Cover

Für jeden, der einen Regenbogen im Herzen trägt

Kapitel 1

Ich habe die Augen geschlossen und höre nur das leise dröhnende Geräusch des Flugzeugs, von dem ich nach ein paar Stunden immer Kopfschmerzen bekomme. Es ist still geworden, meine Bandkollegen scheinen zu schlafen. Das Adrenalin des Konzerts ist verflogen. Manchmal toben sie noch wie die Wilden durchs Flugzeug, weil sie noch viel zu aufgedreht sind. Heute nicht.

Ich ziehe die Decke fester um mich und knautsche das Kissen unter meinem Kopf zurecht. Meine Glieder fühlen sich schwer an und irgendwie taub. Als wären sie Fremdkörper.

»Alles klar, Tony?«, flüstert Ben, mein Bodyguard. Er sitzt auf der anderen Seite des Gangs.

Ich nicke stumm, bekomme die Augen nicht richtig auf. Ben ist der Einzige, der von meiner Flugangst weiß. Er sorgt dafür, dass ich vor dem Einsteigen immer eine Tablette bekomme und die teils stundenlangen Flüge in einem Dämmerzustand verbringe. Was die anderen Jungs in der Band angeht, werde ich bei Flügen einfach immer nur müde und verschlafe die langweilige Zeit im privaten Learjet unseres Managements. Transatlantische Flüge wie dieser sind immer die schlimmsten. Sie sind zermürbend lang und dann auch noch diese Turbulenzen … Andrew und Shane finden das total lustig, aber die können auch hundertmal Achterbahn fahren, ohne ins Taumeln zu geraten. Mike und Leo dagegen leiden dann zumindest ein wenig mit mir, können aber noch Witze reißen, wenn ich schon längst in Schockstarre verfallen bin. Allerdings glauben alle, dass ich schlafe und ziehen mich damit auf, dass mich nicht mal die heftigsten Turbulenzen wecken. Wenn die wüssten. Zum Glück erwartet uns in Europa ein Nightliner. Dank des Busses bleibt mir das Fliegen ein paar Tage lang erspart. Mit einem leisen Pling erklingt das Anschnallzeichen und ich spüre, dass sich jemand nähert.

»Hey, Tony«, sagt Leo und klopft mir auf die Schulter, »wach auf, du Schnarchnase, wir landen gleich.« Damit wirft er sich auf den Sitz vor mir und ich höre das Klicken seines Gurtes. Offensichtlich haben doch nicht alle geschlafen.

»Hmm? Was ist los?«, brummt eine andere Stimme. Es ist jene, die meine Knie weich werden lässt. Andrews Stimme. Die meines besten Freundes.

»Wir landen bald, Drew. Schnall dich an«, antwortet Ben und ich höre, wie er sich in seinem Sitz bewegt. Kurz darauf wird mein Sitz hochgestellt. Das Beruhigungsmittel macht meine Lider immer noch schwer wie Blei. Andrew seufzt. Diesen Laut würde ich unter Tausenden erkennen; seine warme und doch irgendwie raue Stimme, die seinen Gesang so einzigartig macht.

»Ist Tony angeschnallt?«, fragt er und mein Herz verkrampft sich.

Jemand hebt meine Decke an, vermutlich ist es Ben. Er weiß, dass ich mich nie abschnalle, schaut aber trotzdem nach.

»Ja, ist er.« Die Decke sinkt wieder auf mich herab. Mir wird warm. Die Stewardess hat Ben vor ungefähr einer Stunde leise mitgeteilt, dass es in Wien etwas stürmisch ist. Andrew war noch wach und hat mit Leo Scherze über landende, betrunkene Albatrosse gemacht. Mir persönlich kommt dagegen jeder Humor abhanden, wenn ich in einem Flugzeug sitze.

»Gut, nicht dass er uns vom Sitz kullert. Vermutlich würde ihn aber nicht mal das wecken.« Andrew muss tief geschlafen haben. Seine Stimme klingt ganz belegt und müde. Er macht sich Sorgen, dass ich mir wehtun könnte … Zum Glück ist mein Verstand noch vernebelt.

Ben lacht leise. »Ich passe auf ihn auf.«

»Guten Morgen, Jungs. Oder sollte ich sagen: Grüß Gott? Immerhin landen wir ja in circa zwanzig Minuten in Wien.« Cassies Stimme dröhnt durch den Lautsprecher des kleinen Flugzeugs. Sie gehört zum Management und begleitet uns gelegentlich auf Tour. »Dort ist allerdings schon später Nachmittag und ich habe per Twitter bekannt gegeben, wann das Flugzeug landet. Werdet also langsam mal wach und macht euch auf Presse und Fans gefasst. Die Wiener Flughafenleitung sorgt für eine Abtrennung in sicherer Entfernung, aber ihr solltet trotzdem ein strahlendes Lächeln aufsetzen und den Fans zuwinken. Für Autogramme und Fotos bleibt keine Zeit, wir haben direkt einen Termin bei einem Radiosender. Im Bus wird man euch einkleiden und ein wenig herrichten. Heute Abend sind wir bei einer Fernsehgala. Anzüge liegen dort in der Garderobe für euch bereit. Und etwas zu essen. Nach der Show fahren wir dann über Nacht nach München, also nach Deutschland. Die weiteren Termine gebe ich euch noch.«

»Darf ich noch mal auf Klo gehen, Mutti?«, meldet sich Mike grimmig, woraufhin Shanes dreckige Lache erklingt.

»Wenn wir gelandet sind«, höre ich Cassie vom anderen Ende des Flugzeugs rufen.

»Sind wir schon da? Sind wir schon da? SIND. WIR. SCHON. DA?«

Cassie schenkt Mikes Spielchen wohl keine Beachtung, aber Shane steigt mit ein. Doch das bekomme ich nicht mehr richtig mit, weil das Flugzeug durchgeschüttelt wird. Ich verkrampfe mich, balle meine Hände zu Fäusten und versuche ruhig zu atmen. Wieder rappelt es und ich höre die Jungs lachen.

»Hoch mit die Arme, Maurice!«, äfft Andrew den Lemurenkönig aus Madagaskar nach. »Es iste viel lustiger, wenn du die Arme hochehebst!«

Wir haben die Filme damals immer wieder im Tourbus angesehen. Oft auch mitten in der Nacht. Wir waren erst fünfzehn, als das alles angefangen hat. Das ist jetzt vier Jahre her und wir haben uns von den bunt zusammengewürfelten Gesangsschülern zu einer der erfolgreichsten Bands der Welt hochgearbeitet.

»Krrrsscccht … Wir wissen, dass Sie keine große Wahl hatten. Trotzdem danke, dass Sie mit Air Pinguin geflogen sind«, geht Shane auf Drews Spiel ein, während ich immer noch wie versteinert bin. Das Flugzeug wird erneut durchgeschüttelt und ich höre das Geräusch des ausfahrenden Fahrwerks. Kurz danach brummen auch draußen die Flügel, die sich für den Landeanflug ausfächern. Bald geschafft. Das Flugzeug setzt auf und ich höre die Bremsen unter meinen Füßen ächzen. Wir sind unten. Ich atme durch und öffne vorsichtig meine Augen. Mein Gesicht ist dem Innenraum zugewandt und das Erste, was ich sehe, ist Andrew, der über seinen Sitz vor Ben zu mir herübersieht.

»Es ist wie Magie«, meint er, »kaum setzt das Flugzeug auf, wird unser Tony wach.« Er grinst und seine strahlend blauen Augen funkeln mich amüsiert an. Ich lächele ebenfalls und atme tief durch. Drew fährt sich durch seine wuscheligen hellbraunen, fast schon blonden Haare. Manchmal, wenn die Stylisten mit ihm fertig sind, erinnert er mich mit seinem Haarschnitt an eine Mangafigur, doch seine Augen sind nicht ganz so groß. Aber groß genug, um mir jedes Mal den Atem zu rauben, wenn er mich ansieht. Die Fans stehen drauf und ich kann neidlos anerkennen, dass er nicht nur der Liebling der Fans ist, sondern auch eine Art Bandleader. Wir alle folgen Andrew in irgendeiner Weise.

»Dein Kumpel ist ein Zauberkünstler«, höre ich Shane irgendwo vor mir zu Andrew sagen.

»Bester Kumpel, bitte. Danke«, grummele ich. »So viel Zeit muss sein.«

Andrew lacht und seine Augen leuchten. Wir sind beste Freunde, seit wir zwölf waren. Ich kenne ihn besser als irgendeinen anderen Menschen auf der Welt. Er mich jedoch nicht. Da ist zu viel, was ich vor ihm verstecke, aus Angst, er könnte irgendwann aufhören mich … so anzusehen.

»Werde wach, Tony, du musst gleich in die Kameras grinsen.« Damit dreht sich Andrew wieder in seinem Sitz um.

Ich reibe mir die Augen und gähne. Bens Blick brennt sich in mein Gesicht. Ich sehe ihn kurz an und nicke, um ihm zu verstehen zu geben, dass alles in Ordnung ist. Schwerfällig setze ich mich auf und schnalle mich ab.

»Sitzen bleiben, bis das Flugzeug steht!«, brüllt Cassie aus dem vorderen Teil. Ich winke ihr nur über die Schulter zu und gehe zur Toilette.

»Wenn die Natur ruft, stellt sich nichts zwischen einen Mann und das Klo«, belehrt Mike die Gruppe. Er sagt noch etwas, das bekomme ich aber nicht mehr mit. In den winzigen Raum gepresst drehe ich den Hahn auf und spritze mir etwas kühles Wasser ins Gesicht. Meine braunen Augen sehen müde aus und mein Haar klebt feucht vom Angstschweiß an meinem Kopf. Normalerweise sind meine Haare stumpf braun-rötlich, da kommen meine irischen Wurzeln durch, doch jetzt glänzen sie irgendwie auf eine schlechte Art und Weise. Damn, so sollte das nicht sein. Das wirkt fettig und ungepflegt. Ich gebe mir selbst ein paar kleine Ohrfeigen, um Farbe in mein Gesicht zu bekommen, dann gehe ich zurück in die Flugzeugkabine. Shane steht schon da und wartet.

»Vergessen zu spülen?«, fragt er und zieht die strohblonden Augenbrauen hoch.

»Ja, ich dachte, du würdest auch gerne was davon haben.«

Er lacht und verschwindet im Bad. Andrew ist auch bereits aufgestanden und reckt sich hoch zu seiner Sporttasche. Das graue T-Shirt rutscht dabei nach oben und gibt den Blick auf seinen Bauch und den Bund seiner Unterhose frei, die man durch die tief sitzende graue Jogginghose gut sehen kann. Hastig schaue ich weg und krame in meiner Tasche nach meiner dunkelblauen Beanie, die ich für Bad-Hair-Days immer griffbereit habe. Ich würde nur ungerne in den Klatschblättern lesen, dass ich ungepflegt bin. Besonders, weil ich kurz vor dem Flug noch geduscht habe.

Die Flugzeugtüren öffnen sich und lassen milde Frühlingsluft herein. Sie trägt einen Chor von kreischenden Mädchenstimmen mit sich. Ich tausche einen wissenden Blick mit Mike. Sie haben Andrew schon durch das Fenster gesehen. Der beginnt zu winken und grinst dabei vermutlich wie ein Honigkuchenpferd. Ich liebe dieses aufgedrehte Lächeln an ihm. Kopfschüttelnd schwinge ich mir die Tasche über die Schulter und bemerke Ben hinter mir. Er ist über einen Kopf größer als ich und ich schätze, dass sich gleich zwei Tonys hinter ihm verstecken könnten.

»Ich bleibe hinter den Jungs«, höre ich ihn sagen und drehe mich zu ihm um. In seinem Ohr steckt ein Kommunikator, mit dem er sich mit den restlichen Security-Leuten kurzschließt. Ben sieht mich fragend an. Er hat eine Glatze, wirkt aber ansonsten recht jung. Nur seine Augen verraten, dass er bald vierzig wird. Eine seiner großen schweren Pranken landet auf meiner rechten Schulter. Er drückt sie kurz und zwinkert mir zu.

»Auf geht's, Boys. Rise and shine!«, trällert Cassie und steigt als Erste aus dem Flugzeug. Sie trägt immer noch das fliederfarbene Kostüm, mit dem sie in New York ins Flugzeug gestiegen ist. Wie hat sie es geschafft, dass es nicht verknittert ist? Vermutlich hat sie den ganzen Flug stocksteif dagesessen und in ihr Smartphone gestarrt. Leo, wie immer ganz in Schwarz gekleidet, was im Kontrast zu seinen momentan grau gefärbten Haaren steht, steigt nach ihr aus dem Flugzeug. Die Mädchen beginnen seinen Namen zu schreien.

»Es kommt mir jedes Mal vor, als wäre ich ein Sklave und muss das Kolosseum betreten«, meint Mike, der sich seine brünetten Haare aus Spaß ganz oben am Kopf zu einem Zopf zusammengebunden hat. Diese Frisur tragen sonst nur kleine Mädchen und meine Cousine sagt immer Assi-Palme dazu.

»Sei lieber ein Löwe«, schlage ich vor und gehe an Andrew vorbei, der noch etwas auf seinem Smartphone liest. Ein Seitenblick verrät mir, dass er auf Twitter ist. »Die hatten damals eine größere Chance zu überleben und durften die ganzen Narren fressen.«

»Hm, Narren«, sinniert Mike.

»Sind eine Menge draußen, Paparazzi ohne Ende, da kannst du uns was abgeben, Löwe«, mischt sich Andrew ein. »Oder vielleicht doch lieber ein zartes Mädchen? Ja, ich hätte lieber eins von denen.«

Ich schlucke und kneife kurz die Augen zusammen, um dieses furchtbare Gefühl in mir niederzuringen. Er ist mein bester Freund, er fühlt nicht … wie ich. Mike legt einen Arm um mich.

»Ach, so ein hübsches Mädchen gebe ich nur unserem kleinen Tony ab!« Er zwickt mich in die Wange und hebt die Stimme um eine Oktave. »Weil er so süß ist mit seiner Schlumpfmütze.«

Andrew sieht nach draußen.

»Was hättest du denn gerne?«, fragt mich Mike gönnerhaft. »Groß, klein, brünett, blond, dick, dünn, hell oder dunkel?«

»Pommes, rot-weiß«, antworte ich.

»Du und deine Fritten.« Ein Lächeln umspielt Andrews blaue Augen, als er mich wieder ansieht. Es bringt meinen Atem dazu, schneller zu gehen.

»Es gibt nichts Besseres«, antworte ich. Mike verzieht das Gesicht und verlässt das Flugzeug, weil man bereits nach uns ruft. Ich folge ihm und trete hinaus. Sofort höre ich meinen Namen und sehe zu der Masse von Fans, die sich rund um einen abgesperrten Bereich versammelt hat. Sie halten Bilder von meinen Bandkollegen und mir hoch und strecken uns die Arme entgegen. Ich winke und lächele, wie man es uns beigebracht hat. Ab jetzt heißt es wieder, der Gute-Laune-Tony sein. Der lustige, süße Typ, den alle so gern haben.

»Da bin ich!«, ruft Shane plötzlich hinter mir und ich fahre erschrocken zusammen. Ich ignoriere ihn und nehme die Stufen nach unten zum Rollfeld, wo Mike und Leo bereits stehen und sich mit Cassie unterhalten. Schon beim ersten Schritt merke ich, dass mein Kreislauf noch irgendwo über den Wolken schwebt und halte mich am Geländer fest.

»Kommt bitte, Jungs. Wo ist Andrew?«, ruft Cassie.

»Hier!«

Ich bin unten angekommen und drehe mich nach Drew um, gerate dabei aber vollkommen ins Straucheln und lande schließlich wie ein tollpatschiger Vollidiot in Shanes Armen. Die Fans brüllen lauter als zuvor, offensichtlich amüsiert.

»Hast du gesoffen, Bro?«, fragt Shane grinsend. Blonde Strähnen hängen ihm in die Augen. Er stellt mich wieder auf die Beine. Die Mädchen kreischen unsere Namen.

»Was ist passiert?« Andrew steht mit besorgtem Gesicht neben uns und hakt sich sofort bei mir ein. Der Kreisch-Chor wird noch lauter. Mit einem Blick zu Shane zieht mich Drew von ihm weg.

»Bist du gestolpert?«

»Ja, ich schlafe wohl noch«, rede ich mich heraus und kann meine Augen nicht von seinem Gesicht lösen. Diese süße Nase und die Lippen, die jetzt leicht geöffnet sind.

»ANTON!«, brüllt die Masse. »ANTON!«

»Einige glauben echt immer noch, du heißt Anton oder Anthony, Tony«, gluckst Leo, an dem wir gerade vorbeigehen. Cassies Augen sind dunkel geworden. Sie beäugen die Fans kritisch.

»Tun sie nicht«, murmelt Andrew, jedenfalls meine ich, das gehört zu haben. Er zieht mich direkt auf den schwarzen Bus zu. Plötzlich ist Ben an meiner Seite und nimmt mir die Tasche ab, bevor Andrew mich in den Tourbus verfrachtet. Super, jetzt wird es überall heißen, dass ich betrunken aus dem Flugzeug getorkelt bin und Drew mir helfen musste, den kurzen Weg zum Bus zu laufen. Ich seufze erschöpft. Die ganze Welt ist wie aus Wackelpudding. Die Tablette und Drew sind schuld daran, doch über beide werde ich kein Wort verlieren. Stattdessen lasse ich mich gleich ganz vorne auf einen Sitz fallen. Ein Blick den Gang hinunter verrät mir, dass es recht große und bequeme Schlafkojen und einen runden Tisch am hinteren Ende des Busses gibt. Dunkles Leder und Mahagoniverkleidung, das Ding war sicher nicht billig. Andrew klettert ganz selbstverständlich über mich und setzt sich neben mir ans Fenster. Ich halte die Luft an und rutsche nervös auf dem Sitz herum. Das war zu nah. Sein Duft kitzelt meine Nase. Jede Faser meines Körpers prickelt.

Die anderen Jungs folgen uns und setzen sich meinem Beispiel folgend alle vorne in den Bus. Menschen sind halt doch Herdentiere. Cassie scheint zufrieden und quatscht in ihr Headset. Andrew winkt derweil wieder den Fans und spielt dabei mit der anderen Hand an seinem Smartphone herum. Ich lehne mich zurück und schließe die Augen, die Beine angezogen. Wie gerne hätte ich ihn über mir festgehalten, ihn an mich gezogen, seine Wärme gespürt und diesen Duft aus nächster Nähe inhaliert. Sein Aftershave ist meine Droge.

»Woran denkst du?«, holt mich Drews Stimme aus den Gedanken und ich öffne die Augen. Er sieht mich voller Freude und Lebenslust an. Ich sauge jeden Eindruck in mich ein.

»Warum?«, frage ich.

»Du hast irgendwie so merkwürdig geguckt. Denkst du an Fritten?«

Ich muss lachen und nicke einfach. Denkst du an Fritten … Nicht ganz, Drew. Nicht ganz. Ich nehme mein Handy und öffne Twitter, hauptsächlich, um zu sehen, ob Andrew was geschrieben hat oder mein Sturz bereits die Runde macht.

Andrew Bennett @Drew_WrongTurn

Wenn man @Tony_WrongTurn wecken möchte, muss man ihn nur in einem Flugzeug landen lassen.

Andrew Bennett @Drew_WrongTurn

So stark ist der Wind jetzt auch nicht @Tony_WrongTurn, dass du gleich umkippen musst.

Ich sehe meinen besten Freund an. »Ha-ha!«

Er schaut auf das Display meines Handys und begreift.

Tony Ward @Tony_WrongTurn

Vienna ist einfach umwerfend @Drew_WrongTurn!

Mein Handy macht mich darauf aufmerksam, dass auch Shane etwas getwittert hat. Drew schaut ebenfalls auf sein Smartphone.

Shane Jenkins @Shane_WrongTurn

Ich bin hier der Einzige, der umwerfend ist @Tony_WrongTurn.

Shane Jenkins @Shane_WrongTurn

Aber ich fange dich immer gerne auf, Bro @Tony_WrongTurn

Meine Finger fliegen über das Display.

Tony Ward @Tony_WrongTurn

Danke @Shane_WrongTurn! Ich wollte den Wiener Fans doch nur unseren Bandnamen vortanzen.

Ich höre Shanes laute Lache und auch Andrew kichert etwas heiser vor sich hin.

»Jungs?!« Cassie zieht die Aufmerksamkeit auf sich, während sich der Bus in Bewegung setzt. »Ich möchte euch bitten, nach hinten zu gehen und euch für das Radiointerview umzuziehen. Denkt immer dran, ihr werdet auch gefilmt und fotografiert.«

Wie könnten wir das vergessen?

»Ich liebe es, mich in einem fahrenden Bus umzuziehen«, seufzt Mike und geht als Erster nach hinten. Amy, unsere Stylistin, wird ihm sicher gleich als Erstes die verrückte Assi-Palme wegmachen. Ich merke, wie Andrew neben mir nervös wird und darauf wartet, dass auch ich aufstehe. Zur Sicherheit halte ich mich fest, während ich den schmalen Gang entlanglaufe, wo Amy bereits wartet. Die runde Bank um den Tisch im hinteren Teil des Nightliners ist voller Kleidung, die mit Zetteln mit unseren Namen darauf beklebt ist. Der Bus hält; vermutlich eine Abzweigung oder Ampel, da wir uns noch auf dem Gelände des Flughafens befinden. Doch dieses Mal bin es nicht ich, der den Halt verliert, sondern Drew, der mir in den Rücken stolpert. Wir fallen nicht, aber für einen Moment bin ich wie erstarrt, während er lacht.

»Du bist ansteckend.« Drew klopft mir auf die Schulter. »Sorry, Tony.«

Ich sehe über meine Schulter und grinse ihn dämlich an. Konzentriere dich, Tony! Klamotten … Wo sind meine? Shane singt lauthals, während er sich aus seinen Sachen pellt. Man sieht nur noch seine blonden Haare. Mikes sind wie erwartet mittlerweile offen und hängen ihm auf die Schultern. Kritisch beäugt er das Hemd, das er anziehen soll. Leo braucht nur die Hose auszutauschen. Er trägt ohnehin nur schwarz, ein Image, das auch Amy für ihn hochhält. Für mich liegen ein hellgrünes Polohemd und eine enge Jeans bereit. Der brave Junge von nebenan mit den leicht rötlichen Haaren und den haselnussbraunen Augen. Ich traue mich zu Drew zu sehen. Er hat sich ein hautenges weißes Shirt übergezogen und greift gerade nach der Jeans und dem Gürtel, der aufgerollt darauf liegt. Das gemeinsame Umziehen bin ich mittlerweile gewöhnt, aber ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass es mir leichtfällt. Ich senke den Blick und konzentriere mich darauf, mich selbst aus- und anzuziehen. Das macht es etwas einfacher. Ganz besonders, wenn Drew nur in Unterhose vor mir steht.

Amy werkelt bereits an Leos grau gefärbten Haaren herum und als sie meinen Blick bemerkt, lächelt sie. Ich mag sie sehr gerne, besonders ihre blauen Haare. Sie und ihr Kollege Jesse sind eigentlich immer mit uns auf Tour. Mit Sicherheit ist Jesse bereits in der Halle, wo heute Abend die Fernsehgala stattfindet. Amy kommt auf mich zu, nachdem ich mich in das eng anliegende Poloshirt gequetscht habe. Es muss ja einen Grund haben, dass uns das Management so strickt auf Diät hält. Sie kaufen die Klamotten immer eine Nummer kleiner.

»Du siehst mit der Beanie so kawaii aus!«, quietscht Amy und streicht mir über die Wange. Von unserer Tour durch Japan weiß ich, dass kawaii so viel wie »süß« oder »niedlich« heißt.

»Danke?« Unsicher sehe ich sie an. Ist das jetzt gut oder schlecht?

Amy lacht. »Das lassen wir so. Zumindest bis heute Abend, denn zum Anzug passt die nicht.«

»Ist vielleicht auch besser so, meine Haare nehmen mir das Schlafen im Flugzeug übel.«

Sie zwinkert mir zu. »Das bekommen wir schon hin.« Damit geht sie weiter zu Shane. Der Bus fährt an und ich finde sofort mein Gleichgewicht wieder. Sehr gut, die Nachwirkungen der Tablette sind vorbei. Mike beginnt unseren aktuellen Nummer-eins-Hit »Loving your love« zu singen und ich stimme lachend mit ein.

»Ach, ich liebe es, wenn die Jungs das tun«, flötet Cassie fröhlich von vorne. »Meine Goldkehlchen.«

Mein Blick trifft den von Drew und er verdreht die Augen. Ich nicke ihm wissend zu und singe mit Mike weiter. Shane hebt die Hand an den Mund und beatboxt, bis auch Drew und Leo mit einstimmen. Der Flow zwischen uns stimmt. So viel ist klar. Ich liebe es, in dieser Band zu sein, wir harmonieren einfach auf eine ganz besondere Art und Weise. Schon immer war die Musik mein Leben, aber durch WrongTurn hat das alles erst so richtig Hand und Fuß bekommen.

Als wir beim Sender ankommen, ist meine Laune super. Vergessen sind der Flug und die Angst. Fröhlich springe ich aus dem Bus und gehe zu den kreischenden Mädchen, die mit Absperrungen vom Eingang ferngehalten werden.

»Tony, Tony, Tony«, hechelt eine und schafft es, mich am Arm zu packen.

»Ja? Ja? Ja?«, mache ich sie nach und lächele sie an, woraufhin sie die Hände vor den Mund schlägt, in Tränen ausbricht und hysterisch zu kreischen beginnt. Daran werde ich mich nie gewöhnen. Immer wieder frage ich mich, was wohl in den Fans vorgeht, wenn sie so reagieren. Ich meine, ich bin doch nur Tony. Ein ganz normaler Kerl, der zufällig singen kann. Das Mädchen drückt mir ihr Handy in die Hand, um ein Selfie zu machen. Als ich näher an sie heranrücke und das Telefon hochhalte, spüre ich überall Hände an mir. Diese Fotos werden selten besonders hübsch. Verheulte Gesichter und ich, der ein wenig verzweifelt guckt. Dennoch mache ich täglich gefühlte Hundert davon. Schon hält man mir das nächste Logo mit angebissenem Apfels vors Gesicht. Der Blitz lässt mich kurz die Augen schließen.

»Sorry, Tony!«, ruft der Fan gegen das Geschrei an.

»Jetzt bin ich blind«, scherze ich und fasse wahllos in die Masse von Mädchen vor mir. »Seid ihr noch da?«

Sie lachen und ich ergreife ein paar der Hände, die sich mir sofort entgegengestreckt haben. Dann schreibe ich fleißig Autogramme und mache Fotos. Irgendwie habe ich immer total Angst, dass ich jemanden vergesse oder dass ich eines der Mädchen enttäusche. Sie stehen hier vermutlich seit vielen Stunden herum und warten auf genau diesen Moment und wenn sie dann übersehen werden … Nein, das täte mir leid. Ich spüre Drew an meiner Seite. Dafür muss ich ihn nicht sehen, ich weiß, dass er sich mir nähert. Meine Sinne sind geschärft, überempfindlich, wenn es um ihn geht.

»Anton!«, kreischt eines der Mädchen vor mir ganz laut. Sie bemerkt, dass ich sie fragend ansehe. »Ist Anton wahr?«, traut sie sich mich mit ihrem deutschen Akzent direkt anzusprechen und läuft dabei tomatenrot an. Was ist das für eine merkwürdige Frage? Es muss wohl an der Übersetzung liegen.

»Nein, ich heiße wirklich nur Tony«, sage ich freundlich und sehe zu Drew, der konzentriert auf ein ausgedrucktes Foto in seinen Händen schaut. Sein Kopf hebt sich, er scheint den Fan vor sich etwas zu fragen, doch da fällt mir etwas oder besser gesagt jemand weiter hinten auf. Ein Mädchen steht abgedrängt von allen anderen weiter hinten und weint, während es versucht ein Bild von Drew zu machen. Das T-Shirt mit dem Logo unserer Band spannt um ihren fülligen Körper. Ich fühle mich sofort mit ihr verbunden, weil auch ich mir manchmal vorkomme, als stünde ich außerhalb. Besonders dann, wenn die Jungs über das Thema Frauen und Sex philosophieren. Bei beidem kann ich nicht mitreden. Ich sitze dann still dabei, fühle mich aber wie das Mädchen da hinten. Zurückgestellt und … ausgegrenzt. Der Fan tut mir leid. Verzweifelt kämpft sie damit, ihr Handy hoch genug zu halten, um doch noch irgendwie ein Foto zu bekommen. Ich sehe mich um, meine Augen suchen nach Ben, der immer noch am Nightliner steht. Er bemerkt sofort, dass ich seine Aufmerksamkeit suche, sagt etwas in sein Headset und kommt auf mich zu.

»Stimmt was nicht?«, fragt er direkt an meinem Ohr, damit ich ihn bei dem Geschrei überhaupt verstehe.

»Würdest du kurz mit mir um die Absperrung herumgehen?«

»Wieso?« Er sieht mich verwirrt an.

»Da hinten steht ein Fan, den ich gerne kurz drücken würde.«

Ben folgt meinem Blick und lächelt mich dann gutmütig an. »In Ordnung.« Er geleitet mich zum Bus und macht den Weg frei, damit ich mich hinter die Absperrung zwängen kann. Dabei schiebt Ben die Fans mit seinen Armen beiseite, die es sofort bemerkt haben. Ihnen allen habe ich schon Autogramme gegeben, deshalb sind sie auch recht friedlich, fotografieren jedoch wie verrückt. Ich höre nur aufgeregtes Kreischen und sehe lauter Blitze. Das weinende Mädchen, wegen dem ich das alles mache, schluchzt laut auf. Mit zitternden Händen hält sie ihr Handy fest und scheint erst gar nicht zu realisieren, dass ich wegen ihr da bin. Sie dreht sich um und schaut hinter sich, nur um mich dann wieder fassungslos anzustarren. Ich lege einen Arm um sie und gebe Ben ihr Smartphone. Sofort versteht sie und schlingt ihre Arme um meine Taille.

»Danke, Tony. Vielen Dank«, sagt sie auf Deutsch. Ich glaube sie bedankt sich bei mir.

»You're welcome.« Damit drücke ich sie noch einmal an mich und signiere unsere aktuelle CD, bevor mich Ben wieder zum Rest der Band zurückmanövriert. Hinter der Absperrung wartet Drew auf mich. Kopfschüttelnd lacht er mich an. Ich grinse, woraufhin er den Arm um mich legt.

»Du Engel«, meint er und zieht mich zu den Fans an der Absperrung. Dass ich nicht über meine eigenen Füße stolpere, grenzt an ein Wunder, denn es kommt mir vor, als hätte ich meinen Körper verlassen.

»ANTON!«, brüllt die Masse irgendwo hinter dem Rauschen in meinen Ohren. »ANTON!«

»Hier, schau mal«, meint Drew und lässt mich los. Er nimmt einem Mädchen ein blattgroßes Bild aus der Hand und hält es mir hin. Neugierig mustern mich seine blauen Augen. In ihnen steht geschrieben, dass sie nur zu gerne wüssten, was ich davon halte. Mit kalten, zitternden Händen nehme ich es entgegen und erstarre. Es ist ein Bild von Drew und mir. Doch ich kann mich nicht erinnern, wann das gewesen sein soll. Das geht mir oft so, immerhin werden täglich massenweise Fotos von mir geschossen. Doch dieses … Das wüsste ich. Das hätte sich mir ins Gedächtnis gebrannt. Ich grinse in die Kamera, neben mir steht Drew, der mir einen Kuss auf die Wange gibt. Wenn seine Lippen mein Gesicht berührt hätten, wüsste ich das.

»Photoshop«, meint Drew.

Ich gebe ihm das Foto zurück, bevor er merkt, wie sehr es in meinen Fingern zittert. »Aha.« C'mon, Tony. Dein Ernst? Aha?! Ich beiße mir auf die Zunge, um meinen Verstand zu wecken.

»Wieso macht ihr so etwas?«, fragt Drew die Mädchen, die alle gleichzeitig antworten.

»Weil es kein echtes gibt«, höre ich die lauteste von allen sagen. Drew hat es auch vernommen. Mit hochgezogenen Augenbrauen sieht er von dem Fan zu mir.

O shit … Ich lese den Gedanken in seinen Augen, kann aber nicht so schnell reagieren wie er. Ehe ich mich versehe, hat er seine Hände an meinem Kopf und Nacken positioniert und zieht mich an sich. Seine Lippen landen auf meiner rechten Wange. Ich kneife die Augen zusammen, mein Herz setzt aus und das Rauschen in meinen Ohren wird lauter. Doch die Fans schaffen es trotzdem durchzudringen und ich befürchte einen Moment lang taub zu werden. Gleich nach dem Herzinfarkt, den ich gerade erleide. Oder ist es ein Schlaganfall? Drew lässt mich los, ehe ich mich entscheiden kann, was mich dahinraffen wird.

»Ich will die Bilder sehen!«, insistiert er. »Los, zeigt her.«

»Ich habe ein Video gemacht«, triumphiert eins der Mädchen, während ich wie gelähmt dastehe und Drew anstarre.

D-das … sein M-mund … Ich reibe mir mit der Hand über die Wange. Tu so, als würdest du dich ekeln!, ermahnt mich mein Verstand. Ich runzele die Stirn und sehe betreten zu Boden.

»Das ist ja furchtbar!«, gluckst Drew. »Tony, du guckst, als ob ich giftig wäre.«

»Was erwartest du?«, verteidige ich mich und versuche meine zitternden Beine unter Kontrolle zu bekommen.

»Das müssen wir noch mal machen«, meint Drew und winkt mich ein klein wenig gönnerhaft zu sich. Die Fans rasten aus. »Und dieses Mal lachst du gefälligst.«

Bevor ich protestieren kann, werde ich von hinten gepackt und fest gedrückt. Mikes Mund landet ungefähr dort, wo eben noch der von Drew gewesen ist. Erst will ich schreien, doch dann entscheide ich mich erschöpft zu lachen. Was soll's … Offensichtlich wollen wir uns hier zum Affen machen.

»Siehst du«, sagt Mike zufrieden und lässt mich los. »So geht das … Und schon lacht unser süßer Tony.« Er klopft Drew auf die Schulter, dessen merkwürdiger Blick mich durchleuchtet. Es sieht aus, als sei er … beleidigt.

»Haben wir jetzt genug Kiss-Tony gespielt?«, meckere ich und reibe mit meiner Schulter über die Wange.

»ANTON! WE WANT ANTON!«, kreischen die Fans.

Fragend sehe ich die Mädchen an. Ich stehe doch hier?! Sie machen Kussmünder und deuten auf Drew, der seine gute Laune wiedergefunden zu haben scheint.

»Genug geknutscht!«, ruft Cassie. »Rein mit euch!« Mit vor Wut funkelnden Augen sieht sie Drew an, der mit der Schulter zuckt. Was ist hier los? Leo zupft an mir und ich folge ihm in das klimatisierte Gebäude. Ich merke so etwas immer sofort, weil mir die Temperatur meistens zu kalt ist. Ein Schauer durchfährt mich. Zwanzig Grad sind mir zu kühl, ich friere sofort.

»WrongTurn!«, quietscht eine überschwänglich grinsende Frau im langen Hippiekleid. »Welcome to Radio Vienna!« Sie führt uns in einen Raum, von dem aus man die beiden Moderatoren sehen kann. Ein rotes Licht zeigt an, dass sie gerade auf Sendung sind. Es ist eine Frau, schätzungsweise Mitte dreißig mit blond gelockten Haaren, und ein Mann, etwas jünger als seine Kollegin, der wie ich eine Beanie auf dem Kopf trägt. Sie winken uns zu und wir hören über den Deckenlautsprecher, dass sie den Zuhörern berichten, wer gerade ins Studio gekommen ist. Die Frau mit dem Hippiekleid macht uns auf ein Buffet hinter uns aufmerksam. Mein Magen knurrt und deshalb nehme ich mir etwas, das wie ein süßes Gebäckstück aussieht. Es liegt in einer kleinen Schale mit, wie ich vermute, Vanillesoße.

»That's a Wäschermädel«, erklärt mir die Frau.

Ein was bitte?

»Waaschermedal!?«, versuche ich zu wiederholen, woraufhin alle lachen. Ich grinse und beiße hinein. Mmmmh … Es ist warm und da ist Marzipan drin. Was immer es ist, es schmeckt köstlich. Drew hat sich ebenfalls dafür entschieden, nachdem er genau beobachtet hat, wie ich es probiere. Vielleicht wollte er sichergehen, dass ich es nicht angeekelt ausspucke oder wie Schneewittchen nach dem Biss in den vergifteten Apfel aus den Latschen kippe. Falls das tatsächlich passiert, ist allerdings bestimmt nicht das Waesch-Dings schuld. Drew hat mich geküsst. Meine Wange … aber die gehört ja auch zu mir. Erst jetzt, als die Anspannung ein wenig von mir abfällt, wird mir bewusst was gerade geschehen ist. Wie oft habe ich mir gewünscht ihm näher zu sein? Aber nicht so … Nicht als Belustigung. Nicht als Scherz. Mein Hunger ist verschwunden, auch wenn mein Magen nach wie vor knurrt. Am liebsten würde ich mein Essen wegstellen, doch meine Mutter hat mich dazu erzogen, meinen Teller leer zu essen. Also würge ich es herunter, während die Band ihre Scherze macht und Cassie um uns herumschwirrt wie ein Helikopter.

»Hey«, haucht Drew an mein Ohr.

Mein Herz setzt einen Schlag aus, als ich ihn ansehe. »Hey.«

»Sorry. Ich habe den Eindruck, das da draußen war dir unangenehm.«

»Nein, ich war nur … überrascht«, lüge ich. Na gut, es ist nicht total geflunkert. Überrascht war ich ja wirklich. So sehr, dass ich es nicht genießen konnte. Wobei mir das sicher geholfen hat, denn da waren jede Menge Handys auf uns gerichtet.

»Also alles gut?«

Diese Augen … ich …

»Tony?«

»Ja?«

»Alles gut zwischen uns?«

»Klar. Ja, wieso auch nicht?«

Drew runzelt die Stirn, will etwas sagen, doch wir werden zu den Moderatoren hereingebeten, die sich als Isabell und Michael vorstellen. Erst als ich ein Poster ihrer Nachmittagsshow im Zimmer sehe, weiß ich, welche Namen gemeint sind. Die Österreicher haben eine ulkige Art, sie auszusprechen. Ich setze mich ganz hinten auf den letzten Platz und betrachte das Mikro vor mir, während Drew und Mike sich scherzend neben mir niederlassen. Man erklärt uns kurz ein paar Dinge, dann beginnen Isabell und Michael auch schon mit der Vorstellung der Band auf Englisch und Deutsch. Ich sehe zu Drew, der mich angrinst. Fragend runzele ich die Stirn, woraufhin er anfängt, sich immer wieder mit der Spitze seiner Zunge in den Mundwinkel zu stoßen. Diese Aktion irritiert mich auf so vielen Ebenen, dass ich ihn nur noch anstarren kann. Die warmen, prickelnden Gefühle in meinem Schoß versuche ich zu ignorieren. Drew kichert leise und stößt mich vorsichtig an. Dann wiederholt er das mit seiner Zunge. Ich muss ihn ansehen wie ein Reh, das im Lichtkegel eines herannahenden Autos erstarrt ist. Schließlich rollt er mit den Augen, hebt die Hand und entfernt mir etwas aus dem Mundwinkel. Oh …

»Wir hatten einen etwas turbulenten Flug, aber ansonsten sind wir gut angekommen«, antwortet Leo auf eine Frage und erinnert mich daran, dass ich dem Gespräch folgen sollte. Leider werde ich jetzt das Bild von Drews Lippen nicht mehr los und ich spüre immer noch die Wärme seiner Hand an meinem Mund.

»Hat eigentlich jeder von euch innerhalb der Band eine Rolle zu erfüllen?«, fragt diese Isabell und grinst uns dabei an, als hätte sie uns gerade etwas Megaspannendes gefragt. Etwas, was wir nicht schon hundert Mal beantwortet haben.

»Es heißt ja, dass Leo der Ernste und Düstere ist«, kommt ihr Kollege zu Hilfe.

Ich sehe zu meinem Bandkollegen mit den schwarzen Klamotten. Das Image haftet an ihm.

»Shane ist der Surferboy«, raunt Isabell und lacht merkwürdig auf. Mit einem Zwinkern schweift ihr Blick weiter zu Mike. »Und du bist …«

»… der Chaot«, kommt ihr Mike zuvor und deutet auf Drew. »Er ist unser Bandleader und Tony der Spaßvogel.«

»Ich dachte, ich bin der Schwiegermutter-Traum«, werfe ich verwirrt ein und die Moderatoren lachen.

»Das bist du auch«, meint Shane und grinst.

»Eher ein Albtraum«, raunt Drew, weshalb ich ihm meinen Ellenbogen in die Seite ramme. »Aua!«

»Verdient«, sage ich laut ins Mikro.

»Jungs, Jungs«, gluckst Isabell. »Bitte nicht prügeln.«

»Das ist zärtliches Raufen«, korrigiere ich sie.

Mike stöhnt lasziv auf. »O ja, besonders zääärtlich … mit viel l'amour, wie man in Europa sagt.«

»Aber doch nur in Frankreich, du Baguette«, ziehe ich ihn auf.

»Wie läuft das so auf Tour?«, grätscht Michael ins Gespräch. »Streitet ihr euch auch mal oder ist es sehr harmonisch in der Band?«

»Es gibt immer mal Streit, wenn Menschen zusammen arbeiten«, antwortet Drew ernst. »Das ist, denke ich, ganz normal. So lange es keine Differenzen in wichtigen Dingen gibt, und das ist bei uns nicht der Fall, ist alles in Ordnung.«

»Worüber streitet ihr euch denn?«, hakt Michael weiter nach. Ich sehe zu Cassie, sie beobachtet die Moderatoren mit ernster Miene, aber sie kappt die Frage nicht ab.

»Wir versuchen Mike davon abzuhalten, Zwiebeln zu essen, wenn wir im engen Tourbus unterwegs sind«, werfe ich ein und versuche das Gespräch wieder auf die witzige Ebene zu ziehen.

Mike sieht mich mit großen Augen an. »Ey!«

Wir lachen und ich sehe, dass Cassie mir glücklich zunickt. Die Interviewfragen plätschern so vor sich hin, es kommt nichts, was mich groß aufhorchen lässt. Das meiste beantwortet Drew, während ich mir gestatte, ihn ein wenig von der Seite zu betrachten. Nachdem die Moderatoren durch sind, singen wir noch »Loving your love« a cappella und machen ein paar Bilder mit Isabell und Michael für die Website des Senders.

Auf dem Rückweg zum Bus haben wir keine Zeit mehr für Fotos oder Autogramme. Die Security schiebt uns durch die Massen und ich versuche mich darauf zu konzentrieren, dabei nicht über irgendetwas zu stolpern. Zurück im Tourbus nehme ich mein Handy in die Hand. Ben hat mir gesagt, dass wir jetzt zur Halle fahren, in der die Show aufgenommen wird. Es ist wohl nicht sonderlich weit von hier, trotzdem setze ich mich über zwei Sitze, lehne den Rücken gegen das Fenster und strecke die Beine aus. Drew geht an mir vorbei, das merke ich ohne aufzusehen, und auch der Rest der Band, Cassie und Bodyguards passieren meinen Sitz, ehe sich der Bus wieder in Bewegung setzt. Ich öffne Twitter, will sehen, ob die Kussbilder bereits die Runde machen. Und das tun sie … Wie versteinert starre ich auf Bilder von mir und Drew. Natürlich sind auch welche von mir und Mike dabei … sogar eins von uns dreien. Mike küsst meine Wange und Drew schaut muffig dabei zu. Ich lache und lese den Tweet.

Antonia LovesAnton @WrongHardcoreTurner99

Wer ist denn da eifersüchtig, @Drew_WrongTurn? #Antoninlove

Ich schnaube leise. Als ob Drew eifersüchtig wäre. Aber Moment mal, wieso der Hashtag? Das ist … merkwürdig. Ich scrolle weiter. Wieder ein Bild, dieses Mal Drew, der meine Wange küsst. Wann habe ich denn die Augen geschlossen? Jemand hat das Bild bearbeitet, es ist schwarz-weiß und mein Gesicht sieht fast entspannt aus.

Sara Smitty-Smith @Sarainlove95

Sie sind so was von verliebt. Da könnt ihr sagen, was ihr wollt #Antoninlove #IbelieveinAnton #TonyandAndrewforever

Mo… Moment mal … Ich setze mich erschrocken auf. Anton ist so ein Slash-Name, oder wie man das nennt, und steht für Drew und … mich? Wieso? Ich meine, woher wissen die … nein, können sie nicht, denn es ist ja nur bei mir wahr. Ist das Fanfiction? Ich muss da was falsch verstehen. Das kann nicht sein. Wieso sollte sich ein Fan wünschen, dass Drew und ich … Ich meine, was hätten sie davon? Die Mädchen da draußen wollen doch nicht mich an Drews Seite sehen. Nicht mal eine andere Frau, geschweige denn einen Kerl. Die akzeptieren nur sich selbst als potentiellen Partner. Nein, ich muss da was in den falschen Hals bekommen haben. Ob ich Cassie davon …? Meine Hände zittern und irgendwas sagt mir, dass ich das nicht mal zu Ende denken sollte. Nein, denn wenn es wahr ist und die Fans wirklich von etwas Wind bekommen haben … Mir schnürt es die Kehle zu. Cassie darf das nicht erfahren. In meinem Vertrag steht glasklar, dass ich nicht schwul sein darf. Meine Eltern haben ihn damals für mich unterschrieben, weil ich noch Minderjährig war, aber ich habe ihn an meinem achtzehnten Geburtstag mit meiner Unterschrift bestätigt. Da steht es jetzt: Ich bin nicht schwul. Etwas anderes wird nicht akzeptiert oder muss vertuscht werden. Es ist also besser, wenn ich sie gar nicht erst darauf aufmerksam mache. Mit feuchtkalten Fingern gebe ich im Suchfeld von Twitter den Hashtag Antoninlove ein. Ich schließe die Augen und bete, dass er nicht allzu verbreitet ist. Doch als ich die Lider wieder öffne, trifft mich fast der Schlag. Es gibt Unmengen von Beiträgen, Bildern, Seiten und Videos. Mein Herz pocht mir fast zum Hals heraus. Wie konnte mir das nur entgehen?

»Scheiße, ist dir schlecht?«, höre ich auf einmal Drew neben mir. Er schiebt mich beiseite und nimmt neben mir Platz. »Du bist ganz grün im Gesicht.« Voller Sorge scannen seine blauen Augen mich ab. »Tony?«

Er sollte es wissen, es betrifft schließlich auch ihn. Ich halte ihm stumm das Handy hin.

»Oh, du hast es entdeckt?«

»Du weißt davon?«, presse ich leise hervor, da Cassie durch den Bus läuft.

»Ja, das geht schon einige Zeit so.« Drew sieht aus, als täte ihm etwas weh. »Sorry, ich wollte dich damit nicht behelligen.«

»D-das … Die glauben wir, sind ein Paar!«

»Ich weiß.«

Hastig schalte ich das Display aus und stecke das Handy weg. Frei nach dem Motto: Was ich nicht sehe, ist auch nicht da. Scheiße … Wie konnte das passieren?

»Mach dir keinen Kopf, ja? Lass die Fans doch oder …«, er grinst mich vielsagend an und fügt total überzogen hinzu, »… findest du den Gedanken an eine Beziehung mit meiner strahlenden Existenz so furchtbar?«

»Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen«, sage ich scherzhaft und meine es doch bitterernst.

Kapitel 2

Wie paralysiert sitze ich im Anzug auf einem Stuhl, während Jesse mir die Haare stylt. Ich habe Drew und mein Handy konsequent ignoriert und lieber den neuen Song, den wir heute zum ersten Mal live performen werden, noch einmal verinnerlicht. Trotzdem ist da dieser dicke Klumpen in meinem Bauch und meine Gedanken drehen sich ständig darum, ob ich irgendwas falsch gemacht habe. Ich war immer so vorsichtig, habe mir kaum erlaubt Drew in der Öffentlichkeit anzusehen. Was ist, wenn ich auffliege? Nervös beginne ich meine eisigen Finger zu kneten. Meine Eltern bringen mich um. Nicht, dass ich noch auf sie angewiesen wäre, aber … sie sind erzkatholisch. Was eine gute Ausrede gegenüber meinen Bandkollegen ist, die mich immer wieder fragen, warum ich nicht mal ein Groupie mitnehme … Aber wenn es um meine Sexualität geht, ist es ein Hindernis. Meine Eltern waren letztens noch in der Zeitung, weil sie auf einer Demo für den Erhalt der traditionellen Familie waren. Für Cassie war das ein PR-Super-GAU und sie konnte verhindern, dass sich das groß verbreitet hat. Ich darf nicht schwul sein, aber ich darf natürlich auch nichts dagegen haben. Immer schön vage halten, was politische Themen angeht. Gott, meine Eltern würden kein Wort mehr mit mir reden. Ganz zu schweigen davon, was das mit meiner Karriere machen würde. Nein, was die Außenwelt angeht, bin ich der lustige Schwiegermutter-Traum. Meine Brust zieht sich kurz zu einem völlig lautlosen Lachen zusammen. Drew hat Recht, ich bin eher ein Albtraum.

»Wie weit ist er?« Mit diesen Worten kommt Cassie hereingerauscht.

»Fast fertig«, sagt Jesse, der ohne Wenn und Aber schwul sein darf. »Wir wollen doch, dass die Mädchen aus ihren Höschen springen.«

Cassie gluckst und stimmt nickend zu. »Wunderbar!« Damit rauscht sie davon.

»Ja, es geht mir gut und ich bin bereit«, sage ich vor mich hin, was meinen Stylisten zum Lachen bringt.

»Nimm es ihr nicht übel, sie ist im Stress.« Jesse fährt mir mit den Händen noch einmal durch die Haare. »Perfekt. Jetzt sieht es aus, als wäre es ganz natürlich so gefallen.«

»Super-natürlich … mit drei Litern Haarspray.«

Jesse verdreht lachend die Augen und winkt eine imaginäre Fliege weg. »Papperlapapp! Du siehst scharf aus.«

»Danke.« Ich lächele ihn an. Mann, wie ich ihn beneide.

»Und jetzt husch, husch zu den anderen.«

Ich nicke und spüre, wie mir sein Blick zur Tür hinaus folgt. Der Rest der Band hat sich bereits in einem Wartebereich nahe der Bühne versammelt. Drew ist in ein Gespräch mit Leo verwickelt, sieht aber kurz zu mir. Dann stutzt er und schaut erneut zu mir. Ich runzele fragend die Stirn, doch er lächelt nur und widmet sich wieder Leo. Merkwürdig. Habe ich einen Fleck auf dem Anzug oder warum guckt er so?

»Haaaallo!«, ruft Shane laut aus, als er mich sieht. »Tony, wann hast du Eier bekommen und bist zum Mann geworden?« Er pfeift und mustert mich von oben bis unten.

»Spinnst du?«, frage ich. »Du solltest dir heute Abend was fürs Bett mitnehmen, wenn du jetzt schon mir hinterherpfeifst.« So etwas hätte ein Hetero doch jetzt gesagt, oder? Ich richte den Anzug mit schwitzigen Händen. Er sitzt verdammt eng und wieso ist es hier drin so elendig heiß? Shane lacht und klopft mir auf die Schulter.

»Ruhig, Bro. Dein Arsch ist vor mir sicher.«

»Ich bitte drum.«

Blaue Augen bohren sich in meine und es sind nicht Shanes. Drew sieht zu mir herüber und ich kann in seinem Gesicht lesen, was er sagen will: Hör auf, einen auf Proll zu machen. Am liebsten würde ich ihn anbrüllen, ihm sagen, dass er doch weiß, was uns nachgesagt wird. Wieso macht er also nicht auf übermännlichen Platzhirsch? Vielleicht hat er das schon hinter sich gelassen? Immerhin weiß er schon länger davon. Oder – und das ist wohl am wahrscheinlichsten es juckt ihn nicht, weil er Hetero ist und sich deshalb keine Sorgen machen muss. Ich atme tief durch und versuche mich auf den Auftritt zu konzentrieren. Eine Frau vom Ton kommt und verkabelt mich. Ich helfe ihr und mache mir den In-Ear-Monitoring-Kopfhörer, durch den ich meine Stimme auch bei größtem Krach hören kann, selbst ins Ohr. Es ist mir immer unangenehm, wenn mir jemand am Ohr herumfummelt. In Gedanken gehe ich die Zeilen unseres neuen Songs durch und schließe die Augen. Auch die Jungs sind nun still geworden. Wie von selbst formen wir einen Kreis. Als ich die Augen öffne, warten sie nur noch auf meine Hände, die wir in der Mitte aufeinanderlegen.

»Ihr seid dran!«, ruft uns jemand zu. Ich sehe auf und treffe Drews Blick.

»Let's rock«, sagt dieser und schon höre ich, wie die Leute draußen unseren Bandnamen rufen. Die Musik setzt ein und ich renne hinter Mike hinaus. Das Kreischen der Fans lässt mich alles vergessen. Mein Körper scheint sich im Rhythmus und den Harmonien aufzulösen, als ich mir mein Mikro schnappe und zu singen beginne. Die Stimmen der Fans treiben mich zur Höchstform an und ich komme ohne Patzer durch meine Strophe. Im Refrain steigen die Jungs mit ein und ich sehe zu Mike, dessen schulterlange Haare von einer schwarzen Melone bedeckt sind. Scherzhaft stoße ich dagegen und sie rutscht ihm ins Gesicht. Ohne etwas daran zu ändern, beginnt er blind seine Strophe zu singen. Drew grinst mir vom anderen Ende der Bühne aus zu und Leo macht sich einen Spaß daraus, vor Mikes Gesicht herumzufuchteln. Tanzen ist nicht wirklich mein Ding, doch als ich sehe, was Shane da treibt, stelle ich mich dazu und mache mit. Gut, man kann es wohl nicht Tanzen nennen, wenn man mit verschränkten Armen dasteht und im Takt der Musik mit dem Fuß wippt und mit dem Kopf nickt. Wenn man es jedoch synchron zu zweit macht, hat es einen gewissen Unterhaltungswert und die Fans brüllen noch lauter. Mike hat seinen Hut wieder gerichtet und schickt die Band in den Refrain. Von der Nickerei ist mein In-Ear-Monitoring herausgeflogen und ich bringe es grinsend wieder an Ort und Stelle. Drew ist an der Reihe und die Massen rasten wie gewohnt aus. Er ist und bleibt der Liebling der Fans. Starr ihn nicht an, ermahne ich mich selbst und sehe stattdessen zu Leo und Mike, die sich an einem Walzer versuchen, der so was von gar nicht zur Musik passt. Eine Choreografie hatten wir noch nie. Keiner von uns ist ein Tänzer, also singen wir einfach und haben Spaß bei dem, was wir tun. Shane packt mich am Arm und wirbelt mich herum. Ehe ich mich versehe, hat auch er mich zu einem kleinen Tänzchen animiert. Doch dann … ein Knall, Drews Stimme bricht weg und mir rutscht das Herz in die Hose. Instinktiv weiß ich, dass etwas passiert ist. Shane und ich drehen uns alarmiert um. Während er anfängt, lauthals zu lachen, bin ich schon losgerannt. Drew ist über eine der Wedges gestolpert und voll aufgeschlagen. Diese kleinen, am Boden angebrachten Boxen sollen eigentlich Rückkopplungen zwischen Mikrofonen und Lautsprechern verhindern und nicht den Bandleader zu Fall bringen. Neben mir tauchen noch einige Stagehands und Securitys auf. Auch Cassie bahnt sich ihren Weg zu Drew, aber ich komme zuerst an.

»Hast du dir wehgetan?«, frage ich und zerre an ihm, um ihm aufzuhelfen. Drew sagt nichts, dreht sich nur ein wenig und setzt sich auf. Meine Augen weiten sich vor Schreck. Er blutet.

»Fuck«, fluche ich, als auch die anderen bei Drew ankommen.

»Tony«, presst Drew hervor, als er die Hand mit seinem Mikro sieht. Offensichtlich hat er es im Sturz gegen die Schläfe bekommen, denn es ist voller Blut, genau wie seine Hand, die jetzt heftig zu zittern beginnt.

»Ja?« Verdammt, ist er orientierungslos? »Du hast dir den Kopf aufgeschlagen«, informiere ich ihn und sehe mich nervös um. Warum tut denn keiner etwas.

»Tony …«, wiederholt er nur meinen Namen und es geht mir durch Mark und Bein. Ich spüre Mike hinter mir. Er sagt etwas, doch mein Sichtfeld hat sich verengt. Ich sehe nur noch Drew.

»Das muss genäht werden«, dringt eine fremde Stimme zu mir durch.

»Tony