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Jörg Juretzka

Fallera

Roman

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Für Cora und Verena

Speziellen Dank an den Reverend Horton Heat
für »One time for me«

Jörg Juretzka, 1955 in Mülheim an der Ruhr geboren, ist gelernter Zimmermann und baute Blockhütten in Kanada, bevor er sich aufs Schreiben konzentrierte. Für seine Krimis um den Privatdetektiv Kristof Kryszinski wurde er bereits dreimal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, außerdem erhielt er den Literaturpreis des Ruhrgebiets. Zuletzt erschienen bei Rotbuch Rotzig & Rotzig und Freakshow. Jörg Juretzka schreibt außerdem Drehbücher und ist erfolgreicher Kinderbuchautor.

Von Jörg Juretzka liegen bei Rotbuch außerdem vor:

Prickel (3. Aufl. 2007)

Rotzig & Rotzig (2. Aufl. 2009)

Alles total groovy hier (2. Aufl. 2009)

Der Willy ist weg (4. Aufl. 2009)

Freakshow (1. Aufl. 2011)

eISBN 978-3-86789-526-2

3. Auflage

Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern:

www.rotbuch.de

Prolog

»Du musst dringend in Therapie«, sagt Scuzzi zu mir. »Und zwar stationär. Am besten in eine geschlossene Abteilung. Du bist zu einer Gefahr geworden, für dich und für andere.«

»Ich kann nicht«, entgegne ich. »Ich habe gerade einen Auftrag angenommen.«

Kapitel Eins

»Kein Sturz ist tiefer als der
in die Abgründe der menschlichen Seele.«

C.G.JUNG

»Ich bin unschuldig wie ein Lamm«, sagte ich, automatisch.

»Kryszinski«, seufzte es am anderen Ende der Leitung, »ich habe Sie nur gebeten, heute einmal bei mir im Büro vorbeizuschauen. Sie können es also tun, oder Sie können es lassen. Und fragen Sie mich nicht, was mir lieber wäre.«

Ich nahm den Hörer vom Ohr und sah ihn kurz und überrascht an. Dies war ein Novum. Menden bittet normalerweise nicht. Und er lässt einem auch nicht die Wahl. Normalerweise kommandiert er, und wenn man nicht sofort spurt, schickt er zwei Mann raus, zum Nachhelfen. Wie gesagt, normalerweise.

Sie mussten bis zum Hals in der Scheiße stecken auf dem Präsidium.

»Was wäre Ihnen denn lieber?«, fragte ich, den Hörer wieder am Ohr, und hatte Zeit, die Pillen vor mir auf dem Küchentisch in drei Reihen zu sortieren – links die blauen Dragees, in der Mitte die hellgelben Tabletten und ganz nach rechts die zur einen Hälfte weiß und zur anderen transparent gehaltenen Kapseln voll winziger roter Kügelchen –, bevor der Hauptkommissar seinen langen Atemzug der mühsam erkämpften Beherrschung hinter sich gebracht hatte. Doch als er dann endlich sprach, klang er völlig verändert, geradezu fremd.

»Ich fände es sehr nett, wenn Sie sich die Zeit nähmen«, sagte er, und ich musste mit mir ringen, den Hörer nicht ein zweites Mal in kritischen Augenschein zu nehmen. »Ich habe Ihnen einen kleinen, leichten Job anzubieten, der eigentlich voll auf Ihrer Linie liegen müsste und der obendrein mehr als angemessen dotiert ist.« Und seine Stimme klang warm und freundlich dabei, fast schon väterlich. Wie die Stimme des Mannes mit der Haube über dem Kopf, der sagt: ›Sehr schön, und wenn Sie jetzt noch so reizend wären, Ihren Kopf durch diese Schlaufe hier zu stecken, macht ein gut sitzender Strick die ganze Angelegenheit doch so viel einfacher für beide von uns.‹

Genau so.

Warum ich trotzdem hingegangen bin?

Tja.

Gott im Himmel, da hatten sie uns ja ein wundervolles Panoptikum von Wackelköpfen zusammengestellt. Ich besah sie mir unauffällig, während Hufschmidt ein großes Gehampel daraus machte, mir die Handschellen aufzuschließen. Im Hintergrund, mit dem Rücken zu mir, in Betrachtung der Aussicht versunken, gleich zwei Rollstuhlkrüppel. Toll. Das würde eine schöne Plackerei werden, in einer Gegend wie dieser. Dazu kamen, auf den ersten Blick, ein Dorftrottel, dem sie die Wachstumsdrüse zehn Jahre zu spät ausgeknipst hatten, ein wie ein später Picasso in seinen Proportionen verschobener Spastiker, ein kleiner, wulstiger Mongoloide, eine babbelnde Schwachsinnige mit einer beunruhigenden, faustgroßen Delle in der Stirn; und dieser Klops auf Beinen mit den halb verhangenen Augen und dem schmierigen Grinsen, der auf mich zugetrippelt kam und mir eine schwielige Rechte entgegenstreckte, die ich garantiert nicht schütteln würde, war in schönster Offensichtlichkeit vom Onanieren verblödet.

»Guten Morgen«, strahlte er mich an, mit Zähnen, die noch eine Schattierung gelblicher daherkamen als altes Elfenbein. »Sie müssen Kristof Kryszinski sein, aus Nordrhein-Westfalen, richtig?« Und er hielt seine Hand weiterhin ausgestreckt, ungeachtet der Tatsache, dass meine sich angewidert hinter meinem Rücken zu verstecken suchte. Was kommt nach Elfenbein?, dachte ich. Zwölfenbein?

»Ich bin Doktor Welfenheim«, stellte er sich vor, und meine Rechte fühlte sich eigenartig in die Pflicht genommen, »der geistige Urheber dieses Projekts.«

Sein Händedruck war überraschend trocken und eigenartig explorativ. Als wolle er mal kurz meine Handknochen auf Vollständigkeit überprüfen. »Meine Aufgabe unterwegs wird die psychologische Betreuung und« – er machte eine schwangere Pause – »Begutachtung sein.«

»Was genau heißt ›Mehr als angemessen dotiert‹?«, fragte ich, atemlos, noch nicht ganz im Zimmer, duckte mich vorsichtig unter dem Türrahmen hindurch, und die Klinke entglitt mir, und ein Donnern fuhr bis in die Grundmauern, als die Türe gegen den Aktenschrank krachte. »In Zahlen?«

Hauptkommissar Menden stand am Fenster und blickte sinnend hinaus. Das kann er, da macht ihm keiner was vor. Man könnte auf die Idee kommen, der Staat zahle ihm sein Gehalt einzig und allein dafür, dass er den Innenhof des Mülheimer Präsidiums im Auge behält.

»Schließen Sie die Tür, Kryszinski, und setzen Sie sich. Leise!«

Aus irgendeinem Grund entglitt mir die Klinke beim Schließen noch mal, doch zum Ausgleich dafür setzte ich mich dann, so leise es ging. Der Stuhl ächzte gefährlich unter meinem Gewicht, und seine vier Stahlrohrbeine stanzten münzgroße Stücke aus dem Linoleum.

Ich hatte die Kapseln in Verdacht. Die mit den roten Kügelchen drin. Nur ein paar zu viel davon, und schon … Nichts schien mehr zu passen. Selbst der Kragen meines T-Shirts schnürte sich eng und enger. Ich zerrte dran, bis der Stoff knirschend nachgab. Anschließend ging es mir kurz ein bisschen besser.

Menden entließ eine Menge Atem in vielen kleinen Stößen, dann löste er den Blick vom Hof und schenkte ihn, wie man so sagt, mir. Immer ein Moment, das, bei Menden. Immer ein bisschen so, wie dem Sensenmann an einem Montagmorgen zu begegnen. Da ist dieses lange Gesicht, so hager dabei, gefroren zu einem Ausdruck, für den es wohl keine vollendetere Umschreibung gibt als ›Bis zum Erbrechen genervt‹. Und dann erst seine Augen. Sie sind von der gleichen Farbe wie der Inhalt einer Urne, nur ungleich lebendiger, irgendwie. Sie weiteten sich bei meinem Anblick. Sie weiteten sich, bis sie die Höhlen bis an den Rand ausfüllten, doch damit war noch nicht Schluss. Sie dehnten sich, wuchsen, schwollen an wie Ballons, bis zum Platzen geblähte, weiße Ballons in Netzen von schwarzvioletten, pulsierenden Adern, begannen, mit einem feucht und gedämpft knackenden Geräusch den Schädel des Hauptkommissars auseinander zu drücken, wuchsen und wuchsen …

»Was ist mit Ihnen, Kryszinski?«, fragte der winzige Mund unter den beiden fußballgroßen, starrenden Augäpfeln. »Sie sehen krank aus.«

Das sagt der Richtige, dachte ich.

Der verdammte Schlüssel … er passt nicht mehr. Das kann nur eins bedeuten: Dieser heimtückische Hausmeister hat schon wieder mein Schloss ausgewechselt … Ich werde ihn suchen müssen, jetzt gleich, und ihm ein für alle Mal klarmachen, dass er die Finger von meinem Schloss zu lassen hat … Ein für alle Mal … Hab ich das nicht schon? … Ein für alle Mal? …

»Kryszinski? Sind Sie das?« Eine Frauenstimme. Hinter der Türe. Hoch. Hysterisch.

Da haben diese Arschlöcher meine Bude schon weitervermietet … Dafür werden sie mir büßen, alle … Einfach meine Bude weiterzuvermieten … Man braucht ihnen nur kurz den Rücken zuzudrehen … Wie lange bin ich eigentlich nicht mehr zu Hause gewesen? …

»Gehen Sie weg! Ich kann Sie durch meinen Spion sehen, Kryszinski! Gehen Sie weg! Sie haben sich schon wieder in der Wohnung geirrt! Ihre ist eine Etage höher, verdammt noch mal!«

Hysterisch, die Alte.

»Wenn Sie noch einmal an meiner Wohnungstüre kratzen, hole ich die Polizei!«

Komplett hysterisch.

Gottverdammte Scheiße, hier sieht aber auch eine Etage aus wie die andere … Eine verkommener als die andere … Voller Dreck, Ungeziefer, Abschaum … So wie diese Kaugummi kauende Daunenjacke mit der Schmiere im Haar … Zu doof, sich die Schuhe zuzubinden … Hose mit dem Schritt in den Kniekehlen … Auf fast zwei Meter aufgedunsen durch einseitige Überfütterung mit Cola, Chips und Schokoriegeln … Aufgesetzte Coolness, wiegender Gang … Macht auf gar keinen Fall Platz … Gut …

»Ey, Mann, was ’s los? Hassu kein’ Respek’?«

Kein Respek’? Kein Respek’? Wie soll ich Respekt haben vor jemandem, der sogar zum Artikulieren zu faul ist, du aufgeschwemmter Hosenscheißer? Soll ich dir zeigen, was das ist, Respekt? Soll ich es dir zeigen?! … Soll ich? …

»Ey, Mann, komm weiter!« Zu zweit jetzt. Der andere, der Kleinere, ist hier aus dem Haus. Zieht den mit der Daunenjacke mit sich. Augen groß, voller Schrecken. Der Größere protestiert noch, stammelt weiterhin was von ›Respek‹.

»Nun komm schon, weg hier! Bist du verrückt?« Sie sind fast am Treppenabgang, jetzt, doch mein Atem flieht noch immer. Ein Schleier, rot wie Blut, hat sich vor meine Augen gelegt, und ich spucke Blasen. »Weißt du nicht, wer das ist?! Das ist Kryszinski, von Nummer 743. Gemeingefährlich … Völlig verstrahlt …«

»Laut meiner Liste stehen Sie auf der Seite der …« Dr. Welfenheim suchte nach einem Wort, »… Begleiter«, entschied er sich, »und nicht etwa der Patienten, und doch wäre es vielleicht ganz gut, wenn wir beide uns heute im Laufe des Tages mal zu einem Gespräch zusammensetzten. Sie haben da ein Problem, ich spüre es, und Ihnen, glaube ich, ist das auch bewusst. Was ich gerne herausfinden möchte, ist, wie weit Ihre … nennen wir es Ablehnungshaltung … geht.«

»Klar doch«, sagte ich. Und dachte: Mach dich auf was gefasst, Dickerchen. Das wird eine ziemliche Reise.

»Ach du je, wen haben wir denn da mal wieder?« Hinten in der unendlichen Tiefe des Raumes schloss Hufschmidt die Tür mit dem Ellenbogen, einen Becher Kaffee in jeder Hand, und war mit drei Schritten bei mir. »Hier«, grinste er mich an und drückte mir einen der brüllend heißen Becher in die Hand. Für einen Moment war mir danach, zu schreien oder das Ding auf den Boden zu schleudern, doch Hufschmidt hielt seinen Blick auf mir, als sei das hier eine besondere Prüfung. »Beeil dich besser mit dem Kaffee«, meinte er. »So richtig heiß ist der nicht mehr.«

Zögernd nahm ich einen vorsichtigen Schluck, und tatsächlich, die Mocke war so lau und so bitter wie nur je ein auf dem Präsidium eingenommener Kaffee.

»Und, Kryszinski«, wollte Hufschmidt im Konversationston wissen, »wie lange geben dir die Ärzte noch?«

»Ich weiß nicht, was ihr habt« sagte ich, und beobachtete mit einiger Erleichterung, dass Mendens Augäpfel auf Normalmaß geschrumpft und in ihre angestammten Höhlen zurückgekehrt waren, »ich bin fitter denn je.«

Menden schnaubte. »Sie sind völlig abgemagert«, stellte er fest.

Übersetzt man Fitness mit hoher Ausdauer, Unermüdlichkeit, dann log ich noch nicht mal. Ich war, im wahrsten Sinne des Wortes, unermüdlich. Kaum zu sagen, wann ich das letzte Mal ein Bett gesehen hatte.

»Fit wie ein Krebskranker«, fand Kommissar Hufschmidt. »Oder einer im Endstadium von Aids.«

Sofort klopfte ich mir die Knöchel meiner Rechten gegen die Schläfe. Aberglaube. Auch ’ne Art von Glaube irgendwie.

»Viel Sport getrieben in letzter Zeit«, erklärte ich und stellte den Kaffeebecher vorsichtig zu Boden. »Hatte etwas zugenommen und habe es jetzt möglicherweise ein bisschen übertrieben mit Training und Diät.«

»Hmmm«, brummte Hufschmidt und nickte sich eins. »’ne Diät aus Putschpillen und geschnüffeltem Klebstoff, wenn ich raten müsste. Oder Koka. Außer« – und er beugte sich zu mir herab, und seine hamsterbackige Visage füllte mein Blickfeld bis zum Rand – »außer, du hängst wieder an der Nadel. Ist es das? Rückfällig geworden, Kryszinski?«

»Blödsinn«, sagte ich mit einer Stimme, als wäre mir noch nie ein größerer zu Ohren gekommen.

Stimmt ja, ist gar kein Schloss mehr drin, in der Türe, kein Schließblech mehr im Rahmen.

Die verdammten Halbwüchsigen sind dermaßen oft eingebrochen, auf der Suche nach meinen Drogen, dass ich es schließlich drangegeben habe, das Schloss zu reparieren. Nur ein in den Spalt zwischen Blatt und Zarge geklemmtes Stück Pappkarton hindert die Türe daran, in der ewigen Zugluft zu schwingen.

Moment … Wo ist die Pappe? Weg …

Ich taste in der geräumigen Seitentasche meines alten Armeeparkas nach dem Holzgriff des kleinen Schlachterbeils, das ich seit einiger Zeit immer bei mir führe, packe ihn mit einem Würgegriff.

Vielleicht erwische ich sie ja endlich einmal … Endlich … Werde sie lehren, bei mir einzubrechen, mir die Wohnungen zu vandalisieren, werde sie lehren …

Sachte stoße ich die Tür auf, taste mich vor ins Halbdunkel des muffigen Eineinhalb-Zimmer-Apartments. Nur aus der Küche dringt Licht. Jemand bewegt sich. Musik dudelt.

Hocken da, rauchen meine Kippen, saufen meinen Schnaps, fressen meine Pillen, lassen mein Radio laufen … Werde sie lehren … Oh ja …

Ich war der Erste, doch die anderen wurden ziemlich bald angeliefert. Die Süddeutschen kamen mit einem vergitterten VW-Transporter aus München und der Rest in einem uralten Setra-Omnibus mit Fensterschlitzen und Berliner Kennzeichen. Nacheinander stiegen sie aus, mit der ganzen Gemächlichkeit von Leuten, die über alle Zeit dieser Welt verfügen, blinzelten in die grelle Sonne, streckten ein bisschen die Glieder, und binnen nicht mal zwei Minuten hatten wir uns zu einer Gruppe zusammengefunden, standen da, misstrauisch beäugt von der ebenfalls rasch formierten Gruppe unserer Bewacher, mehr oder weniger neugierig begafft vom Häuflein der Behinderten, verteilten Zigaretten und warteten.

Rauchend und mit kalten Füßen auf der Stelle tretend, versuchte ich, mir ein Bild von den Neuankömmlingen zu machen, ohne zu, na ja, zu starren. Bringt Stress, starren. Schneller, als man meint. Nur eine der vielen kleinen Verhaltensmaßregeln, die einem wieder ins Gedächtnis schießen und von da aus zurück in Fleisch und Blut übergehen. Schneller, als man meint.

Wie um alles in der Welt konnte ich mir das antun, fragte ich mich. Ich muss den Verstand verloren haben.

»Sagen Sie mal, kann das sein, dass Ihre Haut einen Gelbstich hat?«, wollte Menden wissen. »Und was ist mit Ihren Pupillen passiert? Wo sind die hin?«

»Wieder an der Nadel, ich sag’s doch«, bemerkte Hufschmidt abfällig. »Einmal Junkie, immer Junkie.«

»Hm«, brummte Menden und schüttelte den Kopf. »Dazu ist er mir nicht dicht genug.«

»Ja, kriegt ihr euch bald mal wieder ein?«, fragte ich, ganz Entrüstung. »Ich bin zurzeit auf dieser neuartigen Möhrendiät, die habe ich aus einer Frauenzeitschrift, und zu viel Karotin macht einen nun mal ein bisschen gelb, und das mit meinen Augen kann ich auch erklären …«

»Sie lügen«, stellte Menden fest, erhob sich von seinem Schreibtischstuhl und ging die zwei Schritte zum Fenster, nachsehen, ob sein Hof noch da war.

»… Ich war das Wochenende über mit ein paar befreundeten Höhlenforschern im Sauerland, in der Attahöhle, und die Pupillen reagieren anschließend ein paar Tage lang auf das viele Licht …«

»Sie lügen routiniert und vollautomatisch, doch das interessiert mich hier im Moment kein bisschen.«

»Gut«, fand ich. »Können wir dann allmählich mal zum Geschäftlichen übergehen? Wie war das noch, mit der mehr als angemessenen Dotierung?«

»Was mich interessiert, ist, wie fit sind Sie wirklich? Würden Sie es sich, sagen wir, zutrauen, einen Berg zu besteigen? Mit Gepäck?«

Hufschmidt schnaubte verächtlich.

»Alles eine Frage der Dotierung«, beharrte ich. »Wie mehr als angemessen ist sie?«

Menden fuhr wieder zu mir herum. »Erst mal will ich eine Antwort«, bellte er. Täuschte ich mich, oder begann sein eines Auge wieder zu schwellen? Ich sah rasch zu Hufschmidt, doch der schien nichts zu bemerken. »Halten Sie sich für fit genug für so eine Aufgabe?«

Einen Berg besteigen? War das eine Fangfrage? Saß ich hier wirklich im Präsidium an der Von-Bock-Straße, in Mülheim, Perle des Ruhrgebiets, der nächste einigermaßen ernst zu nehmende Berg gut und gerne zweihundert Kilometer Luftlinie entfernt, und nahm an diesem wahnwitzigen Gespräch teil, oder würde mich gleich jemand an der Schulter rütteln, gar nicht mal so selten jemand mit dem Kopf, den Zähnen oder auch nur dem Atem einer Aas fressenden Echse, und mir erklären, die letzte Vorstellung sei zu Ende oder die Kneipe schließe jetzt, der Zug sei an der Endstation angekommen, ein Einkaufszentrum wäre nun mal kein Nachtasyl, oder was auch immer, und mich weiterschicken?

»Ich will offen mit Ihnen sein, Kryszinski, auch wenn ich nicht weiß, warum ich das sollte. Die Sache ist die: Die Oberaufsicht für das ganze Unternehmen hat speziell und namentlich und ausdrücklich nach Ihren Diensten verlangt. Also? Meinen Sie, Sie wären in der körperlichen Verfassung für solch eine Aufgabe?«

»Vergessen Sie’s, Chef. Der kommt doch kaum die Treppen hoch.«

»Klar doch«, antwortete ich, leichthin, aus der einfachen Erkenntnis heraus, dass man, solange man sich nicht sicher ist, besser jede Situation so behandelt, als wäre sie real. »Wie hoch hinaus soll’s denn gehen?«

Rauch. Trübes Licht. Knistern. Und Rauch. Meine Küche brennt! Wie eine Wand, der Rauch. Er rollt auf mich zu, langsam, wabert hin und her dabei, es ist fast wie ein träges Tänzeln, wie ein Wiegen in den Hüften … als urplötzlich zwei Hände herauswachsen aus dem Qualm, zwei Pranken, die hervorschnellen, nach meiner Kehle grapschen … Ich versuche, mich zu wehren, doch das Beil trifft ins Leere …

»Weia«, kommt es vom Küchentisch. Scuzzis Stimme. »Du solltest dich mal sehen«, meint er und wedelt den Qualm von seinem Joint ein bisschen beiseite. Hockt da, bequem zurückgelehnt, Füße auf dem Tisch, und betrachtet mich kopfschüttelnd. »Zum Gruseln«, findet er. »Wen oder was, glaubst du, hast du da gerade pantomimisch in Stücke gehackt?«

»Vergiss es«, sage ich, lege das Beil auf den Tisch und leihe mir den Docht von ihm. Ziehe dran, bis man löten könnte mit der Glut. »Hast du was dabei? Bin völlig gefegt.«

Scuzzi grunzt, kramt in seiner Jackentasche und wirft zwei Beutel auf den Tisch. Einer mit bunten Pillen und der andere, kleinere, auffälligere voll reinweißen Pulvers. »Jede Menge«, sagt er. »Bedien dich.«

Der gierige kleine Lump. Würde noch seine eigene Mutter an die Nadel bringen für ein paar schnelle Scheine. Wie lange hat er sich geweigert, mich zu beliefern? Musste mir die Hacken abrennen, Wucherpreise zahlen, habe Zeugs geschluckt, das einen vorübergehend blind machte oder die Haut jucken ließ, bis man mit der Drahtbürste dranwollte, das einem die Haare bleichte oder wie ein Stromstoß in die Knochen fuhr, Zeugs, von dem man Krämpfe bekam und vier Stunden hintereinander kotzte, Zeugs …

Und dann überlegt er es sich von heute auf morgen anders … Bin sicher, er hat noch mehr in den Taschen … Doch erst mal …

Hoch interessiert halte ich den Beutel mit dem weißen Pulver ins Licht der baumelnden Glühbirne. Format wie eine halbe Schachtel Kippen, prall voll. »Hey, hey, hey. Was haben wir denn hier?«

»Vitamine«, kommt die Antwort.

»Gut.« Ich nicke, ohne recht hinzuhören. Er hätte ›Scheuerpulver‹ sagen können, und ich hätte mit ›Gut‹ reagiert und genickt dazu.

Reinweiß und glitzernd, kristallin … Dreißig Gramm, würd ich schätzen … 25, mindestens …

Mit ach so sacht zittrigen Händen ziehe ich den Beutel auf, stippe einen feuchten Finger hinein und taste das Pulver vorsichtig mit der Zungenspitze ab.

Uhuhuhuah. Sauer! Ascorbinsäure. Reines Vitamin C. Angewidert blicke ich Scuzzi an. »Es soll dir helfen, wieder gesund zu werden«, erklärt er. »Obwohl, so langsam schwindet mein Vertrauen, dich nur mit Vitaminen alleine zu kurieren.«

Vitamine? Was redet er da dauernd von Vitaminen? Ist er plötzlich auf’m Gesundheitstrip? Ausgerechnet Scuzzi? Oder will er mich verarschen?

»Entspann dich, Kristof, und hör mir einen Moment zu. Die Sache ist die: Ich füttere dich jetzt den zehnten Tag in Folge mit Placebos. Vitaminpillen, Aufbaupräparate, homöopathische Beruhigungsmittel, alles, was ich in die Finger kriegen kann und garantiert nicht putscht, nicht törnt, nicht draufbringt. Zehn Tage, Kristof. Und weißt du, was mir ernsthaft Sorgen macht: Du hast dich nicht ein einziges Mal beschwert.«

Seit zehn Tagen dreht mir dieser windige kleine halbitalienische Drecksack wirkungslosen Mist an und gibt es auch noch zu? Ich sollte ihm … Ich sollte ihm …

Ich sollte ihm mal die anderen Taschen auf links ziehen … Ja … Zeig mal die anderen Taschen, Pierfrancesco … Wollen wir doch mal sehen …

»Weißt du, was das für mich heißt, Kristof?« Und Scuzzis Blick ist ernst und besorgt. »Das heißt für mich, du kommst von alleine nicht mehr runter.«

Kapitel Zwei

»Je tiefer der Fall,
desto größer die Gewissheit,
vorher eine schöne Höhe erreicht
gehabt zu haben.«

OSCAR WILDE

Am ersten Tag ist es die Hölle. Einweisung, Überstellung oder Verlegung, ganz egal – du kommst an, kennst niemanden, blickst nicht durch die Strukturen durch, wärst am liebsten unsichtbar, und jeder, jeder Einzelne, dem du begegnest, versucht, dich zu ficken. Manche im übertragenen Sinne, andere mit der, wie soll ich es sagen, Wurzel des Wortes. Du bist noch nicht ganz da, und schon ist es Kampf.

Hier waren wir alle Neuankömmlinge, wenn man so will, alle aus verschiedenen Anstalten, ja Bundesländern, was für jeden von uns einen Anfang bei null bedeutete. Und nichts, auch nicht der automatische Schulterschluss, das großzügige Herumreichen von Zigaretten, das halblaute, kollegiale Gemaule, konnte über die Anspannung hinwegtäuschen. Wir würden eine gute Woche miteinander verbringen, und so versuchte jeder vom ersten Moment an, jedem anderen mit Blicken, Gesten und sonstigem Gehabe klarzumachen: Ich kann dich, aber du kannst mich nicht.

Vorsichtige Provokation ist Teil der Masche.

»Was bist ’n du?«, fragte mich ein Mittelgroßer mit kompakter Ringergestalt und der Art von spitz in die Stirn gezogenem Ansatz borstiger Haare, wie man ihn bei Comic-Igeln sieht, stellte sich als ›Alexander‹ vor, hustete kurz und kehlig und hielt mir dann mit nikotinverfärbten Fingern eine Schachtel Roth-Händle hin, die ich ablehnte.

Bewegte sich da etwas unter dem schmalen, V-förmigen Band von Haut zwischen den dichten Brauen und dem Stachelkleid? Als ob wurmförmige Insekten über seinen Schädelknochen krabbelten?

Wenn man mit der tiefen Verunsicherung leben kann, die sie auslösen, besitzen Halluzinationen durchaus ihren eigenen, seltsam fesselnden Unterhaltungswert.

»BTM«, antwortete ich und sah woanders hin.

»Körperverletzung mit Todesfolge« hätte mir spontan mehr Respekt eingebracht, doch erstens kommt im Knast alles irgendwann ans Licht, und zweitens muss man so was auch durchziehen können. Wenn du also damit angibst, ein Totschläger zu sein, wirst du früher oder später eine Probe deines Könnens abliefern müssen. Oder das Gesicht verlieren.

Grob vereinfacht gibt es zwei Methoden, sich zu behaupten: ›Faust‹ oder ›Haltung‹, und ›Haltung‹, hatte ich schon früh im Leben entschieden, war eher mein Ding.

»’n Junkie, also.« Halb Frage, halb Feststellung. Provokation ohne Konfrontation.

Das jetzt zuzugeben hieße unterste Schiene, für mich. Süchtige gelten als leicht zu händeln. Schwach, willensarm, immer bedürftig. Wie lange stand ich jetzt da? Fünf Minuten? Und schon ging es los?

Was willst du, du Arsch mit Maden im Gehirn? Willst du es jetzt schon wissen, Alexander? Jetzt gleich? Kannst du haben … Kannst du …

Ich atmete die gute Luft und tat, als hätte ich die Bemerkung nicht gehört. Betrachtete versonnen die schneebedeckten Gipfel ringsum.

›BTM‹, Kürzel für ›Betäubungsmittel‹ respektive den Verstoß gegen das entsprechende Gesetz, kann durchaus auch Handel bedeuten und somit: Geld, Weiber, Waffen, Autos, Einfluss, bis hin zu einer Bande oder sonstigen Organisation im Rücken.

Was du nicht behauptest, kann man dir nicht widerlegen. Und beredtes Schweigen ist fester Bestandteil von ›Haltung‹.

Wir warteten noch auf unseren Bergführer und irgendeinen mehr oder weniger hochrangigen Politarsch, der eine hoffentlich kurze Ansprache halten wollte. Dann würden wir alle einander vorgestellt werden, das Wachpersonal und der Herr Minister würden sich vom Acker machen, und das Experiment konnte beginnen.

»Sag mal, bist du nicht ein bisschen zu alt für so ’ne Resozi-Maßnahme?« Der Nächste. Um die Dreißig, schmal, mit dem typischen Rattengesicht eines lebenslangen Behörden-Zöglings. Eine kleine Narbe unter dem linken Auge zeigte, wo er sich in einem Anfall von gutem Vorsatz eine tätowierte Knast-Träne hatte wegmachen lassen.

Sobald der Erste versucht, dir ans Bein zu pissen, stellt sich sofort einer dazu und nestelt an seinem Schlitz.

Vielleicht Zeit, ihnen allen mal mein kleines Hackebeilchen zu zeigen … Wie dem verdammten Hausmeister … Wirkt Wunder … Es ihnen allen mal … zeigen …

»Doch«, nickte ich, zustimmend, löste mühsam den Griff um den Griff und zog die Hand ans Licht, um mir eine unsichtbare Fluse vom Ärmel zu schnippen, und Hohn schlich sich in ihr Grinsen – er stimmt zu, er kneift.

»Sie hatten auch erst einen anderen, Jüngeren«, murmelte ich, den Blick bescheiden gesenkt. »Aber der hat dann«, ich hob das Kinn ein bisschen, »kurz vor der Abreise«, und ich schwenkte den Kopf in ihre Richtung, »urplötzlich und völlig überraschend keine Lust mehr gehabt.«

Und damit starrte ich ihnen nacheinander einmal kurz und gerade in die Augen und konnte sie mental einen Schritt zurück machen spüren. Irgendwas war in letzter Zeit mit meinen Pupillen. Selbst Scuzzi wich meinem Blick aus, und der war, verdammt noch mal, mein Freund.

»Zigarette?«, fragte Rattengesicht nach einer Pause, ohne mich direkt anzusehen, und hielt mir seinen Tabaksbeutel hin, und ich lehnte auch bei ihm ab.

Wenn du dich einmal entschieden hast, worauf du machst, dann musst du das durchziehen.

Die Schiebetüre des Hubschraubers wurde nach außen gestoßen und glitt dann zurück. Gleich sechs Personenschützer sprangen heraus, machten eine recht beeindruckende Schau daraus, nicht die Köpfe einzuziehen unter den immer noch pfeifenden Rotoren, und bildeten dann ein nach vorne spitz zulaufendes Spalier für den Herrn Sozialminister des Landes Hessen, dem die Rolle des Sprechers dieser länderübergreifenden Maßnahme zugefallen war. Der Minister winkte beim Aussteigen wenigstens noch leutselig, während seine Schutztruppe in merkliche Unsicherheit verfiel, auf wen sie ein schärferes Auge haben sollte: Die Behinderten, allen voran den beunruhigenden Riesen und die stammelnde Frau, oder uns, die Kriminellen.

»Sieben Kriminelle«, hatte Menden gesagt. »Einer aus jedem Bundesland, das sich zur Teilnahme an diesem Wahnsinn bereit erklärt hat. Die tollste denkbare Resozialisierungs-Maßnahme nach Meinung einiger Spinner in den Ministerien, meiner Ansicht nach dagegen ein gefährliches Spiel mit ungewissem Ausgang. Und deshalb werde ich nicht zulassen, dass eine Gruppe vollkommen unschuldiger Menschen in Begleitung von gleich sieben Schwerverbrechern in die Einsamkeit der Berge entschwindet, ohne zumindest einen V-Mann dabeizuhaben.«

Ein blauer LKW mit dem Schriftzug einer süddeutschen Sendeanstalt kam das schmale Asphaltband hochgeheult, das hier oben in einem Wendekreis endete, hielt mit einem Seufzen der Feststellbremse an, und ein unverkennbar ausstaffiertes Aufnahmeteam quoll aus den Türen. Anglerwesten, Baseballkappen, Overalls, fingerlose Handschuhe, Hosengürtel, behängt mit allem möglichen Gebammel, Brillen mit hochklappbarem Sonnenschutz, Lichtmesser, Stoppuhren und was sonst noch an Riemen um den Hals – kurz, die volle Kostümierung. Ohne viel zu reden, machten sie sich ans Auspacken ihres sonstigen Geräts.

Als Letzte kraxelten, die Röcke geschürzt, zwei Sekretärinnen – Modell ›3-Wetter-Taft‹, aber holla! – aus der Kabine des Hubschraubers, und zwei Rucke gingen durch die beiden untätigen männlichen Gruppierungen. Zwei Rucke aufeinander zu. Wir, Behinderte wie Kriminelle gleichermaßen, machten einen Schritt vor, Richtung geschürzter Röcke, knapp sitzender Kostüme und wetterfester Langhaarfrisuren, und sie, die staatlich bediensteten Schutzbeauftragten, ihre Reihen gefüllt durch die uniformierten Schließer unter Leitung von Kommissar Hufschmidt, machten ebenfalls einen Schritt nach vorn, in unsere Richtung. Das Gleiche noch mal, und wir kamen in die unkomfortable Nähe zueinander, die man für gewöhnlich als ›Armlänge‹ bezeichnet.

Eine gewisse nicht von der Hand zu weisende Spannung lag in der Luft, als der Minister endlich, umschwärmt von einem Kameramann, einem Toningenieur und einer unter ihren Füßen herumwuselnden Meute von Assistenten, das von den beiden Haarspray-Models mit bezauberndem Ungeschick aufgebaute kleine Stehpult erklomm und auf ein Zeichen des Fernsehteams wartete.

»Und warum«, hatte ich die in meinem Beruf häufig als allererste anstehende Frage, nämlich: Warum machen die Bullen den Job nicht? etwas umformuliert, »warum schicken Sie nicht einen von Ihren Leuten mit? Ihn hier zum Beispiel?« Und hatte mit dem Kinn auf Kommissar Hufschmidt gezeigt.

Der Kameramann wuchtete sich sein Arbeitsgerät auf die Schulter, jemand knipste den seitlich daran befestigten Scheinwerfer ein, der Toningenieur setzte sich Kopfhörer auf und hielt eine Schaumstoffmortadella an einem Schwengel in die Höhe, beide nickten, und jemand sagte tatsächlich: »Action!«

Der Minister räusperte sich, begrüßte uns, auch im Namen von … und begann mit einer Danksagung an die beteiligten Bundesländer, was ihm, in Anbetracht auch der vielen zusammengesetzten Namen (Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern usw.) eine hübsche Spanne Redezeit ohne Überanstrengung der Ingenuität einbrachte.

»Ihn? Sehen Sie ihn sich doch an!« Menden war herumgefahren, und wir beide hatten Hufschmidt angestarrt, der bis dahin mit den Händen hinter dem Rücken bequem auf seinen Schuhsohlen vor- und zurückgeschaukelt war, nun aber, überrascht durch die plötzliche Aufmerksamkeit, das Schaukeln einstellte. »Zwei Minuten nichts zu tun, und was macht er? Nimmt die Hände auf den Rücken, weil er sie während der Jahre im Streifendienst nicht in die Taschen stecken durfte, und fängt an zu wippen.«

Die Monotonie der folgenden Aufzählung der beteiligten Ministerien, Haftanstalten, Behinderteneinrichtungen nebst ihren Direktoren oder sonstigen Vorstände brachte eine gewisse Entspannung der Lage mit sich. Will sagen, wir schielten noch, aber wir drängelten nicht mehr. Der eine oder andere gähnte. Zwei hinter mir berieten halblaut unsere Chancen, den Hubschrauber zu kapern. Und, natürlich, die beiden Sekretärinnen als Geiseln zu nehmen. Und dann abzuhauen.

Abhauen, das ewige, ewige, ewige Thema.

Hufschmidt stand inmitten der Uniformierten, Hände auf dem Rücken wie die meisten seiner Kollegen, und wippte sachte vor und zurück. Ich nickte ihm freundlich zu, und nach einem Moment hörte das Wippen auf. Dann kamen die Hände nach vorn. Verschränkten sich vor der Brust.

»Und ich muss noch nicht mal hinsehen«, war Menden fortgefahren, zurück an seinem Fenster, mit einer Hand gegen den Rahmen gestützt, »um zu wissen, dass er jetzt die Arme vor der Brust verschränkt hat.«

Damals wie jetzt kamen die Arme herunter und hingen anschließend etwas ratlos rechts und links von den Schultern wie Socken von der Leine.

»Ich kann in eine fremde Stadt, in ein fremdes Land kommen, irgendwo steht ein Typ in dieser Haltung herum, und ich weiß sofort und mit Bestimmtheit, ganz gleich, was er anhat, und wenn er nackt ist: Polizist

Und Menden hatte Recht. Je mehr man sich mit dem Thema Strafverfolgung beschäftigt, und zwar gleichgültig aus welcher Warte, desto schärfer wird der Blick auf und für ihre ausführenden Organe.

»Manchmal habe ich das Gefühl, die Kriminellen riechen uns«, hatte Menden mit ungewohnter Emphase eingestanden.

Während ich mit aller zur Verfügung stehenden Nonchalance meinen Blick zur Decke wandern ließ.

»Meine Beamten können Pizzaboten darstellen, Hausmeister, Verkehrsbedienstete, Bauarbeiter.«

Ich hätte hier zustimmen können, möglicherweise sollen, doch die Decke hielt meine Aufmerksamkeit gepackt.

»Aber einen inhaftierten Straftäter inmitten eines ganzen Rudels dieser Gestalten zu mimen, hält keiner meiner Leute auch nur fünf Minuten durch.«

Und unsere Blicke waren sich begegnet, gerade als ich ihn mit ›Keine fünf Sekunden‹ verbessern wollte.

»Ein Privatdetektiv wie Sie dagegen …«, hatte er vielsagend geraunt, »mit Ihrer Vergangenheit …«, und sich in einem Lächeln versucht.