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Über dieses Buch:

Sie haben ihre Zeit geprägt – und die Entwicklung der Menschheit bis in die Gegenwart beeinflusst. Doch was wäre passiert, wenn eine als »Hurenkind« geächtete Prinzessin unter dem Henkersschwert gestorben wäre, statt als Elisabeth I. den englischen Thron zu besteigen? Welchen Kurs hätte Amerika genommen, wenn Abraham Lincoln 1842 bei einem Duell getötet worden wäre – und wie sähe unser Leben heute aus, wäre Adolf Hitler als junger Mann im Krieg gefallen? Robert Gordian ist diesen und anderen Fragen nachgegangen und erzählt kenntnisreich und mitreißend davon, wie ein einziger Moment die gesamte Weltgeschichte verändert.

Spannend, erhellend und faszinierend: der Historiker und erfolgreiche Autor Robert Gordian präsentiert sechs kontrafaktische Erzählungen über Caesar, Chlodwig, Otto I., Elisabeth I., Lincoln, Hitler – und lässt uns hautnah teilhaben an historischen Ereignissen der besonderen Art.

Über den Autor:

Robert Gordian, geboren 1938 in Oebisfelde, studierte Journalistik und Geschichte und arbeitete als Fernsehredakteur, Theaterdramaturg, Hörspiel- und TV-Autor, vorwiegend mit historischen Themen. Seit den neunziger Jahren verfasst er historische Romane und Erzählungen. Robert Gordian lebt in Eichwalde, einem Vorort Berlins.

Die Serie WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN umfasst aktuell drei Bände:

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Caesar, Chlodwig, Otto I., Elisabeth I., Lincoln, Hitler

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Napoleon, Paulus, Themistokles, Dschingis Khan, Bolívar, Chruschtschow

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Karl der Große, Arminius, Gregor VII., Mark Aurel, Peter I., Friedrich II.

Robert Gordian veröffentlichte bei dotbooks außerdem die historischen Romane MEIN JAHR IN GERMANIEN, DIE EHRLOSE HERZOGIN, XANTHIPPE – DIE FRAU DES SOKRATES und DIE GERMANIN sowie drei Romanserien: ODO UND LUPUS, KOMMISSARE KARLS DES GROSSEN, DIE MEROWINGER und ROSAMUNDE – KÖNIGIN DER LANGOBARDEN. Mehr Informationen über diese Serien finden Sie am Ende dieses eBooks.

Weitere Romane sind in Vorbereitung.

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Originalausgabe Juli 2015

Copyright © 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Ralf Reiter

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Illustrationen von Frank Beutel, www.fb55.de

ISBN 978-3-95824-219-7

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Robert Gordian

Wären sie früher gestorben …

Caesar, Chlodwig, Otto I., Elisabeth I., Abraham Lincoln, Adolf Hitler

Sechs kontrafaktische Erzählungen

dotbooks.

Zum Geleit

Kontrafaktische historische Erzählungen?

Jede beruht auf überlieferten Tatsachen, doch ein wichtiges Faktum ist ausgespart: Der Hauptakteur des geschichtlichen Vorgangs fällt aus. Ein früher Tod hindert ihn, seine welthistorische Rolle zu spielen.

Was wäre ohne ihn geschehen? Welche Ereignisse hätten nun eintreten können? Wie wäre es ohne das Erscheinen dieser prägenden Persönlichkeit in der Geschichte der Menschheit weitergegangen? Wäre die Welt ohne sein oder ihr Auftreten besser oder schlechter geworden?

Wir wissen es nicht.

Doch es öffnet sich hier ein weiter Raum für unterhaltsame Spekulationen. Der frühe Tod des noch nicht aufgetretenen Protagonisten oder der Hauptdarstellerin einer Geschichtsepoche erfordert für das zu spielende Stück ein Alternativszenarium. Wir können immer nur eines anbieten. Dabei gäbe es unzählige.

Vielleicht lässt der Leser sich darauf ein und macht seine eigenen Entwürfe …

GAIUS IULIUS CAESAR

Proskribiert

Auf dem Forum Romanum, unter den Säulen der Vorhalle des Apollon-Tempels, sitzt Lucius Cornelius Sulla zu Gericht. Die Verhöre sind kurz, und er fällt fast ausschließlich Todesurteile.

Unten, seitlich der breiten marmornen Stufen, drängen sich Hunderte. Eine bösartig schweigende Menge. Nur wenn er das erwartete Urteil spricht, erhebt sich beifälliges Geschrei.

Und wenn der Verurteilte abgeführt wird, um vom Tarpejischen Felsen gestürzt zu werden, folgen jedes Mal einige den Henkern, um zuzusehen. Aber fast alle anderen bleiben und warten gespannt, mit offenen Mündern und gierigen Blicken.

Senatoren, Aristokraten, Ritter, Tribunen, Geschäftsleute, Kriegsveteranen, vornehme Frauen, arme Klienten, Musikanten, Schauspieler, Dirnen, Freigelassene, Sklaven.

Neben Sulla sitzen die Konsuln, die ihm Papyri und Wachstafeln zureichen. Darauf ist alles verzeichnet, was die Verurteilten hinterlassen. Zwischen den Urteilssprüchen verteilt der Allmächtige Geschenke an seine Getreuen.

»Ein Gut bei Praeneste, zweitausend Joch. Es gehörte dem Marianischen Schurken Calvus. Wer will es haben?«

Arme werden hochgerissen, Schreie ausgestoßen. Ein Veteran drängt sich vor, ein anderer stößt ihn beiseite. Ganz vorn steht ein feister Ritter, der nur ein wenig die Hand hebt.

»Es gehört dir, Barbatus, mein alter nimmersatter Einsäckler. Für ein Tausendstel seines Wertes – hundert Sesterzen. Sei dessen eingedenk, wenn ich dich und deine Schwertfabrik brauche.«

»Versteht sich, Diktator. Ich danke ergebenst.«

»Ein neues Haus, drei Stockwerke, in der Subura. Nein, Tullus, du hast schon zwei Häuser bekommen. Metrobius! Für dich wird es höchste Zeit, dass du ein festes Dach überm Kopf hast. Sonst ziehst du noch weiter und verlässt mich. Solange ich lebe, will ich dir zusehen, wenn du im Schauspiel die schönen Frauen mimst!«

Der nicht mehr junge Komödiant tritt mit devotem Grinsen vor und empfängt eine Wachstafel als Besitzurkunde. Er wirft dem Diktator einen Luftkuss zu, der ihn, den Mund spitzend, erwidert.

Zwei Schergen schleppen einen gefesselten, blutenden Mann die Treppe herauf.

»Ah, Mamilius! Wie lange warte ich schon auf dich! Deine Vettern, die Senatoren, sollen meinem Feind Cinna zu seinem vierten Konsulat verholfen haben. Das fand ich nicht nett von ihnen, deshalb setzte ich sie auf die Proskriptionslisten. Aber sie sind spurlos verschwunden. Willst du dein schäbiges Leben ein wenig verlängern, indem du uns sagst, wo sie sich verstecken?«

»Ich weiß es nicht, Diktator«, keucht der Geschundene, »das schwöre ich. Vielleicht sind sie in den Sabinischen Bergen.«

»Und dort soll ich sie suchen? Jetzt im Winter, in den Bergen? Das mutest du mir zu?«

»Ich würde dir sagen, wo sie sind, doch ich hab keine Ahnung …«

»Schade um dich, Mamilius. Früher hielt ich dich für einen vernünftigen Mann. Wo habt ihr ihn denn gefunden?«

»Im Keller, beim Schankwirt Porcius«, sagt einer der Schergen.

»Wie?«, ruft Sulla. »Und was ist mit dem Schankwirt?«

»Dem Schankwirt?«

»Lebt er?«

»Er lebt«, erwidert der Scherge erschrocken.

»So habt ihr Schufte noch immer nicht begriffen, dass auch jeder, der einen Proskribierten versteckt, ohne Urteil getötet werden muss?«

»Das lässt sich ja machen. Wir gehen gleich hin. Und was ist mit dem hier?«

»Der will ja nicht leben. Erfüllt seinen Wunsch!«

Die Schergen führen den Mann beiseite, in eine Gasse zwischen den Tempeln des Forums, stoßen ihm ihre Dolche in Brust und Rücken und werfen ihn zu anderen Leichen auf einen Karren.

Zwischendurch liebt es der Diktator, auch mal einen Witz zu erzählen.

»Ihr wisst ja alle, was für herrliche Siege ich im Osten errang. Dabei kam ich auch nach Athen. Und da gab es doch einen verwegenen Kerl, der ein Verslein auf mich dichtete. Das ging so: ›Habt ihr den Sulla schon gesehen und euch an seinem Anblick erfreut? Der Maulbeere gleicht er, mit Mehl bestreut!‹ Nun, wie findet ihr das?«

Betretenes Schweigen ringsum. Auch die Konsuln verziehen keine Miene, sie wagen es nicht. Denn das Gesicht des Diktators ist über und über mit roten Schrunden und weißen Pusteln bedeckt.

»Ihr lacht ja nicht«, fährt Sulla fort. »Es gibt ja auch noch gar nichts zu lachen. Das Beste kommt noch. Der Kerl hat seine Verse an eine Hauswand geschmiert. Man meldet es mir. Nun, ich dachte, bei allen Göttern, dagegen musst du wohl etwas tun. Und befahl, ein paar Griechen zusammenzutreiben und niederzumachen. Ihr fragt, wie viele? Fünfundzwanzigtausend! Haha!«

Nun brechen alle in Gelächter aus. Die Männer halten sich die Seiten, die Frauen kreischen.

»Den Griechen muss man es geben!«

»Faules Pack. Aber immer das große Maul!«

»Ausrotten sollte man sie!«

Wieder wird ein Korb mit Wachstafeln und Papyrusrollen gebracht.

Der Diktator greift wahllos hinein.

»Ah, mein besonders lieber Freund Gaius Titius! Habt ihr ihn endlich erwischt? Wer hat sich die zwei Talente Belohnung verdient?«

»Sein Sohn, Diktator«, sagt der Legionär, der den Korb gebracht hat, »Marcus Titius. Hat den Alten mit einem Kissen erstickt.«

»Tüchtiger junger Mann. Dass mir niemand sein Erbe anrührt. Oh! Auch Silvanus! Der alte Stänker, Cinnas Ohrenbläser. Ich fürchtete schon, er sei uns entkommen. Wer hat das Verdienst?«

»Sein Sklave Fulvius. Ein Kriegsgefangener.«

»Gebt ihm die zwei Talente.«

»Ist schon geschehen.«

»Aber nicht mehr. Demnächst werde ich alle Kriegsgefangenen freilassen. Dann wird er nicht mehr Fulvius, sondern Cornelius heißen. Alle Freigelassenen bekommen meinen Namen, sie sind dann meine große Familie. Das ist mehr Belohnung, als sie verdienen. Hier steht, Silvanus habe ein Haus mit warmem Bad und überall Fußbodenheizung besessen. Wäre das nicht etwas für dich, Lucilla? Deine zarte Gesundheit liegt mir am Herzen. Wie viel? Nun, sagen wir, sechzig Sesterzen. Die hast du nicht? Dann wirst du dich anders erkenntlich zeigen, du weißt schon … Ihr Götter! Catilina, mein Bester! Wieder erfolgreich gewesen? Was für ein schöner Kopf! Vor lauter Blut erkennt man die edlen Züge nicht mehr. Wem gehörte er?«

»Dem Prätor Marius Gratidianus, Diktator.«

»Wirklich? Dem Bruder deiner Frau? Eine kühne Tat! Ich gratuliere dir.«

Ein dürrer, kleiner Mann steht vor Sulla und streckt ihm einen abgeschlagenen Kopf entgegen, den er mit einer Hand an den grauen Haaren hält.

»Soll ich ihn zu den anderen an die Rostra nageln, Diktator?«

»Nein. Er war ein schlechter Redner, sein Kopf gehört nicht auf die Rednerbühne. Und wenn er redete, beschimpfte er mich, der Schurke. Hast du ihn auch noch ordentlich gefoltert?«

»Hundert Hiebe. Das Blut hier an meinen Händen … alles von ihm.«

»Du kannst dir die Hände dort im Weihwasserbecken waschen. Apollon, mein Beschützer, dem ich mein Glück verdanke, wird nichts dagegen haben. Den Kopf stell hier neben mich auf den Tisch, damit ich mich an ihm erfreuen kann. Und wen bringt ihr mir da? Dich kenne ich nicht. Wie heißt du?«

»Quintus Aurelius.«

»Hatten wir mal miteinander zu tun?«

»Nein.«

»Und was hast du verbrochen?«

»Nichts.«

»Er hat der Familie des Cluilus sein Beileid ausgesprochen«, bemerkt einer der Konsuln.

»Tut dir wohl leid um den Kerl«, sagt Sulla. »Aber deshalb kommt man noch nicht auf die Listen. Was ist es in Wahrheit?«

»Meine Villa im Albanergebirge«, erwidert der Mann mit einem bitteren Lächeln. »Es gibt unter deinen Leuten wohl einen, der sie haben will. Die Villa hat mich proskribiert.«

»Eine geistvolle, aber freche Antwort. Schade um dich. In besseren Zeiten wärst du mir vielleicht nützlich geworden. Gebt ihm, was er verdient!«

Der Verurteilte wird hinter den Tempel geschleppt, und man hört ihn noch schreien und Verwünschungen ausstoßen.

»Und wer ist dieser junge Mann? Hübscher Kerl. Dein Name?«

»Gaius Iulius Caesar.«

»Sieh einmal an … Caesar, der Sohn. Ich hätte dich auf der Straße nicht wiedererkannt. Ist ja auch lange her, seit ich dich zum letzten Mal sah. Damals warst du noch ein Knabe. Und wie alt bist du jetzt?«

»Neunzehn Jahre.«

Der junge Mann auf der unteren Stufe des Tempels, in lässig gegürteter Tunika, scheint keine Furcht zu empfinden. Er blickt eher mit Neugier, wenn auch mit Vorsicht gepaart, auf den Diktator, den furchtbaren Sulla, den Alleinherrscher Roms, den man nicht täglich aus solcher Nähe sieht.

»Weshalb bist du hier? Willst du um Gnade bitten?«

»Nein.«

»So stehst du nicht auf den Listen? Bist freiwillig gekommen?«

»Du hast mich doch herbestellt.«

»Ah … ja, ich erinnere mich. Caesar! Es gibt da einige Unklarheiten. Ich weiß noch nicht, was ich von dir zu halten habe, mein Junge. Dein Vater war ein Vertrauter meines Feindes Cinna, er hob Soldaten für ihn aus, sammelte Geld für ihn. Wie ich höre, ist er gestorben.«

»Vor über drei Jahren.«

»Ein großer Verlust für die Partei der Popularen. Und versuchst du nun, ihn zu ersetzen?«

»Nur als Oberhaupt meiner Familie.«

»Deiner Familie, ja … eine merkwürdige, eine sehr auffällige Familie. Da gibt es eine Witwe Julia, die mit Gaius Marius verheiratet war … meinem zweiten, vielleicht noch schlimmeren Feind. Ist das richtig?«

»Sie ist meine Tante. Die Schwester meiner Mutter.«

»Marius war also dein Onkel. Mochtest du ihn?«

»Ich kannte ihn kaum. Er war ja fast immer im Felde.«

»Ja, ja … Der andere war dafür immer in Rom. Cinna regierte. Ließ sich – gesetzwidrig – viermal nacheinander zum Konsul wählen.«

»Das war seine Angelegenheit«, sagt der junge Caesar fest. »Damit hatte ich nichts zu tun.«

»Natürlich nicht. Du hattest nichts damit zu tun. Er war nur dein Schwiegervater. Richtig?«

»Er war nicht mehr am Leben, als ich seine Tochter heiratete.«

»Ja, er ist tot, der Hund. Seine Soldaten haben ihn umgebracht. Ihr kennt doch alle die schöne Geschichte«, wendet sich Sulla an seine Zuhörer, die noch näher herandrängen, um von dem Verhör nichts zu verpassen. »Er sammelt ein Heer gegen mich und will damit über das Meer. Aber das Wetter ist stürmisch, und das erste Schiff mit drei Manipeln an Bord säuft ab. Da kommt es am Ufer zur Meuterei. Keiner will noch ein Schiff besteigen. Sie werfen mit Steinen nach Cinna, dem Schuft, der sie dazu zwingen will. Schließlich zücken sie ihre Dolche und machen Hackfleisch aus ihm. Was für ein Spaß, ich lasse mir das immer wieder erzählen.«

Die Zuhörer lachen, einige, die auf sich aufmerksam machen wollen, besonders laut.

Der junge Caesar will etwas einwenden, überlegt es sich aber, seufzt nur und schweigt.

»Und du bist also mit seiner Tochter verheiratet. Junges Glück. Schon Nachwuchs?«

»Ein Mädchen.«

»Das vereinfacht den Fall. Du wirst die Tochter des Cinna, dieses Verbrechers, verstoßen und eine andere heiraten.«

Ein scharfer, kalter Blick trifft den jungen Mann. Graue Augen starren aus dem rotweißen Gesicht des Diktators, das geschminkt zu sein scheint wie die Maske eines Possenreißers.

Caesar zögert mit der Antwort. »Warum sollte ich sie verstoßen?«, sagt er dann. »Sie hat nichts getan.«

»Ich will es so.«

»Aber warum soll sie denn für ihren Vater büßen? Sie kann nichts dafür, dass er …«

»Stell dich nicht dumm! Und versuche nicht, mit mir zu streiten, Bürschlein. Man behauptet zwar, du seist harmlos, mischtest dich nicht in Politik … doch wer weiß … vielleicht täuscht er uns nur …« Sulla wendet sich mit fragendem Blick an die neben ihm sitzenden Konsuln.

»Er hält sich aus allem heraus«, sagt der eine. »Es liegt nichts gegen ihn vor.«

»Ein bisschen unvernünftig und störrisch ist er. Ganz anders Pompejus, unser junger Feldherr. Auch er hatte die falsche Frau geheiratet, und ich empfahl ihm, sich von ihr zu trennen. Ohne Fragen zu stellen, tat er es. Er wird nun meine Stieftochter heiraten, Aemilia Scaura. Vorher wird sie sich von ihrem Ehemann Glabrio trennen, einem Ritter. Zwar ist sie schwanger von dem, aber das macht nichts. Es ist wichtig, dass wir Patrizier zusammenhalten und dass die großen Familien untereinander heiraten. Hast du verstanden, Gaius Iulius Caesar?«

»Ich habe verstanden. Aber ich bleibe dabei. Ich trenne mich nicht von meiner Frau.«

»Wie standhaft, wie edel«, sagt Sulla lachend, die schadhaften Zähne entblößend. »So wünsche ich mir unsere römische Jugend. Das muss man anerkennen und loben, auch wenn man anderer Meinung ist. Aber eines möchte ich doch wissen: Ist es ein politischer Grund, der dich so fest mit ihr verbindet?«

»Es ist ein menschlicher«, sagt der junge Caesar. »Ich liebe sie!«

»Immer besser, immer besser!«, ruft der Diktator. »Gepriesen sei Venus Libentina, die Göttin der sinnlichen Lust. Auch ich verehre sie, wie man weiß. Opferst du ihr auch eifrig, dort oben auf dem Kapitol, in ihrem Tempel?«

»Wir opfern der Venus genetrix.«

»Als der Stammmutter des römischen Volkes.«

»Und unserer Familie«, ergänzt der Neunzehnjährige ernsthaft. »Ihr Enkel war Iulus, der Stammvater meines Geschlechts.«

»Was du nicht sagst! Das wusste ich gar nicht. Du stammst also direkt von ihr ab.«

»Iulus, der Gründer von Alba Longa, war der Sohn ihres Sohnes Aeneas, der nach der Flucht aus Troja hierher nach Italien kam.«

»Hieß der Gründer von Alba Longa, der Mutterstadt Roms, nicht Ascanius?«

»Das ist nur ein anderer Name des Iulus.«

»Ah, so ist das. Da habe ich etwas Neues erfahren. Wie nützlich ist so ein Gespräch mit einem gebildeten jungen Mann! Nun, dann wollen wir den Nachkommen der Venus genetrix, den treuen Liebhaber seiner eigenen Ehefrau, nicht länger aufhalten. Nur noch eine letzte Frage, mein lieber Gaius Iulius Caesar. Gibt es vielleicht auch einen ökonomischen Grund dafür, dass du so treu bist?«

»Ich wüsste keinen.«

»Man sagt, die Mitgift deiner jungen Frau sei beträchtlich. Ein paar Millionen, dazu Häuser und Güter.«

»Man übertreibt.«

»Cinna, ihr Vater, hat in den vier Jahren seines Konsulats eine Menge gestohlen. Vieles davon soll in der Mitgift stecken.«

»Davon will ich nichts wissen.«

»Umso besser!«, ruft Sulla fröhlich. »Das ist das Wort eines Römers, der verächtlich auf schnöden Reichtum herabsieht. Wenn du nichts davon wissen willst, brauchst du die Mitgift ja nicht. Deshalb wirst du alles herausgeben, wenn meine Bevollmächtigten dich aufsuchen. Und das Vermögen, das dir dein Vater hinterlassen hat, brauchst du auch nicht. Bedenke, es ist ebenfalls unrechtes Gut, mit Betrug und Erpressung zusammengebracht.«

»Aber …«

»Du darfst jetzt gehen. Meinen herzlichen Gruß der Frau Aurelia, deiner verehrungswürdigen Mutter. Lasst ihn durch! Macht Platz für Gaius Iulius Caesar! Ich prophezeie euch, ihr werdet noch viel von ihm hören. Ein neuer Marius steckt in ihm. Ach, was sage ich – ein mehrfacher, ein vielfacher Marius!«

Der ironische Vergleich mit dem berühmten Feldherrn der Popularen erregt ringsum Gelächter, zumal Caesar, sich abwendend, ein wenig schwankt, stolpert und beinahe hinfällt.

Eiligen Schrittes geht er fort und verschwindet in der Menge.

Der Diktator erhebt sich, winkt einem der Männer seiner Leibwache und tritt mit ihm hinter eine Säule.

»Höre, Phagita. Dir überlasse ich diesen jungen widerborstigen Kerl. Ich hielt ihn bis jetzt für ungefährlich, deshalb setzte ich ihn nicht auf die Listen. Wollte nichts übereilen und erst mit ihm reden, ehe ich meine Entscheidung fällte. Nun ist sie gefallen. Du hast verstanden?«

»Verstanden, Diktator.«

»Dann folge ihm. Er wird noch heute versuchen zu fliehen. Nimm ein paar Männer mit, zur Sicherheit. In diesem Fall wünsche ich kein Aufsehen, seine Familie ist einflussreich, und ich will keinen Ärger mit ihr. Sieh zu, dass es wie ein Unfall aussieht. Noch vor Mitternacht erwarte ich deine Meldung. Wo du mich finden wirst, weißt du ja. Aber unterbrich nicht wegen dieses kleinen Lumpen Caesar die Vorstellung. Heute Abend wird Phädra gegeben, Metrobius spielt sie.«

***

Phagita gelingt es nicht, seinen Auftrag noch am selben Tag auszuführen.

Der junge Caesar entkommt ihm zunächst. In der Gewissheit, dass Sulla ihm Mörder nachschicken werde, nimmt er Abschied von seiner Frau und seiner Mutter, besteigt ein Pferd und reitet ostwärts, um wie so viele Proskribierte Zuflucht im Grenzgebiet der Sabiner zu suchen.

Gleich hinter Tivoli steigen die Felsen steil an. Ein paar Tage lang irrt Caesar mit wenigen Begleitern über die Höhen und durch die Schluchten des rauhen Berglands. Ständig wechselt er den Aufenthalt, begegnet immer wieder anderen Verfolgten.

Kopfjäger sind hinter den Flüchtigen her, deren Namen auf den in Rom an die Wände geschlagenen Proskriptionslisten stehen.

Die Fieberluft in den Tälern bekommt dem jungen Caesar so schlecht, dass er schließlich getragen werden muss.

So gelingt es Phagita, ihn einzuholen. Caesar bietet ihm an, das vom Diktator für jeden Gefassten oder Getöteten ausgelobte Kopfgeld von zwei Talenten selbst zu bezahlen. Er hat sich vorsorglich mit einer hohen Summe versehen.

Phagita geht darauf ein, nimmt den Sack mit den Silbermünzen und zieht sich mit seinen Leuten zurück. Doch dann überfällt er aus einem Hinterhalt den kleinen Trupp Caesars und erwürgt den kranken jungen Mann auf dem Tragebett. Dessen Begleiter ergreifen die Flucht.

Nach Rom zurückgekehrt, meldet Phagita dem Diktator den Vollzug seines Auftrags. Sulla ist zufrieden, weil man Caesars Tod nun auf dessen Erkrankung zurückführen kann.

Mit keinem Wort erwähnt Phagita den vorausgegangenen Handel mit dem Ermordeten. So kassiert er noch einmal zwei Talente. Den Leichnam Gaius Iulius Caesars hat er irgendwo in den Sabinischen Bergen verscharrt.

Gehen wir kontrafaktisch davon aus, dass der neunzehnjährige Caesar Ende des Jahres 81 v. u. Z. auf der Flucht vor den Proskriptionen des Diktators Sulla ums Leben kommt, wird es die folgenden Vorgänge und Ereignisse in der römischen Geschichte nicht geben.

Der aufstrebende Popularen-Politiker Caesar absolviert zwischen 68 und 59 v. u. Z. den Cursus honorum, die römische Ämterlaufbahn.

Als Ädil stürzt er sich in Schulden (8 Millionen Denare), um Spiele zu veranstalten und sich populär zu machen. Als Propraetor geht er nach Spanien, bekämpft die Iberer und saniert sich auf ihre Kosten.

Im Jahre 60 bringt er als umtriebiger Inspirator und »Macher« den militärisch erfolgreichen, doch als Politiker wirkungslosen Pompejus und den schwerreichen Crassus dazu, mit ihm ein Triumvirat zu bilden, das ohne gesetzlichen Rückhalt die eigentliche Regierungsmacht ausübt.

Er wird für das Jahr 59 zum Konsul gewählt und sichert sich mit Hilfe der Triumvirn das Prokonsulat in der Provinz Gallia narbonensis. Von dort aus erobert er zwischen 58 und 51 ganz Gallien.

Er kehrt zurück, führt seine Legionäre gesetzwidrig über den Grenzfluss Rubicon auf römisches Gebiet (»Alea iacta est«) und vertreibt Pompejus, der die Partei gewechselt hat und mit dem er nach Auflösung des Triumvirats verfeindet ist.

Pompejus weicht nach Griechenland aus und liefert Caesar die Schlacht bei Pharsalos. Er verliert sie, flieht nach Ägypten und wird dort ermordet. Caesar folgt ihm, und ein Minister des Pharao, der Eunuch Potheinos, überreicht ihm den abgeschnittenen Kopf seines Widersachers.

Einem entrollten Teppich entstiegen, präsentiert sich ihm die von ihrem Bruder und dessen Hofkamarilla entmachtete Königin Kleopatra. Die berühmteste Liebesromanze der Weltgeschichte beginnt.

Caesar führt und gewinnt nebenbei den »Alexandrinischen Krieg«, setzt Kleopatra wieder in ihre Rechte ein und zeugt mit ihr den Sohn Caesarion. Dann zieht er gegen den König Pharnakos von Pontos und schlägt ihn in wenigen Tagen (»Veni, vidi, vici«). In Nordafrika besiegt er die letzten Aufgebote der Pompejaner und in Spanien die Söhne des Pompejus.

In das jubelnde Rom zurückgekehrt, sonnt er sich im Glanz seines Ruhms und lässt den Wunsch erkennen, fast fünfhundert Jahre nach Abschaffung des Königtums als »rex Romanorum« den Thron zu besteigen. Der unterwürfige Senat ruft ihn schon einmal zum »dictator perpetuus« aus – Diktator auf Lebenszeit.

Standhafte Republikaner beschließen deshalb, seine Lebenszeit zu verkürzen. An den Iden des März 44 (15. März) fällt er in der Kurie einer Verschwörung zum Opfer. Von den sechzig beteiligten Senatoren treffen ihn dreiundzwanzig Dolchstiche.

***

So weit die römische Geschichte des ersten Jahrhunderts v. u. Z. unter der persönlichen Mitwirkung Caesars. Danach treten an seine Stelle der großspurige Konsul Marcus Antonius und Caesars eiskalter Großneffe und Erbe Gaius Octavius.

Dieser, der sich bald Imperator Caesar Divi Filius Augustus nennen wird, errichtet das Prinzipat, die immer mehr ausufernde, brutale Autokratie unter dem Mantel der republikanischen, demokratischen Verfassung.

Die Macht bleibt nun erst einmal – für hundert Jahre – in der Familie. Als »Prinzeps« folgen Augustus weitere Nachkommen des julisch-claudischen Clans: Tiberius, Caligula, Claudius, Nero.

Sie alle gäbe es nicht als Machthaber – ohne Caesar.

Auch nicht die anderen Kaiser, die besseren, die nach ihnen kommen: Vespasian, Trajan, Hadrian, Antoninus Pius, Marcus Aurelius. Schon gar nicht die Schurken, Schwächlinge und Kindkaiser: Domitian, Commodus, Caracalla, Heliogabalus, Alexander Severus.

Nichts liest man in den Geschichtsbüchern von den Soldaten-, Gegen- und Nebenkaisern. Unbekannt sind die Namen Septimius Severus, Decius, Aurelian, Diocletian, Konstantin, Julian (Apostata), Theodosius I. und II. wie auch der Name des Romulus Augustulus, des letzten Westkaisers.

Niemand würde je von diesen byzantinischen Kaisern gehört haben: Arcadus, Zenon, Justinian, Herakleios oder den mehrfach vorkommenden Leo, Romanos, Alexios, Nikophoros, Johannes.

Der Name Caesar würde nicht bis in das Mittelalter und in die Neuzeit als »Kaiser« oder »Zar« die höchste Autorität im Staate bezeichnet haben, würde nicht immer wieder von Usurpatoren der Macht – von Napoleon bis Bokassa – missbraucht worden sein, würde nicht unfähige, ruchlose, niederträchtige Personen, die nicht verdienten, im Welttheater eine Rolle zu spielen, in solche Höhe befördert haben.

***

Musste die römische Republik zugrunde gehen, und wartete sie auf einen Caesar?

Keine Frage, dass sie sich ohne ihn von den Wirren des Bürgerkriegs und den anderen Konflikten erholt hätte.

Sie bestand zur Zeit des Gaius Iulius Caesar seit fast fünf Jahrhunderten und hätte noch weitere fünf Jahrhunderte, wenn nicht noch ein Jahrtausend und länger bestehen können. Sie hatte starke Wurzeln und einen kräftigen Stamm, der nur äußerlich beschädigt war. Nur einige abgestorbene Äste und Zweige mussten abgehauen werden. Die republikanische Verfassung war vom Volke so tief verinnerlicht, dass die Autokraten – die Caesaren – sie nicht ignorieren konnten.

Augustus, der erste »Kaiser«, beteuerte heuchlerisch, nur princeps inter pares, Erster unter Gleichen, zu sein und nur im Rahmen dieser Verfassung zu wirken. Die Demokratie hatte eine zu lange, erfolgreiche Geschichte.

Unendlich viel verdankt Europa den ersten Demokraten – den Griechen und Römern. Als die Athener im Jahr 510 v. u. Z. den letzten Tyrannen Hippias vertrieben, begannen sie, wenn auch erst langsam, mit dem Aufbau demokratischer Institutionen (Rat der Fünfhundert, Volksgerichte, Ostrakismos). Doch schon in der Mitte des fünften Jahrhunderts brachten Männer wie Perikles die attische Demokratie, die Volksherrschaft, zur Blüte.

Fast gleichzeitig (509) vertrieben die Römer ihren letzten König, den Etrusker Lucius Tarquinius Superbus. Nie wieder wollten sie den Launen und Ansprüchen, dem Ehrgeiz, der Besitzgier und dem Blutdurst eines einzelnen Mannes ausgeliefert sein.