Über das Buch

Winter 1942. Finnland und die Sowjetunion befinden sich im Krieg. Zwei sowjetische Soldaten, Savolenko und Kunitsjin, werden in den finnischen Wäldern ausgesetzt. Ihr Spionage-Auftrag, geplant als Heldeneinsatz im Feindesland, entwickelt sich jedoch zu einem skurrilen Abenteuer. Auf ihrem Marsch durch die Winterlandschaft haben sie überraschende Begegnungen: mit einer verführerischen Apothekerin, einem trinkfreudigen Bauern und einem müden Militärpferd. Viel Stoff für einen kurzweiligen Roman aus Finnland!

Über den Autor

Arto Paasilinna wurde 1942 im lappländischen Kittilä/Nordfinnland geboren. Er ist Journalist und einer der populärsten Schriftsteller Finnlands. Er wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet. Inzwischen hat er rund 40 Romane mit großem Erfolg veröffentlicht, von denen einige verfilmt und in verschiedene Sprachen übersetzt wurden. Auch bei uns erwarten die Fans jedes Jahr ungeduldig eine neue skurrile Geschichte vom finnischen Kultautor.

Arto Paasilinna

Für eine schlechte
Überraschung gut

Roman

Übersetzung aus dem Finnischen von
Regine Pirschel

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Ich widme dieses Buch den in unseren Kriegen gefallenen und vermissten Pferden.

Arto Paasilinna

1.Teil

Das Flugzeug

1

Ein reifbedeckter Lastwagen fuhr im Morgengrauen zu dem Flugplatz hinaus, der auf dem Eis des Finnischen Meerbusens angelegt worden war. Als der Wagen stoppte, sprangen russische Soldaten mit Gepäck herunter und liefen in verschiedene Richtungen auseinander, einige stiegen in wartende Flugzeuge, die sogleich im schneidend kalten Wind gestartet wurden.

Als Letzter verließ ein schmächtiger Mann die Ladefläche, er steckte in einer finnischen Militäruniform und hatte eine umfangreiche Ausrüstung bei sich, einschließlich langer Skier, wie sie in Finnland üblich waren. Unschlüssig blieb er auf dem Eis stehen. Er fror, und er wusste nicht, wohin mit seinen Brettern.

Der Lastwagen ließ den Mann auf dem Eis zurück, wendete und fuhr wieder aufs Festland, in die große Stadt Leningrad. Es war Winter, der März 1942. Die Deutschen attackierten Leningrad mit heftigem Artilleriefeuer, auch jetzt konnte man das Donnern der schweren Geschütze, die von Süden her angriffen, bis hier draußen aufs Eis hören. Hunger und Kälte töteten die unglücklichen Bewohner der großen Stadt, für sie gab es kein Entkommen aus der vernichtenden Falle, denn die Deutschen hatten im Süden vor der Stadt Front gemacht, und im Norden, in der Karelischen Landenge, lagen die finnischen Truppen in ihren Stellungen.

Mehrere Bomber stiegen vom Eis auf, nahmen Kurs Richtung Süden und verschwanden bald in der Morgendämmerung und in den Wolken. Zu dem Mann auf dem Eis gesellte sich jetzt ein anderer Mann, er war groß, hatte einen schwarzen Schnäuzer und trug die Pilotenuniform der Roten Armee. Er gab dem Wartenden die Hand und sagte:

»Ich bin Leutnant Gennadi Savolenko. Du bist wahrscheinlich der Fallschirmjäger, der nach Finnland gebracht werden soll.«

Erfreut nickte der kleinere Mann:

»Gewiss, lieber Genosse … ich bin Vassili Kunitsin.«

Der Pilot griff sich Kunitsins herumliegende Ausrüstung und stapfte zu seiner Maschine. Der Fallschirmjäger folgte ihm mit den Skiern auf der Schulter. Die beiden Männer gelangten zu einem großen Schlachtflugzeug. Savolenko warf das Gepäck aufs Eis und drehte sich zu seinem Gefährten um. Er musterte den kleinen Mann und fragte mit seiner dröhnenden Stimme:

»Freiwilliger?«

Kunitsin nickte.

»Dann wollen wir mal einladen«, sagte Savolenko.

Die Maschine war ziemlich groß, aber trotzdem kostete es Mühe, alles Notwendige in ihrem Inneren zu verstauen, denn außer Kunitsins Ausrüstung waren das noch fast zwanzig Kanister mit Treibstoff. Kunitsin fragte, während er Kanister einlud, ob dieser Flugzeugtyp nicht einen speziellen Treibstofftank besaß. Savolenko knurrte, dass dessen Inhalt nicht für den gesamten Flug reichen würde.

»Wir gehen zwischendurch runter und tanken aus diesen Kanistern.«

Savolenko musterte Kunitsins Gepäck: Funkgerät, Waffe, Proviant, Skier.

»Mit solcher Warenmenge in den Hinterwald …«

Das Problem waren die Skier, die nicht ins Cockpit passten, obwohl die Männer alles versuchten. Wenn sie sie über den Sitzen verstauten, hatte der Pilot jeweils ein Brett auf jeder Schulter liegen, und das behinderte ihn beim Fliegen, wie er sagte. Man konnte sie aber auch nicht neben den Sitzen auf die Erde legen, denn das Cockpit wurde nach hinten hin schmaler, außerdem befand sich dort der Sitz für den Maschinengewehrschützen.

»Wie wäre es, wenn wir sie auf dem Dach der Maschine festbinden«, schlug Kunitsin vor.

Savolenko antwortete lapidar, dass der Luftzug sie sofort nach dem Aufsteigen hinunterfegen würde, und selbst wenn sie sich da oben hielten, würden sie ihn beim Lenken stören.

»All das Zeugs, die Skier … ein Pferdeschlitten soll nicht zufällig auch noch mit?«

Schließlich beschlossen die Männer, die Skier am Fahrgestell der Maschine zu befestigen, über den Stahlschienen. Als das erledigt war, kletterten sie ins vollgepackte Cockpit, schlugen die Türen hinter sich zu und zogen die Pelzmützen über die Ohren. Der Pilot studierte noch seine Karten, ließ den Motor warmlaufen, wischte mit einem Glyzerinlappen über die Fensterscheiben, damit sie nicht vereisten, und dann gab er dem Bodenpersonal ein Handzeichen, worauf die Männer mit ihren Schneeschaufeln das Rollfeld verließen. Der Motor kam auf Touren, ein gewaltiges Dröhnen erfüllte das Cockpit, der Start begann. Die schwere Militärmaschine rumpelte über das unebene Eis, bis sie abhob und in den winterlichen Himmel über dem Finnischen Meerbusen aufstieg. Der Pilot lenkte die Maschine mit der Nase gen Westen.

2

Leutnant Gennadi Savolenko war ein äußerst fähiger Pilot, und er flog eine gute Maschine. Ein Sturmovik-Schlachtflugzeug, vom Genossen Iljuschin höchstpersönlich konstruiert.

Ohne den Kurs zu korrigieren, flog Savolenko eine halbe Stunde in westliche Richtung, und dann richtete er die Nase der Sturmovik nach Nordnordost aus, wo nach einigen Minuten die finnische Küste auftauchte.

»Halt dich jetzt gut fest. Sie schießen, wenn sie uns entdecken«, rief der Pilot seinem Passagier zu, der hinten neben dem Maschinengewehr saß.

Die Eisfläche glitt unter der Maschine hinweg, weich wiegte der verschneite Uferwald die Ankömmlinge, aber sonst blieb alles ruhig. Savolenko lenkte die Maschine über das finnische Festland, wobei er den Baumwipfeln auswich. Ein paar kleine Straßen flitzten unter ihnen vorbei, aber sonst wirkte die Gegend unbewohnt. Bald erreichten sie Miehikkälä. Dort gab es anscheinend keinen Flugplatz und auch sonst keine Sicherheitssysteme, sodass Savolenko beschloss, erst mal eine große Runde über der Ortschaft zu drehen.

Die Männer wurden auf ein großes Gebäude aus roten Ziegeln aufmerksam, »Genossenschaftsmolkerei Kymenlaakso« stand auf der Fassade zu lesen. Savolenko wollte von Kunitsin wissen, was der Schriftzug bedeutete, und als ihm der Name übersetzt worden war, beschloss er, kurz eine Bombe auf die Molkerei zu werfen. In einer prächtigen Schleife näherte er sich dem Gebäude, löste die Bombe genau im richtigen Moment, und als er kurz darauf noch einmal umkehrte, um das Ergebnis zu prüfen, konnte er feststellen, dass die Bombe das Dach der Molkerei getroffen hatte. Sie hatte das Dach durchschlagen und war im Bodenraum explodiert. Schnee und der Qualm der Explosion stoben im Frostwind durchs Dorf.

Frauen in weißen Arbeitskitteln stürmten aus dem Gebäude, rannten in den nahen Wald und warfen sich dort in den Schnee.

»Die weißen Banditen müssen wohl vorläufig pausieren beim Buttern«, meinte der Pilot. Immer mehr Frauen rannten in den Wald, und Savolenkos Interesse an ihnen ging so weit, dass er über dem Waldstück zu kreisen begann, vielleicht um herauszufinden, wie finnische Meierinnen aussahen. Die dröhnende Maschine vollführte Sturzflüge über ihnen, Savolenko putzte eigens die Fenster mit Glycerin, um die Frauen besser sehen zu können.

»Hübsch, hübsch, und dick …«

Bald jedoch begannen die finnischen Soldaten aus dem Dorf, das Flugzeug mit ihren Gewehren zu beschießen, und Savolenko musste die Frauen in Ruhe lassen. Der magere Kunitsin betrachtete das zurückbleibende Miehikkälä und murmelte vor sich hin:

»Wirklich schmuck, rosig und gut im Futter, das muss man sagen …«

Der Zwischenfall in Miehikkälä mit all den wilden Schleifen und Sturzflügen hatte dazu geführt, dass die Skier am Fahrgestell ein wenig den Halt verloren hatten, und so nahm das Unglück seinen Lauf: Eines der beiden Bretter löste sich schon bald nach dem Abflug, und es flog eine Weile wie ein zitternder Strich vor der Maschine her. Kunitsin bekam einen tüchtigen Schreck, als er seinen Ski in der Luft sah.

»Ein Ski hat sich gelöst, fang ihn ein!«

Die Männer mussten mit ansehen, wie der Ski in den verschneiten Wald fiel. Savolenko fragte:

»Lassen wir ihn da liegen? Er ist bestimmt nicht mehr heil.«

»Ich muss ihn holen! Wie soll ich in Finnland mit nur einem Ski laufen, da erfriere ich ja!«

Nach kurzem Suchen fand Savolenko ein kleines Feld, auf dem er landen konnte. Er stoppte die Maschine, zeigte Kunitsin, wo der Ski seiner Meinung nach zu Boden gefallen war, und forderte ihn auf, sich beim Suchen zu beeilen. Savolenko selbst blieb im Cockpit sitzen, schaltete nicht einmal den Motor aus, sondern wendete die Maschine und machte sie klar für den Start.

Kunitsin watete im tiefen Schnee durch den Wald, schaute nach oben und suchte nach Baumwipfeln, von denen der Ski beim Herunterfallen den Schnee abgefegt hatte. Er war bereits tief ins Innere des Waldes vorgedrungen, als er die erhofften Anzeichen entdeckte, und unten auf der Erde sah er eine schöne, von einem einzelnen Ski gezogene Loipe, die aus dem Nichts kam und etwa zehn Meter weit führte. Am Ende der Loipe lag der Ski, vollkommen heil nach seiner glücklichen Notlandung. Ohne Zögern schob Kunitsin seinen Stiefel unter die Bindung, stieß sich mit dem anderen Fuß ab und lief so zum Flugzeug zurück.

Eilig befestigte Kunitsin den Ski wieder an seinem Platz. Er machte seine Arbeit diesmal besonders gründlich, damit sich das lebenswichtige Brett kein zweites Mal lösen konnte. Der Pilot gab bereits nervös Gas. Miehikkälä war nah, und die Finnen konnten bald auftauchen. Als Kunitsin seinen Ski gut vertäut und sich auch vom festen Halt des anderen überzeugt hatte, sprang er in die Maschine. Savolenko brachte den Motor sofort auf volle Touren, die Maschine raste über das Feld und erhob sich kurz vor dem Waldrand aus dem Schnee.

Die Finnen waren inzwischen ebenfalls eingetroffen, schwitzende Männer in der Loipe. Sie legten die Gewehre an und schossen auf das dröhnende Flugzeug hoch über ihren Köpfen. Kunitsin beantwortete das Feuer mit einigen Schüssen aus dem Nagant, das er aus dem Fenster hielt. Keine der beiden Parteien fügte der anderen Schaden zu.

Als er Miehikkälä hinter sich gelassen hatte, griff Savolenko zur Zigarette und nahm dann Kontakt mit Leningrad auf. Er schrie seine Nachricht in das knarrende Funkgerät:

»Haben geglückte Notlandung in Miehikkälä durchgeführt, gerieten dort in ein Feuergefecht mit finnischen Soldaten. Drei Finnen gefallen. Auf unserer Seite keine Verluste. Haben zuvor die zentralen Milchverarbeitungsbetriebe der Stadt zerstört. Ende.«

Nach einigen Minuten erreichte das Flugzeug die Bahnstrecke Kouvola-Viborg. Savolenko hatte vorgehabt, die Gleise in aller Ruhe zu überfliegen, aber es ergab sich, dass zur gleichen Zeit ein langer Zug, gezogen von zwei Dampfloks, dort entlangkeuchte, von Kouvola kommend auf dem Weg nach Viborg. Savolenko beschloss, die Fahrt des Zuges ein wenig zu stören, und Kunitsin war derselben Meinung:

»Schick ihnen ein paar Kugeln aus dem Maschinengewehr, Genosse Savolenko!«

Der Pilot lenkte seine Maschine zum Gleis, und bevor der Zug richtig stoppen konnte, beschoss er ihn mit zwei Maschinengewehren, Bündel von Lichtstrahlen tanzten auf und nieder, von den Loks bis hin zum letzten Wagen. In den Waggons befanden sich Feldkanonen und Panzer, die für die Front bestimmt waren. Mit einer Ausnahme allerdings, und die zeigte sich, als Savolenko eine kleine Granate auf den Zug warf. Die Granate zerstörte diesen einen, gewissen Waggon, und Unmengen von Schneeschaufeln aus Sperrholz purzelten auf die Böschung, sodass das Lokpersonal, das aus seinen Führerständen sprang, fast darunter begraben wurde.

Bald begann jedoch die Luftabwehr des Zuges die feindliche Maschine zu beschießen, und Savolenko musste von weiteren Zerstörungsmaßnahmen absehen. Er nahm Kurs nach Norden, und als er zur Luftabwehr des Zuges genügend Abstand hatte, meldete er nach Leningrad:

»Auf der Bahnstrecke Kouvola-Viborg einen Zug mit Kriegsmaterial angegriffen. In den Waggons große Mengen Panzer, Feldkanonen und Schneeräumgeräte, diese zerstört. Ende.«

Inzwischen war bereits der Tag angebrochen. Kunitsin spähte durchs Fenster nach unten in die verschneite Landschaft. Ihn interessierte diese Tour außerordentlich, denn er war noch nie zuvor geflogen. Das Land, das er aus dem Flugzeug betrachtete, war ihm fremd, obwohl seine Vorfahren von dort stammten: Kunitsin war ein gebürtiger Ingermanländer, und sprach ausgezeichnet Finnisch. Dort in den Niederungen der verschneiten Wälder lebten womöglich noch Blutsverwandte von ihm, irregeleitete Arbeiter, die auf Befehl des weißen Generals Mannerheim gezwungen worden waren, gegen die große Sowjetunion zu kämpfen … zusammen mit den blutigen Faschisten.

Savolenko flog über Mäntyharju nach Mikkeli, wo die Maschine mit außerordentlich heftigem Luftabwehrfeuer empfangen wurde. Als Savolenko die Flucht ergriff, bemerkte er, dass vom Flugplatz Joroinen mehrere finnische Zerstörer aufstiegen, und er hatte alle Mühe, ihnen zu entkommen: Er flog so tief es irgend ging, unmittelbar über den Bäumen, und als die finnischen Zerstörer ihm ebenso tief folgten, lenkte er seine Maschine unvermittelt fast steil nach oben und stieß durch eine Wolke, sodass die Zerstörer ihn kurzzeitig aus den Augen verloren. Bei Leppävirta landete er im Sturzflug auf dem Eis eines Sees und lenkte seine Maschine in den Schutz des Uferwaldes.

Mehrere Minuten lang kreisten die finnischen Maschinen über der Gegend, flogen irgendwie zerstreut umher wie Bienen, denen ihr Kasten geraubt worden war. Schließlich kehrten sie auf ihren heimischen Flugplatz zurück.

Als die Zerstörer weg waren, drehte Savolenko seine Maschine, sodass sie mit der Nase auf den See hinaus zeigte, und schaltete anschließend den Motor aus. Mit steifen Gliedern krochen die Männer aus dem Cockpit. Savolenko kramte die Lagerausrüstung hervor und stiefelte in den Wald. Zuvor wies er Kunitsin an, Rumpf und Tragflächen mit Schnee zu bewerfen, damit die Maschine aus der Luft nicht so leicht zu entdecken wäre.

Zunächst warf Kunitsin den Schnee mit den Händen auf das Flugzeug, stellte aber bald fest, dass die Arbeit auf diese Weise nicht schnell genug vonstattenging, und so griff er sich seinen Rucksack, suchte das Schachbrett heraus und schaufelte damit die Tarnschicht auf die Maschine.

Unterdessen hatte Leutnant Gennadi Savolenko ein kleines Lagerfeuer entzündet und einen Kessel mit Wasser darüber gehängt. Als das Wasser siedete, warf er Teeblätter hinein und ließ das Ganze ziehen, inzwischen suchte er Fichtenreiser zusammen und verteilte sie um das Feuer. Bald war das Lager fertig, und er rief seinem Gefährten zu, dass er zum Tee kommen solle. Kunitsin erschien frierend, mit dem Schachbrett in der Hand.

»Trink Chai, mein Freund, damit dir warm wird«, forderte Savolenko ihn auf.

Wortlos genossen die Männer ihr einfaches Frühstück, und dann spielten sie zwei Partien Schach. Die erste Partie gewann Kunitsin, die zweite Savolenko. Nach dem Spiel streckte sich der Pilot auf den Fichtenreisern aus, während Kunitsin in den nahen Laubwald ging und sich zwei Espenzweige abschnitt. Er schälte die dünnen Stäbe, suchte in seinem Rucksack nach den Schneetellern, befestigte sie und brachte die Stöcke zur Maschine, wo er sie neben dem hinteren Maschinengewehr auf den Boden legte. Als er zurückkehrte, war das Lagerfeuer erloschen, und Leutnant Savolenko schlief. Um Geräuschlosigkeit bemüht, legte Kunitsin sich ebenfalls nieder, obwohl er nicht sonderlich müde war. Er war aufgeregt, denn sein Einsatz als Fallschirmjäger hatte soeben begonnen.

3

Es wurde ein sonniger Tag. Der Pilotenleutnant schlief bis zum Nachmittag auf den Fichtenreisern, und obwohl das Lagerfeuer nicht mehr brannte, schien er überhaupt nicht zu frieren. Kunitsin, der während der Blockade von Leningrad elend abgemagert war, litt unter der Kälte, warf sich herum und fand keinen Schlaf. So machte er sich denn am Nachmittag daran, das Feuer neu zu entfachen, und als es ihm gelungen war, kochte er Essen.

Die Männer besaßen nur magere Proviantvorräte: Kunitsin schmolz Schnee im Kessel, fügte in das so gewonnene Wasser gefrorenen Fisch, ein paar Gewürze und Salz hinzu, außerdem kochte er Tee und brach schwarzes Brot, das mit Ersatzstoffen gestreckt war, und ließ es am Feuer rösten. Dann weckte er Savolenko zur Mahlzeit.

Kunitsin betrachtete den Piloten: hoch gewachsen, eigentlich ein schmucker Kerl mit seinem schwarzen Schnäuzer, schwarzes Haar umrahmte das Gesicht, während er aß, mahlten die großen Kinnladen. Er schien stets die Mütze abzusetzen, wenn er eine Mahlzeit verzehrte oder Tee trank. Vom Alter her war Savolenko vermutlich knapp dreißig, also gut zehn Jahre jünger als Kunitsin. Dieser hatte Lust zu plaudern, aber sein Gegenüber schien nicht aufgelegt dazu, was jedoch auch daran liegen mochte, dass sie einander noch nicht so gut kannten.

»Nun sind wir in Finnland … bist du schon mal hier gewesen?«, fing Kunitsin an.

Savolenko erzählte, dass er bereits viele Male in Finnland gewesen sei: Im Winterkrieg habe er Bombeneinsätze über Turku und Helsinki geflogen, und jetzt während dieses neuen Kriegsabschnittes habe er natürlich Kampfflüge an der Front absolviert, hauptsächlich allerdings gegen die Deutschen.

Savolenko musterte seinerseits Kunitsin, so als könnte er gar nicht glauben, dass dieser Mann sein Gefährte sein sollte, er war so klein und schmächtig, und auch sonst wirkte er recht kümmerlich. Sein Gesicht war glatt, die Hände schmal, das Haar hellgrau, die Miene wirkte jungenhaft, obwohl man ihm ansonsten ansah, dass er viel gelitten hatte – in diesem Krieg hatte schließlich jeder leiden müssen.

»Du bist wohl kein Soldat?«, fing Savolenko vorsichtig an.

»Nein … na ja, vor diesem Einsatz wurde ich zum Korporal ernannt.«

Kunitsin begann von sich zu erzählen. Er sagte, dass er Ingermanländer sei, dass seine Eltern bereits tot seien, nur die Schwester habe im Herbst noch gelebt, aber:

»Dann ist auch meine liebe Schwester verhungert, gerade zu Weihnachten.«

Er erzählte, dass er von Beruf eigentlich Apotheker sei, in der 45.Apotheke von Leningrad. Als sich Savolenko erkundigte, ob es denn jetzt während des Krieges nicht genug zu tun gäbe in einer Apotheke, erzählte Kunitsin, dass es an Arbeit nicht gemangelt hatte, es gab viele Kranke, aber die Medikamente waren knapp geworden, und schließlich waren sie ihnen ganz ausgegangen, sodass nicht mehr alle Apotheker gebraucht wurden.

»Als meine Schwester starb, wollte ich an die Front, aber die Genossen Offiziere sagten, dass ich dafür zu ausgehungert sei. Sie glaubten mir auch nicht, als ich ihnen sagte, dass ich schon immer mager gewesen sei und außerdem ein zäher Bursche … aber dann, vor zwei Wochen, brachte mir ein Bote einen Brief, in dem man mich in den Stab bestellte. Dort sagten sie mir, weil ich Finnisch spreche, könnte ich Fallschirmjäger werden, wenn ich wollte.«

Savolenko fragte, ob Kunitsin verheiratet sei.

»Nein … ich hätte schon gern geheiratet, aber das Mädchen nahm einen anderen, so läuft es ja immer, die eine, die man will, bekommt man nicht, und andere gefielen mir nicht so gut.«

»Du bist zu anspruchsvoll bei der Auswahl«, warf Savolenko ein.

»Ich war sehr verletzt wegen dieses Mädchens, danach haben mich Frauen nicht mehr interessiert, so war es nun mal. Aber sollte der Krieg in diesem Jahr enden, dann nehme ich mir vielleicht eine Frau, denn allein zu leben, ist so traurig, jetzt, wo meine Schwester tot ist.«

Ein Rabe kam über den See geflogen, hielt direkt auf den Lagerplatz der Männer zu, und als er den Geruch vom Feuer in die Nase bekam, war sein Interesse geweckt. Er ließ sich in den Bäumen am Ufer nieder und beobachtete mit schrägem Kopf das Treiben der beiden. Bald tauchte ein zweiter Rabe auf und gesellte sich zu dem anderen, so neugierig waren sie. Schnee fiel von den Ästen, als sie sich niederließen.

»In Leningrad hat man diese Sorte im jetzigen Winter gar nicht mehr gesehen. Sind wohl alle im Kochtopf gelandet«, äußerte Kunitsin. »Auch aus Dohlen wurde häufig Suppe gekocht, sie wurden mit Netzen gefangen. Übrigens schmeckt Dohlensuppe durchaus nicht übel.«

Savolenko schürte das Feuer, das Teewasser hatte lange genug gezogen, er goss für sie beide Tee ein, dazu aßen sie das geröstete Brot.

»Bist du denn verheiratet? Ja, vermutlich«, wandte sich Kunitsin an seinen Gefährten.

Savolenko erzählte von sich: Ja, er war verheiratet, seine Frau lebte jetzt wahrscheinlich in Moskau, sie hatte vor Beginn der Belagerung fliehen können, von Beruf war sie Krankenschwester.

»Seit einem halben Jahr schon habe ich nichts mehr von Ludenka gehört, es wird keine Privatpost nach Leningrad geliefert, wer weiß, ob sie überhaupt noch lebt, meine Frau.«

»Bestimmt lebt sie, sorg dich nicht unnötig.«

Die Raben hatten genug von den beiden ruhigen Menschen und flogen davon. Als die Männer ihren Tee getrunken hatten, erhoben sie sich von den Fichtenreisern und widmeten sich anderen Dingen. Savolenko begann, seine Karten zu studieren und diverse Einträge darin vorzunehmen. Kunitsin fragte, warum er das tat.

»Hier, Genosse Kunitsin, siehst du das Monstrum unter dem Bauch der Maschine? Das ist eine Luftbildkamera. Ich vermerke in den Karten die Punkte der Aufnahmen, sodass bessere Karten von dieser Gegend angefertigt werden können.«

Jetzt verstand Kunitsin, weshalb Savolenko über Siedlungsgebiete geflogen war, obwohl sich das als sehr gefährlich erwiesen hatte. Dieser ganze Flug diente noch einem anderen Zweck, nur allein seinetwegen war man nicht hierhergekommen.

Als Savolenko mit seinen Karteneinträgen fertig war, begann er zu schreiben. Er schien einen Bericht über die Eigenschaften des Flugzeugs zu verfassen, der recht lang wurde, und als er ihn fertig hatte, verschlüsselte er ihn. Die ursprüngliche Fassung verbrannte er im Feuer. Kunitsin wunderte sich, weshalb der Pilot die Eigenschaften des Flugzeugs notierte, kannte er seine Maschine denn nicht gut genug?

»Dies ist eine ganz neue Maschine, einer der Prototypen einer zweisitzigen Sturmovik. Sie wird erst im kommenden Herbst an der Front eingesetzt. Vorher wird damit geflogen und auf diese Weise getestet, ob sie gut ist.«

»Also ist dies ein Luftaufnahmen- und Testflug?«, fragte Kunitsin enttäuscht.

»Ja, das stimmt, hast du das nicht gewusst?«

Bis zu diesem Moment hatte sich Kunitsin auf dem Flug für eine sehr wichtige Person gehalten: ein Fallschirmjäger, dem ein komplettes Flugzeug samt Pilot zur Verfügung gestellt worden war, ein Mann, für den eine weite Fahrt in den hohen Norden unternommen wurde … und nun stellte sich heraus, dass er eigentlich eine Art Ballast war, eine Nebenrolle spielte …

Traurig steckte er das Schachbrett in seinen Rucksack und schnürte ihn zu, dann sammelte er das Kochgeschirr ein und verstaute es in Savolenkos Rucksack. Savolenko erahnte Kunitsins Gedanken und wollte ihn trösten.

»Mach dir nichts draus, Vaska … es ist ja so, dass es nicht lohnt, eine derart aufwendige Reise wegen eines einzelnen Mannes zu unternehmen, in solch harten Zeiten … es war wichtig, für den Flug einen Mann zu finden, der nützlich sein würde, und sie fanden dich. Jetzt wird also auf ein und demselben Flug ein Mann in den Norden befördert und gleichzeitig die Maschine getestet, Aufnahmen werden gemacht … alles ist wichtig … der Plan ist in jeder Hinsicht gut.«

Savolenko erzählte, dass er den Auftrag hatte, nach Kuhmo oder Hyrynsalmi zu fliegen, Kunitsin dort abzusetzen, dann über Kiestinki nach Louhi zurückzukehren, dort würden die Maschine kontrolliert und alle Informationen gesammelt werden.

»Du bleibst als Fallschirmjäger in Finnland, hältst Kontakt mit den Partisaneneinheiten, spionierst, agitierst … dürfte ja kein Problem für dich sein, du kannst gut Finnisch.«

Vor Eintritt der Dämmerung betankten Savolenko und Kunitsin die Maschine. Sie holten zu dem Zweck mehrere Kanister aus dem Cockpit und stellten sie aufs Eis, der eine hielt den Trichter über dem Treibstofftank, während der andere die Flüssigkeit hineingoss. Die leeren Kanister begruben sie sorgfältig unter dem Schnee. Auch das Lagerfeuer löschten sie und bedeckten die Asche und die Reiser mit Schnee. Als das erledigt war, luden die Männer ihre Ausrüstung ins Flugzeug und stiegen selbst ebenfalls ein. Savolenko startete den Motor, ließ ihn eine Weile warmlaufen. Wie bei Schneegestöber wirbelte Schnee von den Uferbäumen ins Innere des Waldes. Bald rollte die Maschine über das Eis, stieg auf, gewann immer mehr an Höhe und nahm Kurs nach Norden.

Zum Abend war das Wetter aufgeklart, der Frost hatte sich verschärft, und noch lange hallte das dumpfe Dröhnen des Flugzeugs durch die Savolaxer Seenlandschaft. Bald begann der helle winterliche Mond das Dunkel der verschneiten Wälder zu beleuchten.

4

Im Licht des aufgehenden Frostmondes, unter dem sternenklaren Himmel, donnerte die Sturmovik gen Norden. Die Männer redeten nicht miteinander, sie hätten schreien müssen, und die Schönheit der Nacht hielt sie davon ab, laut zu werden.

Savolenko begann, mit seiner tiefen, schönen Stimme ein wehmütiges Volkslied zu singen. Auch Kunitsin hätte gern gesungen, aber er war sich seiner mangelnden Fähigkeiten bewusst und hielt sich zurück.

Das Cockpit der Maschine war dunkel, nur Savolenkos glühende Zigarette spiegelte sich ab und zu in der Windschutzscheibe. Blass leuchteten die Phosphornadeln an den Messgeräten des Armaturenbrettes in der Dunkelheit. Wenn man durchs Fenster nach unten blickte, sah man die verschneite, vom blassen Mondlicht schwach erhellte Ödlandschaft. Dort schlummerte das finnische Feindesland, mit verdunkelten Dörfern, unwirklich. Befanden sich die Männer wirklich im Krieg gegen dieses Land?

Das leise Lied drang nur noch schwach durch das Motorengedröhn an Kunitsins Ohren, die ganze Situation begann ihn zu ermüden, seine Augen fielen zu, er schlief auf dem Sitz des Maschinengewehrschützen ein, und noch bis an die Grenze des Traums folgte ihm der leise Gesang des Piloten.

Kunitsin erwachte davon, dass das Flugzeug eine abrupte Bewegung machte. Er hatte ziemlich lange geschlafen, seine Glieder waren steif, einer der Skistöcke hatte ihn an der Schulter gedrückt. Als er sich umdrehte, um ihn wegzuschieben, erschrak er: Durchs Rückfenster strahlte das Licht eines hellen weißen Scheinwerfers. Ohne auch nur einen Moment zu zögern, packte er die Griffe des Maschinengewehrs und richtete die Waffe auf den Scheinwerfer. Er drückte den Abzug, und das schwere Maschinengewehr donnerte los, dass die ganze große Militärmaschine bebte. Bündel von hellen Lichtstrahlen durchschnitten das nächtliche All, und Kunitsin war sich sicher, dass sämtliche Kugeln direkt ins Ziel trafen.

Der Scheinwerfer erlosch jedoch nicht, obwohl Kunitsin unablässig auf ihn feuerte.

Savolenko begann ganz schrecklich zu fluchen. Gleichzeitig hämmerte er seinem Gefährten mit den Fäusten auf den Rücken, damit er mit dem Schießen aufhörte. Die Maschine begann zu wackeln, und für einen Moment verlor Kunitsin sein Zielobjekt aus den Augen. Unglaublich wütend schrie Savolenko ihn an:

»Heilige Jungfrau Maria, hör sofort auf, du Trottel!«

Verdutzt hörte sich Kunitsin die Verwünschungen des Piloten an. Er versuchte zu erklären, dass hinter der Maschine eine schreckliche Gefahr lauerte, ein fremdes Flugobjekt, hell erleuchtet, folgte ihnen, da musste er einfach feuern …

Der Mond trat wieder hervor, und erst jetzt begriff Kunitsin, dass er genau diesen beschossen hatte. Niedergeschlagen und beschämt hörte er sich Savolenkos Tadel an.