1 Einleitung
2 Praxisergebnisse und Forschungsstand
3 Definition des Krankheitsbegriffs Anorexia nervosa
3.1 Epidemiologie
3.2 Symptomatik
3.3 Klassifikation
3.4 Komorbidität
3.5 Ätiologie
3.6 Persönlichkeitsmerkmale
4 Körpererfahrung, Körperschema und Körperbild
4.1 Neurologie und Psychologie
4.2 Körperbild-Konzept (Schilder 1950)
4.3 Körpererfahrung als Überbegriff
4.4 Faktoren bei der Entstehung von Körperschema und Körperbild
5 Störungen der Körpererfahrung bei Patientinnen mit Anorexia nervosa
5.1 Wahrnehmungs- und Denkstörungen (Bruch 1991)
5.2 Körperschema- und Körperbildstörungen
5.3 Faktoren bei der Entstehung der Body-Image-Störung Anorexia nervosa
6 Kunsttherapie bei Body-Image-Störungen mit dem Fokus auf Anorexia nervosa
6.1 Objektbeziehungstheorie in der kunsttherapeutischen Praxis
6.2 Die Rolle der Therapeutin: Übertragung und Gegenübertragung
6.3 Ausgewählte körperbezogene Aufgaben und Methoden der Kunsttherapie
6.4 Planung und Durchführung kunsttherapeutischer Interventionen bei Anorexia nervosa
6.5 Zielsetzungen
6.6 Strukturierungsmaßnahmen
6.7 Konkretisierung und Reflexion zielführender Aufgaben und Methoden
7 Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Anhangsverzeichnis
Die Autorin
ANHANG 1 Versuch einer Strukturierung des Gesamtkomplexes ´Körpererfahrung`.
Aus: Bielefeld, J. (1986). Körpererfahrung-Grundlage menschlichen Bewegungsverhaltens. Göttingen: Hogrefe, 17.
ANHANG 2 Maltherapeutisches Interventionsmodell.
Aus: Reichelt, S. (2008).
Prozessorientiertes Malen als traumatherapeutische Intervention- ein Beitrag zur ressourcenfundierten Bewältigung von Extremerfahrungen in Kindheit und Adoleszenz.
Regensburg: Roderer, 111.
ANHANG 3 Integration des Katathymen Bilderelebens und der Assoziativen Mal- und Tontherapie in eine kombinierte Therapie einer psychosomatischen Fachklinik.
Aus: Feiereis, H. (1989).
Diagnostik und Therapie der Magersucht und Bulimie.
München: Hans Marseille, 110.
ANHANG 4 Ausschnitte aus dem Emailaustausch mit Dr. Hirsch
ANHANG 5 Ausschnitte aus dem Emailaustausch mit Dr. Grandin
Mareike Lüdeke
Objektbeziehungstheorie und Kunsttherapie bei Anorexia mit Body-Image-Störung
ISBN: 978-3-8428-1754-8
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Covermotiv: froodmat / photocase.com
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Abb. 1 | Lernmodell für ein gesundes Hungerempfinden und Sättigungsgefühl |
Abb. 2 | Bindungsdynamik im Familiensystem |
Abb. 3 | Lernmodell für ein pathologisches Hungerempfinden und Sättigungsgefühl |
Abb. 4 | Mond und Baum |
Abb. 5 | Sonne und schwarze Figur |
Abb. 6 | Kammern aus Ton |
Abb. 7 | Tonfigur in Hand |
Abb. 8 | Tonfigur zusammen gesunkener Körper |
Abb. 9 | farbiger Körperumriss |
Tab. 1 | DSM-IV (307.1) |
Tab. 2 | ICD 10 (F50.0) |
ANHANG 1 | Versuch einer Strukturierung des Gesamtkomplexes ´Körpererfahrung` |
ANHANG 2 | Maltherapeutisches Interventionsmodell. Aus: Reichelt, S. (2008) |
ANHANG 3 | Integration des Katathymen Bilderelebens und der Assoziativen Mal- und Tontherapie in eine kombinierte Therapie einer psychosomatischen Fachklinik |
ANHANG 4 | Ausschnitte aus dem Emailaustausch mit Dr. Hirsch |
ANHANG 5 | Ausschnitte aus dem Emailaustausch mit Dr. Grandin |
Mareike Lüdeke
- 1984 in Wuppertal geboren -
Ausbildung
Allgemeine Hochschulreife 2004 am Gymnasium am Kothen mit künstlerisch-musischer Ausrichtung in Wuppertal.
Studium der Diplom-Heilpädagogik und Kunsttherapie 2009 an der Universität zu Köln.
Heilpraktikerin für Psychotherapie 2009.
Berufliche Tätigkeiten
Arbeit bei der Pflege- und Lebensgemeinschaft für autistisch behinderte Erwachsene in Wuppertal seit 2002. Übernahme der gesetzlichen Betreuung für einen autistisch behinderten Mann.
Arbeit bei der Kontakt-, Koordinations- und Beratungsstelle für Menschen mit Behinderung (KoKoBe)im Freizeitbereich seit Anfang 2006.
Arbeit als Co-Kunsttherapeutin in der Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität zu Köln seit 2006.
Mitgründung der Bergischen Schatzkiste in Wuppertal, einer Partnervermittlung für Menschen mit Behinderung September 2008.
Bezug zum Buchthema
Zweimonatigen Aufenthalt in einer Psychosomatischen Fachklinik in Bad Pyrmont 2004 aufgrund eigener Erfahrung mit Anorexia nervosa.
Die vorliegende Studie befasst sich mit der Frage, welche kunsttherapeutischen Maßnahmen zur Intervention der psychosomatischen Erkrankung Anorexia nervosa in Betracht gezogen werden können.
Mit dem Begriff Anorexia nervosa (im Folgenden AN abgekürzt) bezeichnet man eine Form der Essstörung neben Bulimia nervosa und Adipositas, die sehr weit verbreitet ist1. Sie ist u. a. gekennzeichnet durch ein starkes Untergewicht, das durch eine Gewichtsabnahme oder das Ausbleiben der erwartbaren Gewichtszunahme in der Pubertät entstanden ist2. Trotz des offensichtlichen Untergewichts der betroffenen Mädchen und Frauen3 besteht eine starke Angst davor, zu dick zu werden. Da der gesamte Körper oder einzelne Körperteile als zu dick erlebt werden, wird aus Angst vor einer Gewichtszunahme die Nahrungsaufnahme trotz des bestehenden Untergewichts weiter eingeschränkt.
Zentrale Aspekte im Zusammenhang mit der Störung AN sind Selbstbewusstsein, Kontrolle und Gefühlswahrnehmung. Diese Studie stellt die Body-Image-Störung als Merkmal der AN ins Zentrum, die u. a. Bruch (1973) als die wichtigste Ursache der Entstehung von AN betrachtete4. Demzufolge ist nach Bruch (1991) die „realistische Vorstellung vom eigenen Körper eine Vorbedingung zur Genesung“5.
Der deutsche Begriff Körpererfahrung und der englische Begriff Body-Image enthalten sowohl die perzeptiv-kognitive Komponente als auch die emotional-affektive Komponente6, also Körperschema und Körperbild. Dementsprechend wird in der deutschen Literatur auch zwischen Körperschema- und Körperbildstörungen differenziert, während in der englischen Literatur der Oberbegriff „Body-Image-Disturbance“7 verwendet wird. Da die Studie auf Störungen beider Komponenten eingeht, wird der Begriff Body-Image-Störung in der vorliegenden Studie als Oberbegriff verwendet.
Weitere Körperschemastörungen wie z. B. Fingeragnosie und Dysmorphophobie werden in dieser Studie nicht berücksichtigt, da sie nicht im Zusammenhang mit der AN stehen.
Es gibt verschiedene Ansätze zur Erklärung der AN, etwa familien- und systemtheoretische Ansätze, feministische Ansätze etc.
Die vorliegende Studie konzentriert sich auf die Objektbeziehungstheorie, eine Richtung innerhalb des psychoanalytischen Erklärungsansatzes. Der Ansatz wird hier bevorzugt, da das Verhalten des Menschen vollständig aus den sozialen Zusammenhängen – und zwar schon von Kind an – erklärt wird. Der Mensch wird von Beginn an als soziales Wesen aufgefasst, welches mit den Eltern kommuniziert und Nähe und Geborgenheit sucht. Während nach Freuds Libidotheorie Triebe die Objektbeziehungen schaffen, qualifiziert in der Objektbeziehungstheorie die Beziehung selbst erst den Trieb und bestimmt wie die Objektbilder, d. h. z. B. die Repräsentationen der Bindungsfiguren aussehen8.
Andere Betrachtungsweisen und Erklärungsversuche der AN sind auch möglich, z. B. neuropsychologische oder genetische, werden in der Studie allerdings nicht erwähnt.
Als Grundlage für den weiteren Verlauf wird dargestellt, dass aus psychoanalytischer Sicht die Entstehung der Body-Image-Störung bei anorektischen Patientinnen mit frühen Erfahrungen in Objektbeziehungen, insbesondere der Mutter-Kind-Beziehung, erklärt werden kann.
Die Bindungspersonen hinterlassen in der inneren Welt eines jeden Menschen bewusste, vorbewusste und unbewusste Erinnerungsspuren, die zusammengefasst als „innere Objekte“9 bezeichnet werden. Da in der Arbeit, mit der Objektbeziehungstheorie die Bezugsperson selbst und die inneren Objekte in den Vordergrund der Betrachtung gestellt werden und weniger die Modalitäten der Triebabfuhr, wird Freuds Triebtheorie als bekannt vorausgesetzt und hier nicht ausgeführt.
Für die Erklärung der Body-Image-Störung ist Hirschs (1989) Ansatz zentral, der die Entstehung der Body-Image-Störung mit der pathologischen Bindung an und Ablösung von der Mutter als frühste Objektbeziehung begründet. Im Rahmen der Erklärung der AN mit der Objektbeziehungstheorie untersuchte er die Objektverwendung von Nahrung und Körper bei anorektischen Patientinnen, wobei er Objekt definiert als Ersatz bzw. „Symbol für gute und böse mütterliche Teilobjekte“10. Hirsch (1989) behauptet, dass bei der AN der Körper als bedrohliches Objekt erlebt wird, das in der Adoleszenz zu dick, zu weiblich und zu muttergleich werde11.
AN kann demzufolge den Versuch darstellen, einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden, dass einerseits die symbiotische Nähe zur Mutter gefährlich ist, andererseits eine Loslösung aber ebenso gefürchtet wird, dass folglich sowohl der Wunsch nach einer Verschmelzung als auch Angst davor besteht. Anorektische Patientinnen versuchen stellvertretend durch die scheinbare Beherrschung des Körpers die Anforderungen der Adoleszenz, sich in eine sexuelle und soziale Identität hinein zu entwickeln, zu bewältigen12. Dieser Ansatz ist in der Objektbeziehungstheorie sehr verbreitet, dennoch muss er in einigen Punkten problematisiert werden (Kapitel 5).
Die Kunsttherapie wird hier als Interventionsform vorgestellt, da sie ermöglicht, die der Krankheit zugrunde liegenden Konflikte als denkbare Ursache in besonderer Form auszudrücken.
Da die Symptomatik der AN aus objektbeziehungstheoretischer Sicht mehr als nur die Nahrungsverweigerung beinhaltet und einen Sinn erfüllt, soll seitens der Therapeutin13 und der Patientin zunächst ein vertieftes Symptomverständnis erreicht werden, um die Body-Image-Störung verbessern bzw. heilen zu können.
So meint Dannecker (2006), dass Bilder vor dem Hintergrund der Objektbeziehungstheorie als künstlerisch symbolische Prozesse verstanden werden können14. Es kann eine deutliche Parallele zwischen dem Kunsttherapieprozess und dem Prozess der frühen Mutter-Kind-Bindung gezogen werden. Kunst und Objektbeziehungen weisen Dannecker (2006) zufolge gemeinsame Strukturen auf.
Infolgedessen stellt die vorliegende Studie schwerpunktmäßig die Hypothese auf, dass sich ausgewählte kunsttherapeutische Interventionen eignen, um frühkindliche pathologische Erlebnisse aufzudecken, auszudrücken und als korrigierende Erfahrung zu bewältigen. Die Studie versucht darzustellen, dass in der Therapeutin-Patientin-Beziehung als Prototyp der frühen Mutter-Kind-Bindung der Bindungs- und Loslösungsprozess an die und von der Therapeutin in einem gesunden Verlauf wiederholt werden kann, so dass eine Verbesserung der Body-Image-Störung AN folgt. In diesem Zusammenhang wird u. a. behandelt, wie gezielt Bedingungen geschaffen werden können, um den Prozess der Mutterübertragung auf die Kunsttherapeutin zu fördern.
Aufgrund der Parallelen zwischen Phänomenen in der Mutter-Kind-Beziehung und der innerhalb der Kunst erschaffenen ´Wirklichkeit` erörtert die Studie (Kapitel 6) Schottenlohers (1989) Fragen:
„Kann der bildnerische Prozeß dazu beitragen, Symptome in kreative Symbolbildungen umzuwandeln? Setzt er an der Stelle des Symptoms eine andere gerichtete Aufmerksamkeit, die in ihrer Wirkung das Symptom ablösen kann?“ 15
Um das Ziel dieser Arbeit, eine Diskussion und Bewertung objekttheoretischer und kunsttherapeutischer Behandlungsmethoden für AN, zu erreichen, werden zunächst ausgewählte Studien und Theorien aus dem allgemein- und tiefenpsychologischen Bereich aufgeführt und auf diesen aufbauend neuere Ansätze zur Körperbildarbeit in der Kunsttherapie mit anorektischen Patientinnen vorgestellt.
Im 3. Kapitel wird das Krankheitsbild AN erläutert und auf Epidemiologie, Symptomatik, Ätiolologie und Persönlichkeitsmerkmale eingegangen.
In Kapitel 4 werden die Begriffe Körperschema und Körperbild definiert. Um eine Vorstellung über die Entwicklung eines gesunden Körperschemas und Körperbildes zu erhalten, wird diese nach einem Exkurs zur Bindungsdynamik im Familiensystem im Zusammenhang mit Lernmodellen, mit der Objektbeziehungstheorie und mit Winnicotts (1941, 1973, 1974, 1995) Phänomen des Übergangsobjektes beschrieben16.
Kapitel 4 stellt somit die Grundlage für das Verständnis der AN als Body-Image-Störung dar, die in Kapitel 5 beschrieben wird. Das Augenmerk liegt hier auf der Entstehung des pathologischen Körperschemas und Körperbildes bei AN. Dieses wird im Zusammenhang mit Lernmodellen, Objektbeziehungstheorie und Übergangsobjekten erklärt. Um auch einen Eindruck von den gegenwärtigen (gestörten) Objektbeziehungen der Patientinnen zu vermitteln, geht die Studie weiter auf die Eltern anorektischer Patientinnen ein.
Nach der Auseinandersetzung mit dem Krankheitsbegriff AN und der dahinter stehenden Konflikte wird, da die Verbindung zwischen Kunsttherapeutin und frühster Objektbeziehung der Patientin verdeutlicht werden soll, zu Beginn des Kapitels 6 die Verknüpfung von Objektbeziehungstheorie und Kunsttherapie behandelt. Dann führt die Studie die in diesem Kontext relevante Übertragungsrolle der Therapeutin auf.
Um einen Gesamteindruck über die kunsttherapeutischen Möglichkeiten zu erhalten, folgt eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Methoden, Aufgaben und Themen für anorektische Patientinnen mit Body-Image-Störung, die in einem Themenkatalog kurz zusammengefasst werden.
Aufbauend auf den Ergebnissen der vorangegangenen Kapitel behandelt die Studie dann die Planung und Durchführung kunsttherapeutischer Interventionen bei AN. Hierbei werden von der Verfasserin therapeutische Zielsetzungen formuliert, die aus objektbeziehungstheoretischer Sicht zur Verbesserung bzw. Heilung der Body-Image-Störung bei AN führen können.
Die Therapie wird in Einstiegs-, Verlaufs- und Abschlussphase unterteilt. Die Ziele der jeweiligen Phasen bauen aufeinander auf und müssen in der Reihenfolge erreicht werden.
Im Anschluss führt die Studie kunsttherapeutische Maßnahmen und ihre Eignung für die Therapie bei AN auf. Als zielführende Interventionen in der Verlaufsphase werden das Katathyme Bilderleben, die assoziative Mal- und Tontherapie und das Thema Selbstdarstellung konkretisiert und im Hinblick auf die aufgestellten Therapieziele reflektiert.
Aufbauend auf den objektbeziehungstheoretischen Grundlagen entsteht die, den tiefenpsychologischen Hintergrund der AN berücksichtigende und von der Verfasserin konzipierte, Methode ´Phantasiebegleiter` als ein mögliches Vorgehen zum Erreichen der Therapieziele der Verlaufsphase.
Als Beispiel werden abschließend der Psychoanalytiker Hirsch und der Psychotherapeut Grandin zu ihren Erfahrungen in einem Interview befragt.
Diese Studie umfasst den allgemeinpsychologischen, den tiefenpsychologischen und den kunsttherapeutischen Forschungs- und Praxisbereich.
Korrelative Studien aus dem allgemeinpsychologischen Bereich belegen den Zusammenhang zwischen AN und Körperbild- und Körperschemastörung, z. B. die Studienfolge von Slade und Russell (1973). Sie wiesen nach, dass anorektische Personen ihre Körpermaße im Vergleich zu Kontrollpersonen signifikant überschätzen. Die Körperhöhe wird dagegen relativ exakt eingeschätzt17. Die Fehlwahrnehmung des Körpers bei AN-Patientinnen ist abhängig von Gewicht und Erkrankungsstadium, folglich nimmt der Grad der Überschätzung mit zunehmendem Gewicht ab18. Sie wendeten eine abgewandelte Form der Methode „body perception accuracy“ (BPA) an, die von Reitmann und Cleveland (1964) für die Untersuchung von Schizophrenen entwickelt wurde und der die Formel: (wahrgenommene Größe/ tatsächliche Größe) x 100, zugrunde liegt19. Folgestudien wurden u. a. von Crisp und Kalucy (1974), Freeman et al. (1985) durchgeführt.
Bei einer Studie von Fernàndez und Vandereycken (1994) kam es zur Unterschätzung der Körpermaße anorektischer Personen20.
Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts finden sich eine Vielzahl an Studien zur AN und Körpererleben, z. B. Dietrich (2001), Eltze (1996), Groten (1996) und Warlimont (1999). Weitere Untersuchungen wie z. B. Enkelmann (2003), Fernàndez-Aranda (1996) behandeln eher den Einfluss therapeutischer Interventionen auf das Körpererleben.
Belege für die Grundannahmen der Objektbeziehungstheorie finden sich bei Bruch (1991), die eine unangemessene Mutter-Kind-Interaktion als Ursprung der Körperbildstörung sieht21.
Auch Hirsch (1989) zieht eine frühe, gestörte Objektbeziehung zur Erklärung der AN in Betracht. Er untersuchte 85 weibliche anorektische Patientinnen. Bei 82% fand er eindeutige Hinweise auf eine frühe Störung der Primärbeziehung, die sich u. a. in Form von offener Ablehnung der Eltern zeigte22.
Im Rahmen der Follow-up-Studie von Selvini-Palazzoli et al. (1999) werden anhand von 52 Fällen in einem Zeitraum von acht Jahren zwischen 1988 und 1996 ausführlich die pathologischen Familienstrukturen mithilfe von Items wie Persönlichkeit der Eltern, der elterlichen Herkunftsfamilien, Verhältnis der Patientinnen zu ihren Eltern etc. belegt23.
Im Zusammenhang mit der Body-Image-Störung und frühen pathologischen Objektbeziehungen befasst sich die vorliegende Studie neben Hirsch (1989) näher mit Selvini Palazzoli (1982) und von Braun (1990).
Aufbauend auf den Kenntnissen aus dem allgemein- und tiefenpsychologischen Bereich, liegt in der Präzisierung dieser Studie der Schwerpunkt auf dem kunsttherapeutischen Bereich. Es gibt nur eine geringe Anzahl an literarischen Arbeiten, die die Körperbildarbeit mit anorektischen Patientinnen, mit Berücksichtigung früher gestörter Objektbeziehungen zur Verbesserung der Body-Image-Störung, in der Kunsttherapie behandeln.
Ausgehend von der frühen Entwicklung der Störung und ihrer Manifestation auf der perzeptiv-kognitiven und psychischen Ebene wurde implizit angenommen, dass die beschriebene Störung schwer therapeutisch zu beeinflussen sei. Das hatte zur Folge, dass sich die Forschung bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts eher auf die Erfassung der Körperbild- und Körperschemastörung konzentrierte und weniger die Behandlung berücksichtigte.
In der Literatur Anfang des 21. Jahrhunderts gibt es einige kognitiv-verhaltenstherapeutische Leitfäden wie z. B. Meermann (1982, 1991) und Meermann und Vandereycken (1988, 2003). Diese legen den Schwerpunkt auf die Symptome wie Hungern und Abführmittel im Rahmen einer Verhaltenstherapie, da diese lebensbedrohlich sein können.
Die kognitive Verhaltenstherapie beinhaltet auch Körperbildarbeit wie von Vocks und Legenbauer (2005) beschrieben.
Weitere Interventionen zur Verbesserung des Körpererlebens finden sich bei Böse (2002) im Rahmen einer Body-Image-Therapie.
Besonders wichtig für die Kunsttherapie ist, dass es zwar einige Aufsätze über die Körperbildarbeit mit anorektischen Patientinnen gibt, die Verfasser beziehen sich aber zum Teil nur wenig aufeinander, was eine zusammenfassende Darstellung der Literatur erschwert.
Die im Folgenden aufgeführten Bücher und Aufsätze bieten einen Überblick über die unterschiedlichen Schwerpunkte in der kunsttherapeutischen Arbeit mit anorketischen Patientinnen.
Zunächst werden Autoren genannt, die sich allgemein mit dem Thema Essstörungen und Kunsttherapie befassen. Hierzu zählen u. a. von der Heide (1997), Gmerek (1999), Schors (2005) und Mayer-Gruhl (2005). Haeseler (2003) schildert die Langzeitarbeit mit einer essgestörten Künstlerin in Einzelsitzungen. Schmidt (2004) behandelt Ziele und Methoden der integrativen Kunsttherapie im Rahmen einer psychosomatischen, stationären Behandlung.
Als nächstes folgen Autoren, die Körperbildarbeit mit Anorektikerinnen durchführen wie z. B. die systemischen Kunsttherapeuten Reinecke (2002), Vogt-Hillmann und Burr (2002). Die zwei zuletzt genannten bearbeiten diese Thematik im Zusammenhang mit körperbezogener Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen.
Schottenloher (1989) und Madelung (1994) integrieren Körperarbeit und Gestaltungstherapie in den therapeutischen Prozess und nehmen zusätzlich Aspekte aus der Bioenergetik und Biodynamik auf. Madelung (1994) verwendet hierbei einen systemisch-gestaltungstherapeutischen Ansatz.
Titze (2006) äußerte sich bei der 56. Lindauer Psychotherapiewoche in einem Vortrag u. a. zu der Körperbildarbeit. Müller (2003) setzt sich in einem Aufsatz mit den neurologischen Grundlagen des Körperbildes und die Konsequenzen für die Rolle der Kunsttherapeutin im therapeutischen Prozess auseinander.
Hartwig (2003) befasst sich mit der Körperbildarbeit bei anorektischen Männern.
Ein ausführliches Kunsttherapieprogramm zur Behandlung anorektischer Patientinnen mit Vorschlägen zu Themen und Aktivitäten u. a. in Bezug auf das Körperbild wird bei Aissen-Crewett (2002) vorgestellt.
Zuletzt werden Autoren erwähnt, die bei (körperbezogenen) Aufgaben in ihrer kunsttherapeutischen Arbeit den objektbeziehungstheoretischen Erkrankungshintergrund berücksichtigen. Hierzu zählen z. B. Schottenloher (1989, 1994), Schors und Mihajlovic (1994), Grubel (2003) und Herzog, Munz und Kächele (1996, 2004).
Die assoziative Mal- und Tontherapie mit anorektischen Patientinnen wird von Feiereis (1989) und Feiereis und Sudau (1996) beschrieben.
Schilderungen des Katathymen Bilderlebens finden sich bei Kleesmann und Kleesmann (1977), Leuner (1985), Leuner und Fikentscher (1993), Wilke (1990; 1993; 1996), Lippmann (1990), Kleesmann (1990), König (1990), Sachsse (1990), Schuster (2003), Seithe-Blümer (2005), Schnell (2005), Bahrke (2005) und Kottje-Birnbacher et al. (2005).
Ansonsten äußern sich Kutter, Milch, Trautmann-Voigt und Voigt (2007) im Zusammenhang mit einer methodenintegrativen Therapie in der Psychotraumatologie zu Körper-Phänomenen und ihrer Bedeutung für psychotherapeutische Integrationsbemühungen. Aus diesen Themen werden Konsequenzen für die Körperarbeit mit essgestörten Patientinnen gezogen. Zudem kann das kunsttherapeutische Interventionsmodell von Reichelt (2006, 2008), das er ursprünglich für traumatisierte Kinder entwickelte, in abgewandelter Form Anwendung in der Therapie mit anorektischen Patientinnen finden.
Mit Ausnahme der ersten Angabe wurden die Autoren alle in dieser Arbeit erwähnt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass neben der Body-Image-Therapie verschiedene Anleitungen zur Behandlung der Body-Image-Störung AN z. B. in der kognitiven Verhaltenstherapie bestehen, kunsttherapeutische Interventionsmöglichkeiten werden aber nur in geringem Maße berücksichtigt.
Es gibt keine einheitliche Definition des Krankheitsbegriffs AN. Im Folgenden wird ein Überblick über Epidemiologie, Symptomatik, Klassifikation, Komorbidität, ätiologische Theorien und häufig auftretende Persönlichkeitsmerkmale anorektischer Patientinnen erarbeitet.
Das Risiko, an AN zu erkranken, ist in der Bevölkerung nicht gleich verteilt. Essstörungen treten bevorzugt in bestimmten Gruppen auf. Die Prävalenz wird durch die Variablen Geschlecht, Alter und soziale Schicht bestimmt.
Laut des wissenschaftlichen Kuratoriums der Deutschen Hauptstelle für Suchtanfragen e. V. liegt die Prävalenz der an AN Erkrankten bei 0,5 bis 1 % der Mädchen und Frauen24, d. h., dass fast jede 100. Frau betroffen ist25. Ca. 95% aller Erkrankten sind weiblichen Geschlechts im Alter zwischen 12 und 23 Jahren. Die Ersterkrankungsrate beginnt in der Pubertät bzw. in der frühen und mittleren Adoleszenz26. Der Erkrankungsgipfel liegt bei dem 14. und dem 18. Lebensjahr. AN tritt bevorzugt „in den hochindustrialisierten Ländern (USA, Kanada, Europa, Japan, Australien)“27, vor allem in der höheren Mittelschicht, auf.
Das Auftreten der AN, in Abhängigkeit von Geschlecht, Alter und sozialer Schicht, verweist auf eine Beteiligung psychischer und sozialer Faktoren an der Krankheitsentstehung.
Auf die für den Kontext der Arbeit relevanten psychischen Faktoren wird in den Kapiteln 3.5 und 5.4 näher eingegangen.
Das griechische Wort Anorexie bedeutet wörtlich „Appetitlosigkeit, fehlendes Verlangen“28. In der wissenschaftlichen Literatur jedoch, besteht Einigkeit darüber, dass dies bei der Anorexie nicht der Fall ist. AN ist gekennzeichnet durch ein extrem gezügeltes Essverhalten, d. h. Anorektikerinnen weigern sich, eine ausreichende Nahrungsmenge zu sich zu nehmen. Mahlzeiten werden ganz ausgelassen oder auf geringe Mengen und sehr kalorienarme Lebensmittel beschränkt. Die Betroffenen leiden nicht unter einem Appetitmangel, vielmehr versuchen sie ihr Hungergefühl zu unterdrücken.
Neben der Einschränkung der Nahrungsaufnahme, versuchen viele Anorektikerinnen ihr Gewicht zusätzlich durch selbst induziertes Erbrechen oder durch die Einnahme von Appetitzüglern (Antiadiposita), Abführmitteln (Laxantien) oder Entwässerungstabletten (Diuretika) zu reduzieren 29.
Kennzeichnend für AN sind auch ein gesteigerter Bewegungsdrang und eine erhöhte Aktivität, die bis zur „Hyperaktivität “30 reichen kann.
Folge der verweigerten Nahrungszufuhr ist ein starker Gewichtsverlust oder der ausbleibende Gewichtsanstieg in der Wachstumsphase31. Das Gewichtsspektrum reicht von „extremer Kachexie [also eine krankhafte, sehr starke Abmagerung, Anm. d. Verf.] bis hin zum Normgewicht“ 32. Verbunden mit dem Wachstumsstopp sind auch die ausbleibende Brustentwicklung und die fehlende Bildung einer weiblichen Figur. Das abgemagerte äußere Erscheinungsbild ist ein deutliches, erkennbares Zeichen der AN.
Trotz des Untergewichts empfinden Anorektikerinnen ihren Körper als zu dick. Es besteht eine extreme Angst zuzunehmen, wodurch das ständige Hungern beibehalten und die Krankheit aufrechterhalten wird. Die Angst der Gewichtszunahme ist im Erleben und Verhalten der Anorektikerinnen so zentral, dass die AN verschiedentlich als „Normalgewichts-Phobie“33 bezeichnet wurde. Aufgrund der Empfindung, zu dick zu sein, besteht häufig kein Krankheitsbewusstsein und die Störung wird verleugnet.
Die Störung des Körperschemas und -bildes wird in Kapitel 5 näher beschrieben.
Durch die Unterernährung kommt es zu einer Reihe von somatischen Folgeerscheinungen wie dem Absinken der Körpertemperatur (Hypothermie), des Blutdrucks (Hypotonie), der Verlangsamung des Pulses (Bradykardie) und der Bildung von Flaumbehaarung (Lanugo)34. Auch ist das Ausbleiben der Monatsblutung (Amenorrhoe) bzw. „das Ausbleiben der Menarche [bei Mädchen in der Pubertät, Anm. d. Verf.] ein häufiges […] Symptom“35.
Im Folgenden sind die Diagnosekriterien des Diagnostischen und statistischen Manuals psychischer Störungen (DSM) und der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD 10) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wörtlich wiedergegeben.