Die Fälle Alice Schwarzer und Uli Hoeneß haben über Monate hinweg die Öffentlichkeit bewegt und leidenschaftliche, moralisch hoch aufgeladene Debatten rund um das Thema Steuerhinterziehung ausgelöst. Aus dem Blick geriet dabei häufig, wie die Netzwerke aus Briefkastenfirmen und Steueroasen funktionieren. Zudem war es bislang kaum möglich zu beziffern, wie viel Geld der Allgemeinheit auf diesem Weg verloren geht.
Mithilfe eines innovativen und eleganten Verfahrens ist Gabriel Zucman nun erstmals in der Lage, eine genaue Summe zu nennen. Zucman zeichnet die Geschichte der Steueroasen nach, bringt ans Licht, welche Manöver dabei ins Spiel kommen und fällt ein vernichtendes Urteil über alle bisherigen Gegenmaßnahmen. Der Kampf gegen die Steuerhinterziehung kann laut Zucman aber durchaus gewonnen werden – wenn er auf der richtigen Ebene geführt wird und die Regierungen vor drastischen Lösungen nicht zurückschrecken.
Gabriel Zucman, geboren 1986 in Paris, lehrt Wirtschaftswissenschaften an der London School of Economics.
Steueroasen
Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird
Aus dem Französischen
von Ulrike Bischoff
Suhrkamp
Die französische Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel
La richesse cachée des nations bei Éditions du Seuil (Paris).
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2014
edition suhrkamp
Deutsche Erstausgabe
© der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Berlin 2014
© Éditions du Seuil et La République des Idées, 2013
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Umschlagfoto: © SuperStock/Corbis
eISBN 978-3-518-73788-0
www.suhrkamp.de
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Einleitung
1. Ein Jahrhundert der Offshore-Finanzplätze
2. Der entgangene Wohlstand der Nationen
3. Fehler, die es zu vermeiden gilt
4. Was tun? Ein neuer Ansatz
Schluss
Wie hoch sind die Kosten, die Deutschland durch die Steueroasen entstehen? Sicher kann niemand behaupten, die definitive Antwort auf diese Frage zu kennen. Wer Steuerhinterziehung betreibt, macht darum in der Regel kein großes Aufheben: Die Steuerhinterzieher und ihre Komplizen treffen alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen und sind nur schwer aufzuspüren. Unsere Verfahren zur Messung des Reichtums wurden in der Nachkriegszeit entwickelt und nicht an die Globalisierung der Finanzwelt angepasst. Dieser Mangel der volkswirtschaftlichen Statistiken erlaubt es, alle möglichen – seriösen oder verrückten – Meinungen zu äußern, ohne sich jemals den Fakten stellen zu müssen.
So dürften manche die Position vertreten, die Offshore-Steuerhinterziehung halte sich in vernachlässigbaren Grenzen, das Geld in den Steueroasen gehöre überwiegend Diktatoren oder korrupten Oligarchen (und vielleicht Griechen) und weitaus weniger den Eliten der Industrieländer. Andere sind dagegen der Meinung, die versteckten Vermögen beliefen sich auf zig Billionen und in unseren Eliten seien Korruption und die Nutzung der Steueroasen allgemein verbreitet.
Wie sieht es in Wahrheit aus? Dieses Buch verfolgt insofern einen neuen Weg, als es versucht, die Steueroasen ausgehend von offiziellen, allgemein zugänglichen Statistiken einer streng wissenschaftlichen Analyse zu unterziehen und die Verluste zu beziffern, die durch sie entstehen. Diese Zahlen sind sicher alles andere als perfekt. Die von mir entwickelte Methode beruht ebenfalls auf Hypothesen, aber sie sind so klar dargelegt, dass alle sie transparent diskutieren und sich eine Vorstellung von ihrer Fehlertoleranz machen können.
Zu Deutschland liegen uns folgende, allerdings begrenzte Erkenntnisse vor: Zu Anfang des Jahres 2014 bunkerten Europäer in Schweizer Banken 1000 Milliarden Euro. Von dieser Summe entfiel auf Deutschland als der mit Abstand größten Volkswirtschaft des Kontinents der Löwenanteil von etwa 20 Prozent, also 200 Milliarden Euro. Eine ebenso hohe Summe besaßen Deutsche in anderen Steueroasen wie Singapur, Hongkong, Luxemburg und den Bahamas. Somit beliefen sich ihre Offshore-Vermögen auf insgesamt etwa 400 Milliarden Euro.
Es muss allerdings klar gesagt werden, dass diese Zahlen keine absolute mathematische Wahrheit wiedergeben, sondern auf Schätzungen beruhen. Es könnte sich auch um 350 oder 450 Milliarden Euro handeln. Wer weiß? Die zahlreichen für dieses Buch analysierten Quellen belegen die Größenordnung von 400 Milliarden als triftig, lassen aber keine weitergehenden Erkenntnisse zu. Allzu präzisen Schätzungen sollte man immer mit Misstrauen begegnen, denn die scheinbare Genauigkeit der Resultate kaschiert häufig nur die Lücken in den Überlegungen, die dorthin geführt haben.
Trotz wiederholter Amnestien verstecken die meisten Inhaber von Offshore-Konten ihr Vermögen weiterhin hinter Briefkastenfirmen, Trusts oder Stiftungen. Weltweit werden 80 Prozent der Offshore-Vermögen steuerlich nicht deklariert. Für Deutschland bedeutet das allein bei der Einkommens- und Erbschaftssteuer jährliche Steuereinbußen von zehn Milliarden Euro. Rechnet man die entgangenen Einnahmen durch die aggressive Steueroptimierung multinationaler Konzerne – in der Größenordnung von 20 Milliarden Euro – hinzu, so summieren sich die durch Steueroasen verursachten Kosten für Deutschland auf 30 Milliarden Euro jährlich.
Steht die Eindämmung der Steuerflucht unmittelbar bevor? Von Januar bis März 2014 erstatteten 13000 Inhaber nicht deklarierter Schweizer Konten Selbstanzeige, um von der großzügigen Möglichkeit der Amnestie Gebrauch zu machen. Beeindruckend? Die Zahl der Deutschen, die Konten in der Schweiz besitzen, ist mindestens zehnmal so groß, und die Selbstanzeigen beziehen sich auf Vermögen von durchschnittlich 100000 Euro. Anders ausgedrückt: Nur die »kleinen Konten« verlassen die Schweiz, die Besitzer von Vermögen über zig Millionen Euro – die weltweit boomen – bleiben weiterhin völlig ungestraft.
Obwohl es seit der Finanzkrise – in mancherlei Hinsicht echte – Fortschritte gegeben hat, stehen wir nach wie vor im Kampf gegen die Steueroasen ganz am Anfang. Die Hauptarbeit steht noch aus. Nach jahrzehntelanger Blockadehaltung wird Luxemburg ab 2015 Bankdaten mit Deutschland austauschen. Aber wie kann man glauben, dass die Banker, die sich über Jahrzehnte hinweg auf die Seite der Steuerhinterzieher gestellt haben, nun mit einem Mal die Rolle ehrlicher Steuereintreiber übernehmen werden? Ohne Kontrollmöglichkeiten besteht die Gefahr, dass durch den automatischen Informationsaustausch lediglich die kleinen, nicht aber die großen Steuerhinterzieher erwischt werden.
Die in diesem Buch vorgeschlagenen Lösungen mögen manchen utopisch, anderen unzulänglich erscheinen. Aber sie haben den Vorzug, dass sie tatsächlich existieren und die Grundlage für eine rationale, ruhige und unideologische Debatte bieten.
Die Steueroasen bilden den Kern der europäischen Krise, aber niemand weiß so recht, wie man gegen sie vorgehen soll. Die einen halten den Kampf von vorneherein für verloren. Für sie sind die Offshore-Zentren von London bis Delaware, von Hongkong bis Zürich wichtige Rädchen im Getriebe des Finanzkapitalismus, die von den Reichen und Mächtigen der ganzen Welt genutzt werden. Dagegen könne man nichts machen, versichern sie. Es gebe eben immer Länder, die niedrigere Steuern erhöben und weniger Vorschriften machten als ihre Nachbarn. Das Geld fände immer einen Zufluchtsort: Wenn man es an einem Ort belaste, wandere es eben an einen anderen. Kapitalismus ohne Steueroasen sei eine Utopie, und die progressive Besteuerung von Einkünften und Vermögen sei zum Untergang verurteilt, wenn man nicht den Weg des Protektionismus einschlagen wolle.
Für die anderen ist der Kampf schon so gut wie gewonnen. Nach ihrer Ansicht werden das entschlossene Vorgehen der Staaten und der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) sowie die zahlreichen Skandale und Enthüllungen schon bald für den Niedergang der Steueroasen sorgen. Auf erheblichen Druck großer Länder, die seit der Finanzkrise nach neuen Einnahmequellen suchten, hätten alle zugesagt, das Bankgeheimnis aufzugeben, und endlich würden die Multis Rechenschaft ablegen und zahlen, was sie zu zahlen hätten. Das sei der Triumph der Moral.
Das vorliegende Buch weist beide Sichtweisen als gleichermaßen falsch zurück. Es legt eine völlig neue Analyse dar, die zu dem erdrückenden Schluss kommt: Den Steueroasen ging es noch nie besser als heute. In den Zahlen sind die in allen Debatten behaupteten »Siege« nirgends zu finden. Steuerhinterzieher erfreuen sich einer quasi vollständigen Straflosigkeit. Die von den Steueroasen kürzlich gemachten Zusagen sind viel zu vage und die Kontrollmöglichkeiten zu schwach, um in den kommenden Jahren auf eine Besserung hoffen zu dürfen.
Aber es ist noch nicht zu spät für eine Wende. Die Steuerflucht der reichsten Privatleute und größten Unternehmen lässt sich aufhalten. Zu diesem Zweck schlägt dieses Buch einen konkreten, realistischen Aktionsplan vor, der auf drei Achsen beruht.
An erster Stelle steht ein operativer Aspekt: Die vordringliche Aufgabe – und einer der zentralen Vorschläge dieses Buches – besteht in der Schaffung eines weltweiten Wertpapierregisters, das namentlich aufführt, wer welche Aktien und Anleihen besitzt. Ein solches Register ist eine unverzichtbare Voraussetzung, um die Vermögen des 21. Jahrhunderts besteuern zu können.
Eine Utopie? In Schweden existiert ein solches Register bereits, und Privatunternehmen wie die luxemburgische Firma Clearstream führen ähnliche, wenn auch sehr lückenhafte Verzeichnisse. Man muss sie lediglich zusammenführen, ihre Reichweite ausdehnen und sie in staatliche Regie überführen. Während der Französischen Revolution schuf die verfassunggebende französische Nationalversammlung 1791 das Kataster für Frankreich, um den gesamten Immobilienbesitz zu erfassen, seinen Wert zu ermitteln und die Privilegien abzuschaffen, die das Ancien Régime untergraben hatten – die Nichtbesteuerung des Adels und des Klerus. Heute gilt es, ein weltweites Finanzkataster zu schaffen, um die Ungerechtigkeiten zu beenden, die andernfalls die demokratischen Staaten auf Dauer ins Wanken zu bringen drohen.
Damit ein solches Finanzkataster funktionieren kann, muss es mit einem automatischen Informationsaustausch zwischen den Staaten einhergehen. Seit Jahrzehnten liefern die französischen Banken dem Fiskus sämtliche Informationen, die sie zum Einkommen ihrer Kunden haben. Diese Angaben fließen in die vorausgefüllten Steuererklärungen ein, die jeder Franzose erhält, und machen Steuerhinterziehung mithilfe französischer Banken unmöglich. Die zweite dringliche Aufgabe in operativer Hinsicht ist nun also, dieses System auf die Banken in den Steueroasen auszuweiten. Zwar besteht die Gefahr, dass der automatische internationale Datenaustausch an der Intransparenz der Finanzwelt scheitert, aber gestützt auf ein weltweites Finanzkataster würde er die massive Steuerhinterziehung der Ultrareichen eindämmen.
Dem steht nichts entgegen außer dem Willen der Steueroasen, das Bankgeheimnis zu verteidigen, auf dem ihr Reichtum beruht. Aus diesem Grund ist der zweite Aspekt des von mir vorgeschlagenen Aktionsplans ein politischer: Die Steueroasen werden nur unter Androhung von Sanktionen nachgeben. Das vorliegende Buch zeigt erstmals auf, welche Länderkoalitionen sie unter Druck setzen können und welcher Art die zu verhängenden Sanktionen sein sollten.
Allein kann ein Staat wie Frankreich nicht viel ausrichten. Weder Transparenzappelle noch neue Gesetze oder mehr Funktionäre werden die Schweiz oder Singapur zum Einlenken bewegen. Das einzige, was wirklich zählt, ist das internationale Kräfteverhältnis. Die gute Nachricht lautet, dass dieses durchweg ungünstig für die Steueroasen ist: Kein Land kann sich gegen den gemeinschaftlichen Willen der Vereinigten Staaten und der großen Länder der Europäischen Union stellen. Der Kampf ist daher durchaus zu gewinnen, sofern er angemessen geführt wird und die Staaten nicht vor Sanktionen zurückschrecken, die proportional zu ihren erlittenen Verlusten sind.
Die in diesem Buch vorgelegten Berechnungen zeigen, dass Frankreich, Deutschland und Italien die Schweiz zur Aufgabe ihres Bankgeheimnisses zwingen können, wenn sie gemeinsam Einfuhrzölle von 30 Prozent auf Waren erheben, die sie aus der Eidgenossenschaft importieren. Denn die Kosten solcher Zölle würden die Einnahmen übersteigen, die Schweizer Banken aus der Steuerflucht erzielen. Bei Zwergstaaten (wie Luxemburg), die von Schattenfinanzen leben, müsste man weiter gehen, und zwar bis hin zu Maßnahmen, die einem Finanzembargo gleichkämen (und vielleicht bis zum Ausschluss des Großherzogtums aus der Europäischen Union). Die Steueroasen mögen zwar Finanzriesen sein, aber ökonomisch und politisch sind sie Zwerge – das gilt für die Bahamas oder Jersey noch mehr als für die Schweiz. Sie alle sind massiv vom Handel abhängig. Das ist ihr Schwachpunkt, und genau dort muss der Zwang ansetzen.
Hier sei gleich klargestellt, dass es für die Welthandelsorganisation (WTO) keinerlei Grund gibt, Einwände gegen die von mir vorgeschlagenen Zölle zu erheben: ganz im Gegenteil. Denn von ihrer Konstruktion her entsprechen sie den Kosten, die das Bankgeheimnis in den Steueroasen anderen Staaten verursacht. Das Bankgeheimnis ist also nichts anderes als eine versteckte Form von Subvention, die es Offshore-Banken ermöglicht, Nachbarstaaten zu berauben. In der Freihandelslogik gibt es nichts, was diesen Diebstahl rechtfertigt. Länder, die Opfer solcher Praktiken sind, haben selbst nach den Regeln der WTO das Recht, Repressalien zu verhängen, die dem Ausmaß des erlittenen Schadens entsprechen. Wenn sie es bislang nie getan haben, liegt das an der Tatsache, dass sie bis jetzt keinerlei Möglichkeit hatten, die Verluste zu berechnen, die sie durch die Steueroasen erleiden. Da dieses Buch erstmals die Kosten des Bankgeheimnisses transparent beziffert, eröffnet es den Weg zu legalen Sanktionen gegen die Länder, die von der Finanzverschleierung leben. Steueroasen können besiegt werden, und zwar nicht durch eine Schließung der Grenzen, sondern indem man die Steuerfragen ins Zentrum der Handelspolitik rückt.
Der Aktionsplan hat schließlich auch noch einen streng ökonomischen Aspekt: Selbst wenn das Bankgeheimnis vollständig aufgehoben würde, wäre stark zu befürchten, dass die Steuerungerechtigkeit fortbestünde. Denn die Reichen haben zahlreiche legale und illegale Mittel, weniger Steuern zu zahlen, und die multinationalen Konzerne manipulieren ihre Gewinne so, dass sie dort auftauchen, wo sie nicht besteuert werden. Die Steueroasen zwingen uns also, die Kapitalbesteuerung zu überdenken.
Ein wichtiger Teil der Lösung für dieses Problem ist die Einführung einer globalen progressiven Vermögensbesteuerung. Dieses Buch schlägt konkrete Wege vor, dieses Ziel zu erreichen. Wenn Staaten das Bestreben aufgegeben haben, Reichtum zu besteuern, so liegt es an ihrer Befürchtung, dass er abwandern und sich so ihrem Zugriff entziehen könnte. Dieses Risiko lässt sich jedoch verringern. Das hier vorgeschlagene weltweite Finanzkataster stellt eine schlagkräftige Waffe gegen Verschleierung dar. Der Internationale Währungsfonds (IWF) verfügt über die technischen Mittel, es in kurzer Zeit aufzubauen. Ist ein solches Kataster erst einmal eingerichtet, ermöglicht es die Erhebung einer Kapitalsteuer, die der Steuerflucht der Ultrareichen endgültig ein Ende setzen würde. Sobald die Schattenfinanzen verschwinden, erlangen die Staaten wieder die Souveränität, die Steueroasen ihnen rauben, und erhalten damit auch die Mittel, gegen die explosionsartig zunehmende Ungleichheit vorzugehen.1
Im nächsten Schritt bedarf es einer radikalen Reform der Körperschaftssteuer. Die Besteuerung von Kapitalgesellschaften ist völlig am Ende, und die kürzlich von der OECD empfohlenen Maßnahmen sind bloße Flickschusterei und werden daran nichts ändern. Im 21. Jahrhundert gilt es, die Gewinne multinationaler Konzerne auf globaler Ebene zu besteuern und nicht Land für Land, wie es gegenwärtig der Fall ist, da Heerscharen von Wirtschaftsprüfern die länderweise erwirtschafteten Gewinne manipulieren. Die neue Besteuerung brächte weltweit 30 Prozent mehr Steuereinnahmen als die bisherige – Mehreinnahmen, die im Wesentlichen den großen Ländern Europas und den Vereinigten Staaten zugutekämen, wo die Könige der Steueroptimierung wie Google, Apple und Amazon ihren Hauptumsatz machen, aber so gut wie keine Steuern zahlen.
Die drei Aspekte des hier vorgeschlagenen Aktionsplans bilden eine Einheit. Ohne Drohungen und Sanktionen sind das weltweite Finanzkataster und der automatische Informationsaustausch Totgeburten. Solange aber diese Kontrollmöglichkeiten fehlen, haben die Betreiber der fiskalischen Verschleierung jede Chance, die Kapitalbesteuerung vollständig zu umgehen. Und wenn ihnen das gelungen ist, wird der politische Wille schwinden, die Schattenfinanzen zu bekämpfen, weil die Staaten dann kein Interesse mehr haben werden, Privatvermögen und Konzerngewinne ordnungsgemäß zu ermitteln.
Der Kampf gegen die Steueroasen erfordert also einen außerordentlich hohen Einsatz. Lohnt er diese Mühen? Dieser Aktionsplan hat sicher seinen Preis. Man müsste zahlreiche internationale Vereinbarungen neu verhandeln und neue Computer anschaffen, um die von den Offshore-Banken mitgeteilten Daten zu verarbeiten. Ohne Zweifel dürfte es Repressalien von Seiten der Zwergstaaten geben, die vom Bankgeheimnis leben – also denjenigen, gegen die die härtesten Sanktionen verhängt werden müssten. Und vielleicht käme es zu Spannungen mit den größten Steueroasen wie der Schweiz, Hongkong und Singapur, die es gar nicht mögen, wenn man mit dem Finger auf sie zeigt.
Aber diesem Preis muss man die Kosten des Status quo gegenüberstellen, und die Realität ist, dass sie exorbitant hoch sind: Allein in den vergangenen fünf Jahren brachen in Irland und auf Zypern, also in zwei Offshore-Zentren mit überzogen großen Finanzsektoren, die Banken zusammen, was Millionen Einwohner ins Elend stürzte; in den Vereinigten Staaten wies der Kongress nach, dass eines der größten Unternehmen der Welt, Apple, durch Manipulation seiner Gewinne zig Milliarden Dollar an Steuern vermieden hatte; in Frankreich musste der Beigeordnete Minister für den Staatshaushalt, Jerôme Cahuzac, zurücktreten, weil er über 20 Jahre hinweg Steuern auf Vermögen auf geheimen Konten hinterzogen hatte; in Spanien sitzt der ehemalige Schatzmeister der konservativen Regierungspartei, Luis Bárcenas, im Gefängnis, nachdem ein geheimes Finanzierungssystem über Schweizer Konten aufgedeckt wurde. Die Steueroasen standen im Zentrum der Finanz-, Staatsschulden- und Demokratiekrise. Der Plan, den ich vorschlage, ist ausgewogen: Er bedeutet anzuerkennen, dass der Status quo unverantwortlich ist.
Zur genauen Ermittlung der globalen Kosten, die Steueroasen verursachen, habe ich eine eingehende Wirtschaftsanalyse durchgeführt. Dazu habe ich sämtliche verfügbaren Quellen über internationale Investitionen und Zahlungsbilanzen der Staaten sowie Bilanzen und außerbilanzielle Posten der Banken, Volksvermögen und -einkommen, Rechenschaftsberichte multinationaler Konzerne und die Archive Schweizer Kreditinstitute herangezogen. Ein Großteil dieser statistischen Daten wurde bislang nie genutzt, und alle diese Informationen werden hier erstmals zusammengetragen, gegenübergestellt und analysiert mit dem Ziel, die Verschiebungen durch das Schattenfinanzwesen aufzuzeigen.