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Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft - Steuern - Recht GmbH

[4]Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Print: ISBN 978-3-7910-4899-4 Bestell-Nr. 14130-0001
ePub: ISBN 978-3-7910-4900-7 Bestell-Nr. 14130-0100
ePDF: ISBN 978-3-7910-4901-4 Bestell-Nr. 14130-0150

Manuel Schuchna

Innovatives Potenzial- und Kompetenzmanagement

1. Auflage, Mai 2020

© 2020 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH

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Bildnachweis Cover und alle Abbildungen: © Manuel Schuchna

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Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart

Ein Unternehmen der Haufe Group

[7]Lesehinweise

Dieses Buch kann auf mindestens zweierlei Arten gelesen werden: Leser, die zuerst die Grundlage kennenlernen möchten, bevor sie sich mit Anwendungsfeldern beschäftigen, beginnen mit der Lektüre am besten am Anfang des Buches. Leser, die zuerst an Praxisfällen interessiert sind, bevor sie das Affinitäten-Modell an sich kennenlernen, können gleich zu Kapitel 3 des Buches springen. Wenn letztgenannte Leser aber wissen möchten, auf welche Affinität dieses Vorwärtsspringen hindeutet, sollten sie doch lieber die ersten beiden Kapitel dieses Buches lesen.

Hinweis zu den Praxisbeispielen

Die Praxisbeispiele in diesem Buch sind so beschrieben, dass sie keine Rückschlüsse auf real existierende Personen, Unternehmen oder Organisationen zulassen. Da die Problemstellungen der aufgeführten Beispiele in der Praxis jedoch nicht selten auftreten, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Ähnlichkeiten und Parallelen zu realen Situationen herausgelesen werden können. Dennoch sind derartige Ähnlichkeiten und Parallelen mit real existierenden Personen, Unternehmen oder Organisationen rein zufällig.

Gender-Hinweis

Dieses Buch soll die Gleichberechtigung der Geschlechter unterstützen. Dennoch wurde aus Gründen der besseren Lesbarkeit bei den Formulierungen oft nur eine Geschlechterform gewählt. Damit soll jedoch keine Benachteiligung des jeweils anderen Geschlechts ausgedrückt werden.

[9]1 Wozu ein weiteres personaldiagnostisches Modell?

Potenzial- und Kompetenzmanagement kann sehr unterschiedlich interpretiert und angewendet werden. Diese beiden Begriffe können bei manchen Menschen mit entsprechenden Vorerfahrungen das Bild eines bürokratischen oder betriebswirtschaftlich komplizierten Verwaltungsapparates hervorrufen. Es mag sein, dass es Unternehmen und Organisationen gibt, die Derartiges konstruiert haben. Anleitungen für Verwaltungsapparate enthält dieses Buch nicht, denn im Kern geht es um die richtige Einschätzung und die geschickte Steuerung der schlummernden und vorhandenen Fähigkeiten und Fertigkeiten von Menschen. All das zielt darauf ab, Personen passend zu ihren Potenzialen und Kompetenzen einzusetzen, um die beabsichtigten Leistungen hervorzubringen. Dabei ist es unerheblich, ob es um die Potenziale und Kompetenzen einer Einzelperson oder von Teams eines Großkonzerns geht, ob um Menschen auf der Suche nach der passenden Ausbildung oder um die Neuausrichtung von »alten Hasen«.

Ausgangspunkt für das Potenzial- und Kompetenzmanagement bildet im Normalfall der Bedarf an Kompetenzen zum Hervorbringen gewünschter Resultate. Damit verbunden ist die Frage nach der Passung von Personen zu Tätigkeitsfeldern und umgekehrt. Am Ende jedes einzelnen Vorgangs, der durch diese Frage angestoßen wird, steht in der Regel eine Antwort in Form einer Personalentscheidung. Der Begriff Personalentscheidung ist dabei mindestens in zwei Richtungen zu verstehen. Auf der einen Seite treffen Arbeitgeber, Führungskräfte und Personalrecruiter diese Entscheidung. Auf der anderen Seite trifft auch jeder Arbeitnehmer für sich eine Personalentscheidung – auch wenn Letztere nur selten so bezeichnet wird.

Solche teilweise sehr weitreichenden Entscheidungen sollten gut überlegt sein. Aber was bildet die Grundlage für derartige Entscheidungen? Für manche Menschen ist es das sprichwörtliche »Bauchgefühl«, andere gehen analytischer vor.

Wenn die Arbeitswelt – egal ob im kommerziellen Bereich oder in Non-Profit-Organisationen – ein statischer Zustand wäre, ergäbe sich für diese Zuordnung von Personen zu Tätigkeitsfeldern und die damit verbundenen Entscheidungen jeweils nur ein einmaliger Vorgang. Aber indem sich die Arbeitswelt mit ihren Tätigkeitsfeldern in einem ständigen Wandel befindet und Menschen – zum Glück – ihre Potenziale entfalten und Kompetenzen entwickeln, ist als Antwort auf diese dynamische Arbeitswelt eine analytische und gezielte Steuerung erforderlich.

Wer dabei innovative Wege gehen möchte, um zu besseren Lösungen zu gelangen, kann nicht nur einfach die vorhandenen Instrumente und Methoden etwas optimieren. Die betriebswirtschaftlichen Anforderungen der Unternehmen hätten ein Brachliegen von Verbesserungsmöglichkeiten gar nicht zugelassen. Insofern liegt die Vermutung nahe, dass sich auch in diesem Fall die wirklich innovativen Lösungen außerhalb des bisherigen Betrachtungsrahmens befinden. [10]Wie jemand mit bestehenden Ansätzen umgeht und ob jemand zu neuen Lösungen kommt, hängt maßgeblich von den – bewusst oder unbewusst eingesetzten – Denkmodellen ab.

Für professionelle Personalentscheider bilden vor allem die personaldiagnostischen Modelle die Grundlage. Da diese Modelle und die darauf aufbauenden Instrumente bei Personalexperten bekannt sind und teilweise über Jahrzehnte hinweg optimiert wurden, erfordern innovative Lösungen auf diesem Gebiet einen neuen Betrachtungsrahmen, eine neue Perspektive, ein neues Denkmodell. Aber wer braucht schon ein weiteres diagnostisches1 Modell? Antwort: Niemand braucht ein weiteres Modell derselben Art, von der es bereits zahlreiche gibt.

Aus jahrelanger theoretischer und praktischer Erfahrung mit diagnostischen Modellen kann ich aber sagen, dass gerade die Fragen zur konkreten Eignung einer Person zu einem spezifischen Aufgabenspektrum von den weitverbreiteten Persönlichkeitsmodellen nicht oder nur sehr abstrakt beantwortet werden können. Bei überfachlichen Aufgaben und Kriterien wie beispielsweise Kontaktverhalten, Belastbarkeit, Kooperationsfähigkeit oder Gewissenhaftigkeit gibt es sehr gute diagnostische Modelle. Aber für die themen- und fachspezifische Eignung? Im riesigen Markt der diagnostischen Modelle und ihrer Anbieter müsste sich doch für jeden Anwendungsfall ein geeignetes Modell finden. Müsste. Tut es aber nicht. Was man findet, sind Persönlichkeitsmodelle en masse, darunter auch einige wenige gute. Aber eben nur Persönlichkeits-Modelle und keine Affinitäten-Modelle. Bei den Persönlichkeitsmodellen geht es – wie der Name schon sagt – weitestgehend um Persönlichkeits-, Charakter- und Verhaltensmerkmale.

Niemand braucht ein weiteres Modell derselben Art, von der es bereits zahlreiche gibt.

Was fehlt, ist eine Antwort auf die Frage nach der Eignung und der Motivation für bestimmte Themen – und das im Zusammenhang mit individuellen Arbeitsweisen, bei denen am Ende ein sinnvolles Ergebnis herauskommen soll. Welche Affinitäten es gibt und welche es braucht, um nutzbare Resultate hervorzubringen und wie Menschen und Aufgaben in sinnvolle Passung zueinander gebracht werden können, ist Ziel und Inhalt dieses Buches.

Die aus dem Affinitäten-Modell abzuleitenden Affinitätenprofile bilden die Grundlage für die verschiedenen Anwendungsfelder, die in diesem Buch beschrieben werden. Insofern behandelt das Buch zunächst das Affinitäten-Modell als innovatives personaldiagnostisches Konzept, bevor die praktische Anwendung der Affinitätenprofile vorgestellt wird.

[11]1.1 Der Unterschied zu Persönlichkeitsmodellen

Das Affinitäten-Modell ist nicht als ein weiteres Konzept in der Reihe der vorhandenen zu sehen, sondern als ein völlig andersartiges Modell. Entstanden ist es nicht in Anlehnung an andere Persönlichkeitsmodelle, sondern aus Ermangelung eines geeigneten vorhandenen Modells. Es geht auch nicht um Persönlichkeit, sondern um Affinität – darum Affinitäten-Modell. Affinität ist abgeleitet vom Lateinischen »affinitas« – Schwägerschaft – und bezeichnet also eine bestimmte Art von persönlicher Beziehung. Beim Affinitäten-Modell geht es um die persönliche, motivierende Beziehung, Neigung und das Angezogensein eines Menschen von spezifischen fachlichthematischen Aufgabenfeldern und Arbeitsweisen. In diesem Modell wird der Begriff Affinität als Verbindung von Kompetenzmotivation und Fähigkeitspotenzial für bestimmte Tätigkeitsfelder verstanden, verknüpft mit dem Ziel, nutzbare Ergebnisse hervorzubringen.

Affinität ist die Verbindung von Kompetenzmotivation und Fähigkeitspotenzial.

Dabei ist die Kompetenzmotivation im Sinn einer grundlegenden Anziehungskraft Voraussetzung, um Kompetenzen effektiv entwickeln und einsetzen zu können. Je nach Anwendungsfall des Affinitäten-Modells kann der Fokus eher auf dem noch verborgenen Potenzial liegen oder auf der bereits praktisch unter Beweis gestellten Kompetenz. Ersteres kann beispielsweise bei Berufsberatung und Stellenbesetzung der Fall sein, Letzteres bei Restrukturierungen eines Teams oder im Kompetenzmanagement.

Als Kompetenz wird in diesem Buch eine bewusst oder unbewusst abrufbare Fähigkeit zum Erbringen einer erwünschten Leistung verstanden.

Zu Themen, die für einen Menschen einen Wert darstellen, lassen sich tendenziell auch leichter Fähigkeiten entwickeln. Das gilt gleichermaßen für den Wert und die Attraktivität, die jemand Tätigkeiten und damit verbundenen Kompetenzen beimisst. Jemand, der Menschen nicht mag und der für den Begriff »Empathie« nur ein mitleidig gequältes Lächeln übrig hat, wird auch nach intensiven Sozialkompetenz-Schulungen kein Menschenfreund werden. Das ist keine Frage von Intelligenz, sondern von Kompetenzmotivation, also dem Wert und der Attraktivität, die jemand einer (zu erlangenden) Kompetenz beimisst.

Ob jemand tatsächlich eine Kompetenz im Sinne einer abrufbaren Fähigkeit besitzt, kann mit keinem Modell überprüft werden. Aber ob jemand das Potenzial hat, bestimmte Kompetenzen zu entwickeln, und ob jemand geeignet ist, konkrete Kompetenzen praktisch anzuwenden, das lässt sich durchaus sehr gut prognostizieren. In diesem Sinn ist das Affinitäten-Modell ein Instrument, um die Kompetenzmotivation und die Eignung von Personen für bestimmte Tätigkeitsfelder zu ermitteln.

[12]Das Affinitäten-Modell ist ein praktisches Konzept, das die Fragen von Arbeitgebern, Führungskräften, Personalentscheidern, Studienfach-Auswählern, Absolventen, beruflichen Neu-Orientierern, Coaches, Beratern und vielen anderen beantworten kann, auf die Persönlichkeitsmodelle keine oder nur sehr vage Antworten haben. Heißt das, dass Persönlichkeitsmodelle schlecht oder unwichtig sind? Keinesfalls. Persönlichkeitsmodelle sind gut und wichtig – zumindest die qualitativ hochwertigen –, um Persönlichkeitsmerkmale zu beurteilen. Das Affinitäten-Modell fokussiert auf die Fragestellungen, auf die die Persönlichkeitsmodelle gar keine Antwort geben wollen und können.

Das Affinitäten-Modell fokussiert auf Fragestellungen,auf die Persönlichkeitsmodelle gar keine Antwort geben wollen und können.

1.2 Agiles Potenzial- und Kompetenzmanagement

Das Affinitäten-Modell geht weit über die unmittelbare Eignungsdiagnostik im Rahmen der Stellenbesetzung hinaus. Das Ziel von Modellen ist es, die Komplexität der Wirklichkeit handhabbar zu machen. Während Persönlichkeitsmodelle Charaktereigenschaften und Verhaltensmerkmale greifbar machen, geht es beim Affinitäten-Modell um die Komplexitätsreduktion von themen- und fachspezifischen Tätigkeitsprofilen. Die daraus resultierende Grundstruktur ist gerade angesichts der Vielfalt und Veränderungsgeschwindigkeit von Berufsbildern sehr hilfreich, um unabhängig von Ausbildungsabschlüssen, Studienfächern und Stellenbezeichnungen Potenzial- und Kompetenzmanagement betreiben zu können. Während die Akkreditierung von Ausbildungs- und Studienabschlüssen mehr Zeit benötigt, als es die schnellen Veränderungsprozesse in Industrie und Wirtschaft verlangen, fordern bereits seit längerer Zeit die industriellen Qualitätsnormen ein Kompetenzmanagement, das damit Schritt halten kann. Aber wie kann ein Unternehmen Tausende von Fachkompetenzen einschließlich ihrer permanenten Veränderungen steuern? Die Baukasten-Struktur des Affinitäten-Modells bietet eine Antwort, um Potenziale und Kompetenzen agil zu managen.

Mit der Baukasten-Struktur des Affinitäten-Modells lassen sichPotenziale und Kompetenzen agil managen.

Das Affinitäten-Modell ist die Voraussetzung für die darauf basierende Personaldiagnostik, und das Verständnis dieser Diagnostik ist seinerseits Voraussetzung für alle darauf aufbauenden Anwendungsfelder. Potenzial- und Kompetenzmanagement stellt einerseits ein eigenes Anwendungsfeld dar, andererseits kann es die übrigen Anwendungsfelder integrieren und so auch als Gesamtsystem aller beschriebenen Einsatzbereiche verstanden und genutzt werden. Entsprechend dieser Logik wird die konkrete Anwendung von Potenzial- und Kompetenzmanagement erst nach den anderen Anwendungsfeldern vorgestellt.

[13]1.3 Was Führungskräfte und Personalentscheider erwarten

Mit bunt gestalteten Werbeflyern preisen Eignungsdiagnostiktest-Anbieter ihre Leistungen an. Und es werden genau die Anwendungsfälle benannt, für die Personalentscheider eine fundierte Entscheidungsgrundlage herbeisehnen: Personalauswahl, Potenzialanalysen, Eignungsfeststellung und so manches mehr. Das klingt vielversprechend. Der Laie lässt sich womöglich schnell überzeugen. Der erfahrene Personalentscheider stellt dann aber die entscheidende Frage: »Und wie bekomme ich heraus, ob ein Bewerber eher für handwerkliche Tätigkeiten geeignet ist oder für das Erstellen von technischen Zeichnungen oder ob er tendenziell das Potenzial zum Softwareentwickler hat?« »Das bekommen Sie mit keinem diagnostischen Verfahren heraus«, lautet die Antwort des ehrlichen Diagnostikanbieters. Unbefriedigende Antwort. Alternative Vorschläge verweisen auf ganz spezielle Fähigkeitstests, die jeweils eine bestimmte Fähigkeit überprüfen. Andere Alternativen sind Arbeitsproben, Probearbeiten und ähnliche nicht universell einsetzbare Methoden.

Ganz schwierig wird es bei der Berufs- und Karriereberatung, bei der eine Person wissen möchte, welcher Beruf, welche Tätigkeitsfelder zu ihr passen. Mit Arbeitsproben und speziellen Fähigkeitstests kommt man hier ohnehin nicht weiter. Erstere liegen bei Berufseinsteigern nicht vor. Aber auch bei Berufserfahrenen zeigen Arbeitsproben nur, was jemand aufgrund seines speziellen Arbeitsplatzes bisher gemacht hat. Sie zeigen jedoch nicht die Bandbreite dessen, was jemand machen könnte und wofür er eine Affinität besitzt. Oftmals sind Arbeitsproben mehr aus der Pflicht zur Leistungserbringung entstanden als aus Motivation. Aus derartigen Arbeitsproben lässt sich höchstens schließen, was zu einer Person nicht passt, weil sie schlechte Erfahrungen damit gemacht hat. Aber auch das wäre ohne fundierte Analyse Mutmaßung. Und Fähigkeitstests für alle infrage kommenden Einsatzfelder sind allein aus Zeitgründen keine Lösung.

Die Ausgangslage stellt sich folgendermaßen dar: Es gibt in Industrie, Wirtschaft, Non-Profit-Organisationen und auf der Seite der arbeitswilligen Menschen durchaus Bedarf an Instrumenten, die Antworten auf die Frage nach den passenden Aufgaben, Tätigkeitsfeldern und Jobs für eine Person geben. Viele Personaldiagnostiker versprechen auch, derartige Antworten liefern zu können.

Eignungsdiagnostische Ergebnisse beantworten nur selten die Fragender Personalentscheider.

Aber zwischen den diagnostischen Ergebnissen und den erhofften Antworten gibt es oft eine unbefriedigende Lücke.

[14]Arbeitgebern, Führungskräften und anderen betriebswirtschaftlich orientierten Personalentscheidern geht es bei Personalentscheidungen fast immer um die Prognose, ob eine Person, ein Bewerber bestimmte Leistungen erbringen kann, will und wird. Die Erwartungshaltung an den Personaldiagnostiker ist, auf diese Frage eine möglichst konkrete, praxisnahe und verständliche Antwort zu geben. Die Rolle des Diagnostikers ist es, analytisch gewonnene Informationen über die betreffende Person beizusteuern. Sofern die Diagnostik-Informationen die oben genannte Erwartungshaltung der Personalentscheider erfüllen, ist das gut. Erfahrungsgemäß ist das aber trotz guter Vorsätze der Diagnostiker eher selten der Fall.

Warum aus Sicht von Arbeitgebern und Führungskräften die beschriebene Fragestellung oft nur unzureichend oder unbrauchbar von Diagnostikern beantwortet wird, hängt von der Perspektive der Fragestellung ab. Folgendes Gedankenmodell soll die unterschiedlichen Perspektiven transparent machen.

Abbildung

Abb. 1: Unterschiedliche Perspektiven auf Personaldiagnostik

Der Diagnostiker schaut aufgrund seiner Erfahrungen mit Persönlichkeitsmodellen zunächst auf Persönlichkeitsmerkmale. Die Führungskraft fokussiert vor allem auf die erwartete Leistung. Es ergeben sich folgende Schritte von der einen zur anderen Seite:

[15]Je weiter sich der Personaldiagnostiker mit seiner Perspektive in Richtung der Perspektive des Arbeitgebers bewegt, desto mehr wird seine diagnostische Einschätzung beachtet werden.

Je mehr der Diagnostiker die Perspektive des Arbeitgebers einnimmt,desto mehr Beachtung findet die Diagnostik.

Personaldiagnostiker, die nur bei der Persönlichkeitsbeschreibung stehen bleiben, aber keine Aussagen über prognostizierte Kompetenzentwicklung oder gar über zu erwartende Leistungen wagen, brauchen sich nicht zu wundern, wenn Führungskräfte und Arbeitgeber wenig Sinn in der Personaldiagnostik sehen. Denn am Ende geht es für Führungskräfte immer um die Leistung, die ein Bewerber, ein Mitarbeiter erbringen wird.

Sofern es um überfachliche Kompetenzen geht, liefern Persönlichkeitsmodelle und damit verbundene Testverfahren hilfreiche Informationen, um auf das Potenzial zu schließen. Nur wenige Anbieter wagen dann auch eine Kompetenz- oder gar Leistungsprognose. Die Frage nach dieser Prognose ist aber das Mindeste, was Arbeitgeber und Führungskräfte vom Diagnostiker beantwortet haben möchten.

Bei fachspezifischen Themen greifen die üblichen Persönlichkeitsmodelle nicht. Ob eine Person tatsächlich die gewünschte Leistung abliefert, wird erst das Tagesgeschäft zeigen, und es wäre vermessen, eine absolute Zukunftsschau von der Diagnostik zu erwarten. Die tatsächliche Leistung ist dafür zu sehr von einer Vielzahl von Einflussfaktoren abhängig, die diagnostisch gar nicht ermittelt werden können. Gerade aber bei themen- und fachspezifischen Aufgabenbereichen sollte zumindest die Frage der Eignung und Motivation durch Personaldiagnostik beantwortet werden. Und an dieser Stelle setzt das Affinitäten-Modell an.

1.4 Was Persönlichkeitsmodelle leisten

Die Vielzahl der entwickelten und am Markt angebotenen Modelle und damit verbundenen Tests lässt kaum eine eindeutige Strukturierung zu. Die nachfolgende Einteilung erscheint aber dennoch hilfreich, um sich in der Landschaft der Persönlichkeitsmodelle zu orientieren. Neben dem Körpersäfte-Modell (Phlegmatiker, Sanguiniker, Choleriker, Melancholiker) von Hippokrates aus der griechischen Antike ist es vor allem die Persönlichkeitstheorie von C. G. Jung (1921), die für viele Modelle Pate stand. Für detaillierte Beschreibungen der historischen Entwicklung und der Spezifikationen der einzelnen Modelle sei hier auf die einschlägige Literatur verwiesen.

1.4.1 Eigenschaftsskalen-Modelle

Grundstruktur dieser Modelle sind verschiedene Eigenschaften, denen jeweils eine Skala zugeordnet ist. Dabei gibt es einige Konzepte, die die Ausprägung der Eigenschaften jeweils auf Skalen [16]von »schwach« bis »stark« abbilden. Bei anderen Modellen bestehen die Skalen jeweils aus einem Begriffspaar, das die Pole der Skala bildet, z. B. introvertiert – extrovertiert, bewahrend – forschend. Die individuellen Werte einer Person werden durch unterschiedlich starke Ausprägungen auf den Skalen dargestellt. Diese Modelle beschreiben in der Regel Aspekte, die weitestgehend als Persönlichkeits-, Charakter- und Verhaltensmerkmale zusammengefasst werden können.

Darauf aufbauend sind für bestimmte Kompetenzen durchaus Potenzialaussagen möglich. So lässt sich beispielsweise aus einem stark ausgeprägten Wert auf der Skala »introvertiert« schließen, dass die betreffende Person weniger für kontaktintensive Kompetenzen (z. B. Kommunikation, Moderation, Sprechen vor Publikum) geeignet ist. Eine Prognose über themen- und fachspezifische Eignung liefern diese Modelle nicht.

Eigenschaftsskalen-Modelle gibt es in unterschiedlicher Form. Meistens sind mehrere Skalen unabhängig voneinander unter- oder nebeneinander aufgelistet. Es gibt aber auch Modelle, bei denen aus zwei Skalen ein Koordinatensystem erstellt wird. Das erzeugt zwar grafisch interessante Zusammenhänge, begrenzt aber gleichzeitig diese Modelle auf nur zwei Skalen – die horizontale und die vertikale Koordinatenachse.

Als Beispiele für Eigenschaftsskalen-Modelle sind zu nennen:

  • Big Five2
  • DISG3
  • Bochumer Inventar4

Zu beachten ist hierbei die sehr unterschiedliche Güte und Aussagekraft der Modelle und der damit verbundenen Testverfahren. Eine wissenschaftlich und praktisch weitestgehend positive Beurteilung hat das Big-Five-Modell5, das auch die Grundlage für viele andere Modelle bildet.

1.4.2 Wertebasierte Modelle

Grundstruktur dieser Modelle ist ein Wertesystem. Dabei werden aus den Abweichungen zwischen einem Ideal-Wertemodell und den Wertevorstellungen der betreffenden Person Rückschlüsse auf Kompetenz-Potenziale und andere Eigenschaften gezogen. Ein Grundansatz ist dabei die Erkenntnis, dass Kompetenzen, die für eine Person einen positiven Wert darstellen, auch leichter erlernbar sind und intrinsisch motiviert ausgeübt werden. Sofern jemand [17]beispielsweise praktischen Ergebnissen keinen hohen Wert beimisst – sondern eher theoretischen Auseinandersetzungen – wird die betreffende Person aller Voraussicht nach keine hohe praktische Umsetzungsstärke zeigen, sie hat aber durchaus Potenzial für analytische Kompetenzen. Eine Prognose über themen- und fachspezifische Eignung liefern diese Modelle nicht.

Als Beispiele für wertebasierte Modelle sind zu nennen:

  • Profilingvalues6
  • WerteCockpit

1.4.3 Bedürfnisbasierte Modelle

Grundstruktur dieser Modelle ist eine Anzahl unterschiedlicher Arten von Bedürfnissen, z. B. Bedürfnis nach Sicherheit, Anerkennung und Macht. Die Informationen über bestimmte Bedürfnisse eines Menschen sind hilfreich, um zu verstehen, was jemanden motiviert und wofür er Energie aufwendet. Einer Person mit einem starken Bedürfnis nach Ausübung von Macht nur untergeordnete administrative Aufgaben zu geben, wäre sicherlich nicht zielführend. Gleichzeitig kann im praktischen Ausleben dieser Bedürfnisse auch ein Risiko für sich und andere liegen, was am Beispiel des Bedürfnisses nach Macht unschwer erkennbar sein dürfte. Eine Prognose über themen- und fachspezifische Eignung liefern auch diese Modelle nicht.

Als Beispiele für bedürfnisbasierte Modelle sind zu nennen:

  • Reiss Profile7
  • Maslow’sches Modell

1.4.4 Rollen- oder Typen-Modelle

Grundstruktur dieser Modelle ist eine Anzahl unterschiedlicher Rollen oder Typen, denen bestimmte Eigenschaften zugeordnet werden. Dabei liegt der Fokus vor allem auf Verhaltensmustern und Charaktereigenschaften, aus denen sich für die Eignungsdiagnostik durchaus Schlussfolgerungen für überfachliche Kompetenzen ziehen lassen. Eine Prognose über themen- und fachspezifische Eignung liefern diese Modelle nicht.

Als Beispiele für Rollen- oder Typen-Modelle sind zu nennen:

  • Enneagramm8
  • MBTI
  • [18]Insights
  • Grundformen der Angst9
  • Teamrollen nach Belbin10

1.4.5 Fazit

Die aufgeführten Persönlichkeitsmodelle und Typologien zielen weitestgehend auf die Einordnung von Charakter und Verhalten ab, weshalb die Frage nach themen- und fachspezifischer Eignung weder Ziel dieser Modelle ist noch dazu verwendet werden kann.

1.5 Interessenorientierte Modelle

Die Suche nach Modellen, die eher die themen- und fachspezifische Eignung im Fokus haben, liefert sehr überschaubare Ergebnisse: Den Gallup bzw. Clifton Strengthsfinder11 und das RIASEC-Modell von Holland12, wobei der Strengthsfinder im eigentlichen Sinne auf Stärken fokussiert und nicht auf Interessen. Aber aufgrund der geringen Ausbeute bei der Suche nach interessenorientierten Modellen sei der Strengthsfinder hier auch aufgeführt.

1.5.1 Der Gallup oder Clifton Strengthsfinder

Die Werbetexte beschreiben den Strengthsfinder als Instrument zum Herausfinden von Stärken. Dabei bleibt zunächst offen, was mit Stärken gemeint ist – Charakterstärken, Kompetenzen, fachspezifische Stärken? Auch bei näherer Betrachtung ist es kaum möglich, ein durchgehendes Strukturprinzip hinter dem Stärken-Katalog des Strengthsfinders zu erkennen. Es handelt sich vielmehr um eine empirisch zusammengestellte Liste von Stärken, die eine Mischung aus Charakterstärken, Persönlichkeitseigenschaften und Fähigkeiten darstellt.

Für Führungskräfte und Personalentscheider wird jedoch nicht deutlich, ob das, was jemand mit diesem Instrument als persönliche Stärke identifiziert, tatsächlich auch eine Kompetenz im Sinne einer für das Unternehmen nutzbringenden, bewusst abrufbaren Fähigkeit darstellt. Bestimmte Stärken, wie beispielsweise »Strategie«, können im weitesten Sinn auch für die Frage der fachlichen Eignung herangezogen werden. Im engeren Sinn liefert der Strengthsfinder jedoch keine Prognose über die themen- und fachspezifische Eignung. Damit ist der [19]Strengthsfinder keinesfalls ein schlechtes Instrument. Aber seine Einsatzfelder liegen in anderen Bereichen als in der eingangs beschriebenen Zielsetzung.

1.5.2 Das RIASEC-Modell von Holland

Das von John Holland in den 1970er Jahren entwickelte RIASEC-Modell ist weitestgehend das einzige Modell, das auf themenbezogene berufliche Interessen abzielt. Die sechs Interessensorientierungen, deren Anfangsbuchstaben den Modell-Namen ergeben, bilden eine hilfreiche Grundstruktur für die themen- und fachspezifische Einordnung: R = Realistic (praktischtechnisch), I = Investigative (beobachtend-forschend), A = Artistic (künstlerisch-sprachlich), S = Social (sozial), E = Enterprising (unternehmerisch), C = Conventional (verwaltend).

Für eine grobe Berufsorientierung kann das RIASEC-Modell durchaus verwendet werden. Für eine spezifischere Diagnostik ist es jedoch schwierig, eine stringente Logik zu erkennen.

Würde

Nichtsdestotrotz geht Hollands RIASEC-Ansatz genau in die richtige Richtung dessen, was für eine themen- und fachspezifische Personaldiagnostik erforderlich ist. Aber um solch ein Modell nicht nur für die grobe Erstorientierung von Berufsanfängern einsetzen zu können, sondern auch für die Personaldiagnostik von Berufserfahrenen und für Potenzialaussagen, ist eine ausdifferenzierte Logik erforderlich.

1.5.3 Fazit

Der eingangs dargestellte Bedarf an einem Modell für themen- und fachspezifische Personaldiagnostik wird von den vorhandenen Persönlichkeitsmodellen nicht abgedeckt.

Fachspezifische Eignungsdiagnostik wird von den vorhandenenPersönlichkeitsmodellen nicht abgedeckt.

Aufgrund der andersartigen Zielsetzung dieser Modelle stellt diese Erkenntnis jedoch keine qualitative Negativbewertung dar. Im Gegenteil: Gerade das Big-Five-Modell, die wertebasierten Verfahren Profilingvalues und WerteCockpit sowie das Enneagramm stellen für ihre jeweilige Zielsetzung in der Persönlichkeitsbeschreibung und -analyse hervorragende Instrumente dar. Allein mengenmäßig fällt jedoch auf, dass mit dem RIASEC-Modell nur ein einziges Modell für die themen- und fachspezifische Diagnostik präsent ist, während die Menge der charakter- und verhaltensorientierten Modelle je nach Zählart bis in den dreistelligen Bereich geht. Das macht das Problem umso deutlicher. Trotz medial viel diskutiertem demografischen Wandel und Fachkräftemangel sind themen- und fachspezifische Instrumente und Modelle in der Personaldiagnostik nahezu unberücksichtigt. Diese Diskrepanz erfordert nicht zwangsläufig ein Umdenken, sehr wohl jedoch eine Ergänzung der diagnostischen Modelle und Verfahren. Vor diesem Hintergrund und dem damit verbundenen Bedarf wurde das Affinitäten-Modell entwickelt.


1 Die Begriffe »Personaldiagnostik«, »Eignungsdiagnostik« und »Diagnostik« werden in diesem Buch parallel verwendet. »Diagnostik« ist dabei die verkürzte Bezeichnung, da aus dem Kontext des Buches hervorgeht, was Gegenstand der Diagnostik ist. »Eignungsdiagnostik« bezieht sich vorrangig auf die Einschätzung der Eignung einer Person für eine konkrete Aufgabe oder Rolle, während »Personaldiagnostik« der übergeordnete Begriff ist, der auch unabhängig von der Frage nach der Eignung Themen wie beispielsweise die Analyse von Teamproblemen beinhalten kann.

2 Vgl. Howard, Pierce J. und Mitchell Howard, Jane: Führen mit dem Big-Five-Persönlichkeitsmodell, Frankfurt/New York, 2002.

3 Vgl. Seiwert, Lothar und Gay, Friedbert: Das 1 × 1 der Persönlichkeit, 20. Aufl., Remchingen, 2012.

4 Vgl. Kanning, Uwe Peter und Kempermann, Hang (Hrsg.): Fallbuch BIP. Das Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung in der Praxis, Göttingen, 2012.

5 Vgl. Brodbeck, F. C. und Mendius, M.: Erfolg dank Wirtschaftspsychologie? Chancen und Herausforderungen, Wirtschaftspsychologie aktuell 1/2010, S. 18.

6 Vgl. Vogel, Ulrich: Profilingvalues: Handbuch. System, Anwendungen und Interpretation des Reports, Santa Cruz de Tenerife, 2018.

7 Vgl. Reiss, Steven: Das Reiss Profile, Offenbach, 2009.

8 Vgl. Rohr, Richard und Ebert, Andreas: Das Enneagramm: Die 9 Gesichter der Seele, 46. Aufl., München, 2010.

9 Vgl. Riemann, Fritz: Grundformen der Angst, 36. Aufl., München, 2003.

10 Vgl. Belbin, R. Meredith: Team Roles at Work, 2. Aufl., Oxford, 2010.

11 Vgl. Buckingham, Marcus und Clifton, Donald O.: Entdecken Sie Ihre Stärken jetzt! Das Gallup-Prinzip für individuelle Entwicklung und erfolgreiche Führung, 5. Aufl., Frankfurt am Main, 2016.

12 Vgl. Joerin Fux, Simone: Persönlichkeit und Berufstätigkeit. Theorie und Instrumente von John Holland im deutschsprachigen Raum, Göttingen, 2005.