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Für Mareike

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Nachdruck 2019


© 2014 by FinanzBuch Verlag

ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

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Redaktion: Werner Wahls

Korrektorat: Desirée Šimeg

Umschlaggestaltung: Pamela Machleidt

Umschlagsfoto: Dieter Mayr Photography

Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern
Druck: Books on Demand, Norderstedt
Printed in Germany

 

ISBN Print 978-3-89879-749-8

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86248-352-5

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86248-353-2

 

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Inhalt

Titel
Widmung
Impressum
Inhalt
Einleitung
Wie dieses Buch entstand
Was die Samwers so interessant macht
1. Alles dreht sich um die Familie
Marc Samwer – der charmante Erstgeborene
Oliver Samwer – das Sandwich-Kind mit dem Siegeswillen
Alexander Samwer – Nesthäkchen mit intellektueller Genialität
Elitestudenten und die zentrale Rolle der WHU
»America’s most successful Startups«
2. Alando – das attraktivste Geschäftsmodell der Welt
Die erste Samwer-Gründung nimmt ihren Betrieb auf
Geschäftswachstum in einem umkämpften Segment
Exit & Nachgang
3. Jamba – Vom Handyportal zur Klingeltonschleuder
Auf der Suche nach einem Geschäftsmodell
Jamba und die Sparabos
273 Millionen Dollar später überschreitet Jamba seinen Zenit
4. Der EFF – vom Gründer zum Investor
Der European Founders Fund entsteht
Erst Auswanderer, dann Passivorgan
5. Rocket Internet – die Anfänge
Auf dem Weg zum ersten deutschen Inkubator
Edarling wird das erste Großprojekt nach dem EFF
6. Die Ära Groupon
Wie die Samwers das für sie wichtigste Modell entdeckten
Samwer sei Dank – Aufstieg in den Umsatz-Olymp
Samwers ade – Abstieg in den Börsenkeller
7. Zalando – die Entstehung eines E-Commerce-Riesen
Alle Zeichen stehen auf Wachstum
Internationalisierung: Zalando wird zum E-Commerce-Schlachtschiff
8. Rocket Internet – der weltweite Rollout
Eine Fokusänderung mit Folgen
E-Commerce global – das Glossybox-Experiment
Rocket wird vom Mittelständler zum Konzern
Rockets neue Säulen für das internationale Parkett
9. Wohin geht die Reise für Rocket Internet und die Samwers?
Ein Imperium auf Pump?
Ein Ausblick: Was war und was vielleicht noch kommt
Über den Autor
Anhänge
Anhang 1: Personenverzeichnis
Anhang 2: Glossar
Anhang 3: Quellenverzeichnis
Anhang 4: Überblick über die Personen des Netzwerks der ersten Samwer-Gründungen
Anhang 5: Alphabetische Liste aller bekannten Investments der Samwers (Stand 08/2014)
Anhang 6: Alphabetische Liste aller bekannten Gründungen und Beteiligungen von Rocket Internet (Stand 08/2014)
Anhang 8: Alphabetische Liste aller bekannten Samwer-Pleiten (Stand 08/2014)
Anhang 9: Oliver Samwers kontroverse Blitzkrieg-E-Mail
Anhang 10: Übersicht über alle Zalando-Beteiligungsvorgänge bis 2013
Anhang 11: Übersicht über Zalandos Eigenmarken
Anhang 12: Finanzpartnerschaften von Rocket Internet
Anhang 13: Markbetrachtung zum Amazon-Klon Lazada
Anhang 14: Finanzierungsübersicht zum Big-Commerce-Verbund
Anhang 15: Übersicht über die Beteiligungsvorgänge in Rockets internationalem Portfolio (Auszug)
Danksagung
Anmerkungen

Einleitung

Die Geschichte der Samwers ist in vielerlei Hinsicht eine Geschichte der Superlative: In ihren rund 15 Jahren als Gründer und Investoren zahlreicher Internetfirmen haben die drei Brüder Alexander, Marc und Oliver Samwer mehr als 100 Unternehmen ins Leben gerufen, mit denen sie in über 50 Ländern aktiv wurden und gut 25.000 Angestellten eine berufliche Heimat gaben. Erfolgreich waren sie mit dem deutschen Ebay-Klon Alando, dem leicht nervigen Klingeltonanbieter Jamba, der Gutscheinplattform Groupon, der Datingbörse Edarling oder dem E-Commerce-Riesen Zalando. So gelang es den Samwers auch, für ihre Belange von den namhaftesten Geldgebern der Welt Investitionsgelder von rund drei Milliarden Dollar einzuwerben.

Ihre Firmenschmiede Rocket Internet brachten sie 2014 erfolgreich an die Börse und vermochte es, immer wieder hochkarätige Investoren mit hohen Beteiligungen zu gewinnen. Neben dem philippinischen Telefonprovider PLDT und dem Internet-Konzern United Internet (1&1, Web.de, GMX), die entgegen aller bürokratischen Hürden jeweils 333 sowie 435 Millionen Euro beisteuerten, erwarb auch die Holtzbrinck-Gruppe Anteile an Rocket Internet und trieb den Wert der Gründungsfabrik damit auf gigantische fünf Milliarden Euro (Zum Vergleich; Axel Springer verfügt über eine Marktkapitalisierung von rund 4,6 Mrd., Stand: 30. Juni 2014). Ein exorbitanter Wert angesichts noch oft roter Zahlen in den einzelnen Unternehmen der Samwers. Aber auch ein Beleg, wie stark das Vertrauen in die Samwers bei vielen erfahrenen Geldgebern ist und dass es das Brüdertrio schon immer vermochte, sich teuer zu verkaufen. Dafür sorgten nicht zuletzt ihre zahlreichen Gründungserfolge. Aber auch als Investoren in fremde Geschäftsideen überzeugte das Trio weitgehend. Seit dem Beginn ihres Schaffens partizipierten sie als Geldgeber an Dutzenden Firmenverkäufen wie etwa StudiVZ, Trivago oder LinkedIn.

Und diese Erfolge sind in vielerlei Hinsicht hart erarbeitet. Bis heute sind die Samwers in einzigartiger Weise in der Lage, Unternehmen rasant schnell zu Umsatzmaschinen auszubauen und mit unterschiedlichen Erfolgsunternehmen Wirtschaftsgeschichte zu schreiben. Ihr akribisch-systematisches und strikt datengesteuertes Vorgehen machte das Gründen eines international agierenden Internetunternehmens zu einem Akt weniger Tage und etablierte ein globales Geflecht aus Wachstumsunternehmen, das weltweit die Internetbranche aufrüttelte – bis hin in entlegene Regionen wie Südostasien, Südamerika oder Afrika.

Dann ist da aber auch die andere Seite der Samwers, jener gefühlskalte und berechnende Umgang, durch den die Samwers in der Lage sind, jede Transaktion zu ihrem persönlichen Vorteil auszunutzen, indem sie andere gekonnt manipulieren und ihnen das Gefühl geben, ihnen ihre Wünsche erfüllen zu können. Glaubt man den Ausführungen zahlreicher ehemaliger Weggefährten, sind Menschen für sie oft nur ein Kalkulationsgut in ihren Berechnungen zu unternehmerischem Erfolg. Vor allem Oliver Samwer genießt den Ruf, Angestellte und Partner durch seine aggressive Art an ihre emotionalen und gesundheitlichen Grenzen zu führen, um sie für seine Zwecke auszu­pressen. Immer wieder heißt es, dass Mitstreiter schnell fallen gelassen würden, sobald sie den Samwers keinen Nutzen mehr bringen. Alles und jeder – auch die drei Brüder selbst – werden in der Samwer-Maschine gänzlich dem unternehmerischen Erfolg untergeordnet. Und wenn dieser ausbleibt, sind cholerische Wutanfälle, während derer Gegenstände nach anderen geworfen oder selbst gestandene Manager dazu gebracht werden, weinend aus einem Meeting zu flüchten, vermeintlich keine Seltenheit. So erzählt man es sich zumindest insbesondere von Oliver Samwer, der so etwas wie den Anführer des Dreigespanns markiert, und dessen Gespür für soziale Konventionen praktisch vollständig zu fehlen scheint. Ihm eilt der Ruf voraus, sich nicht an gemeingültige Regeln zu halten, des Öfteren seine Versprechen zu brechen und ein hohes Maß an Rücksichtslosigkeit und Skrupellosigkeit aufzuweisen.

Wie viel von diesem Negativruf berechtigt ist und ob diese zwei Mentalitäten der Samwers vielleicht sogar ihren Erfolg begründen, bleibt an vielen Stellen Spekulation. Dennoch gelang es ihnen, einer ganzen Branche ihren ­Stempel aufzudrücken und es so nicht nur zu großem Reichtum und weltweiter Bekanntheit in ihrem Metier zu bringen, sondern dem Unternehmensbegriff im digitalen Zeitalter auch eine völlig neue Ausprägung zu verleihen. Die Samwers haben es verstanden, die Technologie der Gegenwart mit zahlreichen Unternehmertugenden zu einer explosiven Mischung aus Tempo, ­Aggressivität und Wachstum zu verbinden. Kurzum: Die Samwers, allen ­voran Oliver, dürfen wohl als einige der größten deutschen Gründerpersönlichkeiten der letzten 100 Jahre gelten. Sie bilden in vielerlei Hinsicht aber auch eine kompakte Manifestation vieles Schlechten in der Geschäftswelt. Ein Sinnbild dessen, was bei Unternehmern so oft falsch zu laufen scheint und Menschen in einen Strudel der Destruktivität zieht. Wahre Geldhaie, die immer gerade noch im Rahmen der Legalität arbeiten und oftmals andere die Verantwortung für ihre Taten übernehmen lassen.

Wer sich für die Samwers interessiert, wird mit dieser kontrovers betrachteten Ambivalenz, die die Samwers begleitet, zwangsläufig konfrontiert werden. Dennoch sind sie es, die mit dieser explosiven Kombination das Internet-Business wie kaum jemand anderes aufgerüttelt haben und deren Geschichte gleichermaßen mit unglaublichen Erfolgen wie aberwitzigen Machenschaften gepflastert ist. Wer sich aus wirtschaftlicher Sicht mit dem Internet auseinandersetzt, kommt an den drei Samwer-Brüdern nicht vorbei. Oliver Samwer und seine Brüder haben die deutsche Gründerszene geprägt und dürfen mit zahlreichen Gründungserfolgen ohne Frage als die erfolgreichsten Web-Unternehmer Deutschlands – wahrscheinlich sogar Europas, wenn nicht der Welt – gelten. Sie sind damit unumwunden so etwas wie die Paten des Internets.

Dieses Buch nimmt Sie deshalb mit auf eine Reise, bei der Sie diese drei Gründerpersönlichkeiten mit ihren so unterschiedlichen Gesichtern kennenlernen. Sie werden erfahren, was diese Gründergenies auszeichnet und warum die dunkle Seite des Geldhais einfach dazugehört. Sie werden im Folgenden sehen, dass die Entwicklung der Samwers kein Zufall war, sondern eine Geschichte der Superlative mit System. Es ist eine Geschichte, die von der (zugegebenermaßen späten) Teilhabe an Jahrhundertgründungen wie ­Facebook oder LinkedIn und der Schaffung von Wachstumsunternehmen wie Zalando oder Groupon geprägt ist – eine Zeit, während derer die Samwers eine ganz eigene Erfolgsmethode entwickelten, die sie zu Milliardären und einflussreichen Akteuren im Internetkosmos machte. Was diese Erfolgsmethode auszeichnet und wie sich Oliver Samwer und seine Brüder zu den erfolgreichsten Internetgründern der Gegenwart entwickelten, ist Teil jener Reise, auf die ich Sie mit diesem Buch mitnehmen möchte.

Für mich selbst begann dieses Kapitel im März 2009, als ich auf Umwegen zum Chefredakteur von Gründerszene wurde, einem kleinen Blog des Internetunternehmers Lukasz Gadowski, den dieser über drei Jahre mit viel Liebe gepflegt und immer weiter ausgebaut hatte und den ich dank eines ambitionierten Teams in den nächsten vier Jahren zu einem der relevantesten Magazine zum Thema Internetwirtschaft in Deutschland auszubauen half. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, dass dem Schaffen der Samwers in diesen vier Jahren stets ein Großteil meiner Aufmerksamkeit gewidmet war, zumal sie mit ihren Gründungen die Szene prägten und durch ihr kontrovers beurteiltes Vorgehen gleichzeitig viel Stoff für Kritik boten.

Wie dieses Buch entstand

Ich war in einer Zeit zu Gründerszene gestoßen, als das Internetgeschäft in Deutschland nach wie vor die Folgen der geplatzten Internet-Spekulationsblase zu spüren bekam. Der Szene wurde mit Skepsis begegnet, und eine Handvoll Unternehmer hatten die weitgehend am Boden liegende, nahezu familiäre Branche zu großen Teilen unter sich aufgeteilt. Da die Samwers zu jenen wenigen Akteuren zählten, die diesem Trend antizyklisch begegneten, indem sie fleißig in deutsche Start-ups investierten, war ihnen eine wichtige Rolle in dieser Übergangsphase sicher. Mit der Zeit hatten sich insbesondere an Deutschlands wohl bedeutendstem Internetstandort Berlin unterschiedliche Lager herausgebildet, die sich einerseits aus gewachsenen Personen-Netzwerken speisten, sich andererseits aber auch an der Frage entzweiten, ob es verwerflich sei, wenn sogenannte »Copycats«, Kopien erfolgreicher Internetfirmen, ihren Machern viel Geld bescherten.

Nachdem ihre ersten Gründungsvorhaben noch sehr idealistisch und von einer tiefen Zuneigung zum Silicon Valley geprägt waren, hatte der wirtschaftliche Erfolg die Samwers ins Lager der Copycat-Anhänger gedrängt. Wie Sie später noch sehen werden, ist den drei Samwer-Brüdern ein ausgemachter Hang zu Systematik und Geschwindigkeit zu eigen, weshalb das Ausrollen von Internetgeschäftsmodellen nach Blaupause für sie zum primären Betätigungsfeld wurde. Sie waren es, die das systematische Erzeugen von Firmenklonen für Deutschland quasi erfanden. Und es überrascht wohl nicht, dass der Ruf der Samwers daher äußerst umstritten ist. Zwar lassen sich ihre unternehmerischen Erfolge nicht von der Hand weisen, doch durch ihre dreisten Kopiermethoden und ihr oft rücksichtsloses Vorgehen haben sie sich viele Kritiker geschaffen. Immer wieder haben die Samwers durch das direkte Kopieren von Geschäftsideen auf sich aufmerksam gemacht und ihre Mitarbeiter ohne mit der Wimper zu zucken wieder vor die Tür gesetzt, wenn eine dieser Kopien nicht wirklich zünden wollte.

Jene Faszination und der Wunsch, ein gründliches Bild der deutschen Internetbranche insgesamt vorzulegen, haben mich zu diesem Buch motiviert. Das liegt auch daran, dass sich das Bild, das Gründerszene von den Samwers hatte, zusehends wandelte. Zum einen hatten sich durch die kritische, aber sachliche Berichterstattung des Magazins mit der Zeit solide Beziehungen zu zahlreichen hochrangigen Samwer-Mitarbeitern entwickelt, die durch ihren regen Austausch halfen, ein vollständigeres Bild von den Aktivitäten der Samwers zu zeichnen. Zum anderen wandelte sich das Vorgehen des Trios selbst. Waren sie zunächst vom banalen Kopisten zu ausgemachten Klonhelden aufgestiegen, folgte schon bald ein weltweiter Kreuzzug in exotische Entwicklungsnationen. Mir liegt deshalb am Herzen, die Entwicklung der deutschen Internetbranche einer breiteren Leserschaft nahezubringen und die Geschichte der Samwers in diesem Kontext zu erzählen. Ich möchte ihre Leistungen in einer Weise aufzeigen, die Verständnis für ihr Vorgehen vermittelt und gleichermaßen Raum lässt für all die skurrilen Anekdoten über die Brüder, die einen entweder schmunzeln oder den Kopf schütteln lassen.

Material dafür gibt es genug: Vier Jahre lang gehörte die Arbeit dieser drei Internetverrückten zu meinem Alltag. Ich berichtete über Eskapaden gleichermaßen wie über Geniestreiche und war Zeuge ihres schier grenzenlosen Erfolgshungers. Über ein Jahr lang führte ich anschließend intensive Hintergrundgespräche mit Dutzenden ehemaliger und aktiver Samwer-Funktionäre, wälzte Tausende Seiten in Börsendokumenten und Firmenunterlagen, bereitete die Befunde aus meiner journalistischen Tätigkeit auf und rezipierte auch sonst jeden Beitrag, jedes Interview und jeden Artikel, den ich zu den Samwers finden konnte. Ich trat in Dialog mit den Samwers und versuche nun jenes Bild zu zeichnen, mit dem sich das große Ganze nachvollziehen lässt und das auch anderen eine Anleitung für die Verwirklichung ihrer unternehmerischen Träume sein kann. Denn von den Samwers lässt sich so einiges lernen: wie sich wirtschaftlicher Erfolg einstellen kann und um welchen Preis dieser Erfolg durchgesetzt wird.

Was die Samwers so interessant macht

Bereits seit einigen Jahrzehnten blickt Deutschland auf eine Historie aus vielen erfolgreichen Einzelhandelsunternehmen wie Aldi, Lidl, Tengelmann, Rewe, Otto, dm oder Rossmann zurück – Firmendynastien, hinter denen erfolgreiche Unternehmer stecken, die das Antlitz der deutschen Wirtschaft prägten, den Aufschwung der Bundesrepublik begleiteten, sich aber trotzdem mit dem digitalen Geschäft nach wie vor schwertun. Wie kommt es, dass drei Brüder aus Köln all diesen Superreichen, diesen Urgesteinen des Handels, vormachen, wie das Verkaufen zur Zeit des Internets funktioniert? Denn die Samwers mauserten sich als Macher hinter Deutschlands erfolgreichstem E-Commerce-Unternehmen Zalando zu waschechten Händlern und passen inzwischen in diese Reihe prominenter Einzelhändler. Sie sind es, die mittlerweile die Zukunft des Handels gestalten und damit zu einer Art »Aldi-Brüder der Gegenwart« avancieren. Mit Zalando erbrachten sie den Beweis, dass sie zu den ersten deutschen Unternehmern zählen, die auch mit den veränderten Marktmechanismen des Internets in der Lage sind, einen relevanten Einzelhandel zu etablieren. Alexander, Marc und Oliver Samwer sind nichts Geringeres als die ersten relevanten Gründerpersönlichkeiten seit der Entstehung von SAP. Sie gehören in eine Reihe erfolgreicher Unternehmerdynastien, zu denen Konzerne wie die Otto-Gruppe, der Springer-Verlag, das Familienunternehmen Tengelmann, das Albrecht-Imperium, der Siemens-Konzern oder eben SAP und einige andere zählen.

Und dabei haben sie nicht nur im Technologiesegment Erfolg, sie treten gleichzeitig das Erbe erfolgreicher Händlerdynastien an. Der Themenkomplex Samwer ist durch deren unternehmerische Vision und die damit verbundene inhaltliche Brisanz nicht nur spannend und kontrovers, sondern auch mysteriös. Gleichzeitig sind die Samwers der breiten Bevölkerung bisher kaum bekannt, obwohl ein Großteil der Bundesbürger bereits Kontakt mit ihren Produkten hatte.

Immer wieder ist in den Medien zu hören, dass die Deutschen, sonst das Volk der Dichter und Denker, im Internet- und Technologiebereich keine Rolle spielten. Dabei haben die Samwers mit ihrem Großprojekt Rocket Internet längst einen Weltmarktführer etabliert, der wirtschaftliche Erfolge feiert und weltweit das Gründungsgeschehen systematisch dominiert. Gleichzeitig drängen sich unterschiedliche Fragen auf: Was genau ist das Erfolgsgeheimnis der Samwers und ist es replizierbar? Bedarf es bestimmter negativer Charakterzüge, um derart erfolgreich zu sein? Wie sähe ihre Schaffenskraft aus, wenn sie ohne diese destruktiven Komponenten agierten?

Um es vorwegzunehmen: Das System Samwer funktioniert nach bestimmten Gesetzen, die einander bedingen und deren Funktionieren nicht mehr gewährleistet wäre, würde ein Element fehlen. Auch andere Erfolgsgründer der letzten 100 Jahre waren sicherlich keine Engel. Aber im Gegensatz zu vielen von ihnen scheren sich die Samwers herzlich wenig um ihr Bild in der Öffentlichkeit, was ihnen ein wenig den typisch deutschen Unternehmerschliff verleiht. Es ist daher auch so schwer, sie für ein Interview zu gewinnen, geschweige denn ein Buchprojekt zu ihnen zu starten. Trotzdem möchte ich diese Gesetze, nach denen das Samwer’sche Unternehmen funktioniert, mit Ihnen betrachten und anhand der unterschiedlichen Schaffensperioden der Samwers nachzeichnen. Nachdem Sie dieses Buch gelesen haben, werden Sie deshalb nicht nur in der Lage sein, das Erfolgsgeheimnis der Samwers nachzuvollziehen, sondern auch einen wesentlichen Teil der deutschen Internetgeschichte kennengelernt haben. Sie werden Ihre ganz eigenen Lehren aus dem Schaffen der Samwers ableiten können und auf Basis ausführlicher Analysen der unterschiedlichen Geschäftsmodelle ein Verständnis davon gewinnen, wie sich heutzutage im Internet Geld verdienen lässt. Dieses Buch ist deshalb sowohl als Biografie der Samwer-Brüder als auch als Dokumen­tation gedacht und soll Ihnen helfen, das abstrakte Feld der Internetwirtschaft besser zu verstehen. Sie können mir glauben: Vieles davon liest sich eher wie ein Krimi denn ein Sachbuch.

Oliver Samwer ist es, dem in diesem Konstrukt die Anführerrolle über zwei nicht minder hochbegabte Brüder zukommt. Er ist jener grandiose Umsetzer, der es vermag, tiefgehende Analysen mit gekonnter und messbarer Marketing-Power zu verbinden, dessen Intelligenz und operatives Geschick weit über den Durchschnitt hinausgehen und der nicht nur schnell im Kopf, sondern auch schnell in der Umsetzung ist. Ein Mann, der sich körperlich bis an die Grenzen der Belastbarkeit tastet und einen gewissen Masochismus zeigt, wenn es darum geht, (über andere) zu triumphieren. Dem es gleichzeitig aber auch an einem moralischen Kompass oder einer für Unternehmer üblichen Wirtschaftsethik fehlt. Der unbedingte Wille zu gewinnen ist es, der ihn antreibt und ihn oftmals zu einer gewissen Kurzfristigkeit drängt.

Stellen Sie sich Oliver Samwer und seine Brüder auf einem dreidimensionalen Kontinuum aus Umsetzungsstärke, strategisch-analytischer Intelligenz und überbordendem Verkaufstalent vor. Während Alexander Samwer den höchsten Grad an Intelligenz und Strategiegespür aufweist und Marc Samwer insbesondere durch sein Verkaufsgeschick zu überzeugen weiß, füllt Oliver Samwer alle drei Dimensionen aus und arbeitet wie eine menschgewordene Umsetzungsmaschine. Fragt man Mitstreiter des Clans, ist er es, dem die meisten eine ähnlich erfolgreiche Karriere zutrauten, auch ohne seine Brüder. Die Kehrseite von Oliver Samwers operativer Exzellenz liegt allerdings darin, dass sein unbedingter Siegeswille bei ihm jene Kurzfristigkeit des Handelns hervorruft, die dem eher besonnenen Alexander Samwer ­dagegen weitest­gehend fremd ist. So erklärt sich auch, warum dem unglaublichen Erfolg auf wirtschaftlicher Ebene nicht selten ein moralischer Verfall auf gesellschaftlicher Ebene gegenübersteht.

Als Brüder sind sich die Samwers dennoch weitgehend ähnlich. Sie alle sind bestens ausgebildete Gewinnertypen, die es durch ihr einnehmendes Wesen und eine gute Erziehung vermögen, jeden Menschen für sich zu gewinnen. Die Samwers sind so etwas wie die Paten einer Branche, und der Wille zu gewinnen zählt zu ihren wesentlichen Antriebsmotoren. Sie alle verbindet ihre hohe Intelligenz, ein charismatisches Wesen und ein trotz ihrer analytischen Fähigkeiten ausgeprägter Opportunismus sowie ein nicht zu verachtender Hang zum Pragmatismus. Jeder Samwer bringt seine eigene Vorgehensweise mit, zusammen aber bilden sie eine kompakte, fein abgestimmte Einheit, die jede Angelegenheit mit sich selbst ausmacht und niemanden zwischen sich lässt.

Alle diese Eigenschaften – besonders jener unbedingte Siegeswille – sind es, die Sie bei der Lektüre dieses Buches im Hinterkopf behalten sollten, denn sie werden Ihnen das Verständnis zum Vorgehen der Samwers eröffnen.

Am Ende dieses Buches finden Sie in Anhang 2 ein Glossar, das die wesentlichen Fachbegriffe der Internetbranche erklärt. Da die Szene der Samwers ihre ganz eigene Sprache spricht, lege ich Ihnen ans Herz, sich vor der Lektüre mit einigen zentralen Begriffen wie »Venture Capital«, »Geschäftsmodell« oder »Skalierung« vertraut zu machen. Das wird Ihnen das Verständnis der Materie erleichtern und gleichzeitig die Tür zum Denken der Samwers öffnen. Denn das ist vor allem durch die Faktoren Geschwindigkeit und Skalierung angetrieben.

Joël Kaczmarek im August 2014