Julie von Bismarck


Mit dem Pferd statt auf dem Pferd

Ein Leitfaden für feines Reiten






Ich danke allen Pferden, denen ich in meinem Leben begegnet bin und die mir so viel beigebracht haben.

Besonders danke ich meinem Pferd und besten Freund Summer, der mir noch einmal ein völlig neues Niveau von Feinheit und leichtester Kommunikation aufgezeigt hat.

1. Kapitel



In meinen über vierzig Jahren als Reiterin habe ich alle möglichen Pferde geritten: faule, hektische, durchgehende, bockende, steigende, freche, sture, ängstliche.

Pferde, die schwer zu stellen und biegen waren oder die im anderen Extrem einfach immer gebogen und nicht geradezurichten waren. Pferde, die nur schwer am Zügel gingen oder die sich sofort einrollten, wenn man den Zügel nur anfasste.

Pferde, die ständig erschraken, immer unter Spannung standen und bei dem geringsten Anlass panisch durchgingen. Was mir allerdings bald klar wurde war, dass eben solche Beschreibungen wie: „faul“, „hektisch“, „triebig“, „ängstlich“, „steif“, den Pferden unrecht taten.

Denn für jedes Verhalten gibt es einen Grund.


Nach der Auffassung meiner Großmutter, bei der ich das Reiten lernte, war eben dieser Grund immer und ausschließlich beim Reiter zu suchen.

Es gab in ihren Augen keine schlechten oder guten Pferde, es gab nur gute oder schlechte Reiter.

Unter diesem Motto lernten wir den Umgang mit dem Pferd und: Reiten. In der Praxis sah das so aus, dass bereits das Reinholen von der Weide Regeln hatte und wer seinem Pferd hinterherlaufen musste, um es zu fangen, hatte etwas falsch gemacht.

Wenn mich die Pferde beim Führen über den Weg zogen, um an ein besonders tolles Grasbüschel zu gelangen, beim Reiten im Gelände bockten, durchgingen oder in großen Sätzen vor unsichtbaren Gefahren zur Seite sprangen oder wenn sonst irgendetwas schief lief, war das für mich also immer erst einmal ein Hinweis darauf, dass ich noch nicht genug über das Wesen der Pferde verstanden hatte, um so leicht und unkompliziert mit ihnen umgehen zu können wie meine Großmutter das tat – und dass ich definitiv noch nicht zu den guten Reitern zählte.


Meine Großmutter erklärte uns sehr bildlich und einleuchtend, wie wir was mit dem Pferd tun sollten, ließ uns dann aber im Wesentlichen einfach üben.

Eine Schule, die für mich durch nichts zu ersetzen gewesen wäre, denn durch dieses direkte Erleben, die direkten Folgen der eigenen Fehler und das direkte Hochgefühl, wenn man es beim nächsten Mal anders machte und es dann klappte, bildete sich ganz von selbst ein tiefes, grundlegendes Gefühl und Verständnis für Pferde, das sonst vielleicht schwer zu erlangen gewesen wäre. Zumindest in einem so jungen Alter.

Meine Großmutter hielt überhaupt nichts von „Hilfsmitteln“ wie scharfen Zäumungen. Das Einzige was sie bei uns noch nicht so guten Reitern ab und zu nutzte, waren die guten alten seitlich am Gurt und immer lang verschnallten Lederausbinder.

Sie war davon überzeugt, dass man jedes Pferd allein über den Sitz reiten und steuern könnte – so man denn das Durchhaltevermögen mitbrachte, um die dafür notwendige, disziplinierte Reitausbildung zu überstehen.

Die Ausbildung des Reiters ging damals zu Lasten des Reiters und nicht zu Lasten des Pferdes. Sprich: der Reiter musste lernen, mit dem Pferd zu kommunizieren und ausdauernd an seinen Fähigkeiten arbeiten.

Es wäre niemals infrage gekommen, einen Mangel an reiterlichem Können durch das in die Hand geben scharfer Zäumungen oder das Zulassen von Zwang und Gewalt zu kompensieren.

Bei uns musste der Reiter leiden, nicht das Pferd.

Wir hatten die aufgescheuerten Knie und die schmerzenden Knochen nachdem wir das dritte Mal runtergefallen und wieder aufgestiegen waren.

Ich muss gestehen, dass ich diese Art der Ausbildung auch nicht immer toll fand und die Meinung meiner Großmutter durchaus nicht immer teilte.

Wenn ich beispielsweise wieder einmal auf einem ihrer als unreitbar von der Rennbahn geretteten und mir bei jedem Ausritt zuverlässig durchgehenden Vollblüter saß, der mich nicht nur komplett ignorierte, sondern tatsächlich vollkommen immun gegen jegliche Einwirkung meinerseits zu sein schien und ich mich in der mit Lichtgeschwindigkeit näherkommenden scharfen Kurve bereits unter dem weggerutschten Pferd liegen oder an der nächsten Kiefer kleben sah, dann verfluchte ich ihre stoische Gelassenheit und wünschte mir nichts sehnlicher als ein Pelham.


Heute kann ich darüber lachen denn ich weiß, dass ich in Wahrheit großes Glück hatte so reiten zu lernen. Einfach weil man natürlich durch die Art und Weise geprägt wird, in der man etwas beigebracht bekommt.

Ohne all die Stürze, die durchgehenden Vollblüter, das sture Pony, die riesigen, langen Hannoveraner mit den geraden Hälsen, welche bloß an den Zügel zu reiten durchaus einmal 90 Minuten dauern konnte, ohne die verrückten Trakehner, deren übergroße, baumelnden Ohren stets den trügerischen Eindruck eines ausgeglichenen Gemüts erweckten, nur um in Bruchteilen von Sekunden zu völlig überspannten Nervenbündeln zu mutieren und sich wiederum ein paar Sekunden später in tollkühne Superhelden zu verwandeln, die sich - ohne mich zu fragen - in halsbrecherischem Tempo schnurstracks den nächsten Abhang hinunterwarfen.

Ohne all diese verschiedenen Pferde und all diese Erfahrungen hätten mir eine Menge, für einen Reiter denke ich nicht unwichtige, Erkenntnisse gefehlt.

Eine davon war, dass Reiten grundsätzlich erst einmal gefährlich ist. Weil runterfallen dazu gehört (und sich auch nie gänzlich vermeiden lässt, egal wie gut man reitet), weil man versehentlich einen Pferdekopf an die Nase bekommen kann oder einen Strick durch die Hand gezogen oder weil sich ein Pferd mit der größten Ruhe und Selbstverständlichkeit mit seinem ganzen Gewicht genau auf den eigenen, mit einem leichten Sommerschuh bekleideten Fuß stellt und einen auf das Geschrei und Gezeter, es solle sofort seinen Huf von dem Fuß nehmen, anschaut als könne es kein Wässerchen trüben und dabei in aller Seelenruhe noch etwas mehr Gewicht auf den Huf auf dem Fuß verlagert.

Eine andere war, dass das Reiten für meine Großmutter nicht so gefährlich zu sein schien, wie für mich. Ihr trat kein Pferd auf den Fuß, sie wurde auch nicht mit Kopfnüssen versehen, ihr zog auch niemand den Strick durch die Hand – im Gegenteil: alle Pferde behandelten sie mit dem allergrößten Respekt, achteten darauf, ihr bloß keinen Schaden zuzufügen und hätten ihr wahrscheinlich noch einen Fussel von ihrer Reitjacke gezupft, wenn sie es gekonnt hätten.

Das zu beobachten war, denke ich, eine ebenso wichtige Erfahrung für mich: zu sehen, wie das selbe Pferd das bei mir jedes Mal beim Putzen und Satteln so lange hin und her taperte und gezielt nach einem meiner Füße suchte, bis es einen gefunden hatte auf den es sich dann zufrieden schnaubend stellte, bei dem ich beim Hufe auskratzen fünf Minuten pro Huf benötigte, bis es sich bequemte den Huf genau einen Millimeter weit anzuheben, so dass ich gerade die Sohle sehen konnte, das das Maul zusammenkniff, wenn ich es auftrensen wollte und dem man dabei ansehen konnte, dass es bereits darüber nachdachte wie es mich gleich auf dem Ausritt ärgern könnte, kurz - das mir in jeder Hinsicht das Reiterleben schwer machte, sich bei meiner Großmutter benahm.

Dasselbe Pferd stand bei ihr wie eine Statue, wich sofort höflich aus, wenn sie ihm ein klitzekleines Zeichen gab, hielt ihr von selbst alle 4 Hufe zum Auskratzen hin (und zwar so hoch, dass es schon unnatürlich aussah) und ließ sich zufrieden, mit einem Ausdruck freudiger Erwartung im Gesicht, satteln und trensen.

Das galt für alle Pferde und das galt nicht nur im Umgang, sondern auch beim Reiten.

All diese Pferde, die mit mir im Wesentlichen Unsinn und mir das Reiterleben schwer machten, verwandelten sich unter meiner Großmutter augenblicklich in strahlende, zufrieden kauende, tiefenentspannte Prachtkerle und einhundert Prozent loyale Partner.

Meine Großmutter konnte auf dem schwierigsten Pferd sitzen, es sah immer alles so leicht aus, als würden sie und das Pferd sich nur über Gedanken verständigen.

Es wirkte für mich immer so, als seien beide in einem Zwiegespräch, einer Unterhaltung unter zwei Freunden und man sah sie einfach nie Hilfen geben.

Die Zügel waren immer eher ein bisschen „zu lang“ und ich habe meine Großmutter nie einem Pferd im Maul ziehen, ein Pferd schlagen oder es anderweitig grob behandeln sehen - sie war genauso freundlich und höflich zu den Pferden, wie es die Pferde ihr gegenüber waren.

Ich habe allerdings auch nie wieder jemanden getroffen, der so viel und so ausdauernd mit übergeschlagenen Bügeln ritt, so hart an seinem Sitz und seiner eigenen reiterlichen Fitness arbeitete und so diszipliniert war.

Dies war also die wichtigste Erkenntnis: Der Grund dafür, dass das Reiten für mich gefährlicher war, dass die Pferde, wenn ich darauf saß so „schwierig“, „frech“, „hart im Maul“, faul oder „hektisch“ waren und mit meiner Großmutter im Sattel sofort so einfach und leicht zu reiten zu sein schienen, war ganz einfach:

Meine Großmutter hatte durch ihren freundlichen, bestimmten und kompetenten Umgang, durch den Fakt, dass sie das Wesen des Pferdes verstanden hatte, den Respekt und die Zuneigung dieser Pferde erworben. Und: sie konnte reiten.

Im Gegensatz zu mir.

Diese Erkenntnis spornte mich an, alles über Pferde zu lernen, was es zu wissen gab und mit dem größtmöglichen Einsatz an meinen reiterlichen Fähigkeiten zu arbeiten.


Während der vielen Jahre, in denen ich diesem Ziel näher zu kommen versuchte, wurde mir in den unterschiedlichsten Situationen eines immer wieder besonders deutlich: dass es im Umgang mit dem Pferd und beim Reiten nicht darum gehen kann das Pferd zu unterwerfen oder zu kontrollieren, sondern das Reiten in seiner positiven Form nur dann gelingen kann, wenn der Reiter das Vertrauen des Pferdes zu gewinnen in der Lage ist und eine echte Freundschaft zu ihm aufbaut. Wozu gehört ihm zuzuhören und mit ihm zu sprechen - und zwar so freundlich zu sprechen, wie man mit seinem besten Freund sprechen würde und dabei eine Sprache zu benutzen die das Pferd verstehen kann - um Missverständnisse möglichst auszuschließen.

Dass es beim Reiten also darum geht, im Pferd einen verlässlichen Freund und Partner zu finden der freiwillig mitarbeitet, mitdenkt und zum Gelingen der Aufgaben beiträgt.

Es wurde außerdem immer wieder sehr klar, dass man ein Pferd mit der Anwendung von Zwang, Gewalt und schmerzhafter Ausrüstung zwar gefügig machen kann, dass man ihm damit aber in einem Ausmaß Schaden zufügt, der weit über die körperlichen Schmerzen hinaus geht - und dass das Pferd dies niemals vergisst.

Das ist natürlich eine gute Methode, um sich Feinde zu schaffen aber ganz sicher keine Basis für eine freundschaftliche und harmonische Zusammenarbeit und schon gar nicht geeignet, um ein Pferd zum Freund zu gewinnen.

So suchte ich nach Möglichkeiten, um das Vertrauen und den Respekt der Pferde zu gewinnen.


Ich hatte damals ein ebenso „stumpfes“ wie rüpelhaftes Pflegepony, das ich während der Schulzeit in der Stadt ein paarmal die Woche reiten durfte und dieses wurde nun mein Versuchsobjekt.

Dieses Pony zu reiten war jedes Mal eine gefährliche und eher frustrierende Erfahrung, denn es ließ sich nicht steuern, reagierte nicht auf Schenkelhilfen und machte durchweg den Eindruck, dass es vom Reiten und mir als Person rein gar nichts hielt. Das Pony in die gewünschte Gangart zu versetzen oder wieder durchzuparieren, abzuwenden oder anzuhalten war jedes Mal ein Kraftakt für mich und ehrlich gesagt kein besonderer Spaß.

Die Leckerlis, für die ich mein gesamtes Taschengeld opferte, fraß es gnädiger Weise - aber das war es auch schon.

Einmal ging mir das Pony (sicher zum hundertsten Mal) wieder nach einem Ausritt auf dem Weg nach Hause durch und preschte in vollem Galopp - in der Absicht mich abzustreifen - zwischen zwei eng beieinander stehenden Bäumen hindurch.

Ich weiß noch genau, wie ich realisierte, was er vorhatte und mit meiner ganzen Kraft im Zügel hing, um ihn abzuwenden. Aber keine Chance.

Sein Plan ging auf und führte dazu, dass ich mich mit einem angebrochenen Schienenbein die zwei verbliebenen Kilometer zum Stall zurück schleppte.

(Ja, ich durfte auch als Kind und Jugendliche alleine ausreiten.)

Dieses Pony war also nicht wirklich reitbar und gewissermaßen sogar gefährlich aber genau das machte ihn zu einem besonders geeigneten Kandidaten, um herauszufinden ob man seine offensichtliche Abneigung durch einen anderen Ansatz vielleicht doch irgendwie in Freundschaft oder zumindest in Interesse wandeln würde können.

Um das herauszufinden beschloss ich mit dem Pony zu spielen. Und so stopfte ich mir statt zu reiten tütenweise Leckerlis in die Taschen, ging mit ihm auf eine leere Weide, nahm ihm das Halfter ab und versuchte ihn dazu zu bringen, mir auch ohne Halfter zu folgen.

Meine Idee war: wenn er mir freiwillig folgt, hört er mir vielleicht auch beim Reiten besser zu.

Kaum hatte ich das Halfter abgenommen versenkte das Pony seine Nase begeistert im Weidegras und ignorierte mich und meine Leckerlis vollständig.

Ich verbrachte den Rest meiner Stall-Zeit dieses Tages damit, das halfterlose Pony auf der riesigen Weide wieder einzufangen, was schließlich nur mit einem Eimer Hafer glückte. Dieser erste Versuch war also mehr eine ziemlich herbe Enttäuschung als ein großer Erfolg gewesen - aber so schnell wollte ich das Unterfangen nicht aufgeben.

Vielleicht hätte ich lieber auf einem Sandplatz ohne saftiges Gras beginnen sollen, überlegte ich - und genau das tat ich beim nächsten Versuch.

Nach der ersten Erfahrung mit meiner „vertrauensbildenden Maßnahme“ war ich allerdings nicht besonders optimistisch, dass es dieses Mal anders sein würde.

Dementsprechend ungläubig und gerührt war ich, als das Pony mir nicht nur interessiert folgte, sondern innerhalb weniger Minuten antrabte wenn ich antrabte, angaloppierte wenn ich angaloppierte und anhielt wenn ich anhielt.

Ich kam aus dem Strahlen nicht mehr heraus und verspürte zum ersten Mal so etwas wie eine echte Beziehung zu diesem Pferd. Es war das erste Mal in Monaten, dass das Pony mich nicht einfach ignorierte oder abblitzen ließ, sondern tatsächlich mit mir interagierte.

Die folgenden Wochen beschränkte ich mich auf diese Art der Beschäftigung und Kommunikation und bald folgte es mir ohne Halfter, auch über den Hof und in den Stall, es kam sogar auf der Weide angelaufen, wenn es mich sah. Ich war überglücklich.

Und wie sehr steigerte sich dieses Glück als ich schließlich zum ersten Mal wieder ritt: denn meine Hoffnung wurde übertroffen: Zum ersten Mal konnte ich überall hin reiten und das in jeder Gangart, das Pony schnaubte zufrieden und reagierte tatsächlich nicht nur auf feinste Hilfen, sondern bereits auf meine Gedanken.

Nachdem ich abgestiegen war hing ich ungefähr eine halbe Stunde am Hals des besagten Pferdes und weinte in seine Mähne.

Vor Freude. Das arme Tier.

Dies war das erste Mal in meinem Leben, dass ich wirklich zutiefst realisierte wie wenig nötig ist, um mit einem Pferd zu kommunizieren - und dass alles was darüber hinaus geht die Beziehung eher schwieriger als besser macht.

Auch wenn ich selbst natürlich meilenweit von dem reiterlichen Können meiner Großmutter entfernt war, verstand ich damals, dass ich mit dem Bild welches mir immer in den Kopf kam wenn ich sie reiten sah, nicht unrecht gehabt hatte: Pferde reagieren bereits auf Gedanken – sofern sie nicht durch ständige, übertriebene und meist grobe „Hilfengebung“ (Kommunikation) abschalten müssen.

Das ist sehr wichtig zu wissen, wenn wir uns mit feinem Reiten beschäftigen.


Der Reiter macht die Fehler.

Diese Grundregel ist wahr und betrifft oftmals eben bereits das Abgelenktsein des Reiters.

Das Beherrschen der eigenen Gedanken ist daher für einen Reiter ebenso wichtig wie das Beherrschen seines Körpers.

Was sich deutlich einfacher anhört, als es ist.

Ich bin sicher, dass es den meisten Reitern schon passiert ist: die Gedanken sind woanders als die Hilfen und das Pferd hat bereits auf den Gedanken reagiert, während man selbst noch in der Entscheidungsfindung ist.

Zum Beispiel bei den Serienwechseln, wenn man zu früh an den nächsten Wechsel denkt und das Pferd schon umgesprungen ist während man selbst noch versucht sich zu konzentrieren und mitzuzählen.

Oder wenn man einen Parcours reitet und darüber nachdenkt abzukürzen, sich dann aber doch für den längeren Weg entscheidet - und das Pferd zu dem Zeitpunkt schon längst abgebogen ist.

Wie oft ist es mir im Gelände schon passiert, dass ich im Galopp querfeldein durch den Wald ritt, mich entschloss, links am Baum vorbeizureiten und mich im letzten Moment doch für rechts entschied – da kamen mein Pferd und ich nicht selten schon einmal sehr abrupt zum Stehen: genau in der Mitte, mit dem Gesicht am Baumstamm.

All das passiert aufgrund der mangelnden Konzentration des Reiters. All das sind unsere Fehler. Nicht die des Pferdes.

Das Pferd reagiert auf den Körper, die Gedanken und die Stimmungen des Reiters – es ist also nicht sein Versagen, wenn die von dort ausgehenden Signale widersprüchlich oder undeutlich sind. Das sollte man als Reiter unbedingt verinnerlicht haben.

Es sind auch nicht die Pferde, die faul, triebig, hektisch oder unrittig sind, sondern es ist der Reiter, der noch nicht den richtigen Weg gefunden hat, so mit dem Pferd zu kommunizieren, dass es gerne und willig mit ihm zusammenarbeitet.

Die weitaus meisten körperlichen und psychischen Auffälligkeiten, die ich bei Pferden im Laufe meiner Karriere als Pferdeosteopathin und Akupunkteurin gesehen habe, waren die Folgen falschen Reitens, schmerzhafter Ausrüstungsgegenstände sowie die Folgen von Stress und Überforderung. Sie wären ohne die Reiter dieser Pferde schlicht und ergreifend nicht entstanden.


Es stellt sich also die Frage was da schiefläuft und eine Antwort ist ziemlich sicher die folgende:

Selbst ich, die ich durch die Art und Weise wie meine Großmutter mit ihren Pferden umging weitgehend vor Ungerechtigkeit dem Pferd gegenüber bewahrt war, hatte Pferde, die ich der Einfachheit halber als „faul“, „triebig“, „hart im Maul“ oder „unmotiviert“ beschrieb.

Nun lernen die meisten Reiter aber nicht mehr so reiten, wie ich das Glück hatte es zu tun. Gar nicht immer, weil es ihnen zu aufwendig ist und zu viel Disziplin abverlangt, sondern ganz oft einfach deswegen, weil in den letzten Jahrzehnten so unglaublich viele Reitlehrer entstanden sind, die vermitteln, dass es beim Reiten in erster Linie um Kontrolle über das Pferd geht, dass diese am besten über den Zügel und das Maul des Pferdes errungen werden kann und dass sich ein gelungenes Reiten somit in allererster Linie in einem runden, tiefen Pferdehals ausdrückt, mit der Nase des Pferdes möglichst nah an seiner Brust.

Viele Reiter meinen also, es mache sie zu einem guten Reiter, wenn sie in der Lage sind den Kopf des Pferdes in dieser Position zu halten und das Pferd so in den Gangarten, Geschwindigkeiten, Lektionen und über die Sprünge reiten zu können, die vom Reiter gerade gewünscht sind.

Ja, das ist in der Tat eine Haltung in der das Pferd keinen großen Widerstand mehr leisten wird.

Weil es nichts sehen kann, weil es unter Schmerzen und erheblicher psychischer und körperlicher Anspannung leidet und weil es kaum Luft bekommt. Kontrolle ist auf diese Weise gewährleistet – nur mit echtem Reiten hat es nichts zu tun.

Da die weitaus meisten Menschen reiten lernen möchten, weil sie Pferde lieben, ist dieser Zustand besonders verwerflich: diese Reiter würden ihren Pferden niemals absichtlich schaden und es ist daher ganz besonders tragisch, dass sie mit dieser erlernten Einstellung genau das tun.

Wenn ein Reiter nicht in Erwägung zieht, dass er der Grund ist für die Schwierigkeiten mit dem Pferd, beginnen die Ungerechtigkeiten, die den Pferden teils so enormen Schaden zufügen.