ZWEI
3. SEPTEMBER 2010
4.16 UHR MORGENS
Wo bin ich?
Was ist passiert?
Ich atme flach und will mich bewegen, aber mein Körper gehorcht mir nicht, meine Finger rühren sich nicht.
Endlich öffne ich die Augen. Sie tun weh. Ich kann nicht schlucken, so trocken ist meine Kehle.
Es ist dunkel.
Irgendwer ist da bei mir. Oder irgendwas. Es macht ein donnerndes Geräusch wie Hämmer, die auf Eisen schlagen. Ich spüre das Vibrieren in Zähnen und Knochen, ich bekomme Kopfschmerzen davon.
Das Geräusch – knirschendes, kreischendes Metall – ist überall: draußen, in der Luft, um mich herum, in mir.
Schmerz.
Plötzlich ist er da.
Durchdringend, quälend. Als er mir erst mal bewusst wird, ich ihn spüre, gibt es nur noch ihn.
***
Er weckt mich: ein nagender, bohrender Schmerz in meinem Kopf, ein Pochen in meinem Arm. Ganz eindeutig ist etwas in meinem Körper kaputt. Ich will mich bewegen, doch es tut so weh, dass ich ohnmächtig werde. Als ich wieder aufwache, versuche ich es noch einmal, atme mühsam, und Luft rasselt durch meine Lungen. Ich schmecke mein eigenes Blut und spüre, wir es mir den Hals hinunterrinnt.
Hilfe, will ich sagen, aber die Dunkelheit schluckt meinen schwachen Versuch.
ÖFFNENSIEDIEAUGEN.
Ich kann nicht. Es geht nicht.
SIELEBT.
Jemand schreit Wörter.
NICHTBEWEGEN.
Um mich herum verändert sich die Dunkelheit, verschiebt sich, und wieder explodiert der Schmerz. Ein Geräusch – halb Kreissäge, halb Kinderkreischen – umhüllt mich. In meiner Dunkelheit tanzen Funken wie Glühwürmchen, und das macht mich traurig. Und müde.
EINSZWEIDREIHOCH.
Ich spüre, wie kalte, unsichtbare Hände mich ziehen und heben. Vor Schmerz schreie ich, aber der Schrei wird sofort verschluckt, oder ist er nur in meinem Kopf?
Wo bin ich?
Ich stoße hart gegen etwas und schreie auf.
SCHONGUT.
Ich sterbe.
Diese plötzliche Erkenntnis raubt mir den Atem.
Ich sterbe.
***
3. SEPTEMBER 2010
4.39 UHR MORGENS
Johnny Ryan schrak hoch und dachte: Irgendwas stimmt nicht. Er setzte sich auf und schaute sich um.
Aber er sah nichts, nichts Ungewöhnliches.
Er war in seinem Arbeitszimmer zu Hause, auf Bainbridge Island. Wieder einmal war er bei der Arbeit eingeschlafen. Der Fluch eines alleinerziehenden Vaters. Da der Tag nicht genügend Stunden hatte, um alles zu erledigen, stahl er sie von der Nacht.
Er rieb sich die müden Augen. Neben ihm zeigte ein Computermonitor das Bild eines mageren Straßenjungen unter einem flackernden Neonschild, der eine bis zum Filter heruntergerauchte Kippe in der Hand hielt.
Johnny hatte sich die Aufnahmen über Kevin, den Jungen mit dem Straßennamen Frizz, unzählige Male angesehen und wusste immer noch nicht, wo er herkam und wer auf ihn wartete und sich Sorgen machte.
Johnny war elterliche Sorge nur zu vertraut. Er wusste, wie ein Kind sich entziehen und plötzlich verschwinden konnte. Deshalb arbeitete er ja Tag und Nacht an einer Dokumentation über Straßenkinder. Vielleicht – wenn er nur lange genug suchte und Fragen stellte – würde er sie finden.
Doch keins der Mädchen, die er bei seinen Aufnahmen gesehen hatte, war Marah. Marah war weggelaufen und verschwunden. Er wusste nicht mal, ob sie noch in Seattle war.
Er löschte das Licht im Arbeitszimmer und ging durch den dunklen, stillen Flur. Manchmal blieb er stehen und folgte der Spur der Familienfotos an der Wand, ließ sich von ihnen in eine glücklichere Zeit locken. Manchmal erlaubte er sich, vor dem Bild seiner Frau innezuhalten und sich in dem Lächeln zu verlieren, das seiner Welt früher Licht und Farbe gegeben hatte.
Aber heute ging er einfach weiter.
Erst am Zimmer seiner Söhne blieb er stehen und schob die Tür auf. Das tat er jetzt immer: zwanghaft nach seinen elfjährigen Zwillingen sehen. Wenn man erst einmal erfahren hatte, wie schnell und schlimm es bergab gehen konnte, versuchte man das zu schützen, was einem geblieben war.
Sie waren da und schliefen.
An Marahs Zimmer blieb er nicht stehen. Es tat zu weh, ihr Teenagerzimmer zu sehen, das noch genauso war, wie sie es zurückgelassen hatte.
Auf dem Weg zum Bad streifte er sein Hemd ab und warf es in den Wäschekorb. Dann sah er sich im Spiegel. An manchen Tagen dachte er bei seinem Spiegelbild: Nicht schlecht für fünfundfünfzig. An anderen – wie heute – dachte er: Im Ernst?
Er sah … traurig aus. Vor allem die Augen. Seufzend drehte er die Dusche auf, stellte sich unter das kochend heiße Wasser und ließ sich alle Gedanken fortspülen. Danach fühlte er sich besser, bereit, es mit dem Tag aufzunehmen. Es war zu spät, noch ins Bett zu gehen. Er trocknete sich die Haare ab und zog ein altes Nirvana-T-Shirt und verschlissene Jeans an. Als er wieder zum Flur ging, klingelte das Telefon.
Der Festnetzanschluss.
Er runzelte die Stirn. Es war das Jahr 2010, da rief kaum jemand noch über Festnetz an.
Und schon gar nicht um kurz nach fünf morgens. Um diese Zeit konnte es nur jemand mit schlechten Nachrichten sein.
Marah.
Er stürzte zum Telefon und meldete sich. »Hallo?«
»Ist dort Kathleen Ryan?«
Diese verdammten Telefonverkäufer! Aktualisierten die nie ihre Daten?
»Kathleen Ryan ist vor fast vier Jahren gestorben. Sie müssen sie aus Ihrem Verteiler nehmen«, sagte er knapp. »Wer spricht denn da?«, fragte er dann ungeduldig nach.
»Officer Jerry Malone. Von der Polizei in Seattle.«
Johnny runzelte die Stirn. »Und Sie wollen mit Kate sprechen?«
»Es gab einen Unfall. Das Opfer hatte Kathleen Ryan als Notfallkontakt angegeben.«
Johnny ließ sich auf die Bettkante sinken. Auf der ganzen Welt gab es nur einen Menschen, der Katie noch als Notfallkontakt angeben würde. Was zum Teufel hatte sie jetzt wieder verbrochen? »Es geht um Tully Hart, stimmt’s? War es Trunkenheit am Steuer? Dann …«
»Das weiß ich nicht, Sir. Miss Hart wird gerade ins Sacred Heart Hospital gebracht.«
»Wie schlimm ist es?«
»Auch das weiß ich nicht, Sir. Sie müssten mit jemandem vom Krankenhaus sprechen.«
Aber nachdem Johnny aufgelegt, die Nummer des Krankenhauses gegoogelt und es erreicht hatte, dauerte es noch mindestens zehn Minuten, bis er jemanden am Telefon hatte, der seine Fragen beantworten konnte.
»Mr Ryan?«, fragte die Frau. »Verstehe ich das richtig, dass Sie zu Miss Harts Familie gehören?«
Er zuckte zusammen. Wie lange war es her, dass er mit Tully auch nur gesprochen hatte?
Machte er sich nichts vor: Er wusste genau, wie lange es her war.
»Ja«, antwortete er. »Was ist passiert?«
»Einzelheiten weiß ich noch nicht, Sir. Nur, dass sie jetzt auf dem Weg zu uns ist.«
Er blickte auf seine Uhr. Wenn er sich beeilte, erwischte er noch die Fähre um 5.20 Uhr und konnte in einer knappen Stunde am Krankenhaus sein. »Ich komme, so schnell ich kann.«
Kaum hatte er aufgelegt, nahm er sich seine Brieftasche und wählte eine andere Nummer. Während er sich einen Pullover schnappte, ertönte der Rufton – so lange, dass ihm unangenehm bewusst wurde, wie früh am Morgen es war.
»Hallo?«
»Corrin, tut mir leid, dass ich so früh anrufe, aber es handelt sich um einen Notfall. Kannst du die Jungs abholen und zur Schule bringen?«
»Was ist denn los?«
»Ich muss zum Krankenhaus. Es gab einen Unfall. Ich will die Jungs nicht allein lassen, habe aber keine Zeit, sie zu dir zu bringen.«
»Keine Sorge«, sagte sie. »Bin in einer Viertelstunde da.«
»Danke«, erwiderte er. »Du hast was bei mir gut.« Dann eilte er den Flur hinunter und stieß die Tür zum Zimmer der Jungen auf. »Los, Jungs, anziehen. Auf der Stelle.«
Langsam setzten sie sich auf. »Was?«, sagte Wills.
»Ich muss weg. Corrin holt euch in einer Viertelstunde ab.«
»Aber …«
»Kein Aber. Ihr geht zu Tommy. Kann sein, dass Corrin euch auch vom Fußballtraining abholt. Ich weiß noch nicht, wann ich wieder nach Hause komme.«
»Was ist denn los?«, fragte Lucas und verzog besorgt sein verschlafenes Gesicht. Diese Jungen hatten schon Erfahrungen mit Notfällen, und Routine bot für sie Trost. Vor allem für Lucas. Er war wie seine Mutter, ein Kümmerer, der sich ständig sorgte.
»Nichts«, antwortete Johnny knapp. »Ich muss nur in die Stadt.«
»Er hält uns noch für Babys«, bemerkte Wills und schlug die Bettdecke zurück. »Los, Skywalker.«
Lucas stand auf, kam zu Johnny und sah ihn unter seinem wirren braunen Haarschopf an. »Geht’s um Marah?«
Natürlich dachten sie direkt daran. Wie oft waren sie ins Krankenhaus geeilt, um ihre Mom zu sehen. Und Marah war damals weiß Gott keine Hilfe gewesen. Sie hatten sich alle Sorgen um sie gemacht.
»Marah geht’s gut. Es ist Tully.«
»Was ist denn mit Tully?«, fragte Lucas ängstlich nach.
Sie liebten Tully über alles. Wie oft hatten sie ihn im letzten Jahr angefleht, sie zu besuchen? Wie oft hatte Johnny eine Ausrede erfunden? Jetzt kam Schuldgefühl in ihm auf.
»Ich weiß noch nichts Genaues, sag euch aber so schnell wie möglich Bescheid«, versprach er. »Seid schulfertig, wenn Corrin kommt, ja?«
»Wir sind doch keine Babys mehr, Dad«, erwiderte Wills.
»Rufst du uns nach dem Fußball an?«, wollte Lucas wissen.
»Das mach ich.«
Er küsste sie zum Abschied und nahm seine Wagenschlüssel vom Flurtisch. Dann warf er ihnen einen letzten Blick zu: Zwei identisch aussehende Jungen, die dringend einen Haarschnitt brauchten, standen dort mit Boxershorts und überdimensionalen T-Shirts und sahen ihn besorgt an. Dann ging er hinaus zu seinem Wagen. Schließlich waren sie schon elf; da konnte man sie ruhig mal allein lassen.
Um Punkt zehn nach sechs bog er auf den Krankenhausparkplatz ein und parkte unter dem grellen Licht einer Laterne. Da die Sonne erst in einer halben Stunde aufgehen würde, lag die Stadt noch im Dunkel.
Er betrat das allzu vertraute Krankenhaus und ging mit großen Schritten zur Information.
»Tallulah Hart«, sagte er grimmig. »Ich gehöre zur Familie.«
»Sir, ich …«
»Ich möchte über ihren Zustand in Kenntnis gesetzt werden, und zwar auf der Stelle.« Das klang so schroff, dass die Frau zusammenzuckte, wie von einem leichten Stromschlag getroffen.
»Oh«, sagte sie. »Ich bin gleich wieder da.«
Darauf trat er vom Empfangsschalter zurück und fing an, unruhig hin und her zu gehen. Gott, wie er dieses Krankenhaus mit seinen Gerüchen hasste!
Schließlich ließ er sich auf einen unbequemen Kunststoffstuhl sinken und tappte mit dem Fuß auf den Linoleumboden. Jede Minute, die verstrich, setzte seiner Selbstbeherrschung mehr zu.
Er hatte in den letzten vier Jahren gelernt, ohne seine Frau auszukommen, ohne die Liebe seines Lebens, aber es war nicht leicht gewesen. Er hatte nicht mehr zurückblicken dürfen. Die Erinnerung tat einfach zu weh.
Doch wie konnte er ausgerechnet hier verhindern, dass die Erinnerungen auf ihn einströmten? Sie waren ständig hier gewesen: für Operationen, Chemotherapie und Bestrahlung; Kate und er hatten endlose Stunden hier verbracht und sich geschworen, dass der Krebs ihre Liebe nicht besiegen würde.
Lügen.
Als sie schließlich der Wahrheit ins Auge blickten, waren sie auch hier gewesen, in einem Krankenzimmer. Das war 2006 gewesen, er hatte bei ihr gelegen, sie im Arm gehalten und das Bewusstsein verdrängt, wie dünn sie geworden war. Er erinnerte sich noch an Kates Gesichtsausdruck. Die Schmerzen hatten sie innerlich aufgezehrt. Sie saßen einfach überall, in den Knochen, den Muskeln, ihrer Haut. Sie nahm nur so viele Schmerzmittel, dass sie noch ansprechbar war und die Kinder keine Angst bekamen. Ich will nach Hause, hatte sie gesagt. Und ich brauche Tully, hatte sie hinzugefügt – zu seiner großen Überraschung. Seine Frau und Tully Hart waren fast ihr ganzes Leben lang beste Freundinnen gewesen. Dann hatte ein Streit sie völlig entzweit. Zwei Jahre lang hatten sie nicht miteinander gesprochen, und in dieser Zeit hatte Kate Krebs bekommen. Das konnte er Tully nicht verzeihen: weder den Streit (der natürlich Tullys Schuld war) noch ihre Abwesenheit, als Kate sie am dringendsten brauchte.
»Nein. Nach all dem, was sie dir angetan hat?«, hatte er bitter gefragt.
Da hatte Kate sich zu ihm gerollt, und er hatte gesehen, wie sehr das auch ihr weh tat. »Ich brauche Tully«, hatte sie mit sanfterer Stimme wiederholt. »Sie ist seit der achten Klasse meine beste Freundin.«
»Ich weiß, aber …«
»Du musst ihr verzeihen, Johnny. Wenn ich das kann, kannst du das auch.«
»Aber so einfach ist das nicht. Sie hat dich verletzt.«
»Und ich habe sie verletzt. Freunde streiten sich nun mal. Manchmal vergessen sie, was wirklich wichtig ist.« Sie hatte geseufzt. »Glaub mir, ich weiß jetzt, was wichtig ist. Und ich brauche sie.«
»Wie kommst du darauf, dass sie auf deinen Anruf reagieren wird? Es ist doch schon so viel Zeit vergangen.«
Trotz ihrer Schmerzen hatte Kate gelächelt. »Sie wird kommen.« Dann hatte sie sein Gesicht berührt und ihn gezwungen, sie anzusehen. »Du musst dich um sie kümmern … nachher.«
»Sag das nicht«, hatte er geflüstert.
»Sie ist nicht so stark, wie sie tut. Das weißt du. Versprich es mir.«
Johnny schloss die Augen. Er hatte die letzten Jahre so hart daran gearbeitet, seinen Verlust zu verschmerzen und ein neues Leben mit seiner Familie anzufangen. Er wollte sich nicht mehr an jenes schreckliche Jahr erinnern. Aber das erschien ihm jetzt unausweichlich.
Tully und Kate waren fast dreißig Jahre lang beste Freundinnen gewesen, und ohne Tully hätte Johnny nie die Liebe seines Lebens getroffen.
Von dem Moment an, da Tully in seinem Büro erschienen war, war er von ihr fasziniert gewesen. Sie war so voller Leben und Leidenschaft gewesen. Sie hatte ihm einen Job bei dem winzigen Fernsehsender abgeschwatzt, bei dem er damals arbeitete, und er hatte sich sofort in sie verliebt. Zumindest hatte er es für Liebe gehalten. Und er hatte sofort gewusst, dass sie einmal berühmt werden würde.
Als sie ihm ihre beste Freundin Kate Mularkey vorstellte, hatte er sie kaum zur Kenntnis genommen. Sie erschien ihm blasser und stiller, wie jemand, der in Tullys Fahrwasser segelte. Erst als Katie ihn Jahre später mit einem Kuss überfiel, sah Johnny sie mit anderen Augen und verliebte sich eher unfreiwillig in sie.
Nach ihrer Hochzeit hatten sie Tullys rasante Karriere als Fernsehjournalistin miterlebt, doch ganz gleich, wie sehr Kates und Tullys Leben auseinanderdrifteten: Sie blieben beste Freundinnen, telefonierten fast täglich miteinander, und Tully besuchte sie regelmäßig. Als sie für eine eigene Talkshow nach Seattle zog, hatte sie ihn angefleht, die Show zu produzieren. Das waren gute, erfolgreiche Jahre gewesen. Bis der Krebs und Kates Tod alles zerstört hatten.
Jetzt strömten die Erinnerungen auf ihn ein. Er wusste genau, wann alles angefangen hatte, sich aufzulösen.
Bei Kates Beerdigung.
Sie hatten eng aneinandergedrängt in der ersten Reihe ihrer Kirche gesessen, der Kirche, die sie so viele Jahre zu Weihnachten oder Ostern besucht hatten. Aber jetzt war sie nicht golden glitzernd dekoriert, sondern überall waren weiße Lilien, die ekelerregend süß dufteten.
Stocksteif hatte Johnny dagesessen. Er musste jetzt stark sein für seine Kinder. Das hatte er ihr auf dem Totenbett versprochen, doch schon jetzt fiel es ihm schwer.
Marah saß ebenso steif neben ihm und hatte die Hände im Schoß gefaltet. Er hatte den Fehler begangen, zu der großen Staffelei mit Kates Bild zu blicken. Auf dem Foto stand sie mit fliegenden Haaren am Strand vor ihrem Haus und breitete lächelnd die Arme für ihre drei Kinder aus, die auf sie zustürzten. Sie hatte ihn eines Nachts, als sie eng umschlungen zusammenlagen, darum gebeten, dieses Foto herauszusuchen. Er hatte gewusst, wofür sie dieses Bild haben wollte. Noch nicht, hatte er geflüstert und ihr über den kahlen Schädel gestrichen.
Sie hatte ihn nicht noch einmal darum gebeten.
O Gott, jetzt war sie erst zwei Tage tot, und schon hätte er am liebsten alles rückgängig gemacht, sie im Arm gehalten und mit ihr darüber geredet, was sie wirklich bewegte.
Da betrat Pater Michael die Kanzel, und alle wurden noch stiller.
»Es überrascht mich nicht, dass so viele Menschen hier von Kate Abschied nehmen möchten. Sie hat so vielen etwas bedeutet …«
Hat.
»Es wird Sie nicht überraschen, dass sie mir strikte Anweisungen für diese Trauerfeier gab, und ich möchte sie nicht enttäuschen. Ich sollte Ihnen allen sagen, dass Sie sich einander zuwenden und Ihre Trauer in die Freude verwandeln sollen, am Leben zu sein. Sie wollte, dass Sie sich an ihr Lachen erinnern und an ihre Liebe zu ihrer Familie. Sie wollte, dass Sie weiterleben.« Ihm brach die Stimme. »Das war Kathleen Mularkey Ryan. Selbst am Ende dachte sie noch an andere.«
Marah stöhnte leise auf.
Johnny fasste nach ihrer Hand. Erschreckt sah sie ihn an, und als sie ihm ihre Hand entzog, entdeckte er unendliche Trauer in ihrem Blick.
Als Musik einsetzte – Crazy for you, ausgerechnet der Song, zu dem sie bei ihrer Hochzeit getanzt hatten –, kamen ihm die Tränen.
In dem Moment zupfte der achtjährige Lucas ihn am Ärmel. »Mommy hat gesagt, man darf ruhig weinen, Daddy. Wills und ich mussten ihr versprechen, keine Angst vor dem Weinen zu haben.«
Johnny wischte sich über die Augen, nickte knapp und flüsterte: »Du hast recht, kleiner Mann.« Doch ansehen konnte er seinen Sohn nicht. Sonst wären ihm wieder die Tränen gekommen.
Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis der Trauergottesdienst endlich zu Ende war. Er versammelte seine Familie um sich und ging nach draußen. Der Parkplatz war voller Autos, doch nicht das weckte seine Aufmerksamkeit, sondern Tully, die dort stand und ihr Gesicht in die Sonne hielt. Sie hatte die Arme ausgestreckt und bewegte sich, schwang ihre Hüften, als hörte sie von irgendwoher Musik.
Sie tanzte. Mitten auf der Straße, vor der Kirche, tanzte sie.
Da rief er so schroff ihren Namen, dass Marah neben ihm zusammenzuckte.
Tully drehte sich um und sah, dass sie auf ihren Wagen zukamen. Sie zog sich die winzigen Kopfhörer aus den Ohren und trat zu ihm.
»Wie war es?«, fragte sie leise.
Zorn wallte in ihm auf, und er klammerte sich daran fest. Alles war besser als seine bodenlose Trauer. Natürlich hatte Tully wieder nur an sich gedacht! Es tat weh, auf Kates Beerdigung zu gehen, also ging sie nicht hin. Sie blieb einfach auf dem Parkplatz und tanzte. Tanzte.
Schöne Freundin! Auch wenn Kate ihr ihren Egoismus verzeihen konnte: Für Johnny war das nicht so leicht.
Er wandte sich zu seiner Familie. »Steigt in den Wagen.«
»Johnny …« Tully streckte die Hand nach ihm aus, doch er trat beiseite. Er wollte jetzt nicht angefasst werden, von niemandem. »Ich habe es einfach nicht geschafft, hineinzugehen«, sagte sie.
»Ja, ja. Im Gegensatz zu uns«, entgegnete er bitter. Er merkte sofort, dass es ein Fehler war, sie anzusehen. Da Kate sonst immer an Tullys Seite gewesen war, fiel ihm ihre Abwesenheit jetzt noch mehr auf. Die beiden waren immer zusammen gewesen, hatten gelacht, geredet und laut und falsch irgendwelche alten Songs gesungen.
»Es gibt noch einen kleinen Empfang im Haus«, erklärte er. »Das wollte sie so. Ich hoffe, das schaffst du.«
Als sie scharf die Luft einsog, wusste er, dass er sie verletzt hatte.
»Das ist ungerecht«, sagte sie.
Aber er ignorierte sie einfach, stieg zu seiner Familie in den Wagen und fuhr in quälendem Schweigen nach Hause.
»Was jetzt, Dad?«, fragte Lucas, als sie angekommen waren. Er wusste, ohne sich umzudrehen, dass es Lucas war: Der Junge, der bei jedem toten Goldfisch geweint und seiner sterbenden Mutter jeden Tag ein Bild gemalt hatte; der Junge, der wieder angefangen hatte, in der Schule zu weinen, und bei seiner letzten Geburtstagsparty nicht mal gelächelt hatte, als er seine Geschenke auspackte. Dieser Junge empfand alles besonders intensiv. Vor allem Lucas, hatte Kate in ihrer letzten schrecklichen Nacht gesagt. Er wird besonders schwer unter dem Verlust leiden. Nimm ihn in den Arm.
Johnny drehte sich um.
Da standen sie, Wills und Lucas, so nah beieinander, dass sich ihre Schultern berührten.
Lucas hatte die Augen weit aufgerissen, sie schimmerten, und seine Wimpern waren verklebt von den Tränen. Er wusste, dass seine Mutter fort war, begriff aber noch nicht die ganze Tragweite.
Marah trat zu ihren Brüdern. In ihrem schwarzen Kleid wirkte sie dünn und bleich, fast wie ein Gespenst.
Alle drei sahen ihn an.
Dies war der Augenblick, in dem er etwas Tröstendes hätte sagen, einen Rat geben müssen, an den sie sich später erinnern konnten. Als ihr Vater war es seine Aufgabe, in den nächsten Stunden noch einmal das Leben seiner Frau zu feiern. Aber wie nur?
»Kommt, Jungs«, seufzte Marah. »Sehen wir uns Findet Nemo an.«
»Nein«, heulte Lucas auf. »Nicht Findet Nemo.«
Wills schaute auf und fasste seinen Bruder bei der Hand. »Da stirbt die Mom.«
»Ah!« Marah nickte. »Wie wär’s dann mit Die Unglaublichen?«
Lucas nickte dumpf.
Johnny überlegte immer noch, was zum Teufel er zu seinen trauernden Kindern sagen sollte, als es zum ersten Mal an der Tür klingelte.
Er zuckte zusammen. Danach bekam er nur noch vage mit, wie die Zeit verstrich, wie sich Leute um ihn drängten, Türen auf- und zugingen. Wie die Sonne unterging und die Dunkelheit vor den Fenstern erschien. Ständig ermahnte er sich: Beweg dich, sag hallo, brachte es offenbar aber nicht fertig.
Jemand berührte ihn am Arm. »Es tut mir so leid, Johnny«, hörte er eine weibliche Stimme. Er drehte sich um und sah eine Frau in Schwarz vor sich, die eine riesige Auflaufform in der Hand hielt. Er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, wer sie war. Als er »Sie ist jetzt an einem besseren Ort« hörte, ließ er sie einfach stehen.
Er schob sich durch die Menge und ging zur Bar, die in der Küche aufgebaut worden war. Auf dem Weg hörte er immer wieder dieselben sinnlosen Wortkombinationen – Beileid, Leiden beendet, an einem besseren Ort –, doch er reagierte nicht darauf, sondern ging einfach weiter. In der Küche huschte eine Schar traurig wirkender Frauen emsig hin und her, entfernte Alufolien von Auflaufformen und wühlte in den Besteckschubladen. Bei seinem Eintreten hielten sie inne und starrten ihn mitfühlend an.
Margie, seine Schwiegermutter, hatte gerade einen Krug mit Wasser füllen wollen, stellte ihn jetzt jedoch in der Spüle ab. Sie strich sich das Haar aus dem zerfurchten Gesicht, wandte sich zu ihm, schenkte ihm an der Bar einen Scotch ein und reichte ihm das Glas.
»Ich konnte kein Glas finden«, sagte er albernerweise. Die Gläser standen direkt vor ihm. »Wo ist Bud?«
»Guckt mit Sean und den Jungs fern. So was ist nichts für ihn. Die Trauer über den Tod seiner Tochter mit anderen zu teilen, meine ich.«
Johnny nickte. Sein Schwiegervater war immer ein stiller Mensch gewesen, und der Tod seiner einzigen Tochter hatte ihn gebrochen. Selbst Margie, die noch weit nach ihrem letzten Geburtstag vital und lustig gewesen war, war nach der Diagnose sichtlich gealtert.
»Geh zu deinen Kindern«, sagte sie und drückte ihm ihre blasse, blaugeäderte Hand in die Armbeuge.
»Ich könnte dir doch helfen.«
»Ich komme zurecht«, erklärte sie. »Aber ich mache mir um Marah Sorgen. Es ist ziemlich hart, mit sechzehn die Mutter zu verlieren. Bestimmt bereut sie, wie oft sie sich vor der Krankheit mit Kate gestritten hat. Manchmal kann man Worte nicht vergessen, vor allem, wenn sie im Zorn gesagt wurden.«
Er nahm einen großen Schluck von seinem Drink und starrte dann auf die Eiswürfel in seinem Glas. »Ich weiß nicht, was ich zu ihnen sagen soll.«
»Aber es kommt doch gar nicht darauf an, was man sagt.« Margie fasste ihn fester und führte ihn aus der Küche.
Das ganze Haus war voller Trauergäste, aber sogar hier stach Tully Hart aus der Menge hervor. Immer im Mittelpunkt. Selbst in Trauer sah sie mit ihrem schwarzen Etuikleid, das sicher genauso teuer gewesen war wie einige der Wagen in der Auffahrt, einfach umwerfend aus. Jetzt stand sie von Menschen umringt im Wohnzimmer und erzählte mit großen Gesten eine Geschichte, bei deren Ende alle lachten.
»Wie kann sie jetzt auch nur lächeln?«
»Vergiss nicht, dass Tully schon früh Erfahrungen mit seelischen Schmerzen gemacht hat. Und die hat sie ihr ganzes Leben lang verborgen. Ich weiß noch, als ich sie zum ersten Mal traf, hatte Kate sich mit ihr angefreundet, und ich wollte mal sehen, was für ein Mädchen sie eigentlich war. Also ging ich über die Firefly Lane zu ihrem heruntergekommenen Haus und lernte ihre Mom kennen. Obwohl kennenlernen es wahrscheinlich nicht trifft, denn Cloud fläzte sich gerade auf dem Sofa, mit einem Häufchen Marihuana auf dem Bauch. Sie versuchte sich aufzusetzen, konnte es aber nicht und sagte: Verdammt, bin ich stoned!, bevor sie sich wieder aufs Sofa fallen ließ. Als ich dann einen Blick zu Tully warf, die damals etwa vierzehn war, bemerkte ich eine Scham in ihren Augen, die einen ein Leben lang nicht mehr verlässt.«
»Dein Vater war auch Trinker, und du bist darüber hinweggekommen.«
»Weil ich mich verliebte und Kinder bekam. Eine Familie. Tully aber meint, kein Mensch außer Kate könnte sie lieben. Ich glaube, ihr ist der Verlust noch gar nicht klargeworden, doch wenn es so weit ist, dann wird es schlimm.«
Jetzt schob Tully eine CD in die Stereo-Anlage und drehte die Lautstärke hoch. Born to be wi-iild, dröhnte es aus den Boxen.
Peinlich berührt, rückten die Leute von ihr ab.
»Kommt schon«, sagte Tully, »wer will einen Tequila?«
Johnny wusste, er sollte sie aufhalten, aber er wollte sich ihr einfach nicht nähern.
Mit letzter Willenskraft wandte er sich ab und ging die Treppe hinauf.
Vor dem Zimmer der Zwillinge hielt er inne und versuchte, Kraft zu sammeln.
Du schaffst das.
Er konnte es schaffen. Er musste es schaffen. Diese Kinder hatten gerade erfahren, dass das Leben nicht gerecht war und der Tod Herzen und Familien auseinanderriss. Es war seine Aufgabe, ihnen das begreiflich zu machen, sie zusammenzuhalten und dafür zu sorgen, dass sie darüber hinwegkamen.
Er holte scharf Luft und öffnete die Tür. Sein Schwiegervater saß in dem großen Sessel, in dem seine Jungen beim Videospielen leicht gemeinsam sitzen konnten, und Sean, Kates jüngerer Bruder, schlief auf Wills’ Bett.
Marah hockte auf dem Teppich vor dem Fernseher und hatte Lucas neben sich. Wills drückte sich in eine Ecke und sah sich mit verschränkten Armen den Film an. Er wirkte wütend und isoliert.
»Hey«, sagte Johnny leise und schloss die Tür hinter sich.
»Dad!« Lucas stürzte zu ihm. Johnny hob ihn in die Arme und drückte ihn fest an sich.
Bud erhob sich mühsam aus dem Sessel. »Dann lass ich euch mal allein.« Er ging zum Bett, stieß Sean leicht an der Schulter an und sagte: »Aufwachen.«
Sean schrak auf und fuhr hoch. Er wirkte verwirrt, bis er Johnny sah. »Oh, alles klar.« Dann folgte er seinem Dad aus dem Zimmer.
Johnny sah seine trauernden Kinder an, und sie erwiderten seinen Blick. Ihre Reaktionen auf den Tod ihrer Mutter waren so unterschiedlich wie sie selbst. Lucas, der Weichherzige, war aus der Bahn geworfen, weil er seine Mom schmerzlich vermisste und nicht wusste, wohin genau sie gegangen war. Sein Zwillingsbruder Wills hatte sich bis jetzt immer auf seine Sportlichkeit und Beliebtheit verlassen. Dieser Verlust kränkte und ängstigte ihn. Da es ihm gar nicht gefiel, Angst zu haben, wurde er stattdessen wütend.
Und dann war da noch Marah, die wunderschöne Sechzehnjährige, der bisher alles im Leben zugeflogen war. Im Jahr der Krankheit hatte sie sich innerlich verschlossen und war gefasst und still gewesen, so still, als dächte sie, wenn sie für keinerlei Aufruhr und Lärm sorgte, dann könnte sie das Unausweichliche verhindern. Er wusste, sie bedauerte es zutiefst, wie sie Kate vor ihrer Krankheit behandelt hatte.
Aber in den Augen seiner Kinder sah er die gleiche Bedürftigkeit. Sie schauten ihn an, als sollte er ihre zertrümmerte Welt wieder kitten und ihren unermesslichen Schmerz lindern.
Dabei war Kate das Herz und die Seele ihrer Familie gewesen, der Kitt, der alle zusammengehalten hatte. Sie hatte immer die richtigen Worte gefunden. Alles, was er jetzt sagen würde, wäre eine Lüge. Wie sollten sie sich je wieder von diesem Schlag erholen? Wie sollte es je wieder besser werden? Ohne Kate?
Plötzlich erhob sich Marah mit einer für Mädchen ihres Alters ungewöhnlichen Anmut. »Ich bringe die Jungs ins Bett«, sagte sie und streckte ihre Hand nach Lucas aus. »Kommt schon, Kumpel. Ich lese euch eine Geschichte vor.«
»Toll getröstet, Dad«, bemerkte Wills und presste die Lippen zusammen. Sein Gesichtsausdruck war finster und schrecklich erwachsen für einen Elfjährigen.
»Es wird besser werden«, erwiderte Johnny und hasste sich für seine lahmen Worte.
»Ach ja?«, fragte Wills zurück. »Wie denn?«
Lucas blickte zu ihm auf. »Ja, Dad, wie denn?«
Johnny sah zu Marah, die so kühl und blass wirkte wie eine Eisstatue.
»Schlaf wird euch guttun«, sagte sie dumpf, und Johnny war ihr geradezu erbärmlich dankbar. Er wusste, dass ihm alles entglitt, dass er versagte, dass er derjenige war, der Trost und Hilfe bieten sollte – und nicht empfangen –, aber in seinem Inneren war es leer.
Öd und leer.
Morgen würde es besser werden. Würde er es besser machen.
Aber als er die Enttäuschung auf den Gesichtern seiner Kinder sah, wusste er, welch eine Lüge das war.
Es tut mir leid, Katie.
»Gute Nacht«, sagte er mit belegter Stimme.
Lucas schaute wieder zu ihm auf. »Ich hab dich lieb, Daddy.«
Langsam ließ sich Johnny auf die Knie sinken und breitete die Arme aus. Als seine Söhne zu ihm stürzten, drückte er sie fest an sich. »Ich habe euch auch lieb.« Er blickte über ihre Köpfe hinweg zu Marah, die vollkommen ungerührt wirkte.
»Marah?«
»Muss nicht sein«, sagte sie leise.
»Deine Mom hat uns das Versprechen abgenommen, stark zu sein. Gemeinsam.«
»Ja, ja.« Ihre Unterlippe zitterte kaum merklich. »Ich weiß.«
»Wir können es schaffen«, sagte Johnny, hörte aber selbst, wie wenig überzeugend er klang.
»Na klar können wir das«, seufzte Marah. »Kommt jetzt, Jungs, bettfertig machen.«
Und anstatt Marah zu trösten, wie es seine Aufgabe gewesen wäre, schlich er sich einfach wie ein Feigling aus dem Zimmer und zog die Tür hinter sich zu.
Unten ignorierte er die Gäste, schob sich durch die Menge, schnappte sich seinen Mantel und ging hinaus.
Es war jetzt ganz dunkel und kein einziger Stern am Himmel zu sehen. Eine kühle Brise strich durch die Bäume und ließ die Äste leicht erzittern.
Johnny stützte sich am Geländer der Terrasse ab.
»Hey.«
Als er ihre Stimme hörte, war er überrascht und gereizt. Er wollte seine Ruhe haben.
»Du hast mich ganz allein tanzen lassen«, sagte Tully und trat zu ihm.
»Ist Werbepause?«, fragte er und wandte sich zu ihr.
»Wie meinst du das?«
Er roch ihre Fahne und fragte sich, wie viel sie schon getrunken hatte. »Bei der Tully-Hart-Show. Ist wohl grade Werbepause.«
»Kate hat mich gebeten, heute Abend für ein bisschen Spaß zu sorgen«, erwiderte sie und wich zurück. Sie zitterte.
»Ich fasse es nicht, dass du nicht zur Trauerfeier gekommen bist«, entgegnete er. »Es hätte ihr das Herz gebrochen.«
»Sie wusste, dass ich nicht kommen würde. Sie hat sogar …«
»Und damit ist es in Ordnung? Meinst du nicht, Marah hätte dich da gebraucht? Oder ist dir dein Patenkind egal?«
Noch bevor sie etwas darauf erwidern konnte – und was sollte sie schon sagen? –, stieß er sich vom Geländer ab, ging wieder ins Haus und warf seinen Mantel achtlos auf den Boden.
Er wusste, er war unfair gewesen. Früher hätte er sich entschuldigt. Weil Kate es von ihm gewollt hätte. Aber jetzt brauchte er seine gesamte Kraft, um sich nur auf den Beinen zu halten. Seine Frau war erst seit achtundvierzig Stunden tot, und schon waren seine übelsten Seiten zum Vorschein gekommen.