cover
cover

FÜR LINDA

und zum Gedenken an Andy Harris, Doug Hansen, Rob Hall, Yasuko Namba, Scott Fischer, Ngawang Topche Sherpa, Chen Yu-Nan, Bruce Herrod und Lopsang Jangbu Sherpa

Von links nach rechts, vorne: Doug Hansen, Susan Allen, Jon Krakauer, Andy Harris, Rob Hall, Frank Fischbeck, Yasuko Namba. Hinten: John Taske, Stuart Hutchison, Helen Wilton, Beck Weathers, Lou Kasischke, Mike Groom.

Die Menschen spielen leichtfertig mit dem Tragischen, weil sie an die Existenz des Tragischen in einer zivilisierten Welt nicht glauben.

JOSÉ ORTEGA Y GASSET

Vorbemerkung

Im März 1996 wurde ich von der Zeitschrift Outside nach Nepal geschickt. Ich sollte an einer Besteigung des Mount Everest teilnehmen, um darüber zu schreiben. Ich war einer von acht zahlenden Kunden einer Expedition, die von Rob Hall geleitet wurde, einem bekannten Bergführer aus Neuseeland. Am 10. Mai erreichte ich den Gipfel. Der Preis für die Besteigung jedoch war entsetzlich.

Von den fünf Teamgefährten, die es mit mir auf den Gipfel schafften, starben vier, darunter auch Hall, in einem furchtbaren Sturm. Er brach ohne Vorwarnung los, als wir immer noch hoch oben auf dem Gipfelgrat waren. Als ich schließlich das Basislager erreichte, waren neun Bergsteiger aus vier Expeditionen umgekommen, und ehe der Monat zu Ende ging, sollten drei weitere ihr Leben verlieren.

Die Expedition hatte mich zutiefst erschüttert, und es fiel mir schwer, den Artikel zu schreiben. Es gelang mir dennoch, fünf Wochen nach meiner Rückkehr aus Nepal ein Manuskript abzuliefern, das in der September-Ausgabe der Zeitschrift erschien. Danach versuchte ich die Katastrophe auf dem Everest zu vergessen und mich wieder in den Alltag einzufinden. Doch das stellte sich als unmöglich heraus. In einem Nebel verworrener Gefühle versuchte ich immer wieder, in dem, was sich da oben zugetragen hatte, einen Sinn zu finden, und grübelte in einem fort über die Umstände des Todes meiner Gefährten nach.

Der Outside-Text war so tatsachengetreu geschrieben, wie es mir unter den Umständen möglich war. Aber der Zeitdruck für die Veröffentlichung hatte mir unerbittlich im Nacken gesessen, die Kette der Ereignisse war hoffnungslos komplex, und die Erinnerungen der restlichen Überlebenden waren durch Erschöpfungszustände, Sauerstoffmangel und Schock extrem verzerrt. Zum Beispiel bat ich während meiner Recherche drei meiner Gefährten, einen Vorfall zu rekapitulieren, den wir zu viert hoch oben auf dem Berg mit angesehen hatten. Aber wir konnten uns selbst über solch grundlegende Fragen wie den Zeitpunkt des Geschehens und was wir gesagt hatten nicht einigen; nicht einmal darauf, wer überhaupt zugegen gewesen war. Nur wenige Tage nachdem der Outside-Artikel in Druck gegangen war, erfuhr ich, daß einige Einzelheiten meiner Recherchen den Tatsachen nicht entsprachen. Es handelte sich dabei überwiegend um kleine Ungenauigkeiten, wie sie sich unvermeidlich in die Arbeit eines Journalisten unter Termindruck einschleichen. Einer meiner Fehler war jedoch alles andere als geringfügig und hatte eine verheerende Wirkung auf Freunde und Familie eines der Opfer.

Kaum weniger erfreulich als die offensichtlichen Irrtümer in dem Artikel war die Tatsache, daß aufgrund von Platzmangel ein Großteil des Materials nicht verwendet werden konnte. Der Herausgeber von Outside, Mark Bryant, und Larry Burke, der Verleger, hatten mir für die Story ungewöhnlich viel Platz eingeräumt: Sie brachten die Geschichte in einem Umfang von etwa fünfzig Manuskriptseiten heraus – vier- bis fünfmal so lang wie ein normales Feature. Dennoch wurde ich das Gefühl nicht los, daß der Artikel viel zu kurz war, um der Tragödie gerecht zu werden. Die Everest-Besteigung hatte mich völlig aus der Bahn geworfen, und ich konnte gar nicht mehr anders, als die Ereignisse in allen Einzelheiten aufzuzeichnen, frei von den Zwängen einer vorgegebenen Zeilenzahl. Dieses Buch ist das Ergebnis dieser inneren Notwendigkeit.

Die Unzuverlässigkeit des menschlichen Verstandes in großen Höhen ist geradezu atemberaubend, was die Recherche nicht gerade erleichterte. Um mich nicht ausschließlich auf meine eigenen Wahrnehmungen und Schlußfolgerungen zu verlassen, führte ich mit den wichtigsten Personen mehrmalige, intensive Interviews. Wenn möglich versuchte ich, die Richtigkeit bestimmter Details mit den Aufzeichnungen der Funksprüche zu untermauern, die von Leuten im Basislager gemacht worden waren, wo klares Denken nicht so sehr Mangelware war. Leser, die mit dem Outside-Artikel vertraut sind, werden zwischen der Darstellung bestimmter Details in der Zeitschrift und jener im Buch (vor allem, was die genauen Zeitabläufe angeht) Unstimmigkeiten bemerken. Die Änderungen sind Folge der neuen Erkenntnisse, die erst nach der Veröffentlichung des Artikels ans Licht kamen.

Mehrere von mir geschätzte Autoren und Redakteure rieten mir, das Buch nicht so schnell zu schreiben, wie ich es schließlich getan habe. Sie legten mir ans Herz, zwei oder drei Jahre verstreichen zu lassen, um etwas Abstand zu den Ereignissen zu gewinnen und das Ganze vielleicht aus einer völlig anderen Perspektive sehen zu können. Ihr Rat war vernünftig, aber schließlich ignorierte ich ihn – vor allem, weil mir das, was auf dem Berg geschehen war, keine Ruhe ließ. Ich litt wie ein Tier und hoffte, daß das Schreiben dieses Buches mich vom Everest befreien würde.

Was natürlich nicht der Fall ist. Darüber hinaus bin auch ich der Auffassung, daß den Lesern nur selten damit gedient ist, wenn es einem Autor in erster Linie um Katharsis geht wie mir mit dem vorliegenden Buch. Aber ich begann in der Hoffnung, daß es etwas Gutes hätte, wenn ich mir kurz nach der Katastrophe alles von der Seele schriebe, noch in der ganzen Aufgewühltheit und im Schmerz des Augenblicks. Ich wollte, daß mein Bericht eine rohe, ungeschönte Ehrlichkeit bewahrte, die sich mit der Zeit, wenn der Schmerz einmal abgeklungen war, vielleicht verflüchtigen würde.

Einige der Leute, die mich davor gewarnt hatten, zu überstürzt mit dem Schreiben anzufangen, hatten mir von Anfang an davon abgeraten, mich überhaupt auf den Everest zu wagen. Tatsächlich gab es sehr viele gute Gründe, die dagegen sprachen, aber eine Besteigung des Everest ist an sich ein irrationaler Akt: ein Triumph der Begierde über die Vernunft. Jeder, der ein derartiges Unterfangen ernsthaft in Erwägung zieht, ist schon beinahe per definitionem jenseits aller Einsicht.

Die volle Wahrheit ist, daß ich mir über all dies im klaren war und trotzdem auf den Everest gegangen bin. Indem ich dies tat, war ich an dem Tod sehr wertvoller Menschen beteiligt. Und das wird mein Gewissen wohl noch sehr lange belasten.

JON KRAKAUER
SEATTLE

Dramatis Personae

Mount Everest, Frühling 19961

Adventure Consultants Expedition (mit Führer)

Rob HallNeuseeland, Leiter und Bergführer
Mike GroomAustralien, Bergführer
Andy »Harold« HarrisNeuseeland, Bergführer
Helen WiltonNeuseeland, Leiterin des Basislagers
Dr. Caroline MackenzieNeuseeland, Ärztin im Basislager
Ang Tshering SherpaNepal, Sirdar der Gipfel-Mannschaft
Ang Dorje SherpaNepal, Gipfelbegleiter
Lhakpa Chhiri SherpaNepal, Gipfelbegleiter
Kami SherpaNepal, Gipfelbegleiter
Tenzing SherpaNepal, Gipfelbegleiter
Arita SherpaNepal, Gipfelbegleiter
Ngawang Norbu SherpaNepal, Gipfelbegleiter
Chuldum SherpaNepal, Gipfelbegleiter
Chhongba SherpaNepal, Koch im Basislager
Pemba SherpaNepal, Helfer im Basislager
Tendi SherpaNepal, Küchenjunge
Doug HansenUSA, Kunde
Dr. Seaborn Beck WeathersUSA, Kunde
Yasuko NambaJapan, Kundin
Dr. Stuart HutchisonKanada, Kunde
Frank FischbeckHongkong, Kunde
Lou KasischkeUSA, Kunde
Dr. John TaskeAustralien, Kunde
Jon KrakauerUSA, Kunde und Journalist
Susan AllenAustralien, Trekkerin
Nancy HutchisonKanada, Trekkerin

Mountain Madness Expedition (mit Führer)

Scott FischerUSA, Leiter und Bergführer
Anatoli BoukreevRußland, Bergführer
Neal BeidlemanUSA, Bergführer
Dr. Ingrid HuntUSA, Leiterin des Basislagers, Teamärztin
Lopsang Jangbu SherpaNepal, Gipfelbegleiter
Ngima Kale SherpaNepal, Sirdar im Basislager
Tashi Tshering SherpaNepal, Gipfelbegleiter
Ngawang Dorje SherpaNepal, Gipfelbegleiter
Ngawang Sya Kya SherpaNepal, Gipfelbegleiter
Tendi SherpaNepal, Gipfelbegleiter
»Big« Pemba SherpaNepal, Gipfelbegleiter
Pemba SherpaNepal, Küchenjunge des Basislagers
Sandy Hill PittmanUSA, Kundin und Journalistin
Charlotte FoxUSA, Kundin
Tim MadsenUSA, Kunde
Pete SchoeningUSA, Kunde
Klev SchoeningUSA, Kunde
Lene GammelgaardDänemark, Kundin
Martin AdamsUSA, Kunde
Dr. Dale KruseUSA, Kunde
Jane BrometUSA, Journalistin

MacGillivray Freeman IMAX/IWERKS Expedition

David BreashearsUSA, Leiter und Filmregisseur
Jamling Norgay SherpaIndien, stellvertretender Leiter und Filmschauspieler
Ed ViestursUSA, Bergsteiger und Filmschauspieler
Araceli SegarraSpanien, Bergsteigerin und Filmschauspielerin
Sumiyo TsuzukiJapan, Bergsteigerin und Filmschauspielerin
Robert SchauerÖsterreich, Bergsteiger und Kameramann
Paula Barton ViestursUSA, Leiterin des Basislagers
Audrey SalkeldGroßbritannien, Journalistin
Liz CohenUSA, Filmproduktionsleiterin
Liesl ClarkUSA, Filmproduzentin und Schriftstellerin

Staatliche Taiwanische Expedition

»Makalu« Gau Ming-HoTaiwan, Leiter
Chen Yu-NanTaiwan, Nepal, Gipfelbegleiter
Kami Dorje SherpaNepal, Gipfelbegleiter
Ngima Gombu SherpaNepal, Gipfelbegleiter
Mingma Tshering SherpaNepal, Gipfelbegleiter

Expedition der Johannesburger Sunday Times

Ian WoodallGroßbritannien, Leiter
Bruce HerrodGroßbritannien, stellvertretender Leiter und Fotograf
Cathy O’DowdSüdafrika, Bergsteigerin
Deshun DeyselSüdafrika, Bergsteigerin
Edmund FebruarySüdafrika, Bergsteiger
Andy HacklandSüdafrika, Bergsteiger
Ken WoodallSüdafrika, Bergsteiger
Tierry RenardFrankreich, Bergsteiger
Ken OwenSüdafrika, Sponsor und Trekker
Phillip WoodallGroßbritannien, Leiter des Basislagers
Alexandrine GaudinFrankreich, organisatorische Assistentin
Dr. Charlotte NobleSüdafrika, Teamärztin
Ken VernonSüdafrika, Journalist
Richard ShoreySüdafrika, Fotograf
Patrick ConroySüdafrika, Funker
Ang Dorje SherpaNepal, Sirdar der Gipfel-Mannschaft
Pemba Tendi SherpaNepal, Gipfelbegleiter
Jangbu SherpaNepal, Gipfelbegleiter
Ang Babu SherpaNepal, Gipfelbegleiter
Dawa SherpaNepal, Gipfelbegleiter

Alpine Ascents International Expedition (mit Führer)

Todd BurlesonUSA, Leiter und Bergführer
Pete AthansUSA, Bergführer
Jim WilliamsUSA, Bergführer
Dr. Ken KamlerUSA, Kunde und Teamarzt
Charles CorfieldUSA, Kunde
Becky JohnstonUSA, Trekkerin und Drehbuchautorin

International Commercial Expedition

Mal DuffGroßbritannien, Leiter
Mike TruemanHongkong, stellvertretender Leiter
Michael BurnsGroßbritannien, Leiter des Basislagers
Dr. Henrik Jessen HansenDänemark, Expeditionsarzt
Veikka GustafssonFinnland, Bergsteiger
Kim SejbergDänemark, Bergsteiger
Ginge FullenGroßbritannien, Bergsteiger
Jaakko KurvinenFinnland, Bergsteiger
Euan DuncanGroßbritannien, Bergsteiger

Himalayan Guides Commercial Expedition

Henry ToddGroßbritannien, Leiter
Mark PfetzerUSA, Bergsteiger
Ray DoorUSA, Bergsteiger

Schwedische Einzelexpedition

Göran KroppSchweden, Bergsteiger
Frederic BloomquistSchweden, Filmemacher
Ang Rita SherpaNepal, Gipfelbegleiter und Mitglied der Filmcrew

Norwegische Einzelexpedition

Petter NebyNorwegen, Bergsteiger

Neuseeländisch-Malayische Pumori-Expedition (mit Führer)

Guy CotterNeuseeland, Leiter und Bergführer
Dave HiddlestonNeuseeland, Bergführer
Chris JilletNeuseeland, Bergführer

American Commercial Pumori/Lhotse Expedition (mit Führer)

Dan MazurUSA, Leiter
Jonathan PrattGroßbritannien, mitverantwortlicher Leiter
Scott DarsneyUSA, Bergsteiger und Fotograf
Chantal MauduitFrankreich, Bergsteigerin
Stephen KochUSA, Bergsteiger und Snowboarder
Brent BishopUSA, Bergsteiger
Diane TaliaferroUSA, Bergsteigerin
Dave SharmanUSA, Bergsteiger
Tim HorvathUSA, Bergsteiger
Dana LyngeUSA, Bergsteigerin
Martha LyngeUSA, Bergsteigerin

Nepalesische Everest-Säuberungsexpedition

Sonam Gyalchhen SherpaNepal, Leiter

Himalayan Rescue Association Clinic (in Pheriche Village)

Dr. Jim LitchUSA, Arzt
Dr. Larry SilverUSA, Arzt
Laura ZiemerUSA, Angestellte der Klinik

Expedition des Indo-Tibetischen Everest-Grenzschutzes (von der tibetischen Seite des Berges aus unterwegs)

Mohindor SinghIndien, Leiter
Harbhajan SinghIndien, stellvertretender Leiter und Bergsteiger
Tsewang SmanlaIndien, Bergsteiger
Tsewang PaljorIndien, Bergsteiger
Dorje MorupIndien, Bergsteiger
Hira RamIndien, Bergsteiger
Tashi RamIndien, Bergsteiger
Sange SherpaIndien, Gipfelbegleiter
Nadra SherpaIndien, Gipfelbegleiter
Koshing SherpaIndien, Gipfelbegleiter

Japanisch-Fukuokische Everest-Expedition (von der tibetischen Seite des Berges aus unterwegs)

Koji YadaJapan, Leiter
Hiroshi HanadaJapan, Bergsteiger
Eisuke ShigekawaJapan, Bergsteiger
Pasang Tshering SherpaNepal, Gipfelbegleiter
Pasang Kami SherpaNepal, Gipfelbegleiter
Any GyalzenNepal, Gipfelbegleiter

Der Balkon, 8400 Meter hoch, 10. Mai, 7 Uhr 20. Zwei Sherpas aus dem Team von Scott Fischer stützen sich zum Atemholen auf ihre Eispickel; Andy Harris schließt zu ihnen auf. Ein Stück weiter unten ruhen sich weitere Bergsteiger aus. 1

Der Gipfelgrat vom Südgipfel aus gesehen, 10. Mai, 13 Uhr. Als Fischer diese Aufnahme machte, befand er sich am Ende des Zuges und blickte auf die Gruppe, die sich vor ihm zum Gipfel hochkämpfte. Direkt über dem Hillary-Step sind drei Bergsteiger zu sehen; ein vierter befindet sich auf mittlerer Höhe der Felsstufe. 2

Der Hillary-Step. Dieser steile Absatz im Gipfelgrat, ungefähr 70 Höhenmeter unterhalb des höchsten Punktes, ist klettertechnisch eine der schwierigsten Passagen der Standardroute. 3

Stau vor dem Hillary-Step, 10. Mai, ca. 14 Uhr 10. Scott Fischer nahm dieses Foto vom Fuß der Stufe aus auf. Links im Vordergrund steht Doug Hansen, der darauf wartet, am Fixseil aufsteigen zu können. 4

Blick über den Gipfelgrat, 10. Mai, ca. 16 Uhr 10. Fischer blickte von der oberen Kante des Hillary-Step auf Lene Gammelgaard, Tim Madsen und Charlotte Fox (von links nach rechts) hinunter, die vor ihm abstiegen. 5

Die oberen Hänge des Mt. Everest vom Gipfel des Lhotse. Über der Spitze des Südostgrats, der Standardroute zum Gipfel, sind die Wolkenstreifen, das Markenzeichen des Everest, gut zu erkennen. 6

Rob Hall, 35, Neuseeland, Leiter der Adventure Consultants Expedition. 7

Scott Fischer, 40, USA, Leiter der Mountain Madness Expedition. 8

Doug Hansen, 46, USA, Mitglied in Halls Team; Postangestellter, der in zwei Jobs arbeitete, um sich seinen Traum von der Besteigung des Everest leisten zu können. 9

Andy Harris, 31, Neuseeland, Bergführer in Halls Team. 10

Yasuko Namba, Japan, Mitglied in Halls Team; mit 47 Jahren die älteste Frau, die jemals den Gipfel des Everest erreichte. 11

12. Mai. Stürmische Winde fegen über den Gipfel des Everest. Als Krakauer nach dem Sturm von Camp Vier aus den Abstieg begann, drehte er sich bei etwa 7500 Metern um, um sich die oberen Bereiche des Gipfels anzusehen. Dort hatten seine Freunde Hall, Harris, Hansen und Fischer ihr Leben verloren. Namba war auf dem Südsattel umgekommen, nur zwanzig Minuten vom rettenden Lager entfernt. 12

KAPITEL EINS

Gipfel des Everest
10. Mai 1996
8848 Meter

image_kl

Man hat beinahe den Eindruck, als sei um die oberen Bereiche dieser großartigen Gipfel ein Kordon gezogen, der von keinem Menschen durchbrochen werden sollte. Tatsache ist, daß in Höhen ab 8000 Metern die Auswirkungen des niedrigen Luftdrucks auf den menschlichen Organismus dermaßen verheerend sind, daß technisch anspruchsvolles Klettern praktisch unmöglich ist und die Folgen eines leichten Unwetters tödlich sein können, daß nur bei idealen Witterungs- und Schneeverhältnissen die geringste Aussicht auf Erfolg besteht und daß auf dem letzten Stück zum Gipfel keine Seilschaft sich den Tag aussuchen kann 

Nein, es ist alles andere als überraschend, daß der Everest bei den ersten Vorstößen nicht erobert werden konnte. Im Gegenteil, es wäre schon äußerst erstaunlich und auch bedauerlich, wenn dies der Fall gewesen wäre, denn dies ist nicht die Art großartiger Berge. Vielleicht sind wir ein wenig arrogant geworden angesichts unserer schönen neuen Hilfsmittel, den Eisgeräten und Profilsohlen, unserem Zeitalter, der mühelosen mechanischen Eroberung. Wir haben ganz vergessen, daß der Berg immer noch die Trumpfkarte hält, daß er nur dann Erfolg gewährt, wenn er bereit dazu ist. Warum sonst behält Bergsteigen nach wie vor seine Faszination?

ERIC SHIPTON, 1938
Upon that Mountain

Ich stand auf dem höchsten Punkt der Erde, den einen Fuß in Tibet, den anderen in Nepal, und befreite meine Sauerstoffmaske von Eis. Eine Schulter gegen den Wind gestemmt, blickte ich abwesend in die unermeßliche Weite Tibets hinab. Ganz entfernt dämmerte mir, daß die Landschaftsflucht zu meinen Füßen ein überwältigender Anblick war. Von diesem Moment hatte ich monatelang geträumt, von dem Rausch der Gefühle, der ihn begleiten würde. Aber jetzt, endlich hier, tatsächlich auf dem Gipfel des Mount Everest angelangt, fehlte mir ganz einfach die Kraft, überhaupt etwas zu empfinden.

Es war am frühen Nachmittag des 10. Mai 1996. Ich hatte seit siebenundfünfzig Stunden nicht mehr geschlafen. Die einzige Nahrung, die ich in den letzten drei Tagen hinuntergewürgt hatte, war eine japanische Ramen-Suppe und eine Handvoll Schoko-Erdnüsse. Wochenlange Hustenanfälle hatten mir zwei beschädigte Rippenknochen beschert, die jeden Atemzug zur qualvollen Folter machten. Auf 8848 Metern hoch oben in der Troposphäre gelangte so wenig Sauerstoff in mein Gehirn, daß meine geistigen Fähigkeiten sich auf die eines kleinen Kindes beschränkten. Unter den Umständen fühlte ich so gut wie gar nichts mehr, außer Kälte und Erschöpfung.

Ich war ein paar Minuten nach Anatoli Boukreev auf dem Gipfel angekommen, einem russischen Bergführer, der für eine kommerzielle US-amerikanische Expedition arbeitete, und kurz vor Andy Harris, einem Bergführer, der wie ich dem von Neuseeland aus organisierten Team angehörte. Boukreev kannte ich eigentlich nur flüchtig; Harris hatte ich jedoch näher kennengelernt, und er war mir ans Herz gewachsen. Ich schoß kurz vier Fotos von Boukreev und Harris, die sich in Gipfelposen warfen, wandte mich ab und machte mich auf den Weg nach unten. Meine Uhr zeigte 13 Uhr 17 an. Alles in allem hatte ich weniger als fünf Minuten auf dem Dach der Welt verbracht.

Einen Moment später hielt ich kurz, um ein weiteres Foto zu schießen, diesmal mit Blick hinab auf den Südgrat, die Route unseres Anstiegs. Ich stellte mein Objektiv auf ein paar Bergsteiger scharf, die sich dem Gipfel näherten. Da bemerkte ich etwas, das zuvor meiner Aufmerksamkeit entgangen war. Nach Süden hin, wo der Himmel noch vor einer Stunde strahlend blau gewesen war, waren der Pumori, die Ama Dablam (Ama = nep. Mutter) und andere, niedrigere Gipfel rund um den Everest von einer Wolkendecke überzogen.

Später – nachdem sechs Leichen gefunden worden waren, nachdem die Suche nach zwei weiteren erfolglos abgebrochen werden mußte, nachdem die erfrorene rechte Hand meines Teamgefährten Beck Weathers amputiert worden war – fragte sich jeder: Warum, obwohl absehbar war, daß das Wetter sich zunehmend verschlechterte, schlugen Bergsteiger im Gipfelbereich die Warnzeichen in den Wind? Warum setzten erfahrene Himalaja-Führer den Aufstieg fort und führten einen Trupp relativ unerfahrener Amateure – von denen jeder satte 65 000 Dollar hingeblättert hatte, um sicher auf den Everest geleitet zu werden – in eine offensichtliche Todesfalle?

Niemand kann die Leiter der beiden beteiligten Gruppen befragen, denn beide Männer sind tot. Ich kann nur bezeugen, daß ich an jenem frühen Nachmittag des 10. Mai nichts bemerkt habe, was auf das Heraufziehen eines mörderischen Unwetters hingewiesen hätte. Für mein sauerstoffentleertes Hirn wirkten die Wolken, die über dem sogenannten Western Cwm2, einem riesigen Gletschertal, aufzogen, harmlos, dünn und kaum der Beachtung wert. Wie sie so in der strahlenden Mittagssonne schimmerten, schienen sie sich von den paar Kondensationswirbeln, die fast jeden Nachmittag aus dem Tal aufstiegen, kaum zu unterscheiden.

Ich war ziemlich beunruhigt, als ich mit dem Abstieg begann, aber meine Sorge galt nicht etwa dem Wetter: Ein Blick auf meine Sauerstoffflasche zeigte, daß sie beinahe leer war. Ich mußte runter, und zwar schnell.

Der obere Teil des Everest-Südostgrats, ein schmaler, stark verwächteter First aus Fels und windgepreßtem Schnee, schlängelt sich etwa einen halben Kilometer zwischen dem Gipfel und der niedrigeren Graterhebung, die als Südgipfel bekannt ist. Der gezackte Grat stellt an sich kein großes technisches Hindernis dar. Das Problem liegt vielmehr darin, daß diese Route fürchterlich exponiert ist. Nachdem ich den Gipfel verlassen hatte, erreichte ich nach fünfzehn Minuten vorsichtigem Vorwärtstasten über zweitausend Meter Abgrund den berüchtigten Hillary-Step, eine markante Felsstufe im Gipfelgrat, der ein gewisses Maß an technischer Feinarbeit verlangt. Als ich mich in ein Fixseil einhakte, um mich über die Kante abzuseilen, bot sich mir ein alarmierender Anblick.

Zehn Meter unter mir, am Fuße der Felsstufe, hatte sich eine Schlange von mehr als einem Dutzend Bergsteiger gebildet. Drei waren bereits dabei, sich an dem Seil hinaufzuziehen, an dem ich mich gerade hinunterlassen wollte. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich aus dem gemeinschaftlichen Sicherungsseil wieder auszuklinken und beiseite zu treten.

Der Stau setzte sich aus Bergsteigern aus drei verschiedenen Expeditionen zusammen: dem Team, dem ich angehörte, bestehend aus einer Gruppe zahlender Klienten unter der Leitung des berühmten neuseeländischen Bergführers Rob Hall, einem weiteren, von dem Amerikaner Scott Fischer geleiteten Team, und ferner einem nicht-kommerziellen taiwanesischen Team. Im Schneckentempo arbeitete sich der Pulk den Hillary-Step hoch, was aber in Höhen über 8000 Metern die Norm ist. Während ich nervös ausharrte.

Harris, der den Gipfel kurz nach mir verlassen hatte, schloß bald auf. Um das bißchen mir noch verbliebenen Sauerstoff zu sparen, bat ich ihn, in meinen Rucksack zu greifen und den Regler meines Ventils abzudrehen. In den nächsten zehn Minuten fühlte ich mich erstaunlich gut. Mein Kopf war wieder klar. Ich fühlte mich sogar weniger müde als mit aufgedrehtem Sauerstoff. Dann, ganz plötzlich, ging mein Atem immer schwerer. Ich sah nur noch verschwommen und mir wurde schwindlig. Ich war nahe dran, bewußtlos zu werden.

Anstatt meinen Sauerstoff abzuschalten, hatte Harris in seinem vom Sauerstoffmangel beeinträchtigten Zustand den Hahn irrtümlicherweise voll aufgedreht. Die Flasche war leer. Ich hatte gerade den letzten Sauerstoff verschwendet, ohne auch nur einen Meter voranzukommen. Am Südgipfel, etwa siebzig Meter weiter unten, wartete eine weitere Flasche auf mich. Aber um dorthin zu gelangen, mußte ich genau den schwierigsten, am meisten exponierten Abschnitt der Route überwinden, und das ohne zusätzlichen Sauerstoff.

Und zuerst mußte ich warten, bis sich dieser Pulk unter mir aufgelöst hatte. Ich nahm meine mittlerweile nutzlose Maske ab, rammte meinen Pickel ins Eis und hockte mich auf den Kamm. Ich tauschte mit den der Reihe nach vorbeikletternden Bergsteigern banale Glückwünsche aus, während ich innerlich völlig verzweifelt war. »Nun macht schon, macht!« flehte ich stumm. »Während ihr Idioten hier herumtrödelt, verliere ich Millionen und Abermillionen von Gehirnzellen!«

Die meisten Leute gehörten Fischers Team an, aber am Ende des Aufmarsches tauchten schließlich zwei meiner Teamgefährten auf, Rob Hall und Yasuko Namba. Die siebenundvierzigjährige Namba, ernst und zurückhaltend, trennten nur noch vierzig Minuten davon, die älteste Frau der Welt, die je den Everest bestiegen hatte, zu werden. Und die zweite Japanerin, die auf den höchsten Gipfeln aller Kontinente gestanden hatte, den sogenannten Seven Summits. Sie wog gerade mal fünfundvierzig Kilo, aber hinter ihrer spatzenhaften Erscheinung verbarg sich eine ungeheure Entschlossenheit. Yasuko war von dem höchst erstaunlichen Maß und der unerschütterlichen Intensität ihrer Sehnsucht den Berg hochgetrieben worden.

Noch später kam Doug Hansen oben am Hillary-Step an. Doug, ein Postbeamter aus einer Vorstadt von Seattle, gehörte ebenfalls zu unserem Troß und war zu meinem engsten Freund am Berg geworden. »Wir haben’s geschafft!« rief ich ihm gegen den Wind zu und versuchte dabei fröhlicher zu klingen, als mir zumute war. Doug murmelte hinter seiner Sauerstoffmaske völlig erschöpft etwas, was ich nicht verstand, schüttelte mir die Hand und schleppte sich weiter nach oben.

Ganz am Ende der Schlange tauchte Scott Fischer auf, den ich flüchtig aus Seattle kannte, wo wir beide wohnten. Fischers Kraft und Elan waren geradezu legendär – 1994 bestieg er den Everest ohne die Verwendung von Flaschensauerstoff –, ich war erstaunt, wie langsam er sich fortbewegte und wie abgekämpft er wirkte, als er seine Maske abnahm, um hallo zu sagen. »Bruuuuuuce!« keuchte er mit gezwungener Fröhlichkeit, mit dem für ihn typischen, jungenhaften Begrüßungsritual. Auf meine Frage, wie es denn so liefe, betonte er, daß er sich okay fühlte: »Nur ein bißchen schlapp heute. Hat aber nichts zu sagen.« Als der Hillary-Step schließlich frei war, hängte ich mich in das orangefarbene Seil ein, schwang mich mit einer raschen Bewegung um Fischer herum, der sich mit gebeugtem Haupt an seinem Eispickel abstützte, und ließ mich über die Felskante hinunter.

Als ich unten am Südgipfel ankam, war es nach drei Uhr. Über dem 8516 Meter hohen Gipfel des Lhotse wehten nun bereits Nebelschwaden, die bis zur Gipfelpyramide des Everest vordrangen. Die Wettergötter waren uns offenbar nicht mehr gewogen. Ich schnappte mir eine frische Sauerstoffflasche, klemmte sie an meinen Regler und eilte hinunter in die sich zusehends zusammenziehende Wolkendecke. Wenige Augenblicke nachdem ich vom Südgipfel gestiegen war, fing es an zu schneien, und die Sicht ging zum Teufel.

Vierhundert Höhenmeter über mir, wo der Gipfel immer noch unter einem makellosen kobaltblauen Himmel in strahlendem Sonnenlicht glänzte, trödelten und scherzten meine Kameraden herum, um ihre Ankunft auf dem Scheitel des Planeten zu feiern. Sie entrollten Flaggen, machten Fotos und ließen dabei wertvolle Zeit verstreichen. Keiner von ihnen hatte auch nur die leiseste Ahnung, daß ein unvorstellbares Martyrium nahte. Keiner ahnte, daß am Ende jenes langen Tages jede Minute zählen würde.

KAPITEL ZWEI

Dehra Dun
1852
681 Meter

image_kl

Im Winter, weit entfernt von den Bergen, entdeckte ich in Richard Halliburtons Book of Marvels das unscharfe Foto des Everest. Es handelte sich um einen elendig schlechten Nachdruck, in dem die gezackten Gipfel sich weiß gegen einen grotesk geschwärzten, von Kratzern durchzogenen Himmel abhoben. Der Everest selbst, der sich hinter den vorderen Gipfeln verbarg, schien nicht einmal der höchste zu sein, aber das war einerlei. Er war es. So ging die Sage. Der Schlüssel zu dem Bild waren Träume, die es einem Jungen erlaubten anzutreten, auf dem Scheitel eines windgepeitschten Kamms zu stehen, den Gipfel zu erklimmen, der nun nicht mehr weit war 

Dies war einer jener grenzenlosen Träume, die entstehen, wenn man heranwächst. Ich war mir sicher, daß ich nicht der einzige war, der vom Everest träumte. Der höchste Punkt der Erde, unerreichbar, jenseits jeder menschlichen Erfahrung, war für viele Jungen und erwachsene Männer da, um zu ihm aufzustreben.

THOMAS F. HORNBEIN
Everest: The West Ridge

Die genauen Details des Ereignisses liegen im dunkeln, von Mythen umrankt. Aber es war im Jahre 1852, und stattgefunden hat es in den Büros der Great Trigonometrical Survey of India, des britischen Landesvermessungsamtes, im indischen Dehra Dun, einem im nördlichen Bergland gelegenen Erholungsort für Europäer. Nach der glaubwürdigsten Version der Ereignisse stürmte ein Schreiber in die Räume von Sir Andrew Waugh, Indiens oberstem Landesvermesser, und rief aus, daß ein bengalischer Kalkulator namens Radhanath Sikhdar, der der Außenstelle des Amtes in Kalkutta angehörte, den »höchsten Berg der Erde entdeckt« hatte. (Zu Waughs Zeiten war ein Kalkulator eine Berufsbezeichnung und keine elektronische Rechenmaschine.)

Der betreffende Berg – von Landvermessern, die vor drei Jahren seinen Vertikalwinkel mit einem fünfzig Zentimeter großen Theodolit, einem Winkelmeßgerät, vermessen hatten, als Gipfel XV bezeichnet – ragte im verbotenen Königreich von Nepal aus dem Gebirgszug des Himalaja heraus.

Bis zu dem Zeitpunkt, als Sikhdar die Vermessungsdaten zusammengetragen und seine mathematischen Kalkulationen vorgenommen hatte, wäre niemand auf die Idee gekommen, daß an Gipfel XV irgend etwas Bemerkenswertes sei. Die sechs Vermessungspunkte, von denen aus der Gipfel trigonometrisch erfaßt wurde, lagen in Nordindien, mehr als hundert Meilen von dem Berg entfernt. Für die Vermesser war von Gipfel XV nur die oberste Spitze zu sehen. Der Berg selbst war von mehreren hohen Gebirgsmassiven im Vordergrund verdeckt, von denen einige viel größer und mächtiger zu sein schienen. Aber nach Sikhdars penibel durchgeführten trigonometrischen Schätzungen, welche Faktoren wie die Krümmung der Erdoberfläche, atmosphärische Refraktionskräfte und Lotablenkungen mit einbezog, erhob sich Gipfel XV 8840 Meter3 über dem Meeresspiegel und war damit der höchste Punkt des Planeten Erde.

1865, neun Jahre nachdem Sikhdars Berechnungen bestätigt worden waren, verlieh Waugh Gipfel XV den Namen Mount Everest, zu Ehren von Sir George Everest, seinem Vorgänger im Amt des obersten Landvermessers. Nun hatten aber die Tibeter, die im Norden des großen Berges lebten, bereits einen viel klangvolleren Namen für ihn – Chomolungma, was soviel heißt wie »Göttin, Mutter der Erde« –, während die Nepalesen, die im Süden angesiedelt waren, den Berg Sagarmatha nannten, »Göttin des Himmels«. Aber Waugh beschloß, diese Namen der Einheimischen geflissentlich zu ignorieren (wie auch die offizielle politische Linie, nach der örtliche oder angestammte Bezeichnungen bewahrt werden sollten), und Everest war schließlich der Name, der blieb.

Nachdem der Everest nun zum höchsten Berg auf Erden erklärt worden war, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Menschen beschlossen, daß er auch bestiegen werden mußte. Nachdem im Jahre 1909 der amerikanische Forschungsreisende Robert Peary verkündet hatte, er habe den Nordpol erreicht, und Roald Amundsen 1911 einen norwegischen Troß zum Südpol geführt hatte, wurde der Everest – der sogenannte dritte Pol – das begehrteste Objekt im Reich irdischer Erforschung. Auf dem Gipfel zu stehen wie Günter Oskar Dyhrenfurth, ein einflußreicher Alpinist und Chronist des frühen Himalaja-Bergsteigens, war »eine Sache universalen menschlichen Strebens, ein Selbstzweck, bei dem es kein Zurück gibt, wie hoch die Verluste auch sein mögen«.

Jene Verluste waren, wie sich herausstellte, alles andere als unbedeutend.

Im Anschluß an Sikhdars Entdeckung von 1852 mußten 21 Menschen ihr Leben lassen, 15 Expeditionen aufbrechen und 101 Jahre vergehen, bis der höchste Punkt des Everest schließlich zum ersten Mal betreten wurde.

Unter Bergsteigern und Kennern geologischer Formationen gilt der Everest nicht gerade als ein besonders ansehnlicher Berg. Zu klotzig, zu breit und ausladend, zu groß gemeißelt. Aber was dem Everest an Schönheit fehlt, macht er mit schierer, überwältigender Masse wett.

Auf der Grenzlinie zwischen Nepal und Tibet gelegen, überragt der Berg als eine Pyramide aus schimmerndem Firneis und dunklem, geschichtetem Fels die umliegenden Täler um mehr als 4000 Meter. Die ersten acht Expeditionen auf den Everest waren allesamt britisch, und alle versuchten den Berg von der nördlichen, tibetischen Seite aus anzugehen – weniger deshalb, weil sie in dem mächtigen Bollwerk des Berges die offensichtlichste Schwachstelle bildete, sondern vielmehr, weil die tibetische Regierung 1921 ihre lange geschlossenen Grenzen öffnete, der Zutritt zu Nepal jedoch strikt verboten blieb.

Die ersten Everest-Besteiger mußten 400 mühsame Meilen von Darjeeling aus über das tibetische Plateau ziehen, um überhaupt an den Fuß des Berges zu gelangen. Damals war das Wissen um die lebensbedrohlichen Auswirkungen extremer Höhe auf den Organismus gering, und die Ausrüstung war, am heutigen Standard gemessen, geradezu lächerlich unzulänglich. Und dennoch drang im Jahr 1924 ein Mitglied der britischen Expedition, Edward Felix Norton, bis zu einer Höhe von 8573 Metern vor – nur knapp 300 Meter unter dem Gipfel –, bevor er von Entkräftung und Schneeblindheit zurückgeschlagen wurde. Es war eine erstaunliche Leistung, die wahrscheinlich 29 Jahre lang nicht übertroffen wurde.

Ich sage deswegen »wahrscheinlich«, weil sich vier Tage nach Nortons Gipfelangriff folgendes ereignete: Im ersten Morgenlicht des 8. Juni zogen zwei weitere Mitglieder des britischen Teams von 1924, George Leigh Mallory und Andrew Irvine, vom höchsten Lager in Richtung Gipfel aus.

Mallory, dessen Name untrennbar mit dem Everest verbunden ist, war die treibende Kraft hinter den ersten drei Gipfelexpeditionen. Er war es auch, dem während einer Dia-Vortragsreise durch die Vereinigten Staaten die ebenso berüchtigte wie geistreiche Bemerkung entfuhr: »Weil es ihn gibt«, als ein lästiger Zeitungsmann wissen wollte, warum er den Everest besteigen wollte. 1924 war Mallory achtunddreißig Jahre alt, ein verheirateter Lehrer mit drei kleinen Kindern. Als typisches Produkt der englischen Oberschicht war er ein Ästhet und Idealist mit entschieden romantischen Empfindungen. Seine athletische Anmut, sein Charme und sein gutes Aussehen hatten ihn zu einem Liebling von Lytton Strachey und dem Bloomsbury-Kreis gemacht. Während sie hoch oben auf dem Everest im Zelt kampierten, lasen Mallory und seine Kameraden einander laut aus Hamlet und King Lear vor.

Als Mallory und Irvine sich am 8. Juni auf den Gipfel des Everest zukämpften, war die Gipfelpyramide von Nebelbänken umwogt. Den Gefährten weiter unten am Berg war es dadurch unmöglich zu verfolgen, wie die beiden Bergsteiger weiter vorrückten. Um 12 Uhr 50 teilte sich die Wolkendecke einen Moment lang, und ihr Teamkollege Noel Odell konnte einen kurzen, aber klaren Blick auf die beiden hoch oben am Gipfelgrat werfen. Sie hinkten zwar dem Zeitplan um ungefähr fünf Stunden hinterher, bewegten sich aber »kontrolliert und schnell« auf den Gipfel zu.

Die beiden Bergsteiger kehrten in jener Nacht jedoch nicht in ihr Zelt zurück. Weder Mallory noch Irvine sollten jemals wieder gesehen werden. Ob einer oder gar beide den Gipfel erreichten, bevor der Berg sie verschluckte und sie ins Reich der Legende eingingen, ist seither Gegenstand heftiger Diskussionen.

Nach reichlichem Abwägen gelangte man zu der Auffassung, daß dies wohl eher nicht der Fall war. Wie dem auch sei, ohne handfeste Beweise wurde ihnen die Erstbesteigung nicht zuerkannt.

Nachdem Nepal jahrhundertelang nicht betreten werden konnte, öffnete es im Jahre 1949 seine Grenzen, während ein Jahr darauf das neue kommunistische Regime in China Tibet für Ausländer abriegelte. Jene, die den Everest besteigen wollten, wandten ihre Aufmerksamkeit nun also der Südseite des Berges zu. Im Frühjahr 1953 versuchte es ein umfangreiches britisches Team, das mit dem großen Eifer und dem überwältigenden finanziellen und technischen Aufwand eines militärischen Feldzugs zu Werke ging. Es war die dritte Expedition, die den Everest von Nepal aus in Angriff nahm. Am 28. Mai, nach zweieinhalb Monaten ungeheuerer Anstrengungen, wurde bei 8500 Metern ein bescheidenes kleines Hochlager in den Südostgrat gegraben. Früh am Morgen des folgenden Tages zogen Edmund Hillary, ein kräftiger Neuseeländer, und Tenzing Norgay, ein erstklassiger Sherpa-Bergsteiger, mit Sauerstoffflaschen ausgerüstet, Richtung Gipfel los.

Um 9 Uhr erreichten sie den Südgipfel und blickten ungläubig über den schwindelerregend schmalen Grat, der zu dem eigentlichen Gipfel führte. Eine weitere Stunde brachte sie an den Fuß dessen, was Hillary als das »schwierigste Problem des Kammes« beschrieb, »eine etwa zehn, fünfzehn Meter hohe Felsstufe … Der Fels selbst, glatt und nahezu ohne Haltepunkte, hätte für eine Gruppe erfahrener Kletterer im Lake District eine durchaus interessante Sonntagnachmittags-Herausforderung dargestellt, aber hier war er eine Barriere, die in Anbetracht unserer großen Erschöpfung unüberwindbar erschien.«

Während Tenzing von unten nervös Seil ausgab, zwängte Hillary sich in die Spalte zwischen dem Felspfeiler und einer vertikal verlaufenden Schneescholle an seinem Rand. Daraufhin begann er sich Zentimeter für Zentimeter an dem hochzuarbeiten, was von da an als der Hillary-Step bekannt werden sollte. Das Klettern war mühsam; immer wieder mußte neu angesetzt werden, aber Hillary hielt durch, bis, wie er später schrieb, ich schließlich über das obere Ende des Felsens fassen und mich aus der Spalte heraus auf ein breites Band ziehen konnte. Ein paar Augenblicke lang lag ich da und schöpfte Atem, und zum ersten Mal spürte ich wirklich die wilde Entschlossenheit, daß uns nichts mehr daran hindern konnte, den Gipfel zu erreichen. Ich suchte mir mit beiden Füßen sicheren Stand auf dem Band und gab Tenzing das Zeichen, nachzukommen. Während ich mit aller Kraft an dem Seil zog, wand Tenzing sich die Felsspalte hoch. Oben angekommen, brach er erschöpft zusammen wie ein riesiger Fisch, der gerade nach entsetzlichem Kampf aus dem Meer an Land gezogen wurde.

Gegen ihre Erschöpfung ankämpfend, folgten die beiden dem nun sanft ansteigenden Grat. Hillary fragte sich ziemlich benommen, ob unsere Kraftreserven noch reichen würden, um durchzukommen. Ich umging einen weiteren Felsblock auf seiner Rückseite und sah, daß der Kamm vor uns abbrach und wir weit nach Tibet hineinblicken konnten. Ich blickte auf, und dort über uns war ein gerundeter Bergkegel. Noch ein paar Hiebe mit dem Eispickel, ein paar vorsichtige Tritte und Griffe, und Tensing [sic] und ich waren oben angekommen.

Und so standen um die Mittagszeit des 29. Mai 1953 mit Hillary und Tenzing die ersten Menschen auf dem Gipfel des Mount Everest.

Drei Tage später erreichte die Nachricht von der Besteigung Queen Elizabeth am Vorabend ihrer Krönung, und am Morgen des 2. Juni stand sie in der Frühausgabe der Londoner Times. Der Bericht war von einem jungen Korrespondenten namens James Morris als kodierte Funkmeldung abgefaßt worden (um zu verhindern, daß die Konkurrenten der Times der Zeitung zuvorkämen). Zwanzig Jahre später, nachdem er als Schriftsteller großes Ansehen erlangt hatte, würde er unter großem öffentlichen Aufsehen zum weiblichen Geschlecht übertreten und seinen Taufnamen in Jan ändern lassen. Wie Morris vier Jahrzehnte nach der bedeutenden Besteigung in Die Everest-Krönung: Die Erstbesteigung und der Presseknüller, der die Königin krönt, schrieb: Man kann sich heute den beinahe mystischen Freudentaumel, mit dem das zufällige Zusammentreffen der beiden Ereignisse [der Krönung und der Everest-Besteigung] in England aufgenommen wurde, kaum noch vorstellen. Als sich die Briten endlich aus den Notzeiten erhoben, die sie seit dem Zweiten Weltkrieg heimgesucht hatten, sich aber zugleich dem Verlust ihres Weltreiches und dem unaufhaltsamen Verfall ihrer Stellung in der Welt gegenübersahen, hatten sie sich quasi eingeredet, daß die Thronbesteigung der jungen Königin ein Zeichen für einen neuen Anfang war – ein neues elisabethanisches Zeitalter, wie die Zeitungen es gerne zu nennen pflegten. Der Tag der Krönung, der 2. Juni 1953, sollte ein Tag der symbolischen Hoffnung und Freude werden, an dem alle britisch-patriotischen Loyalitäten in einer erhabenen Stunde ihren Ausdruck finden würden: Und, o Wunder aller Wunder, an ebenjenem Tag traf aus fernen Ländern – ja, von den Grenzen des alten Weltreichs – die Nachricht ein, daß ein britisches Bergsteigerteam das letzte, noch verbliebene, über allem anderen stehende irdische Reiseziel für Forschung und Abenteuer, den höchsten Punkt der Erde erreicht hatte 

Jene Stunde setzte unter den Briten ein ganzes Orchester an überschwenglichen Gefühlen frei – Stolz, Vaterlandsliebe, Sehnsucht nach der verlorenen Vergangenheit des Krieges und der Verwegenheit, Hoffnung auf eine verjüngende Zukunft Menschen, die das miterlebten, erinnern sich bis heute lebhaft an den Moment, wie sie, als sie an einem nieselnden Junimorgen in London darauf warteten, daß der Krönungszug an ihnen vorbeizog, die magische Meldung hörten, daß der Gipfel der Welt sozusagen ihnen gehörte.

Tenzing wurde in ganz Indien, Nepal und Tibet – alle diese Länder reklamierten ihn für sich – zum Nationalhelden erklärt. Von der Queen geadelt, sah Sir Edmund Hillary sein Konterfrei auf Briefmarken, in Comicserien, Büchern, Filmen und auf den Titelseiten von Zeitschriften reproduziert – der Bienenzüchter aus Auckland mit dem Adlergesicht war über Nacht zu einem der berühmtesten Männer der Welt geworden.

Hillary und Tenzing bestiegen den Everest zehn Monate vor meiner Geburt. Ich konnte folglich nicht an dem kollektiven Freudentaumel aus Stolz und Staunen teilnehmen. Einer meiner Freunde älteren Jahrgangs verglich die den Menschen in seinem Innersten treffende Wirkung dieses Ereignisses mit der ersten bemannten Mondlandung. Eine weitere Besteigung des Berges sollte jedoch ein Jahrzehnt später meinen Lebensweg entscheidend beeinflussen.

Am 22. Mai 1963 erreichten Tom Hornbein, ein zweiunddreißigjähriger Arzt aus Missouri, und Willi Unsoeld, sechsunddreißig und Professor der Theologie aus Oregon, den Gipfel des Everest, und zwar über den abschreckenden Westgrat des Gipfels, der bis dahin unbestiegen war. Damals war der Gipfel bereits viermal von insgesamt elf Männern erreicht worden. Aber der Westgrat war um einiges schwieriger als die beiden zuvor begangenen Routen: der Südsattel und der Südostgrat oder der Nordsattel und der Nordostgrat. Hornbeins und Unsoelds Besteigung wurde – und wird immer noch – verdientermaßen als eine der Glanzleistungen in der Geschichte des Bergsteigens gerühmt.

Der Tag ihres Gipfelanstiegs neigte sich schon gegen Abend, als die beiden Amerikaner einen steilen, brüchigen Felsabsatz überkletterten – das berüchtigte Gelbe Band. Diese Wandstufe zu überwinden verlangte ungeheuer viel Kraft und Können. Bis dahin waren in solch extremer Höhe keine vergleichbar schwierigen klettertechnischen Herausforderungen bewältigt worden. Als Hornbein und Unsoeld schließlich oben auf dem Gelben Band standen, kamen ihnen Zweifel, ob ihnen der Abstieg gelingen würde. Ihre beste Chance, lebend von dem Berg wieder herunterzukommen, war, über den Gipfel zu steigen und den bereits gut ausgekundschafteten Südostgrat hinunterzuklettern – ein äußerst kühnes Vorhaben in Anbetracht der späten Stunde, des unbekannten Terrains und des im Schwinden begriffenen Vorrats ihrer Sauerstoffflaschen.

Hornbein und Unsoeld erreichten den Gipfel erst um 18 Uhr 15, als die Sonne gerade unterging, und mußten daher in einer Höhe von über 8534 Metern eine Nacht im Freien verbringen – damals das höchstgelegene Biwak der Geschichte. Es war eine klirrend kalte Nacht, glücklicherweise jedoch windstill. Obwohl Unsoeld Erfrierungen an den Zehen erlitt und diese später amputiert werden mußten, überlebten beide Männer und konnten ihre unglaubliche Geschichte erzählen.

Ich war damals neun Jahre alt und lebte in Corvallis, Oregon, wo auch Willi Unsoeld sich niedergelassen hatte. Er war ein guter Freund meines Vaters, und ich spielte manchmal mit Unsoelds Kindern – Regon, der ein Jahr älter war als ich, und die achtjährige Devi. Ein paar Monate bevor Unsoeld nach Nepal aufbrach, bestieg ich zusammen mit meinem Vater, Willi und Regon den Gipfel meines ersten Berges – ein wenig Aufsehen erregender, 2750 Meter hoher Vulkan in der Cascade Range, dessen Krater heute mit einer Gondelbahn zu erreichen ist. Es ist also kaum verwunderlich, daß die Erzählungen der Heldensaga von 1963 auf dem Everest meine präpubertäre Phantasie lange beschäftigten. Während meine Freunde John Glenn, Sandy Koufax und Johnny Unitas zu ihren Idolen erkoren, waren meine Vorbilder Hornbein und Unsoeld.

Heimlich träumte ich davon, den Everest eines Tages selbst zu besteigen. Das Verlangen blieb über ein Jahrzehnt in mir wach. Später, als ich Anfang Zwanzig war, war Bergsteigen zum Dreh- und Angelpunkt meines Lebens geworden, der so gut wie alles andere in den Hintergrund drängte. Den Gipfel eines Berges zu erreichen war etwas Greifbares, eine unleugbare Tatsache, etwas Konkretes. Die drohenden Gefahren verliehen dem Ziel eine Ernsthaftigkeit, die meinem sonstigen Leben abging. Ich labte mich an dem neuen Lebensgefühl, das sich wie von allein einstellte, einfach weil ich ständig über meine normale Existenz hinausging.

Das Bergsteigen vermittelte auch ein Gemeinschaftsgefühl. Bergsteiger zu werden hieß, in eine in sich geschlossene, fanatisch-idealistische Gemeinschaft aufgenommen zu werden, die überraschenderweise unverdorben war und von der Welt im großen und ganzen kaum zur Kenntnis genommen wurde. Die alpine Kultur war von hartem Wettkampf und unverwässertem Machismo gekennzeichnet, aber die meiste Zeit über waren ihre Anhänger nur damit beschäftigt, gegenseitig Eindruck zu schinden. Es ging weniger darum, den Gipfel eines bestimmten Berges zu erreichen, als um die Art und Weise, wie man dorthin gelangte: Prestige erlangte, wer die härtesten, unzugänglichsten Routen mit minimaler Ausrüstung in Angriff nahm, und dies in der kühnsten Manier, die man sich vorstellen kann. Am allermeisten bewundert wurden die sogenannten Free-Solo-Kletterer: Visionäre, die alleine kletterten, ohne Seil oder sonstige Aufstiegshilfen.

In jenen Jahren lebte ich fürs Klettern, bestritt mit fünf-, sechstausend Dollar im Jahr meinen Lebensunterhalt, arbeitete jeweils so lange als Schreiner oder auf Lachsfischerbooten, bis ich das Geld für den nächsten Trip zu den Bugaboos, der Teton oder der Alaska Range beisammenhatte. Aber mit Mitte Zwanzig ließ ich irgendwann meinen jugendlichen Traum von der Besteigung des Everest fallen. Damals war es unter alpinen Kennern bereits Mode, den Everest als »Geröllhaufen« schlechtzumachen – einen Gipfel, der an klettertechnischen Herausforderungen und ästhetischem Reiz zu wenig bot, um ein würdiges Ziel für einen »ernsthaften« Bergsteiger abgeben zu können, was ja mein sehnlichster Wunsch war. Ich fing an, hochnäsig auf den höchsten Berg der Erde herabzuschauen.

Dieser Snobismus beruhte auf der Tatsache, daß der Everest Anfang der Achtziger über die leichteste Route – über den Südsattel und den Südwestgrat – schon mehr als einhundertmal bestiegen worden war. Ich und meinesgleichen nannten den Südostgrat immer die »Yak-Route«. Unsere Verachtung ging ins Unermeßliche, als Dick Bass – ein wohlhabender fünfundfünfzigjähriger Texaner mit begrenzter Bergerfahrung – von einem jungen, außergewöhnlich begabten Bergsteiger namens David Breashears zum Gipfel des Everest geführt wurde – ein Ereignis, das von riesigem, völlig unkritischem Medienwirbel begleitet wurde.

Vorher war der Everest im großen und ganzen Elite-Alpinisten vorbehalten. Mit den Worten von Michael Kennedy, dem Herausgeber der Zeitschrift Climbing: »Auf eine Everest-Expedition eingeladen zu werden, war eine Ehre, die einem nur zuteil wurde, wenn man zuvor eine lange Lehrzeit an niedrigeren Bergen absolviert hatte. Es dann tatsächlich bis zum Gipfel zu schaffen, erhob einen Bergsteiger in die Star-Etage des Bergsteigerhimmels.« Bass’ Besteigung änderte all dies. Indem er den Everest besiegte, wurde er der erste Mensch, der alle Seven Summits4 erklommen hatte, eine Meisterleistung, die ihn weltberühmt machte und die ganze Scharen von anderen Wochenendkraxlern dazu anspornte, seinen von Bergführern vorgetretenen Spuren zu folgen. Der Everest aber wurde damit auf unsanfte Weise ins postmoderne Zeitalter gezerrt.