Sandra Lüpkes

Todesbraut

Taubenkrieg

Götterfall

Kriminalromane

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Todesbraut

Kriminalroman

Dunkle Rose, tiefe Glut,

Samtverhüllte Liebestaube,

Gurrend weiches Federwölkchen,

Hütest noch die Traumgestalten.

Lass mit allen Schleiern fallen

Alles Zögern, alle Schranken,

Bis Vergehen dich umhüllt

Schmerzgelöst im Aufbegehren.

Kurdisches Volkslied

Dunkle …

»Birçî û xasî li rê û dirban …«

Sie summt mit. Lächelt, als die Sonne schräg von oben durch die Windschutzscheibe auf ihr Gesicht scheint, unterbrochen von den Bäumen am Straßenrand, die ihre Schatten dazwischenschlagen.

Sie hat gute Laune.

»Li ser çiyanin …«

Die kurdische Band heißt Koma Dengê Azadî – Stimme der Freiheit. Darum singt sie mit. Weil sie in einem Auto sitzt – ihr erstes eigenes Auto – und sich frei fühlt.

»Berf fedi dike …«

In dem Lied geht es um Scham. Sie sollte sich schämen. Das Haar wird verwirbelt durch den Wind, den sie durch das Seitenfenster hereinlässt.

»Ji dûmana zer …«

Im Rückspiegel sieht sie das Auto heranrasen. Es ist neuer und stärker und schicker als ihr Wagen. Sobald die Gegenfahrbahn frei ist, setzt es zum Überholen an. Erst als der Fahrer auf derselben Höhe plötzlich die Fahrt verlangsamt, wird ihr das Ganze unheimlich. Ihr Blick geht nach links. Das Lächeln schwindet aus ihrem Gesicht. Der Fuß, den sie leicht auf das Bremspedal setzt, zittert. Der Motor heult auf, als sie einen Gang runterschaltet.

Eine leichte Rechtskurve bringt sie in eine ungünstige Position, auf einmal sticht ihr die Sonne direkt in die Augen.

Die Tochter auf dem Beifahrersitz hält instinktiv die Hände vor den Leib, streckt sie dann Richtung Handschuhfach und macht die Beine steif.

Ein Lastwagen kommt ihnen entgegen, blinkt warnend auf und hupt. Das andere Auto wird schneller, überholt, als wäre alles nur ein Versehen gewesen. Gerade rechtzeitig schert es ein. Das Gegenlicht blendet, erst knapp vor den plötzlich aufblinkenden Bremslichtern tritt sie auf die Bremse. Jeder andere würde jetzt anhalten. Einfach stehen bleiben, rechts ranfahren, aussteigen und durchatmen.

Aber das geht nicht. Wenn sie anhält, ist sie tot. Dafür schlägt sie sich ganz gut. Sie wird ihre neue Freiheit verteidigen.

Die Fahrbahn vor ihnen ist leer. Weiter hinten ist ein Dorf zu sehen. Nicht weit entfernt. Die Baumschatten sind schwarze Blitze.

»Weşîn wek pelan …«

Ihr Summen wird krampfhaft, die Töne beginnen zu zittern. Die Spitzen ihrer Fingerknöchel färben sich hellgelb. Trotz des Windes läuft ihr der Schweiß über das Gesicht. Aber sie lächelt. Die Tochter soll ihre Angst nicht spüren.

»Çivîk û zarok bûn …«

Das Auto fährt auf die linke Spur, bremst ab, man sieht einen Männerarm, der aus dem Beifahrerfenster winkt, Zeichen macht, sie solle anhalten. Doch sie gibt Gas. Eine lang gestreckte Rechtskurve, ein Backsteinhaus in einem Waldstück verborgen, danach ein Feldweg.

Der Wagen drängt auf sie zu, die beiden Seitenspiegel berühren sich kurz, das Geräusch kreischt im Ohr. Der Arm zieht sich zurück. Dann schieben sich beide Karosserien aneinander, Metall reibt an Metall, Funken fliegen und sie verliert die Kontrolle.

Es dauert lang. Als wäre die Zeit verklebt. Links und rechts und links und rechts, bis sich alles dreht. Die Räder heben ab. Die Sonne knipst sich aus. Ein Schatten macht alles dunkel.

Der Straßenrand, der Baum, der Stamm, die Borke, das Glas … Blut.

»Mirin fedî dike

Berf fedi dike …«

Das Summen ist vorbei.

1.

Ob es wohl einen Menschen gab, dessen Ohren Idealmaß hatten?

Wencke Tydmers war es jedenfalls nicht. Sie drückte zum dritten Mal die winzigen Stöpsel in den Gehörgang, fummelte das dünne Kopfgestell durch ihre kurzen, roten Haare, weil es schon wieder in den Nacken gerutscht war. Sie wollte die Heimfahrt nutzen, um die Aufzeichnung des heutigen Gesprächs noch einmal durchzugehen. Zwanzig Minuten würde sie mit der Stadtbahn brauchen.

Ihr neuer Heimweg. Noch hatte sie sich nicht daran gewöhnt, an die Kurven und das Knacken der Schweißstellen im Gleis, an die Gesichter ohne Meinung und die Frauenstimme, die zehn Stationen durchzusagen hatte, bevor Wencke ankam.

Müde ließ sie sich auf den Plastiksitz fallen. Die Beine waren schwer, als hätte sie einen Gewaltmarsch hinter sich. Dabei hatte sie heute Nachmittag lediglich einen jungen Mann getroffen und mit ihm geredet. Zwei Stunden lang. Nur sie und er und eine wortkarge Anwältin. Klang nach einem lauen Job. Und doch fühlte sie sich wie gerädert. Es war schon spät, gleich wurde es dunkel.

Überstunden waren hoffentlich eine Ausnahme. Sie hatte den Job unter anderem deswegen angenommen, weil man ihr geregelte Arbeitszeiten versprochen hatte.

PLAY

»In meinem Geburtsjahr ist Deutschland Fußballweltmeister geworden. Meine große Schwester hat mir das Fahrradfahren beigebracht, als ich sieben war, nur weil Jan Ullrich für Schwarz-Rot-Gold die Tour de France gewonnen hat. Ach ja, und als sie Moah geheiratet hat, hat Schumacher das erste Mal abgesahnt, da war ich erst vier, aber ich kann mich an das Fest erinnern, weil sie so wunderschön ausgesehen hat in ihrem Kleid. Ich war froh, dass sie danach mit ihrem Mann noch weiter bei uns in Wunstorf gewohnt hat, denn sie hätte mir echt gefehlt. Meine Mutter ist ja gestorben, als ich noch ein Baby war, also hat Shirin sich um mich gekümmert. Im Winter waren wir mal zusammen im Harz Schlitten fahren. Dann hat sie mir geholfen, als wir in der Schule den ›Erlkönig‹ auswendig lernen mussten. Und wenn mir das Fernsehprogramm zu gruselig war, konnte ich mich hinter ihrem Rücken verstecken. Aktenzeichen XY zum Beispiel haben wir immer geguckt.«

Eine kurze, kaum merkliche Pause, die nur deswegen ins Gewicht fiel, weil die Silben zuvor wie ein langer Güterzug vorbeigerattert waren.

»Und in dem Jahr, als Deutschland Handballweltmeister wurde … Komisch, nicht? Immer haben die wichtigen Jahre in meinem Leben was mit Sport zu tun … also, dass unser Land jetzt erfolgreich war, meine ich … also mit unser Land meine ich jetzt Deutschland, nicht meine Heimat, die Türkei … Obwohl, da war ich erst ein einziges Mal. Bei der Hochzeit meiner Schwester …«

Ein langsames Atmen, fast, als hätte er jetzt endgültig den Faden verloren. Aber dann:

»Also, in dem Jahr, als Deutschland Handballweltmeister wurde, habe ich versucht, Shirin zu töten.«

STOP

Mist, sie war ja schon da. Die Kabel der Ohrstöpsel verhedderten sich in der Eile am Knopf ihrer Jeansjacke.

Die Straßen in diesem Stadtteil sahen sich so ähnlich, Dreißigerjahre-Backsteinhäuser mit mindestens vier Stockwerken, durch die Fenster erkannte man Ikeas praktische Lösungen für Wohnen auf engstem Raum. Da konnte man den Ausstieg schon mal verpassen.

Die sich schließenden Türen stoppten mit einem Klacken und keilten ihren Turnschuh ein, weiter vorne hörte sie den Straßenbahnführer motzen. Sie versuchte einen netten Blick, vielleicht sah man sich jetzt ja öfter, dann war sie draußen.

Die giftgrüne Bahn fuhr ohne sie weiter.

Wencke Tydmers schulterte ihren Rucksack. Sie musste nur ein paar Schritte die kleine, leicht ansteigende Straße hinauf, auf der keine Gehwegplatte ohne Kaugummi war. Sprayer hatten die Hauswand gegenüber mit einem unleserlichen Schriftzug versehen.

Sie hätte auch eine Wohnung im Schickimickiviertel haben können, Herrenhausen oder List, das Gehalt hätte gereicht. Hier war es aber netter, ein bisschen wie in der alten Heimat, bis vor drei Jahren hatte Wencke in Ostfriesland gelebt. Das Arbeiterhäuschen im Hannoveraner Stadtteil Limmer, in dem sie nun eine Dachgeschosswohnung für sich und Emil gefunden hatte, hatte fast etwas Dörfliches und lag zwischen einem Schleusenkanal und dem alten Stadtteilfriedhof, das passte auch irgendwie.

Am Kiosk, der offenbar rund um die Uhr geöffnet hatte, standen drei Jungs. Türken, vermutete Wencke, und dachte an die Tonaufnahme, die sie eben gehört hatte. Vor drei Stunden war dieses Gespräch aufgezeichnet worden und sie hatte es seitdem mehrmals gehört. Verstanden hatte sie es deswegen aber noch lange nicht. Manche Dinge überstiegen einfach ihr Fassungsvermögen. Wie kann man seine eigene Schwester töten wollen? Eben noch zusammen Schlitten fahren im Harz und Aktenzeichen XY auf dem Sofa, und dann drängt man sie mit dem Auto von der Fahrbahn ab, bei 100 km/h. Noch nicht volljährig, keinen Führerschein, die mittlere Reife mit Ach und Krach in der Tasche, und dann plant man den Mord an dem Menschen, der einem das Wichtigste im Leben ist?

Armanc Mêrdîn war vor drei Monaten aus dem Jugendstrafvollzug entlassen worden. Ein hübscher Kerl, schmierte sich kaum Gel in die Haare, trug Hosen ohne Schlabberschritt und sah so ganz anders aus als die drei, an denen sie eben vorbeiging. Nein, Armanc Mêrdîn war anders. Wenn er erzählte, lächelte er dabei angenehm schüchtern. Seine Haut hatte sie während des gesamten Interviews an etwas Süßes, Samtiges erinnert, Sahnekaramell vielleicht. Und doch war er beinahe zum Mörder geworden: Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, Fahren ohne Fahrerlaubnis, schwere Körperverletzung, das waren alles andere als Kavaliersdelikte. Dank seiner ambitionierten Anwältin war die Anklage wegen Mordversuchs fallen gelassen worden. Zweieinhalb Jahre hatte er in Hameln hinter Gittern gesessen, dort das Fachabitur gemacht und sich als Musterhäftling erwiesen. Seine Sozialprognose war vielversprechend, solange er sich nicht mehr dem Druck der Familie aussetzte. Trotzdem jobbte er jetzt ausgerechnet im Imbiss eines Onkels.

Schade, kam es Wencke in den Sinn. Schade um Armanc Mêrdîn.

Ihre Mutter winkte durch die Fensterscheibe. Bis morgen würde sie noch bleiben, danach mussten Emil und Wencke allein zurechtkommen in ihrem neuen Leben.

Kein Problem, was sollte sie in Hannover schon schrecken? Sie und ihr Sohn hatten es in Aurich geschafft, und auch die dreijährige Stippvisite in den USA hatten sie gut überstanden. Wencke machte sich keine Sorgen. Anders als ihre Mutter: seit drei Wochen belagerte diese das Gästezimmer. Einer müsse doch schließlich da sein, um die schwierige Eingewöhnungsphase zu erleichtern.

Sie war auf dem Markt einkaufen gewesen, in der kleinen Küche roch es nach diesen eingelegten Oliven und Tomaten, die es wahrscheinlich überall auf deutschen Märkten gab. Zum Glück hatte Oma Isa auch an Emils Leberwurst gedacht, damit wäre sein Abendessen zuverlässig gerettet.

»Ehrenmord – ich hab mal gelesen, die Justiz will diesen Begriff abschaffen.« Es gab für Wenckes Mutter grundsätzlich nichts Spannenderes, als den Job ihrer inzwischen fast vierzigjährigen Tochter zu sezieren. Gern begann sie das mit einer hübschen Wortklauberei.

Wencke ging reflexartig in die Defensive. »Juristisch ist es nichts anderes als ein Verbrechen aus niedrigen Beweggründen, obwohl auch das umstritten ist.«

Doch ihre Mutter rüstete weiter zum Wortgefecht. »Ich meine, es gibt Wörter wie Ehrenamt oder Ehrendoktor, Ehrenbürger … oder Ehrensache. Aber Ehrenmord? Also wirklich, als wären die Motive der Täter ehrenhaft. Da geht es doch immer um männliche Machtgeschichten, um nichts anderes als die primitive Unterdrückung der Frau. Die bringen ihre Schwestern um und dann sagen sie, dass es ihnen irgendwie um Ehre geht …«

»Wer bringt seine Schwester um?«, hakte Emil nach und blickte von seinem Comicheft auf.

Wencke warf ihrer Mutter einen unmissverständlichen Blick zu. Dann suchte sie nach Sätzen, die in der Lage waren, einem sechsjährigen Jungen etwas verständlich zu machen, was sich auch mit fast vierzig nicht einmal ansatzweise nachvollziehen ließ. »Weißt du, ich habe heute jemanden getroffen, der seine Schwester schwer verletzt hat, weil er meinte, sie habe sich falsch verhalten. Und so etwas nennt man eben auch Mord im Namen der Ehre.«

Emil biss in sein Brot. Vollkornbrot, seit ihrer Rückkehr aus Amerika war er ganz wild auf gesunde Ernährung. »Haben sie sich gestritten?«

»Nein, nicht wirklich. Er dachte nur, sie würde sich so schlimm danebenbenehmen, dass er dadurch seine Freunde verliert und vielleicht sogar von den anderen Leuten ausgelacht wird.«

»Was hat seine Schwester denn so Schlimmes gemacht?«

»Sie hat ihren Mann verlassen.«

»Ach so, die war schon erwachsen? Ich dachte jetzt, die wären so alt wie ich. Und dann hätte die vielleicht was ganz Peinliches gemacht oder ein Geheimnis verraten oder geklaut. Und dann …« Gedankenverloren ließ er seinen Mund offen stehen. »Aber da bringt man doch keinen um, da verkloppt man den höchstens.«

Wencke lachte ganz unpädagogisch. Eigentlich sollte sie ihren Sohn jetzt maßregeln, stattdessen nahm sie einen Schluck Rotwein.»Jetzt aber Zähneputzen und dann ab ins Bett!«

Emil folgte immerhin schon nach der dritten Aufforderung. Er war auch k.o., seit zwei Wochen besuchte er die erste Klasse einer internationalen Ganztagsschule, seitdem freute er sich geradezu auf sein Bett. Um halb neun war kein Laut mehr aus dem Kinderzimmer zu hören und Wencke ließ sich neben ihre Mutter auf das Sofa fallen.

»Mord im Namen der Ehre … Manchmal sind wir wirklich unsensibel mit der Sprache.« Ihre Mutter hatte offensichtlich noch nicht genug. »Kunstfehler zum Beispiel ist eine Perversion! Was hat denn ein schlampiger Chirurg mit Kunst zu tun?« Na klar, darüber musste sie sich aufregen, schließlich war sie – Isa Tydmers – Malerin, vor einigen Jahren sogar mal recht erfolgreich. Wencke hoffte nur, dass ihr der Rundumschlag auf alle Menschen, die über ein geregeltes Einkommen verfügten, heute erspart blieb. Diese Gespräche eskalierten regelmäßig. Eine Beamtin des Landeskriminalamtes entsprach genau dem Bild, das ihre exaltierte Mutter so gern karikierte. Früher hatte Wencke sich dann verkrochen und ihr Magengeschwür gepflegt, seit ein paar Jahren verwahrte sie sich dagegen. Heute hatte sie einfach keine Lust auf dieses Spiel.

»Man sollte das anders nennen. Vielleicht Schandmord?« Ihre Mutter griff nach dem Weinglas. »Wie du dich mit so einem Menschen stundenlang unterhalten kannst …«

»Das ist mein Job.«

»Wer weiß, vielleicht probiert der das noch einmal? Wenn er ein Radikaler ist, wird er sich wieder über die Gesetze hinwegsetzen und seine Schwester umbringen!«

»Genau aus dem Grunde versuche ich, das Prinzip dieser Tat zu durchschauen. Stell dir vor: dafür hat man mich hierher in die Landesbehörde versetzt. Ich soll als sogenannte Fallanalytikerin die Merkmale spezifischer Verbrechen herausarbeiten, damit man in Zukunft besser damit umzugehen lernt.«

»Wer ist man

»Die Justiz, die Soziologie, meine Kollegen von der Polizei, die Experten der Operativen Fallanalyse …«

»Ach, hör doch auf!« Wie Wencke dieses trockene Lachen ihrer Mutter hasste. »Die sind doch alle überfordert mit diesem Thema. Erst letztes Jahr gab es die Verhandlung in Hamburg, als ein Deutsch-Afghane seine kleine Schwester mit zwanzig Messerstichen …« Sie nahm noch einen Schluck und schüttelte den Kopf. »Das hätten deine Kollegen verhindern können, dieses junge Mädchen hat oft genug um Schutz gebeten. Aber da haben alle versagt, das ganze tolle System der Gesetzeshüter. Glaubst du, deine Analysen hätten irgendwas bewirken können?« Sie schnaubte. »Was ist denn mit der Schwester von deinem sogenannten Ehrenmörder?«

»Ich werde sie morgen treffen.«

»Steht sie denn wenigstens unter Personenschutz?«

»Ich darf dir gar nicht so viel darüber erzählen, das weißt du.«

»Die hat doch zwei Kinder, oder nicht? Habt ihr denen denn eine neue Existenz verschafft? Oder muss sie noch immer die Rache ihrer Familie fürchten, weil sie es gewagt hat, einen Ehemann zu verlassen, mit dem sie als junges Ding zwangsverheiratet wurde? Mein Gott, in was für einem Land leben wir hier eigentlich! Nichts gegen Ausländer, aber …«

Wencke schwieg und entspannte sich bei dem Gedanken, dass ihre Mutter morgen wieder im Zug nach Bremen saß. Seit sie in der neuen Wohnung beim Wändeanstreichen und Gardinenaufhängen half, endete jeder Abend genau so. Das nächste Mal würde Wencke lieber einen Handwerker bezahlen und dafür nach der Arbeit in Ruhe auf dem Sofa lesen.

Natürlich hatte Wencke nicht die geringste Ahnung, ob ihr neuer Job »sinnvoll« war. Sie sollte ViCLAS füttern. Das war kein seltenes, hungriges, pflegebedürftiges Tier, sondern die Abkürzung für Violent Crime Linkage Analysis System, eine Datei, in der weltweit Verbrechensdaten gespeichert werden. Während man auf dem amerikanischen Kontinent bereits seit Jahrzehnten sämtliche Fälle in einem Informationspool zur Verfügung stellte, wurden Fallanalysen in Deutschland erst seit etwas mehr als zehn Jahren zusammengetragen. Und das auch nur mit halber Kraft, denn stets galt es, erst einmal die aktuellen Verbrechen aufzuklären, bevor man sich die Zeit nahm, sie zu verstehen. Wencke, durch ein Stipendium beim FBI inzwischen intensiv geschult, sollte nun Versäumtes nachholen und alte Fälle aus dem norddeutschen Bereich katalogisieren.

Sie musste in jedem einzelnen Fall eine Chronologie erstellen, aus der hervorging, wie es zu der Tat kommen konnte, ob sie zu verhindern gewesen wäre und wo der Zeitpunkt zu finden war, an dem der Täter kein Zurück mehr kannte. Wencke musste sich in die Opfer hineinversetzen, Kontakt mit den Angehörigen aufnehmen, die ermittelnden Polizisten und Staatsanwälte kontaktieren, eventuelle Gutachten von Psychologen und Medizinern studieren. Auch in anderen Bundesländern wurde diese Arbeit inzwischen gemacht. Und wenn die Ergebnisse irgendwann einmal bei ViCLAS zusammengetragen waren, erhoffte man sich, so etwas wie ein Grundschema für ein bestimmtes Verbrechen zu erkennen. Die Charakteristik eines Ehrenmordes: Männer bedrohen ihre Frauen, Väter ihre Töchter, Söhne ihre Mütter oder – wie im Fall der Kurdin Shirin Talabani – Brüder ihre Schwestern.

Wencke war nicht mehr Ermittlerin, wie sie es in ihrer Zeit als Kriminalkommissarin in Ostfriesland gewesen war, sondern Forscherin, Sammlerin und Denkerin. Die Fälle, mit denen sie sich beschäftigte, lagen oft schon Jahre zurück, die Täter standen fest und die Opfer, wenn sie überlebt hatten, waren gerade mit dem Vergessen beschäftigt. Und dann kam sie, Wencke Tydmers, und riss im Namen der forensischen Wissenschaft die Wunden wieder auf. Vielleicht konnte dadurch irgendwann einmal ein Mord verhindert werden. Vielleicht erleichterte es die Suche nach den Tätern. Vielleicht behielt Wenckes Mutter aber auch recht und es war tatsächlich nicht viel mehr als reine Zeitverschwendung.

Das konnte Wencke nach knapp zwei Wochen im LKA beim besten Willen nicht einschätzen. Wollte sie auch gar nicht. Zumindest heute nicht mehr.

»Ich leg mich jetzt hin. Gute Nacht!«

»Aber …« Wenckes Mutter stellte das Weinglas auf den Tisch. »Ich fahre doch morgen wieder. Sollen wir nicht noch ein bisschen reden …?«

Bloß das nicht, dachte Wencke. Sie gähnte demonstrativ.

»Du bist müde?«

»Todmüde.«

»Na dann …« Ihre Mutter winkte lustlos.

Müde war Wencke eigentlich nicht. Sie nahm ihren MP3-Player mit ins Bett, drehte ihren Kopf zur Wand und atmete durch. Die Nachttischlampe beleuchtete die persönlichen Sachen an den Wänden: ein Babybild von Emil, daneben ein Gemälde, das sie von den Auricher Kollegen zum Abschied geschenkt bekommen hatte, als sie vor drei Jahren von dort nach Amerika gegangen war. Auf dem Kleiderschrank grinste Obama sie vom Schirm einer Demokratenkappe an – das Teil hatte sie bei der fulminanten Vereidigung getragen, als sie inmitten ausflippender Amerikaner vor dem Capitol gestanden hatte. Und hinten in ihrem Nachtschrank versteckte sie die Briefe, die Axel Sanders ihr in den letzten sechsunddreißig Monaten geschrieben hatte und die allesamt unbeantwortet geblieben waren, obwohl sie die Zeilen auswendig kannte. Auf dem Tisch tickte der alte Wecker seinen gewohnten Rhythmus.

Umso fremder waren ihr die Dinge, die sie gleich hören würde. Armanc Mêrdîn berichtete von seinem Mordversuch. Seine Stimme drang aus den Ohrstöpseln, und es klang beinahe, als läge er neben ihr und erzählte bloß eine Bösenachtgeschichte.

PLAY

»Es gab keine andere Möglichkeit für mich. Dies war der Moment, in dem das Schicksal der Familie in meiner Hand lag. Das klingt für Deutsche unglaubwürdig, ich weiß. Es war meine Sache, unsere Ehre wiederherzustellen. Mein Vater, mein Onkel, meine älteren Cousins, sie alle haben es von mir … erwartet. Ich sehe Ihnen an, was Sie denken: Klar, Shirin gehört auch zur Familie. Und Sie haben ja recht, ich würde alles dafür tun, dass es meiner Schwester gut geht.«

Die Stille nach diesem Satz dauerte mehr als zwei Minuten, wahrscheinlich war ihm aufgefallen, wie paradox das alles klang.

Wencke hatte heute Morgen vor dem Gespräch das Unfallprotokoll in die Hand genommen, damit sie wusste, wovon genau Armanc Mêrdîn sprach, wenn er behauptete, er würde alles für das Wohlergehen seiner Schwester tun.

Der Wagen von Shirin Talabani hatte sich vor drei Jahren um einen Baum gewickelt wie eine Schlange, die daran emporkriechen will. Das Wrack lag in einem See aus Glassplittern und schimmerndem Benzin, das Dach sah aus, als habe jemand einen gewaltigen Dosenöffner angesetzt. Im Bericht hatte gestanden, dass die Feuerwehr in Absprache mit dem Notarzt hydraulisches Rettungsgerät eingesetzt hatte – Schere, Spreizer und Stempel –, um die beiden verletzten Personen aus dem stark deformierten Wrack zu bergen. Denn Shirin war nicht allein unterwegs gewesen. Ihre damals dreizehnjährige Tochter Roza hatte auf dem Beifahrersitz gesessen. Die Aufnahmen des geschwollenen Kindergesichts, die Hämatome und Schnittwunden am kleinen Körper hatten sich Wencke eingeprägt – und sie rasch davon abgehalten, allzu viel Sympathie für den redegewandten Kurden zu empfinden, der da so scheu und charmant vor ihr gesessen hatte.

Wencke zuckte zusammen, als seine Stimme in ihrem Ohr wieder zu reden begann, obwohl der Klang noch immer weich und unaufgeregt war.

»Der Jugendrichter hat mich gefragt, ob ich bereue. Frau Yıldırım, meine Verteidigerin, wollte, dass ich sage, ich wäre zu der Tat gezwungen worden. Stimmt doch, oder?«

Die Anwältin hatte genickt. Sie war eine Frau Anfang fünfzig und trug – wenn sie nicht im Gerichtssaal auftrat – das Kopftuch. Es hieß, Kutgün Yıldırım sei eine Spezialistin, wenn es darum ging, Fälle von Blutfehde zu verteidigen. Dank ihres rhetorischen Talents gelang es ihr immer wieder, milde Strafen für archaische Racheengel zu erwirken. Kaum vorstellbar, denn während des ganzen Gesprächs hatte sie zwar aufmerksam zugehört, jedoch so gut wie keinmal den Mund aufgemacht. Die drei Worte, die sie an Wencke gerichtet hatte, lauteten »Für alle Fälle« und waren gefallen, als sie ihr die Visitenkarte zugesteckt hatte.

»Dauernd hat Frau Yıldırım auf mich eingeredet. Es wäre nicht meine Idee gewesen, aber als junger Kurde sei man in der Familie ja einem solchen Druck ausgesetzt, dass ich nicht anders hätte entscheiden können. Der Richter hat ihr das geglaubt, und deswegen sind es für mich auch nur knapp drei Jahre geworden.«

Wencke erinnerte sich an den freundlichen Blick, den Armanc Mêrdîn seiner Verteidigerin zugeworfen hatte.

»Aber ich sehe das nicht so. Vor dem Gericht und Frau Yıldırım habe ich immer wiederholt, was ich Ihnen jetzt auch sage: Es gibt nur zwei Dinge, die ich bereue. Erstens, dass meine kleine Nichte Roza in die Sache mit reingezogen und schwer verletzt wurde. Und zweitens, dass es mir nicht gelungen ist, Shirin zu töten. Dafür schäme ich mich. Ich habe meiner Familie noch mehr Schande gemacht.«

Man konnte hören, dass der junge Mann mit den Tränen kämpfte. Seine Stimme quälte sich durch die Sätze. Fast mitleiderregend.Man hörte den Stuhl der Verteidigerin über den Boden schieben, denn in dem Moment war sie aufgestanden, wohl, um den letzten Satz zu verhindern.

»Ich schwöre, wenn ich meine Fehler wiedergutmachen kann, ich werde es tun!«

… Rose …

Selbst wenn sie schläft, sieht sie schuldig aus.

Heute Nacht ist es warm, ungewöhnlich warm für September in diesen Breitengraden. Die Bettdecke liegt neben ihrem Körper. Das Nachthemd aus schwarzem Satin, die linke Brust sieht aus, als wäre sie aus dem Stoff herausgerutscht. Der Hof um die Warze ist weich wie ein Kissen, dunkelbraune, makellose Samthaut wie geschmolzen. Die Beine sind leicht gespreizt, eines ein Stück weit angewinkelt, das andere ausgestreckt. Entblättert wie eine Rose. Diese Blöße kann kein Versehen sein. Alles, was sie tut, geschieht mit Absicht. Aus Schamlosigkeit.

Sogar im Schlaf.

Die Gardine bläht sich leicht im Wind, der durch den Spalt im Fenster ins Zimmer zieht, weil die Tür geöffnet wurde. Draußen fahren Autos vorbei. Immer, Tag und Nacht. Das graue Musizieren der Motoren nimmt kein Ende.

Sie hat sich bei dem Lärm einen tiefen Schlaf angewöhnt.

Die Tücher sind angenehm kühl und glatt. Vier verschiedene Farben und Muster, die dazu gemacht sind, das Haupt einer Frau zu schmücken. Blumenranken und Punkte und Karos und Streifen. Neunzig mal neunzig Zentimeter. Diagonal gelegt sind sie mehr als einen Meter lang. Das reicht für einen festen Knoten.

Erst wird der Stoff um das Bettgestell geschlungen, oben und unten. Die losen Enden bilden eine Schlaufe, die sich zuzieht, wenn man daran rüttelt. Das linke Bein, der rechte Arm.

Dann wacht sie auf. Merkt aber nicht, dass sie gefesselt ist, murmelt nur, richtig bei Verstand ist sie wohl kaum. Das kann sie gar nicht sein. Das Zeug in ihrem Abendtee breitet einen Nebel im Kopf aus, der wie taub und blind macht, der die Zunge lähmt und mit Müdigkeit einlullt. Sie öffnet die Augen und lächelt. Freut sich wohl über den Besuch in ihrem Schlafzimmer.

Sie heißt jeden willkommen in ihrem Bett.

Das rechte Bein. Jetzt hat sie keine Chance mehr. Je mehr sie sich zu befreien versucht, desto fester werden die Fesseln. Der linke Arm.

Das war’s.

2.

Ein Mann, der an einer evangelischen Bildungsstätte unterrichtet und sich in einem Multikulturverein engagiert, hat selbstverständlich fusseliges blondes Haar, ist schlank bis schlaksig und fährt einen dunkelblauen Skoda mit weißem Kotflügel rechts, weil er einmal jemandem die Vorfahrt genommen hat. Klischee?

Dann lieferte Peer Wasmuth, Mitte vierzig, die Vorlage par excellence für dieses Klischee. Er kroch mit sechzig über die Landstraße, wo hundert erlaubt waren. Doch sobald es eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Strecke zwischen Hannover und Wunstorf gab, drückte er das Gaspedal durch, sodass das kleine Kreuz am Rückspiegel mächtig zu schaukeln begann.

Er brachte Wencke an diesem Vormittag zu ihrem Termin. Da er nur eine Dreiviertelstelle hatte, war es ihm möglich, seinen freien Tag zu opfern, damit das Gespräch mit Shirin Talabani stattfinden konnte. Er sah sich als eine Art Vermittler zwischen der Kurdin und den Behörden, sprach deren Sprache, war vertraut mit ihrer Kultur und vor allem der Vorsitzende eines Vereins, der CIFN hieß. Ausgesprochen »kiffen«, was Peer Wasmuths ausschweifenden Erzählungen selbst dann noch etwas Urkomisches gab, wenn man wusste, dass dies die Abkürzung für Christlich-Islamische-Freundschaft-Nord war.

»Ohne Kiffen würde meinem Leben eine ganz wichtige Sache fehlen.« Wenn er redete, was während der ganzen Fahrt nahezu durchgehend der Fall war, schaute er Wencke direkt in die Augen. Eigentlich eine nette Geste, wenn man nicht gerade am Steuer eines Skoda saß und eine lange Allee entlangfuhr, an deren linker Seite die tiefen Wasser des Mittellandkanals flossen. »Unser Verein hat sich beim Bundespreis für Migrationsarbeit beworben und ist tatsächlich nominiert worden! Dem Sieger winkt eine stattliche Geldsumme, fünfundzwanzigtausend Euro, außerdem ein Besuch im Kanzleramt und überregionale Presse. Nächste Woche fällt die Entscheidung. Wir sind schon ganz aufgeregt, wissen Sie. So eine Auszeichnung erhöht einfach die Spendenbereitschaft, und wir sind hinter jedem Cent her, der unsere Arbeit unterstützt.«

»Das kann ich mir denken. Ich drücke Ihnen die Daumen, dass es klappt.«

»Ich hoffe, ich kann dadurch Kiffen ein bisschen populärer machen hier im Kreis Wunstorf. Wissen Sie, es gibt so viele Mitmenschen, vor allem die älteren, die haben von Kiffen einfach noch nie was gehört oder halten es für den Untergang des christlichen Morgenlandes. Das muss ich dringend ändern.«

»Und wie wollen Sie das erreichen?«

»Wir werden sie zum nächsten Kiffen-Treff einladen. Wenn es Kaffee und Kuchen dazu gibt, probieren die Senioren auch mal was Neues aus.«

Wencke starrte aus dem Fenster und biss sich krampfhaft auf die Unterlippe. Jetzt war nicht der richtige Moment, sich über diesen Spinner zu amüsieren, denn Peer Wasmuth spielte eine wichtige Rolle im Fall Armanc Mêrdîn. Er war fast so etwas wie ein Freund der Familie, und wenn er sich weiter so redselig gab, würde Wencke schon während der Fahrt einiges von ihm erfahren. Besser, sie nahm ihn ernst.

»Seit wann kennen Sie Shirin Talabani?«

Endlich schaute er wieder auf die Straße. »Seit mehr als zehn Jahren. Ich habe damals über das Bildungswerk meinen ersten Sprachkurs für Frauen angeboten, kostenlos. Unser Verein will die Chancen der kurdischen Frauen in Wunstorf verbessern.«

»Sie unterrichten Deutsch für Ausländer?«

»Damit habe ich mir im Studium schon ein bisschen was dazuverdient. Zweimal in der Woche nutze ich den Gemeinschaftsraum in der Wunstorfer Aksa Camii – der Moschee am Bahnhof. Es macht mir Spaß, ich interessiere mich für fremde Kulturen, war auch schon oft in Istanbul. Obwohl ich gläubiger Christ bin.«

»Ist das denn ein Widerspruch?«

Er schwieg verdächtig lange, und dann wechselte er das Thema. »Was genau wollen Sie eigentlich von Shirin? Doch hoffentlich nichts Unerfreuliches? Sie hat sich gerade wieder berappelt, nach dem, was vor drei Jahren geschehen ist …«

»Ich stelle für das Landeskriminalamt Daten zu bestimmten Verbrechensarten zusammen. Reine Forschungsarbeit, wir wollen eine Art Fallstatistik erheben. Dazu brauche ich auch die Stimmen der Opfer.« Wencke sah ihn von der Seite an. Er nickte, als wäre das Ganze seine Idee gewesen. »Denken Sie denn, es wird Frau Talabani belasten, wenn sie über den Mordanschlag reden muss?«

»Sie klang zumindest nicht begeistert, als ich vorgestern unseren Besuch ankündigte.«

»Ist sie denn sehr … wie soll ich sagen … Lebt sie sehr zurückgezogen?«

Wasmuth lachte. »Nein, schüchtern ist Shirin ganz bestimmt nicht. Sie ist ein fröhlicher Mensch, sehr extrovertiert. Wollen Sie sie mal sehen?« Er fuhr ohne zu blinken rechts ran und hielt zwischen zwei Bäumen, der Wagen stand schräg, die Beifahrerseite neigte sich bedenklich Richtung Graben. Ein Traktor hinter ihnen hupte böse, doch Wasmuth schien das gar nicht zu merken. Stattdessen kramte er sein Handy heraus, drückte ein paar Tasten und hielt es Wencke freudestrahlend hin. »Das habe ich vor zwei Wochen aufgenommen. Beim CIFN-Sommerfest. Shirin hat Ayran verkauft, gemeinsam mit ihren Kindern. Schauen Sie sich diese Powerfrau an!«

Wencke betrachtete den winzigen Bildschirm, ihre Augen mussten sich erst einmal zurechtfinden, dann erkannte sie jede Menge aneinandergereihte Holztische, geschützt von bunten Sonnenschirmen. Es herrschte Gedränge vor und hinter den Verkaufsständen, auf denen sehr süß aussehendes Gebäck, etwas Obst und ein weißes Getränk aus Glaskaraffen angeboten wurden.

»Wir haben knapp zweitausend Euro eingenommen an diesem Tag«, kommentierte Wasmuth die wackeligen Videobilder. Er hatte den Wagen bereits wieder auf die Straße gelenkt, fuhr im Schneckentempo und beugte sich fast über Wenckes Schoß, um mit dem Finger auf einen knalligen Farbklecks im Hintergrund zu tippen. »Sehen Sie die Frau im roten Kleid? Gleich geht die Kamera näher dran, dann erkennen Sie Shirin genauer.«

Wencke hob das Handy. So hatte sie sich die Frau nicht vorgestellt. Aber was genau hatte sie erwartet? Eine verhuschte, verschleierte, eingeschüchterte Person im Tarnmantel? Nun, auf jeden Fall nicht so etwas: Shirin Talabani, die Frau, die von ihrem Bruder fast umgebracht worden war, platzierte ein schneeweißes Lachen in die Linse des Aufnahmegeräts. Sie warf ihre dunklen Locken nach hinten, fuhr sich noch einmal mit der Hand durch das offene Haar, dann fassten ihre lackierten Fingernägel nach einem Pappbecher, führten ihn an die Lippen, und nachdem sie einen Schluck genommen hatte, leckte eine sinnliche Zunge den Milchbart ab. Anschließend hielt sie dem Kameramann das Getränk entgegen, mit einem auffordernden Lächeln, dass man sich kaum vorstellen konnte, es sei türkischer Joghurt in dem Becher gewesen. Das war ein Champagnerlächeln.

»Erzählen Sie mir von ihr?«

»Gern!«, antwortete Wasmuth, doch dann wartete er eine ganze Weile, als lutschte er auf den ersten Sätzen herum. Konnte es sein, dass dieser brave Deutschlehrer ein bisschen verknallt war? Wencke wagte einen Blick auf seine Hände, er trug keinen Ehering. Und er war der Typ Mann, der sich von einem offenen Lächeln gefangen nehmen ließ, der es wahrscheinlich persönlich nahm, auf sich bezog und mehr hineininterpretierte, als es tatsächlich bedeutete.

Die Filmaufnahme lief weiter, zeigte Shirin von vorn, wie sie mit anderen Menschen sprach, Getränke verkaufte und ihren Charme dazu gratis verteilte. Shirin von der Seite, wenn sie Ayran aus Tetrapacks in die Glaskaraffen füllte und mit einer Papierserviette die danebengegangenen weißen Tropfen aufwischte. Shirin von hinten, als sie mit einem kleinen Jungen sprach, wahrscheinlich ihr Sohn Azad. Dann blieb das Bild stehen.

Dafür machte Wasmuth weiter. »Shirin ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, genau wie ihre beiden jüngeren Geschwister. Die Familie Mêrdîn stammt ursprünglich aus Diyarbakir, einer Provinz in Südostanatolien.«

»Die Hochburg der Kurden, soweit ich weiß …«

»Zumindest ist es der Teil der Türkei, wo überwiegend Kurdisch gesprochen und die kurdische Kultur gepflegt wird. Das ist nicht im ganzen Land möglich, die Unterdrückung der ethnischen Minderheiten dort ist allgegenwärtig. Erst vor ein paar Jahren standen einige minderjährige Mitglieder eines Kinderchors in Diyarbakir vor Gericht, weil sie bei einem USA-Aufenthalt kurdische Freiheitslieder gesungen hatten. Die Türken scheuen sich nicht, einen uralten Volksstamm mit allem, was dazugehört, zu assimilieren. Eine Schande ist das!«

»Aber Sie unterrichten doch auch türkische Frauen, oder nicht?«

Wasmuth schaute sie an, als verdächtige sie ihn, mit dem Teufel persönlich im Bunde zu stehen. »Ich spreche zwar auch fließend türkisch, aber nur, weil mir so der Unterricht erleichtert wird, denn die meisten Kurden wurden ja gezwungen, türkisch zu reden. Mein Augenmerk ist aber auf die kurdischen Frauen gelegt.« Die Zweideutigkeit seiner Aussage schien ihm nicht aufzufallen, und Wencke beschloss, sich ihr Grinsen besser zu verkneifen.

»Werden Kurdinnen denn stärker unterdrückt als Türkinnen?«

Er wiegte den Kopf. »Kurden sind meist sunnitischen Glaubens, und diese Moslems leben sehr traditionell. Shirin wurde schon als Mädchen dazu angehalten, im Haushalt zu helfen und sich um die jüngere Schwester und den kleinen Bruder zu kümmern, insbesondere, weil ihre Mutter früh verstorben ist. Trotzdem hat sie in der Schule gute Leistungen gebracht und nach dem Hauptschulabschluss eine Ausbildung zur Restaurantfachfrau angefangen.«

»Nur angefangen?«

»Leider ja. Der Vater war davon wenig begeistert. Die Familie nutzte den Einfluss auf das minderjährige Kind, solange es noch ging. Mit siebzehn brach sie die Lehre ab und heiratete in der Türkei einen ihr völlig unbekannten Mann. Zwangsheirat, soweit ich weiß. Moah Talabani, acht Jahre älter als sie. Er brauchte die Ehe, um nach Deutschland kommen zu dürfen. Und der Vater brauchte die Ehe, um Shirin den Weg in die Unabhängigkeit abzuschneiden. Es ist ein Jammer, sie ist so begabt …«

»Aber warum war sie dann in Ihrer Sprachschule? Das wird sie doch kaum nötig gehabt haben.«

»Shirin ist ehrgeizig. Sie kann zwar fließend deutsch sprechen, hatte aber eine Schwäche beim Lesen und Schreiben. Das wollte sie verbessern. Damals, vor gut zehn Jahren, hatte sie überlegt, die mittlere Reife nachzumachen und dann das Fachabitur zu probieren.«

»Was ist aus den Plänen geworden?«

Wasmuth seufzte marianengrabentief. »Die wurden ihr ausgetrieben. Das glaube ich zumindest. Als Azad, der jüngere Sohn, geboren wurde, kam sie nicht mehr in den Unterricht. Meryem, die jüngere Schwester, lernte zu der Zeit bei mir. Sie hat mir erzählt, dass Shirin nach Hannover gezogen ist. Als ich sie dort besuchte, um nach dem Grund für ihr Fortbleiben zu fragen, benahm Shirin sich seltsam ablehnend und bat mich, sie in Ruhe zu lassen.«

»Und das haben Sie getan?«

»Was blieb mir anderes übrig? Stellen Sie sich vor, ich bekam sogar Besuch von ihrem Bruder und einem Cousin. Die beiden hatten schlagkräftige Argumente, dass ich mich ihrer Schwester nicht mehr nähern solle.«

»Sie haben Ihnen Gewalt angedroht?«

»Nicht direkt. Shirins Familie hat in der Wunstorfer Kurdenszene einen gewaltigen Einfluss, und sie sagten, wenn ich nicht täte, was sie wollten, dann würde es in Zukunft schwer werden, den Unterricht in den Räumen der Moschee abzuhalten. Shirins Schwester Meryem hat man den Sprachunterricht mit sofortiger Wirkung untersagt. Da musste ich klein beigeben, auch wenn es mir wirklich leidgetan hat für meine beste Schülerin.«

Was für ein Weichei, dachte Wencke. Behauptete, den kurdischen Frauen eine bessere Perspektive bieten zu wollen, und kniff, sobald es ein kleines bisschen brenzlig wurde. Ein Schönwetterprediger vor dem Herrn. Doch sie untersagte sich den spitzen Kommentar. Schließlich hatte er dieses schwierige Treffen heute ermöglicht.

Eine langgestreckte Rechtskurve, ein Backsteinhaus in einem Waldstück verborgen, danach ein Feldweg.

»Hier! Genau an dieser Stelle ist der Unfall passiert!« Er fuhr noch langsamer und zeigte auf eine Buche, die weder dicker noch größer war als die anderen Bäume links und rechts der Landstraße. »Das war ein Schock damals, mein Gott! Nie hätte ich gedacht, dass diese schreckliche Drohung wahr gemacht werden würde.«

»Haben Sie denn vorher gewusst, dass Shirin getötet werden sollte?«

»Sie hat es mir erzählt. Damals, nachdem sie ihren Mann verlassen hat, hatten wir wieder mehr Kontakt. CIFN war der Zufluchtsort für Shirin und ihre Kinder, als sie nicht mehr wusste, wohin. Sie hat sogar ein paar Tage in der Bildungsstätte gewohnt.«

Sie durchfuhren ein Dorf namens Gümmer, bogen auf eine Schnellstraße, und nach einigen sprachlosen Minuten passierten sie das Ortsschild. Was wusste Wencke über die Kleinstadt, in der sich die Tragödie der Familien Mêrdîn und Talabani abgespielt hatte? Das Landeskrankenhaus hatte eine anerkannte Psychiatrie, mit deren forensischer Abteilung würde Wencke im Zuge ihrer Arbeit bestimmt noch oft genug telefonieren. Drei dicke Militärmaschinen zogen wie überdimensionale Hummeln ihre Kreise in den Himmel und setzten zum Landeanflug auf den benachbarten Fliegerhorst an.

Wunstorf war groß genug, dass Gefahren sich im Verborgenen ausbreiten konnten, weil eben nicht jeder jeden kennt und man kaum ahnen kann, welche Dramen sich hinter den schmucken Fachwerkfassaden abspielen. Aber die Stadt war auch klein genug, dass ein solches Verbrechen, wie es sich nur wenige Kilometer vor dem Ortsschild abgespielt hatte, noch nach drei Jahren seine Narben im Miteinander hinterließ.

»Warum ist Frau Talabani nicht weiter weggezogen?«, fragte Wencke, als sie in die Straße einbogen, in der laut Aktenvermerk der Wohnsitz der alleinerziehenden Mutter war.

Wasmuth fuhr auf den kleinen Kundenparkplatz einer Videothek. Die vergilbten Aufkleber auf der Scheibe verrieten, dass der Eintritt hier erst ab achtzehn erlaubt war. Die schäbigen Plakate dahinter erklärten mit nackten Tatsachen oder blutigen Details, warum das so war.

»Ich meine, sie hätte doch ganz woanders ein neues Leben beginnen können. Schließlich hat die Familie ihr ja auch weiterhin gedroht. Man hätte sie in ein Schutzprogramm aufgenommen.«

Er lachte etwas zu besserwisserisch. »Sie scheinen sich als LKA-Frau nicht allzu gut mit den wundersamen deutschen Gesetzen auszukennen.«

Da hatte er recht, deswegen ließ Wencke seinen Spott unkommentiert.

»Shirin allein hätte sich verstecken können. Aber nur ohne die Kinder.« Er stellte den Motor ab und ließ seinen Sicherheitsgurt zurückschnallen. »Moah Talabani war in meinen Augen ein sturer Mann, der seine Frau um ihre Freiheit gebracht hat. Doch er ist nach wie vor der Vater ihrer Kinder, und Roza und Azad hat er stets auf Händen getragen, besonders den Sohn. Ergo hat er nach deutschem Scheidungsgesetz das Sorgerecht, genau wie die Mutter. Ergo ist sie verpflichtet, ihm den Aufenthaltsort der beiden zu nennen und das Umgangsrecht zu gewähren. Ergo kann Shirin nirgendwo unerkannt leben, es sei denn, sie will gegen dieses Gesetz verstoßen.«

Menschen, die »ergo« sagten, hatte Wencke noch nie leiden können. Sie war froh, endlich aussteigen zu dürfen. Wencke würde nach dem Gespräch auf weitere Chauffeurdienste verzichten und lieber mit dem Regionalzug nach Hause fahren, so viel stand fest.

Wie es aussah, wohnten Shirin Talabani und ihre Kinder zwar nicht schön, dafür aber zentral. Direkt vor dem Haus schoben sich– Stoßstange an Stoßstange – Autos, Lkws und Busse in die Enge der Innenstadt, nur wenige Schritte weiter lag die typische Fußgängerzone einer freundlichen Kleinstadt in der Mittagssonne.

Wasmuth schloss den Wagen ab. »Auf gut Deutsch: Shirin hatte keine Chance. Und wenn Sie mich fragen, die hat sie auch heute nicht.«

»Fühlt sie sich noch immer bedroht?«

»Ihr Bruder macht ja keinen Hehl daraus, dass er vollenden will, was vor drei Jahren nicht geklappt hat.«

Stimmt, so etwas in der Art hatte Armanc Mêrdîn gestern erzählt. Irgendwie hatte dieser Satz mehr auswendig gelernt geklungen, als nach einem dringenden Bedürfnis. Trotzdem: eine Drohung war eine Drohung, egal für was man sie rein intuitiv hielt, so viel hatte Wencke sowohl als Ermittlerin als auch als Fallanalytikerin bereits gelernt. »Armanc Mêrdîn hat einen Bewährungshelfer und darf sich, soweit ich informiert bin, seiner großen Schwester nicht auf hundert Meter nähern.«

»Und Sie glauben, dass ein solches Gebot einen Ehrenmörder aufhalten kann?«

Sie waren durch eine schmale Gasse auf einen Hinterhof gelangt. Schäbig gelbe Steine säumten das Karree, auf dem außer ein paar Löwenzahnflecken kein bisschen Grün zu sehen war. Eine feuchte Treppe führte in eine Souterrainwohnung. Die Tür schmückte ein kleiner, ehemals bunter Kranz aus Filz, zwei Fliegenpilze und ein Zwerg hingen bereits auf Halbmast. Die Klingel war unbeschriftet.

Wasmuth musste Wenckes Entsetzen bemerkt haben. »Das ist nicht gerade das Villenviertel von Wunstorf.«

Nein, das war es nicht. Kellerwohnungen waren ohnehin schon eine Zumutung. Aber wenn die dann auch noch feucht waren und an stark befahrenen Straßen lagen … Die armen Kinder, die arme Frau, die ungerechte Welt.

»Aber mehr ist nun mal nicht drin. Shirin arbeitet jeden Abend in einem Restaurant, manchmal geht sie vormittags noch putzen, aber es reicht trotzdem nicht.«

»Was ist mit Unterhalt?«

Er klingelte. »Glauben Sie allen Ernstes, ein Mann, der sich von der Exfrau in seiner Ehre gekränkt sieht, zahlt regelmäßigen Unterhalt?«

»Aber das Gesetz …«

Ein vernichtender Blick ließ Wencke verstummen. »Schön und gut, Sie sind ja quasi Gesetzeshüter, ergo müssen Sie auch an unsere Justiz glauben. Aber wenn Sie mich fragen, diese Paragrafen sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind. Das einzige Gericht, an dessen Gerechtigkeit ich glaube, ist das Jüngste.« Er klingelte erneut, dann schaute er auf seine Armbanduhr.»Seltsam. Wir haben exakt zwölf Uhr. Shirin ist normalerweise die Pünktlichkeit in Person.«

Doch auch nach dem dritten Klingeln blieb es still hinter der Milchglasscheibe. Wasmuth holte sein Handy heraus und tippte darauf ein, Sekunden später hörte man eine türkische Melodie aus dem Haus ertönen. Eine halbe Minute lang sang der digitale Muezzin, dann fluchte Wasmuth. »Die Mailbox? Sie hat ihr Handy immer an, wenn sie unterwegs ist. Da stimmt doch was nicht.« Fast wütend klopfte er gegen die Wohnungstür. »Shirin geht eigentlich nie ohne ihr Mobiltelefon aus dem Haus. Schon wegen der Kinder, wissen Sie? Roza und Azad sollen ihre Mutter immer erreichen können, falls mal was ist.« Er klopfte noch einmal, legte die Hände gegen das Glas und versuchte, etwas durch die blinde Scheibe zu entdecken, doch es rührte sich nichts. Resigniert ließ er die Arme sinken. »Ich verstehe das nicht. Sie hat die Uhrzeit doch selber vorgeschlagen.«

»Vielleicht schauen wir mal, ob ihr Auto da ist«, schlug Wencke vor.

»Shirin hat kein Geld für ein Auto. Aber das Fahrrad …« Er hastete die wenigen Stufen wieder hinauf und lief zu einem Holzverschlag, Wencke folgte ihm. Im Chaos, zwischen einer ausgeweideten Spülmaschine und einem Wäscheständer, klemmte ein bunt bemaltes Vehikel. »Da steht es. Sie muss da sein.«

»Oder sie ist eben kurz noch etwas einkaufen gegangen – zu Fuß, meine ich. Wir warten einfach im Auto auf sie.« Wencke hielt Wasmuths Aufregung für etwas übertrieben. Inzwischen hatte er begonnen, Shirins Namen zu rufen, es klang, als suche er nach einem kleinen Kind. »Shiri-hin!«

Im Hinterhaus öffnete sich ein Fenster und eine ältere Dame schob ihren mächtigen Busen über den Sims. »Da ist keiner«, gab sie ungefragt Auskunft.

Wasmuth drehte sich zu ihr herum. »Frau Hagekamp, guten Morgen.« Er lief hastig auf sie zu, schenkte ihr einen Händedruck und ein missionarisches Lächeln. »Frau Talabani und ich sind heute verabredet.«

Die Seniorin schüttelte ihre fliederfarbenen Locken. »Dann muss sie es vergessen haben. Da ist niemand. Das Licht war heute die ganze Zeit aus. Ich hab vorhin die Post aus ihrem Kasten genommen, das mache ich ja immer, wenn sie nicht da sind, damit das nicht auffällt. Einbrecher lieben Kellerwohnungen, wissen Sie.«

Doch Wasmuth gab sich nicht zufrieden. »Hat sie gesagt, wo sie ist?«

»Nein. Hat sie diesmal wohl nicht dran gedacht. Vielleicht was Kurzfristiges?«

»Und die Kinder?«

»Die sind heute Morgen ganz normal zur Schule.« Plötzlich verzog sich das Gesicht der Frau zu einer sorgenvollen Miene. »Hoffentlich ist nichts … na ja, wenn man an damals denkt, die arme Frau … Ihr wird doch nichts zugestoßen sein?«

Wasmuth antwortete nicht, wurde aber zusehends unruhiger. Er war ohnehin ein blasser Typ, doch allmählich wechselte seine Gesichtsfarbe ins Kalkweiße. »Ich schau mal, ob man was sehen kann.«

Hastig lief er zu einem der Hoffenster, hinter denen es dunkel war. Irgendwie war Wasmuths Sorge ansteckend. Wahrscheinlich gab es tausend Erklärungen, warum Shirin Talabani entgegen der Abmachung nicht zu Hause war. Bestimmt steckte eine Harmlosigkeit dahinter. Eine Unzuverlässigkeit oder irgendwelche kurzfristigen Dinge, die zu wichtig waren, um sie aufzuschieben, vielleicht auch einfach ein Versehen bei der Terminabsprache. Wencke wunderte sich selbst, dass eine innere Stimme partout Panik zu bereiten versuchte, während ihr Verstand dagegenhielt: Nun lass mal die Kirche im Dorf, hier ist nichts passiert, so ein Blödsinn!

Trotzdem, Wencke witterte etwas, hartnäckig. Und aus Erfahrung wusste sie, dass sie ihrem Bauch oft mehr vertrauen konnte als ihrem Verstand. Schon während ihrer Zeit als Kripofrau. Nun meldete sich die Intuition nach einer langen Auszeit das erste Mal wieder – und verhieß nichts Gutes.

Deshalb zwang sie sich, sachlich und logisch weiterzumachen. Wasmuth, der gerade durch die Fenster spähte, war schon nervös für zwei. Sie stellte sich hinter ihn. »Können Sie etwas sehen?«