Julie von Bismarck

Zusammenhänge im Pferd Teil II



Für all die Pferde meines Lebens und besonders für meinen besten Freund, Summer, dessen Leben viel zu kurz war und der mich so viel gelehrt hat wie kein anderes Pferd zuvor.

I miss you, my friend. And I will love you for the rest of my life.




An die Pferde.

Ihr sanftmütigen, freundlichen Tiere - ich danke Euch.

Ich danke Euch für den unvergleichlichen Trost, den ein einziges sanftes Pusten aus Euren weichen Nüstern spendet.

Ich danke Euch für die tiefe Ruhe, die ein Blick in Eure milden, braunen Augen hervorruft.

Und für den Frieden den ihr ausstrahlt, wenn ihr gemütlich grasend über die Weiden zieht oder des Abends im Stall genüsslich Euer Heu zermahlt.

Ich danke Euch für das ganze Glück, das in einem zufriedenen Schnauben liegt.

Und für das unvergleichliche Gefühl der Freiheit, das nur ein schneller Galopp auf Eurem Rücken auslösen kann.

Ich danke Euch für eine Kindheit und Jugend voller Stoppelfelder, Stürze und stolzer Siege und für tausende wundervolle, einzigartige Erinnerungen, die ich ohne Euch nicht hätte.

Ich danke Euch für Eure Neugier, Eure Freundlichkeit, Eure Zugewandtheit, für Eure leise und unmissverständliche Kommunikation, für Eure Toleranz.

Ihr seid uns Menschen in so vieler Hinsicht überlegen.

Am meisten aber in Eurer Sanftmütigkeit.

Eure Sanftmut und Freundlichkeit sind größer als Eure Kraft, die ihr so leicht gegen uns Menschen ausnutzen könntet.

Wie viele von Euch begrüßen ihren Reiter Tag für Tag wieder voller Freundlichkeit, selbst wenn dieser Euch (bewusst oder unbewusst) Schmerzen zufügt.

Ihr bleibt die leise schnaubenden, freundlichen, gutmütigen Wesen, deren milder Blick weiterhin vertrauensvoll und zugewandt auf den Menschen ruht. Wesen, deren Neugier und Sanftheit nur mit außergewöhnlicher Gewalt zu zerstören ist. Was in jedem einzelnen Fall mehr über den so handelnden Menschen aussagt, als über Euch.

Liebe Pferde, ich danke Euch von ganzem Herzen. Für Eure Freundschaft, Euer Vertrauen und Eure Zugewandtheit.

Ich danke Euch für alles, was ihr uns Menschen über uns selber beibringt.




Ein Wort vorab



Dass ich Bücher über die Zusammenhänge im Pferd und die Besonderheiten des Pferdes schreiben würde, die mir über die vielen Jahre als Reiterin aber auch während der Behandlung verschiedenster Pferde in aller Welt auffielen, war eigentlich gar nicht geplant.

Ursprünglich wollte ich Geschichten schreiben, Romane und Erzählungen, in die man eintauchen und alles andere um sich herum vergessen kann, nach deren Lektüre der Leser das Buch glücklich zuklappt - mit einem Seufzer der zugleich Bedauern und Freude ausdrückt. Kurzum: Bücher, deren abgewetzte Rücken Jahre später davon zeugen, wie viel Freude sie ihren Lesern immer wieder gebracht haben.

Und ich wollte jene Geschichten aufschreiben, die gelesen werden müssen : Über die Rücksichtslosigkeit mit der der Mensch die Erde und die Tiere die auf ihr leben zerstört.

In Worte fassen wie die friedfertigen Orang-Utans, die seit Jahrhunderten in ihrem Urwald leben und niemandem je auch nur ein Haar gekrümmt haben, sich nun verzweifelt riesigen Rodungsmaschinen entgegenstellen müssen, um ihre Bäume zu verteidigen - und dies mit ihrem Leben bezahlen.

Über die Schimpansen berichten, deren Lebensraum auf die gleiche brutale Weise Jahr für Jahr schrumpft.

Die Geschichten der urzeitlichen Nashörner erzählen, die schon vor Millionen Jahren friedlich auf diesem Planeten lebten und die der Mensch seit Jahrzehnten auf brutalste Weise einfach auslischt. Für immer und ohne Wiederkehr. Nur um ihre Hörner zu Pulver zu zermahlen und dieses zu essen - ein Pulver, dass er ebenso gut aus seinen eigenen Fingernägeln und Haaren gewinnen könnte…

Doch während meiner Arbeit in der Behandlung von Pferden wurde mir immer klarer, dass auch die Pferde von einer ähnlichen Erscheinung betroffen sind.

Natürlich nicht in dem Ausmaß wie Nashörner oder Orang-Utans - aber auf der ganzen Welt leiden jeden Tag Pferde unter körperlichen Schmerzen, Angst und Stress. Und, auch wenn sich das komisch anhört, in gewisser Weise unter dem Verlust ihres Lebensraumes. Und auch sie haben meist keine große Lobby.

Als mir dies bewusstwurde beschloss ich, dass die anderen Geschichten zugunsten der Veröffentlichung meiner Erfahrungen mit den Pferden würden warten müssen. Denn ich bin überzeugt, dass jeder Reiter der ein tieferes Verständnis darüber erlangt warum die ursprünglichen Regeln und Werte der Reiterei so wichtig sind, anders mit seinem Pferd umgehen wird.

So kam es, dass ich Bücher über meine Beobachtungen und Erfahrungen mit den Pferden zu schreiben begann. Wie viel Zeit und Arbeit tatsächlich in ein einziges solches Buch fließen, war mir vorher gar nicht bewusst.

Im Gegenteil: Ich habe früher immer neidisch auf die Schriftsteller geschaut, deren Bücher ich verschlang. Ein absoluter Traumberuf, dachte ich.

Ich stellte mir vor wie ich morgens in der friedlichsten, vollkommensten Ruhe gemütlich mit einer dampfenden Tasse Kaffee an einem wunderschönen Schreibtisch sitzen und meinen Blick über die im Morgengrauen grasenden Pferde vor meinem Fenster schweifen lassen würde, einen Schluck duftenden Kaffees trinken, den zu meinen Füßen ruhenden Hunden die Köpfe tätscheln und dann beglückt ein paar hundert Seiten füllen - ohne jede Anstrengung.

Die Wirklichkeit sieht so aus: Wenn ich Glück habe schleiche ich mich morgens gegen 4 Uhr die knarzende, alte Treppe hinunter und setze mich so leise wie möglich an den Tisch zwischen die laut schnarchenden Hunde. Dann schreibe ich bis 6h, manchmal 7h, je nachdem wann Mann und Kind aufwachen - aber letzteres passiert absolut zuverlässig immer dann, wenn ich gerade in einem besonders komplizierten Gedankengang stecke. Denn nein, die Bücher schreiben sich leider doch nicht von selbst, sondern erfordern meine gesamte Aufmerksamkeit und Konzentration...

Dennoch ist dies ist nun bereits das fünfte Buch zum Thema Pferde und Reiten und der Grund dafür ist ganz einfach: Ich tue dies in der Hoffnung, ein tieferes Verständnis zu schaffen für das Wesen Pferd.

Ich verdanke den Pferden so viel - das Mindeste was ich tun kann, ist Ihnen eine Stimme zu geben.





Informationen zum Buch:

Ich habe die Zeichnungen in diesem Buch selbst angefertigt und sie sind daher, ebenso wie die meisten eigenen Fotografien, nicht wirklich perfekt. Aber sie sind authentisch.

Wie immer geben alle Texte in diesem Buch ausschließlich meine persönliche Meinung und meine persönlichen Erfahrungen wieder. Das Buch hat weder den Anspruch, ein Fachbuch zu sein, noch einen Anspruch auf Vollständigkeit. Wie schon im ersten Teil habe ich auch in diesem Buch vieles zugunsten der besseren Nachvollziehbarkeit vereinfacht dargestellt.



1. Kapitel

Pferdefreunde



Die meisten von Ihnen können sich bestimmt noch an diesen besonderen Moment erinnern, wenn man auf seinem viel zu großen (Pflege-) Pferd oder Pony, welches Sternchen hieß oder Kalif oder Prinz oder Georgia, mit zweimal umgeschlagenen Steigbügelriemen auf einen riesig erscheinenden Sprung zu ritt und seinem Pferd Mut zusprach - oder eigentlich mehr sich selbst oder beiden:

„Komm, Sterni/Kali//Prinzi/Georgi, das schaffen wir!“ Und man sein Herz über die Hürde warf und hoffte, ebenfalls auf der anderen Seite anzukommen.

Das Gefühl ein Team zu sein, sein Wohl und Wehe dem Pferd anzuvertrauen und sich darauf zu verlassen, dass das Pferd einen nicht im Stich lassen wird.
Das Gefühl der unbändigen Freude und des Stolzes, wenn man unversehrt auf der anderen Seite des Sprunges angekommen war, wie man Sterni oder Kali noch im Galopp um den Hals fiel und klopfte und lobte, über das ganze Gesicht strahlend und lachend. 
Wie man nach dem Reiten die Beine seines Pferdes abspritzte und den Hals und die Sattellage und sich lang machen musste, um mit dem Schweißmesser das Wasser abzuziehen. 
Wie man sein Pferd währenddessen ununterbrochen mit Lobeshymnen überzog, ihm die größten Mohrrüben- und Haferportionen versprach und einem das Herz überschäumte vor Glück und Dankbarkeit, dass einen dieses Pferd nicht im Stich gelassen hatte. 
Wie Kalif oder Sternchen, Prinz oder Georgia scheinbar in sich hineinlächelnd neben einem auf dem Waschplatz standen, geduldig einen Fuß nach dem anderen hebend, damit man kleiner Steppke noch die Hufe auskratzen und einfetten konnte.

Wie man dann später am Tag mit seinen Freunden am Weidezaun stand und voller Stolz auf Sterni oder Kali oder Prinz oder Georgi zeigte und davon berichtete, was für einen gewaltigen Sprung man heute überwunden hatte. 
Wie man abends noch einmal in den Stall schlich und seinem Freund die versprochenen, heimlich aus dem Kühlschrank entwendeten, Mohrrüben brachte. 

Was wir alle damals als Kinder wussten, weshalb wir unseren Pferden so unermesslich dankbar waren, war der Fakt, dass wir unser Pferd niemals „kontrollieren“ hätten können. 

Niemals. 
Nicht am Boden, nicht unter dem Sattel. 
Wir wussten, dass wir auf die Freundlichkeit und Bereitschaft der Pferde angewiesen waren mit uns zu kooperieren, und dass wir ohne diese Bereitschaft keine Chance gehabt hätten das Pferd auch nur von der Weide zu holen – geschweige denn zu reiten oder dazu zu bringen, mit uns einen Sprung zu überwinden. 

Unsere Pferde waren unsere besten Freunde und keiner von uns wäre jemals auf die Idee gekommen, einem Pferd Schmerzen oder Leid zuzufügen oder es gar „beherrschen“ zu wollen. Uns Kindern war es ein Selbstverständnis, dass man einem Freund mit Respekt, Liebe und Vertrauen begegnet, weil es eben genau das ist, was eine Freundschaft ausmacht.

Vielen erwachsenen Reitern fällt es schwer, sich dieses kindliche Selbstverständnis zu erhalten. Negative Erfahrungen, Stürze aber auch einfach die eigene körperliche Stärke und die Möglichkeit der Nutzung diverser Ausrüstungsgegenstände für „Kontrolle“ über das Pferd, verleiten viele erwachsene Reiter dazu auf eben diese zuzugreifen. In den allermeisten Fällen geschieht dies nicht in der Absicht, dem Pferd Schmerzen zu zufügen, sondern aus Angst vor Kontrollverlust - und um mangelndes Können zu kompensieren. Über die Folgen für das Pferd sind sich viele Reiter gar nicht wirklich bewusst.

Der Glaube, es ginge beim Reiten um Kontrolle ist hier der bestimmende Faktor und das kuriose ist: Es geht beim Reiten tatsächlich um Kontrolle.

Nur eben nicht um die Kontrolle des Reiters über das Pferd, sondern um die Kontrolle des Reiters über sich selbst. Um seine Körperbeherrschung, seine Fitness, seine Konzentration, seine Selbstdisziplin.

Reiter, die das verinnerlicht haben, sind sehr viel weniger gefährdet ihrem Pferd versehentlich Schaden zuzufügen. Reiten bedeutet in Wahrheit konstante Arbeit am eigenen Können und ständige Selbstreflektion. Denn - auch wenn sich das der eine oder andere von Sitzübungen und Stürzen geplagte Reiter wünschen mag:

Ausrüstung ist natürlich in keiner Weise ein Ersatz für Ausbildung. Das kann sie auch gar nicht sein.

Und das gilt sowohl für die Ausbildung des Pferdes, als auch für die des Reiters.







Ausrüstung ist kein Ersatz für Ausbildung - weder für die des Reiters, noch für die des Pferdes. Der Einsatz solch schmerzhafter „Hilfsmittel“ und derart zugeschnürte Nasenriemen helfen nur dem Reiter, dem Pferd hilft so etwas durchaus nicht - es fügt ihm im Gegenteil Leid und Schaden zu.




Bestimmte Ausrüstungsgegenstände mögen es dem Reiter vereinfachen, das Pferd zu den gewünschten Leistungen zu bringen oder selber einfacher im Sattel zu bleiben - aber das ist nicht das Ziel des Reitens.

Das Ziel des Reitens ist es mit möglichst wenig Ausrüstung auszukommen, und das geht nur mit einer viele Jahre dauernden, gründlichen reiterlichen Grundausbildung. Dazu sei angemerkt, dass die Ausbildung eines Reiters nie wirklich abgeschlossen ist, da man sich zeitlebens immer wieder vom Boden aus korrigieren lässt.

Wenn man selber im Sattel sitzt, kann man nun einmal nicht sehen wie das Pferd sich gerade bewegt, ob man selbst im Gleichgewicht oder schief sitzt, ob das innere Hinterbein wirklich in die Spur des Vorderbeines fußt... Der Spiegel ist definitiv kein Ersatz für einen fähigen Reitlehrer/Trainer, welcher sich einschleichende Fehler anspricht und Feedback zu Haltung und Bewegung von Reiter und Pferd gibt.

Wer glaubt, ein Spiegel reiche zur Korrektur seiner Fehler, riskiert, seinem Pferd damit Schaden zuzufügen. Denn im Spiegelbild kann man sehr leicht immer nur genau das sehen, was man gerne sehen möchte.

Ein wirklich guter Reiter wird sich daher immer jemanden suchen, der ihn vom Boden aus korrigiert.

Eine solide, vielseitige reiterliche Ausbildung ist nicht nur wichtig für den Sitz und die Körperbeherrschung, sie ist auch das einzig wirksame Mittel gegen Angst.

Nur wer sich im Umgang mit dem Pferd und im Sattel sicher und Zuhause fühlt wird keine Angst vor Kontrollverlust haben, einen losgelassenen Sitz und eine entspannte innere Einstellung entwickeln und das Pferd dementsprechend nicht in seinem natürlichen Bewegungsablauf stören oder es durch die eigene Anspannung in Stress versetzen.

Zusätzliche Ausrüstung hingegen, ist auch für unsichere Reiter immer nur ein Hilfsmittel. Sie mag kurzfristig ein sichereres Gefühl vermitteln, aber sie führt nicht dazu, dass der Reiter seine Unsicherheit oder Angst verliert. Andersherum würde ein Reiter, der seinem Pferd und seinen eigenen Fähigkeiten vollumfänglich vertraut und mit dem größten Selbstverständnis auf dem Pferderücken sitzt, gar nicht auf die Idee kommen zu zusätzlicher Ausrüstung zu greifen, um sein Pferd zu kontrollieren - weil er es schlicht nicht benötigt.


Mit Pferden aufgewachsen zu sein und bereits als Kind vollkommen selbstverständlich ohne Sattel nur mit Halfter und Strick ausgeritten, gesprungen und über Stoppelfelder galoppiert zu sein und Stürze, Bocken und Durchgehen als genauso selbstverständlichen Teil des Reitens zu betrachten, wie die unendliche Freiheit und Freude sowie die heimlich dem Pferd zugesteckten Mohrrüben ist daher ein großes Glück. Ein Glück, das heute leider nicht alle Reiter haben oder hatten.

Manche der heutigen Reiter wurden und werden in Reitschulen ausgebildet, in denen man ihnen lediglich vermittelt wie man lenkt, bremst und Gas gibt.

Sie werden aus dem Reitunterricht entlassen (oder entlassen sich selbst), wenn sie ein Pferd in den 3 Grundgangarten reiten, steuern und wieder anhalten können. Und nicht wenige von ihnen halten ihre reiterliche Ausbildung damit für abgeschlossen. 

Folglich gibt es heute etliche auf „Kandaren-Niveau“ (und auf jedem anderen Niveau) reitende Reiter, denen in Wahrheit schlicht die Grundausbildung fehlt.

Es gibt heute Reiter, die noch nie in ihrem Leben ohne Sattel, ja nicht einmal ohne Steigbügel, Schritt-Trab-Galopp oder gar Lektionen, Sprünge oder im Gelände geritten sind und die sich ohne ihren sie am Pferd fixierenden Sattel und ohne sich am Zügel festzuhalten fast nicht auf dem Pferd halten können - geschweige denn in der Lage sind mit feinen Hilfen zu reiten.


Infolgedessen wird noch mehr Ausrüstung genutzt:

Sei es die Reithose mit am Sattel klebendem Silikonbesatz, das schärfere Gebiss, der längere Sporn mit dem spitzeren Rad, der Schlaufzügel oder die Aufziehtrense.

Die heutigen vielerorts verfügbaren Pferde, die auf spektakuläre Bewegungen und höhere Duldsamkeit gezogen werden und sich tatsächlich deutlich mehr gefallen lassen als unsere Pferde früher, machen es solchen Reitern leider nicht selten möglich, trotz rudimentärer Reitausbildung im Sattel zu bleiben.

Aber die Pferde zahlen den Preis dafür mit ihrer Gesundheit.

Die „Bravheit“ der Pferde täuscht, denn in Wahrheit haben sich ihre Instinkte, ihr Organismus und das Wachstum natürlich nicht verändert und sie nehmen genauso Schaden wie ihre wehrhafteren Artgenossen, die einen solchen Reiter kurzerhand abgesetzt hätten.

Es ist anzunehmen, dass die „modernen“ Pferde sogar eher noch mehr Schaden davontragen, da ihre großen Bewegungen und die häufig (zu) langen Beine eigentlich eine noch viel gewissenhaftere, langsamere und durch einen sehr guten Reiter durchgeführte Ausbildung erfordern würden, als dies bei den kurzbeinigen, robusten Pferde von früher der Fall war.

Jeder weiß, dass Pferde nicht dafür gemacht sind einen Reiter zu tragen und dass es daher fundamental wichtig ist das Pferd - wenn man es denn reiten möchte -fortwährend zu gymnastizieren und zu kräftigen.

Und genau zu diesem Zweck wurden die alten Regeln und Vorschriften der Reiterei erdacht:



Obwohl diese Regeln und Vorschriften nachweislich funktionieren, wird heute vielerorts so getan, als seien sie nicht mehr notwendig für die Gesunderhaltung des Pferdes.

Das ist ein Irrtum.

Es ist ein Irrtum zu glauben, dass ein hochveranlagtes Pferd einem die Arbeit verkürzt oder die Zeit, bis man es „vorstellen“ und hohen Anforderungen aussetzen kann. Natürlich ist das machbar - aber nicht, ohne dass das Pferd Schaden nimmt.

Es ist ebenfalls ein Irrtum, dass die Relevanz der Fähigkeiten des Reiters dadurch in den Hintergrund rückt und man sich die reiterliche Ausbildung in weiten Teilen sparen kann, da die Pferde ja quasi von jedem „zu bedienen“ sind.

Nun fragt sich vielleicht der eine oder andere Leser, was das reiterliche Können mit der Gesundheit des Pferdes zu tun hat und genau das wollen wir in diesem Buch genauer erörtern, aber so viel vorab:

Wir Reiter können unseren Pferden schon in dem Moment körperlichen Schaden zufügen, in dem wir unsere Emotionen nicht beherrschen. Also schon lange bevor wir schief gesessen haben, dem Pferd in den Rücken gefallen sind oder gar unsere mangelhaften Fähigkeiten durch (fast immer für das Pferd mit Zwang und Schmerz verbundene) Ausrüstungsgegenstände zu kompensieren versucht haben.


Das Fehlen einer gründlichen reiterlichen Grundausbildung fügt dem Pferd Schaden zu, weil der Reiter unsicher ist, kein Vertrauen in das Pferd und (ganz wichtig!) seine eigenen Fähigkeiten hat, sich festhält, unbalanciert sitzt oder das Pferd anderweitig in seinen natürlichen Bewegungsabläufen stört, es durch seine eigene Angst und Unsicherheit in Anspannung versetzt oder es in eine Haltung zwingt, für die sein Bewegungsapparat nicht ausgelegt ist. Und diese Haltung fängt durchaus nicht erst an, wenn das Pferd sich in die Brust beißt, sondern bereits dann, wenn der Reiter versucht, das Pferd durch Einwirkung auf den Kopf beizuzäumen. Schon in dem Moment, in dem wir mit viel Druck auf den Unterkiefer und den Kopf des Pferdes einwirken, kommt es zu Läsionen, Blockierungen und Störungen der Muskelfunktionen – ergo: der natürlichen Bewegungsabläufe des Pferdes.

Niemand von uns möchte seinem Pferd schaden – im Gegenteil, die meisten von uns lieben ihre Pferde über alles. Und dennoch passiert genau das:

Jeden Tag, überall auf der Welt, fügen Reiter ihren Pferden Schaden zu. Einfach nur, weil die zur Gesunderhaltung des Pferdes notwendigen reiterlichen Fähigkeiten fehlen.

Wir können uns daher gar nicht oft genug bewusst machen, wie wichtig die ständige Arbeit an unserer körperlichen Fitness, unserer Konzentration und Selbstbeherrschung sprich: an unserem reiterlichen Können ist.




Ein Beispiel:

Wie viele Reiter wissen heute noch was eine Zügelbrücke ist? Und wie viele von denjenigen, die es wissen, nutzen diese?

Eine Zugelbrücke dient unter anderem dazu, ein Pferd lange Strecken im leichten Sitz galoppieren zu können ohne es dabei im Maul zu stören.

Ebenfalls nutzt man dieses Hilfsmittel, um eine gleichmäßige Verbindung zum Pferdemaul zu schaffen, sprich: Um sich selbst daran zu hindern, ständig mit den Zügeln einzuwirken und sich stattdessen auf die Hilfengebung über den Sitz zu konzentrieren.

Für eine Zügelbrücke nimmt man den Zügel doppelt und stützt ihn im Falle des Galopps im leichten Sitz über den Mähnenkamm des Pferdes oder hält die Zügel auf diese Weise in den geschlossenen Fäusten, wenn man die Zügelbrücke einfach als Hilfe für eine ruhige und stetige Verbindung und zur Verhinderung unnützer Einwirkung auf das Maul nutzt. Der Zügel bleibt in einer Länge, es gibt kein Geziehe und Geriegele, man reitet das Pferd am Sitz.

Durch das doppelte Fassen kann man das Zügelmaß nämlich nicht einfach so verändern und schon gar nicht beliebig und in großem Maße auf das Pferdemaul einwirken - wie es viele Reiter leider gewohnt sind.

Das findet heute schon deshalb kaum noch statt, weil viele Reiter 1. gar nicht erst in dieser Weise lange Strecken im leichten Sitz galoppieren und 2. schon in der Reitbahn viel zu große Angst hätten, wenn sie nicht permanent mit den Zügeln auf das Pferdemaul einwirken könnten.

Natürlich gilt das nicht für alle Reiter, aber vielerorts ist genau das die Realität.

Wie viele Reiter kennen sich hingegen genauestens aus mit allen verschiedenen Gebissen und Zäumungen sämtlicher Anbieter „zur besseren Einwirkung (Kontrolle) auf das Pferdemaul“, wissen, was ein Schlaufzügel oder eine Führkette ist und was Grip- oder Silikonbesatz? Für wie viele von ihnen spielen solche Hilfsmittel im Umgang mit dem Pferd und beim Reiten eine Rolle?

Das ist natürlich nur ein kleines Beispiel, aber es steht für einen Wandel zu Lasten des Pferdewohles.


Nehmen wir einfach einmal an, dass alle Reiter und Pferde nach den alten Richtlinien (wie sie zum Beispiel in der Heeres-Dienstvorschrift 12 abgebildet sind) ausgebildet würden, dann wäre nicht nur ein riesiger Schritt Richtung Pferdewohl getan - auch die Pferdekliniken und Pferdepraxen dieser Welt wären leer. 
Und das ist keine Übertreibung, das meine ich genauso.

Der weitaus größte Teil aller Sehnenverletzungen, Gelenkentzündungen, Koliken, Atemwegs- erkrankungen, Verdauungsstörungen, Rücken- beschwerden etc. die ich in meiner Laufbahn gesehen habe, ging auf Reiterfehler zurück.


 

Zügel doppelt fassen

Anwendung beim normalen Reiten für eine ruhige Verbindung und „Abschaltung“ der ständigen Einwirkung auf das Pferdemaul.

Links: Anwendung für langes Galoppieren im leichten Sitz, um das Pferd dabei nicht im Maul zu stören.



 

Durch die Bewegungseinschränkung in einem oder beiden Kreuzdarmbeingelenken kommt es nun zu Fehlbelastungen in der Hintergliedmaße und in der Folge zu Erkrankungen und Verletzungen von Fesselträger, Knie, und Gleichbeinen, um nur einige der am Häufigsten betroffenen Strukturen zu nennen.