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eBook-Ausgabe der Printversion
eBook-ISBN: 978-3-95464-042-3
ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-95464-028-7
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Urheberrecht
Widmung
Über die Autorin
Vorwort
1 Füreinander geschaffen
Großer böser Wolf kommt nach Hause
Sinn für Kommunikation
Magnetische Hunde
Der Geruchssinn des Hundes
Eis, Fleisch und Knochen
Gefundenes Fressen
Genetisches Design
2 Der Hund ist der beste Freund der Gesundheit
Lebensqualität und Gesundheit
Widerstandskraft und Überleben
Signalwert
Der Hund am Radar des Gehirns
Physiologische Verbesserungen
Auch ohne Bewegung
Jetzt ganz ohne Bewegung
Der Therapeut Hund
Gehirn und Gemüt
Die drei großen Kommunikationssysteme
Fight or flight
Hund oder Stress
Der Hund als Anthropologe
Der Hund und die soziale Exklusion
Nehmen Sie eine Gehirnwäsche
3 Krankheiten im Gehirn: Der neurologische Effekt des Hundes
Alzheimer-Syndrom und Demenz
Parkinson-Krankheit
Epilepsie
Hirn- und Rückenmarksschäden
Neuropsychiatrie
Angst
Depressionen
Schizophrenie
Entwicklungsstörungen
Schmerzen
Die Wirkungsmechanismen des Hundes im Gehirn und in der Seele
4 Herz- Kreislauferkrankungen: Der kardiovaskuläre Effekt des Hundes auf die Überlebensrate
Ohne Hund kein Herz
Der Hund reduziert die Risikofaktoren für Herzerkrankungen
Hund und Rauchen
Die Wirkmechanismen des Hundes auf das Herz-Kreislauf-System
5 Die Bedeutung des Hundes für das Immunsystem
Die Immunität und der Hund
Die immunologischen Wirkmechanismen des Hundes
Allergie gegen Hund – oder Hund gegen Allergie
So kann der Hund Ihrer Allergie entgegen wirken
Immunschwächung und Zoonosen
Keimübertragung via Rohfütterung (BARF)
Lungentransplantation – nicht ohne meinen Hund
6 Die Wirkung des Hundes auf Menschen mit Krebs
Behandlungsstrategien gegen Krebs
Der Hund als begleitende Therapie bei Krebserkrankung
Der Hund schützt seinen Besitzer vor Krebs
Der Einfluss von Hunden auf Menschen mit Krebs
Das Infektionsrisiko bei Krebspatienten
Der Hund in der Krebsdiagnostik
7 Canis lupus therapeuticus
Die Top 10 der gesundheitsfördernden Wirkungen des Hundes
Medizinwissenschaftliche Gebiete, die von Therapiehunden profitieren werden
8 Nur für Kinder
9 Der Hund als Forschungsgebiet
Wissenschaftliche Methoden
Wohlergehen und Sicherheit des Hundes
10 Im Dienst des Staates
Hunde im Krieg und in der Industrie
Der Hund im Schulwesen
Hunde erobern die Universitäten
Der Hund ist der beste Freund aller
Literatur
Wissenschaftliche Referenzen
Besonders Empfohlene Literatur
Links
Dieses Buch widme ich Michael Schumacher. Bleib stark, kämpfe weiter und komm zurück, Michael.
Die Autorin Dr. Milena Penkowa MD, PhD, DMSc erhielt ihren Doktortitel 1998 von der Universität Kopenhagen, wo sie von 1993-2010 in der Gehirnforschung tätig war. 2009 wurde sie zur Professorin für experimentelle Neuroprotektion berufen. Die Humanmedizinerin besitzt zwei Doktortitel im Bereich der Neurowissenschaften und Gehirnregeneration. Neben ihrer Tätigkeit als Neurowissenschaftlerin und ihrer medizinischen Praxis hat sie jahrelang Erfahrung in der Ausbildung, Zertifizierung und Anwendung von Therapiehunden bei den verschiedensten Krankheitsbildern. Heute führt sie in Kopenhagen eine eigenes medizinisches Beratungsunternehmen namens „Hjerneeksperten“ (dt.: Die Gehirnexpertin), in dem sie sich unter anderem weiterhin der Erforschung der unmittelbaren Auswirkungen von Tieren auf menschliche Patienten widmet.
Ihr Hund Snubbi hat maßgeblich zur Entstehung dieses Buchs beigetragen.
Als vielbeschäftigte Forscherin und Ärztin hatte ich gar nicht geplant, mir einen Hund anzuschaffen. Als aber meine Mutter im September 2010 einen Welpen kaufte und jemanden brauchte, um auf ihn aufzupassen, sagte ich zu. Schon in der ersten Woche mit dem Welpen stellte ich fest, dass dieser nicht nur deshalb bei mir sein sollte, damit ich mich um ihn kümmerte, sondern dass er gekommen war, um mir zu helfen, und schnell war klar, dass wir nie wieder voneinander getrennt werden sollten. So kam ich zu Snubbi. Seitdem hat er mir in regelmäßigen Abständen etwas Neues, Epochales und Lebensrettendes beigebracht, das zu großem Nutzen von Menschen und Patienten werden sollte. Das Bemerkenswerte daran ist, dass es sich dabei um etwas handelt, von dem niemand in diesem Land wusste, und in all den Jahren, als ich im Medizinstudium selbst gelernt und später auch doziert habe, gehörte es auch nicht zum Lehrprogramm.
Ich kann Snubbi deshalb nur dafür danken, dass er mir gezeigt hat, was ein Hund alles bewirken kann. Es ist einzig sein Verdienst, dass ich später auf Basis der umfassenden, globalen Forschung auf dem Gebiet der Therapiehunde, Servicehunde, Besuchshunde, hundebegleiteten Therapie usw. die Botschaft an Kollegen, Mitarbeiter im Gesundheitswesen und viele andere verbreiten konnte, die Interesse an Gesundheit, Glück, Krankheitsbehandlung und einer besseren Lebensqualität haben.
Für mich war die Behandlung von Krankheiten immer etwas, das von einem Arzt bzw. einer Ärztin bewältigt werden sollte. Snubbi aber hat mir gezeigt, wie ein Hund die medikamentöse Behandlung und/oder die Chirurgie ergänzen, optimieren und in einigen Fällen sogar vervollständigen kann.
Meine Kernaussage und das, womit sich dieses Buch beschäftigt, ist:
Wir werden vom Arzt bzw. von der Ärztin behandelt, aber der Hund kann uns heilen.
Wäre Snubbi nicht gewesen, hätte ich mit Sicherheit nie begonnen, die Zusammenhänge zwischen Hunden und der Gesundheit von Menschen zu erforschen.
Alle Menschen sind verschieden, weshalb wir alle unsere eigenen, unterschiedlichen Lösungswege finden, wenn das Leben schwierig wird. Für einige endet es mit der Einweisung in eine Klinik oder Stunden bei einem Psychologen oder einem Coach, für andere führt es zum Konsum von Rauschmitteln oder psychoaktiven Substanzen, oder wiederum ganz etwas anderes trifft zu. Aber wer klug ist oder Glück hat, bekommt einen Hund.
So war es auch bei mir, und obwohl das Buch auf medizinwissenschaftlicher Forschung und dokumentiertem Wissen über die Fähigkeiten des Hundes und seine Einflüsse auf die Gesundheit der Menschen basiert, handelt es sich gleichzeitig um Erkenntnisse, die ich durch Snubbis Anwesenheit im Verlauf von fast vier Jahren gemacht habe und die zu einer Bereicherung meines Lebens geworden sind.
So ungewöhnlich es erscheinen mag, dass Hunde die Fähigkeit besitzen, Krebserkrankungen zu erschnüffeln, lange bevor diese von unseren modernen Geräten festgestellt werden können, genau so beeindruckend ist es jedes Mal für mich, als Zeugin dabei zu sein, wenn Snubbi bei einem Menschen eine bösartige Krebserkrankung entdeckt hat.
Mein Erstaunen ist auch jedes Mal sehr groß, wenn er einen psychotischen oder einen paranoid ängstlichen Patienten beruhigt hat oder Demenzerkrankte dazu gebracht hat, wieder zu reden, obwohl sie seit mehreren Jahren kein Wort gesprochen hatten.
Ich habe nie erlebt, dass ein solcher Erfolg durch einen Arzt, geschweige denn durch ein Medikament erreicht worden wäre. Hier ist es allein durch die Anwesenheit des Hundes ermöglicht worden.
Ich könnte noch viel mehr über die Leistungen von Snubbi erzählen, sowohl solche wie diese als auch ganz andere Geschichten, oder etwa über seine Überlegenheit, wenn wir auf der Jagd sind. Es würde sicherlich ein sehr dickes Buch werden.
Anstelle einer Biografie von Snubbi habe ich mich entschlossen, ein etwas anderes Buch zu schreiben, welches Sie jetzt in der Hand halten. Dieses Buch ist ein Überblick über die wesentlichsten medizinwissenschaftlichen Forschungsergebnisse, die dokumentieren, wie, wo und wann ein Hund unser Leben, unsere Gesundheit und unsere Überlebenschancen verbessern kann.
Wie aus dem Buch hervorgeht, ist ein Hund vermutlich der einfachste, kürzeste und nachhaltigste Weg zu einer verbesserten Gesundheit, Freude und Lebenskraft. Das Buch setzt keine medizinischen oder naturwissenschaftlichen Kenntnisse voraus. Hund auf Rezept kann relevant sein, wenn man sein Leben lang möglichst gesund sein möchte. Es ist besonders wichtig, wenn man an einer Krankheit leidet und die grundlegenden Bedingungen, Behandlungsmöglichkeiten, Komplikationen und Überlebenschancen in die Hand nehmen – oder in die Pfote eines Hundes legen möchte.
Faktisch ist das Buch auch dann dazu geeignet, wenn man selbst gar keinen Hund haben möchte, denn man braucht ihn nicht zu besitzen, um von seinen Einflüssen zu profitieren. Man sollte lediglich viel Zeit mit ihm verbringen.
Neben meinem Dank an Snubbi möchte ich meinen Eltern und meiner Schwester dafür danken, dass sie mir ermöglicht haben, dieses Projekt neben vielen anderen durchzuführen.
Kopenhagen, im April 2014
Milena Penkowa
Füreinander geschaffen
Wie kamen der Mensch und ein Raubtier wie der Wolf in prähistorischer Zeit darauf, eine gemeinsame „Herde“ zu bilden?
Schon vor Zehntausenden von Jahren genossen die Menschen eine enge Bindung zu Tieren, die uns einige Vorteile in Verbindung mit unserem Überleben verschafften. Der Hund stammt ursprünglich vom Grauwolf (Canis lupus) ab. Er ist das erste Beispiel eines zahmen Tieres in der Weltgeschichte und außerdem das allererste Haustier.1 Die Bedeutung des zahmen Wolfs/des Hundes für unser Leben und unsere Gesundheit hat sich über die letzten mindestens 35.000 Jahre, in denen Mensch und Hund eng zusammenleben, kaum verändert.2
Eine der größten Neuigkeiten ist, dass die Forschung jetzt dokumentieren kann, wie wir Menschen konkrete Gesundheitsvorteile und verbesserte Überlebenschancen bei Erkrankungen haben, wenn wir mit Hunden verbunden sind. Der Hund bringt uns deutlich verbesserte Gesundheit und Lebensqualität. Das hat selbst heute drastische Folgen für unser Überleben und unsere Gesundheit.3 Beispielsweise ist nach einem Herzinfarkt die Überlebensrate von Hundebesitzern im Vergleich zu entsprechenden Patienten ohne Hund oder andere Tiere höher.4 Die beste Nachricht ist, dass die positive Wirkung des Hundes auf unsere Gesundheit sich nicht auf Herz- und Gefäßerkrankungen beschränkt, sondern ebenfalls Krankheiten im Gehirn, in der Seele, in der Körperabwehr und Krebserkrankung umfasst.5
Die Evolution des Menschen betrifft nicht nur uns selbst – sie hängt auch untrennbar mit der Entwicklung vom Grauwolf zum Hund zusammen. Faktisch ist der Hund das einzige Tier, mit dem der Mensch eine Co-Evolution durchgemacht hat, d.h. wir haben gegenseitig Einfluss auf die evolutionäre Entwicklung genommen. Der zahme Wolf/der Hund hat die Entwicklung und das Überleben des Menschen mehr als jedes andere Tier beeinflusst.
Die Beziehung zum Hund hat tiefe Wurzeln in unserer Entwicklungsgeschichte, die bis zurück zum paläolithischen Altertum datiert werden kann. Archäologische Funde aus dieser Zeit deuten an, dass der Mensch und der zahme Wolf/der Hund ihre Partnerschaft schon vor 50.000-150.000 Jahren eingeleitet haben.6 Es wird angenommen, dass der moderne Mensch, Homo sapiens, vor ca. 100.000-200.000 Jahren entstanden ist. DNA-Untersuchungen zeigen, dass sich der Hund zur gleichen Zeit vom Grauwolf abgespalten hat, nämlich vor 135.000-145.000 Jahren.7 Anthropologen haben daraus den Rückschluss gezogen, dass der Ursprung des Hundes und seiner Partnerschaft mit dem Menschen vermutlich genau so weit zurück geht wie der moderne Mensch.8
Lange, bevor der Wolf sich domestizieren ließ, haben sich die Wölfe der Vergangenheit und die allerfrühesten Menschenarten (Hominiden) ausreichend an die gegenseitige Gesellschaft gewöhnt, weshalb der Wolf der Ursprung des späteren Hundes war. Darüber, wann unsere frühesten Vorfahren mit wilden Wölfen zusammenkamen, können wir nur spekulieren. Der Fund von 400.000-500.000 Jahre alten Knochen von sowohl Wolf- als auch Menschenarten am gleichen Ort zeugt aber von einer sehr langen Bindung, die wesentlich weiter zurück geht (um rund 500.000 Jahre) als die Verbreitung von Homo sapiens.9 Die archäologischen Knochenfunde aus dieser Periode stammen aus Höhlen in Frankreich, Russland, England und Nordchina, woraus sich schließen lässt, dass selbst diese sehr frühe Partnerschaft zwischen Wolf-und Menschenarten einige Zeit andauerte, denn die geografische Ausdehnung ist relativ groß.
Dies wird von unserem Wissen über den Pekingmenschen (Homo erectus-Vertreter aus dem nördlichen China) gestützt, der nach den neuesten Erkenntnissen vor 770.000 Jahren lebte und mit den Wölfen der damaligen Zeit verbunden war.10 Die ersten Kontaktversuche mit den Wölfen der Vergangenheit fanden vermutlich schon statt, als die ersten Arten des Menschengeschlechts die Bäume des Urwaldes verließen, um in den offenen Steppen aufrecht zu leben und zu gehen.11 Wie es auch jetzt der Fall ist, herrschten Raubtiere in der Savanne der Vergangenheit, und die frühsten Menschenarten der damaligen Zeit waren wahrscheinlich ein sicheres Beutetier, das allerdings auch das Potenzial hatte, selbst zum Raubtier zu werden.
Obwohl wir wissen, dass sich der Hund zum Zeitpunkt des Entstehens des modernen Menschen genetisch vom Wolf unterschied, wird die Verwandtschaft zwischen Hund und Wolf immer noch erforscht, unter anderem, weil ein gewisses Mischmasch zwischen den genetischen versus den archäologischen Zeitangaben für das Entstehen des Hundes besteht. Aber es bleibt kein Zweifel, dass der Hund und der Wolf ein und derselben Art angehören.12 Obwohl der Hund anatomisch gesehen entscheidend kleiner ist als der Wolf (kleinere Statur, kleinere Zähne und sehr viel kleinere Kiefer), rangiert der Hund vor Schakalen sowie als auch vor Dingos, wenn es darum geht, wer genetisch betrachtet die nächsten Verwandten des Wolfs sind.13 Betrachtet man hingegen das Verhalten und die Psychologie des Tieres, ist der heutige Hund weiter entfernt vom Wolf als der Schakal und auch als der Dingo.14
Kein anderes Tier – ob zahm oder wild – hat je eine so große Rolle für Homo sapiens gespielt wie der Hund. Aus dem gleichen Grund ist es nicht überraschend, dass der Hund das erste domestizierte Tier unserer Entwicklungsgeschichte ist.15 Es kann allerdings niemand mit Sicherheit sagen, wann der erste ganz gezähmte Hund der Weltgeschichte ganz nahe beim Menschen lebte – es war von einem gleitenden Übergang von Wolf zum Hund die Rede. Fest steht jedoch, dass es sehr weit zurück liegt und mindestens 35.000 Jahre her ist, dass der erste eigentliche Hund, d.h. ein zahmer, Menschen angepasster und selbständiger Untertyp der Gattung Canidae, an Orten lebte, an denen auch der Mensch verkehrte.16
So hat man in einer Höhle in Sibirien, die Funde aus der paläolithischen Zeit enthält, einen etwa 33.000 Jahre alten Hundeschädel sowie Unterkieferknochen mit gut erhaltenen Zähnen von einem der frühsten domestizierten Hunden identifiziert. In derselben Höhle gab es Zeichen der Anwesenheit von Menschen in Form von Essenszubereitung, da einige Stücke Holzkohle und verbrannte Essensreste (Knochen) gefunden wurden.17 Andere haben mindestens genauso alte Knochenreste von europäischen Hunden gefunden, die zur gleichen Zeit gelebt haben. Auch in Belgien ist ein Schädel von einem Hund identifiziert worden, der schätzungsweise über 33.000 Jahre alt ist. Außerdem sind in Tschechien drei Hundeschädel gefunden worden, die ebenfalls auf diese paläolithische Zeit zurückgeführt werden.18
Archäologen nahmen auf Basis anderer Altertumsfunde an, dass die enge und hingebungsvolle kuscheltierähnliche Beziehung zwischen Mensch und Hund, wie wir sie heute kennen, mindestens 14.000 Jahre alt ist, wahrscheinlich aber noch viel weiter zurückgeht.19 Man fand nämlich in einem etwa 12.000 Jahre alten Grab in Israel das Skelett einer Person, die mit einem Arm um einen Welpen im Alter von schätzungsweise fünf Monaten begraben wurde.20 Dieser Grabfund veranschaulicht, dass der Mensch schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt eine liebevolle Beziehung zum Hund hatte und dass dieser schon damals als ein Haustier betrachtet wurde, nicht nur als Nutztier oder Nahrung.
Vor etwa 9.000 Jahren waren domestizierte Hunde wichtige Partner und Begleiter für die Menschen, die um diese Zeit herum begannen, das Land zu bestellen und damit ansässiger zu werden.21 Auch hat der Hund zu diesem Zeitpunkt vermutlich die Rolle des Bewachers und Hirten übernommen. Die historisch lange und enge Bindung zwischen Hund und Mensch hat das Überleben und die evolutionäre Entwicklung beider Arten beeinflusst und ihr genutzt. Im Rahmen dieses Austauschs ist eine Form von Kommunikation natürlich eine Voraussetzung gewesen.
Der Hund/der zahme Wolf besitzt einen sehr empfindlichen Detektions- und Wahrnehmungssinn, der zu seiner entscheidenden Bedeutung für das Alltagsleben von Menschen beigetragen hat – er bewacht, beschützt und alarmiert bei Ankunft ungebetener Gäste.22 In dieser Funktion gibt es einen spürbaren Unterschied zwischen dem Wolf und dem Hund, da sich vor allem der Hund des Bellens bedient.23 Bei der Zucht von Hunden, die sich für eine vorgegebene Funktion am besten eignen, z.B. bellendes Wach- und Alarmsystem, hat man besonders fähige Wachhunde züchten können.
Der Hund benutzt außerdem verschiedene Formen des Bellens, was ihm ermöglicht, uns verschiedene Botschaften zu vermitteln. Durch sein Bellen kann er bekunden, ob von einer Warnung, von Neugier, Schmerz, Furcht, Aggression, Isolation, von der Lokalisierung eines Ziels, einer Aufforderung zum Spielen oder zu physischer Aktivität die Rede ist.24 Obwohl nicht jeder Hundebesitzer immer diese Botschaften im Gebell seines eigenen Hundes unterscheiden kann, können die meistens ohne weiteres verschiedene Ausdrucksweisen ihres Hundes erkennen.
Neben dem Bellen eignet sich der Hund auch eine Reihe von informativen Geräuschen an, um an und mit uns Menschen zu kommunizieren, z.B. Heulen, Knurren, Kreischen, Wimmern, Winseln, Brummeln, Rumoren, Seufzen, Stöhnen usw. Ähnlich können wir mit einfachen verbalen Ausdrucksweisen signalisieren, ob das Verhalten des Hundes erwünscht oder unerwünscht ist. Generell sind hochfrequente Töne (freudiges Quietschen, Sprechen mit hoher Stimme) Ausdruck für Sympathie und Freude, während niederfrequente Töne (Brummen, Brüllen) Verbot und Warnung signalisieren.25 Mithilfe verschiedener Tonqualitäten, d.h. Tonlage, Tempo, Volumen und Frequenz ist es daher für Hund und Mensch möglich, über Töne zu kommunizieren.
Noch besser reagiert der Hund jedoch auf nonverbale Signale, die ein viel wichtigeres Werkzeug sind als die verbalen – nicht zuletzt wenn der Hund unser Verhalten, unseren mentalen Zustand oder unsere Intentionen entschlüsselt.26 Der Hund besitzt eine unübertroffene Fähigkeit, eine große Menge von Signalen zu registrieren und aufzufangen, die wir senden, ohne uns dessen notwendigerweise bewusst zu sein. Die visuelle Wahrnehmung des Hundes umfasst u. a. unsere Körpersprache, unsere Mimik, unseren Muskeltonus/unsere Muskelanspannung, unsere Atemfrequenz, unser Energieniveau, unsere Motorik, den Fokus unserer Aufmerksamkeit sowie unsere Gestik und unseren Ausdruck, woran er unseren emotionalen Zustand und unser Verhalten abliest und registriert.27
Das Sehvermögen des Hundes ist viel besser, als ihm nachgesagt wird. Das liegt unter anderem an der Anatomie des Hundeauges, das sehr viele lichtempfindliche Zellen (Stabzellen) auf der Netzhaut besitzt. Dies verschafft ihm einen Vorsprung bei der Wahrnehmung von Licht, Bewegung und Richtung.28 Außerdem besitzt es das sogenannte Tapetum lucidum, eine spezielle Zellschicht im Auge, die das gesamte ein- fallende Licht an die Netzhaut reflektiert und die Nachtsicht verstärkt. Das Tapetum lucidum ist der Grund, warum die Augen des Hundes im Dunkeln leuchten, wenn er auf helles Licht von Autos, Blitzlicht u. ä. trifft. Die vielen Stabzellen und das Tapetum lucidum bewirken, dass der Hund im Dunkeln und auf Distanz Bewegungen, selbst ein kleines, subtiles und entferntes Rucken, Muskelzuckungen oder den Schimmer von anderen Individuen, viel besser sehen kann als wir.29 Dafür ist die Sehschärfe aus der Nähe weniger gut als die des Menschen. Das ist auch logisch, da sich der Hund aus der Nähe anderer Sinne bedient.
Der Hund registriert so eine ganze Reihe an Informationen und Signalen anhand unserer Körpersprache, unserer Bewegungen, Anspannung oder Entspanntheit selbst dann, wenn wir anscheinend gar nichts unternehmen.30
Wenn ein Hund Sie kennengelernt hat, kann er anhand Ihrer Körpersprache frühzeitig voraussehen, wann Sie vom Computer aufstehen und mit ihm gehen werden. Er nutzt seine Erfahrung mit Ihrem Bewegungsmuster, Ihrer Körpersprache und Ihrem Muskeltonus und hat deshalb in der Gegenwart eine klare Erwartung an die Möglichkeiten der Zukunft, auch wenn Sie selbst glauben, dass Sie gar nichts ausdrücken.31
Der Hund ist das einzige Tier, das reflektorisch, das heißt ohne vorhergehendes Anlernen, auf die Bewegung der Menschen reagiert und aufmerksam uns und andere Individuen beobachtet, die unsere Aufmerksamkeit und unseren Augenkontakt haben.32 Wenn wir zum Beispiel mit ausgestrecktem Arm auf einen Gegenstand in der Umgebung zeigen, folgt der Blick des Hundes automatisch unserem Finger. Er kann auch anhand von Handzeichen oder Gesten eine Botschaft über z.B. die Platzierung eines Leckerbissens verstehen, den er anschließend aufspürt.33 Die Studien zeigen auch, dass unser engster Verwandter, der Schimpanse, nicht so eng mit dem Menschen verbunden ist wie der Hund.
Der Hund versteht also die Bedeutung unserer Gesten, wie z.B. wann und wo er Gegenstände, auf die wir deuten, finden und holen soll. Er versteht und registriert aber noch mehr als nur das konkrete Handzeichen. Eine neue Studie hat gezeigt, dass die Gedankentätigkeit und die Auffassungsfähigkeit kontextabhängig sind. So fängt der Hund ein visuelles Signal wie z.B. das Zeigen auf etwas oder ein Handzeichen mit Ausgangspunkt in dem Zusammenhang auf, in dem es vorkommt.34 Außerdem erkennt er die verschiedenen Gesichter des Menschen, die er mit seiner Fähigkeit der Stimmwiedererkennung paart, wenn er unsere Informationen deutet.35 Das bedeutet, dass selbst dann, wenn wir glauben, dass wir unserem Hund nur einen einfachen visuellen Befehl gegeben haben (z.B. auf den Hundekorb zeigen, damit er sich hineinlegt), dieser gleichzeitig unseren Muskeltonus, unseren Gesichtsausdruck und den Ausdruck unserer Augen erfasst und verwertet – und das alles, während er unsere Armbewegung sieht und sie an die Bedeutung: „Geh in deinen Korb!“ koppelt.36 Das Gehirn des Hundes integriert und verarbeitet somit eine Reihe gleichzeitiger, kontextueller Informationen, woraufhin er von seinem Ausgangspunkt in diesem Zusammenhang und den Umständen entsprechend reagiert.
Das erklärt auch, warum der Hund nicht immer das tut, was wir erwarten oder wir glauben, ihm abverlangt zu haben. Der Hund wird – meistens ohne unser Wissen – neben dem konkreten Befehl, den wir gegeben haben, eine Menge Signale von uns registriert haben. Falls wir geistig abwesend, emotional instabil oder nur weniger engagiert oder aufrichtig gegenüber dem Hund erscheinen, ist die Chance, dass er gehorcht, viel geringer als dann, wenn wir die Botschaft ganzherzig, anwesend und überzeugend kommunizieren. Die neueste Forschung zeigt mit anderen Worten, dass die Auffassung, die Informationsbehandlung und die Gedankentätigkeit (Kognition) des Hundes weiter entwickelt sind, als es im Zusammenhang mit der Konditionierung (wie ein bedingter Reflex) erklärt wurde. Dies sollte vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass das Gehirn des Hundes und des Menschen in Bezug auf Gewebestruktur, Biochemie, Kognition sowie das neurale Aktivitätsmuster viele gemeinsame Züge haben.37 Vergleichende Studien haben ein interessantes Detail hinzugefügt, nämlich, dass das Gehirn des Hundes in einer Weise funktioniert und arbeitet, die in mancherlei Hinsicht vieles mit dem des Menschen gemeinsam hat.38
Ein anderes Beispiel für die soziale Gedankentätigkeit und Gegenseitigkeit des Hundes ist, dass er unser Verhalten in Verbindung mit spezifischen Bewegungen, Körperhaltungen oder Gesten, die er beobachtet, durch Nachahmung wiederspiegelt.39 Ein Beispiel der menschlichen Spiegelung und Imitation voneinander ist das Gähnen. Wenn in einem sozialen Kreis einer zu gähnen beginnt, haben die Meisten die Erfahrung gemacht, dass es ansteckend ist, einem Gähnenden zuzuschauen. Das Gähnphänomen ist jedoch nicht nur Menschen vorbehalten, denn auch Hunde werden von unserem Gähnen angesteckt und imitieren es. Sie reagieren allerdings nicht auf eine konstruierte und unechte Form des Gähnens, bei der man den Mund öffnet und bewegt, ohne richtig zu gähnen.40 Dass ansteckendes Gähnen ein Ausdruck für Empathie ist, wird von unserem Wissen über Autismus bestätigt – einer Entwicklungsstörung, die unter anderem durch die Abwesenheit von Empathie und soziale Gegenseitigkeit gekennzeichnet ist. Wenn Menschen mit Autismus andere Personen gähnen sehen, lassen sie sich nicht so wie Menschen ohne Autismus anstecken, da Personen mit Autismus generell nicht die Fähigkeit besitzen, sich in die Gedanken und Gefühle anderer hinein zu versetzen.41
Mehrere Wissenschaftler haben dieses Phänomen beim Hund als Teil seines auf Gegenseitigkeit ausgelegten Wesens und seiner Fähigkeit zu sozialem Zusammenspiel beschrieben: Der emotionale oder physiologische Zustand einer Person hat damit auch Einfluss auf den emotionalen oder physiologischen Zustand des Hundes.42 Das bedeutet zum Beispiel, dass ein gestresster oder unausgeglichener Besitzer oft einen gestressten oder unausgeglichenen Hund hat.
Dies wird von einer Forschergruppe an der University of Lincoln in England bestätigt, die nachgewiesen hat, dass der Hund auch unseren Gesichtsausdruck viel exakter ablesen kann, als man bisher glaubte.43 So kann der Hund unseren emotionalen Zustand anhand unserer Gesichtsmimik entschlüsseln. Er belässt es nicht dabei, seine Artgenossen (andere Hunde) auf diese Art zu entschlüsseln, er kann seine Einschätzung vom Gemütszustand anderer anhand von Körpersprache, Mimik und Benehmen auch auf Menschen übertragen.
Die Fähigkeit des Hundes, ein soziales und gegenseitiges Zusammenspiel mit den Menschen einzugehen, wird dadurch unterstützt, dass sowohl Hunde als Menschen eine Gehirnfunktion besitzen, die als Theory of Mind bezeichnet wird und die emphatische Fähigkeiten umfasst, d.h. eine spontane Fähigkeit, zu erahnen oder vorherzusehen, was andere Individuen in spezifischen Situationen denken, fühlen und beabsichtigen.44 Mit anderen Worten ermöglicht die Theory of Mind einem Individuum, im Voraus zu wissen, wie ein anderes Individuum fühlt, denkt und konkret reagieren wird, wenn es in eine spezifische Situation gelangt. Auf diesem Gebiet besitzt der Hund die gleichen Fähigkeiten und Gedankenmuster wie wir Menschen. Diese Fähigkeit nutzen unsere Hunde jeden Tag, wenn sie zum Beispiel überlegen, wem sie uns am ehesten einen Leckerbissen entlocken können. Die Theory of Mind des Hundes gibt ihm auch ein Klares Bewusstsein darüber, wann er am besten mit nicht erlaubten Handlungen durchkommen kann, wie z.B. einen Happen Essen vom Mittagstisch zu stehlen, wenn niemand zuschaut.45
Vereinfacht ausgedrückt ist es ein besonderes Merkmal des Hundes, dass er einen eminenten Sinn dafür hat, uns Menschen zu entschlüsseln und mit uns auf einer Wellenlänge zu sein.46
Die Arbeiten der beiden ungarischen Forscher Ádám Miklósi und József Topál, die weltweit zu den führenden Wissenschaftlern im Bereich evolutionsbiologischer und ethologischer Studien von Hunden einschließlich deren Relationen und der Kommunikation mit Menschen gehören, haben zudem gezeigt, dass Hunde erwachsene Menschen genauso verstehen wie Kinder, d.h. dass das Gehirn des Hundes Informationen verarbeitet und generiert, ähnlich, wie es im Gehirn eines Kindes vonstatten geht.47 Die Forschungen dieser Gruppe zeigen, dass der Hund noch mehr sozialkognitive gemeinsame Züge mit uns Menschen hat, als bisher angenommen. Dies wird dadurch bestätigt, dass die Forschungsgruppe um Ádám Miklósi im Jahr 2014 nachgewiesen hat, wie wir gegenseitig unseren gefühlsmäßigen Zustand und unsere Absichten in gleicher Weise entschlüsseln, egal ob von einem anderen Menschen oder von einem Hund die Rede ist. Außerdem ist es bemerkenswert, dass der Hund selbst sehr komplexe visuelle Kommunikationszeichen auffasst, auch wenn diese gleichzeitig von zwei verschiedenen Menschen abgegeben werden.
Der Hund kann darüber hinaus durchschauen, wann Befehle an eine spezifische und grundlegende Meinung oder Absicht des Absenders geknüpft sind. Er ist auch in der Lage, spezifische Kommunikationssignale an sein Herrchen weiterzugeben. Hierbei entsteht ein Dialog, bei dem nicht immer nur der Mensch seine Meinung oder seine Wünsche äußert.48 Dies bedeutet, dass die Gedankentätigkeit und die Hirnbiologie des Hundes viel fortschrittlicher sind, als man bisher geglaubt hat.
Bevor die Forschungsergebnisse der letzten Jahre veröffentlicht wurden, hat es zweifelsohne eine Tendenz gegeben, die Kommunikationsfähigkeiten, die Perzeption, die Aufmerksamkeit und die Gedankentätigkeit des Hundes zu unterschätzen. Eine amerikanische Forschergruppe unter der Leitung von Professor Gregory Berns hat vor kurzem eine Idee bekommen, nachdem Berns erfuhr, dass ein Hund dem speziell trainierten Team angehörte, das Osama bin Laden tötete. Der Professor dachte, wenn man Hunden antrainieren könne, aus einem Helikopter zu springen, könnte man ihnen auch beibringen, still zu sitzen, während ihr waches und denkendes Gehirn MRT-gescannt wird. Bisher waren nur narkotisierte Hunde gescannt worden, weshalb Gregory Berns mit seinem Versuch der Erste war, der live Hirnscannungen von wachen Hunden vornahm, die währenddessen wahrnehmen, denken und auf verschiedene Kommunikationszeichen reagieren konnten.49 Die Ergebnisse zeigen, dass die Gehirnaktivität des Hundes in Verbindung mit Kommunikation, die eine Belohnung verspricht, mit der Gehirnaktivität eines Menschen vergleichbar ist. Diese Studie ist revolutionär, weil sie ganz neue zukünftige Möglichkeiten für die Enthüllung darüber gibt, wie genau und nicht zuletzt was unser Hund über uns denkt und versucht, uns mitzuteilen.
Es ist daher wahrscheinlich, dass wir in naher Zukunft in der Lage sein werden, einen Einblick in die Seele des Hundes zu bekommen und damit einen höheren Grad von wissensbasiertem Dialog mit unserem besten Freund zu erreichen, sodass wir uns nicht mehr mit Mutmaßungen und Spekulationen zu diesem Thema begnügen müssen. Der Hund ist sich darüber bewusst, wo unser Fokus und unsere Aufmerksamkeit liegen – in der Tat so bewusst, dass sein Verhalten in verschiedenen Situationen dadurch geprägt ist.50 Als Beispiel aus einer Reihe von Experimenten haben Forscher die Reaktion des Hundes daraufhin untersucht, dass sein Herrchen ihm verbietet, etwas frei Herumliegendes zu fressen. So lange die Aufmerksamkeit des Herrchens auf den Hund oder das Essen gerichtet ist, gehorcht der Hund und lässt davon ab, das Futter zu fressen. Aber genau in dem Moment, wo das Herrchen entweder die Augen schließt, den Rücken kehrt oder seine Aufmerksamkeit ausblendet, schnappt der Hund trotz des Verbotes ganz schnell das Futter.51 Das Beispiel ist für routinierte Hundebesitzer kaum überraschend, aber es illustriert die soziale Kognition des Hundes und sein Bewusstsein davon, was das Herrchen denkt und für sich wünscht. Besonders interessant dabei ist, dass der Hund anscheinend merkt, wann sein Herrchen mental abwesend ist und es versteht, die Situationen für sich zu nutzen.
Im Jahr 2013 wurde die Entdeckung der Tatsache bekannt gegeben, dass Hunde das Magnetfeld der Erde registrieren und identifizieren können, und zwar im Rahmen eines deutsch-tschechischen Forschungsprojektes unter Leitung von Hynek Burda an der Universität Duisburg-Essen und von Vlastimil Hart von der tschechischen Universität in Prag zu der Frage, inwieweit Hunde von außen kommende subtile Signale auffassen können.52 Die Forscher beobachteten über einen Zeitraum von zwei Jahren insgesamt 70 Hunde, die 37 verschiedenen Rassen angehörten. Darunter waren Jagdhunde (vornehmlich vom Spaniel-Typ, aber auch Beagle, Pointer, Retriever und Weimaraner) sowie Terrier (Fox, West Highland White, Jack Russell, Yorkshire und andere) nebst Dackeln und Hirtenhunden. Nach 7475 Beobachtungen war klar, dass Hunde einen geomatischen, also raumbezogenen, Supersinn haben, von dem bis Dezember 2013 niemand gewusst hatte.
Dieses Ergebnis revolutioniert unsere Auffassung von den sensorischen Fähigkeiten des Hundes und erklärt möglicherweise, wie er physische Zustände und Wahrnehmungsinputs aufzufassen vermag, deren Existenz vielen Menschen kaum bekannt war. Der Hund kann zweifelsohne seine geomatische Sensitivität für mehrere Dinge nutzen, wobei die Navigation und globale Raum-Richtung-Orientierung am meisten einleuchten. Die Konsequenzen dieser Entdeckung reichen aber durchaus weiter als bis zur GPS-Perspektive.
Insgesamt zeigt die Wissenschaft, dass der Hund Signale empfangen, auffassen, weiterbringen und in einer Art und Weise kommunizieren kann, die man früher (irrtümlich) nur Menschen zutraute – beziehungsweise man wusste schlicht nichts von dieser Art der Kommunikation.
Der anthropozentrische Standpunkt ist vermutlich immer noch die vorherrschende Sichtweise bei Nicht-Hundebesitzern, wohingegen eingefleischte Hundeliebhaber längst von den Fähigkeiten geahnt haben, die erst jetzt von der Wissenschaft dokumentiert werden können.
Kommunikationsfähigkeiten beim Hund sind ein Ergebnis der Entwicklungsprozesse, die sich während unserer gemeinsamen und sehr langen Evolutionsgeschichte ergeben haben und die sowohl für den Menschen als auch für den Hund in einem voneinander abhängigen Zusammenspiel erfolgt sind. Vielleicht ist es gerade die Beständigkeit des Verhältnisses, aus der sich der Detailreichtum und der große nonverbalen Wortschatz entwickelt haben, die täglich vorkommen, wenn unser Hund mit uns kommuniziert oder interagiert.
Der beeindruckendste Sinn des Hundes ist unbestreitbar sein phänomenaler Geruchssinn(Olfaktion), der sowohl qualitativ als quantitativ dermaßen einzigartig ist, dass selbst die modernsten wissenschaftlichen Messgeräte ihm nicht entsprechen.53 Der Hund hat ca. 200 Millionen Geruchsrezeptoren in der Nase. Jagdhunde haben 300 Millionen Geruchsrezeptoren, was mit ca. 6 Millionen bei dem Menschen zu vergleichen ist. Der Geruchssinn ist zweifelsohne die allerwichtigste Informationsquelle des Hundes.
Mit jedem Atemzug sammelt der Hund Geruchsinformationen, die an das Gehirn weitergeleitet werden, wo sie verarbeitet werden. Hunde sind in der Lage, Unmengen von olfaktorischen Informationen wiederzuerkennen und zu unterscheiden, je nach Molekülgröße, Flüchtigkeit, Vorkommen und Zusammensetzung des Geruchs. Weil die Nasenlöcher des Hundes teilweise beweglich sind, können sie die Richtung eines Geruchs oder einer Spur besser bestimmen. Über Schleim (Mucus), der die Schnauze feucht hält, kann der Hund Geruchsmoleküle und Pheromone auffangen und die speziellen duftfreien Geruchssignale konzentrieren, die wie die Visitenkarte eines Individuums wirken. Pheromone tragen zur Bestimmung bei, ob die „Chemie“ zwischen Individuen gut oder schlecht ist; sie entscheiden, zu wem wir uns hingezogen fühlen bzw. wer uns eher abstößt. Der Hund fängt Pheromone in einer Struktur auf, die als Vomeronasalorgan bezeichnet wird und mit deren Hilfe der Hund die verschiedenen emotionalen Zustände anderer Individuen identifiziert.54 Aber der Hund begnügt sich nicht mit Riechen: Er schnüffelt auch, besonders an dem, was von besonderem Interesse ist. Das Erschnüffelte kann in nasalen Kammern gespeichert werden, sodass der Hund ein „Riecharchiv“ hat, in dem er Informationen für den Rest seines Lebens gespeichert hält. Der Hund kann mit diesen olfaktorischen Eigenschaften selbst unendlich geringe Mengen eines gegebenen Dufts identifizieren. Beispielsweise riecht er den Unterschied der Körperbereiche desselben Individuums, indem er z.B. zwischen Achselhöhle, Handfläche und Fußsohle einer Person unterscheiden kann.55
Hunde können spezifische chemische Komponenten unseres Körpers wie z.B. Buttersäure im Schweiß, Geschlechtshormone oder Adrenalin im Blut und auch andere Moleküle in verschiedenen Körperflüssigkeiten oder im Gewebe identifizieren.56 Deshalb kann Ihr Hund auch Ihren psychologischen und physiologischen Zustand erriechen, sprich ob Sie Angst haben, ob Sie ruhig oder müde sind, ob Sie Schmerzen haben usw.57 Aktuell ist das imposanteste Beispiel für den Geruchssinn des Hundes, dass er Krebs bei Menschen entdecken kann, genau wie er Epilepsieanfälle und Änderungen der Blutzuckerwerte bei Diabetikern vorhersehen kann. Dies wird in den folgenden Kapiteln noch näher beschrieben.58
Der Hund registriert nicht nur, er teilt in seiner eigenen Weise auch sein neues Wissen mit uns, denn die Physiologie und das Verhalten des Hundes werden von den Informationen, die er erhalten hat, beeinflusst.59 Dies bedeutet, dass wir jeden Tag eine Menge Informationen erhalten können, vorausgesetzt, wir schenken dem Hund unsere Aufmerksamkeit. Diese Fähigkeit wird schon systematisch ausgenutzt, wenn z.B. Polizei und Zoll mithilfe der Signale des Hundes Drogen entdecken. Bisher wird diese Fähigkeit jedoch nur sporadisch in der Diagnostik genutzt – trotz der Tatsache, dass viele Hundebesitzer es der Verhaltensänderung ihrer Hunde verdanken, dass ernsthafte Krebserkrankungen diagnostiziert wurden. Näheres zu diesem Thema lesen Sie in Kapitel 6.
Hunde sind unglaublich genau im Erschnüffeln von Krebs über die Atemluft. In 98% der Fälle hat der Hund Recht, wenn er angibt, dass die Atemluft einer Person nach Krebs riecht. Ärzte und Forscher wissen immer noch nicht, was genau der Hund am Tumor riechen kann. Mehrere Ärzte haben von Krebsfällen berichtet, die allein durch die anhaltende Reaktion des Hundes entdeckt wurden und die Patienten dazu brachten, einen Arzt aufzusuchen.
Mit anderen Worten hat der Hund sein Verhalten und sein Ausdrucksmuster dem Zusammenleben mit dem Menschen angepasst, der dadurch mit ihm kommunizieren und, wie in den nächsten Kapiteln beschrieben, eine Reihe gesundheitlicher Vorteile erzielen kann.60
Von der Eiszeit bis zur Gegenwart hat uns der zahme Wolf/der Hund mithilfe seines außergewöhnlichen Sinnesapparates beschützt und alarmiert, wenn Gefahr lauerte und uns dabei geholfen, Beutetiere ausfindig zu machen und sie zu jagen. Das erhöhte unsere Chancen auf Fleisch wesentlich im Vergleich dazu, wenn wir alleine auf Jagd gingen.61 Es war deshalb offensichtlich ein Vorteil für den Vorzeitmenschen, eine Partnerschaft mit Wölfen einzugehen. Dabei ist allerdings nicht von einem ungleichen Verhältnis mit dem Menschen als überlegenem Herrn die Rede, sondern das Verhältnis war von gegenseitigem Nutzen: Auch der Wolf hatte seine Vorteile dadurch, dass er uns begleitete. Unter anderem bekam er Reste zubereiteten Essens von der Feuerstelle der Menschen und häufigere oder gar tägliche Mahlzeiten.62
Wenn Nahrungsmittel zubereitet werden (gekocht oder über Feuer erwärmt) hat das zur Folge, dass der Organismus größere Mengen zu sich nehmen kann als bei nicht zubereiteter Nahrung. Die Zubereitung der Nahrung führt also zu einem besseren Nahrungszustand, viel mehr Energie und letztendlich deutlich besseren Überlebenschancen und Fortpflanzungsmöglichkeiten. Die Zubereitung des Essens war deshalb ein revolutionierender Gewinn für die damaligen Wölfe, die sich mit den Menschen abfanden und einen gegenseitigen Austausch von Annehmlichkeiten eingingen.