Verlockung, Ruf der Ferne
Törn um Törn, die Welt erfahren
20 Jahre Seefahrt: Stürme, Kriege, ferne Länder, Hafenbekanntschaften, anmutige Frauen
- Indien-
Eine andere Welt
Betörende Gerüche, bezaubernde Gesänge, Erinnerungen an 1001-Nacht, Märchenfilme, zärtliche Liebesgeschichten aus dem Orient.
Die harte Realität,
nichts für empfindliche Gemüter.
Am frühen Morgen, die Reede vor Kochi erreicht, der Anker gefallen. Land, ländliche Umgebung in mehreren Kilometern Entfernung zu erkennen. Hier wird Kopra, getrocknetes Fruchtfleisch der Kokosnuss, als Schüttgut geladen. Die Beladung ab Nachmittag geplant, die Mittagshitze abgeklungen, arbeiten an Deck dann erträglicher. Nur kurz, nachdem der Lotse von Bord, haben die Behörden die Freigabe erteilt. Wie in diesen Breiten üblich, gekommen mit flachen, zusammengerollten Aktentaschen, verlassen sie das Schiff mit schwerer Last. In beiden Händen je eine, nur mühsam verschlossene Tasche, mit Zigaretten, Whisky prall gepackt. International gängige Praxis der gekauften Freigabe, Vermeidung von behördlichen Auflagen, Kontrollen. Wer nicht mitspielt, Obolus verweigert, hat mit Zollfahndung, unerwartet langen Liegezeiten, Schikanen jeglicher Art zu rechnen. Für die Zöllner ein Nebenerwerb, die Ware an Bars weiterverkauft.
Am späten Nachmittag, die Hitze hat nachgelassen, ein angenehmer Seewind bringt Linderung, setzt sich ein kleiner Schlepper, sechs mit Kopra vollbeladenen Schuten am Schlepphaken, vom Ladehafen aus, Richtung Schiff in Bewegung. Diese sind voll abgeladen, über der kaum sichtbaren Lademarke hinaus, bedrohlich tief im Wasser liegend. Langsam nähert sich der Konvoi dem Schiff, auf den Bergen von Säcken sitzen die Schauerleute, Hafenarbeiter der ersten Schicht zum Beladen des Frachters. Zusätzlich Vorarbeiter, Kranführer, Bedienpersonal für das Ladegeschirr. Viele von ihnen bleiben bis zum Auslaufen an Bord, daher zusätzlich zwei Köche mit Kochkessel für den täglichen Reis, weiteren Proviant und Heizmaterial auf einer der Schuten. Diese schon von der Ladung überladen, schwanken, wanken bedrohlich in der Dünung, verschärft durch die zusätzliche menschliche Fracht. Der Kapitän des Konvois hat die Geschwindigkeit seines Verbandes falsch eingeschätzt, keine Möglichkeit rechtzeitig abzustoppen. Verzweifelter Versuch mit einer kurzen, zusätzlichen Kurve eine Kollision mit dem Frachter zu vermeiden, schaukelt sich am Ende des Lastzuges die Geschwindigkeit weiter auf. Wie eine Schlange mehrerer zusammengeknoteter Schlitten, die im Winter einen Berg herabfahren, die am Ende rodelnden Schlitten schleudern werden. So ergeht es den letzten beiden Schuten, in Sekunden schwappt Wasser längsseits in den Laderaum, Schlagseite, Untergang der Letzten. Die davor, ebenfalls fast vollgelaufen, wird durch das Schleppseil mit in die Tiefe gezogen. Eine Kettenreaktion, in sekundenschnelle ereignet, nur gestoppt durch das schnelle Handeln eines der Köche auf der dritten Schute, der mit einer Axt das Verbindungstau kappt. Lähmende Stille, dann Geschrei, wildes Gefuchtel, der unter Schock stehenden Zuschauer. Einige Ankömmlinge waren panisch über Bord gesprungen, klettern an der Gangway an Bord. Da wo eben zwei vollbeladene Ladungsschuten schwammen, steigen Blasen auf, bilden sich Kreise auf dem Wasser, Leere, Nichts. Die Stahlbehälter samt Ladung, Mann und Maus im Meer versunken. Wie hypnotisiert starren die Überlebenden auf das Wasser, warten auf das Auftauchen der Kameraden, Kollegen, Freunde. Die Sekunden, Minuten vergehen, außer Blasen steigt nichts auf, Wehklagen, Gejammer, lautes Heulen setzt ein, wird nach fünf Minuten leiser, erlischt dann gänzlich.
Einer der überlebenden Vorarbeiter informiert per Funk den Hafen, nach zwei Stunden erreicht ein zweiter Konvoi das Schiff, ebenfalls überladen, voll besetzt mit Arbeitern. Nach kurzem Austausch über das Geschehene, setzen die Ladearbeiten, zwei Stunden später, das Unglück vergessen.
An Bord errichten die Einheimischen am Heck des Schiffes eine Bordküche, kochen Reis, brühen Tee für die Pausen. In diesen liegen die Arbeiter auf mitgebrachten Schilfmatten, kauen Betel, spucken ab und zu die zerkauten Reste an Deck. Zum Unwillen des Bootsmannes sind die daraus entstandenen roten Flecke sofort in der Farbe eingezogen. Nur übermalbar oder nur mit einem Rosthammer zu entfernen. Achtern, neben dem Flaggenstock wird ein nach außenhängendes Klosett montiert. Ein Brett an Stricken befestigt, drapiert mit Stoff als Sichtschutz.
Die Tage vergehen, die Ladearbeiten ziehen sich über zwei Wochen hin. Aus den Schuten werden Säcke mit Kopra mit Hilfe des Ladegeschirrs, des Bordkrans an die Lukenkante gehievt, dort mit Messern die Jutesäcke geöffnet, in den Laderaum geschüttet, in die Ecken per Hand verteilt. Die Schuten zurück an Land bugsiert, die Säcke gefüllt, vernäht, an Bord verschifft, der Kreislauf wiederholt sich.
Die eindringlichen Bitten des Bootsmannes an die Vorarbeiter, die einheimischen Ladearbeiter zu bewegen, bereitgestellte Spucknäpfe für die ausgekauten Betelreste zu nutzen, wird geflissentlich ignoriert. Eher macht es den Einheimischen regelrechten Spaß zu provozieren. Wird verstärkt gespuckt, geault was an Betel zur Verfügung steht. Nicht nur an Deck die widerlichen roten Flecken, sichtbar am Schanzkleid, sogar im Weiß der Aufbauten. Was gibt es für sie sonst an Abwechslung? Er hat aufgegeben zu betteln, auf Einsicht zu hoffen, führt seinen, kleinen, Privatkrieg, sinnt auf Rache, wider der Ignoranz. Eine Flasche Brandy, Kasten Bier täten Wunder, Freundschaften so entstehen. Ein norddeutscher Dickschädel wandelt auf seinen eigenen Wegen, bleibt stur.
Am kommenden Tag liegt er hinter dem Schornstein, Blick zum Achterschiff, den Abtritt der Ladearbeiter im Visier. Zur Reinigung nach einem Toilettengang wird eine Büchse Wasser verwendet, nicht Papier wie in unseren Breiten üblich. In diesen Gefilden unbekannt, zu teuer. Etwas Wasser über die Rosette geschickt verteilt, Inhalt der Büchse ausreichend zur Fingerwäsche danach, Toilettengang beendet. So der beobachtete Ablauf der letzten Tage. Heute hat der Bootsmann unbemerkt das Wasser mit Spiritusverdünnung ausgetauscht. Er beißt sich auf die Lippen, gluckst, prustet, schlägt mit den Fäusten auf´s Deck, kugelt sich vor lachen, kaum an sich haltend. Sein ersten Opfers tanzt im Kreis an Deck, reibt sich verzweifelt seinen Hintern, rennt die Gangway hinab, sein Sprung, eine Fontäne im Wasser bildend. Dort schrubbt und rubbelt er intensiv die brennende, juckende Stelle. Nach einer gewissen Einwirkzeit entspannt sich sein zuvor verzerrtes Gesicht, genießt fast sichtlich die verdünnende Wirkung der See auf dem empfindlichen, angegriffenen Hautareal. Die Badezeit seines ersten Opfers hat der Bootsmann zum Auffüllen der leeren Konservendose genutzt. Kaum in Stellung gebracht, ergötzt er sich am zweiten Opfer. Erst ohne Wirkung, gemächlich zu den vorderen Laderäumen unterwegs, urplötzlich zu einem Feuerlöschhydranten sprintet, aufdreht, im selben Moment seinen Umhang hochzieht, mit dem Allerwertesten den Strahl Paroli bietet. Die umstehenden Kollegen staunen, lachen, keiner die Ursachen kennt oder sich etwas zusammenreimt.
Glück für den Bootsmann, die misshandelten Opfer der Zusammenhänge unkundig, jeder der Meinung, die falsche Büchse gegriffen zu haben. Nicht ungefährlich, südliches Temperament, schnell aufkeimende Rachegelüste, Messer sitzen locker, ein Menschenleben nichts wert. Er denkt an das Unglück mit den Schuten.