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Über dieses Buch:

Das Frankenreich im Jahre 492. Der junge König Chlodwig heiratet die  Burgunderin Chlotilde, um seine Erbfolge zu sichern. Die Königin jedoch hat noch ein anderes Ziel: Sie will ihren Mann zum christlichen Glauben bekehren. Als sie Chlodwig den sehnlich erwarteten Sohn schenkt, scheint dies in greifbare Nähe zu rücken. Doch dann trifft ein schwerer Schicksalsschlag den Merowinger. Hat Chlodwig den Zorn der alten germanischen Götter heraufbeschworen, die bedingungslose Treue von ihm verlangen?

Die fesselnde Familiensaga über eine der mächtigsten Familien des frühen Mittelalters, die mit Blut und Schwert Geschichte schrieb: die Merowinger.

Über den Autor:

Robert Gordian, geboren 1938 in Oebisfelde, studierte Journalistik und Geschichte und arbeitete als Fernsehredakteur, Theaterdramaturg, Hörspiel- und TV-Autor, vorwiegend mit historischen Themen. Seit den neunziger Jahren verfasst er historische Romane und Erzählungen. Robert Gordian lebt in Eichwalde, einem Vorort Berlins.

Robert Gordian veröffentlichte bei dotbooks bereits zwei historische Romanserien:

ODO UND LUPUS, KOMMISSARE KARLS DES GROSSEN

Erster Roman: Demetrias Rache

Zweiter Roman: Saxnot stirbt nie

Dritter Roman: Pater Diabolus

Vierter Roman: Die Witwe

Fünfter Roman: Pilger und Mörder

Sechster Roman: Tödliche Brautnacht

DIE MEROWINGER

Erster Roman: Letzte Säule des Imperiums

Zweiter Roman: Schwerter der Barbaren

Dritter Roman: Familiengruft

Vierter Roman: Zorn der Götter

Fünfter Roman: Chlodwigs Vermächtnis

Sechster Roman: Tödliches Erbe

Siebter Roman: Dritte Flucht

Achter Roman: Mörderpaar

Neunter Roman: Zwei Todfeindinnen

Zehnter Roman: Die Liebenden von Rouen

Elfter Roman: Der Heimatlose

Zwölfter Roman: Rebellion der Nonnen

Dreizehnter Roman: Die Treulosen

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Überarbeitete Neuausgabe Februar 2014

Die komplett überarbeiteten und erweiterten Neuausgaben der Merowinger-Romane von Robert Gordian, die bei dotbooks erscheinen, beruhen auf einer Tetralogie, die zwischen 1998 und 2006 in verschiedenen Verlagen veröffentlicht wurde. Teile des vorliegenden vierten Romans der Serie erschienen erstmals 2005 in Der Wolfskönig, veröffentlicht im Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin.

Copyright © der Originalausgabe 2005 Aufbau Taschenbuch Verlag GmbH, Berlin

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München

ISBN 978-3-95520-529-4

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Robert Gordian

DIE MEROWINGER

Zorn der Götter

Vierter Roman

dotbooks.

Was bisher geschah

Syagrius, der letzte römische Statthalter in Gallien, verliert 486 die Schlacht bei Soissons und muss sich nach und nach aus allen Teilen seiner Provinz zurückziehen. Die unter ihrem jungen, ehrgeizigen und energischen König Chlodwig unaufhaltsam vordringenden Franken (ein germanischer Stammesverbund) treiben ihn in den nächsten fünf Jahren bis zur Loire, hinter der das Reich der Westgoten beginnt.

Gotenkönig Alarich gewährt dem früheren Widersacher Asyl, doch Chlodwig verlangt seine Auslieferung. Erst mit der Vernichtung seines Feindes will sich der Merowinger als dessen Nachfolger und Herrscher über das ehemals römische Gebiet legitimiert sehen.

Alarich, ein schwacher Regent, der den angedrohten militärischen Konflikt mit Chlodwig scheut, beugt sich dem Druck. Vergebens hat ihm der ehemalige Statthalter seine Geliebte, die Griechin Scylla, als Agentin in eigener Sache überlassen. Sie spielt jetzt das Spiel der Goten und drängt Syagrius, sich endlich den Franken zu ergeben und, wenn nötig, als Held und »letzter Römer« zu sterben. Nachdem der Patricius dies verweigert hat, liefert ihn Alarich aus, und der Frankenkönig lässt ihn unverzüglich hinrichten.

Als Merowinger mit mythischen Ahnen glaubt Chlodwig, sein »Heil« – sein Herrscherglück – den germanischen Göttern zu verdanken, die er verehrt und denen er opfert. Trotzdem suchen zwei Erzbischöfe, Remigius von Reims und Avitus von Vienne, nach Möglichkeiten seiner Bekehrung, die nach dem Brauch der Zeit das ganze Frankenvolk dem Christentum zuführen würde. Man hat es eilig, damit nicht der unter den Germanen verbreitete Arianismus (die Lehre des »Ketzers« Arius von der Ungleichheit Gottvaters und Gottsohnes) die Franken vereinnahmt.

Doch wer kann es wagen, den Götterglauben dieses mächtigen Fürsten zu erschüttern? Eine Frau!, vermuten und hoffen die Erzbischöfe und haben schon eine in Bereitschaft. Chlodwig, der nach langen Ehejahren nur einen einzigen Sohn hat und um seine Nachfolge bangt, ist schließlich bereit, seine Frau zu verstoßen und die jüngere zu heiraten. Die erzkatholische Burgunderin Chlotilde soll nicht nur sein Bett teilen, um ihm Söhne zu gebären, sondern ihn auch missionieren. Als sie mit einem Riesentross von Klerikern und Mönchen in Soissons, Chlodwigs Hauptstadt, erscheint, kommt es schon vor der Hochzeit zum ersten Eklat.

Zu Chlotildes entschiedener Gegenspielerin wird Chlodwigs jüngste Schwester Lanthild. Nach unbekümmerten Liebesspielen zu dritt ist sie schwanger geworden und muss den Vater ihres Kindes, Chlodwigs Gefolgsmann Ansoald, heiraten. Der erhält nun als neues Mitglied des Merowinger-Clans einen hohen Rang: den des Comes von Soissons. Da ihm die Fähigkeiten zu diesem Amt fehlen, Lanthild solche aber besitzt, wird sie bald zur eigentlichen Stadtherrin und damit zur ersten Frau im Reich. Diese Stellung will sie sich von der Braut des Bruders, die nicht weniger Lust zu herrschen hat, nicht streitig machen lassen.

Chlodwig setzt in dieser Zeit alles daran, seine Macht im Innern zu festigen. Da jeder männliche Merowinger, ob von einer Königin oder Köchin geboren, das »Heil« hat und zum Herrschen berufen ist, wimmelt es in seinem Reich von gefährlichen Rivalen. Zwei von ihnen, den König von Cambrai und dessen Bruder, die ihn in der Schlacht bei Soissons im Stich ließen, erschlägt er eigenhändig. Auf alle anderen setzt er seinen Vertrauten, den skrupellosen Baddo, an, dessen Hass auf die Merowinger (Chlodwigs Vater ermordete seine Schwestern) der König auf diese Weise von sich abzulenken sucht.

Baddo liefert denn auch, was Chlodwig fordert: abgeschlagene Merowingerköpfe. Im Felsenkeller des Krongutes Berny stauen sie sich in einer Kiste. Als Lanthild sich wundert, warum niemand aus der großen Familie zu Chlodwigs Hochzeit kommt, führt der Bruder sie in den Keller und zeigt ihr die Kiste mit den Worten: »Das sind die Festgäste!«

Dramatis personae

Chlodwig, König der Franken

Chlotilde, seine Braut, dann seine Gemahlin

Audofleda, Schwester Chlodwigs, Ostgoten-Königin

Lanthild, Schwester Chlodwigs, Gemahlin Ansoalds

Albofleda, Schwester Chlodwigs

Theuderich, Chlodwigs Sohn

Baddo, früher Reitertribun, Vertrauter Chlodwigs

Bobo, Maior domus am fränkischen Hof

Ursio, Gefolgsmann und Vertrauter Chlodwigs

Chararich, König der Franken (Tongeren)

Chararichs Sohn

Ansoald, Comes von Soissons, dann von Rouen

Jullus Sabaudus, Comes von Le Mans

Albilas, Bischof, Gesandter Theoderichs

Remigius, Bischof von Reims

Rignomer, Vetter Chlodwigs

Chundo, Diakon

Philippus, burgundischer Hofarchitekt

Onophrio, Diener

Kapitel 1

Lanthild schlief schlecht in dieser Nacht, nachdem sie den Felsenkeller von Berny, die Gruft für die verhinderten Hochzeitsgäste, besucht hatte.

Doch in jener Zeit waren Gewalt und Tod so allgegenwärtig, dass selbst Greuel wie die Ausrottung ganzer Familien keine anhaltende Schockwirkung hervorbrachten. Menschenliebe und Mitgefühl für das Unglück des Nächsten gehörten nicht zu den hervorragenden Tugenden des frühmittelalterlichen Menschen. Es genügte der Schwester des Königs, dass ihr erklärt wurde, die Ermordeten seien samt und sonders im Begriff gewesen, sich der Herrschaft im Frankenreich zu bemächtigen, um die von Chlodwig befohlene, von Ursio vorbereitete und von Baddo verübte Untat schon weniger abscheulich zu finden. Denn es war auch nicht die Zeit der Fairness gegenüber Besiegten, der Kompromisse, der Abfindungen. Das Recht bestand noch nicht aus zehntausend mildernden Wenns und Abers. Wer stark war, hatte auch recht – wer Schwäche zeigte, war tot. Siegten die anderen, steckte der eigene Kopf auf der Lanzenspitze.

Am nächsten Morgen, bei Sonnenaufgang, war Lanthild schon wieder mit allen Sinnen bei den Angelegenheiten der Lebenden. Sie ließ ihre Dienstleute wecken und die Pferde aufzäumen und war unterwegs, noch bevor sich der König mit den Seinen zur Jagd auf die Auerochsen in Bewegung setzte. Immerhin war etwas erreicht: Jullus Sabaudus erhielt das Comitat von Paris. So war Hoffnung, dass Lanthild ihre Lieblingsschwester nicht auf Nimmerwiedersehen an einen irgendwo hinter den Bergen hausenden Gotenkönig verlieren würde.

Schon in der dritten Stunde traf sie Jullus auf dem Gut seines Bruders und berichtete ihm von seinem Glück. Er war außer sich vor Freude. Unverzüglich machte er sich an die Arbeit und verfertigte in gehobenem Latein und schönster kalligraphischer Ausführung seine Ernennungsurkunde. Und schon in den nächsten Tagen wollte er aufbrechen und sich nach dem Zwischenaufenthalt beim König in Berny an seinen Bestimmungsort begeben.

Lanthild kehrte nach Soissons zurück und erreichte die Stadt um die Mittagszeit.

Als sie den Palasthof betrat, fand sie dort lange Tische aufgestellt, zwischen denen allerlei Kurzweil getrieben wurde. Die Herren, die die Hochzeitsgesandtschaft der burgundischen Könige bildeten, saßen hier mit fränkischen Dienstleuten zusammen, tranken und sahen Waffenübungen zu, bei denen die Jüngeren beider Seiten miteinander wetteiferten. Viel Gelächter gab es, wenn die Burgunder sich mit der Franziska versuchten und die ins Auge gefassten Zielpunkte weit verfehlten. Dafür zeigten sie zum Erstaunen der Franken vollendete und gewagte Reiterkunststücke.

Die Stimmung an den Tischen war heiter, fast ausgelassen. Das große Wort führte Bobo, der als Stellvertreter des Königs auf dessen Platz in der Mitte saß, flankiert von den vornehmsten Gästen. Er war gemeinsam mit Ursio gerade aus Cambrai zurückgekehrt und spielte nun laut und gewichtig den Gastgeber. Als er Lanthild vom Pferd steigen sah, erhob er sich und schob ihr gemächlich seinen mit goldenen Zierwaffen und silbernem Gürtelschmuck dekorierten Bauch entgegen.

Kühl erwiderte sie seinen Gruß und gab kurz angebunden Auskunft, als er sich nach seinem »Freund und Gefolgsherrn« und dessen Befinden erkundigte. Sie wollte sich schon abwenden. Aber breit lächelnd stellte er ihr eine Frage, die sie wie ein Keulenschlag traf.

»Weißt du schon, Herrin, dass du nun bald nicht nur die Schwester eines Königs, sondern auch die einer Königin sein wirst?«

»Wie? Ich? Schwester einer … Was meinst du damit?«, stammelte sie.

»Der König der Ostgoten, Herr Theoderich, schickt uns aus seiner Hauptstadt Ravenna eine Gesandtschaft, die in den nächsten Tagen hier eintreffen wird. Sie soll unsere schöne Audofleda abholen.«

»Das ist nicht wahr!«, schrie Lanthild so laut, dass die lärmenden Zecher an den Tischen aufmerksam wurden.

»Oh doch!«, bekräftigte Bobo. »Die beiden Männer dort am Ende des Tisches, die wie bunte Vögel gekleidet sind … siehst du sie? Sie kommen aus Italien und bilden die Vorhut, um uns vorzubereiten. Die eigentliche Gesandtschaft unter Leitung eines Bischofs Albilas ist noch fünf Tagereisen zurück. Zu unserer Hochzeitsfeier wird sie aber rechtzeitig eintreffen. Wie glücklich wird mein Freund und Gefolgsherr sein, wenn er das erfährt! Wie wird er die Botschaft genießen! So hat er doppelten Grund zur Freude!«

Bobo spitzte die Lippen und erzeugte einige Schmatzlaute, als schmeckte er den Genuss im Voraus.

»Weiß meine Schwester es schon?«, fragte Lanthild.

»Gewiss. Ich selbst überbrachte ihr die glückliche Kunde. Vor Überraschung sank sie beinahe in Ohnmacht. Ihre Frauen mussten sich um sie kümmern.«

»Und habt ihr schon Nachricht nach Berny gesandt?«

»Noch nicht. Die Männer aus Italien sind ja gerade erst hier eingetroffen. Du siehst, mit welchem Appetit sie sich stärken. Ich hätte sie gleich nach Berny weitergeschickt, aber soviel ich weiß, ist mein Freund und Gefolgsherr zur Jagd aufgebrochen. Die Männer haben einen langen, beschwerlichen Weg hinter sich. So können sie erst einmal hier rasten und sich erholen.«

»Das ist vernünftig!«, sagte Lanthild rasch. »Chlodwig wird erst in ein paar Tagen zurück sein, frühestens übermorgen. So lange hat die Sache wohl Zeit.«

»Mag sein. Auf einen Tag mehr oder weniger kommt es jetzt nicht mehr an. Am Ende ist es nun doch noch ein König. Wie schön! Aber es wird gewiss der Einzige bleiben, denn ringsum sind alle anderen schon vermählt, auch die erwachsenen Söhne der Könige. Ja, so lässt euch nun eure geliebte Schwester zurück … in Kummer und Schmerz. Besonders wird Albofleda leiden, weil sie dann noch einsamer sein wird und kein Ehemann sie tröstet. Die Freude der einen ist das Leid der anderen!«

Bobo seufzte und wartete auf eine Antwort, die seine Hoffnung auf Albofleda vielleicht noch einmal beleben konnte. Doch Lanthild hatte jetzt anderes im Sinn. Sie ließ ihn stehen und rannte davon.

»Hochnäsige Ziege!«, brummte der dicke Majordomus. »Wer ist sie schon? Sie hat einen Misthaufen mit zwei Mansen geheiratet!«

Lanthild stürmte treppauf und fand Audofleda in dem Gemach, das mal ihr gemeinsames Liebesnest war. Die Ältere bewohnte es nunmehr allein. Sie saß im Hemd auf einem Hocker, die Augen verweint, die Haare zerzaust. Mägde standen um sie herum, eine mit einem beschmutzten Gewand über dem Arm, andere mit einer Schüssel und Wasserkannen. Vor Schreck und Aufregung hatte sich Audo, die einen schwachen Magen hatte, erbrechen müssen.

Lanthild schickte die Mägde hinaus und ging ihrer Schwester selber zur Hand.

»Jetzt ist alles verloren«, wimmerte Audo. »Jetzt werde ich in der Fremde, in diesem schrecklichen Italien, zugrunde gehen.«

»So weit ist es noch nicht«, sagte Lanthild. »Du hast eine schlechte Nachricht erhalten – ich komme mit einer guten. Chlodwig hat Jullus zum Comes ernannt. Schon in den nächsten Tagen soll er sich nach Paris begeben und seinen Posten dort antreten.«

»So werde ich auch meinen süßen Jullus nie wiedersehen!«, rief Audo verzweifelt.

»Reiß dich zusammen!«, fuhr Lanthild sie an. »Soll man dich hören? Wenn du willst, siehst du ihn sogar heute noch wieder. Noch heute Abend! Wir müssen uns dringend mit ihm beraten. Bevor er sich aufmacht, müssen wir drei gemeinsam einen Entschluss fassen.«

»Was können wir denn jetzt noch tun?«

»Darüber denke ich gerade nach.«

»Ach, es ist sinnlos! Für Jullus und mich gibt es keine Zukunft mehr. Sollen wir uns Chlodwig zu Füßen werfen, ihm sagen, dass wir uns lieben und ihn anflehen …«

»Nein. Das würde ihn kaum rühren.«

»Auf keinen Fall wird er die Gesandtschaft zurückweisen. Auch wenn er immer auf die Ostgoten schimpfte, hat er doch sehnsüchtig darauf gewartet, dass sie mich holten. Jetzt sind sie da …«

»Ja, sie sind da. Doch er weiß es noch nicht.«

»Er wird es erfahren …«

»Nicht vor drei Tagen! So lange haben wir Zeit. Wenn wir nun schneller wären als die Gesandtschaft …«

Lanthild legte nun dar, wie man den Goten zuvorkommen könnte. Noch war der Plan nicht ausgereift, doch je lebhafter die Vierundzwanzigjährige redete, desto mehr Kontur gewann er.

Audo wagte zunächst kaum zu hoffen, dass es noch einen Ausweg aus ihrer Lage geben könnte. Doch hatte sie keine andere Wahl, als auf all das zu vertrauen, was jetzt noch helfen konnte: Glück und Heil, das Wohlwollen der Götter, einen milde gestimmten königlichen Bruder, einen tapferen Geliebten.

Der heiße Wunsch, das Schicksal doch noch zu wenden, besiegte schließlich ihre Verzagtheit. Nun konnte ihr alles nicht schnell genug gehen. Auch sie legte Männerkleider an, stopfte ihr langes, blondes Haar unter eine Kappe, hängte zum Zeichen ihrer Kampfbereitschaft sogar ein Schwert an den Gürtel und stieg zu Pferde. Und da sie eine vortreffliche Reiterin war, legte sie immer wieder einen Galopp vor, so dass die Schwester und ihre Begleitung kaum folgen konnten. Noch ehe die letzte Stunde des Tages anbrach (das hieß damals: die letzte Stunde bei Tageslicht), war das Gut der Sabauder erreicht. Den Schein zu wahren, hielt Audo hier nicht mehr für nötig. Vor den Augen seiner Verwandten und der Leute vom Gut stürzte sie dem verblüfften Jullus in die Arme.

»Die einzige Hoffnung für euch besteht darin«, sagte Lanthild, als sie später zu dritt unter sich waren, »Chlodwigs Einverständnis zu bekommen, bevor er erfährt, dass die Ostgoten hier sind. Wenn er eurer Verlobung erst einmal zugestimmt hat, kann er nicht mehr zurück. Und selbst wenn er es wollte, würden die Goten nicht wagen, ihrem König eine Braut zu bringen, die vorher einem fränkischen Grafen verlobt war.«

»Aber wie soll ich ihn der Sache geneigt machen«, sagte der junge Mann seufzend. »Ja, wäre ich schon eine Weile im Amt und könnte Verdienste aufweisen. Doch so … kaum ernannt und gleich der Griff nach dem Höchsten … der Heirat mit seiner Schwester …«

»Du musst es wagen«, sagte Audo und schmiegte sich an ihn. »Und sage ihm, ich sei einverstanden!«

»Das gerade nicht!«, widersprach ihr Lanthild. »Das wäre das Dümmste, was er tun könnte! Chlodwig muss glauben, ihr hättet kaum jemals ein Wort gewechselt und Jullus verehre dich nur aus der Ferne. Du hast die Ernennungskunde doch fertig …«

»Ja, sie ist wunderbar geworden!«, lobte sich Jullus. »Die Sprache, die Form …«

»Er will, dass du schnellstens deinen Posten beziehst. Sieh zu, dass du ihn findest, wo auch immer – Hauptsache, irgendwo, wo ihn die Nachricht von der Ankunft der Goten noch nicht erreicht hat. Lege ihm das Pergament vor. Sobald er sein Siegel darauf gedrückt hat, verbeugst du dich tief und sprichst ungefähr so zu ihm: ›Der feierliche Augenblick, König, ermutigt mich, dir als nunmehriger Comes der größten Stadt deines Reiches noch ein persönliches Anliegen vorzutragen. Um meine Pflichten zu deiner Zufriedenheit zu erfüllen, benötige ich den Beistand einer guten, treuen Ehefrau, die ich lieben und verehren kann. Verzeih mir die Kühnheit, aber ich kann mir nur eine vorstellen, die dir im Wesen ähnlich ist und an dieser wichtigen Stelle, im Mittelpunkt deines Reiches, deinen Glanz und deine Größe verkörpern kann. Die mich immer daran erinnert, dass ich das, was ich bin, nur dir verdanke. Ich meine die würdige Audofleda, die ich schon lange verehre, obwohl ich mich ihr nie zu nähern wagte …‹ So etwa musst du zu ihm sprechen. Kurz gesagt, musst du so tun, als ob du nicht Audo, sondern ihn heiraten wolltest. Keine Anspielung darauf, dass du schon näher mit ihr bekannt bist!«

»Und wenn er mir das nicht glaubt?«, wandte Jullus ein. »Oder wenn er wegen der Anmaßung wütend wird? Alles könnte dadurch verdorben werden! Er könnte noch immer die Ernennung rückgängig machen …«

»Aber was bleibt uns denn übrig?«, rief Audo, der wieder die Tränen über die Wangen liefen. »Wenn wir es nicht riskieren, ist alles aus! Dann verschleppen sie mich in dieses schreckliche Gotenland! Ist es dir denn nicht gleichgültig, ob du noch Comes wirst oder nicht, wenn wir nicht mehr zusammen sein werden? Wenn du mich niemals mehr wiedersehen sollst?«

»Ja, du hast recht!«, sagte Jullus, indem er sie an sich zog. »Was bedeutet mir schon das Amt, wenn du nicht an meiner Seite bist … du Herrliche, Unvergleichliche! Nichts bedeutet es mir! Überhaupt nichts! Ich wollte es ja auch nur haben, um mich zu dir hinaufzuschwingen, ein Stück wenigstens. Beruhige dich! Ich werde tun, was ihr klugen Weiber mir ratet. Und wenn der König mich abweist … gut, dann werde ich auch auf das Amt verzichten. Ja! Soll er sehen, ob er dann einen Besseren findet. Und sein Referendar will ich dann auch nicht mehr sein!«

»Und dann entführst du mich auf der Stelle!«, rief Audofleda begeistert. »Wir fliehen zur Küste und über das Meer in irgendein fernes Land, wo uns niemand kennt. Vielleicht nach Griechenland, zu den Spartanern … dort war es schon vor Hunderten Jahren Brauch, dass Männer die Frauen vor der Heirat entführten.«

»Zu den Spartanern … wohin du willst!«, sagte Jullus und küsste sie zärtlich.

»Zu fliehen ist später immer noch Zeit, jetzt heißt es erst einmal, alle Sinne auf den Angriff zu richten!«, sagte Lanthild streng, als sie bemerkte, dass die beiden bei ihrem Schnäbeln und Turteln fast vergaßen, wie schlecht ihre Sache im Augenblick stand. »Du wirst dich also gleich morgen früh aufmachen«, fuhr sie fort, an Jullus gewandt. »Und dann rede zu ihm, wie ich es dir vorgesagt habe. Ich glaube, er hat keine Hoffnung mehr, dass die Goten noch kommen, und wird zustimmen. Dann achte darauf, dass er eure Verlobung gleich verkündet, vor so vielen Zeugen wie irgend möglich. Wenn er noch Geld und Geschenke fordert … versprich alles, was du geben kannst. Sobald du dein Amt hast, wirst du ja schnell wieder reich. Anderenfalls wärst du der Erste, der ein Amt hat und sich nicht die Taschen füllt. Ist beim König alles erledigt, kommst du hierher und berichtest. Danach gehst du nach Paris und nimmst deinen Posten ein, während dein Bruder nach Soissons reitet und eure Verlobung bekannt macht. Audo und ich erfahren es, wenn wir in den Palast zurückkehren. Wir werden behaupten, auf einem der Krongüter gewesen zu sein. Audo ist von der Nachricht betroffen und muss sich zurückziehen … und ich schlage die Trommel, damit man es im letzten Mauseloch hört und jeder erfährt, dass ihr verlobt seid. Dann mögen die Herren Gesandten des Königs Theoderich kommen – ich freue mich schon auf ihre Gesichter!«

Kapitel 2

Als Jullus Sabaudus, prächtig herausgeputzt, am nächsten Mittag mit einem kleinen Gefolge seiner Knechte das Gut Berny erreichte und sich nach dem König erkundigte, erfuhr er erfreut, dass Chlodwig bereits von der Jagd zurückgekehrt war. Er ließ sich melden und durfte nach einer knappen Stunde das Tor passieren.

Der wachhabende Gefolgsmann, der ihn zum König führte, machte ihn allerdings freundlich darauf aufmerksam, dass er für sein Anliegen, falls es eines gebe, einen sehr schlechten Tag gewählt habe. König Chlodwig sei übler Laune und leide außerdem unter Schmerzen. Bei der Verfolgung eines Auerochsen, den er schon fast erlegt hatte, sei er tags zuvor vom Pferde gestürzt und habe sich einen Fuß verletzt. Zu allem Unglück sei das Tier den Jägern entkommen. Darauf habe er die Jagd abgebrochen und sei noch am Abend nach Berny zurückgekehrt. Er habe auch eine sehr schlechte Nacht hinter sich.

Unter solchen Warnungen wurde Jullus zum König geführt. Chlodwig saß am Ufer des Flüsschens, das sich unweit seines Lieblingsplatzes bei den Pferdeställen durch die Wiesen schlängelte. Man hatte ihm einen Klappstuhl so hingestellt, dass er seinen geschwollenen Fuß in das flache Wasser halten und kühlen konnte. Ursio, ein Arzt, der Gutsverwalter und ein paar andere Männer hockten bei ihm und hörten schweigend an, was er ihnen mit verdrießlicher Miene und schroffen Gesten auseinandersetzte. Jullus wagte nicht, ihn zu unterbrechen, und blieb in einigem Abstand stehen, während der Wachhabende sich zurückzog.

Der König beschwerte sich über sein Jagdgefolge, das ihn, seiner Meinung nach, im entscheidenden Augenblick im Stich gelassen hatte. Er habe dem riesigen Vieh allein gegenübergestanden und ihm auch den tödlichen Stich versetzt. Alle anderen aber, statt ihre Lanzen auf das waidwunde Tier zu schleudern, seien in wilder Panik davongestürzt. So sei ihm der Auerochse entkommen, mit dessen prächtigen Hörnern der Festsaal zur Hochzeit geschmückt werden sollte. Und bei der Verfolgung sei ihm auch noch das Missgeschick mit dem Fuß passiert. Hinkend werde er nun seine Braut ins Ehegemach führen müssen!

Der Verwalter wagte, das Wort zu nehmen, und beteuerte, dass die Spur des flüchtigen Rindes verfolgt und dass man es aufbringen werde. Aber da wurde ihm klargemacht, solche Ungeheuer seien imstande, mit einem Speer im Leib noch halb Gallien zu durchqueren. Die Stelle, wo es sich endlich niederlegen werde, polterte Chlodwig, gehöre vielleicht noch gar nicht zu seinem Reich, und er werde sie erst mit dem Heer erobern müssen. Dazu würden ihm aber Männer fehlen, in seinem Gefolge gebe es ja nur Feiglinge …

So ging es noch eine Weile weiter, bis der König endlich Jullus bemerkte. Er winkte ihn zu sich heran.

»Was willst du? Was gibt es? Warum kommst du hierher? Schon wieder Ärger mit den Christianern? Es reicht mir. Davon will ich nichts hören!«