Cover

Clint Lukas

Für die Liebe, für die Kunst

Stories ohne Kompromisse

Edition Mundwerk
periplaneta

CLINT LUKAS “Für die Liebe, für die Kunst”

Stories ohne Kompromisse

© Periplaneta - Verlag und Mediengruppe
Edition Mundwerk, Dezember 2011
Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Straße 81a
www.periplaneta.com - hq@periplaneta.com
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, mechanische, elektronische oder fotografische Vervielfältigung, eine kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Ungekürzte, digitale Ausgabe der Printausgabe ISBN: 978-3-940767-81-3

Der Printausgabe liegt eine CD bei, die auch als MP3 Download zu erwerben ist: Clint Lukas MP3 Download ASIN: B005HK7JBQ

E-Book-Version: 1.24
Lektorat: Judith Friede

Cover: Nina Ball, Johannes Schönfeld
Autorenfotos: Benjamin Hiller

Satz & Konvertierung: Thomas Manegold

www.periplaneta.com

Lindenbügel

Herr Lindenbügel hatte Prostata-Krebs und war mal Bulle gewesen und war auch sonst ganz in Ordnung. Er tat immer so, als könne er mich nicht leiden, aber ich wusste es besser. Dummerweise hatte ich mich gerade wieder versprochen und ihn Lindendübel genannt.

„Verdammt noch mal, es heißt Lindenbügel!“, rief er.

„Was hab ich denn gesagt?“

„Lindendübel!“

„Tschuldigung.“

„Wie blöd muss man sein, um Bügel und Dübel zu verwechseln?“

„Das kann doch mal passieren.“

„Ich geb dir gleich, du!“

„Was ist das überhaupt für’n Name, Lindendübel?“

„Lindenbügel!“

„Ja, ich meine, wenn ich einfach Horst zu Ihnen sagen dürfte-…“

„Soweit kommt’s noch!“

„Na, dann eben nicht.“

„Häh?“

„Ist auch egal.“

„Jetzt werd mal nicht pampig, Freundchen!“

„Sollen wir jetzt spazieren gehen, oder nicht?“

„Frag nicht so blöd. Siehst doch, dass ich schon fertig angezogen bin.“

Ich half ihm in den Rollstuhl, wobei ich natürlich auch wieder alles falsch machte.

Dann waren wir auf der Straße.

„Mensch, was ruckelt hier denn so?“, maulte er. „Ich scheiß mir ja in die Hosen.“

„Sie sehen doch, dass die den Schnee nicht weggeräumt haben. Wie soll ich das denn machen?“

„Pah, mit so einem Klugscheißer schicken die mich auf die Straße!“

„Ich würd ja gern sagen, ich hab’s mir auch nicht ausgesucht, aber das stimmt ja nicht.“

„Ein Samariter und ein Klugscheißer.“ Er hielt ein paar Minuten lang den Mund, während wir eine Runde auf dem Kranoldplatz drehten. Dann fing er wieder an. „Und sowas macht dir Spaß?“

„Was?“

„Alte Deppen wie mich durch die Gegend zu schieben.“

„Keine Ahnung. Sieht so aus.“

„Oder haben sie dir Sozialstunden aufgebrummt?“

„Nein.“

„Soso. Und was sagt dann deine Freundin dazu, dass du so ein Gutmensch bist?“

„Ich hab keine Freundin.“

„Na, dann halt dein Mädchen, oder was. Wie sagt ihr denn jetzt dazu?“

„Ich bin ungebunden.“

„Bist du schwul?“

„Das geht Sie doch nichts an.“

„Du bist schwul!“

„Nein, ich bin nicht schwul.“

„Warum hast du dann keine Freundin?“

„Einfach so.“

„Versteh ich nicht.“

„Hat sich halt in letzter Zeit nicht ergeben.“

„Na, dann raus mit dir und such dir eine! Und trödel nicht in diesem scheiß Hospiz rum.“

„Ach, wobei…“

„Was?“

„Da sind ja auch noch die Schwesternschülerinnen.“

„Ach so?“

„Bei denen komm ich natürlich ganz gut an.“

„Ja?“

„Ja, es irritiert sie irgendwie. Dass ich so ein selbstloser Humanist bin. Aber wenn ich dann auch noch anfange, Klavier zu spielen…“

„Wirklich?“ Das schien ihm zu gefallen. Ich sah von hinten, wie er grinste. „Aber die sind ja auch nicht hübsch, oder? Zu mir kommt immer nur diese dicke Nudel.“

„Welche?“, fragte ich.

„Die, die immer alles fallen lässt.“

„Ach so, na ja.“

„Jedes mal haut sie irgendwas runter.“

Ich musste lachen.

„Und die gefällt dir?“

„Es gibt ja auch noch andere.“

„Und wieso kommen die nicht zu mir?“

„Tun sie, aber nur wenn Sie schlafen.“

„An einen tollen Verein bin ich da geraten.“

„Wahrscheinlich haben sie Angst, Ihren Namen falsch auszusprechen.“

„Blöder Hund.“

Ich schob ihn zurück zum Hospiz und in sein Zimmer. Auf dem Flur kamen wir an einer rothaarigen, flotten Schülerin vorbei und er verdrehte den Kopf nach ihr und hätte nicht anzüglicher grinsen können. „Muss das sein?“, fragte ich ihn nachher.

„Sei nicht so zimperlich. Du bist doch hier der abgebrühte Schürzenjäger.“

„Das hab ich doch nur so gesagt.“

„Jetzt komm mir nicht so. Hast du nicht gesehen, wie die dich angeschaut hat?“

„Doch.“

„Na, dann ran an den Speck.“

„Nein.“

„Warum denn nicht?“

„Das wäre einfach zu leicht.“

„Die Pflaume ist reif, um gepflückt zu werden!“

„Mein Gott!“

„Was hast du denn auf einmal?“

„Naja, sie ist zwanzig. Natürlich himmelt die mich an. Aber das wär so, als wenn ich’n Fisch in ner Tonne abschieße.“

„Na, bitte.“

„Nein.“

„Himmel Herrgott! Du bist ja doch schwul!“

„Ja, wahrscheinlich.“

Ich half ihm ins Bett und ging raus. Im Schwesternzimmer saß nur die Kleine, die anderen waren beim Frühstück. Ich hockte mich neben sie.

„Alles klar bei dir?“

„Hm...“, machte ich. Dann piepte die Patientenklingel.

„Kannst du sehen, wer’s ist?“, fragte sie.

„Zimmer 7“

„Der Lindenkübel?“

„Ja… genau der.“

„Bei dem warst du doch grade, oder? Na, dann schau ich mal nach ihm.“ Sie ging hin und ich saß da und grübelte und dann kam sie wieder und guckte so komisch.

„Was ist?“, fragte ich.

„Weißt du, was der gerade gesagt hat?“

„Nein.“

„Also, ich weiß gar nicht, ob ich’s dir sagen soll.“

„Sag schon.“

„Er glaubt, dass du… selbstmordgefährdet bist.“

„Was?“

„Er meint, dass du dir Tabletten klauen willst, um…“ Sie fuhr sich mit einem Finger über die Kehle. „Wegen deiner Freundin…“

„Häh!“

„Weil sie dich verlassen hat.“

„Oh Mann, ähh, weißt du was, vergiss es einfach. Okay? Ich will mich nicht umbringen.“

„Ja, das dachte ich auch gar nicht.“

„Dann ist ja gut. So ein Spinner.“

„Aber… willst du vielleicht drüber reden?“

„Worüber?“

„Ich weiß nicht. Ich kenn das nur von mir, dass man manchmal gern jemanden hätte, der einen tröstet.“ Sie rückte jetzt ein wenig näher und ihr Bein berührte meins wie zufällig unterm Tisch.

„Ähmm, hör mal…“ Ich schaute auf ihr Namensschild. Sowas praktisches. „Anna. Das ist wirklich nett, aber ich hab keinen Liebeskummer. Ich glaub, der Alte will uns nur verkuppeln.“

Sie wurde jetzt rot, aber blinzelte nur einmal und schaute nicht weg. „Findest du das schlimm?“, fragte sie.

„Nein. Aber ich glaube, das würde nichts werden.“

„Bist du schwul?“

„Nein, Mann. Das fragt der Lindendübel auch dauernd.“

„Heißt der nicht Lindenkübel?“

„Er heißt Lindenbügel.“

„Ist ja auch egal.“

„Aber wirklich.“

„Und warum willst du nicht?“

„Naja, du kennst mich doch gar nicht.“

„Ich find dich aber gut.“

„Ach so?“

Sie lächelte und dann lächelte ich halt auch und fragte mich, warum ich so eine Zicke war und mich so zierte. Wir haben uns dann auch ein paar Mal getroffen und es war anfangs sogar nett. Aber sie himmelte mich zu sehr an, beziehungsweise den Humanisten in mir. Der kam aber nur selten zum Vorschein und war dann auch noch ziemlich ruppig. Das wurde für sie ein Problem.

Jetzt gibt’s ’ne neue Praktikantin mit kurzen schwarzen Haaren, die sagt Lindenhügel zu ihm und findet, dass mein soziales Engagement überhaupt nichts Besonderes ist und interessiert sich auch sonst nicht so sehr für mich und spielt auch noch besser Klavier. Die find ich irgendwie gut.

Ich hab’s dem Alten erzählt und er schüttelt nur noch den Kopf. „Junge, ich bin 76 und hab in meinem Leben viel gesehen, aber so was Dämliches wie du ist mir noch nie über den Weg gelaufen.“

Ich finde, da hat er ausnahmsweise mal recht.

Grober Unfug

Alle anderen Mitbewohner waren gerade außer Haus. Ich saß allein mit Sophie im Wohnzimmer und ja, ich langweilte mich. Sophie roch gut, und hatte tolle Augenbrauen und einiges mehr. Ich wäre lieber gleich mit ihr ins Bett gegangen, aber stattdessen hockten wir hier rum, tranken ein gutes Glas Rotwein und redeten.

Ich hatte nichts gegen Gespräche, überhaupt nichts. Nur war Sophie halt irgendwie verklemmt und besaß zu allem eine Meinung, aber von gar nichts eine Ahnung Sie war gegen Drogen, obwohl sie selbst noch nie übers Kiffen hinausgekommen war. Und da hatte sie irgendwie überhaupt nichts gemerkt. Und Gewalt lehnte sie auch ab, dabei kannte sie nicht die Ruhe, die einen ergriff, wenn Adrenalin und Notwendigkeit einen zum Äußersten trieben. Oder dieses Gefühl in der Faust nach einem guten Schlag. Außerdem war sie katholisch.

„Und hast du gehört?“, meinte sie. „Am Wochenende haben welche versucht, das Jesuskind aus der Krippe zu stehlen.“

„Ach so?“

„Ja, weißt du, diese große, diese lebensgroße Krippe vor der Marienkirche.“

„Ja, ich weiß schon.“

„Haben dem armen Kind den Arm ausgerissen. Aber dann sind sie erwischt worden.“

„So?“

„Ja, stand in der Zeitung. Irgendwie ist wohl jemand vorbeigekommen und dann haben sie aufgegeben. Nur das Ärmchen haben sie mitgenommen. Wer macht den sowas?“

„Tja, ich weiß auch nicht.“

„Hältst du mal mein Glas? Ich muss kurz aufs Klo.“

Stell’s doch auf’n Tisch, dachte ich und nahm es. Alle Leute hatten irgendwie so kleine Macken.

Als sie im Bad war, stand ich schnell auf und nahm etwas vom Fernsehtisch, etwas Kleines, und überlegte, wo ich es verstecken könnte. Ich stopfte es unter ein Couchkissen, aber da war es nicht sicher genug. Hektisch lief ich damit rum und hielt es noch immer in der Hand, als Sophie zurückkam. Sie sah es und wurde ein bisschen bleich. „Das… ist das... das ist ja wohl nicht...?“

„Doch, ja, ich fürchte, das ist der Arm vom Jesuskind.“

„Woher hast du den?“

„Naja, war halt’ne wilde Nacht.“

„Wie bitte? Ich-… Hast du das gemacht?“

„Ich und die Jungs, ja.“

„Und ihr seid dabei erwischt worden?“

„Ach, von wegen erwischt, so’n Schwachsinn. Das blöde Kind war festgenagelt. Ja, das nenn ich mal barbarisch! Mit’nem Zimmermannsnagel durch den Bauch an die Wiege genagelt. So als Vorgeschmack, oder was?“

„Aber warum, um Gottes Willen, wolltest du das Jesuskind klauen?“

„Ja, was weiß denn ich. In dem Moment kam’s uns logisch vor.“

Sie setzte sich hin und schmollte. Wo die Tür war, wusste sie ja eigentlich, aber sie hockte nur da und trank weiter.

„Ach Mensch, wenn du willst, gehen wir halt hin und kleben den Arm wieder dran.“

„Denkst du, das macht es besser?“, rief sie.

„Nö. Hast du Holzleim?“

„Ja, bestimmt irgendwo. Ich kann immer noch nicht glauben, dass du sowas gemacht hast!“

„Hey, ich find den guten Christen viel schlimmer, der dem Abbild seines Gottes einen ellenlangen Nagel in den Bauch getrieben hat.“

„Vielleicht war’s ja gar kein Christ.“

„Ja klar, die lassen sich ihre Krippen von Achmed aus Ankara bauen.“

„Du bist ein rassistischer Arsch.“

„Missy, ich hab mehr Kanaken-Freunde als deutsche. Meine Ex is’ne Israeli. Komm mir nicht mit rassistisch.“

„Ich frag mich wirklich, wieso ich mich mit dir verabredet habe.“

„Ja, ich aber auch. Ist ja wie Kommunionsunterricht hier.“

„Ich könnte dich auch bei der Polizei anzeigen!“

„Na, dann mach doch. Meinst du, das juckt mich irgendwie? Bei den Brüdern war ich schon oft genug.“

Sie dachte nach und ich trank derweil weiter Wein und legte mir ein paar fiese Sachen zurecht. „Na gut“, sagte sie dann. „Wir gehen jetzt zur Kirche und bringen das in Ordnung. Allein machst du’s ja doch nicht. Und danach sind wir geschiedene Leute.“

„Na, von mir aus. Dann komm halt.“

Während sie sich ihren Kittel überzog, machte ich noch eine Flasche für den Weg auf und dann gingen wir da nebeneinander schweigend durch die Nacht. Als ich ihr den Wein zum dritten Mal hin hielt, griff sie widerwillig zu. „Hast du wirklich schon mit den Bullen zu tun gehabt?“, fragte sie.

„Hat doch jeder.“

„Ach Mann, du weißt doch, was ich meine.“

„Naja, ich war früher ’ne Zecke. Was denkst du denn? Natürlich haben die mich auf irgendwelchen Demos hopps genommen und über Nacht in den Bau gesteckt.“

„Zu Recht?“

„Was soll’n das heißen, zu Recht? Ich fahr doch nicht durch halb Deutschland zum NATO-Gipfeltreffen, ohne da n’ bisschen Stunk zu machen. Oder zu ’nem Burschenschaftler-Fackelmarsch, ohne mich zu raufen.“

Sie schüttelte sehr ernst und erwachsen den Kopf dazu.

„Ja, klar“, schimpfte ich. „So kindisch warst du natürlich nie, richtig?“

„Dann bist du also auch vorbestraft?“

„Ja, Baby, wegen schwerer Körperverletzung“, sagte ich und kostete die Silben aus.

„Was hast du denn gemacht?“

„Angeblich ’nem Nazi den Kiefer gebrochen.“

„Angeblich?“

„Ach komm, ist doch egal. Gib mir lieber den Wein.“

„Ich will’s aber wissen.“

„Hast dir dein Urteil doch eh schon gebildet.“

„Gar nicht.“

„Also gut, nein, ich war’s nicht. Der Typ war’n Würstchen und wir zu sechst. Sowas mach ich nicht, Nazi hin oder her.“

„Und warum bist du dann vorbestraft?“

„Weil sie mich erwischt haben. Und ich nicht sagen wollte, wer’s war.“

Da sagte sie nichts mehr. Ich schaute sie von der Seite an und fragte mich, was ich an ihr so toll gefunden hatte. Nein, es stimmte schon, sie war wirklich hübsch. Alles nur wegen Jesus und seinem blöden Ärmchen.

Wir kamen zur Kirche und Sophie wurde ziemlich nervös. Sie stand da an dem gusseisernen Zaun, der die Krippe vor Vandalen wie mir beschützen sollte, und schaute sich um. Ich half zuerst ihr rüber und folgte dann. Als ich gerade oben auf den Spitzen hing, und meine gesamte Konzentration darauf verwendete, mir nicht den Schritt anzustoßen, rutschte der Holzleim aus meiner Tasche und fiel auf der falschen Seite runter, gerade soweit, dass man von drinnen nicht rankommen konnte. Ich schnaufte und schimpfte und kriegte das Bein nicht richtig rüber und fand die gesamte Situation ziemlich ausweglos.

„Du, schau mal“, sagte Sophie.

„Arrrhh, was denn?“

„Das Kind hat schon wieder einen Arm. Einen neuen. Komm doch jetzt mal.“

„Ja, Kruzifix, Frau, siehst du nicht, dass ich hier festsitze.“

„Wieso denn?“

„Na, weil meine Hose da irgendwie hängt, oder der Gürtel, was weiß denn ich. Hilf mir doch mal!“

„Achtung, da kommt jemand.“

„Was?“

„Schnell, komm rein! Oh Gott, da vorne sind zwei Leute.“

„Ja, fick doch die Wand an!“

„Shhh.“

Mein Kopf glühte und die Soße lief mir am Rücken runter in die Arschfalte und ich zog und zerrte, bis etwas riss und dann war ich drin.

„Komm schnell!“, rief Sophie.

„Aber der Leim.“