedoch nicht für die Föderaten(1), die Soldaten von außerhalb der Reichsgrenzen. Die arianisch/homöischen Geistlichen, die im 4. Jahrhundert ihre Positionen verloren hatten, fanden nun bei den barbarischen Armeen der Vandalen und Goten eine neue Heimat und neue Möglichkeiten. So kam es, dass in Afrika heftige Glaubenskämpfe ausgetragen wurden, und in Karthago ein arianischer Patriarch residierte.
Die oströmisch-byzantinische Intervention von 533 beendete das vandalische Jahrhundert schließlich überraschend abrupt. Ein regnum, das lange das westliche Mittelmeer und die Politik des gesamten ehemaligen Westreichs dominiert, aber auch immer wieder für Unruhe am Bosporus gesorgt hatte, wurde innerhalb von Wochen zerschlagen. Daraufhin mussten viele Vandalen Afrika verlassen; sie wurden in die siegreiche Armee Justinians eingegliedert und in den Osten verlegt, seit 540 insbesondere an die persische Front. Die im Land verbliebenen vandalischen Berufssoldaten beteiligten sich an Aufständen, die zwar die kaiserliche Verwaltung noch in einige Bedrängnis brachten, am Ende aber allesamt scheiterten. Trotzdem sollten sich die Kämpfe in Afrika noch jahrzehntelang hinziehen, denn die Mauren oder Berber versuchten, den Vandalen nachzufolgen. Wie für Italien hatte der kaiserliche Vandalenkrieg auch für Afrika verheerende Folgen: Hohe Bevölkerungsverluste, weitgehende Zerstörung der Infrastruktur, Deurbanisierung und schwere Beeinträchtigung von Handel und Gewerbe bedeuteten herbe Einschnitte für die verbliebenen Einwohner. Nordafrika wurde schließlich nach einer etwa 150 Jahre dauernden oströmisch-byzantinischen Herrschaft Teil der islamischen Welt.
Viel wurde und wird darüber diskutiert, wie sich die Gemengelage vandalischer und römischer Strukturen auf eine vandalische Identität auswirkte. Hier gilt es, archäologische Problemstellungen mit historischen Fragen zu verbinden, und Antworten anzubieten, die, so hofft der Autor, eine Ausgangsbasis für weitere Überlegungen bieten. Die vorliegende Darstellung versucht, die schriftliche Überlieferung, die Theologie, Byzantinistik und Epigraphik ebenso einzubeziehen wie Archäologie und Numismatik, um so die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse neben der militärischen und politischen Geschichte zu schildern. Darüber hinaus wird die Entwicklung der Fragestellung nach einer vandalischen Identität beleuchtet. Viele Kapitel, und so auch diese Einleitung, beginnen mit Zitaten aus Conrad Mannerts(2) 1785 verfasster erster Geschichte der Vandalen in deutscher Sprache. Zwischen den zu Beginn zitierten Zeilen Mannerts aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert und der Suche nach einem Geschichte prägenden vandalischen »Volksbewusstsein« in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die die Forschung in problematische Richtungen führen sollte, liegen wenige Jahrzehnte. In diesem Zeitraum entstand das moderne nationale Europa. Was aber war die antike und mittelalterliche Basis für diese Entwicklung? Warum traten an die Stelle des Römischen Reichs im frühen Mittelalter ethnisch definierte Staatsgebilde wie das vandalische Afrika, das fränkische Gallien oder das westgotische Spanien? Wie bewältigten die Menschen der Spätantike die geistige Spannung zwischen einem universalen Christentum, der Selbstdefinition als Römer und einer spezifischen ethnischen Identität? Solche Fragen liegen den folgenden Überlegungen zugrunde. Die afrikanische und vandalische Geschichte ist eine Grundlage für die Beschäftigung mit der Umgestaltung der römischen Welt, ihren Folgen und Konsequenzen.
1.
Die Erzählungen der Alten in Ansehung dieser ihnen so weit entlegenen, unbekannten Völker, von welchen sie nur durch andere Deutsche, theils unvollkommene, theils falsche Nachrichten haben konnten, müssen meinem Bedünken nach immer so betrachtet werden, wie die ersten Reisebeschreibungen von dem Ursprung, Wohnungen, Sitten etc. der Huronen, oder noch weiter entlegener Wilden. Man weiß, daß sie da sind, man weiß ungefehr, wo sie wohnen, genau aber weiß man nichts. Wer bey solchen Umständen bestimmte zuverlässige Nachrichten in den Alten suchen will, der findet mehr, als sie selbst wußten, oder auch sagen wollten.1 C. MANNERT
Seit der Mitte des 1. Jahrhunderts ist der Vandalenname den Römern und damit der schriftlichen Überlieferung bekannt. Eine Geschichte der Vandalen begann jedoch erst mehr als eineinhalb Jahrhunderte später, als sie mit dem Römerreich in Berührung kamen. Antike Historiker überlieferten Völkernamen nördlich der Karpaten an Oder und Weichsel(1). Manche von diesen sind – leicht variiert – aus spätantiken Quellen bekannt. So nannten Plinius und Tacitus an der Ostsee Vandilier-Vandalen, Gutonen-Goten(1), Burgundionen-Burgunder(1) und Rugier(1). Die vorhandenen Schriftquellen sind jedoch oft missverständlich, widersprüchlich oder verkürzt, denn die kaiserzeitlichen griechischen und römischen Ethnographen verwendeten Sammelbegriffe, um barbarische Großverbände zu beschreiben, zu ordnen und zu typisieren.3 Etwa lässt sich nicht ausschließen, dass ganz unterschiedliche Gruppen prestigeträchtige Namen wie Vandalen oder Goten führten.
Verschiedene Autoren müssen nicht immer die gleichen ethnischen Einheiten meinen. Bekannte Völkernamen konnten – ganz wie geographische Bezeichnungen – einen Raum beschreiben. Der um 200 schreibende Cassius Dio(1) berichtet von der Expedition des Drusus im Jahr 9. n. Chr. mit seinem Heer bis an die Elbe und erwähnt deren Quelle in den »vandalischen Bergen«. Damit waren entweder die Sudeten(1) oder das Riesengebirge gemeint.4 Im 3. Jahrhundert waren an der unteren Donau vandalische Kriegergruppen in Grenzkonflikte mit den Römern verwickelt.(1)
Ähnlich schwierig ist es, aus den Ergebnissen der Archäologie sichere Aussagen zu gewinnen. In der frühen Kaiserzeit des heutigen Polen grenzt die Bodenkunde zwei gut voneinander unterscheidbare archäologische Kulturen ab. Demnach entwickelte sich im 2. vorchristlichen Jahrhundert die Przeworsk-Kultur(1) an den Flüssen Warthe/Netze(1), Oder und Bug(1) bis zum Karpatenbogen.5 Durch den Raum der Przeworsk-Kultur(2) verlief die Bernsteinstraße von der Ostsee ins Römische Reich. Die Träger dieser Kultur kontrollierten den gewinnbringenden Bernsteinhandel und konnten sich Importe in großer Menge aus dem Mittelmeerraum leisten. Noch vor wenigen Jahrzehnten stritten sich deutsche und polnische Archäologen um eine ethnische Deutung des Przeworsk-Materials(3). Wollten die Deutschen die Bodenfunde den Vandalen und Burgundern zuordnen, versuchten die Polen eine vor- oder frühslawische Bevölkerung zu beweisen. Insgesamt ist schwer vorstellbar, dass ein einzelnes Volk hinter einer derart weit ausgedehnten und kulturell differenzierten archäologischen Kultur stehen könnte. Eine kaum genauer bestimmbare Mischung aus proto-slawischen, germanischsprachigen und keltischen Völkern dürfte eine gemeinsame Sachkultur geteilt haben.
Der Przeworsk-Kultur(4) an der Weichsel(2) benachbart war die Wielbark-Kultur. Wurde das Przeworsk-Material(5) mit den Vandalen in Verbindung gebracht, deutete die Archäologie die Wielbark-Kultur als den Siedlungsraum der Goten(1) und anderer, kleinerer Völker. Im Lauf des späteren 2. Jahrhunderts vergrößerte sich der Einflussbereich der Wielbark-Kultur, wohingegen jener der Przeworsk-Kultur(6) zurückging. Was war geschehen? Die Archäologie ist sich auch in dieser Frage nicht einig. Die Expansion der Wielbark-Kultur könnte sowohl die Folge als auch der Grund der Markomannenkriege(1) zwischen 166 und 180 gewesen sein. Die möglichen Datierungsfenster sind jedoch zu klein, um Sicherheit zu gewinnen. Könnte eine Verbindung zwischen den Vandiliern(2) bei Plinius(1) und Tacitus und der Przeworsk-Kultur(7) tatsächlich hergestellt werden, wären diese Völker mit jenen verbunden, die Jahrhunderte später an Donau und Rhein erschienen und schließlich Karthago eroberten, dann hätten die Vandalen eine lange Vorgeschichte.6 Solche Beziehungen sind jedoch nicht zu beweisen.(1)
Im Jahr 171 tauchten vandalische Hasdingen an der Grenze der Provinz Dakien(1) auf. Es war eine gefährliche Zeit für das Römerreich. Kaiser Mark Aurel(1) führte seit fünf Jahren an der mittleren Donau einen blutigen Krieg gegen Markomannen(2) und Quaden(1). Die römische Führung fürchtete, die Unruhen könnten sich die Donau abwärts ausbreiten. Das nördlich der Donau gelegene Dakien war besonders gefährdet, und gerade dort erschienen nun die Hasdingen, angeführt von ihren Königen Raus und Raptus(1). Nicht Krieg und Raub war ihr Ziel; vielmehr baten die Hasdingen die Römer demütig um Schutz und Aufnahme ins Reich. Der römische Statthalter in Dakien Cornelius Clemens(1) wies die Barbaren schroff ab, erklärte sich aber bereit, ihre Frauen und Kinder unter seinen Schutz zu stellen. Clemens befand sich in einer schwierigen Situation. Zuvor hatten schon Lakringen(1) und Kostoboken(1) versucht, die Grenze zu überschreiten; nun kamen auch noch die Hasdingen. So ermunterte Clemens die Hasdingen, die Kostoboken anzugreifen. Als aber kurz darauf die Lakringen(2) über die Hasdingen herfielen und ihnen eine vernichtende Niederlage beibringen konnten, verhielten sich die Römer abwartend. Die geschwächten Hasdingen unterwarfen sich bedingungslos und sollen brauchbare Bundesgenossen geworden sein.7
Da die vandalische Königsdynastie seit der Zeit um 400 den Hasdingennamen führte, kann nicht bezweifelt werden, dass die Hasdingen an den Grenzen Dakiens(2) sich auch Vandalen nannten. Mehr ist jedoch nicht zu sagen. Was – und ob überhaupt etwas – die verschiedenen vandalischen Völker dieser Zeit verbunden haben mag, wissen wir nicht. Ebenso unklar bleibt, warum die Hasdingen von zwei Königen angeführt wurden, und ob es sich um eine namengebende Herrscherfamilie oder ein Volk gehandelt hat.8(1)
Während der Markomannenkriege(3) kämpften keine Vandalen gegen die Römer. Dafür spricht, dass in den Friedensbedingungen mit Markomannen und Quaden(2) den Besiegten verboten wurde, ihre Nachbarn, die sarmatischen Jazygen(1), die Buren und die Vandalen anzugreifen. Die Vandalen standen unter römischem Schutz, und sie hatten nur eine Nebenrolle im Spiel barbarischer Kräfte an den Reichsgrenzen inne.9 Alles deutet darauf hin, dass die Vandalen zur Zeit der Markomannenkriege(4) keine große barbarische Konföderation waren, sondern aus kleinen, dafür aber mobilen und flexiblen Kriegergruppen bestanden haben.10 Gelegentlich plünderten vandalische Verbände auf Reichsgebiet oder schlossen sich größeren Unternehmungen unter gotischer Führung an.11 An dem »Dreißigjährigen Gotenkrieg«, der zwischen 238 und 268, Griechenland(1) und die Ägäis heimsuchte, nahmen keine vandalischen Gruppen teil. Erst im Spätsommer 270 musste Kaiser Aurelian(1) von Aquileia(1) aus nach Pannonien marschieren, um einen Vandaleneinfall im Gebiet von Aquincum (Budapest)(1) abzuwehren. Die Barbaren plünderten die nördlichen Gebiete der Provinz. Darauf ordnete Aurelian(2) an, man möge alles Vieh und Getreide in die befestigten Städte bringen. Den Vandalen ging schnell die Nahrung aus, und der Kaiser konnte sie stellen und besiegen. Gut denkbar, dass der Angriff der Vandalen von Anfang an durch Nahrungsmangel bedingt war.12
Die Eindringlinge zogen sich schnell über die Donau zurück und baten um Verhandlungen. »Als zur Zeit Aurelians die Vandalen von den Römern vernichtend geschlagen worden waren, schickten sie eine Gesandtschaft zu den Römern mit dem Ziel der Beendigung des Krieges und eines Vertrags. Nachdem sie dabei vieles miteinander besprochen hatten, der Kaiser und die Barbaren, wurde die Zusammenkunft aufgehoben. Am nächsten Tag wurde die Streitmacht der römischen Soldaten wieder versammelt, und auf die Frage des Kaisers, was ihnen hinsichtlich der gegenwärtigen Situation besser erscheine, da urteilten sie, besser sei, ihre derzeitige gute Position durch Vorsicht für die Sicherheit der Lage zu bewahren. Indem sie ihren Willen durch Rufen bekundeten, gingen sie alle daran, den Krieg zu beenden. Und so kamen sie überein: Die Barbarenkönige und -führer kamen, wie es ihnen befohlen war, und stellten aus ihren Reihen Geiseln, nicht zweitrangig an Stand und Glück. Beide Könige gaben nämlich ihre Kinder ohne Zögern als Geiseln und dazu andere mit ihnen, nicht viel niedriger an Rang. Und unter diesen Bedingungen kamen sie zu einer Einigung und schlossen einen Vertrag. Von da an kämpften ungefähr 2000 vandalische Reiter mit den Römern zusammen, teils aus der Menge zur Heerfolge ausgewählt, teils solche, die bereitwillig ohne Zwang einen Kriegszug mitmachten. Der übrige Haufe der Vandalen wurde nach Hause geführt, wobei der römische Feldherr bis zum Ister, bis zur Donau, Zugang zum Markt gewährte. Der größte Teil von ihnen kam wohlbehalten an. Diejenigen aber, die sich unter Bruch des Vertrages zum Beutemachen weit zerstreut hatten, wurden allesamt vom Princeps Castrorum Peregrinorum getötet – insgesamt nicht weniger als 500. Weil sie nämlich durch befreundetes Gebiet zogen und sich vom Übermut über den mit den Römern abgeschlossenen Frieden hinreißen ließen, stürmten sie dem ganzen Heer voraus, machten mit Zustimmung ihres Anführers einzelne plötzliche Überfälle und verwüsteten einen nicht geringen Teil des Landes. Und [unleserlich] ordnete an, den, der diese Aktion veranlasst hatte, im Beisein des Königs niederzuschießen. Die übrigen Vandalen verteilten sich und kehrten nach Hause zurück. Der römische Kaiser entsandte den größten Teil seiner Fußtruppen und des Reiterheeres nach Italien. Und nach wenigen Tagen führte er seinen persönlichen Begleittrupp, die gesamte Garde des Herrschers, unter den Bundesgenossen alle Vandalen und die ihm als Geiseln gestellten Kinder, und zog selbst in großer Eile nach Italien, weil die Juthungen(1) wieder vor Ort waren.«13
Gut möglich, dass die im Staatshandbuch Notitia Dignitatum(1) für das 4. Jahrhundert in Ägypten(1) erwähnte vandalische Reitereinheit, die ala VIII Vandilorum(1), auf die Vereinbarung zwischen Aurelian(3) und den Vandalenkönigen zurückgeht.14 Vom Triumphzug Aurelians in Rom stammt eine lange Liste besiegter Barbarenvölker, unter denen sich auch die sagenhaften Amazonen(1) befinden. Ein erfolgreicher Kaiser wollte der Bevölkerung ein Panorama der ganzen Welt zeigen, zumindest was man mit antiker Bildung und bruchstückhaftem, populärem Wissen dafür hielt: Goten, Alanen, Sueben, Franken, Sarmaten(1), Roxolanen und Vandalen marschierten demütig hinter dem Herrn des Kosmos.15 Bereits vor 300 kämpften Vandalen mit und gegen die Römer und waren damit Teil der Römischen Welt geworden.
Nach einem Bericht aus dem späten 5. Jahrhundert führte der Kaiser Probus (276–282)(1) zwei Kriege rechts des Rheins. Dabei kam es zu einem Kampf mit barbarischen Verbänden, die ein Igillos(1) anführte. Eine Gruppe dieser Feinde wird als Longionen(1) unter ihrem Anführer Semnon(1) bezeichnet, die anderen beiden als Burgunder und Vandalen. Die Schlacht fand an einem Fluss namens Ligys statt. Strittig bleibt, ob es sich bei diesem Gewässer um den Lech, den Rhein oder gar den Neckar gehandelt hat. Der Kaiser war zunächst siegreich, obwohl die Römer den Barbaren zahlenmäßig unterlegen waren. Nach einem ersten Waffenstillstand mussten die römischen Truppen ein weiteres Mal vorrücken, um die Gegner zu zwingen wie vereinbart Gefangene und Plündergut zurückzugeben.16 Probus(2) legte auch Vandalen als Föderatentruppen(1) nach Britannien, die dem Kaiser bei der Niederschlagung eines Aufstands noch sehr nützlich gewesen sein sollen.17 Insgesamt bildeten die Vandalen vor 405/406 keine ernstliche Gefahr für das Reich. Kein römischer Kaiser vor Justinian(2) erachtete es jedenfalls seiner würdig, einen vandalischen Triumphalnamen anzunehmen.18
Nördlich der unteren Donau gewannen im 4. Jahrhundert die Goten(1) an Bedeutung. Zwei zuvor wenig bekannte Kriegergruppen, Terwingen(1) und Greuthungen(1), wurden zu den dominierenden Mächten an den römischen Grenzen. Gleichzeitig blieben die Verhältnisse im Alföld(1), der großen ungarischen Tiefebene, ausgeglichener. Dort unterstützten die Römer die Sarmaten(2).19 Gemeinsam mit den wohl sarmatischen, weil berittenen Taifalen(1), griffen die Terwingen(2) während der Regierungszeit des Kaisers Maximinianus (285–305)(1) die Gepiden(1) und Vandalen an. Die Konkurrenz der Vandalen mit den Goten zeigte sich bereits in diesen Jahrzehnten.20 Jordanes lässt die Terwingen(3) unter ihrem König Geberich(1) gegen die Vandalen unter Visimar(1) kämpfen. Ähnlich wie Ermanarich(1) schreibt Jordanes(1) den Vandalen ein immenses Territorium zu, das man in einem Jahr nicht durchqueren könne. Hintergrund solcher Übertreibungen ist klassische Ethnographie und das Bestreben, die Siege der Goten(2) groß zu machen. Jedenfalls muss es in den dreißiger Jahren des 4. Jahrhunderts im Gebiet des heutigen Siebenbürgen zu Kämpfen zwischen Terwingen(4) und Vandalen gekommen sein. Nach einer vernichtenden Niederlage gewährte Kaiser Konstantin(1) der Große vandalischen Gruppen Aufnahme ins Reich und siedelte sie als Unterworfene, dediticii(1), in Pannonien an. Gut denkbar, dass der spätere Heermeister Stilicho(1) aus diesem Bereich stammte.21
Im Anhang des Laterculus Veronensis(1) aus der Regierungszeit Diocletians und Konstantins findet sich im 13. Kapitel eine wichtige Bemerkung: Gentes barbarae, quae pullulaverunt sub imperatoribus: Die gentes haben sich unter den Kaisern gebildet, sind aufgrund römischer Bedürfnisse entstanden. Es folgt eine beeindruckende Aufzählung: Schotten, Pikten(1), Kaledonier, Rugier(2), Heruler(1), Sachsen, Burgunden, Alemannen(1), Sueben, Franken, Juthungen(2), Markomannen(1), Quaden(3), Taifalen(2), Hermunduren, Sarmaten(3), Skiren, Karpen, Skythen, Goten(3) und einige andere Völkernamen, dann aber auch Inder, Armenier, Palmyrener und Perser. Schließlich nennt die Liste auch Vandalen. Über diese Barbaren musste ein Kaiser immer wieder triumphieren und sich dafür feiern lassen, er musste dafür Sorge tragen, dass das seit der Kaiserzeit entstandene, auf Rom bezogene Barbaricum ein solches blieb.22
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass zwischen dem 2. und 4. Jahrhundert verschiedene kleinere Gruppen den Vandalennamen trugen. An der mittleren Donau werden in dieser Zeit immer wieder Vandalen genannt, und man darf annehmen, dass sie im nördlichen Alföld(2) siedelten. Die Archäologie kann diesbezüglich allerdings keine Gewissheiten bieten, auch wenn das oft behauptet wird. Die Gebiete an der oberen Theiß(1) waren während der späteren römischen Kaiserzeit relativ dicht besiedelt. Die Gegend ist fruchtbar und zur Landwirtschaft geeignet. Vor allem aber konnte man von diesem Gebiet aus die Verkehrswege zwischen dem Karpatenbogen, Siebenbürgen, der ungarischen Tiefebene und dem westlich anschließenden Donauknie mit dem Legionslager Aquincum (Budapest)(2) kontrollieren. Vandalen mögen in diesem Landstrich gelebt und über die Donau hinweg ihre Kontakte mit dem Reich unterhalten haben.23
Nun deutet mancher Archäologe verschiedene Gräber an der oberen Theiß(2) als ›vandalisch‹, und das im Gegensatz zu ›sarmatischen‹, ›quadischen‹ oder ›dakischen‹ Bestattungen. Über die Möglichkeit einer sogenannten »ethnischen Deutung« führt die deutschsprachige Archäologie einen Schulenstreit. Die britische und amerikanische Forschung lehnt dagegen eine eindeutige Zuweisung des Materials weitgehend ab. Und tatsächlich ist es zweifelhaft, ob Ähnlichkeiten im Material der Grabfunde von der oberen Theiß(3) mit der Przeworsk-Kultur(8) ausreichen, um klare Beziehungen oder Wanderungen zu postulieren. Viele verschiedene Gruppen – und eben auch Vandalen – lebten im fraglichen Zeitraum südlich des Karpatenbogens. Aus Inschriften und textlichen Quellen wissen wir von mehreren gotischen Verbänden, Jazygen(2), Quaden(4), Sarmaten(4), Taifalen(3), Bastarnen und anderen. Wenn es auch nicht möglich ist, diese Gruppen in den Bodenfunden voneinander abzugrenzen, lässt sich doch das Milieu skizzieren, aus dem jene Vandalen kamen, die Anfang des 5. Jahrhunderts ins Reich eindrangen.24
Seit dem 2. Jahrhundert findet man in der ungarischen Tiefebene vermehrt Schmuck aus römischer Produktion in reich ausgestatteten Gräbern. Oftmals ist in diesen Gräbern eine hybride Mischung von Objekten aus regionaler Produktion und Importgut festzustellen. Lokale Keramikproduktion stand ebenso unter dem Einfluss einer immer stärker werdenden Einfuhr römischer Ware. Ähnliches trifft auf die Siedlungsarchäologie zu. Römische Kastelle und Wachtürme waren auf beiden Seiten des Grenzflusses Donau Anziehungspunkte für schnell wachsende Siedlungen.25 Gleichzeitig kann man eine Kontinuität vieler schon lange belegter Siedlungsplätze feststellen. An manchen Plätzen nahmen die Bewohner Rücksicht auf ältere Bestattungen und bestimmte Areale, woraus man auf ein Bewusstsein und einen Respekt für die von den Vorgängern verehrten Gottheiten und die Ahnen schließen kann. Ein Nebeneinander von römischen und regionalem Kunsthandwerk prägt die Epoche. Lokale Spezialitäten wurden neben römischer Importware transportiert und gehandelt.26
Die Bestattungen von Osztrópataka(1) (Nähe Prešov im Nordosten der heutigen Slowakei(1)) wurden immer wieder führenden Vandalen zugewiesen. In einem der Gräber lagen eine aufwendig gearbeitete Onyxfibel aus einer mediterranen Werkstatt und verschiedene teilweise sehr wertvolle goldene Objekte. Jüngst hat man von archäologischer Seite darauf hingewiesen, dass die Goldbecher, die goldene Fibel und der Hals- bzw. Armring »die herausragende Stellung der bestatteten Person für die römische Politik« zeigen. Die Objekte seien der römischen Führungsebene oder gar dem kaiserlichen Hof zuzurechnen.27 Besser, als sich auf eine eindeutige Zuweisung festzulegen, wäre es, diese Bestattungen als Zeugnisse einer Gesellschaft zu deuten, deren Eliten als Soldaten in römischen Diensten zu einigem Wohlstand gekommen waren.
Kontinuität und Wandel nördlich und östlich der römischen Donaugrenze lassen sich vor dem Hintergrund der erheblichen politischen und militärischen Veränderungen seit dem ersten und zweiten Jahrhundert verstehen. Die Militärpräsenz an der Donau und die Einrichtung der Provinz Dakien(3) spielen hier ebenso eine Rolle wie die Markomannenkriege(5) und die Aufgabe Dakiens in den 270er Jahren. Rom hatte einen immensen und prägenden Einfluss auf die Gesellschaften in der Nähe der Grenzen, und die Vandalen waren Teil dieses Systems. Die wenigen zur Verfügung stehenden Informationen zeigen Vandalen und Hasdingen(2) als Verbündete und manchmal Feinde der Römer, die die Überlegenheit des Imperiums zu spüren bekamen. Mal wurden sie dazu eingesetzt, andere barbarische Gruppen anzugreifen, dann wieder als römische Auxiliareinheiten rekrutiert. Die Situation der Vandalen an der oberen Theiß(4) lässt sich also mit jener der Goten an der unteren Donau und der Franken und Alemannen(2) am Rhein vergleichen. Nur gelang es den Vandalen nicht, eine führende Stellung an der mittleren Donau einzunehmen. Der Wechsel ins Reich war spätestens dann eine Alternative zu den Verteilungskämpfen an den pannonischen Grenzen, als auch noch die Hunnen(1) am Ende des 4. Jahrhunderts dort in Erscheinung traten, und die Goten über die Donau ausgewichen waren.28
Wenn die Toten von Osztrópataka(2) wirklich Vandalen waren, dann haben sie ihren Reichtum sehr wahrscheinlich als Verbündete des Imperiums erworben.
Abb. 1: Die Goldgegenstände des Fundes I von Osztrópataka(1) (heute im Kunsthistorischen Museum Wien).
Abb. 2: Fund I von Osztrópataka.(2)
Abb. 3: Fund II von Osztrópataka. Vgl. zu Abb. 1–3 Prohászka 2008, 59–78.
2.
Beym Anfang des fünften Jahrhunderts überfiel ein Geist der Unruhe fast alle deutsche Nationen, daß sie sich von jeder Seite her auf die römischen Provinzen stürzten und den schwachen Honorius ängstigten.2 C. MANNERT
Die Worte aus Conrad Mannerts(3) Vandalengeschichte von 1785 sind eines von vielen Beispielen für die Meistererzählungen, die seit dem 15. Jahrhundert unsere Vorstellung von der Spätantike prägen. Die selbstverständliche Gleichsetzung von sogenannten »Germanen« und dem, was man vor 1870 als »deutsch« verstand, ist eines davon.3 Eine andere könnte man in etwa folgendermaßen zusammenfassen: Die römische Führung sei schwach oder gar dekadent gewesen und in keiner Weise den anstürmenden Feinden gewachsen. Die, wie Mannert sich ausdrückte, »deutschen Nationen« stürzten sich auf die Provinzen Roms. Fremde Barbarenhorden haben Rom also gemordet. Doch waren diese Gruppen den Römern nicht so fremd, wie man das lange gesehen hat. Im Gegenteil, sie waren seit Jahrhunderten Teil der römischen Peripherie.