Zwei

Wenn reizbare Zirkusdirektorinnen ausrasten
Eine halbe Stunde später hat sich die gesamte Zirkustruppe in der Manege versammelt. Die Ränge sind inzwischen leer, doch die Zuschauer fragen sich vermutlich noch immer, was sie da gerade erlebt haben. Dannys gelungene Entfesselung hoch über ihren Köpfen hat sie begeistert, aber die Reaktionen der anderen Zirkusleute haben sie verwirrt, dazu der chaotische Abschluss, bei dem Rosa aus dem brennenden Rhönrad sprang und aus der Manege verschwand, ohne den Applaus abzuwarten.
Nun hocken sie in der brütenden Dunkelheit der Kathedrale.
Danny sitzt allein auf einer Transportkiste, hat sich halb abgewandt, weil er Ruhe braucht, um das Schlüsselwort des zweiten Codes richtig einzufügen. Er kritzelt hektisch auf den Zetteln herum. Was mag diese zweite Botschaft verraten? Er braucht auf jeden Fall etwas Zeit, um sich zu sammeln, bevor er die anderen mit seinen Erkenntnissen konfrontieren kann.
Doch die Entschlüsselung fällt ihm schwer. Das von La Loca verabreichte Betäubungsmittel verlangsamt sein Denken, und um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, schaut er in Abständen auf und schüttelt sich. Die Säulen der Sagrada verlieren sich im hohen Raum, und er erinnert sich schaudernd an den Versuch, der engen Zwangsjacke zu entkommen. Tief durchatmen, denkt er.
Die Truppe hat sich um Rosa versammelt, und man diskutiert hitzig über die nächsten Schritte. Alle reden durcheinander. Als Danny sich umdreht, um dem Gespräch zu folgen, erblickt er Sing Sing, die zwischen ihm und der Truppe steht und die Zirkusdirektorin misstrauisch aus dunklen Augen betrachtet.
»Ich sollte mich stellen«, erklärt Darko, dessen osteuropäischer Akzent bei den seltenen Gelegenheiten, wenn er unter Druck steht, stärker als gewöhnlich ist. »Dann erzähle ich, was passiert ist – und hoffe auf das Beste.«
»Auf gar keinen Fall!«, knurrt Björn. »Diese Verrückte wollte Danny töten. Darko hat ihm das Leben gerettet. Wir müssen die Leiche finden und das Messer verschwinden lassen – und dann so schnell wie möglich abhauen.«
»Außerdem«, sagt Aki mit zustimmendem Nicken, »müssen wir uns nach allem, was Danny und Sing Sing zugestoßen ist, die Frage stellen, ob wir der Polizei vertrauen können.«
Major Zamora, dessen gebrochener Arm fest vor den Bauch geschnürt ist, schüttelt den Kopf. »In Barcelona gibt es viele anständige Polizisten. Natürlich sind auch ein paar schwarze Schafe darunter, aber das heißt nicht, dass man niemandem vertrauen kann …«
»Ich füge mich der Mehrheitsentscheidung«, wirft Darko ein. »Andererseits habe ich wenig Lust, in Untersuchungshaft zu sitzen oder im Knast zu schmoren …«
»Aber man wird die Tote finden«, brummt Zamora, »mit einem Wurfmesser der Firma Dubé im Rücken, das noch dazu von deinen Fingerabdrücken übersät ist …«
»Ruhe!«, blafft Rosa. »Man kann ja sein eigenes Wort kaum verstehen. Wir müssen sowohl die Zirkustruppe als auch die bambini schützen.«
»Bambini? Wen meinst du damit?«, faucht Sing Sing und dreht sich zu Danny um. Sie lächelt kurz, als wolle sie ihn beruhigen, aber ihr Lächeln ist schief. Sie wirkt gehemmt.
Seit wir von dem Kran gestiegen sind, ist Sing Sings Verhalten irgendwie sonderbar, denkt er. Aber das kann warten – zuerst muss ich den Code knacken, der geht vor.
Er senkt den Blick wieder auf den zerknitterten Zettel, denkt intensiv nach. Bei seinen Versuchen, das Schüsselwort einzutragen, kam bislang immer nur Kauderwelsch heraus. Nun knöpft er sich den eigentlichen Code vor, überprüft ihn auf die am häufigsten vorkommenden Zahlen und versucht dann zum wiederholten Mal, die Buchstaben des Wortes MYSTERIUM in die obere Spalte einzutragen. Jeder Buchstabe darf nur einmal vorkommen – das zweite M muss er also auslassen –, danach folgt das restliche Alphabet.

Er überprüft noch einmal den ersten Abschnitt des Codes. Ja! Jetzt funktioniert es …
GLAUBEJIMMY … GLAUBE JIMMY HAT
Er vergisst die diskutierende Truppe und entschlüsselt in aller Eile ein Wort nach dem anderen.
85898 07814 87600 18680 32828 68991 42245 85437 45883 – 83802 86459 76234 58081 45906 82863!
Während die Wörter erscheinen, wächst seine Anspannung. Es gleicht einem Wunder – sein Vater spricht wieder zu ihm, hilft ihm, gibt ihm einen Fingerzeig.
GLAUBEJIMMYHATDIESCHLOESSERGETUERKT …
Dann trifft unser Verdacht also zu!
Plötzlich fällt ein Schatten auf den Zettel und Danny verdeckt instinktiv das Geschriebene. Als ihm bewusst wird, dass Sing Sing neben ihm steht, zieht er die Hand weg und zeigt ihr, was er entschlüsselt hat. Wenn ich ihr weiter beweise, dass ich ihr vertraue, denkt er, entschärft das vielleicht die Probleme zwischen uns. Sie fühlt sich bestimmt furchtbar, seit sie weiß, dass sie von unserer Mutter weggegeben wurde …
»Das entspricht genau deinem Verdacht«, flüstert Sing Sing. »Du musst Rosa zur Rede stellen.«
»Warte.«
Danny entschlüsselt die letzten Zahlenkolonnen mit fliegenden Fingern.
DASHERZISTERABERNICHT
Sing Sing liest die vollständige Botschaft und zieht danach die Augenbrauen hoch.
»Er hat schon ein Mal versucht, deinen Vater zu töten. Warum nicht auch ein zweites Mal?«
»Ja. Außerdem weiß ich genau, dass ich Jimmy gesehen habe«, sagt Danny. »In der Nacht des Brandes. Und er hätte ein Motiv gehabt: Rache.«
Er dreht sich wieder zur Zirkusdirektorin um. Sie steht zwischen den Mitgliedern der Truppe und schwenkt die Arme wie eine Polizistin, die ein Verkehrschaos zu regeln versucht.
Sie ist ziemlich sparsam mit der Wahrheit umgegangen, um es freundlich auszudrücken! Höchste Zeit, ihr auf den Zahn zu fühlen. Die Müdigkeit, die seine Beine gelähmt hat, weicht neuer Energie und Entschlossenheit und er marschiert direkt auf Rosa zu. Muss die Sache richtig anpacken, denkt er. Muss energisch wirken und überzeugend klingen. Darf diese Chance nicht verspielen.
Doch sobald er sich in Bewegung setzt, richten sich alle Augen auf ihn.
Jeder bemerkt sofort seinen entschlossenen Blick – und weil die Erinnerung an seine Flucht von dem brennenden Seil noch frisch ist, schauen alle respektvoll zu ihm hoch.
Als Danny spürt, dass er wieder ins Rampenlicht tritt, kommt sein Selbstbewusstsein ins Wanken. Im nächsten Moment verdrängt er das Gefühl, im Mittelpunkt zu stehen. Die oberste Regel eines jeden Auftritts lautet: Was man nicht empfindet, muss man heucheln. Man muss es so gekonnt vortäuschen, dass man sich selbst überzeugt.
Er tritt vor die Zirkusdirektorin und schwenkt die Zettel direkt vor ihrer Nase, fordert ihre Autorität heraus, reißt die Kontrolle über die Situation an sich. Und als er schließlich spricht, tut er das mit möglichst tiefer Stimme. »Jimmy T hat den Wassertank für die Entfesselungsnummer sabotiert, stimmt’s?«
»Ich …« Rosa klappt den Mund wieder zu und schüttelt den Kopf.
Danny nickt sachte, um sie zu ermutigen, sich zur Wahrheit zu bekennen. »Jimmy war der Täter, und du … hast es gewusst … die ganze … Zeit.«
Die Italienerin will wegschauen, aber Danny hält ihren Blick mit fast magnetischer Kraft.
»Danny, ich …«
»Erzähl mir von Jimmy. Ich weiß, dass er damals in Berlin war. Du hast am Abend des Brandes etwas im Requisitenlaster versteckt, bevor du mich dort gefunden hast. Was war das?«
Die immer tiefere Stille wird nur durch das leise Klackern unterbrochen, mit dem Herzog über die Steinfliesen zu Danny trottet. Die Zirkusdirektorin kneift die Lippen zusammen, als wollte sie ihre Worte zurückhalten. Eine rote Rose steckt noch in ihrem Haar.
Sie zieht die Rose heraus – und im nächsten Moment sacken ihre Schultern nach unten.
»Nun komm schon, Rosa Vega. Raus mit der Sprache«, fordert Zamora.
Danny schaut Rosa unverwandt an. Er kann sehen, wie sie mit sich ringt. Sie kann die Wahrheit nicht mehr verschweigen, vermag ihre Schuldgefühle nicht länger zu unterdrücken – voller Erwartung schlägt Dannys Herz schneller.
»Na gut«, sagt Rosa und senkt ihren Blick auf die zerdrückte Blume in ihren Händen. »Ja. Jimmy hatte sich am Wassertank zu schaffen gemacht …«
Ein entsetztes Stöhnen geht durch die Runde, doch Rosa hebt beide Hände. »Hört zu! Ich bin der festen Überzeugung, dass er deinen Vater nicht ernsthaft gefährden wollte, Danny. Er wollte ihm nur Angst einjagen und ihn öffentlich blamieren. Er war vollkommen durcheinander, weil er so viel für deine Mama empfunden hat!«
Endlich ein Geständnis! Ein wichtiges Puzzleteil des Rätsels findet seinen Platz. Danny versucht seine Aufregung – und seine Wut – zu bändigen. Denn hier ist etwas in Gang gekommen, das er unbedingt ausnutzen muss.
»Warum hast du es so lange für dich behalten?«
»Weil ich glaubte, dass die Leute vorschnell urteilen und falsche Schlüsse ziehen würden! Außerdem habe ich von seinem Plan erst erfahren, als er mir nach der Vorstellung die Maske und die mit Farbe bekleckerte Hose in die Hand drückte. Darum war ich im Requisitenlaster – ich habe nach Paraffin gesucht, um die Sachen verbrennen zu können. Der arme Jimmy …«
»Der arme Jimmy? Ich fasse es nicht«, brummt Zamora. »Er hat das oberste Gebot verletzt! Und er muss auch der Brandstifter gewesen sein!«
»Nein!«, erwidert Rosa kopfschüttelnd. »In der betreffenden Nacht war er schon wieder in New York. Ich habe ihn dort angerufen. Habe ihm eingeschärft, sich vom Mysterium fernzuhalten. Der Brand muss ein Unfall gewesen sein …«
Danny reißt die Hände hoch. »Das war ganz sicher kein Unfall. Angesichts all dessen, was seitdem passiert ist, kann das nicht sein. Und ich habe Jimmy in der Nacht des Brandes mit eigenen Augen gesehen.«
»Das ist unmöglich, bello. Vielleicht haben dir deine Gefühle einen Streich gespielt, no?«
Darko zieht die Augenbrauen hoch. »Ich finde, dass wir jede Spur verfolgen sollten …«
»Jimmy war damals in New York«, wiederholt Rosa. »Und warum sollte er Danny – oder Zamora oder auch Sing Sing – gefährden? Das ergibt doch keinen Sinn!«
Stille hält wieder Einkehr – tief und bedrückend –, während alle versuchen die Neuigkeit zu verdauen: Jimmy, ein Saboteur. Und Rosa, die Zirkusdirektorin, hat diese Wahrheit wider besseres Wissen verschwiegen! Ist dies das Aus für die Truppe?, denkt Danny entmutigt.
»Ich dränge nur ungern«, sagt Darko, »aber könnten wir zuerst mein Problem lösen? Was sollen wir deiner Meinung nach tun, Danny? Du bist hier offenbar der Einzige, der noch klar denkt.«
Danny lässt seinen Blick über sämtliche Mitglieder der Truppe gleiten. Er spürt, dass sie auf eine Antwort warten – jeder schaut ihn an, scheint zu erwarten, dass er wieder die Führung übernimmt. Habe meine Rolle offenbar gut gespielt, denkt er und schließt die Augen. Ich müsste das Problem mit Hilfe der »Atom-Strategie« sezieren, jedes Detail für sich betrachten, eines nach dem anderen.
Doch er hat schon instinktiv eine Entscheidung getroffen. Er weiß, dass er eine rote Linie überschreitet – die Wahrheit verschleiert und Beweise unterschlägt –, aber Darko hat ihm das Leben gerettet. Er hat es nicht verdient, in einer Zelle zu sitzen, während das Mysterium weiterzieht.
»Wir müssen die Leiche von La Loca finden«, sagt Danny. »Stellt sicher, dass sie …« Die Stimme versagt ihm. Dann fährt er fort: »Wir bergen Darkos Messer. Danach rufen wir die Polizei an und behaupten, sie wäre abgestürzt. Vorausgesetzt, sie wurde nicht schon gefunden. Gut möglich, dass sich das Messer durch den Sturz in die Bäume aus ihrem Rücken gelöst hat.« Er dreht sich wieder zu Rosa um. »Aber danach müsst ihr mir alle bei der Suche nach Jimmy helfen.«
Die Zirkusdirektorin wirkt niedergeschlagen und verunsichert. »Was meinst du, Zamora?«
»Wäre nicht das erste Mal, dass es auf Messers Schneide steht …« Er bläst die Backen auf. »Aber ich sorge für Unterstützung. Ich kenne ein paar Sicherheitsleute.«
»Stimmen wir ab.« Rosa, die versucht ihre Autorität wiederherzustellen, klingt barsch. »Wer ist dafür?«
Alle heben die Hand – außer Darko. »Ich enthalte mich«, murmelt er.
»Gut!« Die Zirkusdirektorin klatscht in die Hände. »Damit ist die Sache entschieden.« Nach kurzem Zögern dreht sie sich zu Danny um.
»Vergib mir, bello. Ich hätte es dir erzählen müssen. Aber ich mochte Jimmy sehr gern …«
»Bitte hilf mir, ihn aufzuspüren. Versprich mir, dass wir ihn suchen.«
»Das verspreche ich. Bei der Ehre meiner Familie«, sagt Rosa, legt die rechte Hand auf ihr Herz und schaut Danny in die Augen. Dann stiefelt sie davon, um die anderen auf Trab zu bringen.
Sing Sing zupft Danny am Ellbogen.
»Warum lässt du sie so leicht davonkommen?«
»Ich brauche Rosas Unterstützung. Die anderen werden ihr sowieso die Hölle heiß machen. Außerdem muss ich mit Ricard Kontakt aufnehmen, um zu erfahren, wie er über die Sache denkt. Ich muss ihm ein paar Fragen zu Jimmy stellen.«
Vielleicht hat Ricard inzwischen neue Informationen, denkt er. Vielleicht weiß er, welche Gefahren uns noch drohen. La Loca war als Profi-Killerin nur am Rande an der Sache beteiligt. Die Neunundvierzig mag hier in Barcelona ihre Leute haben – aber sie treibt ihr Unwesen auch an anderen Orten. Und ihr Chef, das Herz, muss noch enttarnt, gestellt und besiegt werden.
»Und was ist mit dem Haufen da?«, fragt Sing Sing und nickt in Richtung der hinter ihnen stehenden Zirkustruppe. »Sind die alle sauber?«
»Ich denke schon. Javier hat von jemandem gesprochen, der dem Mysterium nahesteht – damit muss er Jimmy gemeint haben.«
Danny legt die Stirn in Falten, denn ihn beschäftigt noch etwas. »Findest du es richtig, dass wir Darkos Messer zurückholen, Sing Sing?«
»Nur Vollidioten glauben, dass alles entweder schwarz oder weiß ist, Danny.«
»Aber …«
»Da gibt es kein Aber.«
Herzog beschnüffelt Dannys Fuß, dem der Turnschuh fehlt, und Sing Sing legt eine Hand auf den struppigen Kopf des Hundes. »In China gibt es ein Sprichwort: In unserem Inneren kämpft ein braver Hund gegen einen bösen Hund, und wenn man möchte, dass der brave Hund gewinnt, dann muss man ihn gut füttern.« Sie wendet sich ab. »Du hast deinem braven Hund viel Futter gegeben. Da kannst du dem bösen Kläffer auch mal einen Knochen hinwerfen …«
Danny wartet ungeduldig auf die Rückkehr des Suchtrupps.
Endlose dreißig Minuten später kehren die Klowns, Maria, Frankie und Darko endlich in die Kathedrale zurück. Sie scheinen es nicht eilig zu haben und wirken ziemlich verblüfft.
»Wir haben uns aufgeteilt und jedes verdammte Fleckchen Erde unter dem Ausleger des Krans abgegrast«, ruft Frankie. »Wir haben auch im weiteren Umkreis gesucht. Maria und Aki sind sogar in die Bäume geklettert, um nachzusehen, ob sie irgendwo in den Ästen hängt …«
»Und?«, fragt Danny ungeduldig.
»Totale Fehlanzeige«, sagt Darko. »Weder Leiche noch Mantel, weder Blut noch Messer. Keine Spur von gar nichts. Aber das hier lag mitten auf einem Weg!« Der fehlende Turnschuh baumelt an einem seiner langen Finger.
»Tja, in diesem Fall«, sagt Rosa mit großer Erleichterung, »gibt es wohl nichts, was wir der Polizei melden müssten.«
»Sie kann den Sturz nicht überlebt haben«, sagt Danny. »Oder etwa doch? Wir müssen sichergehen. Vielleicht wurde sie schon von der Polizei eingesammelt …«
»Halte ich für unwahrscheinlich«, sagt Frankie und kratzt sich am Kahlkopf. »Dann hätte man den Fundort mit Absperrband gesichert. Vielleicht ist sie irgendwo auf dem Dach gelandet, wer weiß.«
Rosa seufzt. »Wir haken sie einfach ab!«
»Wir können doch nicht so tun, als wäre es nie passiert«, beharrt Danny. Nach der Sache mit Jimmy vertraut er Rosas Urteilsvermögen nicht mehr ganz – und es wäre falsch, diesem Problem auszuweichen, anstatt es zu lösen.
Die Zirkusdirektorin reibt ihren Nacken. »Weißt du, bello, ich schlage Folgendes vor: Wir ziehen morgen die Vorführung durch, bauen danach schnell ab und brechen auf. Wenn sich im Laufe der nächsten vierundzwanzig Stunden irgendetwas tut, setzen wir uns damit auseinander.«
Darko gibt Danny den Turnschuh. »Rosa hat Recht. Uns bleibt nichts anderes übrig.«
Danny seufzt genervt, dann bückt er sich, um den Schuh anzuziehen. »Und wohin geht es als Nächstes?«
»Nach Berlin«, antwortet Rosa leise.
Danny verschlägt es kurz die Sprache.
»Berlin?«
»Wir treten eine Woche beim Berliner Zirkusfestival auf. Du wirst uns begleiten müssen, damit wir auf dich aufpassen können, bis deine Tante wieder auf freiem Fuß ist.«
Berlin.
Diese Neuigkeit verdrängt vorübergehend alle anderen Gedanken: Tante Lauras missliche Lage, das rätselhafte Verschwinden von La Locas Leiche, Sing Sings trübe Gedanken. Danny meint, einen eisigen Wind im Gesicht zu spüren.
Berlin!
Er bringt die Stadt nur mit einem einzigen Ereignis in Verbindung, und zwar mit dem Tod seiner Eltern. Mit dem alles verschlingenden Feuer. Berlin ist für ihn gleichbedeutend mit Gefahr und totaler Ausweglosigkeit.
Ihm steht also jene Reise bevor, vor der er sich immer gefürchtet hat. Andererseits weiß er seit langem, dass er sie irgendwann machen muss. Ebenjene Reise, an deren Ende er – endlich – am Grab seiner Eltern stehen wird.