SCHWARZE
WELT
Ins Deutsche übertragen von
Michael Neuhaus
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Deutsche Erstveröffentlichung
Titel der englischen Originalausgabe: The Dreaming Void (Teil 2)
Copyright © Peter F. Hamilton 2007
© für die deutschsprachige Ausgabe 2009 by
Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Dr. Frank Weinreich
Lektorat: Ruggero Leò
Titelillustration & Typographie: Arndt »Painting Jack« Drechsler
Umschlaggestaltung: Arndt Drechsler, Rohr
Datenkonvertierung E-Book: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-8387-5155-9
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Halran, Investigator zweiten Ranges, stand in der offenen Tür des Tresorraums und schaute auf das Chaos, das im Inneren herrschte. Jede Oberfläche – Wände, Fußboden, Decke, Leichen – war von einem dichten Teppich aus blaugrauen, hauchdünnen Fäden bedeckt, als hätten unzählige Spinnen über Nacht ihre Netze miteinander verknüpft. Tatsächlich handelte es sich bei dem zarten Geflecht um semiorganische Fasern, die drei volle Stunden benötigt hatten, um das aus kinetischen Projektilen entwichene Nervengift zu neutralisieren und die nicht minder tödlichen Energiestöße einzudämmen, die von der aus dem Feuergefecht übrig gebliebenen Munition herrührten.
Halran war ein wenig überrascht gewesen, dass die St-Mary’s-Klinik Nervengas einsetzte, aber andererseits hatten ihre zahlenden Kunden ein durchaus berechtigtes Interesse daran, ihre sicheren Erinnerungsspeicher auch in Sicherheit zu wissen. Und so hatte Halran dem Klinikleiter gesteckt, dass man erst am Nachmittag deren amtliche Erlaubnis, toxische Waffen einzusetzen, prüfen würde. Das verschaffte der Einrichtung genügend Zeit, ein paar Anrufe auf höchster Ebene zu tätigen und sich die erforderliche Lizenz zu beschaffen. Nicht zuletzt Halrans Bereitschaft, Vorschriften auch einmal großzügig auszulegen, hatte ihm seine letzten beiden Beförderungen eingebracht. Er scherte sich einen Teufel um sie; die Großen lenkten so oder so die Geschicke der Welt, und es brachte nun mal nichts ein, es sich mit ihnen zu verderben. Genau aus diesem Grund hatte der Police Commissioner auch ihm diesen Einsatz anvertraut. Gleich darauf hatte sich der stellvertretende Bürgermeister bei ihm gemeldet und Halran gewisse politische Erwägungen auseinandergesetzt. Das Gespräch war natürlich darauf hinausgelaufen, dass die totale Vernichtung einer halben Million Memorycells, die den wohlhabendsten und einflussreichsten Menschen des Commonwelth gehörten, »niemals stattgefunden« hatte. Wenn es aufgrund einer Betriebsstörung des Stromgenerators der Klinik zu »kurzfristigen kleinen Problemen bei der Wiederherstellung von Kubusdaten« kam, so war das zwar bedauerlich, aber keineswegs ein Grund zur Besorgnis – und schon lange kein Grund für irgendein übertriebenes Medieninteresse. Die Presse sollte gefälligst über die Waldschäden berichten; im Klinik-Verwaltungstrakt und seinen Untergeschossen jedenfalls war sie nicht erwünscht.
Halrans U-Shadow beendete die Analyse der Spinnfäden und meldete den Abschluss der Dekontaminierung. »Okay«, sagte er zu dem achtköpfigen Team, das hinter ihm im Korridor stand, »ich will eine komplette Tatortuntersuchung, bis hinunter auf die molekulare Ebene. Was das kostet, spielt keine Rolle; das hier hat oberste Priorität. Col, Angelo – Sie rekonstruieren für mich den Tathergang. Darval – sehen Sie zu, ob Sie mir den Namen der Memorycell beschaffen können, hinter der dieser Bastard namens Telfer her war.«
Darval spähte über Halrans Schulter. Die Notbeleuchtung im Türdurchgang schuf einen silberblauen holographischen Schein im Tresorraum, der alle Schatten eliminierte und das Gazegewebe schimmern ließ. Das Ganze glich der sich kräuselnden Oberfläche eines mondbeschienenen Sees, dessen Wellen die erstarrten Splitter einer halben Million Kuben bedeckten. »Wie in Ozzies Namen soll ich das machen, Boss?«
Halran schenkte ihm ein niederträchtiges Grinsen. »Na ja, eine sollte fehlen. Sie brauchen also bloß die Fragmente von denen wieder zusammenzusetzen, die noch da sind. Dann wissen wir, welche er mitgenommen hat.«
»Ja, klar, Sie mich auch …«
»Guter Einwand. Okay, Plan B: Gehen Sie die Kunden in der Registrationsdatenbank durch und prüfen Sie, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass jemand ein Interesse daran haben könnte, deren Erinnerungen zu stehlen. Checken Sie die Kandidaten erst mal auf ihren politischen, kriminellen und wirtschaftlichen Hintergrund ab.«
Darval nickte unwillig.
»Die Kraftfelder bitte die ganze Zeit eingeschaltet lassen«, befahl Halran. »Hier liegt so einiges an extrem hässlicher Munition rum, und ich möchte kein Risiko eingehen.«
Vorsichtig betrat das forensische Team den Tresorraum. Mit ihnen huschten die Examiner herein – winzige Bots, die auf schwarzen elektromuskulären Beinen umherkrabbelten wie eine Kakerlakenvorhut, strotzend von sensorischen Fühlern, die sich durch das Fasergeflecht schlängelten, um die Oberflächen darunter zu erreichen. Mehr als zweitausend von ihnen wurden in den Tresor entlassen, flitzten über den Boden und die Wände hinauf, um eine lückenlose molekulare Karte des Raums zu erstellen.
Halran wartete, bis die Bots um die Leiche von Viertz Accu herumgewuselt waren, bevor er die Tote einer näheren Inspektion unterzog. Ihr lebloser, umsponnener Körper befand sich immer noch in kniender Position, leicht nach vorn gebeugt, als würde sie beten. Die Schädeldecke hatten sie bereits oben gefunden, als das Team darauf gewartet hatte, dass die Gaze die Dekontaminationsprozedur durchführte. In diesem Moment hatte Halran begriffen, dass sich der Fall in jeder Hinsicht zu einer äußerst hässlichen Sache entwickeln würde.
Seine Exosicht überlagerte die Ergebnisse der Examiner und zeigte ihm die schmalen Verbrennungsspuren auf Accus freiliegendem Gehirn. Hier war ein hohes Maß an Energie in einer Art und Weise zum Einsatz gekommen, die Halran wohl erkannte. Er zog ein Tiefenscan-Modul hinzu und untersuchte, wie weit der Strahl eingedrungen war. Keine Frage, die Memorycells der Frau waren zerstört worden.
»Ich hoffe, sie hat kürzlich ein Backup gemacht«, murmelte er.
»Was halten Sie hiervon, Boss?«, fragte Angelo. Er stand vor einem Exotische-Materie-Käfig.
»Nette Idee, nehme ich an. Hab vorher noch nie einen gesehen. Telfer wusste offenbar nichts von ihrer Existenz.«
»Viel haben sie der Klinik jedenfalls nicht genützt. Diese Wächter haben unseren Eindringling nicht wirklich aufhalten können, oder?«
»Nein. Seine Enrichments waren einige Nummern zu gut.« Ein weiteres Mal rief Halran die Hauptdatei des Falls auf. Die Person, die sich unter dem Namen Telfer in der Klinik angemeldet hatte, erschien in seinem Exoimage – eine Aufnahme, die im Hauptempfangsbereich gemacht worden war. Sie zeigte einen Mann von möglicherweise orientalischer Abstammung, allerdings mit auffallend grauen Augen. Das Alter war in seinen Dreißigern fixiert, was ungewöhnlich war. Kinn und Wangen ließen einen dichten Bartschatten erkennen. Völlig durchschnittlich. Was, wie Halran wusste, beabsichtigt war. Nicht, dass äußere Merkmale heutzutage irgendeine Bedeutung gehabt hätten; selbst eine DNA-Analyse war inzwischen ohne Beweiskraft – und genetisch verwertbares Material hatten sie aufgrund der Blutspur oben auf dem Dach ohnehin mehr als genug. Der Mann auf dem Bild lächelte, während er die junge Klinikärztin begrüßte. Bei seiner Komplizin hingegen lag der Fall schon anders. Sie war alles andere als durchschnittlich; eine ausgesprochene Schönheit, mit einem sommersprossigen Gesicht und vollem, dunkelrotem Haar. Und einer ausgesprochen entzückenden Nase, dachte Halran. Keine Frage: Die Leute würden sich an dieses Gesicht erinnern.
Nichts an der Ankunft des Paares hatte Verdacht erregt, bis die Sicherheitssysteme der Klinik zu spinnen begonnen hatten und Telfer von der Bildfläche der passiven Überwachung des Smartcores verschwand. Auch der Überfall war extrem professionell abgelaufen. Was man von dessen Ausgang nicht behaupten konnte. Die Frau hatte beinahe überrascht gewirkt, als würde sie improvisieren. Was irgendwie keinen Sinn ergab.
»Boss?«, rief Darval.
»Ja.«
»Die Registrationsdatenbank wurde gehackt.«
Halran setzte sich Richtung Darval in Bewegung, der über die Registratursäule gebeugt stand. Mehrere Examiner huschten auf dem Gazemantel umher und durchstießen ihn mit ihren Fühlern. »Gibt’s Anzeichen von physischer –«, setzte er an. Er sollte den Satz niemals beenden, denn in diesem Moment betrat eine Frau den Tresor. Konsterniert starrte Halran ihr entgegen, wollte sie schon fragen, wer zur Hölle sie war – einen weiteren Mitarbeiter des Bürgermeisters vermutend, da niemand sonst ohne seine Genehmigung durch die Polizeiabsperrung kommen konnte. Doch dann erkannte er ihr Gesicht, und seine Frage hatte sich erübrigt. Er wusste alles über diese lebende Legende, so wie jeder im Apparat des Gesetzesvollzugs. »Grundgütiger Ozzie«, murmelte Halran – und der ohnehin schon unerfreuliche Fall geriet in diesem Moment zum Albtraum.
Sie war deutlich kleiner als die meisten Angehörigen des heutigen Commonwelth, doch das Selbstvertrauen, das sie ausstrahlte, übertraf das des Durchschnittsbürgers bei weitem. Halran war in seinem Leben genug Highern begegnet, um sie auf den ersten Blick an deren leicht übersteigertem Ego zu erkennen. Sie befand sich auf einer weit höheren Stufe als er, mit einer Gelassenheit, die beinahe eisig zu nennen war. Ihr Gesicht war bezaubernd und ohne jegliche moderne Kosmetik, eine Mischung aus philippinischen und europäischen Zügen der vor-commonwelthschen Erde, umrahmt von vollem rabenschwarzen Haar, das glatt herabfiel – eine Schönheit, die man nur als anachronistisch beschreiben konnte. Was durchaus verständlich war angesichts dessen, dass sie ihr Äußeres in den vergangenen vierzehnhundert Jahren nicht ein einziges Mal verändert hatte.
Das gesamte forensische Team war in ehrfurchtsvolles Schweigen verfallen und starrte die Frau an.
Halran trat vor und hoffte, seine Anspannung verbergen zu können. Sie trug einen konservativen cremefarbenen Togaanzug über einem Körper, der so perfekt war, als wäre er von St-Mary’s-Spezialisten geschaffen worden. Als er sie mit den subtilsten Sondierungen, die seine Enrichments hervorzubringen im Stande waren, zu scannen versuchte, wurden diese komplett abgelenkt. Es war, als ob sich nichts dort befände; der einzige empirische Beweis für ihr Vorhandensein war, dass er sie mit eigenen Augen vor sich sah.
»Ma’am, ich bin Investigator Halran und zuständig für diesen Fall. Ich, äh, dass heißt, wir, fühlen uns durch Ihre Anwesenheit äußerst geschmeichelt.«
»Danke«, erwiderte Paula Myo.
»Darf ich fragen, was für ein Interesse Sie an dieser Angelegenheit haben?«
»Ich persönlich gar keins; ich bin nur eine ANA-Repräsentantin.«
»In diesem Universum«, flüsterte Darval Angelo zu.
Paula lächelte ihn liebenswürdig an. »Die alten Witze sind doch immer noch die besten. Und das Schöne ist, sie kommen niemals aus der Mode.«
Darval wurde leicht blass.
»Okay«, sagte Halran. »Warum also interessiert sich ANA für diese Sache?«
»Wegen Mr Telfer.«
»Ist er ein Higher?«
»Was denken Sie?«
»Seine Waffenbiononics sind die hochentwickeltsten, die wir auf Anagaska jemals zu Gesicht bekommen haben. Die beiden Tresorwächter wurden allein aufgrund ihrer Enrichments angestellt, doch er hat sie in weniger als einer Minute ausgeschaltet. Wenn er kein Higher ist, dann besitzt er jedenfalls Zugriff auf das Beste, was die Zentralen Welten zu bieten haben.«
»Sehr gut«, lobte Paula. »Und?«
»Wahrscheinlich arbeitet er für eine Ihrer Fraktionen.«
»Hervorragend kombiniert, Investigator. Und genau das ist der Grund, warum ich hier bin. Ich möchte herausfinden, ob dieser eine, bestimmte Schluss zutrifft. Und nun hätte ich bitte zunächst gern Einblick in all Ihre forensischen Ergebnisse.«
»Äh, ich werde selbstverständlich veranlassen, dass Sie Kopien davon erhalten.«
»Ihre planetare Regierung hat ANA:Regierung in diesem Fall volle Kooperation zugesichert. Ich bin überzeugt, Sie sind sich der politischen Dimension dieser Sache bewusst. Bitte tun Sie sich keinen Zwang an und nehmen Sie Rücksprache mit Ihrem Commissioner, oder von mir aus sogar mit dem Bürgermeister; aber kommen Sie mir nicht mit Kopien. Ich verlange direkten und uneingeschränkten Zugriff auf die Originaldaten. Vielen Dank.«
Halran wusste, wann er eine Schlacht verloren hatte. »Jawohl, Ma’am. Direkten Zugriff. Ich werde das gleich veranlassen.«
»Danke. Na schön, wer ist mit der Analyse der Registrationsdatenbank befasst?«
»Ich«, meldete sich Darval mit sichtlichem Unbehagen.
»Was glauben Sie, hinter wem Telfer her war?«
Darval blickte zu Halran, der kaum merklich nickte. »Im Grunde ganz einfach. Einer der Sicherheitsspeicher gehörte Inigo.«
»Ah.« Paula lächelte. Dann schloss sie ihre Augen und holte durch die Nase tief Luft. »Wann war das letzte Update?«
»3320.«
»Das Jahr, in dem er zu seiner Centurion-Station-Mission aufbrach«, sagte sie. »Und er kehrte nicht vor 3415 nach Anagaska zurück, richtig?«
»Ja«, sagte Halran. »In Kuhmo wurde Living Dreams Haupttempel erbaut. Er war hier, um ihn einzuweihen.«
»Interessant«, erwiderte Paula nachdenklich.
»Denken Sie, dass jemand vorhat, ihn vollständig zu klonen?«
»Warum sonst sollte man seine Erinnerungen stehlen?«, entgegnete Paula. »Vielen Dank für Ihre Kooperation, Investigator. Und ich möchte nach wie vor die Ergebnisse sehen, sobald sie hereinkommen.« Sie drehte sich um und machte Anstalten, den Tresorraum zu verlassen.
»Das war alles?«, fragte Halran.
Paula blieb stehen, neigte den Kopf und betrachtete den Investigator mit gleichmütigem Blick. »Es sei denn, Sie hätten noch etwas hinzuzufügen.«
»Was ist mit Telfer?«, fragte Halran.
»Viel Glück dabei, ihn zur Strecke zu bringen.«
»Werden Sie uns dabei unterstützen?«
»Ich werde Ihnen keine Hindernisse in den Weg legen, weder politische noch andere.« Damit durchschritt sie die Tresortür und ließ Halran verwirrt und indigniert zurück.
Paula trat aus dem Verwaltungstrakt und musterte den Wald. Die Druckwellen hatten nur eine oberflächliche Zerstörung angerichtet. Die meisten Klinikgebäude waren noch intakt, und obschon die größeren Bäume abgeknickt worden waren, gab es doch noch ausreichend jüngere, um, wenn die toten Stämme erst einmal weggeräumt waren, den Wald schnell wieder aufzuforsten.
Eine Polizeiabsperrung erstreckte sich über mehrere hundert Meter, davor uniformierte Beamte, die die Patrolbots verstärkten. Angehörige des Klinikpersonals waren zusammen mit Angestellten eines beauftragten Unternehmens und Forstbots damit beschäftigt, die schlimmsten Schäden zu beseitigen. Dort, wo in der Nacht stundenlang Feuer gewütet hatten, bevor die Brandherde schließlich gelöscht werden konnten, stiegen kleine Rauchfahnen vom geschwärzten Boden empor.
Unbeirrt setzte Paula ihren Weg fort, während ihr Feldeffekt die Umgebung scannte. Zwei der Auftragsarbeiter wurden von ihrem U-Shadow rot markiert; beide waren abgeschirmt mithilfe einer ausgeklügelten Deflektionstechnologie, wie sie nur hochwertigen Biononics zur Verfügung stand. Ihre eigenen waren selbstverständlich noch eine Spur besser. Die Männer hielten sich in einigem Abstand zu der Absperrung, doch Paula gelang es, sie heranzuzoomen und einen kurzen Blick auf ihre Gesichter zu erhaschen. Im Bruchteil einer Sekunde lieferte ihr U-Shadow Querverweise für beide Personen. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, ungefähr vor tausend Jahren, da hätte Paula sie hier und gleich zur Rede gestellt. Dieser Tage jedoch gefiel sie sich häufig darin, etwas nachsichtiger zu sein. Es war in Wahrheit weit vorteilhafter, die beiden glauben zu lassen, sie hätte sie nicht gesehen.
Paula war auf Huxley’s Haven geboren worden, einer einzigartigen, von der Human Structure Foundation finanzierten Welt, die sämtliche Bewohner genetisch veränderte, damit diese in das einfache soziale Gefüge hineinpassten, das von einer sich auf niedrigem Technologielevel bewegenden Zivilisation gebildet wurde. Zur großen Bestürzung des übrigen Commonwelth erwies sich, dass das, was dieses als genetische Sklaverei verdammt hatte, tatsächlich funktionierte und eine Bevölkerung hervorbrachte, die alles in allem glücklich war mit dem ihr vorbestimmten Schicksal. Die wenigen Unzufriedenen wurden von Polizisten zur Ordnung gerufen, die mit einem besonderen psychoneuralen Persönlichkeitsprofil ausgestattet worden waren. Es umfasste neben gewissen Charaktereigenschaften auch eine Form der Zwangsneurose, die gewährleistete, dass sie die Verfolgung niemals aufgaben. Einer dieser von der Foundation geschaffenen künftigen Ordnungshüter war Paula Myo gewesen. Doch war sie als Säugling von einer Gruppe radikaler Liberaler, die zum Ziel hatte, die armen Versklavten zu retten, von einer Geburtsstation gekidnappt worden. So kam es, dass Paula größtenteils im Commonwelth aufwuchs, zunächst Investigator im Serious Crime Directorate wurde und die letzten siebenhundert Jahre dann als Superagentin für ANA:Regierung arbeitete.
Huxley’s Haven existierte immer noch; ohne sich zu verändern oder zu entwickeln dümpelte seine Gesellschaft auf ihrem vorbestimmten Kurs vor sich hin. Heutzutage pflegte das Greater Commonwelth nur wenig Kontakt zu dieser Welt. Paula selbst hatte sie vor über dreihundert Jahren zum letzten Mal besucht – im Grunde genommen reiner Nostalgietourismus –; offiziell bestand keine Notwendigkeit, den Planeten im Auge zu behalten. ANA:Regierung nahm eine äußerst protektive Haltung ein, was Nicht-Higher-Kulturen betraf. Eine Politik, die ironischerweise Paula wenig Gelegenheit zum Zurückkehren bot. Davon abgesehen hatte sie genug damit zu tun, zu verhindern, dass die ANA-Fraktionen es auf den Zentralen Welten mit ihren illegalen Einmischungen zu weit trieben.
Ihr U-Shadow stellte eine ultrasichere Verbindung zu Justine Burnelli her. »Ich bin in der St-Mary’s-Klinik auf Anagaska«, sagte sie.
»Und?«
»Wir hatten recht; der Überfall wurde von einer Fraktion organisiert.«
»Irgendwelche Hinweise, von welcher?«
»Na ja, Marius und der Delivery Man treiben sich da draußen herum. Das bedeutet, dass sie ebenso interessiert sind wie wir.«
»Ergo sind sie es nicht gewesen.«
»Da wär ich mir nicht so sicher. Ich hab die Accelerators und die Konservativen noch nie so unverfroren erlebt. Höchstwahrscheinlich hat einer von ihnen es getan, und der andere versucht, zu kontern oder die Gegenseite bloßzustellen. Na, Sie wissen ja, wie so was läuft.«
»Auf wessen Memorycells hatten sie es abgesehen?«
»Tja, und hier wird’s interessant: auf Inigos.«
»Du meine Güte. Wirklich?«, erwiderte Justine. »Es überrascht mich, dass Inigo sich überhaupt einem so hohen Risiko ausgesetzt hat.«
»Der Inigo der Vor-Living-Dream-Ära, um genau zu sein. Es handelt sich um einen alten Speicher.«
»Welchen Nutzen könnte jemandem davon haben?«
»Ich bin mir nicht sicher. Die Konservativen hätten natürlich einen Vorteil daraus, wenn er zurückkehrte und das Pilgerfahrtsprojekt des Kleriker-Konservators stoppte. Aber man kann nicht sicher sein, dass dergleichen auch passieren würde. Genauso gut könnte er die Sache gutheißen und sich selbst der Pilgerfahrt anschließen.«
»Wenn eine der Fraktionen ihn vollständig klonen würde, wäre sie im Besitz eines Marionettenmessias. Äußerst zweckdienlich bei der Durchsetzung ihrer eigenen Pläne.«
»Sieht man davon ab, dass es kein vollständiger Klon sein würde«, wandte Paula ein. »Vielmehr eine frühe Version.«
»Ich hätte da eine Theorie, die passen könnte.«
»Legen Sie los.«
»Eine frühe Vollklon-Version wäre voraussichtlich ebenso wie das Original in der Lage, Träume von der Leere zu empfangen, was demjenigen, der ihn kontrolliert, einen beachtlichen Vorteil über seinen Gegenspieler verschaffen würde.«
»Sie meinen, diejenigen wären imstande, an den vermeintlichen Letzten Traum zu gelangen?«
»Eher an die neuen Skylord-Träume. Ethan hat immer noch nicht den Zweiten Träumer gefunden, trotz allergrößter Anstrengungen. Wussten Sie, dass Living Dream dabei ist, jedes Gaiafield-Konfluenznest zu modifizieren, das von ihnen finanziert wird? Und das sind immerhin achtzig Prozent des Greater Commonwelth. Sie sind zum Äußersten entschlossen; die neuen Träume gewinnen an Substanz. Es sind nicht mehr einfach nur Fragmente. Ganze Sequenzen sickern ins Gaiafield hinein.«
»Ich glaube nicht, dass Living Dream hinter dem Überfall steckt.«
»Der Nutzen, den sie davon hätten, wäre enorm«, gab Justine zu bedenken.
»Ja, aber mein U-Shadow hat die Frau, die Mr Telfer geholfen hat, identifiziert. Es handelt sich um Living Dreams Ex-Ratsmitglied Corrie-Lyn, inzwischen persona non grata für Living Dream und wegen diverser Körperverlust-Delikte gesucht. Es existieren zahlreiche Haftbefehle des Commonwelth gegen sie. Außerdem ist darin von einem Komplizen namens Aaron die Rede, der die gleichen Gesichtszüge hat wie Mr Telfer.«
»Das ist allerdings interessant. Irgendeine Idee hinsichtlich dieses Aaron alias Mr Telfer?«
»Nein«, erwiderte Paula. »Aber die beiden sind direkt nach dem Klinik-Überfall in ein Raumschiff umgestiegen. Und derzeit wird auf Anagaska nur ein einziges Schiff vermisst, die Artful Dodger.«
»Was können Sie mir darüber erzählen?«
»Eine ganz gewöhnliche Privatyacht, auf Sholapur registriert.«
»Da hätten wir doch schon mal was. Sholapur: Mit anderen Worten, wir wissen nicht, wem sie gehört.«
»So ist es. Es ist kein wirklicher Background greifbar. Allerdings befand sich die Artful Dodger kurz nach dem Krawall am Riasi-Tempel auf Ellezelin.«
»Corrie-Lyn war früher einmal Inigos Geliebte«, überlegte Justine. »Könnte es sein, dass sie Sehnsucht nach ihm hat? Ein Vollklon wäre eine Möglichkeit, ihn zurückzubekommen.«
»Nein. Sie ist nur eine Schachfigur. Telfer benutzt sie, um an Inigo heranzukommen.«
»Und wie sollte eine veraltete Memorycell dabei nützen? Es haben bereits einige Leute versucht, ihn zu finden. Wahrscheinlich hat er das Commonwelth längst verlassen. Entweder hat er sich auf den Weg gemacht, um selbst in die Leere zu gelangen, oder er ist auf und davon, um sich Ozzie anzuschließen.«
»Er hat sich nicht Ozzie angeschlossen. Das habe ich schon vor fünfzehn Jahren überprüft.«
»Ich hab Sie von jeher beneidet um das Leben, das Sie führen«, sagte Justine. »All diese erregenden Gefahren, diese spannenden Reisen. Ihre Abenteuer hatten was fast Berauschendes für ein behütetes kleines Mädchen wie mich. Wie war Ozzie?«
»Wie ich, im Wesentlichen unverändert.«
»Was glauben Sie, für wen dieser Aaron arbeitet?«
»Wie Sie schon sagten, es gibt eine Reihe von Fraktionen und Organisationen, die von einem Auffinden Inigos profitierten. Dieser Überfall zeigt uns nur, wie dringlich ihre Suche inzwischen geworden ist. Leider war bisher niemand so unvorsichtig, seine Handschrift zu hinterlassen.«
»Und was wollen Sie als Nächstes tun?«
»Dieser Überfall ist nur ein Teilaspekt einer viel weitreichenderen Entwicklung politischer Ereignisse. Ich denke, es ist wichtig, den Zweiten Träumer zu finden, bevor Living Dream es tut. Diese Person wird zweifellos eine entscheidende Rolle hinsichtlich des Ausgangs der Pilgerfahrt spielen.«
»Wow, Sie denken immer noch in großen Zusammenhängen, nicht wahr?«
»Ich war seit jeher der Auffassung, dass die Lösung eines Falls ein ganzheitlicher Prozess ist«, sagte Paula. »Das ist eines der wenigen Dinge, die in den letzten tausend Jahren ihre Gültigkeit behalten haben.«
»Und was ist mit Aaron und Corrie-Lyn?«
»Das ist der Aspekt, an dem ich nach außen hin dranbleiben werde. Investigator Halran wird nicht lange brauchen, um Corrie-Lyn zu identifizieren, und dann werden die Dinge ziemlich schnell ziemlich publik werden. Wenn ich jetzt anfange, nach dem Zweiten Träumer zu fragen, hätte das zu viel Aufmerksamkeit bei den Fraktionen zur Folge.«
»Wollen Sie, dass ich nach dem Zweiten Träumer suche?«, fragte Justine.
»Nein. Sie sind in hohem Maße sichtbar für die Fraktionen. Fast ebenso sehr wie ich. Ich denke, das Beste wird sein, wenn Sie ein Auge auf den Delivery Man und Marius haben.«
»In Ordnung. Und wer kümmert sich dann um den Zweiten Träumer?«
Paula lächelte breit, wohl wissend, dass die Fraktionsspione draußen im Wald es sahen und sich wunderten. »Die letzte Person, von der irgendjemand es erwarten würde, natürlich.«
Der Zustand der Versorgungsleitungen im dritten Apartment war schlimmer, als Araminta gedacht hatte. Drei Stunden brauchte sie an diesem Morgen, um sie in den Wänden und Böden ausfindig zu machen und die Bots dabei zu überwachen, wie sie die korrodierten Rohre herausrissen. Das alles verursachte eine ziemliche Schweinerei. Was eine zusätzliche Reinigungsaktion nach sich zog. Die wiederum noch ein bisschen mehr Zeit kostete als geplant. Zeit, die sie eigentlich auf die Vorbereitung der Wände für die neuen Armaturen hatte verwenden wollen. Was letzten Endes den Abschluss der Arbeiten ein gutes Stück nach hinten verschob …
Ihr U-Shadow sagte ihr, wann es elf Uhr war. Das ließ ihr kaum genug Zeit für eine Sporendusche im vierten Apartment, in dem sie wohnte. Zwei der fünf Strahler der alten Brause funktionierten nicht mehr und eine der intakten Düsen roch irgendwie komisch. Sie schaffte es gerade noch, einen Erfrischer aufzulegen und in modische Hosen und Jacke zu schlüpfen, bevor die Kunden kamen. Unvermutet rief das Parfüm, das ihre Haut befeuchtete, die Erinnerung an den Tag wach, an dem sie erfahren hatte, dass Laril Viotia verlassen hatte – wie auch an ihren seinerzeit großzügigen Umgang mit dem Luxus, sich frei und ungehindert bewegen zu können. Ein wenig verspürte sie ein schlechtes Gewissen, dass sie seit einer Ewigkeit nicht mehr im Nik’s gewesen war.
Sie unterdrückte jede Art von alberner Sentimentalität und begab sich, als der Lift ihre neuen Kunden von der Lobby heraufbrachte, hinaus auf den Hausflur. Die Interessenten, Danal und Mareble, waren etwas merkwürdig gekleidet. Sie trug einen langen, rötlich-gelben Rock aus grob gewebter Baumwolle und eine schlichte weiße Bluse, darüber eine Wildlederweste mit Messingknöpfen. Unter ihrem wirbelnden Rocksaum lugten robuste braune Stiefel hervor. Ihr volles, rabenschwarzes Haar war straff nach hinten gekämmt und wurde durch ein einfaches elastisches Stoffband zusammengehalten. Er trug eine Lederhose und ähnliche Stiefel wie sie. Seine gelbe Jacke wurde von einem braunen Übermantel aus irgendeinem öligen Material fast vollkommen verdeckt.
Ungeachtet ihres anachronistischen Erscheinungsbilds musste Araminta unwillkürlich lächeln, als die Lifttüren sich öffneten. Die beiden strahlten einen unerschütterlichen Enthusiasmus aus. Vielleicht lag es an ihrem fast kindlichen Grinsen oder an der Art und Weise, wie sie sich erwartungsvoll umsahen und dabei die ganze Zeit Händchen hielten.
»Herzlich willkommen«, sagte Araminta. Die goldfarbene Glanzholztür zu dem Musterapartment schwang auf.
Sie hatte jeden Raum der Wohnung auf Basis eines simplen Zwei-Farben-Schemas zurechtgemacht und die Einrichtung minimalistisch gehalten. Der Boden in dem offenen Wohnzimmer bestand aus teurem Ebenholzparkett. Bei den geschickt platzierten Tischen, Stühlen und Sofas handelte es sich allesamt um im Herfal-Stil gehaltene Reproduktionen mit rasanten Krümmungen und Metallbeinen, die ein Flammenmuster zierte – eine beliebte Moderichtung vor dreihundert Jahren. Die Balkontüren standen weit offen. Draußen herrschte ein warmer, klarer Tag, der wirkungsvoll den Park in Szene setzte.
Als sie eintraten, holte Mareble vernehmlich Luft. »Das ist ja phantastisch«, rief sie aus. »Genau, was wir suchen.«
Danal lachte glucksend. »Sie müssen meiner Frau verzeihen, offensichtlich hält sie’s nicht für nötig, mit ihrem Urteil hinterm Berg zu halten, bis die Verhandlungen abgeschlossen sind.«
»Mir ist’s bei dem ursprünglichen Verkäufer genauso gegangen«, gab Araminta zu. »Man verliebt sich auf Anhieb in diese Apartments. Wenn ich ehrlich bin, ich denke ernsthaft darüber nach, ob ich nicht eines für mich selbst behalten soll.«
Mareble ging auf die Balkontür zu. »Hätte das, welches wir in Erwägung ziehen, denn die gleiche Aussicht?«
»Apartment Drei ist eine Eckwohnung.« Araminta deutete den Balkon entlang in die entsprechende Richtung. »Sie würden sowohl auf den Park als auch nach Westen über die Stadt blicken. Sogar die Hängebrücke ist von dort zu sehen.«
»Wie herrlich.«
»Können wir sie besichtigen?«, fragte Danal.
»Leider noch nicht. Die Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften verbieten es mir, Leute mit auf eine ausgewiesene Baustelle zu nehmen.« Und außerdem sieht’s da aus wie auf ’nem Schlachtfeld, was potenzielle Käufer möglicherweise abschrecken könnte.
»Baustelle? Gibt’s im Haus denn bautechnische Probleme?«
»Ganz und gar nicht. Die Bausubstanz ist einwandfrei. In der City Hall liegt ein unabhängiger beurkundeter Tiefenscan aus, falls Sie sich davon überzeugen möchten. Ich führe bloß ein paar Renovierungs- und Umgestaltungsarbeiten durch. Dummerweise stuft die Stadt das als bauliche Maßnahme ein, da ich auch die Elektro- und Versorgungsleitungen erneuere. Das bedeutet nur mehr Aktenkram für mich, sonst nichts.«
Danal seufzte verständnisvoll. »Genau wie in Ellezelin. Grundgütige Herrin, der Waterwalker musste nie dieses und jenes Gesuch beim Orchard-Palast einreichen, wenn er irgendetwas erledigen wollte. Aber versuchen Sie das mal unserer Regierung zu erzählen.«
»Reg dich nicht wieder auf, Schatz«, sagte Mareble und drückte seine Hand etwas fester. »Er hat einen Rochus auf die Bürokratie«, erklärte sie.
»Den haben wir alle«, versicherte ihnen Araminta.
»Danke«, sagte Danal.
»Sie kommen also von Ellezelin?«, fragte Araminta.
»O ja«, erwiderten beide glücklich im Chor.
»Ich bin Konfluenznest-Techniker«, ließ Danal sie wissen. »Im Augenblick gibt’s mit der Aufrüstung des gesamten Gaiafields jede Menge zu tun. Und auf Viotia ist sie besonders wichtig.«
»Wieso das?«, fragte Araminta.
»Der Zweite Träumer befindet sich hier«, sagte Mareble. »Wir sind uns da vollkommen sicher. Die letzten paar Träume waren um so vieles lebendiger als jene ersten Fragmente. Glauben Sie nicht auch?«
»Ich verfüge über keine Gaiamotes«, erklärte Araminta leichthin, als handele es sich hierbei um einen kleineren Defekt an irgendeinem Gerät, den sie alsbald beheben lassen würde. Tatsächlich betete sie darum, dass dies keine Auswirkungen auf ihr Geschäft haben würde. Sie brauchte die Anzahlung auf Apartment drei; die Wohnungen waren nicht so leicht zu verkaufen, wie sie sich das vorgstellt hatte, und ihre Lieferanten verlangten ihr Geld.
Mareble und Danal sahen sie mit einem teilnahmsvollen Gesichtsausdruck an, so, als täte es ihnen unendlich leid für sie. Eine Einmütigkeit, die Araminta unwillkürlich an Mr Bovey denken ließ.
»Ich könnte ohne das Gaiafield gar nicht leben«, sagte Mareble leise. »Ich kann Danal immer spüren, ganz gleich, wo wir sind, sogar fernab von Planeten. Diese Art von ständiger emotionaler Verbindung ist so befriedigend und beruhigend.«
»Und natürlich kennen wir Inigos Traum. Auf das Intimste!«, fügte Danal hinzu und lächelte. Es war ein sanftes, glückseliges Lächeln, zu dem nur wahrhaft Gläubige fähig waren.
Araminta versuchte, eine gleichermaßen verzückte Miene aufzusetzen. »Ich wusste gar nicht, dass ihr feststellen könnt, von wo ein Traum kommt«, sagte sie, in der Hoffnung, dies würde die beiden von ihrem tragischen Defekt ablenken. Nichts bereitete einem Sekteneiferer oder Ideologen mehr Freude, als Außenstehenden die Vorzüge seines Glaubens vor Augen zu führen.
»So ist das mit dem Gaiafield«, erklärte Mareble ernst. »Es ist nicht alles so klar und präzise wie bei der Unisphäre. Menschliche Gedanken sind nicht digital, sie sind Empfindung. Ich hatte das Empfinden bei den letzten paar Träumen vom Skylord; die Träume waren mir nah. Jetzt, wo die Nester sich an sie erinnern, haben sie diesen Aspekt verloren. Nicht, dass sie nicht immer noch wundervoll wären … Wir alle hoffen zu erleben, wie der Skylord nach Makkathran fliegt, um die Seele des Waterwalkers abzuholen. Nach allem, was er für die Menschen von Querencia, und für uns, getan hat, verdient er es, in Odins See in Frieden zu ruhen.«
Etwas an Marebles Heraufbeschwörung ließ Araminta einen Augenblick lang zögern, als wäre diese mit irgendeiner alten Erinnerung verknüpft. Was völliger Blödsinn war. »Ich verstehe«, sagte Araminta. Ihr Wissen um das ganze Waterwalker-Epos war bestenfalls vage, und ganz gewiss kannte sie keine Details. »Und deshalb möchten Sie hier wohnen?«
Mareble nickte eifrig. »Ich bin fest davon überzeugt, dass der Zweite Träumer hier ist. Bald schon wird der Tag kommen, an dem er sich uns offenbart, und die Pilgerfahrt kann beginnen.«
»Werden Sie daran teilnehmen?«
Mareble und Dalan sahen sich lächelnd an und verschränkten wieder ihre Hände ineinander. »Das hoffen wir.«
»Nun denn, auch auf die Gefahr hin, unsensibel zu erscheinen: Sie werden wohl kaum einen besseren Platz zum Warten finden als diesen.«
»Ich denke, wir können es in Betracht ziehen, ein Angebot zu machen«, sagte Danal. »Eine erschreckend große Zahl von Glaubensgenossen ist derzeit auf der Suche nach Immobilien auf Viotia. In einem Hotel zu wohnen, ist zwar äußerst angenehm, aber wir wären trotzdem froh, in ein richtiges Zuhause einziehen zu können.«
»Das kann ich voll und ganz verstehen.«
»Wir sind bereit, Ihnen den kompletten Verkaufspreis zu zahlen, aber wir müssten die Garantie haben, dass das Apartment rechtzeitig fertig wird.«
»Okay, ich werde eine entsprechende Gewähr in die Akte aufnehmen.«
»Und das virtuelle Modell, das wir uns angesehen haben, war ja ganz nett, aber …«
»Ich möchte ein paar Änderungen vornehmen«, sagte Mareble rasch. »Die Technik muss mehr in den Hintergrund treten, und das Dekor sollte naturalistischer sein.«
»Naturalistischer?«
»Weniger industriegefertigte Produkte, mehr Holz. So, wie es auf Querencia ist. Wir haben nichts gegen Technik, wir benutzen sie ständig, aber sie sollte nicht so überbetont werden. Könnten Sie zum Beispiel in der Küche einen richtigen Herd installieren? Einen mit Backofen und Kochfeld?«
»Ich werde die Stadtverordnungen daraufhin checken und mich deswegen wieder bei Ihnen melden.«
»Kannst du mir also einen richtigen Küchenherd beschaffen?«, fragte sie Mr Bovey an diesem Abend beim Dinner. Sie saßen bei ihm zu Hause an einem kleinen Tisch auf dem Balkon, der die Rasenfläche überblickte. Am hinteren Ende floss der Cairns vorbei, dort, wo das gemähte Gras struppigem Schilf und einer langgezogenen Gruppe coranischer Twisterbäume wich, deren chromblaue Wedel aufs Wasser herabhingen. Das helle Licht aus den Gebäuden am anderen Ufer spiegelte sich glitzernd auf der sanftschwarzen Oberfläche wider. Es war ein wunderbar entspannendes Ambiente, einschließlich des köstlichen Mahls, das einige von Boveys Ichs zubereitet hatten, und drei weiteren seiner Alter Egos, die bei ihr saßen. Das erfreuliche Ende eines anstrengenden Tags.
»Das kann ich tatsächlich«, erwiderte der gutaussehende Blonde.
»Du sagst das mit so einer Gewissheit.«
»Weil ich in den letzten zehn Tagen bereits drei davon beschafft hab«, sagte der kleinere Mr Bovey, der mit der dunklen Hautfarbe. »Die Living-Dream-Fanatiker stehen auf diesen schlichten Komfort. Sie ziehen auch ein Wasserbad einer Sporendusche vor.«
»Gütiger Ozzie, meine Kusine hatte recht«, meinte Araminta, »diese Leute sind dabei, den Laden hier zu übernehmen. Ich sollte den Preis für die beiden letzten Apartments erhöhen.«
»Ich möchte uns ja nur ungern den Abend vermiesen, aber ich persönlich finde diese Aussicht ziemlich beunruhigend. Vor allem deshalb, weil es in so einem Tempo geschieht. Inzwischen sind schon eine ganze Menge von denen hier, genau genommen Millionen.«
»Ich könnte mir vorstellen, dass du von dem Ansturm auf Wohnraum ebenso profitierst wie ich, vielleicht sogar mehr.«
»Finanziell gesehen ja«, entgegnete der Blonde, einen Grillspieß mit gewürztem Torkal und Schwein, mariniert in rotem Honig, in die Höhe haltend. »Aber Multiples passen nun mal nicht in die Ethik von Living Dream.« Er biss in das Fleisch und begann zu kauen. »Es gibt uns nicht in Makkathran«, fügte das orientalische Ich erklärend hinzu.
»Aber diese Leute können doch bestimmt nichts gegen deine Art zu leben haben, oder?« Gleichzeitig drängte sich ihr das Bild von Mareble und Danal auf – wie treu ergeben sie ihrer Ideologie folgten, wie kategorisch sie alles andere, was von ihrer Lebenseinstellung abwich, ablehnten. Das machte sie indes noch nicht zu Feinden, nur zu intoleranten Zeitgenossen.
»Sie würden vermutlich nicht gegen uns aktiv werden. Hoffentlich. Ihr kostbarer Waterwalker wollte ja schließlich, dass alle friedlich zusammenleben und gut miteinander auskommen. Aber sag mir: Wie haben deine Käufer reagiert, als sie erfuhren, dass du an all der Herrlichkeit, die es nur im Gaiafield gibt, nicht teilhast?«
»Überrascht«, gab Araminta zu. »Und dann wollten sie mich, glaube ich, bekehren.«
»Darauf möchte ich wetten.«
»Dieser Run wird nicht lange anhalten«, versicherte sie ihm. »Sobald die Pilgerfahrt beginnt, werden sie in Scharen wieder davonströmen, um an ihr teilzunehmen. Jedenfalls haben mir meine beiden Turteltäubchen das gesagt. Sie sind bloß hier, weil sie glauben, dass sich der Zweite Träumer hier verbirgt.«
»Was nicht minder beunruhigend ist.«
»Wieso?«, fragte sie, während sie sich von dem ausgezeichneten Rosé nachschenkte.
»Na ja, wenn man der nächste Auserwählte ist, warum sich dann verbergen? Und warum fortwährend Träume freisetzen, die jeden wissen lassen, dass man existiert, während man sich gleichzeitig versteckt?«
»Ich versteh nicht viel von Living Dream. Die ganze Sache erscheint mir einfach nur dumm.«
»Das Wort, das du meinst, ist ›gefährlich‹«, sagte der Kleine. »Zu viele unmögliche Versprechen; zu viele Leute, die blind daran glauben. Eine unheilvolle Kombination.«
»Du alter Zyniker.«
Alle drei seiner Ichs erhoben ihre Weingläser. »Schuldig im Sinne der Anklage und stolz darauf.«
»Du hast Gaiamotes«, sagte Araminta. »Sind diese zweiten Träume real?«
»Ist ein Traum real?«, erwiderten drei grinsende Münder unisono. »Die Träume existieren. Alles andere ist eine Sache der persönlichen Perspektive. Wenn man daran glauben möchte, so befindet sich der Zweite Träumer irgendwo da draußen und empfängt Träume von einem Skylord irgendwo in der Leere. Wenn nicht …«
»Ich hab keine Ahnung, was ich glauben soll. Ich bin beinahe versucht, mir Gaiamotes zuzulegen, einfach nur, um es herauszufinden.«
»Lass dir gesagt sein«, erwiderte der Blonde, »es lohnt sich nicht. Das Gaiafield ist nur eine weitere Modeerscheinung, die von einem Haufen Fanatikern vereinnahmt wurde.«
»Warum hat Ozzie es sich dann ausgedacht?«
»Seiner Behauptung nach, damit die Menschen einander besser verstehen. Wenn wir mehr Einfühlungsvermögen besäßen, würden wir wesentlich friedlicher miteinander umgehen. So weit die Theorie. Ich habe allerdings noch nicht bemerkt, dass es in letzter Zeit viel Einfluss auf die menschliche Natur gehabt hätte.«
»Trotzdem würde es dich ohne das Gaiafield in dieser Form gar nicht geben. Und du glaubst immerhin, du seist die Zukunft.«
Der orientalische Mr Bovey sah Araminta mit einem angedeuteten Lächeln an. »Allerdings. Und ich bezweifle stark, dass Ozzie sich uns vorstellen kann.«
Sie hob ihr Weinglas dicht an ihr Gesicht und senkte sittsam den Blick. »Ich hab mir dich auch niemals vorstellen können.«
»Es gibt viele Dinge, von denen wir nichts wissen, bis wir ihnen begegnen.« Der orientalische Mr Bovey lehnte sich dicht an sie und pflückte ihr das Glas aus der Hand. Sie mochte das Gefühl seiner Wärme an ihrem Körper. An ihrer anderen Seite streichelte der Blonde ihre Wange und drehte ihren rastlosen Kopf sanft herum zu einem Kuss.
Sie schloss die Augen. Hände strichen über ihren Rücken. Hände strichen über ihre Beine. Der Kuss dauerte an.
»Komm mit«, forderte eines seiner Ichs sie auf.
Der Kuss endete, und sie sah, wie alle drei Ichs sie auf diese ganz besondere Art anlächelten, sanft und vielsagend, sich nicht im Geringsten bemühend, seine Erwartung zu verbergen.
Boveys Ichs geleiteten sie in das warme Schlafzimmer in der zweiten Etage, das durch das anheimelnde Orange einer Kerzenflamme erleuchtet wurde. Am Fußende des Betts blieb Araminta stehen, während sich die drei vor ihr auszogen und sie, genau wie sie es mochte, zum Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit machten, zum Mittelpunkt ihres Verlangens. Dann war es an ihr, sich langsam zu entkleiden und sich in stolzer Pracht und Schönheit zu zeigen, die Bewunderung seiner Ichs aufsaugend, frohlockend vor Bejahung. Als sie schließlich nackt war, begannen die drei mit imponierender Vertrautheit ihren Körper zu erforschen. »Ja«, stöhnte sie schließlich, erbebend vor Lust. Dann wurde sie von sechs Händen aufs Bett gehoben.
Kopfüber durch den Raum stürzend, konnte die Kreatur die umherirrenden Moleküle spüren, die ihre weit ausgebreiteten Vakuumschwingen sanft berührten. Szintillationen troffen von ihren hinteren Enden herab und ließen in dem leeren Abgrund einen fluoreszierenden Kondensstreifen zurück. Vor dem prachtvollen Hintergrund eines wogenden türkisfarbenen Nebels leuchtete ein Stern und schuf einen warmen Druck von Photonen, der allzu langsam den Hunger der Kreatur nach körperlicher Nahrung stillte. Behaglich aalte sie sich in der köstlichen Sturzflut aus Licht und lauschte den Gedanken, die stärker und stärker wurden auf dem Planeten, der immer noch Lichtjahre entfernt war.
Einer dieser Gedanken war ungewöhnlich klar: »Sieh mal, du musst dich jetzt ausruhen. Wenn du ein Multiple wärst, könnte ein anderer Körper einfach weitermachen. Die Ekstase würde sich noch stundenlang fortsetzen. Mehrere Körper könnten gleichzeitig agieren; stell dir nur mal die Lust vor, die du empfinden würdest, wenn du verdoppelt, vervierfacht, verzehnfacht wärst. Würde dir das gefallen? Wäre dein Leben nicht um so vieles besser, um so vieles großartiger …?« Der Gedanke schwand dahin in der Weite, als die Solarwinde sich abkühlten und verebbten.
Als Araminta erwachte, lagen nur zwei seiner Ichs schlafend neben ihr auf dem Bett. Sie checkte den Zeitgeber in ihrer Exosicht und ächzte bestürzt. Schon fünf nach sieben! Und dabei gab es heute im dritten Apartment noch so viel zu tun. Eigentlich hätten die Bots heute Nacht im fünften Apartment die alten Kacheln herausreißen sollen, doch ihr U-Shadow eröffnete ihr, dass sie die Arbeit um drei Uhr morgens eingestellt hatten, nachdem sie auf ein Problem mit ihrer halbintelligenten Software gestoßen waren, das sie alleine nicht lösen konnten. Und das, wo sich für vormittags zwei Kaufinteressenten für Apartment Vier angemeldet hatten!
»Großer Ozzie«, rief sie, während sie sich aus dem Bett wälzte. Nicht mal genug Zeit um zu duschen. Hastig klaubte sie die Sachen zusammen, die sie am Abend zuvor beim Essen getragen hatte – und die wirklich nicht der gängigen Vorstellung von Alltagskleidung entsprachen. Ich muss dringend eine Tasche mit ein paar tagestauglichen Klamotten hier deponieren. Ob er wohl was dagegen einzuwenden hätte?
Sie schlüpfte aus dem Schlafzimmer, ohne Mr Bovey aufzuwecken. Sie hastete die Treppe hinunter und fuhr sich mit den Fingern durch das wüst verknotete Haar. Der Duft von Kaffee und Toast drang von der Küche zu ihr herüber. Was angesichts ihres Fröstelns ungemein verführerisch war. Ich sollte mit diesen Booster-Aerosolen etwas vorsichtiger sein. Eine Tasse Tee würde wohl kaum ihre gesamte Tagesplanung über den Haufen werfen, oder?
Sie steckte den Kopf durch den Bogendurchgang und spähte lächelnd in die längliche offene Essküche. Fünf seiner Egos saßen um die Frühstücksbar herum, drei weitere fläzten sich auf dem alten, großen Sofa. »Hi –« Das Lächeln erstarb auf ihren Lippen. Auf dem sechsten Hocker an der Frühstücksbar saß eine Frau. Sie war in einen weiten, flauschigen Frotteebademantel gehüllt. Eines von Mr Boveys Ichs hatte seinen Arm um sie gelegt und massierte ihr liebevoll den Nacken.
Die Frau blickte von ihrem dampfenden Kaffeebecher auf und machte ein schuldbewusstes Gesicht. »Oh, hallo. Ich bin Josill. Schätze, die andere Hälfte seiner Ichs, mit denen du letzte Nacht nicht zusammen warst, hat mich ganz schön geschlaucht. Ziemlich geiler Sex, was? Ich hab vier geschafft.« Stolz grinste sie in die Runde ihres Mr-Bovey-Gefolges.
Araminta gelang es, ihren Gesichtsausdruck unter Kontrolle zu bringen, bevor sie irgendwas Lächerliches tun konnte, wie ihn giftig anzustarren oder eine Schnute zu ziehen oder ihm entgegenzuschleudern, was für ein wertloser Haufen Scheiße er war. »So, so«, sagte sie mit krächzender Stimme. »Also ich muss los. Hab ’ne Verabredung mit Leuten, die ich nicht vor den Kopf stoßen will.« So schnell es ging, eilte sie in Richtung Vordertür, ohne tatsächlich zu rennen. Schließlich war sie draußen. Ihre betagte Kapsel stand auf dem Schotterfeld. Fünfzehn Meter weit entfernt.
»So warte doch mal!«
Sie drehte sich um. Dort stand der Körper, mit dem sie zum ersten Mal zum Essen ausgewesen war. Den benutzte er immer, wenn er etwas Ernstes mit ihr zu besprechen hatte. Offenbar um die »Alter-gleich-Weisheit«-Karte auszuspielen, möglicherweise auch, um eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen. »Fallt tot um«, schrie sie ihn an. »Ihr alle!«
»Du wusstest doch, dass ich mich auch mit anderen Frauen treffe.«
»Ich …« Die Empörung schnürte ihr für einen Moment die Kehle zu. »Nein! Um ehrlich zu sein, das wusste ich nicht! Ich dachte, wir –« Ein störrischer kleiner Teil von ihr versuchte verzweifelt, nicht vor ihm in Tränen auszubrechen. Was so eine Sache war bei jemandem, der sie so gut kannte – trotzdem, sie würde ihm auf keinen Fall die Genugtuung verschaffen, zu sehen, wie viel ihr an ihm lag.
»Hör mich an.« Er baute sich vor ihr auf, brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. »Du bist ein wunderbarer, phantastischer Mensch. Seit Jahren ist mir niemand begegnet, von dem ich mich so sehr angezogen fühle. Und ich denke, du weißt das.«
»Nun, das hier ist eine –«
»Seltsame Art, es zu zeigen? Nein. Nein! Das ist die Denkweise einer singulären Person, nicht meine.«
»Das ist ja lachhaft«, schrie sie.
»Vielleicht hast du den Gedanken auch nur verdrängt. Sich dem Leben eines Multiples anzupassen, erfordert Zeit. Es ist nicht einfach, und du bist durcheinander.«
»Ich bin nicht durcheinander«, protestierte sie.
»Ich habe eine tolle Zeit mit dir. Immer. Egal, wohin wir gehen oder was wir machen, und das ist das Problem. Denk mal darüber nach. Du bist eine wundervolle, gesunde, starke Frau mit einem Riesenappetit auf Sex. Der Traum eines jeden Mannes. Und ich bin jedes Mal aufs Neue völlig verblüfft und begeistert, mit wie vielen meiner Ichs du es aufnimmst, wenn wir miteinander ins Bett gehen. Aber nicht mal du kannst jede Nacht achtunddreißig Männer befriedigen. Wir gehen jetzt schon eine ganze Weile miteinander aus, aber da sind immer noch einige Ichs, die du noch nicht mal kennengelernt hast. Ganz zu schweigen vom Sex. Du machst mich total an und doch bleibt jedes Mal, wenn wir zusammen waren, die Mehrzahl meiner Ichs frustriert zurück.«
»Ich … Oh. Wirklich?« So, wie er es darlegte, klang es fast schon einleuchtend. Und er hatte ganz recht, es war tatsächlich etwas, worüber sie nicht genauer nachdenken wollte.
»Auch ich habe meine Grenzen. Josill und die anderen helfen, den Druck, den du aufgebaut hast, wieder abzubauen.«
Die anderen. Wieder etwas, worüber sie nicht näher nachdenken wollte. Diese ganze Multiple-Sache geriet allmählich zu einem gigantischen Chaos. Sie holte tief Luft und starrte auf den Schotter zu ihren Füßen. »Es tut mir leid. Du hast recht, so hab ich es noch gar nicht gesehen. Es war so perfekt für mich … und ich dachte, das war es für dich auch. Die Denkweise einer Singulären, was?«
»Ja.« Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. Es tröstete sie – immer noch –, dieses ganze Getue um Mitgefühl und Verständnis. »Aber ich hoffe, hoffe wirklich, dass wir daran arbeiten können.«
Schuldbewusst blickte sie zur Tür. »Ich bin nicht sicher, ob ich mit der Vorstellung, dass du auch mit ihr schläfst, klarkomme. Hast du … nein. Ich will’s gar nicht wissen.«
Er hob eine Augenbraue. Wartete geduldig.
Araminta seufzte. »… letzte Nacht, hast du’s da mit uns beiden gleichzeitig getrieben?«
»Ja.«
Ein ausgesprochen niederträchtiger Gedanke kam ihr in den Sinn. »Und sie hat’s nur mit vieren aufnehmen können?«
»Ich fürchte, ja.«
»Armes Ding.« Dann wurde sie wieder ernst. »Ich weiß nicht. Ich bin nicht sicher, ob ich damit klarkomme. So, wie du es darstellst, müssten es eine Menge Frauen sein. Für mich nicht unbedingt die solideste Basis für eine langfristige Beziehung.«