Einleitung
„Das Leben ist ein Risiko. Mehr Risiko kann auch mehr Leben bedeuten.“
(Henrik Ibsen)
Etwas zu riskieren, sich zu überwinden, sich überraschen zu lassen, sich die Welt selbstständig zu erschließen, Freizeit nach eigenem Belieben zu planen und Herausforderungen zu meistern, gestaltet das alltägliche Leben abwechslungsreich und spannend. In der Konfrontation mit dem Unbekannten liegt das Potenzial persönlichen Wachstums. Welche Situationen bieten Menschen mit Beeinträchtigung die Möglichkeit, risikobereit zu sein, sich mit dem Unbekannten auseinander zu setzen und Abenteuer zu erleben? Diese Fragestellung nimmt eine wegweisende Position im vorliegendem Fachbuch ein und wird beantwortet, indem Heilpädagogik auf das erlebnispädagogische Konzept City Bound trifft, das sich den Erlebnisraum Stadt zu Nutze macht.
Bei dem zugrundeliegendem Konzept handelt es sich um eine Weiterentwicklung von City Bound für die Zielgruppe von Menschen mit Beeinträchtigung, da sich das Konzept in seinem Ursprung an Menschen ohne diagnostizierte Beeinträchtigung richtet. Die Modifikation des Konzeptes ist aber nicht damit gleichzusetzen, dass es von nun an eine spezielle Form von City Bound gibt oder geben soll. Es wird vielmehr eine entsprechende Anpassung der ursprünglichen Grundlagen für das heilpädagogische Praxisfeld dargestellt. Denn „Heilpädagogik [ist, Anm. d. Verf.] Pädagogik […] und nichts anderes!“ (Moor 1974, 273). Die praktische Erprobung kam zu folgendem Ergebnis: Behinderung stellt keine Barriere für die Durchführung von City Bound dar. Die Stadt ist ein Lern- und Erlebnisraum für ALLE Menschen. Denn jeder kann etwas riskieren, etwas wagen, sich überwinden, sich überraschen lassen und Herausforderungen meistern. Jeder kann wachsen. Einige Menschen befähigen sich selbst, und einige Menschen können dabei begleitet werden.
Vorliegendes Fachbuch soll PädagogInnen unterschiedlicher Professionen einen Zugang zum Thema City Bound ermöglichen und konkret zu einer Durchführung des Konzeptes mit Menschen mit Beeinträchtigung befähigen. Hierfür bietet die Publikation hinführend einige theoretische Grundlagen, im Folgenden Hinweise zur Planung und Durchführung mit der Zielgruppe, eine vielseitige Ideensammlung von City-Bound-Aktionen und vieles mehr.
Ein ganz besonderer Dank gilt den TeilnehmerInnen und ArbeitskollegInnen, die mit Neugierde und Abenteuerlust an der Erprobung des modifizierten Konzeptes teilgenommen haben. Wertvolle ImpulsgeberInnen waren Daniela Schick, Christoph Scharner, Tanja Klein und Christina Michels. Außerdem möchte ich mich bei den Menschen, die als motivierende und bestärkende WegbegleiterInnen an dem Gesamtprozess beteiligt waren, herzlich bedanken. Wenn in vorliegendem Fachbuch unter anderem von PädagogInnen gesprochen wird, repräsentiert diese Schreibweise die Diversität aller LeserInnen, die sich als weiblich, männlich oder non-binär beschreiben.
Und nun: Haben Sie den Mut, sich auf ein facettenreiches City-Bound-Abenteuer einzulassen und Menschen mit Beeinträchtigungen dabei zu begleiten!?
Mehr Informationen und Kontakt zum Autor unter:
www.citybound.org und citybound.hp@gmail.com.
Paul Häb, Heilpädagoge, zertifizierter Waldpädagoge und City-Bound-Trainer, ist in einer Wohneinrichtung tätig und begleitet Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen sowie mit Sehbehinderung im Alltag.
Hinweis: Soweit in diesem Werk eine Dosierung, Applikation oder Behandlungsweise erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass die Autoren große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen oder sonstige Behandlungsempfehlungen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
ISBN 978-3-497-02854-2 (Print)
ISBN 978-3-497-61162-1 (PDF-E-Book)
ISBN 978-3-497-61163-8 (EPUB)
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Inhalt
Verzeichnis der City-Bound-Aktionen
Einleitung
Teil I – Grundlagen
1 Was ist Erlebnispädagogik?
2 Wer kann City-Bound-Aktionen mit Menschen mit Beeinträchtigungen umsetzen?
3 Was ist City Bound?
4 City Bound im heilpädagogischen Praxisfeld
4.1 Was ist City Bound im heilpädagogischen Praxisfeld?
4.2 AdressatInnen
4.3 Einsatzbereiche
5 Ausgangssituation der TeilnehmerInnen
6 Das Potenzial von City Bound
7 Leitideen
8 Lernen auf unbekanntem Terrain
9 Die Leitung
9.1 Kompetenzanforderungen an die Leitung
9.2 Die Rollen der Leitung
10 City Bound im Vergleich
Teil II – Planungshilfen
1 Einteilung der Aktionen
2 City Bound unter Berücksichtigung unterschiedlicher Beeinträchtigungen
2.1 Praxishinweise zu geistiger Beeinträchtigung
2.2 Praxishinweise zu körperlicher Beeinträchtigung
2.3 Praxishinweise zu Blindheit und Sehbeeinträchtigung
2.4 Praxishinweise zu Hörschädigung
2.5 Praxishinweise zu herausforderndem Verhalten
2.6 Praxishinweise zu Lernbeeinträchtigung
3 Auswahl der Aktionen
4 Checkliste für die Leitung
5 Hinweise zum Einsatz der City-Bound-Aktionen
5.1 Grundlegende Informationen
5.2 City-Bound-Programme
5.3 Anzahl an TeilnehmerInnen
Teil III – City-Bound-Aktionen
1 Hinweise zur Darstellung der City-Bound-Aktionen
2 50 City-Bound-Aktionen
3 Eigene City-Bound-Aktionen entwickeln
Teil IV– Reflexion
1 Reflexion – der Schlüssel zum Transfer
1.1 Reflexionsphasen
1.2 Reflexionsmethoden
Literatur
Literatur
Buber, M. (1979): Das dialogische Prinzip. 4. Aufl. Lambert Schneider, Heidelberg
Crowther, C. (2005): City Bound – Erlebnispädagogische Aktivitäten in der Stadt. Ernst Reinhardt, München / Basel
Deubzer, B., Feige, K. (2004): Praxishandbuch City Bound. Erlebnisorientiertes soziales Lernen in der Stadt. ZIEL, Augsburg
Ebert, H. (2000): Menschen mit geistiger Behinderung in der Freizeit. Klinkhardt, Bad Heilbrunn
Eichinger, W. (1995): City Bound. Erlebnispädagogik in der Stadt. Sandmann, Alling
Eitle, W. (2012): Basiswissen Heilpädagogik. 3. Aufl. Bildungsverlag EINS, Köln
Fischer, H., Renner, M. (2015): Heilpädagogik. Heilpädagogische Handlungskonzepte in der Praxis. 2. Aufl. Lambertus, Freiburg im Breisgau
Gilsdorf, R., Kistner, G. (2015): Kooperative Abenteuerspiele 1. Eine Praxishilfe für Schule, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung. 22. Aufl. Kallmeyer, Seelze
Greving, H., Ondracek P. (2014): Handbuch Heilpädagogik. 3. Aufl. Bildungsverlag EINS, Köln
Grigowski, S. (2012): City Bound. Das Erleben und Lernen in der Großstadt. Diplomica, Hamburg
Heckmair, B., Michl, W. (2018): Erleben und Lernen – Einführung in die Erlebnispädagogik. 8. Aufl. Ernst Reinhardt, München
Kamer, T. (2017): Abenteuer planen? Didaktisches Handeln in Erlebnispädagogik und Outdoortraining. Ernst Reinhardt, München / Basel
Kinne, T., Theunissen, G. (Hrsg.) (2013): Erlebnispädagogik in der Behindertenarbeit. Konzepte für die schulische und außerschulische Praxis. Kohlhammer, Stuttgart
Klein, T., Wustrau, C. (2014): Abenteuer City Bound. Spielideen für soziales Lernen in der Stadt. Kallmeyer, Seelze
Michl, W. (2015): Erlebnispädagogik. 3. Aufl. Ernst Reinhardt, München / Basel
Moor, P. (1974): Heilpädagogik. Ein pädagogisches Lehrbuch. 3. Aufl. Hans Huber, Bern
Senckel, B. (2010): Mit geistig Behinderten leben und arbeiten. 9. Aufl. C. H. Beck, München
Senninger, T. (2012): Abenteuer leiten – in Abenteuern lernen. 6. Aufl. Ökotopia, Münster
Spitzer, M. (2006): Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Springer, Heidelberg
Theunissen, G. (2011): Geistige Behinderung und Verhaltensauffälligkeiten. Ein Lehrbuch für die Schule, Heilpädagogik und außerschulische Behindertenhilfe. 5. Aufl. Klinkhardt, Bad Heilbrunn
Weiss, G. (2013): Heilpädagogische Rhythmik. Ein Angebot für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. In: Theunissen, G., Wüllenweber, E. (Hrsg.): Zwischen Tradition und Innovation. Methoden und Handlungskonzepte in der Heilpädagogik und Behindertenhilfe. 2. Aufl. Lebenshilfe-Verlag, Marburg
TEIL I
Grundlagen
TEIL II
Planungshilfen
TEIL III
City-Bound-Aktionen
TEIL IV
Reflexion
Verzeichnis der City-Bound-Aktionen
Akustischer Tumult
Barrierefreie Reise
Besichtigung von Neuland
Blickwinkel
Brieffreundschaft
Darf ich vorstellen
Designertasche
Ein Herz für die Umwelt
Erlebnisse buchen
Fantasiemensch
Film ab!
Fit macht Fun
Fliegende Fische
Flohmarkt
Freude im Glas
Für Dich
Gemeinsam Vielfältiges erleben
Gute Reise
Jahreszeitendokumentation
Journalist
Karaokespaß
Klettermax
Kunst zum Anfassen
Lichterfunkeln
Liebesschloss
Multikulti-Sprachen
Nadel im Heuhaufen
Novembertage
Perfektes Dinner
Persönliche Herausforderung
Perspektivwechsel
Picknick
Preisvergleich
Profi in eigener Sache
Second Hand
Seelenentspannung
Stadtführung
Stadtkonzert
Stadtrallye
Stadttauben
Straßenschilder und Co
Theaterperformance
Unbekanntes Terrain
Von A bis Z aufgeklärt
Waldfreude
Walkie-Talkie-Tour
Weniger als zwanzig
Zeit, die läuft
Zeitwächter
Zielroute
1 Was ist Erlebnispädagogik?
City Bound und Erlebnispädagogik hängen eng miteinander zusammen. Aufgrund stetig wachsender Einwohnerzahlen in Städten verliert die Natur, die in der klassischen Erlebnispädagogik als Medium genutzt wird, an Alltagsnähe. City Bound ist somit eine schlüssige Erweiterung und ein ergänzender Baustein in der Erlebnispädagogik.
Eine bekannte Definition von Erlebnispädagogik stammt von Heckmair und Michl:
„Erlebnispädagogik ist eine handlungsorientierte Methode und will durch exemplarische Lernprozesse, in denen junge Menschen vor physische, psychische und soziale Herausforderungen gestellt werden, diese in ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern und sie dazu befähigen, ihre Lebenswelt verantwortlich zu gestalten“ (Heckmair / Michl 2018, 108).
Das Fundament, auf dem die Erlebnispädagogik aufgebaut ist, findet sich in vier Leitideen wieder (Kamer 2017):
■ Wachstumsorientierung: Die TeilnehmerInnen werden in erlebnispädagogischen Aktionen herausgefordert, sodass bestimmte Kompetenzen (z. B. die Sozialkompetenz) erweitert werden und die Persönlichkeitsentwicklung positiv beeinflusst wird. Durch das Erleben und die Bewältigung von Grenzerfahrungen werden das Selbstwertgefühl gestärkt und das In-Angriff-Nehmen nachfolgender Herausforderungen ermöglicht. Das eigene Handlungsrepertoire wird ausgebaut. Es erfordert Achtsamkeit seitens der Leitung, den schmalen Grat zu einer Überforderung nicht zu überschreiten. Denn durch das Gefühl von Panik ist kein Wachstum und Fortschritt möglich. Nach dem Prinzip der Freiwilligkeit ist die Leitung verpflichtet, die subjektiv empfundenen Grenzen der Teilnehmenden anzuerkennen (Kinne / Theunissen 2013).
■ Ganzheitlichkeit: Ein wichtiges Bindeglied zwischen den Fachrichtungen Heilpädagogik und Erlebnispädagogik besteht in dem Prinzip des ganzheitlichen Lernens. Pestalozzis Forderung, Kindern und Jugendlichen ein Lernen mit Kopf, Herz und Hand zu ermöglichen, beeinflusst das pädagogische Handeln grundlegend (Kamer 2017). Das heißt, dass sowohl kognitive Prozesse (Kopf), als auch Handlungen (Hand) sowie Emotionen (Herz) angeregt bzw. einbezogen werden sollen, damit sich ein ganzheitlicher Lernprozess vollzieht. Vereinfacht gesagt: Das, was ich verstehe (Kopf), kann ich umsetzen. Das, was ich tue (Hand), bewegt mich. Das, was mich berührt (Herz), lässt Spuren in mir zurück. Diesen Spuren wird im Anschluss an erlebnispädagogische Aktionen in Form von Reflexionsprozessen auf den Grund gegangen. Dabei erhalten die TeilnehmerInnen die Chance, ihren Erlebnissen und Empfindungen Ausdruck zu verleihen und diese auf den Alltag zu transferieren.
■ Selbstorganisation: In der Erlebnispädagogik erhalten die Teilnehmenden den Raum, den sie für selbstgesteuerte Prozesse benötigen, um Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Sie sind selbst für das Gelingen oder den Misserfolg der Aktion verantwortlich. Während der Umsetzung der Aktion werden sie nicht geleitet oder fremdbestimmt. Die Gruppe und die einzelnen TeilnehmerInnen sind gefordert, sich eigenständig zu organisieren. „Der Grad der Selbststeuerung ist dabei ihrer Entwicklung und Kompetenz angemessen zu planen“ (Kamer 2017, 14). Die Leitung nimmt sich zurück und ist kein Gruppenmitglied. In gefährdeten Situationen muss die Leitung selbstverständlich einschreiten, da die Sicherheit der Teilnehmenden und das Eingrenzen von Verletzungen physischer sowie psychischer Natur einen zentralen Stellenwert darstellen.
Hinweis: In der Durchführung von City Bound mit der Zielgruppe von Menschen mit Beeinträchtigung kommt es vor, dass die Leitung ebenso Gruppenmitglied ist und somit an dem Selbststeuerungsprozess beteiligt ist.
■ Naturorientierung: Das Lernsetting ist die Natur. Es gibt vielfältige Naturräume, die es zu erkunden gilt und die Herausforderungen bereitstellen. Sei es eine Wanderung durch die Alpen, das Mountainbiking in den Bergen, eine Kletteraktion im Freien, eine Höhlenbegehung, Kooperationsspiele in der Natur und vieles mehr.
Hinweis: City Bound nutzt überwiegend die Stadt und urbane Räume als Lernmedium.
In der Umsetzung von City Bound orientiert sich die Leitung mit Ausnahme der Naturorientierung ebenso an den aufgeführten Leitideen.
2 Wer kann City-Bound-Aktionen mit Menschen mit Beeinträchtigungen umsetzen?
Die Durchführung des Konzeptes City Bound mit der Zielgruppe der Menschen mit Beeinträchtigung setzt sowohl heilpädagogisches als auch erlebnispädagogisches Grundwissen voraus und fordert die Verzahnung mehrdimensionaler Kompetenzen seitens der PädagogInnen.
City Bound kann im heilpädagogischen Setting von PädagogInnen eingesetzt werden, die mit Menschen mit Beeinträchtigung arbeiten oder mit dieser Zielgruppe zukünftig arbeiten möchten. Es wird ein Grundwissen zu den Themen Heilpädagogik und Erlebnispädagogik (insbesondere City Bound) vorausgesetzt. Die Leitungskompetenzen (Kap. 9) tragen maßgebend zu einer gelingenden Durchführung bei.
Die Publikation spricht in erster Linie Berufsfelder an, die im Arbeitsalltag Menschen mit Beeinträchtigungen betreuen und begleiten. Aufgrund dessen wurde auf eine Darstellung heilpädagogischer Grundlagen und nähere Beschreibungen diverser Beeinträchtigungsbilder verzichtet. Dennoch wird auch ErlebnispädagogInnen die Umsetzung von City Bound mit entsprechender Zielgruppe anschaulich dargeboten.
3 Was ist City Bound?
Um auf die Weiterentwicklung von City Bound für heilpädagogische Praxisfelder einzugehen, bedarf es vorerst der Erläuterung des klassischen City-Bound-Konzeptes. In den 1960er Jahren entstand in den USA die Idee, das Konzept Erlebnispädagogik von der Natur in den städtischen Raum zu transferieren. Die Stadt wurde als Lernort anerkannt und der Titel „City Bound“ an den Terminus „Outward Bound“ angelehnt (Klein / Wustrau 2014). Der Begriff „Outward Bound“ kommt aus der englischen Seefahrt und meint ein gut ausgerüstetes Schiff, das zu großer Fahrt auslaufen kann. Metaphorisch steht dieses Schiff im Sinne von City Bound für gut auf das Leben vorbereitete junge Menschen (Grigowski 2012).
Seit 1993 fungiert City Bound als eingetragene Dienstleistungsmarke in Deutschland (Eichinger 1995). Jedoch hat der Ansatz aufgrund des geringen Bekanntheitsgrades bis 2018 noch keinen „pädagogischen Fuß“ im deutschsprachigen Raum gefasst. Die Einsatzfelder und Zielgruppen dieses erlebnispädagogischen Konzeptes sind vielfältig; trotzdem liegt der Fokus in den Praxisfeldern Schule und Jugendhilfe. Hier wird City Bound z.B. im Rahmen von sozialen Trainingskursen oder Berufsvorbereitung eingesetzt. Es werden Kontakt- und Kommunikationsfähigkeiten gefördert, die als Schlüsselqualifizierung für das Berufsleben unabdingbar sind, in der Schule aber kaum vermittelt werden können (Deubzer / Feige 2004).
Als Definition von City Bound führen Klein und Wustrau an:
„City Bound schafft erfahrungsintensive und herausfordernde Situationen für eine Gruppe oder auch für Einzelne in der Stadt. Hierzu werden den Teilnehmern meist ungewöhnliche, alltagsfremde – und damit ein gewisses Maß an Mut erfordernde – Aufgaben gestellt, die sie alleine oder in der (Klein-) Gruppe lösen sollen“ (Klein / Wustrau 2014, 13).
Zu den klassischen City-Bound-Aktionen zählt das Gruppenfoto. Dabei sollen sich beispielsweise 25 unbekannte Personen unter Berücksichtigung verschiedener Kriterien zu einem Gruppenfoto aufstellen. Auch das sogenannte Tauschgeschäft gehört zum typischen Aktionenpool. „Tausche einen Apfel so lange gegen etwas Höherwertiges, bis du mit dem Ergebnis zufrieden bist“ lautet hier die Aufgabenstellung. Das Handlungsspektrum von City Bound beinhaltet auch die Erkundung kultureller Angebote und weitere Ideen zur Freizeitgestaltung (Theater, Museen, Kino, Kneipen, Sehenswürdigkeiten …) und gemeinnützige Aktionen in beispielsweise Altenheimen (Eichinger 1995). City Bound beherbergt aber auch Outdoor-Elemente wie eine Bootsfahrt auf Flüssen und Kanälen, das Zelten in der Stadt oder Fahrradtouren durch diese (Crowther 2005). Trotz einer Unvorhersehbarkeit und Spontaneität, die mit dem Konzept einhergehen, ist City Bound nicht mit einem ziellosen Spazierengehen gleichzusetzen. Die einzelnen City-Bound-Programme werden individuell zugeschnitten. Sie verlaufen prozessorientiert und setzen daher Flexibilität voraus (Grigowski 2012). Ebenso ist die Dauer der Programme variabel (z.B. einmalig ein bis drei Tage oder ein Jahr lang wöchentlich zwei Stunden).
Indem der Hauptschwerpunkt von City Bound in dem Kontakt zu unbekannten Menschen und anderen Lebenswelten liegt, beabsichtigt das Konzept die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung, der sozialen Kompetenz sowie der Alltagskompetenz (Eichinger 1995). Das Konzept richtet sich wie auch Outward Bound an die Ganzheitlichkeit des Menschen, da im Mittelpunkt das Lernen und Erleben mit Kopf, Herz und Hand stehen. Um einen Lernprozess in Gang zu setzen, nimmt die Reflexion einen essentiellen Stellenwert ein. Die Leitung von City-Bound-Aktionen benötigt eine pädagogische Ausbildung und im optimalen Fall eine Fortbildung im Bereich City Bound. Im deutschsprachigen Raum befinden sich Anbieter für City-Bound-Programme in Großstädten in Form von gemeinnützigen Vereinen oder Unternehmen mit erlebnispädagogischem Schwerpunkt. City Bound zeichnet sich in der Regel als preiswerter Ansatz aus. Die Kosten für die Aktionen belaufen sich hauptsächlich auf die Materialbeschaffung, Fahrtkosten für alle TeilnehmerInnen und Honorarkosten für die Leitung (Deubzer / Feige 2004).
4 City Bound im heilpädagogischen Praxisfeld
Dieses Kapitel stellt sowohl eine Definition von City Bound als auch die Zielgruppe vor, für die das Konzept weiterentwickelt wurde. Des Weiteren werden die Einsatzgebiete benannt, die in der Umsetzung des Konzeptes in Frage kommen.