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Der Arzt vom Tegernsee
– 34 –

Flucht in die Krankheit

Laura Martens

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74095-304-1

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Katharina Wittenberg schaute zufrieden über den gedeckten Eßzimmertisch. Gewöhnlich aßen Dr. Baumann und sie in der Küche, doch heute erwarteten sie Besuch. Sie war schon sehr gespannt auf die junge Ärztin, die während der nächsten Zeit bei Eric als Assistentin arbeiten wollte, bevor sie sich mit einer eigenen Praxis niederließ. Auch wenn die Haushälterin es kaum zu hoffen wagte, vielleicht hatte der Himmel endlich ihre Gebete erhört, und diese Mara Bertram war die Frau, auf die Eric unbewußt sein ganzes Leben gewartet hatte. In ihren Augen wurde es allerhöchste Zeit, daß er eine Familie gründete.

Dr. Baumann steckte den Kopf ins Eßzimmer. »Du hast dich heute wieder einmal selbst übertroffen, Katharina«, sagte er. »Das beste Porzellan, Blumen, wunderschöne Servietten und in der Küche ein Essen, das selbst dem Luisenhof Ehre machen würde.«

Seine Haushälterin errötete vor Freude. »Man tut, was man kann«, erklärte sie. »Für den Wein mußt allerdings du sorgen.«

»Habe ich bereits.« Er kam ins Zimmer und stellte eine Flasche Weißwein neben den herrlichen Asternstrauß, der die Mitte der Tafel krönte, dann beugte er sich hinunter und hob etwas das Tischtuch an. »Komm nur hervor, Franzl«, forderte er seinen Hund auf. »Hast du wirklich geglaubt, wir wüßten nicht, daß du schon unter dem Tisch Stellung bezogen hast? Bis jetzt ist Mara noch nicht da, also wäre es gescheiter, erst einmal in der Küche nach deinem Freßnapf zu schauen.«

Franzl kroch unter dem Tisch hervor, warf erst seinem Herrchen, dann Katharina einen Blick zu, der Bände sprach, und schlich mit eingezogenem Schwanz zur Tür.

»Tu nicht, als hätte ich dich verprügelt.« Dr. Baumann gab ihm einen sanften Klaps auf das Hinterteil. Franzl drehte sich um und sprang an ihm hoch. Mit den Vorderpfoten stemmte er sich gegen die Brust des Arztes. Vertrauensvoll schaute er zu ihm auf. Eric nahm Franzls Kopf in beide Hände. »Du bist schon ein Superhund«, lobte er ihn und kraulte seinen Nacken.

Draußen fuhr ein Wagen vor. Franzl ließ von seinem Herrchen ab und jagte zur Haustür. Kläffend sprang er gegen sie.

Dr. Baumann eilte ihm nach. »Schon gut, schon gut«, sagte er und öffnete die Tür ausgerechnet im selben Moment, in dem Mara Bertram aus ihrem Wagen stieg.

Franzl rannte ihr schwanzwedelnd entgegen. Die junge Frau schrie erschrocken auf und preßte sich so eng an den Wagen, als wollte sie mit ihm verschmelzen. »Nimm den Hund fort, Eric!« rief sie angstvoll.

›Der Hund‹ hatte sich ein paar Zentimeter vor ihr entfernt auf seinem Hinterteil niedergelassen und sah sie neugierig an, wobei seine Rute herausfordernd hin- und herschwang.

»Franzl tut dir nichts, Mara.« Dr. Baumann griff nach dem Halsband seines Hundes. »Er ist wirklich brav und an Fremde gewöhnt.«

Dr. Mara Bertram traute dennoch dem Frieden nicht. »Tut mir leid, Eric, mir wäre es wirklich lieber, wenn du ihn einsperren würdest«, sagte sie.

Katharina Wittenberg war ebenfalls aus dem Haus getreten. Hatte sie noch vor wenigen Minuten gehofft, daß diese Mara Bertram im Handumdrehen Erics Herz erobern würde, so hätte sie die junge Frau jetzt am liebsten sofort nach Tübingen zurückbefördert. »Laß nur, Eric, ich kümmere mich um Franzl.« Sie nahm den Hund am Halsband und warf gleichzeitig Mara einen verächtlichen Blick zu.

»Zum Glück gibt es genügend Leute, die sich freuen, wenn sie dich sehen, Franzl«, bemerkte sie anzüglich und brachte ihn in die Küche.

Mara blickte verlegen zu Boden. »Sieht nicht nach einem guten Start aus«, meinte sie. »Ich hatte keine Ahnung, daß du einen Hund besitzt.«

»Und ich nicht, daß du dich vor Hunden fürchtest.« Eric nahm ihre Hand. »Erst einmal herzlich willkommen, Mara. Ich bin überzeugt, daß du dich mit dem Franzl schon bald anfreunden wirst. Er ist wirklich ein lieber Kerl.«

»Das mag sein, nur, bin ich als Kind von einem Bullterrier angefallen worden, und seitdem mache ich um jeden Hund einen großen Bogen. Diese Angst ist eine regelrechte Manie.« Sie schaute zum Haus. »Ich nehme an, die Frau, die ich so erbost habe, ist deine Katharina.«

»Ja.« Er nickte. »Laß dich anschauen, Mara«, meinte er. »Wie lange ist es her, daß wir uns nicht mehr gesehen haben? – Doch mindestens neun Jahre.«

»Genau«, bestätigte sie. »Es war auf der Beerdigung meines Vaters.« Über ihr Gesicht legte sich ein Schatten. »Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht an meinen Vater denke. Obwohl ich bei seinem Tod schon achtzehn gewesen bin, fiel es mir sehr schwer, ohne ihn auszukommen. Meine Tante hatte mich zwar zu sich nach Tübingen geholt, ich konnte dort studieren und auch an der Universitätsklinik arbeiten, aber…«

»Es ist nicht dasselbe gewesen, als wenn du in der Praxis deines Vaters gearbeitet hättest.« Eric berührte flüchtig ihre Wange. »Das kann ich sehr gut verstehen. Ihr habt immer davon geträumt, eines Tages gemeinsam zu praktizieren.« Er wies zum Haus. »Wir sollten hineingehen.«

»Vermutlich wird mich Frau Wittenberg mit dem Nudelholz empfangen.«

»Sie schlägt nicht sehr hart zu«, scherzte der Arzt.

Katharina Wittenberg hantierte lautstark in der Küche mit ihren Töpfen.

Dabei sprach sie ununterbrochen auf Franzl ein, warf ihm Leckerbissen zu und bedauerte, daß sie das Essen nicht hatte anbrennen lassen.

Dr. Baumann kam in die Küche und schloß die Tür hinter sich. »Komm, Katharina, mach nicht so ein Gesicht«, bat er und sprach von dem Bullterrier, der Mara als Kind gebissen hatte. »Es sieht mir aus, als sei ihre Angst vor Hunden zu einer Phobie geworden. Möglicherweise kann Franzl sie davon heilen. Allerdings müssen wir sehr behutsam vorgehen.«

»Mit anderen Worten, wenn Madam in der Nähe ist, darf Franzl sich nicht rühren.«

»Sagen wir, solange Mara heute im Haus ist, kann Franzl mal in der Küche bleiben.« Der Arzt holte aus der Speisekammer einen großen Kauknochen. »Damit läßt es sich doch aushalten, du Gauner«, meinte er zu seinem Hund.

Franzl verzog sich mit dem Knochen unter den Tisch.

Es gab einiges, was Katharina gern gesagt hätte, sie schwieg jedoch, weil sie Eric nicht verärgern wollte. Außerdem wurde Gastfreundschaft im Doktorhaus sehr ernst genommen. »Dann werde ich jetzt die Suppe servieren«, sagte sie und griff nach der Terrine.

»Soll ich sie dir abnehmen?« fragte Eric.

»Laß nur, es geht schon«, erwiderte sie und marschierte mit hocherhobenem Kopf aus der Küche.

»Du bleibst hier, Franzl«, befahl der Arzt und schloß sorgfältig die Tür hinter sich.

Dr. Mara Bertram stand auf, als Katharina ins Eßzimmer trat. »Wir haben uns noch nicht kennengelernt«, meinte sie, als die Haushälterin die Suppenterrine auf den Tisch stellte.

»Deshalb wird es allerhöchste Zeit, daß wir das nachholen.« Eric machte die beiden Frauen miteinander bekannt.

»Es tut mir leid, daß ich vorhin so überzogen reagiert habe«, sagte Mara.

»Ich habe Katharina bereits erzählt, weshalb du Angst vor Hunden hast.« Dr. Baumann legte eine Hand auf Maras Arm. »Es ist schon in Ordnung.« Er wies zum Tisch. »Wir sollten mit dem Essen anfangen, sonst wird die gute Hühnersuppe noch kalt.«

Die junge Ärztin zuckte zusammen.

»Was hast du?« fragte er irritiert.

»Hast du vergessen, daß ich Vegetarierin bin?« fragte sie leise. »Es ist mir entsetzlich peinlich, doch…«

»Sie müssen die Hühnersuppe nicht essen, Frau Dr. Bertram«, fiel ihr Katharina eisig ins Wort. »Ich bringe Ihnen ein Stück Gemüsesülze und Weißbrot als Vorspeise.« Mit raschen Schritten verließ sie das Eßzimmer. Jede ihrer Bewegungen drückte aus, wie wütend sie war. Wozu hatte sie sich so große Mühe mit dem Essen gegeben? Unter diesen Umständen würde es bedeutend einfacher sein, Eric legte seiner Praxisassistentin eines von Franzls Halsbändern um und führte sie auf die Weide.

»Sieht nicht aus, als wäre es mein Tag«, bemerkte Mara niedergeschlagen zu Dr. Baumann. »Hätte ich nur vorher etwas gesagt, aber ich dachte, du wüßtest, daß ich kein Fleisch esse.«

Eric setzte sich ihr gegenüber an den Tisch. »Jetzt kann ich mich daran erinnern, daß du, wenn ich bei euch zu Hause zu Gast gewesen bin, nur vegetarisch gegessen hast.« Er verzog das Gesicht. »Du ahnst nicht, wie leid es mir tut. Aber mach dir keine Gedanken. Katharina wird sich schon bald damit überschlagen, vegetarische Gerichte für dich auszudenken. Immerhin wirst du öfters bei uns essen.«

Im Moment konnte sich das seine Kollegin noch nicht vorstellen. »Hoffentlich ist man in der Pension, in der ich wohnen werde, bis ich eine eigene Wohnung gefunden habe, nicht auch entsetzt darüber, daß ich kein Fleisch esse.«

»Keine Sorge, Frau Bartels ist sehr flexibel«, beruhigte sie Eric. »Als Gast in ihrer Pension hat man den Himmel auf Erden. Sie wird versuchen, dir jeden Wunsch von den Augen abzulesen.«

»Es sei denn, ich trample wie bei euch von einem Fettnäpfchen ins andere«, bemerkte Mara düster. Sie holte tief Luft. »Am besten, du klärst mich so schnell wie möglich darüber auf, durch was ich mich bei deiner Sprechstundenhilfe und deiner Krankengymnastin unbeliebt machen kann, bevor ich am Montag meinen Dienst antrete.«

»Tina wird dich mögen, daran gibt es keinen Zweifel«, erwiderte Dr. Baumann. »Und was Franziska betrifft, nun, sie wird etwas eifersüchtig sein, doch davon solltest du dich nicht beeindrucken lassen.«

Mara schenkte ihm ein wissendes Lächeln. »Sie ist in dich verliebt, nehme ich an.«

»Ja, obwohl sie genau weiß, daß ich nur Freundschaft für sie empfinde.« Eric hob die Schultern. »Davon abgesehen habe ich sie wirklich sehr gern. Schon als Kind ist sie mir auf Schritt und Tritt gefolgt, wenn ich ihren Vater besucht habe. Ich weiß nicht, ob wir darüber gesprochen haben, als wir telefonierten: Franziska hat durch einen Autounfall, der ihre Mutter das Leben gekostet hat, die Sprache verloren.«

»Du hast es erwähnt.« Mara wandte sich Katharina Wittenberg zu, die mit einem Tablett das Eßzimmer betrat.

Das Gesicht der Haushälterin wirkte wie eine steinerne Maske. Die junge Frau seufzte innerlich auf.

Es würde bestimmt nicht leicht sein, das Eis zwischen ihnen zum Schmelzen zu bringen.

Nein, es war ganz entschieden nicht ihr Tag.

*

»Du siehst sehr müde aus, Steffi.« Dr. Rudolf Fischer berührte mit den Fingerspitzen das angespannte Gesicht seiner Freundin. »Es wird allerhöchste Zeit, daß du einmal richtig Urlaub machst.« Er legte den Arm um die junge Frau. »Wir könnten nach Madeira fliegen. Ein Freund von mir besitzt dort ein Ferienhaus. Er würde es uns zur Verfügung stellen.«

Minutenlang gab sich Stefanie Bachmaier der Illusion hin, mit Rudolf am Strand spazierenzugehen, doch dann schüttelte sie den Kopf. »Unmöglich, Rudolf. Hast du meine Mutter vergessen? Sie würde es mir nie verzeihen, wenn ich ohne sie verreisen würde. Außerdem müßte ich sie dann allein mit fremden Leuten lassen. Sie haßt es, Pflegerinnen ausgeliefert zu sein.«

Der junge Rechtsanwalt überlegte seine nächsten Worte sehr genau, weil er wußte, daß Stefanie ihre Mutter liebte, obwohl sie seit über zwei Jahren von ihr regelrecht tyrannisiert wurde. »Ich halte es für einen großen Fehler, deiner Mutter ständig nachzugeben, Liebes. Gut, sie ist durch ihre Nervenentzündung an den Rollstuhl gefesselt, nur gibt ihr das noch lange nicht das Recht, dich so an sich zu binden.« Er schaute ihr ins Gesicht. »Ich bin überzeugt, daß es für dich nicht leicht gewesen ist, heute abend auszugehen.«

»Nein, das ist es«, gab Stefanie zu und dachte an die Vorwürfe, die ihr ihre Mutter deswegen gemacht hatte. Dabei hatte sie dafür gesorgt, daß ihre Mutter nicht allein bleiben mußte. Eine junge Frau aus der Nachbarschaft, die zweimal pro Woche bei ihnen putzte, hatte angeboten, bei ihr zu bleiben.

Sie hatten das chinesische Restaurant erreicht, in dem sie essen wollten. Dr. Fischer öffnete die Eingangstür und trat beiseite, damit seine Freundin hindurchgehen konnte, dann nahm er ihren Arm und führte sie zu dem Tisch, den er bestellt hatte.

Eine ältere Chinesin zündete die Kerze an, die neben einer blaugrünen Vase auf dem Tisch stand. Auf einen Wink von ihr brachte ein junges Mädchen die Speisekarten.

Stefanie und Rudolf hatten schon öfters in diesem Restaurant gegessen. Sie entschieden sich rasch für Huhn mit Morcheln, Bambussprossen und Mandeln.