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Über dieses Buch:

Sie gehören zu den besten Auftragskillern Europas, doch nun haben sie genug: Die hochbetagten Mafiosi Hettore und Jaques verabschieden sich in den Ruhestand, um sich endlich ihren lang gehegten Traum zu erfüllen – eine eigene Trattoria. Aber was wäre ein Abgang ohne ein rauschendes Fest? Daher laden sie Freunde wie Feinde für ein Wochenende in ihre Villa ein und verwöhnen sie mit ihren Gourmetkreationen und allerhand mörderischen Erinnerungen aus ihrer langen Karriere – doch nicht jeder schafft es lebendig bis zum Dessert …

Ein bitterböser Krimispaß: Schwarzer Humor war noch nie so köstlich!

Über den Autor:

Guido M. Breuer, geboren 1967 in Düren, machte zunächst eine Ausbildung zum Bankkaufmann, bevor er Wirtschaftswissenschaften studierte. Anschließend war er viele Jahre als Unternehmensberater tätig. Seit 2009 schreibt er Kriminalromane und Thriller. Er lebt und arbeitet in Bonn.

Guido M. Breuer veröffentlichte bei dotbooks bereits den Psychothriller »Der Schmetterlingsmörder«.

Die Website des Autors: www.guido-m-breuer.de

Der Autor im Internet: www.facebook.com/pages/Guido-M-Breuer-Schriftsteller/132950286736662

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Überarbeitete eBook-Neuausgabe August 2017

Dieses Buch erschien bereits 2013 unter dem Titel »Trattoria Finale« bei KBV.

Copyright © der Originalausgabe 2013 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Cienpies Design

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mh)

ISBN 978-3-96148-049-4

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Guido M. Breuer

Mord zum Dessert

Kriminalroman

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1. Kapitel

Die Sonne stand hoch am Himmel und ließ die Luft über der Godesburg flimmern. Ettore Violenza öffnete den obersten Knopf seines Hemdes. Tief atmete er ein und strich sich zufrieden über das lange Haar, das er noch nicht zu einem Zopf gebunden hatte. Sein Blick ging über die Dächer des Villenviertels von Bad Godesberg, über den Rhein bis zum Siebengebirge auf der anderen Seite des Flusses, der weit unter ihm träge sein Wasser in Richtung Bonn laufen ließ.

Ettore schloss die Augen und überließ sich der Wärme, die sich auf der Dachterrasse staute. Ein kaum spürbarer, warmer Wind hauchte ihm den Geruch der sommerlichen Stadt ins Gesicht. Eine Ahnung von warmen Steinen, Fruchteis und Mädchen, deren luftige Kleidchen über braunen Beinen flatterten, wenn sie die Via Belvedere in Richtung der Santa Maria Assunta herunterliefen. Er hätte sich nicht gewundert, wenn er die Augen geöffnet und sich in Sambuca di Sicilia wiedergefunden hätte.

»Ettore!«

War da nicht dieses glutäugige Mädchen, das immer wieder seinen Namen rief? Er war noch ein Junge, trug kurze Hosen und stand hoch oben auf dem Kirchturm.

»Ettore!«

Sie rief ihm noch etwas zu, er konnte es nicht hören. Natürlich bewunderte sie ihn für seinen Mut. Vielleicht wollte sie ihn auch warnen, dass der Vater im Anmarsch sei und ihm den Hosenboden stramm ziehen würde, wenn er ihn schon wieder dort oben erwischte.

»Ettore!«

Er öffnete die Augen und drehte sich um. Mit einem Lächeln und schwingenden Hüften kam Ornella Pellegrino auf ihn zu.

»Ettore, mein Süßer. Warum antwortest du denn nicht?«

»Was glaubst du?«, fragte er leise zurück. »Ich habe von dir geträumt, was sonst?«

»Ach geh, du alter Schmeichler.« Ihr Lächeln wurde breiter und zeigte ihm, dass sie immer noch empfänglich für seinen Charme war. Sie winkte neckisch ab und zog ein Haargummi aus der Tasche. Mit geschickten, fließenden Bewegungen ihrer kleinen Finger strich sie sein langes Haar zurecht und bändigte es zu einem glatten Pferdeschwanz.

»Stehst du hier mit offenem Haar herum«, sagte sie mit gespielter Strenge. »Was sollen denn die Gäste denken?«

»Es sind noch keine Gäste da. Gönn mir doch die Zeit.«

Ornella nickte und kniete vor ihm nieder. »Aber ja, es ist wirklich noch Zeit«, gurrte sie und begann an seiner Hose zu nesteln.

»Basilica!«, stieß er erschrocken hervor und packte ihren Kopf fest mit beiden Händen. »Du vergisst dich!«

Ornella lachte auf, als er ihren Kosenamen so hektisch ausrief. »Ach geh weg, du alter Esel. Was bildest du dir ein? Ich muss deinen Anzug richten. Du siehst aus wie ein Viehtreiber, der sich seine Sonntagskleidung zusammengestohlen hat.«

Kopfschüttelnd fuhr sie fort, an Ettores maßgeschneiderter Hose herumzufummeln, bis sie hinter sich Schritte von metallbeschlagenen Ledersohlen auf dem Steinboden vernahm. Sie kannte dieses Geräusch sehr gut, es war ihr vertraut und verhasst zugleich.

»Jacques«, sagte Ornella, ohne den herannahenden Mann anzusehen, und stand auf. »Bist du auch schon hier?«

»Natürlich bin ich das«, sagte Jacques Assaraf und wies lässig mit einem Finger hinter sich. »Ich komme von da, wohin du jetzt verschwindest, mein Täubchen, nicht wahr?«

Ornella Pellegrino warf Ettore einen Blick zu, der Protest und Bitte zugleich schien, doch der vermied den Augenkontakt mit ihr.

»Geh nur, Basilica«, sagte er. »Lass uns allein.«

Sie gab einen Laut von sich, zu dem nur entrüstete Sizilianerinnen imstande sind, und rauschte davon. Als sie auf dem Treppenabgang entschwunden war, raunte Jacques Assaraf: »Meine Güte, macht sie dich denn immer noch an?«

Ettore grinste. »Mein Lieber, das macht sie doch schon seit mehr als achtzig Jahren. Warum sollte sie denn nun plötzlich damit aufhören?«

Jacques lachte tonlos. »Natürlich, mein Schnuckel. Warum sollte sie? In unserem Alter legt man lieb gewonnene Gewohnheiten nicht mehr ab, nicht wahr?« Er trat nah an Ettore heran und küsste ihn auf die Stirn. »Bereit?«

»Wenn du es bist«, antwortete dieser und lächelte.

2. Kapitel

Kai Mankowski betrachtete sein Spiegelbild. Strich sich das Haar zurück. Es gefiel ihm, was er sah. Er drehte sich ins Profil. Hatte da der Bauch etwa einen kleinen Vorsprung vor der Brust? Nicht doch, das war nur einer Hemdfalte über dem Gürtel geschuldet. Gut, dass er darüber ein lässiges Jackett trug. Oder nein, eigentlich dumm, denn so konnte er seine muskulösen Oberarme nicht gewinnbringend ins Feld führen. Das Sakko ausziehen? Leider war dieses Kleidungsstück trotz der sommerlichen Wärme unentbehrlich. Wie sonst hätte er die P2000 verbergen sollen, die im Schulterholster auf ihren Einsatz wartete? Und sonst? Kai sah weiter an sich herunter. Vielleicht sollte er noch etwas in eine Hosentasche stecken? Nur, falls Rachel den Blick an ihm herabgleiten lassen sollte, wenn sie gleich aus dem Flieger gestiegen sein und ihm zum ersten Mal gegenüberstehen würde. Der erste Eindruck war durch nichts wettzumachen. Nochmals prüfte er sein Spiegelbild. Der Dreitagebart unterstrich die männlich markanten Gesichtszüge und zeigte keine Spur von beginnendem Grau. Nun, zumindest nicht bei dieser Kürze der Barthaare. Kai Mankowski kramte in der Außentasche seines. Trolleys herum. Da musste doch eine Packung Taschentücher sein, mit der er seine Hose ausbeulen konnte. Nichts. Vielleicht doch in der Innentasche? Kai sah auf die Uhr. Rachel Fischer musste jeden Moment erscheinen. Eilig öffnete er den Reisekoffer. Kulturbeutel, Ersatzmagazine, Hemden, Unterwäsche. Ein zweites Paar Schuhe. Eine Großpackung Kondome. Wo waren die Taschentücher? Ärgerlich zerrte er an dem Reißverschluss, um den Trolley weiter zu öffnen. Das sperrige, bereifte Ding kippte um, und ein Teil des Inhalts verteilte sich auf dem Boden. Fluchend raffte Kai Unterhosen, Kondome und Magazine zusammen. »Kann ich Ihnen helfen?«

Kai sah auf. Sein Blick glitt an schlanken, in einem Hosenanzug steckenden Beinen empor, dann kam noch mehr Bein, endlos viel Bein, dann versuchte er vergeblich, nicht an dem über ihm schwebenden Busen haften zu bleiben, und sah dann endlich der hochgewachsenen Blondine ins Gesicht, so gut er das aus seiner gebückten Haltung vermochte. Scheiße, dachte er und war im selben Moment stolz ob seiner Geisteskontrolle, dass er dies nicht laut von sich gab. Stattdessen sagte er »Äh« und stockte dann, was ihm nach kurzer Überlegung ebenfalls recht peinlich vorkam.

»Sie sind sicher Herr Mankowski«, sagte die Blondine in akzentfreiem Deutsch, das Kai nicht erwartet hatte. »Mein Name ist Rachel Fischer.«

Kai erhob sich, wobei er ärgerlicherweise vergaß, ein seinem Alter gemäßes Ächzen zu unterdrücken, und reichte ihr die Hand. Rachel Fischer betrachtete seine ausgestreckte Rechte, in der er eine Unterhose hielt, und ließ ein spöttisches Lächeln um ihre Mundwinkel spielen. Kai bemerkte seinen Fehler, nahm das Wäschestück in seine Linke und hoffte inständig, Rachel würde einfach seine Hand ergreifen und kein Wort über seine Unbeholfenheit verlieren. Seine Hoffnung wurde nicht ganz erfüllt.

»Haben Sie ein Problem mit Ihrem Koffer?«, fragte sie, während sie ihm einen eher flüchtigen Händedruck zukommen ließ. Kai ärgerte sich, dass sie ihm nicht die Gelegenheit gab, sich durch ein gezielt kräftiges Zupacken eine männliche Note zu geben, und antwortete wenig schlagfertig: »Ach … nein.«

Dann suchte er nach einer eloquenten Fortsetzung, fand jedoch keine und spürte, wie sein Unmut über den verpatzten ersten Eindruck stieg. Tief durchatmend ergab er sich vorläufig in sein Schicksal und beeilte sich, die restlichen herumliegenden Utensilien wieder einzusammeln und den Trolley zu schließen. Als er sich dann wieder erhob, sah er sein vor Ärger und Anstrengung gerötetes Gesicht im verspiegelten Glas der Flughafengebäudes und beeilte sich, den Blick von diesem Elend abzuwenden, um nicht ganz im Erdboden versinken zu müssen. Er atmete tief ein, konzentrierte sich und sah der Blondine so kraftvoll er es noch vermochte in die strahlend blauen Augen.

»Sie sind also Special Agent Rachel Fischer?«

»Ihr Gedächtnis ist beeindruckend, Herr Mankowski.«

»Ich bin es gewohnt, Frauen zu beeindrucken.« Kai fühlte, wie mit dem letzten Satz seine Selbstsicherheit wiederhergestellt war, und fuhr wie beiläufig fort: »Wir werden übrigens jetzt abgeholt. Violenza und Assaraf schicken eine Limousine. Die Burschen stehen auf so was.«

Rachel Fischer wies auf die Straße, die vor dem Terminal 1 des Konrad-Adenauer-Flughafens entlangführte. »Ich denke, das wird unser Taxi sein.«

Kai drehte sich um und sah, wie eine schwarze sechstürige Limousine mit dunkel getönten Scheiben anhielt. Der Fahrer stieg aus und grinste in ihre Richtung. Da er jedoch keine Anstalten machte, seinen Fahrgästen entgegenzukommen, setzten Rachel und Kai sich in Bewegung.

»Sie sind BKA und CIA, nicht wahr?« Der Fahrer behielt sein dümmliches Grinsen bei. »Ich bin Dimitrij Dobrovolsky. Kofferraum ist hinten.«

»Was?«, fragte Kai verwirrt und betrachtete den alten Sechshunderter Daimler. Dimitrij, dem die Unsinnigkeit seiner Aussage aufgefallen war, fügte hinzu: »Ich wollte sagen, Klappe da hinten ist auf, also entriegelt. Will meinen, Koffer da bitte reinzutun.«

Kai schritt ans Heck des überlangen Fahrzeugs und öffnete den Kofferraum. Als er einen Blick in das Innere warf, erstarrte er. Dort lag ein Mann in einem Hemd, dessen Stoff vermutlich weiß war, sich aber nun rot, weil blutgetränkt präsentierte. Eine Hand war zur Faust geballt, daraus ragte ein großformatiges, metallenes Feuerzeug hervor. Im Mundwinkel der Leiche steckte eine Zigarette, die der Kerl sich vor seinem Ableben wohl noch hatte anstecken wollen, dazu aber offensichtlich nicht mehr gekommen war. Der Fahrer trat neben Kai. Er hatte sich immer noch nicht von seinem dümmlichen Grinsen trennen können und meinte: »Ach ja, ich habe mir ein bisschen Arbeit mitgenommen. Das ist Zippo Violenza. Den müssen wir unterwegs entsorgen.«

»Sind Sie verrückt?« Rachel hatte sich neben Kai aufgebaut und starrte ebenfalls entgeistert in den Kofferraum. »Sie können doch nicht …« Weiter kam sie nicht, denn zu ihrer Überraschung löste sich die Leiche aus ihrer verkrampften Haltung und stieg ungelenk aus dem Wagen. Der Mann entzündete mit einem Schnippen seines Feuerzeugs die Zigarette, inhalierte einmal tief und sagte dann: »Ciao, meine Herrschaften. Eine kleine Überraschung, als Willkommensgruß und Aufmerksamkeit meines Onkels Ettore. Ich bin Mario Violenza. Sie müssen Kaiman sein.« Und zu Rachel gewandt setzte er hinzu: »Und Sie sind sicherlich die schöne Amerikanerin, Miss Fischer, nicht wahr?«

»Ihr seid ja bekloppt«, entfuhr es Kai Mankowski. Gleichzeitig war er jedoch geschmeichelt, dass Violenza seinen Spitznamen verwendete, den er sich selbst vor vielen Jahren gegeben hatte. Während Violenza gemächlich zur Beifahrertür schritt und keine Anstalten machte, den Gästen beim Einladen des Gepäcks behilflich zu sein, baute sich der Fahrer vor Rachel und Kai auf. »Ich habe einen Gruß von Gospodin Assaraf. Moment, ich zeig’s euch.« Mit diesen Worten griff er an seinen Hosenbund, zog eine langläufige Pistole hervor, die bis dahin unter dem Jackett verborgen gewesen war, und schickte sich an, diese auf Kai zu richten. Der reagierte augenblicklich, griff mit einer katzenartig schnellen Bewegung an sein Schulterholster und riss die P2000 hervor. Dummerweise bildeten die Halterung der Heckler & Koch, das darüberliegende Sakko, seine aktuelle Körperhaltung und die situativ bedingt beeinträchtigte Feinmotorik des Kriminalbeamten eine so ungünstige Kombination, dass die Pistole seinen fahrigen Fingern entglitt und scheppernd zu Boden fiel. Alle Anwesenden starrten entgeistert auf die am Boden liegende Waffe, dann auf das Schießeisen, welches Dimitrij in seiner Rechten hielt und nun hämisch grinsend auf Kais Gesicht richtete, welches sich gerade vergeblich in einer Kopie des dümmlichen Grinsens Dobrovolskys versuchte. Einen Herzschlag lang herrschte atemlose Totenstille. Dann drückte Dimitrij ab. Kriminalhauptkommissar Kai Mankowski sah sich selbst bei seiner ersten Prügelei im Sandkasten, bei frühen Versuchen des Beischlafs, dann als Neuling in der kriminalpolizeilichen Ausbildung, ärgerlicherweise auch in der Situation, als seine Exfrau ihm die Sachen vor die Tür warf, und nun, am Ende seines Lebens im Zeitraffer, diese Waffe in der Hand eines dummen Russen, der den Finger am Abzug krümmte. Einen winzigen Augenblick noch verspürte er neben dem Bedauern über sein unverhofftes Ableben eine Irritation darüber, dass er trotz seiner profunden Waffenkenntnis nicht in der Lage war, das Fabrikat der Pistole zu erkennen, die ihm jetzt das Hirn aus dem Schädel blasen würde. Dann, einen Moment nachdem er eigentlich nichts mehr hätte sehen sollen, glotzte er aus schreckgeweiteten Augen auf das kleine Fähnchen, das mit einem Ploppgeräusch aus dem Lauf der Pistole geworfen worden war. »BÄNG«, stand drauf zu lesen. Dimitrij Dobrovolsky versuchte, dem Ausdruck dämlichen Grinsens eine neue Dimension zu verleihen, und las von einem Spickzettel, den er in der Linken hielt, vor: »Beste Grüße von Jacques Assaraf an Kommissar Kaiman.«

»Leck mich am Arsch«, murmelte Kai, bückte sich mechanisch, um seine Heckler & Koch aufzuheben, und versuchte dabei, die Leere aus seinem Kopf zu bekommen. Wie durch einen dichten Nebel hörte er Rachels Stimme: »Mein Gott, Mankowski, wie peinlich kann man denn sein!«

»Das war jetzt keine Frage, oder?« Kai untersuchte seine P2000 kurz auf Sturzschäden, bevor er sie wieder einsteckte. Dann beeilte er sich, das Gepäck im Kofferraum der Limousine zu verstauen und im Fond Platz zu nehmen.

Jacques Assaraf strich neckisch durch Ettore Violenzas weißen Bart. »Motek, früher war das alles glänzend schwarz. Hat mir immer gefallen. Aber das Friedhofsblond hat auch was.«

Ettore grinste und pustete spielerisch über Jacques Glatze. »Bei dir war früher oben herum ebenfalls mehr los. Aber ich liebe auch die polierte Platte an dir, mein Guter.«

»Übrigens hat sich gerade der Dobrovolsky via SMS gemeldet. Unsere beiden Lieblings-Häscher sitzen im Daimler und sind auf dem Weg hierher«, sagte Jacques. Ettore zog eine Augenbraue hoch. »Dann hat Dimitrij also den Scherz überlebt? Bin gespannt, was da schiefgelaufen ist.«

»Und Koschej das Gerippe ist ebenfalls auf dem Weg hierher. Schade eigentlich, hätte gerne sein Gesicht gesehen, wenn er zur Begrüßung die Leiche seines Vasallen vorgefunden hätte.«

Ettore zuckte mit den Achseln. »Eigentlich liebe ich es ja, wenn ein Plan funktioniert. Ich sehe schon, wir werden improvisieren müssen.«

Jacques grinste und zog Ettores Pferdeschwanz glatt. »Darin waren wir doch immer gut, nicht wahr, mein Liebelein?«

»Sicher, das waren wir immer«, lächelte der Sizilianer.

Während der Fahrt vom Flughafen Köln-Bonn nach Bad Godesberg herrschte Schweigen. Während Kai düster vor sich hin sinnierte, wie dämlich er sich eben angestellt hatte, dachte Rachel darüber nach, wie das deutsche Bundeskriminalamt ihr einen so dämlichen Partner hatte zuteilen können. Auf eine gewisse Weise hatten die beiden also schon zueinandergefunden. Vor ihnen, durch eine Glasscheibe schallgeschützt getrennt, sahen sie die beiden Mafiosi in wild gestikulierender Unterhaltung. Dann hielt die Limousine vor einer Toreinfahrt an. Mario Violenzas Stimme ertönte aus dem Lautsprecher: »Wir sind da. Haben Sie Ihre Einladungskarten zur Hand? Mein Onkel achtet sehr auf solche Förmlichkeiten.«

Kai kramte das Kärtchen aus seiner Jackentasche und las die mit feiner Handschrift gefertigte Einladung, die Karte so haltend, dass Rachel den Text nicht mitlesen konnte: »Lieber Kaiman, Sie werden das Wochenende in unserem bescheidenen Heim sicher genießen. Wir kennen Ihre Vorlieben, was die Bespaßung durch Damengruppen angeht, und werden dem Rechnung tragen. Seien Sie herzlich willkommen!« Er ging die Reihe seiner favorisierten Beschäftigungen mit Damengruppen durch und erwärmte sich dabei in vorfreudiger Erwartung.

Rachel störte ihn dabei, indem sie mit einem Blick auf ihre Einladung fragte: »Und, was glauben Sie, haben die beiden Gauner für Sie vorbereitet?«

»Weiß nicht so genau«, log Kai. »Und bei Ihnen?«

»In meiner Einladung steht, dass das Festessen genügend Anreize für mich bieten wird, sowohl als Ermittlerin wie auch als Historikerin und als Veganerin.«

»Veganerin?« fragte Kai verdutzt. »Ach du Scheiße – ist das eine schlimme Krankheit? Ach nee, ich weiß wieder, Veganer sind doch Leute, die sich nur von Körpersäften ernähren, nicht wahr?«

»Mein Gott, sind Sie ein Arschloch«, stöhnte Rachel und vermied es, Kai anzusehen. Der hatte das dumpfe Gefühl, den Einstieg mit der hübschen Amerikanerin irgendwie verpatzt zu haben, ohne genau zu wissen warum. Er schob es auf das Malheur mit dem Koffer am Flughafen. Vielleicht mochte sie seine Unterhosenmarke nicht. Oder hatte sie am Ende schlichtweg keinen Humor? Frauen waren ohnehin immer schwer zu durchschauen, aber Veganerinnen war einfach alles zuzutrauen. Kai beschloss, es für den Rest des Tages mit zurückhaltender Männlichkeit zu versuchen. Als sie ausstiegen und zum Heck der Limousine gingen, um ihr Gepäck auszuladen, raunte er ihr zu: »Ich habe die beiden schon des Öfteren getroffen. Sie sind sehr geschmeidig im Umgang, lassen Sie sich nicht davon einlullen.«

Rachel nickte, ohne etwas darauf zu erwidern. Natürlich hatte die CIA-Agentin ihre Hausaufgaben gemacht und die umfangreichen Dossiers gelesen, die ihre Vorgänger in den letzten achtundsechzig Jahren angelegt hatten. Auch Hauptkommissar Kai Mankowski war darin vorgekommen. Und er hatte dabei keine allzu gute Figur gemacht. Nach den ersten Minuten ihres persönlichen Kennenlernens hatte Rachel bereits eine ziemlich klare Vorstellung, woran dies liegen mochte. Aber da sie nicht nur schön und gebildet, sondern auch clever war, behielt sie das für sich. Sie wusste, dass die nächsten Tage schwierig werden würden, vermutlich auch gefährlich, und dass sie sich auf niemanden verlassen konnte. Am allerwenigsten auf einen alternden Machobullen wie Kaiman, wie sie bei einem prüfenden Seitenblick auf den deutschen Kollegen dachte.

Während Dimitrij Dobrovolsky den Wagen wegfuhr, folgten sie Mario Violenza zum Haus, an dessen feudalem Eingangsportal eine alte Dame auf sie wartete. »Herzlich willkommen in Bad Godesberg«, sagte die Frau. »Mein Name ist Ornella Pellegrino, ich freue mich, dass Sie der Einladung gefolgt sind.«

Rachel kannte diese Frau, die in gewissen Kreisen Basilica genannt wurde, aus den Dossiers. Und ihr war auf Anhieb klar, warum die Italienerin diesen Beinamen trug. Es war kaum zu glauben, dass die Pellegrino neunzig Jahre alt war. Gesicht und Körperhaltung strahlten eine Art von Stolz aus, die an Arroganz grenzte. Sie trug Kleidung und Haare wie eine attraktive Frau in den besten Jahren, und es wirkte nicht im Mindesten unpassend. Ihre Haare waren von einem interessanten Grau, das durch eine wilde Mischung aus weißen und schwarzen Strähnen entstand. Rachels erfahrenem Blick erschloss sich sofort, dass diese Haare nicht gefärbt waren. Kai fielen eher die prallen Brüste und der rundliche Po auf. Nur das Wissen darum, dass die Sizilianerin in den 1930er-Jahren mit Ettore Violenza die Schulbank geteilt hatte, hielt ihn davon ab, sexuelle Fantasien zu entwickeln. Nein, eigentlich nicht einmal das, er gestattete sich nur nicht, diese reflexartig aufkeimenden Ideen weiter zu vertiefen.

Sie folgten der einladenden Geste Basilicas und traten ins Foyer der Villa. Dort kamen ihnen Ettore Violenza und Jacques Assaraf entgegen. Beide elegant gekleidet wie immer, beide weißhaarig, beide lächelnd. Jacques ergriff zuerst die Hand Rachels, einen Kuss andeutend, und dann das Wort: »Seien Sie herzlich gegrüßt, meine sehr verehrten Jäger und Vertreter der international engagierten Exekutive. Es freut mich ganz besonders, Sie, liebe Miss Fischer, in unserem bescheidenen Domizil begrüßen und endlich auch kennenlernen zu dürfen.« Und mit einem unergründlichen Lächeln sah er dann Kai an, gab auch ihm die Hand und meinte: »Mit Signore Kaiman hatten wir ja schon das eine oder andere Mal zu tun. Und es war immer kurzweilig. Möge diese Tradition hier und heute ihre Fortsetzung finden.«

»Wohl gesprochen, mein Guter«, sagte Ettore Violenza und reichte ebenfalls beiden Gästen die Hand. »Bevor die liebe Ornella, die Seele des Hauses, Ihnen Ihre Zimmer zeigt, müssen wir noch eine lästige, aber leider unvermeidliche Kleinigkeit hinter uns bringen. Es wird unumgänglich sein, Sie und Ihr Gepäck einer Visitation zu unterziehen. Verstehen Sie mich nicht falsch, Sie dürfen natürlich alles einschließlich Ihrer Waffen behalten, das ist Ehrensache. Lediglich all jene Geräte, mit denen Sie Kontakt zur nicht eingeladenen Außenwelt aufnehmen könnten, müssen wir während Ihres wertgeschätzten Aufenthaltes im Haustresor verwahren. Ich gehe ja nicht davon aus, dass Sie hier verkabelt eingetreten sind, aber auch an sich harmlose Mobiltelefone, Laptops oder sonstige – wie sagt man im Flieger immer gerne? – electronic devices würden das lockere Miteinander doch allzu sehr erschweren. Das ist sicher verständlich, oder? Ansonsten müssten wir alle ständig aufpassen, was wir sagen. Und wir wollen uns doch entspannen.«

»Hab fast vergessen, wie geschmeidig Sie reden können«, grinste Kai, griff in seine Tasche und hielt Ettore sein Handy hin.

»Nicht doch«, winkte dieser ab. »Würden Sie meinem Lieblingsneffen Mario in das Garderobenzimmer folgen? Er wird Sie untersuchen und alle Geräte entgegennehmen. Miss Fischer lässt sich bitte von der lieben Ornella begleiten.«

Rachel und Kai folgten dieser freundlichen Anweisung. Während die CIA-Agentin alle notwendigen Untersuchungen durch die kundigen Hände der Pellegrino über sich ergehen ließ, gestaltete sich die Prozedur im Nebenzimmer etwas holpriger …

3. Kapitel

Es hatte eine sommerlich heitere Atmosphäre im Salon der Villa geherrscht. Die breiten Flügeltüren, die einen wundervollen Blick in den weitläufigen Garten hinaus gestatteten, waren geöffnet und ließen eine angenehme Brise hinein, die nach Blüten und Sonne duftete.

Davon war schlagartig nichts mehr zu spüren, als der hagere, fast zwei Meter lange Mann mit seinen Begleitern den Raum betrat. Man sagte Kostja Trigorin nach, dass er, wenn er die Möglichkeit dazu hatte, jeden Raum verdunkeln und mit kalter Luft durchströmen ließ, um seiner rasputinösen Erscheinung zusätzlichen Schauder zu verleihen. Hier bewies der Pate der russischen Mafia, dass er solcher Mittel nicht bedurfte. Die langen grauen Haare, die sowohl Haupt als auch Gesicht entsprossen und offenbar seit ewigen Zeiten weder Kamm noch Schere gekostet hatten, unterstrichen das gespenstische Aussehen. Zu dem langen Kinn, der scharfen Nase und den tief in den Höhlen liegenden bösen Augen hätte auch keine modische Frisur gepasst.

Trigorin und sein Gefolge gingen tiefer in den Salon hinein. Allmählich nahmen die anwesenden Gäste ihre Atemtätigkeit wieder auf. Kai stupste Rachel an und flüsterte ihr zu: »Koschej das unsterbliche Gerippe, der mächtigste Ganove unter den deutschsprachigen Russen. Einer von den ganz bösen Jungs.«