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Und was ich dir noch sagen wollte ...
Geschichten für Kinder
Martina Meier (Hrsg.)
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Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Erstauflage 2007
Titelbilder: Marie Luise Meier
Herstellung und Lektorat: Redaktions- und Literaturbüro MTM: www.literaturredaktion.de
1. Auflage 2007
2. leicht veränderte Auflage 2010
ISBN: 978-3-940367-02-0 - Taschenbuch
ISBN: 978-3-96074-186-2 - E-Book
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Ein genau richtiges Geschenk
Die Perle der Meeresprinzessin
Ein Kuss geht auf Reisen
Knibbel und Knubbel beim Frühlingsausflug
Bongos Kappe
Die Zahndinos
Aufstand im Märchenland
Igor Igel
Der kleine Fragenbär
Happy End
Wo ist der Himmel, Oma Röschen?
Das Schokofresserchen
Als Kyrill tobte
Dackeldame Dorothea und der dressierte Drache Dragomir
Regenwurmgeschichte
Der Junge aus dem Meer
Der Familienstern
Kleiner Hering in Gefahr
Die weiße Insel
Das kleine Samenkorn
Ich bin doch groß!
Hugo und der Tränenfresser
Die Geschichte von Zack, der kleinen Briefmarke
Glaub an deine Träume
Schwester Anna
Nacht der Wünsche
Wenn du groß wirst
Waldwichtelwettbewerb
Rätselhafte Spuren
Der Schokoladenklops
Die Schneefrau
Rennschnecken
Marek ist der Hexklex
Merlin lernt fliegen
Hans-Heinerich, der Träumer
Das Lied der Katzen
Über das Lachen
Himmelsabenteuer
Der Junge und die Münzen
Heute werden Herzen wachsen
Esther bedeutet Stern
Kleine Elfe Mingapur
Wie der Mond rund wurde
Der Holzwurm
Ein Name für den Kleinen Engel
Geschichte von der Höhenangst
Reisen mit dem Magier: Bei den Römern
Mario und das i-Tüpfelchen auf dem Tag des Glücks
Tamira will zum Zirkus
Zeugnis
Der Prinz und das Schnupfenmännchen
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Lissi drückte ihre Nase an der Schaufensterscheibe platt. Vielleicht würde sie hier finden, wonach sie suchte. Ihr Blick wanderte über die Auslage. Eine elektrische, schokoladenbeladene Modelleisenbahn bahnte sich schnaufend ihren Weg durch kunstvoll drapierte Spielzeugberge. Da gab es hoch aufgestapelte PC-Spiele der Pokemons und anderer Monster, eine Playmobilburg, ein Legopiratenschiff, Steif-Teddys und noch jeder Menge anderer Kleinkram, der ein Kinderherz höher schlagen lässt. Normalerweise. Lissi aber suchte etwas ganz Besonderes.
Zögerlich betrat sie den überfüllten Laden. Wohl ein halbes Dutzend hektischer Verkäufer drängte sich schwitzend durch die ungeduldige Kundenschar. Ein steifer Mann im grauen Flanellmantel rammte Lissi seinen Aktenkoffer in den Rücken, als er versuchte, sich mit einem riesigen Karton Duplosteinen zur Kasse durchzudrängen. Das tat weh. Lissi überlegte schon, ob es besser sei wieder zu gehen. „Nun junges Fräulein, was darf es denn sein?“ Eine dicke, blonde, stark parfümierte Verkäuferin beugte sich zu ihr herab. „Oh, ich, ähm, nun ich brauche ein Geschenk“, stotterte Lissi. Die Verkäuferin verzog ein wenig die Mundwinkel: „Das wollen sie hier alle, junges Fräulein. Könntest du etwas genauer werden?“
„Nein!“ Lissi blickte der Verkäuferin fest in die entrüsteten Augen. „Ich brauche ein ganz besonderes Geschenk für einen ganz besonderen Bruder und für den Rest brauche ich Sie! Ja, und ich habe 20 Mark!“ Kokett schlang sie sich eine ihrer feuerroten Locken um den Finger und überhörte absichtlich den Stoßseufzer der geplagten Verkäuferin.
Diese zog nun einige Dinge aus dem Regal und führte sie der Reihe nach der wählerischen Kleinkundin vor: „Hier ein 100-Teile-Puzzel des neuesten Pokemonmonsters, mit Leuchtfarbenhintergrund ...“ Lissi schüttelte den Kopf. „Dann dies hier - ein ferngesteuertes Mondmobil im Miniformat ...“ Lissi rümpfte die Nase. „Oder diese ultimativen Glitzerwachsstifte mit Geheimstifteffekt ...“ Lissi verzog angewidert die Mundwinkel.
Die Verkäuferin zog gerade ein grellbuntes Plastikschiff hervor, als ein dicker Herr mit hochrotem Kopf sich lautstark bemerkbar machte: „Wird man in diesem Laden auch mal bedient?“ Die Verkäuferin legte das Plastikschiff beiseite und hauchte Lissi ein „Moment mal eben“, zu.
„Guten Tag verehrter Herr von Quassel, was kann ich denn für Sie tun“, umschmeichelte sie den aufgebrachten Herrn. Der dicke Herr zog schnaufend ein etwas ramponiertes Päckchen hervor und knallte es auf die Ladentheke. „Wenn das ihre Vorstellungen von Qualität sind, dann bin ich die längste Zeit hier Kunde gewesen!“
Nervös zog er einen Teddy aus dem Päckchen. „Nun sehen Sie sich das einmal an! Von wegen bewegliche Gelenke, ein wenig zu beweglich will ich meinen!“ Er hielt den Teddy der Verkäuferin vor die verdutzte Nase, er baumelte an einem schlaff her-abhängendem Bein. „Und dann schauen Sie sich einmal dieses Gesicht an! Von wegen Kulleraugen – da kullert gar nichts mehr! Dafür schielt das Viech jetzt! Ich hoffe wenigsten Ihre Geld-zurück-Garantie ist von besserer Qualität.“ Er öffnete seine Hand und der Teddy klatschte mit dem Gesicht nach unten auf die Ladentheke zurück. „Ja, ja, natürlich! Kommen Sie mit“, beschwichtigte die Verkäuferin den tobenden Kunden und schob ihn Richtung Kasse.
Lissi, die mit offenem Mund das Geschehen beobachtet hatte, hob nun sanft den Teddy hoch. „Du Armer! Kannst schließlich auch nichts dafür, wie du gemacht bist. Genau wie Bastian, der kann auch nichts dafür, aber alle ärgern ihn, weil er ein bisschen anders ist.“
Die schielenden Teddyaugen sahen in die ihren und es, war als verstünden sie. „Weißt du, er ist mein Bruder und oft sehr traurig deswegen. Etwas stimmt mit seinem Bein nicht – wie bei dir!“ Sie grinste. „Ach wirklich“, schienen die Teddyaugen zu fragen. Sie drückte den Bären an sich. „Wo ist denn das Reklamationsprodukt?“ Die Verkäuferin erschien in Begleitung des Filialleiters. „Es lag gerade noch hier!“ Sie sah sich suchend um.
„Suchen sie IHN?“ Lissi hielt ihr den Teddy hin. Der Filialleiter griff nach dem Bären. „Nein! Den will ich haben.“ Hastig drückte Lissi ihn wieder an sich. „Aber Kind! Das ist ein schadhaftes Produkt, den muss ich zum Hersteller einsenden. Fräulein Fröhlich wird dir einen funkelnagelneuen aus dem Lager holen.“ „Nein! Ich brauche DIESEN hier!“ „Aber er ist schadhaft, so etwas darf ich nicht verkaufen. Tut mir leid. Nun gib ihn mir.“ „Nein. Mein Bruder ist auch schadhaft und niemand schickt ihn zum lieben Gott zurück! Weil wir ihn lieb haben. Den Bär kauf ich! Und sonst gar nichts. Basta.“ Noch nie hatte Lissi jemanden so purpurrot anlaufen sehen. Verbissen lächelnd raunte der Filialleiter: „Fräulein Fröhlich reduzieren sie das Teil auf fünf Mark und verkaufen Sie ihr den Bären.“ Verlegen sah er in die Runde neugieriger Kunden, die sich um sie scharten. „Nein! Ich zahle den vollen Preis. Meine Mama sagt immer, Bastian ist genau soviel wert wie alle anderen Kinder auch, trotz lahmem Bein!“ Trotzig sah sie in das vor Spannung zuckende Gesicht des gestressten Filialleiters.
Dieser rang sichtlich um Fassung. „Kind, das geht nicht! Ich kann kein schadhaftes Produkt zum vollen Preis verkaufen. Unmöglich!“ Zur Belustigung der Umstehenden zückte Lissi ihren Zwanzigmarkschein und hielt ihn dem verzweifelten Filialleiter unter die Nase. „Da, bitte. Und bitte verpacken sie IHN als Geschenk.“ Alles lachte und der Filialleiter kam sich lächerlich vor.
Einige spannende Sekunden lang starrten sie sich gegenseitig in die Augen wie wilde Tiger. Lissi sah in zwei kalte, berechnende Geschäftsführeraugen und diese sahen in ihre trotzigen, unschuldigen, liebenden Kinderaugen. Alle hielten den Atem an. Dann nahm der Filialleiter Lissi den Teddy aus der Hand ging zur Kasse, verpackte den Bären in Goldpapier mit roter Schleife, bongte 20 DM und legte aus seiner eigenen Börse einen Zwanziger in die Kasse. Dann überreichte er einer staunenden Lissi das Paket. „Bitte sehr. Ein Geschenk des Hauses. Und vielen Dank auch, kleines Fräulein. Auf Wiedersehen!“ Er hielt Lissi die Ladentür auf und sie schritt stolz mit ihrem Paket hinaus.
Steffi Mayer-Teegen ist gelernte Grafikerin, studierte Philosophie und Literaturwissenschaften an der Uni Hamburg. Sie hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht.
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Tief im Meer, ja, auf dem Meeresgrund lebt ein alter, weiser Rochen. Er ist so alt, dass er nicht mehr weit schwimmt, sondern die meiste Zeit auf dem Meeresgrund zwischen Tang herumliegt und ab und zu eine Muschel frisst, die an ihn herangeschwemmt wird.
Doch der alte Rochen ist nie allein. Alle anderen Bewohner des Meeres mögen ihn sehr. Vor allem die jungen Bewohner. Die kleinen Rochenkinder besuchen den alten Rochen gerne. Er ist bekannt für seine tollen Geschichten. Denn der alte Rochen hat in seinem langen Leben auf dem Meeresgrund schon vieles erlebt. „Erzähl uns eine Geschichte“, rufen die kleinen Rochen schon von Weitem.
„Was möchtet ihr denn für eine Geschichte hören“, fragt der alte Rochen. „Eine von Prinzessinnen“, ruft ein Rochenmädchen. „Und mit einer Scholle“, ruft das größte Rochenkind.
Der große Rochen überlegt erst ein wenig, dann beginnt er zu erzählen: „Es war einmal eine Meeresprinzessin. Die Meeresprinzessin war ein kleiner Krake. Zu ihrem ersten Geburtstag hatte die Krake von ihrem Vater, dem Meereskönig, eine wunderschöne Perle geschenkt bekommen. Es war eine Perle aus einer Auster. Aber nicht aus irgendeiner Auster. Sie war aus einer 100 Jahre alten Auster. Es war die letzte Perle, die diese Auster produziert hatte. Seitdem gibt sie keine Perlen mehr. Der Vater hatte der Prinzessin gesagt, dass sie auf die Perle sehr gut aufpassen müsse und seitdem hütete die Prinzessin diese sehr.
Ab und zu spielte die Prinzessin mit der Perle. Dann warf sie sie von einem ihrer acht Arme zum nächsten. Das konnte sie sehr gut.
Eines Tages saß sie Prinzessin im Seegras und warf gerade die Kugel von Arm drei zu Arm fünf, als sie ihre Mutter rufen hörte: „Prinzessin, wo bist du denn?“ „Hier“, rief sie und - oh nein - sie hatte die Perle nicht wieder aufgefangen. Sie sah gerade noch, wie diese unter einen großen Stein rollte. Was nun? Sie konnte ihren Eltern nicht von dem Unglück erzählen, ihr Vater wäre bestimmt sehr enttäuscht gewesen.
Doch da stand auch schon die Königin vor ihr. „Hier bist du ja“, sagte sie, „ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass dein Vater und ich unseren königlichen Spaziergang machen. Lauf also nicht so weit weg, wir sind bald zurück.“ „Ja, gut“, sagte die Prinzessin und unterdrückte ihre Tränen. Kaum war ihre Mutter aber weg, fing sie an bitterlich zu weinen.
Es dauerte nicht lange, da kam ein großer Fisch vorbei. Hinter ihm her schwammen drei kleine Fische. „Aber was weinst du denn so jämmerlich“, sagte der Fisch, „du machst ja meinen Kindern Angst.“ „Das tut mir Leid“, antwortete die Prinzessin, „aber meine Perle ist unter den Stein gerollt und nun komme ich nicht mehr heran.“ „Das ist doch kein Problem“, sagte der Fisch, „du bist eine Prinzessin, jede Auster im Meer würde dir gerne eine neue Perle geben.“
Das sagte er und wartete gar nicht auf eine Antwort, sondern schwamm einfach weiter und seine Kinder folgten ihm. Doch die Prinzessin wusste, dass ihre Perle viel mehr wert war, als jede andere Perle, und es wäre nicht dasselbe. So saß sie weiter vor dem Felsen, der ihre Perle verschluckt hatte, und weinte bitterlich.
Da kam eine Scholle vorbei. Schollen sind ganz flache Fische. Noch flacher als Rochen. „Aber warum weinst du denn so“, fragte die Scholle. Die Prinzessin erzählte auch der Scholle die Geschichte von ihrer Perle.
Da überlegte die Scholle nicht lange und schwamm einfach unter den Stein. Die Spalte war sehr eng, aber die Scholle erreichte die Kugel und nahm sie in den Mund. Doch nun steckte sie fest und konnte nicht mehr rückwärts hinausschwimmen. Die Prinzessin wartete eine Weile. Irgendwann bemerkte sie, dass die Scholle ganz heftig mit ihrem Schwanz wackelte, der unter dem Stein hervorschaute.
Oh nein, dachte die Prinzessin, sie kommt nicht mehr heraus. Da nahm sie einen ihrer Arme, der mit großen Noppen besetzt war, und saugte sich am Schwanz der Scholle fest. So konnte sie die Scholle wieder herausziehen. Die Scholle spuckte die Perle aus und die Prinzessin weinte wieder. Aber diesmal vor Freude. Von nun an spielte die Prinzessin nicht mehr mit der Perle, sondern ließ sie immer im Palast, wo sie sicher war. Die Scholle aber war die beste Freundin der Prinzessin geworden.
Nina-Alexandra Mielke wurde 1982 in Nürnberg geboren. Dort wuchs sie am Stadtrand mit zwei Geschwistern auf. Im Frühjahr 2006 verschlug es sie nach Nordhessen, dort lebt und arbeitet sie heute. Seit ihrem achten Lebensjahr versucht sie sich im Schreiben von Kurzgeschichten und Gedichten.
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Es kann vorkommen, dass der Papa und die Mama sich trennen und du dann den Papa für eine ganz lange Zeit nicht mehr siehst. Auch dein Papa ist ganz traurig darüber, dass er dich nicht sieht und er würde dir auch gerne einen Gutenachtkuss jeden Abend geben.
Du musst nicht mehr traurig sein und dein Papa ist es jetzt auch nicht mehr. Ich heiße übrigens Alina und bin eine gute Fee, die Kindern und Erwachsenen hilft. Ich habe deinem Papa einen Zaubertrick gezeigt. Jetzt kann dein Papa dir jeden Abend einen Gutenachtkuss schicken, egal wo dein Papa gerade ist. Wenn du dich abends ganz brav in dein Bettchen legst, gebe ich deinem Papa ein Zeichen und dann kann der Zauber wirken.
Dein Papa schließt seine Augen und denkt ganz feste an dich und küsst in seiner Hand. Dann hält er den Kuss ganz sanft in seiner Hand und spricht einen Zauberspruch. Der Kuss fängt ganz langsam an zu schweben. Er steigt immer höher und höher, bis weit über die Wolken. Dort wartet der Nordwind auf ihn, der den Kuss auf seiner Reise begleitet.
Der Nordwind nimmt den Kuss auf seinem Rücken und fliegt dann ganz langsam los. Unterwegs sehen die beiden viele kleine Lichter, die von so weit oben wie kleine Punkte aussehen, es sind die Lichter einer Stadt. Sie fliegen an einem hohen Berg vorbei und werden von einem Adler, der auf diesem Berg sein Nest hat, ganz liebevoll ein Stück begleitet.
Der Nordwind senkt seinen Flug und geht weit unter den Wolken. Man kann, da der Mond so hell scheint, eine kleine Schafherde schlafend auf einer Wiese sehen. Es ist ein schöner Anblick, wie sie da so friedlich eng aneinander liegen.
Der Nordwind wird etwas schneller, denn der Kuss deines Papas soll ja pünktlich zur Schlafenszeit zu dir gebracht werden.
Über eurem Haus bremst der Nordwind ganz sanft ab, sodass er dann steht. Der Kuss verabschiedet sich und schwebt ganz langsam Richtung Erde auf euer Haus zu.
Vor deinem Kinderzimmerfenster macht er dann Halt und fliegt ganz langsam durch das offene Fenster in dein Zimmer hinein. Er schwebt über deinen Bettchen und landet ganz sanft auf deiner Stirn. Du kannst dieses merken, wenn du dir das ganz fest vorstellst, dann spürst du einen ganz leichten Druck auf deiner Stirn.
Also, wenn du demnächst von draußen den Wind hörst, dann weißt du, dass es der Nordwind ist, der wieder einen Kuss zu dir oder zu einem anderen Kind bringt.
Schlaf schön, deine Alina
Jürgen Kalinowski, 39 Jahre alt, aus Bremen, möchte mit seiner Geschichte Trennungskindern Trost schenken. Er lebt in Bremen, seine Hobbys sind Lesen und Schreiben.
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Es begann an einem sonnigen Frühlingsmorgen. Knibbel und Knubbel lagen noch schlafend in ihren Betten. Verschmitzt schaute Anna Sonne durch das Fenster und kitzelte Knubbel an der Nase.
„Ha … ha … haaatschiii ….! Wer wagt es, mich zu stören? Knibbel? Hmh, er war es nicht. Er schläft noch! Oh, guten Morgen, liebe Anna Sonne. Hast du mich geweckt“, fragte Knubbel.
„Ja, kleiner Nasemann. Stehe auf. Es ist ein schöner Tag heute“, antwortete die Sonne, „die Blumen blühen, die Bienen summen, und meine Strahlen schicken die lang ersehnte Wärme auf die Erde.“
„Wie Recht du hast“, sagte Knubbel und kletterte aus seinem Bett. „Hallo Knibbel, aufstehen, du Faulpelz“, rief er und versuchte seinen Freund aus dem Bett zu bekommen.
„Bäh, was ist denn passiert“, fragte Knibbel und rieb sich die Augen. „Was passiert ist?! Gar nichts. Es ist herrliches Wetter draußen“, antwortete Knubbel, „wir sollten einen Frühlingsspaziergang machen.“ Knibbel gähnte noch einmal herzhaft und dann kletterte auch er aus seinem Bett. Knubbel und Knibbel begannen sich zu waschen, die Zähne zu putzen und anzuziehen.
Als sie fertig waren, gingen sie gleich aus dem Haus auf die Wiese. „Wie herrlich es hier duftet“, sagte Knibbel, „und die wunderschönen Blumen.“
„Ja, es ist wirklich ein schöner Tag“, meinte Knubbel. „Ab heute sollten wir jeden Tag spazieren gehen, wenn die liebe Anna Sonne scheint.“
Knubbel und Knibbel begannen Blumen zu pflücken auf ihrem Spaziergang. Es wurden zwei große Sträuße. Viele Schmetterlinge und Käfer begegneten den beiden Ausflüglern.
Auf einmal fing Knibbel an zu jammern: „Meine Füße fangen an zu schmerzen. Ich möchte wieder nach Hause.“
„Also gut, lass uns gehen. Es ist spät geworden“, sagte Knubbel. So gingen Knibbel und Knubbel Arm in Arm mit ihren großen Blumensträußen nach Hause.
Andrea Morawe schrieb diese Geschichte bereits im Jahr 1988 für ihre beiden Kinder Julia und Daniel, die inzwischen 22 und 25 Jahre alt sind. Ihre Kindheit und Jugend verbringt Andrea Morawe in der südhessischen Großstadt Offenbach. Heute lebt sie am östlichen Mittelmeer. Dort gründete sie zusammen mit ihrem zweiten Mann 2004 eine deutschsprachige Wochenzeitung, deren stellvertretende Chefredakteurin (Kürzel: amor) und Verantwortliche für Marketing und Vertrieb sie ist. Nachdem die Aufbauphase jetzt weitgehend abgeschlossen ist, findet sie auch wieder etwas Zeit, um sich der Malerei und dem Schreiben widmen zu können. An Anregungen und Motive fehlt es ihr in ihrer neuen Umgebung dabei nicht. Andrea Morawe: „Malen und Schreiben eröffnen mir wunderbare Möglichkeiten, meine Empfindungen und Gedanken anderen Menschen mitzuteilen.“
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In einem Land, nicht fern von hier, lebten einst die Zwerge mit den roten und blauen Kappen. Mit dem ersten Schultag musste ein jeder die Wahl seiner Kappe treffen. Dieses Ritual war nicht nur eine Sache des Geschmacks, nein es ging hier um die Zukunft eines jeden von ihnen. Inmitten des Platzes standen alle Zwergenkinder umringt von ihren Familien. Dahinter standen die Tiere des Waldes. Über ihnen tanzten Tausende von Schmetterlingen und sämtliche Vögel sangen im Chor ihr schönstes Lied.
Für Bongo war es nun auch an der Zeit, sich für eine Farbe zu entscheiden. Doch selbst das eindringliche Zureden anderer konnte ihn nicht zu einem Entschluss bringen. Blau bedeutete Sicherheit, Rot stand für Abwechslung und Abenteuer. Alle seine Familienmitglieder hatten blaue Mützen. Sie hatten gelernt, mit den Tieren zu reden, und sorgten für die Ordnung im Dorf.
Die Roten jedoch gingen in die Welt hinaus. Hin und wieder gab es den Auftrag, den Menschen zu helfen. Aber wenn sie nicht aufpassten und von ihnen entdeckt wurden, so hatte ihr Zwergendasein ein Ende und jeder entdeckte Zwerg begann zu wachsen. Und wachsen wollte Bongo ganz sicher nicht.
So kam es, dass er der erste Zwerg seit vielen Generationen war, der sich nicht entscheiden konnte. Die anderen riefen spöttisch: „Geh nach Hause Bongo und sag Bescheid, wann du reif genug bist, in die Schule zu gehen.“ Gelächter machte sich breit.
„Hast du den Verstand verloren“, sprach die Mutter und blickte Bongo vorwurfsvoll an. „Du bringst uns noch in den Morcheltopf“, sprach sie weiter und kniff ihn fest in die Wange. Der Vater flüsterte ihm ins Ohr: „Mach die Augen zu und greif dir irgendeine!“ Doch Bongo schüttelte den Kopf.
„Wenn ich nun beides erlernen möchte“, sprach er nach einer ganzen Weile. Der Zwergenälteste ging nun auf ihn zu, schwenkte seinen Stab und sprach: „Das hat noch niemand geschafft.“ „Warum nicht“, erwiderte Bongo neugierig. „Weil man davon verrückt wird“, sprach der Älteste und schritt mehrmals um ihn herum. Das verstand Bongo nicht. Warum konnte man davon verrückt werden, alles zu wissen. Fragende Blicke durchbohrten den Ältesten, doch dieser wollte darauf keine weitere Antwort geben und beschloss, Bongo noch drei Tage Bedenkzeit zu lassen.
Während alle anderen schon in die 19 Gebote eingeweiht wurden, verbrachte Bongo seine Zeit unter seiner Lieblingsmalve und überlegte hin und her. Vor allem aber beschäftigte ihn das, was der Zwergenälteste gesagt hatte. „Ach“, seufzte er, „wenn ich die Tiere doch nur fragen könnte, so würde mir das bestimmt weiterhelfen.“ Ein vorüberhuschendes Kaninchen vernahm das Gejammer und hatte Mitleid mit dem kleinen Zwerg. Doch sooft es auch versuchte, sich ihm verständlich zu machen, Bongo verstand seine Sprache nicht. Die anderen Tiere wollten es dem Kaninchen gleichtun, doch auch diese Mühe blieb erfolglos.
Aber Bongo erkannte, dass die Tiere ihm behilflich sein wollten. „Habt vielen Dank, ihr lieben Tiere, vielleicht werde ich mich ja doch für die blaue Mütze entscheiden, dann kann ich das Gespräch mit euch nachholen“, sprach er traurig. Nun kam ihm eine zündende Idee. Er würde sich ganz nah an die Waldgrenze heranpirschen und dann ein paar von den Menschen sehen. Vielleicht würde das ja helfen. Doch die Malve holte aus und zog Bongo fest an ihre Blütenkelche heran. „Was soll das“, schrie Bongo erschrocken und strampelte mit seinen kleinen Füßen bis die Malve von ihm abließ. Mit großen Augen blickte Bongo an ihr hinauf. Was war das denn, so oft hatte er schon hier gesessen und noch nie hatte sie ihn angegriffen. „Bist du böse“, fragte er die Malve. „Nein“, erwiderte diese für Bongo völlig unerwartet. „Du kannst mit mir reden…?“ Bongo war außer sich vor Freude. Er hatte noch nie mit einer Pflanze geredet. Er wusste nicht mal davon, dass es überhaupt jemand von den anderen Zwergen konnte.
Die Malve beugte sich herab und sprach: „Wovor fürchtest du dich?“ „Alles verändert sich so schnell. Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Zeit an mir vorüberzieht und ich nichts davon habe“, antwortete Bongo. „Dann solltest du auf keinen Fall hinaus in die Welt gehen, denn diese verändert sich noch rasanter als das Leben hier“, antwortete die Malve. Bongo nickte, doch da fiel ihm ein, dass er auch die Menschen kennen lernen wollte. Wieder beugte sich die Malve tief nach unten und sprach weiter: „Kein Zwerg darf Mensch und Tier gleichsam verstehen. Das Gleichgewicht geriete aus allen Fugen. Du würdest verrückt werden, wenn du wüsstest…“
Plötzlich wurde die Malve abrupt durch lautes Geschrei unterbrochen. Gekonnt holte sie weit aus und schleuderte den kleinen Zwerg auf einen Ast. Das erste Zeichen für Gefahr war das Auffliegen der Vögel und das hektische Flattern der Wollschweber, was Bongo ganz und gar unbemerkt geblieben war. Ein Riese schien sich rasant dem Tal zu nähern. Bongo lugte durch das Geäst und ihn durchfuhr ein Schauer als er sah, wie ein Mensch seine geliebte Malve mit einem großen Knüppel wild zerstörte.
„Nein, nein mach das nicht“, schrie Bongo lauthals. Doch für den Menschen war das zarte Stimmchen zu dünn, als dass er hätte etwas verstehen können. Wütend darüber segelte er mit etwas Blattwerk sanft hinab und trat vor den Menschen, der nun auf der Wiese saß und schluchzte. „Warum hast du das gemacht“, schimpfte er mutig auf das Menschenkind ein. „Ich will zu meiner Mama“, schluchzte das Kind weiter und dicke Tränen rollten an ihm hinab. „Warte hier, ich hole Hilfe“, rief Bongo laut zu dem Menschen hinauf und rannte so schnell ihn die Füße trugen davon. Hoffentlich werde ich jetzt nicht wachsen, dachte sich Bongo. Die Augen des Menschen waren zum Glück von den Tränen derart verschleiert gewesen, dass er nicht wirklich wahrnahm, welches Geschöpf hier mit ihm geredet hatte. Alle Rotkappen machten sich sofort auf, dem Menschen aus dem Wald zu helfen. Da es bereits Nacht geworden war, sendeten sie Glühwürmchen aus, um ihm Licht zu spenden und zeigten ihm damit den Weg zurück nach Hause. Bongo hatte sich entschieden. Er wollte lieber eine Blaukappe werden, denn er hatte viel zu viel Angst davor, sich irgendwann in der großen weiten Welt zu verlaufen.
Manuela Deutschland lebt im thüringischen Kölleda. Neben dem Schreiben liebt die freie Redakteurin das Fotografieren.
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Nein, nein, nein - meine Zähne putz ich nicht“, schreit Paulchen, wirft sich auf den Boden und trommelt mit seinen Fäusten auf den Badezimmerteppich. Mutter Tina runzelt die Stirn: „Paul, hör auf mit dem Geschrei. Du weißt es doch genau: Wir putzen jeden Abend die Zähne.“ „Ich habe aber keine Lust“, motzt Paul und kneift den Mund fest zu, als die Mutter ihn vom Teppich hochhebt und auf den Badezimmerhocker setzt.
Jeden Abend das gleiche Theater, denkt Tina und drückt lustlos ein Würstchen rosa Erbeerzahncreme auf die Kinderzahnbürste. Als sie sich wieder zu ihrem Sohn dreht, hält Paul beide Hände vor den Mund und strampelt wild mit den Beinen. Plötzlich trifft sein Fuß die Hand von Tina. Die Zahnbürste fliegt im hohen Bogen davon und klatscht gegen die Wand. Eine rosa Erdbeerwurst kriecht langsam über die Fliesen in Richtung Boden. Das hat Paul nicht gewollt. Starr vor Schreck schaut er seine Mutter an. „Jetzt reicht’s“, sagt sie ärgerlich, nimmt ihren Sohn bei der Hand und bringt ihn ohne Gutenacht-geschichte ins Bett.
ist selbständig im kaufmännischen Sektor tätig. Er hat bereits ein Kinderbuch geschrieben.