Über dieses Buch:
Die Leiche am Elbstrand ist grausam zugerichtet: Hände und Kopf fehlen, der rechte Unterschenkel ist nur noch ein zerfetzter Stumpf. Alles deutet darauf hin, dass der Körper in eine Schiffsschraube geraten ist. Ein brutaler Unfall? Oder das perfekte Verbrechen?
Um herauszufinden, was dahinter steckt, verwandeln sich in den Laboren der Gerichtsmedizin selbst die kleinsten Hinweise in entscheidende Spuren. Begeben Sie sich mit den Pathologen auf die Suche und ergründen Sie die Geheimnisse der forensischen Arbeit!
Lassen Sie sich überraschen: Die Realität ist faszinierender als jeder Krimi – und härter als jeder Thriller!
Über die Autorin:
Nicole Drawer (1965–2019) begann gleich nach dem Schulabschluss ihre Karriere bei der Polizei Hamburg. Sie war viele Jahre als verdeckte Ermittlerin tätig und absolvierte von 1993 bis 2000 ein Studium der Kriminalistik und Psychologie. In dieser Zeit setzte sie sich intensiv mit der Psyche von Serienmördern auseinander. Später wechselte sie zum Landeskriminalamt Hamburg und war viele Jahre als Kriminaloberkommissarin tätig.
Bei dotbooks veröfffentlichte sie außerdem ihre Kriminalromane Das Zeichen auf der Stirn und Allein mit deinem Mörder, die auch im Doppelband erhältlich sind.
***
Neuausgabe Juli 2015
Copyright © der Originalausgabe 2006 by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de
Titelbildabbildung: © Thinkstockphoto/Hemera
ISBN 978-3-95824-304-0
***
Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weiteren Lesestoff aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort Todesart: Nicht natürlich an: lesetipp@dotbooks.de
Gerne informieren wir Sie über unsere aktuellen Neuerscheinungen und attraktive Preisaktionen – melden Sie sich einfach für unseren Newsletter an: http://www.dotbooks.de/newsletter.html
Besuchen Sie uns im Internet:
www.dotbooks.de
www.facebook.com/dotbooks
www.twitter.com/dotbooks_verlag
http://instagram.com/dotbooks
Nicole Drawer
Todesart: Nicht natürlich.
Ungeklärte Todesfälle auf dem Seziertisch
dotbooks.
Vor einiger Zeit sprach ich mit einem Bekannten über Mordfälle. Er meinte, dass es das perfekte Verbrechen eigentlich gar nicht mehr gebe. Ich stimmte ihm zu. Theoretisch nicht. Oder vielleicht doch?
Ein Verbrechen ist nicht dann perfekt, wenn der wahre Täter nie gefunden wird, sondern dann, wenn es überhaupt nicht nach einem Verbrechen aussieht.
Früher wurden viele Verbrechen gar nicht erst entdeckt. Andererseits wurden natürliche Todesursachen oft für Verbrechen gehalten – bisweilen reichten ein Motiv und eine Falschaussage zu rechten Zeit aus, um einen unschuldigen Menschen lebenslang ins Gefängnis oder gar an den Galgen zu bringen.
Beweismittel wie Fingerabdrücke kannte man zu diesen Zeiten noch nicht – und auch nachdem man sie entdeckt hatte, wurden sie lange Zeit vor Gericht nicht als Beweismittel anerkannt – und so war Justizirrtümern Tür und Tor geöffnet.
Im Verlauf des letzten Jahrhunderts haben die Kriminaltechnik und die Gerichtsmedizin unglaubliche Fortschritte gemacht. War es in grauer Vorzeit im besten Falle möglich, Tierblut von Menschenblut zu unterscheiden, so konnte man zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts mit einem Mal Blutgruppen bestimmen, und mittlerweile können wir mittels DNA-Analysen sogar einen Täter unter tausenden Verdächtigen ausfindig machen.
Wenn man bedenkt, welche und wie viele Spuren jeder von uns täglich hinterlässt, dann liegt die Vermutung nahe, dass das perfekte Verbrechen tatsächlich ein Relikt aus der Vergangenheit ist: Die Zahnbürste reinigt nicht nur unsere Zähne, sie ist auch Spurenträger; an ihr haften Speichelreste und Mundschleimhautpartikel. Sie ist also für eine DNA-Analyse bestens geeignet, ebenso wie eine Haarbürste oder ein Kamm. Eine Kaffeetasse, ein Glas, ein ausgedrückter Zigarettenstummel – an all diesen Gegenständen lassen sich Speichelreste finden. Zudem hinterlassen wir Fasern unserer Kleidung auf allen Sitzgelegenheiten, ob im Sessel, im Auto, im Zug oder auf dem Teppich. Urin, Sperma, Vaginalsekret – all diese Körperflüssigkeiten erzählen, wo wir waren, und möglicherweise auch, was wir getan haben. Haare auf dem Kissen, Schuhspuren auf dem Teppich … all das gibt Auskunft über uns. Ein Spurensucher kann diese Fährten lesen wie Einträge in einem Tagebuch.
Das müsste doch jeden potenziellen Verbrecher abhalten, denken Sie? Weit gefehlt! Das, was uns aus Krimis und wissenschaftlichen Sendungen und auch aus Büchern bekannt ist, ist Allgemeingut. Jeder hat schon von DNA gehört, und jeder weiß, dass ein Fingerabdruck individuell ist. Jeder. Also auch ein Straftäter.
Kaum ein Krimineller hinterlässt heute noch eine Fingerspur. Sexualstraftäter tragen Kondome und Bankräuber Mützen. Aber das ist längst noch nicht alles. Je weiter die Wissenschaft fortschreitet, desto raffinierter werden die Täter. Nicht nur, dass sie Spuren vermeiden, sie sind auch in der Lage, falsche Fährten zu legen. Was, wenn ein Haar von Person XY an einer Leiche gefunden wird, die die Person selbst noch nie gesehen hat, ja, die sich zur Tatzeit sogar nachweislich 200 Kilometer entfernt aufgehalten hat? Wie würde es interpretiert werden, wenn eine Faserspur Ihrer Kleidung in einer Wohnung gefunden wurde, in der ein Mensch gewaltsam zu Tode gekommen ist? Im ersten Fall kann es sich um eine falsche, vom Täter gelegte Spur handeln. Im zweiten Fall kann die Spur hingegen durchaus berechtigt, also echt sein. Sie kann bei einem Besuch hinterlassen worden sein, den Sie gemacht haben, bevor die Person zu Tode kam. Sie kann aber auch auf Ihre Täterschaft hindeuten.
Es ist eine Aufgabe der Wissenschaft und der Polizei, dies herauszufinden. Kriminaltechniker und Ermittler müssen Spuren und ihre Bedeutung finden und interpretieren. Für letzteres benötigen sie jedoch oftmals Hilfe. Und damit sind wir bei der Zeugenaussage.
Aussagen mögen nicht immer genau sein, mitunter sind sie sogar eine Mischung aus Fantasie und Realität, aber trotz allem sind sie unerlässlich. Sie können die Bedeutung gefundener Spuren untermauern. In der Regel achten wir nicht auf die Besuche, die unsere 80-jährige Nachbarin erhält, wenn die alte Dame aber eines Tages mit einer Kopfwunde tot in ihrer Wohnung aufgefunden wird, ist es wichtig, dass wir uns an sie erinnern: wann sie gekommen sind, wie sie aussahen, wann sie gegangen sind. Aussagen können einen Tatzeitrahmen festlegen oder auch Täterschaften ausschließen.
Waren Polizeibeamte vor hundert Jahren noch allein auf Aussagen und den gesunden Menschenverstand derer angewiesen, die sie machten, so können sie jetzt zusätzlich auf eine Vielzahl von Experten und Sachverständigen zurückgreifen, die allein anhand von Spuren in der Lage sind, gewisse Tathergänge oder Tatsachen zu rekonstruieren: Odontologen werden hinzugezogen, wenn es gilt, einen Menschen anhand eines Gebisses zu identifizieren. Anthropologen können anhand eines Skeletts eine Vielzahl von Aussagen treffen. Ärzte, Biologen, Chemiker, Insektenforscher, all diese Leute können Auskunft zur Todesursache oder zum Todeszeitpunkt einer Person treffen.
Aber auch wenn es gilt, sich der Psyche eines Täters zu nähern, ist die Wissenschaft gefragt: Psychiater und Psychologen sind heute, genauso wie Kriminologen, aus dem Alltag der Ermittlungsbehörden nicht mehr wegzudenken. Denn oft ist es wichtig herauszufinden, was im Kopf eines Täters vorgeht, um ihm auf die Schliche zu kommen. Aus zahlreichen Gesprächen weiß ich, dass viele Menschen psychologische Täterprofile zwar nicht ablehnen, eine psychische Störung, durch die ein Mensch zum Täter wird, jedoch nicht akzeptieren können. Wie oft aber stellt sich heraus, dass ein Täter auch einmal Opfer war? Dass er das, was er anderen Menschen zugefügt hat, einst am eigenen Leibe erfahren musste?
Verbrechen sind vielschichtig, und die heutigen Ermittlungsmethoden und -möglichkeiten lassen anscheinend keine Schlupflöcher mehr zu. Wie eng das Netz der Fahnder geworden ist, zeigen die nachfolgenden Fälle.
Als Margarethe Schreiner am Morgen des 3. Juni 2000 mit ihrem Labradormischling Sandy am Hamburger Elbstrand spazieren ging, machte sie eine grausige Entdeckung.
Die sonst so ruhige Sandy begann plötzlich laut zu bellen und verschwand in dem dichten Gebüsch, das die Wassergrenze vom Fußweg trennte. Frau Schreiner vermutete, dass ihr Hund einem Kaninchen hinterher jage, und rief ihn entschieden zurück. Sandy ließ sich jedoch nicht blicken und bellte unbeirrt weiter. Daraufhin entschloss sich Frau Schreiner, nach dem Rechten zu sehen.
Nachdem sie sich durch das Dickicht gekämpft hatte, sah sie ihren Hund im Wasser stehen. Er jaulte und bellte abwechselnd und schien auf etwas aufmerksam machen zu wollen. Frau Schreiner näherte sich vorsichtig, und dann konnte sie erkennen, was Sandy derart in Aufruhr versetzte. Sie würde diesen Anblick nie vergessen: Sie sah auf eine kopflose Leiche.
Kurz nach der Schutzpolizei traf Hauptkommissar Martin Panske von der Hamburger Mordkommission am Fundort ein. Obwohl er in seiner langjährigen Berufszeit schon einiges erlebt hatte, drehte sich ihm beim Anblick der Leiche im ersten Moment der Magen um. Der nackte Körper besaß weder Kopf noch Hände, der rechte Unterschenkel war nur noch ein zerfetzter Stumpf. Allein am Geschlecht war zu erkennen, dass es sich bei dem Toten um einen Mann handelte. Fäulnisgase hatten den Körper aufgebläht, die Haut wirkte schrumpelig, der ganze Körper war übersäht von kleinen Wunden.
Aufgrund der Verletzungen vermutete Panske, dass die Leiche in eine Schiffsschraube geraten war. Dies deutete zudem darauf hin, dass es sich bei der derzeitigen Liegestelle lediglich um den Fundort der Leiche handelte. Wahrscheinlich war der Leichnam an einem anderen Teil der Elbe, weiter flussaufwärts, ins Wasser geraten und genau hier wieder angespült worden. Genaueres konnte jedoch erst die Obduktion der Leiche ergeben.
Diese nahm am nächsten Tag der Rechtsmediziner Dr. Manfred Schroth vor. Dr. Schroth schätzte das Alter des Toten aufgrund zahlreicher körperlicher Merkmale auf 40 bis 60 Jahre. Die vielen kleinen Verletzungen an seinem Körper stammten, wie er zu erklären wusste, von Tierfraß und waren postmortal, also nach dem Tod entstanden.
Wie lange die Leiche bereits im Wasser gelegen hatte, ermittelte Dr. Schroth anhand des Fäulnisfortschritts und des Hautbilds des Toten. Fäulniserscheinungen treten bei Wasserleichen langsamer auf als bei Leichen, die der Luft ausgesetzt sind. Die Fäulniserscheinungen, die bei einer Leiche, die an der Luft gelegen hat, nach einer Woche eintreten, finden sich bei einer Wasserleiche beispielsweise erst etwa 14 Tage später. Dr. Schroth ging aufgrund dessen davon aus, dass der Körper des Toten vor dem Auffinden mindestens sechs bis zehn Tage im Wasser gelegen hatte. Das Hautbild verlängerte diesen Zeitraum noch ein wenig. Bei Leichen, die längere Zeit im Wasser gelegen haben, bildet sich die so genannte Waschhaut. Die Waschhautbildung wird unter anderem durch die Strömung und vor allem auch durch die Wärme des Wassers beeinflusst, in dem die Leiche liegt. Die Haut kann dabei so stark aufweichen, dass sie sich, ebenso wie die Fingernägel, irgendwann mühelos abziehen lässt. Bei der Leiche des Unbekannten war die Waschhautbildung so weit fortgeschritten, dass Dr. Schroth in Bezugnahme auf den ermittelten Fäulnisfortschritt letztlich eine Wasserliegezeit von zehn bis zwölf Tagen vermutete.
Auf ein Verbrechen deuteten diese Ergebnisse allerdings noch nicht hin. Dass ein solches vorlag, wurde erst infolge anderer Entdeckungen deutlich.
Dr. Schroth hatte festgestellt, dass die Hände und der Kopf des Toten mit einem scharfen Werkzeug vom übrigen Körper abgetrennt worden waren. Eine Schiffsschraube, wie Panske es zunächst vermutet hatte, kam als Verursacher dieser tödlichen Verletzungen nicht in Frage, denn die Schnittspuren, die Dr. Schroth an der Halswirbelsäule sowie den Handgelenken des Toten entdeckte, waren glatt. Aufgrund der speziellen Ausprägung dieser Spuren vermutete Dr. Schroth, dass das Tatwerkzeug eine Axt gewesen war.
Darüber hinaus entdeckt Dr. Schroth um die Taille des Toten eine Fesselungsmarke. Den Eindrücken nach zu urteilen, die sie im Körper des Toten hinterlassen hatte, stammte sie von einem schweren Gegenstand, der um den Körper des Toten geschlungen worden war, damit dieser nicht an die Wasseroberfläche triebe.
Der Bericht des Rechtsmediziners ließ Panske vermuten, dass der Mörder die Identifizierung des Toten entweder hatte verzögern oder, wenn möglich, sogar ganz verhindern wollen. Und nicht nur das, er hatte auch sicherstellen wollen, dass der Tote gar nicht erst gefunden wurde.
Panske überprüfte daraufhin zunächst die Vermisstenmeldungen der vergangenen zwei Wochen. Der Rechtsmediziner hatte bei der Autopsie trotz der fehlenden Gliedmaßen einige Angaben zum körperlichen Erscheinungsbild des Toten machen können, die eine Suche in der Vermisstenkartei erlaubten. Es lag jedoch keine Meldung über einen vermissten Mann vor, dessen Beschreibung zu dem Toten gepasst hätte.
Dem Kriminalbeamten blieb daher keine andere Wahl. Er wandte sich an die Presse und ließ eine Meldung über den Fund der unbekannten männlichen Leiche veröffentlichen, um auf diesem Weg Hinweise über den Toten zu erlangen.
Einige Tage lang passierte nichts. Dann jedoch meldete sich eine Frau namens Hannelore Gottschalk auf die Anzeige, die dem Ermittler allerdings eine zunächst recht harmlos anmutende Geschichte erzählte. Wie sie von ihrer in Tränen aufgelösten Schwägerin am Telefon erfahren hatte, hatte ihr Bruder, Erwin Götze, vor zwei Wochen seine Frau verlassen und sich seitdem bei keinem Verwandten oder Bekannten mehr gemeldet. Er schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein.
Panske schien die Vermutung, der verschwundene Bruder sei der unbekannte Tote, zunächst etwas weit hergeholt. Dies teilte er Frau Gottschalk auch mit. Die jedoch äußerte daraufhin einen schwer wiegenden Verdacht. Sie glaube nicht an die Trennungsgeschichte, die ihre Schwägerin ihr aufgetischt habe, sondern vermute, dass ihr Bruder von seiner eigenen Gattin ermordet worden sei.
Panske hatte schon zu viel erlebt, um diesen Verdacht ungeprüft zu lassen, daher fragte er Frau Gottschalk nach dem Grund für ihren Verdacht. Sie erklärte ihm daraufhin, dass ihr Bruder sehr jähzornig sei und seine Frau sowie seine Tochter in der Vergangenheit öfter geschlagen habe. Nach dem Verlust seines Arbeitsplatzes habe er in den vergangenen zwei Jahren außerdem ein massives Alkoholproblem bekommen, das seine Wutausbrüche häufiger und auch heftiger habe werden lassen. Erst in den letzten Monaten schien sich die Situation im Hause Götze ein wenig beruhigt zu haben. Erwin habe einen neuen Job als Lagerist in einer Altonaer Maschinenfabrik gefunden und schien sein Leben seitdem wieder in den Griff zu bekommen. Daher hielt es Frau Gottschalk für unwahrscheinlich, dass er von einem Tag auf den anderen seine Frau verlassen und seinen neuen Job hingeworfen haben sollte.
Panske ging der Aussage von Hannelore Gottschalk auf den Grund und entdeckte dabei einiges, was ihre Angaben bestätigte. In den Polizeiakten fand er Einsatzprotokolle der Schutzpolizei, deren Inhalt ebenfalls darauf hindeutete, dass es im Hause Götze familiäre Probleme gab. Wiederholt hatte man Frau Götze mit erheblichen Verletzungen angetroffen, die ihr ganz offensichtlich ihr Mann zugefügt hatte. Bereits zweimal hatte Frau Götze Zuflucht in einem Frauenhaus gesucht, war aber nach kurzer Zeit immer wieder zu ihrem Mann zurückgekehrt. Der letzte Einsatz der Polizei lag vier Wochen zurück.
Aufgrund dieser Umstände entschloss sich Panske, Familie Götze aufzusuchen. Zwei Tage nach dem Gespräch mit Hannelore Gottschalk stattete er der Familie einen Besuch ab. Die Götzes wohnten in einer tristen Reihenhaussiedlung in Hamburg.
Als ihm die Türe geöffnet wurde, war Panske zunächst verblüfft. Den Akten der Schutzpolizei hatte er entnommen, dass Gabi Götze 42 Jahre alt war. Die Frau, die ihm nun gegenüber stand, wirkte jedoch mindestens zehn Jahre älter. Sie war mager und wirkte verhärmt. Um ihren Mund hatten sich tiefe Falten eingegraben. Zudem prangte eine auffällige Narbe an ihrer linken Wange, die, wie Panske wusste, von einer Messerattacke ihres Mannes stammte. Der Vorfall lag drei Jahre zurück.
Panske erklärte Frau Götze, dass er erfahren habe, dass ihr Mann verschwunden sei, und fragte, warum sie keine Vermisstenanzeige erstattet habe. Frau Götze machte keinen Hehl aus ihren Gefühlen. Sie erwiderte, dass sie ihren Mann nicht vermisse, sondern vielmehr froh sei, ihn los zu sein. Sie habe nie die Kraft gehabt, sich von ihrem Mann zu lösen, und sei daher mittlerweile erleichtert, dass er nach einer seiner üblichen Zechtouren nicht mehr nach Hause zurückgekehrt sei. Einen Abschiedsbrief habe er nicht hinterlassen. Es sei aber auch nicht seine Art gewesen, irgendetwas zu erklären. Frau Götzes Meinung nach war ihr Mann mit einer anderen Frau durchgebrannt. Immerhin habe er sie in den vergangenen Jahren nicht nur regelmäßig geschlagen, sondern auch mit anderen Frauen betrogen.
Panske erzählte Frau Götze von dem Fund des unbekannten Toten am Elbufer. Da er, wie er ebenfalls zugab, vermutete, dass es sich bei ihm um ihren Mann handelte, bat er sie um einen persönlichen Gegenstand ihres Mannes, der sich für eine DNA-Analyse eignete. Frau Götze händigte dem Beamten daraufhin einen Kamm und eine alte Zahnbürste ihres Mannes aus.
Ein paar Wochen später hielt Panske das Ergebnis der DNA-Analyse in Händen. Die aus dem Rückenmark des Toten entnommene Probe stimmte mit der DNA überein, die aus der Zahnbürste und den in dem Kamm verbliebenen Haaren hatte gewonnen werden können. Bei dem Toten handelte es sich demnach eindeutig um den 48-jährigen Erwin Götze.
Panske war sich sicher, dass er Götzes Mörder in der Familie des Toten zu suchen hatte. Er musste nur herausfinden, welches Familienmitglied die Tat begangen hatte und wie sie durchgeführt worden war.
Aus diesem Grund stattete er Gabi Götze einen weiteren Besuch ab und befragte sie zu dem Tag, an dem ihr Mann verschwunden war. Frau Götze gab an, ihren Mann am Abend des 2. Juni zuletzt gesehen zu haben. Es sei an diesem Abend wieder einmal zu einem Streit gekommen, in dessen Verlauf ihr Mann sie geschlagen habe. Er habe dann einen Koffer gepackt, das Haus verlassen und angekündigt, sich »eine richtige Frau« zu suchen. Seitdem habe sie nichts mehr von ihm gehört.
Panske betrachtete Frau Götze daraufhin genauer. Sie war nur etwa 1,60 Meter groß und, wie er vorher bereits bemerkt hatte, sehr zierlich. Zwar traute er ihr zu, sich gegen ihren Mann zur Wehr gesetzt und ihn dabei getötet zu haben. aber es erschien ihm unwahrscheinlich, dass sie anschließend noch soviel Kraft besessen haben sollte, den Leichnam zur Elbe zu schaffen, mit einem Gewicht zu beschweren und dann zu versenken. Sollte Gabi Götze ihren Mann tatsächlich getötet haben, hatte sie danach höchstwahrscheinlich Hilfe von einer dritten Person erhalten.
Panske fragte Frau Götze, ob ihre Tochter noch bei ihr im Haus wohne, woraufhin er erfuhr, dass die 17-jährige Manuela das Elternhaus zwar noch nicht offiziell verlassen habe, die meiste Zeit allerdings bei ihrem Freund Rolf Maibach verbringe, der eine eigene Wohnung besitze. Dort halte sie sich auch derzeit auf. Vom Tod des Vaters wisse sie noch nichts.
Bevor er sich Maibachs Anschrift geben ließ, fragte Panske Frau Götze noch, ob ihr Mann hin und wieder Holz gehackt habe und sich daher so etwas wie eine Axt im Hause befinde. Frau Götze schüttelte daraufhin energisch den Kopf. Nein, ein solches Werkzeug habe ihr Mann nie besessen.
Eine Stunde später saß Hauptkommissar Panske im Wohnzimmer des 20-jährigen Rolf Maibach und sprach mit Manuela Götze. Diese bestätigte weitgehend die Aussagen ihrer Mutter und ihrer Tante. Ihr Vater habe schon immer Alkoholprobleme gehabt und sie und ihre Mutter seit Jahren regelmäßig geschlagen. Vor etwa einem halben Jahr habe sie, Manuela, ihren Freund Rolf kennen gelernt und seitdem die meiste Zeit bei ihm verbracht. Vor ungefähr drei Monaten habe sie eine Ausbildung zur Bürokauffrau begonnen. Seit dieser Zeit habe sie sich immer mehr von ihren Eltern entfernt.
Am 2. Juni, erklärte Manuela auf die direkte Frage Panskes hin, habe sie zunächst gearbeitet. Anschließend sei sie zu Rolf gefahren, mit dem sie später noch im Kino gewesen sei.
Bislang hatte Manuela, wenngleich sie leicht nervös wirkte, Panskes Fragen klar und sachlich beantwortet. Als Panske wissen wollte, ob sie an dem Tag, als ihr Vater verschwunden war, in ihrem Elternhaus gewesen sei, reagierte sie jedoch unsicher. Ihre Bewegungen wurden fahrig und sie tat, als könne sie sich nicht genau erinnern.
In diesem Moment kam Maibach ihr zur Hilfe. Man sei an diesem Tag nicht in dem Haus der Götzes gewesen, erklärte er. Daran könne er sich noch genau erinnern. Nach dem Abendessen sei er mit Manuela sofort in Kino gefahren. Für den Besuch habe er auch einen Beleg, sagte er nach einer kleinen Denkpause. Er holte sein Portemonnaie aus der Tasche und zog nach kurzem Stöbern zwei entwertete Kinokarten für eine Filmvorstellung am 2. Juni um 22 Uhr hervor.
Auch Maibach gab auf eine direkte Nachfrage Panskes hin an, nie eine Axt besessen zu haben.
Panske war sich trotz dieser Aussage sicher, dass Götzes Frau, seine Tochter oder auch Maibach den Mord an Erwin Götze verübt hatte. Möglicherweise hatten sie die Tat auch gemeinsam begangen.
Um weitere Hinweise zu erhalten, fragte Panske in der Nachbarschaft der Götzes nach, ob und wann Erwin Götze dort zuletzt gesehen worden sei. Zunächst verlief diese Befragung wenig erfolgreich. Erwin Götze, so erfuhr Pankse, hatte sich in der Nachbarschaft ziemlich rar gemacht. Die meisten Befragten hatten ihn schon seit Monaten nicht mehr gesehen. Einer der Nachbarn hatte jedoch eine andere, sehr interessante Beobachtung gemacht. Am 2. Juni gegen 19 Uhr, so erinnerte er sich, seien Manuela und ihr Freund Rolf zu den Götzes gekommen. Gegen 21.30 Uhr hätten sie das Haus wieder verlassen, seien jedoch um zirka 22.30 Uhr wieder zurückgekehrt. Wie lange sie danach noch im Haus geblieben waren, wusste der Nachbar nicht.
Manuela und Rolf hatten bei ihrer Aussage also gelogen. Panskes Verdacht verdichtete sich. Auf der Grundlage seiner gesammelten Erkenntnisse erwirkte er über die Staatsanwaltschaft Durchsuchungsbeschlüsse für das Haus der Götzes sowie für die Wohnung von Rolf Maibach. Er hoffte, auf diesem Weg die Mordwaffe zu finden und möglicherweise auch die immer noch vermissten Gliedmaßen des Toten, die trotz intensiver Suche in und an der Elbe bisher nicht gefunden worden waren.
Die Durchsuchung im Haus von Gabi Götze nahm Pankse selber vor, die Wohnung von Rolf Maibach wurde von einigen Kollegen überprüft.
In den Wohnräumen der Götzes fand Pankse zunächst keine verdächtigen Spuren. Dies änderte sich jedoch, als er den Keller in seine Suche einbezog. In der Tiefkühltruhe, unter Schweinebraten und schockgefrorenem Gemüse, lagen, gut in Plastik verpackt, Kopf und Hände von Erwin Götze. Panske nahm nach diesem Fund die völlig apathische Gabi Götze vorläufig unter Mordverdacht fest.
Auch Manuela Götze und Rolf Maibach wurden festgenommen. Denn im Gemeinschaftskeller des Mietshauses, in dem Maibach wohnte, fanden die Ermittler eine Axt mit deutlichen Blutrückständen.
Bei den nachfolgenden Verhören versuchte keiner der Beschuldigten, die Tat zu leugnen.
Rolf Maibach war sehr mitteilsam und schilderte den Tathergang folgendermaßen: Kurz nachdem er Manuela kennen gelernt hatte, habe auch er von den Gewalttätigkeiten erfahren, die im Elternhaus seiner Freundin offenbar gang und gäbe waren. Er sei sprachlos gewesen und habe nicht verstehen können, wie es soweit habe kommen können. Natürlich habe er seiner Freundin Schutz gewähren wollen. Daher habe er Manuela seit dem Beginn ihrer Partnerschaft immer öfter bei ihm übernachten lassen, bis sie schließlich fast vollständig bei ihm eingezogen sei. Nachdem ihr Vater eine Zeit lang vor Wut getobt habe, habe er sich schließlich irgendwann beruhigt und seine gewalttätigen Attacken auf seine Frau beschränkt.
Am Abend des 2. Juni sei die Situation unter den Eheleuten aber offenbar eskaliert. Gabi Götze habe ihre Tochter angerufen und erzählt, dass ihr Mann gedroht habe, sie umzubringen. Sie habe sich, wie sie erklärt hatte, zwar im Schlafzimmer eingeschlossen, habe jedoch fürchterliche Angst gehabt und dringend Hilfe benötigt. Manuela und er, so erklärte Maibach, seien daher sofort zum Haus der Götzes gefahren. Auf ihr Klingeln habe niemand geöffnet, aber sie hätten schrille Schreie aus dem Inneren des Hauses gehört. Er selbst sei daraufhin um das Haus herumgelaufen und habe bei dem Versuch, ins Innere zu gelangen, entdeckt, dass die Terrassentür offen stand. Durch diese habe er das Wohnzimmer der Götzes betreten. Dort habe er dann mit Schrecken sehen müssen, wie die auf dem Boden liegende Mutter seiner Freundin von ihrem Mann brutal geschlagen und getreten wurde. Ohne lange nachzudenken habe er den erstbesten Gegenstand ergriffen; es war eine schwere Kristallvase gewesen. Er habe Frau Götze helfen wollen, und weil ihm nichts Besseres eingefallen sei, habe mit der Vase auf Erwin Götzes Schädel eingeschlagen. Götze sei daraufhin zusammengebrochen und habe sich nicht mehr gerührt. Mittlerweile, so Maibach weiter, habe Manuela das Haus ebenfalls durch die offene Terrassentür betreten. Die völlig in Panik geratene Gruppe habe daraufhin beraten, was zu tun sei. Manuela habe schließlich vorgeschlagen, den Vater aus dem Haus zu schaffen und seine Leiche mit Gewichten beschwert in der Elbe zu versenken. Frau Götze habe jedoch zu bedenken gegeben, dass der Vater leicht identifiziert werden könne, sobald seine Leiche entdeckt werde. Um die Identifizierung zu erschweren, habe sie daher vorgeschlagen, dem Toten Kopf und Hände abzuschlagen.
Er selbst sei es schließlich gewesen, sagte Maibach, der die Axt aus dem Schuppen geholt und den Leichnam verstümmelt habe. Dann sei er mit Manuela und zum Kino gefahren, um ein Alibi für sie beide zu beschaffen. Sie hätten zwei Kinokarten gekauft, das Kino aber kurz nach Beginn der Vorstellung wieder verlassen. Anschließend seien sie zum Haus der Götzes zurückgekehrt und hätten den Toten in Rolfs Auto gepackt. Den Kopf und die Hände habe Gabi Götze in der Zwischenzeit bereits in ihrer Tiefkühltruhe verstaut gehabt.
Manuela und er seien daraufhin zur Elbe gefahren, hätten eine auf dem Weg dorthin aufgefundene Gehwegplatte mit einem Seil um die Taille der Leiche gebunden und den Toten entkleidet in den Fluss geworfen. Die Axt, so Maibach, habe er mit nach Hause genommen, um sie in seinem Kellerau verstecken, denn man war übereingekommen, die belastenden Beweismittel zunächst aufzubewahren, um sie später, wenn die Tat lange genug zurückliege, unauffällig verschwinden zu lassen.
Der Richter folgte den Anträgen der Verteidigung und verurteilte die Beschuldigten wegen Totschlags zu geringen Freiheitsstrafen. Alle drei sind heute wieder auf freiem Fuß. Manuela und Rolf sind mittlerweile auch verheiratet.
Brände
Brände entstehen in den wenigsten Fällen von selbst. Gut 70 Prozent werden durch menschliches Einwirken verursacht. Damit sind nicht nur die Fälle vorsätzlicher Brandstiftung gemeint, sondern gerade auch Brände, die durch fahrlässiges Verhalten entstehen.
Die Ermittlung von Brandursachen ist alles andere als einfach. Das Auge des unerfahrenen Betrachters entdeckt am Brandort erst einmal nur das vorherrschende Chaos. Vieles wurde zerstört, nicht zuletzt durch den Einsatz der Feuerwehrleute, deren erste Pflicht es ist, Feuer zu löschen und Menschenleben zu retten, statt darüber nachzudenken, ob sie bei ihrer Tätigkeit Spuren vernichten. Für den Brandermittler bleiben nach dem Löschen in der Regel aber dennoch genügend Hinweise übrig, mit denen er die Brandursache klären kann.
Interessant ist, dass ein Brandermittler, wann immer möglich, bereits während eines Brands beziehungsweise während dessen Bekämpfung mit seiner Arbeit beginnt. Es ist nämlich wichtig für ihn, das Feuer zu beobachten, um so Rückschlüsse auf den Verlauf des Brands ziehen zu können. Durch die Beobachtung der Feuerbewegung kann er beurteilen, wo das Feuer ausgebrochen ist und über welche Räumlichkeiten es sich ausgebreitet hat. So kann er leicht feststellen, wo es besonders intensiv gebrannt hat und wo infolgedessen möglicherweise das Zentrum des Brands zu finden ist.
Auch die genaue Beobachtung der Rauchentwicklung ist für die Klärung der Brandursache entscheidend. So kann ein Brandermittler anhand von Farbe, Geruch und Form des Rauchs recht genau erkennen, welche Materialien verbrennen. Baumwollstoffe zum Beispiel entwickeln einen dunkelbraunen Rauch; wenn Magnesium verbrennt, entsteht weißer Rauch; der Rauch brennenden Benzins ist schwarz und steigt pilzförmig nach oben; bei Phosphorbränden entwickelt sich weißer Nebel und Rauch von verbranntem Stroh changiert zwischen weiß und gelb. Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen.
Zur Klärung der Brandursache ist es besonders wichtig, den Brandherd ausfindig zu machen, also den Ort, an dem das Feuer ausgebrochen ist. Ein Laie wäre mit einer solchen Aufgabe sicher überfordert. Auch ein Brandermittler meistert sie nicht gerade mit links, aber sie ist für ihn auch nicht unlösbar. Ich selbst habe erlebt, wie ein Fachmann, mit dem ich in den Ruinen eines Hauses stand, das von einem Feuer völlig zerstört worden war, nach kurzer Zeit auf eine Wand deutete und sagte: »Dort ist das Feuer ausgebrochen.« Als ich den Mann erstaunt nach dem Grund für seine Schlussfolgerung fragte, erklärte er mir, dass ihn eine trichterförmige Rußablagerung an der betreffenden Stelle, die einem Laien vielleicht kaum aufgefallen wäre, auf den Brandherd aufmerksam gemacht hätte.
Wie es zu dieser Rußablagerung gekommen ist, versucht der Brandermittler nun auf der Grundlage zahlreicher wissenschaftlicher Analysen sowie der eigenen Erfahrung herauszufinden. Bei den vielen möglichen Brandursachen unterscheidet er grob zwischen drei Kategorien:
- Da wäre zunächst die natürliche Brandursache. Hierzu zählen der Blitzschlag, die Selbstentzündung, die durch starke Hitzeeinwirkung auf Chemikalien oder trockene Materialien wie Heu und Stroh verursacht werden kann, und das Einwirken von Tieren, wie der Schadnagerfraß an elektrischen Leitungen, der einen Kurzschluss bewirken kann.
- Sehr häufig entstehen Brände auch durch die Einwirkung von Zündquellen auf brennbare Stoffe. Hierzu zählen der unachtsame Umgang mit Feuerwerkskörpern, Zigarettenglut und Ähnlichem, aber auch Brandstiftung; das bewusste und unbewusste Herbeiführen von Explosionen; Funkenflug, etwa von Kerzen oder Schweißgeräten, und die falsche Handhabung von Elektroanlagen.
- Als letztes sind hier die technischen Brandursachen zu nennen. Diese sind in der Regel durch Geräte-, Isolations- oder Materialfehler bedingt. Aber auch bauliche Mängel, die einen Brand verursachen, wie defekte Schornstein- und Heizungsanlagen, fallen in diese Kategorie.
Wie man sehen kann, gibt es eine Vielzahl von Informationen, die ein Brandermittler sammeln und auswerten muss, bevor er die Ursache eines Brands klären kann.
Der 14. Dezember 2003 war ein wunderbar sonniger Wintertag. Daher gingen die Bewohner des Münchener Nobelvorortes Grünwald zunächst davon aus, dass der abendliche Himmel von der untergehenden Sonne beleuchtet wurde. Erst später entdeckten sie die wahre Ursache.
Als die Feuerwehr schließlich eintraf, konnte sie nur noch Schadensbegrenzung betreiben. Die Villa des Unternehmers Reinhard Kopp stand lichterloh in Flammen. Das gesamte Erdgeschoss war nach dem Löschen ausgebrannt und die erste Etage drohte einzustürzen.
Allem Anschein nach war das Feuer also im Erdgeschoss ausgebrochen. So wie es aussah, waren alle Möbel zusammengeschoben und das Haus anschließend angezündet worden.
Die Bewohner des Hauses, Reinhard Kopp und seine Frau Antje, waren zum Zeitpunkt des Brands nicht zu Hause gewesen. Der Aussage eines Nachbarn zufolge befanden sie sich auf dem Weg in die Karibik. Diese Reise hatte nach langer Zeit wieder einmal ein ausgedehnter Urlaub für das Ehepaar werden sollen.
Nach der ersten Begutachtung des Brandorts vermutete man, dass das Feuer im Zuge eines missglückten Einbruchs ausgelöst worden war. Genaueres sollte eine Befragung der Nachbarn ergeben, die die ermittelnde Oberkommissarin Heidelinde Schwartz in die Wege leitete.
Das Ergebnis war jedoch ernüchternd. Keiner der Nachbarn hatte etwas Auffälliges beobachtet. Das Einzige, was man wusste, war, dass die Kopps Urlaub machten und einen Hausmeisterservice, dem alle nötigen Schlüssel ausgehändigt worden waren, mit der Pflege und der Überwachung ihres Hauses beauftragt hatten.
Schwartz beauftragte daraufhin einige Kollegen damit, den Hausmeisterservice zu überprüfen. Doch auch diese Ermittlung förderte wenig Neues zutage. Bei der Firma handelte es sich um ein alt eingesessenes Münchner Unternehmen, das vor allem seiner Diskretion wegen geschätzt wurde und sich um zahlreiche Grünwälder Villen kümmerte, wenn die Bewohner abwesend waren. Der Geschäftsführer, Hans-Werner Müller, zeigte den Ermittlern den Vertrag, demzufolge die Tätigkeit seiner Firma für die Eheleute Kopp am 15. Dezember begonnen hatte. Reinhard Kopp hatte, wie es üblich war, für den Notfall seine Urlaubsanschrift hinterlassen. Dieser entnahmen die Beamten, dass sich die Kopps auf Antigua befanden.
Schwartz setzte sich mit der dortigen Polizei in Verbindung. Sie bat diese, die Eheleute Kopp zu verständigen und um deren Rückruf zu bitten.
Inzwischen verstärkte sich der Verdacht, dass der Brand im Hause Kopp infolge eines Einbruchs verursacht worden war. Alles deutete darauf hin, dass die Täter bestens Bescheid gewusst hatten. Sie hatten für ihre Tat den Zeitraum abgepasst, in dem das Haus weitgehend unbeaufsichtigt war. Das Feuer hatten sie höchstwahrscheinlich bewusst gelegt, um ihre Spuren zu verwischen. Dies ließ sich zumindest aus den Angaben des Brandermittlers schließen, demzufolge das Feuer an mehreren Stellen im Erdgeschoss gleichzeitig ausgebrochen war.
Gegen 23.30 Uhr erhielt Heidelinde Schwartz einen Anruf aus Antigua. Reinhard Kopp, dem die Beamten vor Ort scheinbar nur gesagt hatten, dass er sich umgehend bei der Polizei in München melden solle, klang besorgt. Schwartz brachte ihm die Nachricht vom Brand in seinem Hause daher so schonend wie möglich bei. Kopp erklärte daraufhin, dass er mit seiner Frau sofort nach Deutschland zurückkehren werde, und teilte Schwatz noch in derselben Nacht seine Ankunftszeit mit.
Schwartz beschloss, das Ehepaar persönlich vom Flughafen abzuholen, und fand sich am nächsten Tag, am 15. Dezember, gegen 17 Uhr am Franz-Josef-Strauß-Flughafen in München ein. Sie ließ die Kopps ausrufen und stand ihnen gegen 17.30 Uhr persönlich gegenüber. Übernächtigt, aber gefasst begrüßten sie die Kommissarin.
Diese schlug den Eheleuten vor, sich zuerst ein Hotel zu suchen. Die Kopps wollten sich jedoch zuerst am Tatort umsehen. Auf dem Weg dorthin erklärte Schwartz, was sie bisher von der Feuerwehr erfahren hatte: Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit war der Brand in ihrem Haus durch Brandstiftung ausgelöst worden. Man hatte mindestens fünf Brandherde auf einer Grundfläche von 200 Quadratmetern entdeckt. Auf welche Weise das Feuer entfacht wurde, hatten die Ermittler bislang noch nicht klären können. Die Ermittlungen dauerten zur Stunde noch an und würden auch noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Schwartz wies die Kopps auch darauf hin, dass die Beamten zurzeit vermuteten, die Brandstiftung stehe mit einem Einbruch in Zusammenhang. Reinhard Kopp schien deswegen nicht allzu beunruhigt. Er erklärte, dass er zwar einen Safe im Haus gehabt habe, diesen jedoch am Tag vor seiner Abreise geleert und den Inhalt seiner Bank zur Aufbewahrung gegeben habe. Auch der Schmuck seiner Frau sei nicht im Haus gewesen.
Schwartz erschien diese Vorgehensweise merkwürdig. Warum schaffte jemand Wertsachen aus dem Haus, wenn er einen Safe besaß? Kopp war ein wenig verlegen, als sie ihn darauf ansprach. Er meinte, dass er sich auf diese Weise sicherer gefühlt habe.
Auch diese Antwort erschien Schwartz seltsam. Warum sollte Kopp sich unsicher fühlen? Die Oberkommissarin beschloss, mehr über Kopp in Erfahrung zu bringen, und befragte ihn zu seiner beruflichen Situation. Sie erfuhr daraufhin, dass er selbstständiger Unternehmensberater war; seine Geschäfte liefen laut eigener Aussage recht erfolgreich.
In Anbetracht dessen drängte sich Schwartz der Verdacht auf, dass einer von Kopps beruflichem Konkurrenten die Tat begangen haben könnte. Kopp wollte davon jedoch nichts wissen. In seinem Geschäft kämpfe man zwar mit harten Bandagen, erklärte er, zu solch mafiosen Mittel greife man aber nicht.
Bevor sie sich verabschiedeten, fragte Kopp, wann er mit einem abschließenden Bericht rechnen könne, denn er müsse seine Versicherung von dem Schadensfall in Kenntnis setzen.
Diese Frage verwunderte Schwartz erst recht. Der Mann hatte gerade erst erfahren, dass er sein Heim verloren hatte, und da dachte er schon an die Versicherung? Schwartz erschien diese Denkweise überraschend nüchtern. Sie erklärte Kopp, dass sich die Ermittlung noch ein wenig hinziehen könne, bot ihm aber an, einen vorläufigen Bericht an die Versicherung zu übermitteln.
Antje Kopp hatte sich an dem Gespräch bisher nicht beteiligt. Auch sie schien von dem Unglücksfall nicht übermäßig erschüttert zu sein.
Oberkommissarin Schwartz wurde stutzig. Sie verabschiedete sich von den Kopps und versprach ihnen, sich, wenn sie nähere Erkenntnisse habe, sofort mit ihnen Verbindung zu setzen.
Zwei Tage später – der Brand war ein großes Thema in allen regionalen Tageszeitungen gewesen – meldete sich ein Mann namens Karl-Heinz Steher bei Schwartz. Er gab an, geschäftsführender Gesellschafter einer Maschinenfabrik zu sein und in jüngster Vergangenheit Probleme mit Reinhard Kopp gehabt zu haben.
Kopp habe ihm als sein Unternehmensberater vor drei Jahren geraten, eine Kollektivversicherung für seine Mitarbeiter abzuschließen. Diese habe eine spezielle Krankenversicherung sowie eine zusätzliche Altersversorgung beinhaltet. Bei Abschluss des Vertrags sei eine hohe Prämie fällig gewesen, die Steher zunächst nur widerwillig gezahlt habe. Allerdings hätten ihn die guten Konditionen überzeugt, und die nachfolgenden Prämien seien vergleichsweise gering gewesen. Schied ein Mitarbeiter aus, konnte die Versicherung auf einen neuen Angestellten übertragen werden.
Steher hatte den formalen Teil Kopp überlassen und sich lediglich um die pünktliche Zahlung der Prämien gekümmert, die zunächst auf ein Firmenkonto von Kopp geleitet und von dort aus weiter transferiert worden waren. Steher hatte diese Vorgehensweise akzeptiert, weil Kopp ihm erklärt hatte, dass er auf diese Weise günstigere Konditionen für die Firma habe aushandeln können. Steher hatte sich, wie er selbst sagte, davon blenden lassen, dass die Versicherung bei einem namhaften deutschen Unternehmen abgeschlossen worden sei.
Im Laufe der vergangenen drei Jahre hatte Steher fast 250 000 D-Mark auf Kopps Konto überwiesen. Als seine Geschäfte schlechter liefen, hatte er Kopp gebeten zu prüfen, ob man die Versicherung eine Zeit lang ruhen lassen könne. Kopp hatte versprochen, sich darum zu kümmern. Es geschah jedoch nichts. Kopp habe ihn immer wieder vertröstet, erklärte Steher, bis er sich schließlich vor zwei Monaten selbst an die Versicherung gewandt habe. Dort habe er dann zu seiner Überraschung erfahren müssen, dass die betreffende Versicherung überhaupt keinen Vertrag mit ihm oder Kopp abgeschlossen hatte. Versicherungen wie jene, von der er gesprochen hatte, würden, wie man ihm versicherte, von dieser Gesellschaft gar nicht erst angeboten werden.
Steher hatte daraufhin einen Termin mit seinem Gesprächspartner vereinbart und diesem die von ihm unterzeichneten Verträge gezeigt. Dabei hatte sich herausgestellt, dass die Verträge und die Vordrucke gefälscht worden waren. Man hatte Steher geraten, sich an die Polizei zu wenden.
Steher war zunächst schockiert, dann wütend gewesen. Kopp hatte ihn betrogen! Er hatte die Prämien für die angebliche Versicherung in die eigene Tasche gesteckt!