Julie von Bismarck

Reitsport

 Auf dem Rücken des Pferdes






 

Danksagung

Ich danke meiner Großmutter, welche mir ihre Liebe zu Pferden vererbte und mir ein Vorbild war für Disziplin, Respekt und Fairness im Umgang mit dem Pferd. Ich danke den Pferden selbst, die mich so vieles gelehrt haben. Und ich danke meinem Ehemann, ohne dessen unendliche Geduld, Ermutigung und Unterstützung ich wohl nicht eine einzige Zeile zu Papier gebracht hätte.




 

Einleitung


Wahrscheinlich beeinflusst und prägt die Art und Weise der ersten Begegnungen mit Pferden und dem Reitsport die eigene Einstellung: Die ersten Vorbilder und Lehrer, die ersten guten oder nicht so guten Erfahrungen die man mit Pferden macht. In meinem Fall erfolgte diese Prägung durch die Pferde meiner Großeltern und, in einem ganz besonderen Maße, durch meine Großmutter selbst.

Die Art und Weise wie in unserer Familie mit den Pferden umgegangen und über sie gesprochen wurde erweckte in mir immer das Gefühl, unsere Pferde seien etwas sehr Besonderes. Sie wurden mit großem Respekt und großer Sorgfalt behandelt und sie reiten zu dürfen war eine Ehre und ein Privileg, zumindest kam es mir als Kind so vor. Die Reiterei war jeden Tag wieder ein Ereignis und wenn ich zu den Glücklichen zählte, die auf den blank geputzten Pferden vom Hof reiten durfte, erfüllte mich das mit Stolz.

Das Wohl der Pferde kam buchstäblich an erster Stelle: Vor dem Frühstück mussten stets und ohne Ausnahme zuerst die Pferde gefüttert und auf die Weide gebracht werden, wo sie bei jedem Wetter von morgens bis abends den Tag verbrachten. Heu und Stroh machten wir selbst und zwar nur unserer Pferde wegen. Hätte es keine Pferde gegeben, hätte man sich diese Arbeit erspart. Eine ganze Menge Arbeit war das - aber es waren jedes Jahr freudige und ereignisreiche Tage: Alle halfen mit und selbst mein Großvater, der sonst eher an seinem Schreibtisch zu finden war, fuhr mit dem Trecker und dem Heuwender auf die Wiese oder den Acker. Wir pressten Heu und Stroh in kleinen Ballen, die zu einem großen Fuder auf dem Anhänger gestapelt wurden und wenn ich dann ein ganzes Fuder gestapelt hatte und in schwindelerregender Höhe auf selbigem zurückfuhr, war ich sehr zufrieden: Ich hatte das Gefühl, unseren Pferden mit dieser Arbeit etwas zurück zu geben für all die Freude, die sie uns das Jahr über schenkten.

Die Boxen wurden mit Roggenstroh eingestreut und jeden Morgen, sobald die Pferde auf der Koppel waren, nach sehr strengen Regeln gemistet.

Gefüttert wurde ein aufgeschüttelter, lockerer Haufen Heu und es gab Hafer, wobei die Futterration stets dem Arbeitspensum und dem Stoffwechsel des jeweiligen Pferdes angepasst wurde.

Es wurde darauf geachtet welches Pferd am besten in welcher Box aufgehoben war, zum einen, weil sich einige Pferde einfach nicht gut vertrugen, zum anderen, weil manche Pferde beispielsweise in einer Box am Eingang sehr nervös waren, weiter hinten im Stall jedoch ruhig und zufrieden.

Alle Pferde galten als Remonten bis sie sieben Jahre alt waren. In dieser Zeit wurden sie nur mit dem Einmaleins des Umgangs und mit der Basisarbeit vertraut gemacht.

Jedes Pferd wurde über viele Jahre nach der Skala der Ausbildung und den Regeln der alten Reitlehre aufgebaut und gekräftigt und niemand wäre auf die Idee gekommen, an ein Pferd zwischen drei und sechs Jahren irgendeine höhere Anforderung zu stellen.

Im Gegenteil: die jungen Pferde wurden nur in Begleitung erfahrener Führpferde mit neuen Herausforderungen bekannt gemacht und stets mit Ruhe und Geduld behandelt. Erwünschtes Verhalten wurde gelobt, unerwünschtes Verhalten ignoriert.

Reelles vorwärts-abwärts-reiten war auf allen Pferden zu Beginn und am Ende einer jeden Arbeit Pflicht, genauso wie das Kühlen der Pferdebeine nach dem Reiten mit einem Wasserschlauch.

Bis wir eine entsprechende Körpergröße erreicht hatten, mussten wir Kinder mit einer Filz-Schabracke und einem Gurt vorliebnehmen - denn niemand wäre auf die Idee gekommen, einen extra Kindersattel zu kaufen.

Wir Kinder mussten also ohne Sattel dieselben Ausritte mitmachen, die die Erwachsenen mit Sattel absolvierten.

Bei langen Trabstrecken konnte das schon hin und wieder gehörige Seitenstiche hervorrufen und ich persönlich war immer sehr erleichtert, wenn endlich galoppiert wurde.

Das war ein Grund warum ich nicht so furchtbar gerne mit ausritt, wenn mein Großvater auch von der Partie war: der hatte nämlich ganz offenbar eine Abneigung gegen das Galoppieren und trabte stattdessen stundenlang.

Diese langen Ausritte ohne Sattel waren also nicht immer angenehm, hatten allerdings einen entscheidenden Vorteil: wir Kinder lernten extrem schnell, sicher und von der Hand unabhängig zu sitzen, mit der Bewegung mit zu gehen und: oben zu bleiben.

Da wir nur ein einziges Pony hatten aber viele Cousinen waren (die Cousins waren nicht so erpicht darauf, zu reiten...), ritten wir von Anfang an auch die Großpferde.

Jeder der reiten wollte musste selbstverständlich auch selber putzen, satteln und trensen und eine Hannoveranerstute meiner Großmutter machte sich einen Spaß daraus, jedes Mal, wenn eines von uns Kindern sie auftrensen wollte, den Kopf wie eine Giraffe so hoch es ging in die Luft zu halten. Wenn wir dann unsere Großmutter um Hilfe baten, hieß es: „Wenn du das Pferd nicht selber auftrensen kannst, bist du wohl noch zu klein, um es zu reiten.“

Also holten wir uns Strohballen und Zuckerwürfel und schafften es dann nach etlichen Versuchen und gutem Zureden doch irgendwie, dem Pferd die Trense über die Ohren zu streifen.

Das Lustige an dieser Stute war: sobald man ungeduldig wurde oder laut oder ungehalten, war es vorbei. Dann blieb der Kopf definitiv außer Reichweite und sie drehte sich weg. So lernten wir bereits als Kinder ein Pferd ohne Zwang zu überzeugen, denn Gewalt hätte uns in dieser Situation nicht weitergeholfen.

Alle unsere Pferde waren robust, selbstbewusst und wehrhaft und somit die perfekten Lehrmeister, um uns zu vermitteln, dass Zwang und Druck im Umgang mit dem Pferd nichts weiter erzeugen als Gegendruck und Abwehr.

Der Reitunterricht war streng und fordernd. Reiten ohne Bügel und Zügel (auch beim Springen) sowie Reiten ohne Sattel und Sitzübungen an der Longe waren Teil des ganz normalen Unterrichts. Genauso wie Geländeritte, querfeldein, bergauf und bergab zu galoppieren und in Gruppen hinten, vorne oder in der Mitte zu reiten.

Wir ritten mit einer einfachen Trense, einem normalen Wassertrensengebiss oder, wenn Reiter und Pferd entsprechend weit ausgebildet waren, auch hin und wieder auf Kandare.


Scharfe Gebisse, „Zungenstrecker“ oder Schlaufzügel gab es (bei uns) nicht.

Das einzige „Hilfsmittel“ das wir als Reiter hatten war unser Können und jeder Fehler der passierte, wurde immer und ausschließlich beim Reiter gesucht: Entweder hatte der Reiter falsch eingewirkt oder er hatte das Pferd nicht korrekt ausgebildet. Punkt.

Zeigte ein Reitschüler beim Reiten unfaires Verhalten dem Pferd gegenüber, das galt auch für die Reitschulen in denen wir außerhalb der Ferien Unterricht nahmen, musste er sofort absteigen, das Pferd dem Trainer übergeben und durfte eine lange Zeit nicht mehr reiten, damit er lernte, sich zu beherrschen.

Jedem Reiter wurde ein Mindestmaß an Wissen über das Wesen des Pferdes vermittelt, über seine Bedürfnisse und seine Besonderheiten. Wir lernten aus unseren Fehlern und unseren Erfahrungen: So war mir selbst beispielsweise sehr früh klar, wie wenig die Masse und die Kraft eines Pferdes darüber aussagen, wie sensibel es tatsächlich ist oder wie einfach oder schwer es zu reiten ist. Ich persönlich bin noch nie so oft von irgendeinem Pferd gefallen, wie von unseren Shetlandponies! Dafür waren einige der schwersten und größten Pferde, die ich kennenlernte, die mit Abstand klügsten, vorsichtigsten und empfindlichsten.

Ebenso hatte ich schon sehr früh verstanden, dass ein Pferd welches in den Flucht- oder Kampfmodus gerät, für sich selbst, seinen Reiter und alle in seiner Umgebung lebensgefährlich sein kann. Es war mir bald klar, wie wichtig das Vertrauen des Pferdes daher für jeden Reiter ist und wie wichtig es umgekehrt für das Pferd sein muss, seinem Reiter vertrauen zu können.


Manche Reiter ritten ab und an Turniere, weil sie sich mit anderen Pferd-Reiter Paaren in fairem Wettkampf messen wollten. Es ging dabei um die Freude an der Leistung von Reiter und Pferd, Respekt und Kameradschaft. Aber die Zahl der Menschen, die mit dem Reitsport ihren Lebensunterhalt bestritten, war eher gering.

Dieses (mein) Bild von Reitsport, Umgang mit dem Pferd und Pferdehaltung scheint heute leider eher die Ausnahme zu sein.

In den meisten Ställen, in die ich in den letzten Jahren gekommen bin, stehen die Pferde circa achtzehn bis dreiundzwanzig Stunden am Tag in vergitterten Boxen.

Es wird keinerlei Aufmerksamkeit darauf verwendet, ob die Boxennachbarn sich verstehen oder die Pferde sich in den ihnen zugeteilten Boxen wohl fühlen.

Dafür läuft in fast jedem Reitstall mindestens ein Radio - vielleicht herrscht der Glaube, man könne damit Weidegang und persönliche Zuwendung ersetzen, vielleicht läuft es auch nur für die Reiter und Pfleger. Pferde hören fast doppelt so gut wie Menschen und können ihre Ohren nicht verschließen, es ist also sehr wahrscheinlich nicht besonders angenehm für sie, den ganzen Tag einer solchen Geräuschkulisse ausgesetzt zu sein.

Aber einmal ganz abgesehen davon: was soll denn das? Es ist ein Pferdestall und jeder, der sich dort aufhält, sollte der Pferde wegen dort sein und nicht, um Radio zu hören.

Mir ist es völlig unerklärlich wie man ein Radio dem Geräusch zufrieden schnaubender, Heu fressender Pferde vorziehen kann.


Viele Pferde kommen tatsächlich gar nicht auf die Weide und die allermeisten nur für wenige Stunden am Tag. Für viele Reiter scheint ein Paddock oder eine Führmaschine ein adäquater Weide-Ersatz zu sein. Ich höre nicht selten Sätze wie: „Der war heute schon draußen, der war in der Führmaschine/auf dem Paddock.“

Pferde werden ohne Begrüßung aus der Box gezogen und ohne ein Wort mit ihnen zu sprechen, „fertig gemacht“.

Dabei werden die Nasenriemen der Reithalfter so fest wie irgend möglich angezogen, in der irrigen Annahme, das Pferd dadurch besser kontrollieren zu können.

Im Reitunterricht geht es häufig nicht mehr um Disziplin und das Erarbeiten der Fähigkeiten des Reiters, sondern um Lektionen.

Reiten an der Longe, Sitzübungen, Reiten ohne Sattel oder gar nur mit Halfter und Strick findet eigentlich nicht statt. Relevantes Wissen über das Wesen und die Besonderheiten des Pferdes wird kaum noch vermittelt, dafür scheint die Zahl der Besserwisser, die sich ungefragt in die Belange der anderen Reiter einmischen und zu allem einen Kommentar abgeben zu müssen glauben, in den Reitställen enorm zugenommen zu haben.

Etliche Reiter reiten das ganze Jahr über in der Halle, häufig mit der erschreckenden Begründung, das Pferd sei draußen zu wild. Dabei besteht ihr Training in der Regel aus dem undurchdachten Reiten möglichst vieler Lektionen oder Sprünge und zwar unabhängig davon, ob und auf welchem Niveau an Turnieren teilgenommen wird: Viele Reiter, die gar nicht auf Turnieren reiten, wollen trotzdem als ambitioniert wahrgenommen werden, als jemand, „der reiten kann“ und für etliche unter ihnen definiert sich das offenbar darüber, dass „das Pferd am Zügel geht“, möglichst hoch springt oder möglichst schwierige Dressur-Lektionen zeigt.

So sehe ich nicht selten Menschen, die meiner Meinung nach eigentlich erst einmal ohne Sattel an die Longe gehören würden, auf schweißgebadeten Pferden mit angstverdrehten Augen im Hasengalopp einen „fliegenden Wechsel“ nach dem anderen reiten.


Pferde werden mit Schlaufzügeln, scharfen Gebissen und den schmerzhaftesten Maßnahmen unterworfen und zu Leistungen gezwungen, im heimischen Reitstall genauso wie auf Turnieren. Da sich kaum noch jemand die Zeit nimmt, Pferde und Reiter gewissenhaft auszubilden und auf die anstehenden Aufgaben vorzubereiten, wird die mangelnde Ausbildung von Reiter und Pferd einfach über Sporen, Gerten, scharfe Gebisse und Zäumungen „kompensiert“.

Reiter bestrafen ihre Pferde für Fehler, die sie selber verursacht haben, ziehen die Kandarenzügel bis zum Anschlag fest, während der Trensenzügel durchhängt und reiten Pferde in „Rollkur“. Niemand rügt sie dafür, nicht einmal auf Turnierplätzen wird ein solches Verhalten in der Regel geahndet.

Junge Pferde müssen schon drei und vierjährig an Turnieren teilnehmen und sich verhalten, als seien sie erwachsen. Etliche Pferde werden nicht als Freunde und Partner angesehen, sondern einfach ausgetauscht, sobald es schwierig wird oder sie kaputt geritten wurden.

Das Bild der Pferdehaltung und Reiterei hat sich definitiv verändert. Es ist daher wahrscheinlich, dass ein großer Teil der heutigen Reiter, einen ganz anderen ersten Eindruck vom Reitsport bekommen hat, als ich und somit eine ganz andere Prägung.


Ich befürchte, für die Pferde und den Ruf des Reitsports geht diese Prägung in eine unheilvolle Richtung.

In den zwanzig Jahren meiner internationalen Tätigkeit als Pferdeosteopathin und Akupunkteurin habe ich sehr viele Fragen beantwortet. Die Frage, die mir in Deutschland mit Abstand am häufigsten gestellt wurde, war: „Sagen Sie, Frau von Bismarck, täuscht das, oder sind die Pferde heute anfälliger und häufiger krank als früher?“

Die Antwort ist: nein, es täuscht nicht. Die Pferde von heute haben definitiv mehr stressbedingte Erkrankungen, Verschleiß und Blockaden als früher. Allerdings liegt das nicht an den Pferden, sondern an den Veränderungen, die der Reitsport in den letzten Jahren durchlaufen hat.

Galt Reiten zur Zeit meiner Kindheit und Jugend noch als eher elitärer Sport, der mit großem finanziellen und zeitlichen Aufwand verbunden war und daher nur von wenigen Menschen als Hobby betrieben wurde, bezeichneten sich nach Informationen auf den Seiten der Deutschen Reiterlichen Vereinigung* nur in Deutschland im Jahr 2016 3,89 Millionen Menschen (* www.pferd-aktuell.de/fn-service/zahlen--fakten/zahlen--fakten)über 14 Jahre als Reiter. Wenn man also die reitbegeisterten Mädchen unter 14 Jahren mitzählen würde, käme man wahrscheinlich leicht auf das Doppelte. 1,25 Millionen Befragte gaben an, den Sport intensiv zu betreiben.

Naturgemäß stieg im Zuge dieses „Reit-Booms“ auch die Zahl der Reitställe, Reitlehrer und Pferdeverkäufer. Und so wuchs der vorher recht unbedeutende, weil kleine, Markt zu einem Wirtschaftszweig heran, der sich sehen lassen kann:

Laut Informationen der Deutschen Reiterlichen Vereinigung beträgt der Jahresumsatz in der deutschen Pferdewirtschaft circa 6,7 Milliarden Euro pro Jahr*, ein Betrag, der irgendwie erwirtschaftet werden muss. Züchter, Pferdehändler, Bereiter, Trainer, Pensionsstallbetreiber, Hersteller von Reitausrüstung, Sattler, sind alle Teil dieses Wirtschaftszweiges und die weitaus größte Zahl von ihnen ist sehr wahrscheinlich nicht Teil der Pferdewirtschaft, weil sie Pferde so sehr lieben, sondern weil sie ihren Lebensunterhalt damit verdienen.

Und hier setzen die Veränderungen ein: Um den Reitsport möglichst jedem zugänglich zu machen und dabei die Profitabilität nicht aus den Augen zu verlieren, wurden die früher geltenden Regeln für Pferdehaltung und Ausbildung von Reiter und Pferd vereinfacht.

(* www.pferd-aktuell.de/fn-service/zahlen--fakten/zahlen--fakten)

Eine Maßnahme, die es viel mehr Menschen ermöglichte, Reiter zu sein, welche gleichzeitig jedoch zu Lasten des Wohlergehens der Pferde geht.


Ich habe viele Ställe gesehen, in denen früher, sagen wir im Jahr 1990, zwölf Pferde untergebracht waren, in denen im Jahr 2017 dreißig bis vierzig Pferde stehen, ohne mehr Platz, mehr Weidefläche oder mehr Personal zur Verfügung zu haben. Es gibt Stallbetreiber, welche die fehlenden Weideflächen mit dem Kommentar erklären, Weidegang sei vollkommen überflüssig, die Pferde würden davon ohnehin nur zu fett und weniger leistungsbereit. Stattdessen sollten die Kunden ihre Pferde lieber in die neue Führanlage bringen lassen, gegen einen kleinen Aufpreis.

In etlichen Ställen wird das Ausmisten heute von ungelernten Hilfskräften und daher mangelhaft erledigt, weniger Einstreu verwendet und Heurationen gekürzt, um den Betrieb einigermaßen profitabel zu halten.

Im Reitunterricht scheint es heute in vielen Fällen fast nur noch darum zu gehen, den „Kunden“ zufrieden zu stellen. So werden auch Menschen, denen eigentlich jedes Talent fehlt oder die sogar Angst vor Pferden haben, jeden Tag oder jede Woche wieder unterrichtet, sogar ohne je einen echten Fortschritt zu erzielen, was im Zweifel Ehrlichkeit erfordern würde und in der Folge zum Verlust dieses Kunden führen könnte.

Solche Reitschüler bekommen dann stattdessen einen Maßsattel mit dicken Pauschen, die das Bein in die richtige Position drücken und Schlaufzügel oder scharfe Gebisse in die Hand, damit sie das Pferd trotz mangelhafter Ausbildung und Fähigkeiten kontrollieren können.

Im Grunde kann heute jeder erfolgreich an Turnieren teilnehmen oder Pferde halten und Reiter sein, unabhängig davon ob er selbst auch nur ansatzweise eine fundierte Ausbildung über Pferde und Reiten erhalten hat. Er braucht nur das entsprechend „funktionierende“ Pferd.

Der Turniersport ist für alle diejenigen, die ihr Geld mit dem Reit-/Pferdesport verdienen, ein außerordentlich wichtiger Wirtschaftsfaktor geworden. Im Jahr 2016 betrug alleine die Summe der Geldpreise aller registrierten Turnierveranstaltungen in Deutschland laut FN knapp 32 Millionen Euro.* So werden Pferde jedes Wochenende auf Turniere gefahren und durch so viele Prüfungen wie möglich geritten und da nur der Gewinn einer Prüfung oder eine vordere Platzierung etwas einbringt, werden die Pferde auf die Schnelle „rund“ gemacht, zum Beispiel durch die sogenannte „Rollkur“, und „frisch“ gemacht, indem sie mutwillig in eine erhebliche und künstliche Spannung versetzt werden.


Diese Vorgehensweisen gucken sich etliche Reiter, auch ohne Turnierambitionen, ab und so setzt sich der unheilvolle Kreislauf fort:


Jedes Bild von Wettkämpfen, auf deren Abreiteplätzen unter Hochspannung gesetzte Pferde in „Hyperflexion“ geritten und „durchgestellt“ werden, weiß nass geschwitzt aus Prüfungen kommen und diese dann möglicherweise auch noch gewinnen, ist ein falsches Bild zu viel.

Jedes Bild von Reitern, die mit schärfsten Zäumungen, Zungenstreckern und Hilfszügeln durch den Parcours jagen, dabei vorne ziehen und hinten mit der Gerte hauen, ist ebenfalls ein falsches Bild zu viel.

Diese Bilder spiegeln nichts von dem wider, was ich mit dem Reitsport verbinde und was Reiten für mich bedeutet.

Aber solche (Vor-) Bilder führen dazu, dass eine breite Mehrheit unter den Reitern so etwas als normal empfindet und es in der Folge ebenso handhabt.

Es ist eine unheilvolle Entwicklung welche Bilder heutzutage als Abbild höchster Dressurkunst gelten: gestresste, angespannte Pferde, denen die Adern im Gesicht und auf der Nase gestaut sind, weil die Nasenriemen so fest verschnallt wurden, deren Nüstern weit aufgebläht sind, weil sie aus dem gleichen Grund nicht genug Sauerstoff atmen können, bei denen während der gesamten Prüfung die Kandaren auf Hochspannung anstehen, deren Vorderbeine bis über die Waagerechte hinaus in die Luft geworfen werden, deren Rücken sich aber nicht bewegen.

Es ist eine unheilvolle Entwicklung, welche Bilder heute im Gegenzug Erstaunen und Skepsis hervorrufen:

Zum Beispiel wenn ein Reiter denselben Parcours mit Wassertrense und einem normalen englischen Reithalfter fehlerfrei überwindet, den die dreißig Starter vor ihm mit hauchdünnen Gebissen, Aufziehtrensen und Springkandaren plus zusätzlichem Hackamore und Zungenstrecker mit Ziehen und Stechen hinter sich gebracht haben.


Es kann doch einfach nicht richtig sein, dass es heute als vollkommen selbstverständlich gilt zu derartigen „Hilfsmitteln“ zu greifen, nur weil man nicht in der Lage ist sein Pferd auf Wassertrense und mit normalem Reithalfter unfallfrei durch einen Parcours der jeweiligen Klasse zu reiten.

Wenn ein Parcours von 80% der Teilnehmer mit extrem scharfen/schmerzhaften Zäumungen bestritten wird, sollte sich doch die Frage stellen, ob vielleicht das Springen zu schwer aufgebaut worden ist oder aber, ob die Reiter und Pferde nicht sorgfältig und gewissenhaft genug ausgebildet wurden und daher der Aufgabe schlicht nicht gewachsen sind.


Zusammenfassend kann man sagen: Ein Pferd auszubilden dauert heute nur noch einige Monate statt Jahre. Das Pferd muss ja bereits drei- und vierjährig so viel wie möglich auf Turnieren starten, damit es „das Scheckheft voll hat“, denn nur dann ist es auf dem Markt etwas wert.

Um Platzierungen zu gewährleisten, werden die Pferde von Anfang an unter Spannung „oben ran“ geritten, damit die Bewegungen möglichst spektakulär aussehen.

Anstatt es mit Ruhe und durchdacht zu gymnastizieren und zu kräftigen, wird also eine falsche Spannung in das Pferd hinein geritten, um möglichst schnell möglichst viel aus ihm herauszuholen. Diese Pferde denen die körperliche und mentale Stärke fehlt, um den an sie gestellten Anforderungen zu entsprechen, werden dauerhaft physisch und psychisch überfordert.


Dieses heutige vielerorts normale Vorgehen hat mit der Ausbildung und dem Training zur Gesunderhaltung des Pferdes wie es von der Deutschen Reitlehre vorgegeben wird nichts mehr zu tun. Es ist im Gegenteil eine reine Ausbeutung des Pferdes zum eigenen Vorteil. Dass diese Pferde erheblichen Schaden an Körper und Seele nehmen sollte wirklich niemanden verwundern.

Die Veränderung des Zuchtzieles der Pferdezüchter macht die Sache für das Pferd auch nicht besser, denn der Schwerpunkt hat sich verschoben: weg von den robusten aber nicht immer besonders hübschen Pferden mit den langen, geraden, unspektakulären Bewegungen, die wenig Verschleiß bei hoher Belastbarkeit bedeuteten, hin zu schön anzuschauenden, eleganten Tieren mit immer spektakuläreren Bewegungen sowie hoher Rittigkeit, sprich: einfacher Bedienbarkeit.

Selbstbewusstsein und Mut, was früher aufgrund der Kavalleriepferde in der Zucht essentiell wichtig gewesen war, wurde gegen Gehorsam und Gutmütigkeit / Duldungsfähigkeit eingetauscht.

Dafür gibt es heute immer mehr Bewegungsspielraum pro Bein. Je höher und weiter die Beine gehoben werden desto besser.

Solch „spektakuläre“ Bewegungsabläufe bringen jedoch eine deutlich höhere Anfälligkeit für Verletzungen mit sich und erhöhen die Gefahr von frühzeitigem Verschleiß.

Je mehr Bewegung ein Pferd hat, desto durchdachter und sorgfältiger muss es aufgebaut, gekräftigt und gearbeitet werden, jedoch ist das Gegenteil heute der Fall:

Je „einfacher“ ein Pferd ist, desto mehr muss es innerhalb kürzester Zeit leisten.

Ein dreijähriges Pferd sieht heute aus wie sechs, hat bereits den Bewegungsablauf und das Springvermögen eines Grand Prix Pferdes und versucht, seinem Reiter alles recht zu machen.

Das ist eine unheilvolle Kombination für das Pferd.

Die Pferde von heute mögen viel mehr Bewegung haben als früher und „einfacher“ sein. Sie mögen als Fohlen bereits aussehen wie Leistungssportler, aber ihr Wachstum dauert immer noch bis in das siebte, manchmal achte Lebensjahr. Ein Alter, in dem so manches „Wunderpferd“ heute schon wieder von der Bildfläche verschwunden ist.

Durch die Wandlung des Reitsports von einem Nischensport, der von seinen Anhängern vornehmlich aus Begeisterung für das Pferd oder vielleicht auch aus Prestigegründen betrieben wurde, hin zu einem Massensport, suchen etliche Menschen heute in diesem Markt ihr Auskommen.

Die Einsparungen oder Kompromisse, die zu diesem Zweck gemacht werden, gehen zu Lasten des Wohlergehens des Pferdes und der weitaus größte Teil dieses Geldes wird auf Kosten des Pferdes verdient.

Das Pferd mag heute weniger wehrhaft sein und sich mehr gefallen lassen als unsere Pferde früher, aber es ist in seinen Instinkten, seinem Wesen und seinem Organismus noch immer das gleiche Tier, das es früher war. Die Haltung des Pferdes zu vereinfachen und die Ausbildung von Reiter und Pferd zu verkürzen, ist daher ein Fehler.


Meine Antwort auf die oben gestellte Frage lautet:

Die Pferde von heute sind anfälliger und häufiger krank, weil sie nicht mehr artgerecht gehalten werden.

Weil sie viel zu früh viel zu viel leisten müssen.

Weil sie nicht mehr nach den alten Richtlinien, der durchdachten und aus Erfahrung gewachsenen Reitlehre schonend aufgebaut werden.

Weil Überforderung und falsche Belastung an der Tagesordnung sind.

Weil etliche Reiter nicht mehr umfassend und gründlich geschult werden und daher das nötige Können und Wissen fehlt, um ein Pferd so zu halten, zu trainieren und mit ihm umzugehen, dass es gesund bleibt und sich wohl fühlt.

Das Pferd ist trotz seiner Kraft und Größe ein außerordentlich sensibles Tier und es ist sehr leicht, ihm unwissentlich Schaden zuzufügen. Ich hoffe, durch die Weitergabe meiner ganz persönlichen Erfahrungen in diesem Buch, möglichst viele Reiter zu einem Umdenken veranlassen zu können.


1. Kapitel Haltung


 

WEIDEGANG


§2 Tierschutzgesetz



1. Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen,

2. darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden,

3. muss über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des

Tieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen.

Das möchte ich gerne so stehen lassen. Es stellt sich die Frage, wie es sein kann, dass in Deutschland in etlichen Reitställen ganz offensichtlich gegen dieses Gesetz verstossen wird, ohne Konsequenzen für die entsprechenden Ställe nach sich zu ziehen und die Erklärung ist simpel:


Während es für Rinder oder Schweine detaillierte Verordnungen gibt, die die Haltungsbedingungen der Tiere regeln, wurde beim Pferd auf solche besonders strengen Vorschriften

verzichtet und die für die Pferdehaltung bestehenden, können sehr unterschiedlich interpretiert werden.

Die gesetzlichen Vorgaben werden also von einer großen Anzahl von Ställen in einer Weise ausgelegt, die es ermöglicht die Pferdehaltung zu vereinfachen und somit Kosten zu sparen. Nun ist das Pferd als Lauftier jedoch in ganz besonderem Maße auf freie Bewegung angewiesen und um ein Pferd so zu halten, dass es gesund bleibt und sein ganzes Potenzial entfalten kann, braucht man sehr viel Platz und es macht sehr viel Arbeit.

Wie erwähnt hatten wir, und alle anderen Pferdehalter die ich kannte, früher entsprechend große Flächen mit Weideland, auf denen die Pferde ihre Tage verbrachten. Heute spielen Weideflächen offenbar keine große Rolle mehr in der Pferdehaltung, in etlichen Ställen, die mit vierzig Pferden belegt sind, stehen nur Weideflächen für maximal fünfzehn Pferde zur Verfügung. Oder gar keine. In der Folge kommen die allermeisten Pferde nur stundenweise oder gar nicht auf die Weide.

Dazu nur so viel: wenn man Weideflächen für maximal fünfzehn Pferde zur Verfügung hat, dann kann man eben nicht mehr als fünfzehn Pferde bei sich einstellen.

Es gibt sogar Reiter und Pferdebesitzer, die bewusst gegen das Tierschutzgesetz verstoßen, in dem sie ihre Pferde trotz vorhandener Möglichkeiten nicht auf die Weide lassen, mit der Begründung, das Pferd würde sich verletzen oder würde zu fett und sei dann nicht leistungsbereit.

Diese Art der Boxenhaltung ohne ganztägigen Weidegang ist einer der Hauptgründe, weshalb heutzutage so viele Pferde krank, anfällig und verhaltensauffällig sind.

„Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat... darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden“.

Um die „artgemäße Bewegung“ hier genauer zu definieren, stellen wir uns doch einmal ein Pferd in freier Wildbahn vor, denn auf dieses Leben sind alle seine Instinkte, sein Wesen, sein Organismus und sein Bewegungsapparat bis heute ausgerichtet:

Das Pferd wandert mit seiner Herde in gemächlichem Tempo mit gesenktem Kopf von einem Büschel Gras zum nächsten und stellt dabei abwechselnd jeweils ein Vorderbein vor. Auf vierundzwanzig Stunden verteilt frisst es etwa sechzehn Stunden lang und bewegt sich während des Fressens stetig vorwärts.

Auf diese Weise legt es zwischen fünfzehn und vierzig Kilometer am Tag zurück.

Wenn es den Kopf senkt, um zu fressen, gleitet der Unterkiefer nach vorne und stellt die Schneidezähne übereinander, um das Gras abrupfen zu können. Mit dieser Bewegung wird gleichzeitig Platz im Kiefergelenk geschaffen für die zur Zerkleinerung des Futters nötige Mahlbewegung.

Die Zunge schiebt das Futter im Maul beständig hin und her und das Zungenbein bewegt sich locker.

Das Nackenband wölbt durch den Zug nach vorne - unten die Wirbelbrücke auf und entlastet so den Rücken.

Durch dieses Anheben des Rückens wird zudem der Verdauungstrakt mit nach oben bewegt und bekommt auf diese Weise mehr Platz, was bei einer Darmlänge von etwa dreißig Metern durchaus nicht unbedeutend ist.

Die permanente Bewegung des Pferdes sorgt für eine optimale Blutzirkulation, alle Organe und Muskeln werden bestens versorgt und durchblutet, die Atemwege sind frei und weder durch Ammoniak noch durch Staub belastet.

Um lästige Insekten zu vertreiben, schlägt das Pferd mit dem Schweif locker nach rechts und links, zuckt an betroffenen Stellen mit der Haut und schlägt ab und an mit dem Kopf zu beiden Seiten. Es kratzt sich zwischendurch mit dem Hinterhuf am Ohr und wälzt sich ausgiebig im Sand oder im Schlamm. Vielleicht verweilt es an einem Baum und reckt sich so weit es kann, um an die kleinen grünen Zweige zu kommen. Es gräbt im Boden nach Salz oder sucht eine Wasserstelle und trinkt, bis zu sechzig Liter am Tag und am liebsten aus einer frei überschaubaren Wasserfläche.

In der Zeit, in der es nicht mit Nahrungs- und Wasseraufnahme beschäftigt ist, pflegt es seine Sozialkontakte in der Herde und spielt. Auch erwachsene Pferde spielen sehr gerne und viel und zwar meistens Fangen und eine Art Kampfspiel, was durchaus Sinn macht, wenn man weiß, dass der Flucht- und Kampfinstinkt der wichtigste des Pferdes ist.

Es krault sich mit anderen Pferden das Fell, hält Wache, döst oder schläft, die meiste Zeit im Stehen.

Bei trockenem, sonnigen Wetter legen sich, bis auf einen Wachposten, alle zusammen in die Sonne und dann auch sehr gerne flach ausgestreckt auf der Seite, da nur in dieser Position für das Pferd Tiefschlaf möglich ist.

In den kurzen Phasen dieses Tiefschlafes, der stets nur wenige Minuten dauert, schnarcht und „träumt“ das Pferd, wie es auch Hunde tun.

Auf vierundzwanzig Stunden verteilt schläft es ungefähr drei Stunden und zwar in mehreren kurzen Abschnitten. Das ist ein bisschen abhängig vom Wetter und auch von Pferd zu Pferd verschieden, Fohlen und junge Pferde schlafen generell deutlich mehr.

Zwischendurch muss das Pferd wahrscheinlich auch einmal fliehen oder kämpfen, was bedeutet, dass sich seine Herz- und Atemfrequenz kurzzeitig extrem erhöht und es seine ganze Kraft abruft und ausnutzt.

Es begegnet jeden Tag neuen Herausforderungen, läuft auf verschiedenen Böden, schwimmt durch Flüsse und hat hunderte unterschiedlicher Erlebnisse.

Betrachten wir im Vergleich dazu nun das Leben eines normalen Sportpferdes in Deutschland:

Es steht in einer 3x4 Meter „großen“ Box, die von Gitterstäben umgeben ist. Es wird überwiegend nicht darauf geachtet, ob das Pferd sich mit den Pferden neben ihm versteht, möglicherweise verbringt es also sein gesamtes Leben neben einem Pferd, das es permanent bedroht, in die Gitterstäbe beißt und an die Trennwand schlägt. Ein Umstand, durch den das Pferd in eine bedrohliche Situation und dauerhafte Anspannung versetzt wird. Die Pferde, die auf der Außenseite des Stalles stehen, haben „Glück“, sie haben Fenster, welche zumindest im Hochsommer offen sind, dann allerdings häufig auch nur tagsüber. Die kleinen Gitterfenster, die sich zur Stallgasse öffnen ließen, bleiben dauerhaft geschlossen.

Zur Begründung heißt es: „Der beißt mir die Tür von außen kaputt!“, „Der giftet aus der Box!“, „Wir binden hier zum Fertigmachen an, dann guckt der immer raus und stört!“ oder ähnliches.

Morgens kommt der schlecht gelaunte Ausmister (natürlich hat er schlechte Laune, er tut nichts anderes als Boxen auszumisten und wird im Zweifel sehr schlecht bezahlt) und brüllt das Pferd an, es solle gefälligst Platz machen.

Wo soll es denn hin, auf zwölf Quadratmetern? Er droht ihm mit der Forke, schlägt ihm vielleicht gar mit dem Stiel an die Beine oder den Bauch. (In etlichen Ställen wird morgens „ausgemistet“, während die Pferde in den Boxen stehen. Das ist schon wegen der Verletzungsgefahr eine schlechte Idee, darüber hinaus ist es jedoch schlicht nicht möglich, eine Box richtig zu misten, während ein Pferd darin steht. ) Siehe Tip „Boxen richtig misten“.

Die einzigen Höhepunkte des Tages sind die Fütterungen mit Heu und Kraftfutter. Wenn der Futterwagen kommt, wird das von ohrenbetäubendem Lärm begleitet. Das in die Metallkrippe auf Schulterhöhe gekippte Kraftfutter schmeckt dem Pferd so gut, dass es nicht abwarten kann, bis der Wagen bei ihm angekommen ist. Auch allen anderen Pferden geht es so. Sie beißen in die Gitterstäbe, schlagen mit voller Wucht mit den Hinterhufen an die Boxenwände, steigen und drehen sich wie wild in ihren Boxen. Schrille Schreie, Knallen von Pferdehufen an Wänden, wetzende Zähne an Gitterstäben, wenn man die Augen schließt, klingt es wie in einem richtigen Gefängnis.

Nach dem Fressen des Kraftfutters hat das Pferd ein kurzes Gefühl der Befriedigung, welches allerdings bald in extreme innere Anspannung umschlägt und es hibbelig werden lässt. Es hat das Bedürfnis, zu rennen und sich auszutoben, leider bekommt es dazu jedoch keine Gelegenheit.

Es wird stattdessen in eine Führmaschine gebracht, wo es zwischen zwei Gittern eingekeilt im Kreis laufen muss.

In vielen Fällen sind die Gitter zusätzlich mit Strom versehen. Alle paar Minuten findet ein Richtungswechsel statt, bei dem das Pferd innerhalb der circa zwei Meter breiten Gasse zwischen den Gittern umdrehen muss.

Dieses tut es so schnell wie möglich und daher auf einem Hinterbein, aus Angst eines der Gitter zu berühren.

Durch diese wiederholten sehr engen Drehungen fügt es sich langfristig mit hoher Wahrscheinlichkeit Schäden an den Sehnen und Bändern der Hintergliedmaßen und an den Hüftgelenken und Beckenbändern zu. 

An manchen Tagen kommt das Pferd statt in die Führmaschine auf ein winziges Paddock, wo es sich zumindest einmal wälzen kann, aber sich tatsächlich einmal auszutoben ist immer noch nicht möglich. Vom Paddock oder aus der Führmaschine wird das Pferd zurück in die Box gebracht, wo es nichts anderes tun kann als in seinem Stroh nach ein paar Halmen zu suchen, welche noch nicht uringetränkt oder zugemistet sind. Sollte es auf Spänen stehen, kann es nicht einmal das.

Dann kommt irgendwann wieder das Heu und dann wieder der Futterwagen. Wieder der ohrenbetäubende Lärm, Schreie, an Boxenwände treten, Zähne an Gittern. Wieder das Gefühl der überschüssigen Energie nach dem Fressen. Eventuell hat das Pferd dieses Mal die Möglichkeit etwas davon beim Reiten abzubauen, weil es nachmittags geritten wird. Beim Putzen scharrt das Pferd schon mit den Hufen, trippelt hin und her und sucht nach Wegen, Energie los zu werden. Weil es nicht still steht wird der/die Reiter/in ungeduldig, er/sie schreit es an und haut ihm ins Gesicht, woraufhin das Pferd erschrocken den Kopf hochreißt und sich ins Halfter hängt.

Das Pferd möchte eigentlich alles richtig machen, aber das Stillstehen ist ihm nach dreiundzwanzig Stunden in der Box und zwei Kraftfutter Mahlzeiten wegen des übergroßen Bewegungsdrangs einfach nicht mehr möglich.

Während des Reitens versucht das Pferd immer noch, möglichst viel Energie los zu werden.

Da der Reiter aber, wie jeden Tag, nur geordnet in langsamem Tempo in der Bahn herumreiten möchte, beginnt es zu scheuen, zur Seite zu springen, sich kurzum Sachen zu suchen, mit denen es Energie abbauen kann.

Auch dafür wird es bestraft, der Reiter nimmt in der Konsequenz die Zügel noch kürzer, baut noch mehr Druck auf, die innere und äußere Anspannung des Pferdes wird immer größer. Nach dem Reiten ist das Pferd möglicherweise nass geschwitzt, seine Anspannung und Energie ist es jedoch nicht losgeworden.