Über dieses Buch:
Die Geschichte der Menschheit ist keine Einbahnstraße, in der alles sich ordnungsgemäß in eine bestimmte Richtung bewegt. Schon die kleinste Änderung kann ungeahnte Folgen nach sich ziehen – und der Tod eines einzelnen Menschen das Leben von Millionen beeinflussen. Gäbe es heute einen Papst in Rom, wenn Paulus nie die Möglichkeit gehabt hätte, das Christentum zu formen? Wie hätte sich die Geschichte Europas ohne Napoleon entwickelt – und würden wir in einer demokratischen Gesellschaft leben, wenn im Jahre 490 vor Christus ein einfacher Marathonläufer sein Ziel nicht erreicht hätte?
Spannend, erhellend und faszinierend: der Historiker und erfolgreiche Autor Robert Gordian präsentiert sechs kontrafaktische Erzählungen über Napoleon, Paulus, Themistokles, Dschingis Khan, Bolívar, Chruschtschow – und lässt uns hautnah teilhaben an historischen Ereignissen der besonderen Art.
Über den Autor:
Robert Gordian, geboren 1938 in Oebisfelde, studierte Journalistik und Geschichte und arbeitete als Fernsehredakteur, Theaterdramaturg, Hörspiel- und TV-Autor, vorwiegend mit historischen Themen. Seit den neunziger Jahren verfasst er historische Romane und Erzählungen. Robert Gordian lebt in Eichwalde, einem Vorort Berlins.
Die Serie WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN umfasst aktuell drei Bände:
WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Caesar, Chlodwig, Otto I., Elisabeth I., Lincoln, Hitler
WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Napoleon, Paulus, Themistokles, Dschingis Khan, Bolívar, Chruschtschow
WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Karl der Große, Arminius, Gregor VII, Mark Aurel, Peter I., Friedrich II.
Robert Gordian veröffentlichte bei dotbooks außerdem die historischen Romane MEIN JAHR IN GERMANIEN, DIE EHRLOSE HERZOGIN, XANTHIPPE – DIE FRAU DES SOKRATES und DIE GERMANIN sowie drei Romanserien: ODO UND LUPUS, KOMMISSARE KARLS DES GROSSEN, DIE MEROWINGER und ROSAMUNDE – KÖNIGIN DER LANGOBARDEN. Mehr Informationen über diese Serien finden Sie am Ende dieses eBooks.
Weitere Romane sind in Vorbereitung.
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Originalausgabe Juli 2015
Copyright © 2015 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Redaktion: Ralf Reiter
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Illustrationen von Frank Beutel, www.fb55.de
ISBN 978-3-95824-220-3
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Robert Gordian
Wären sie früher gestorben …
Napoleon, Paulus, Themistokles, Dschingis Khan, Bolívar, Chruschtschow
Sechs kontrafaktische Erzählungen
dotbooks.
Kontrafaktische historische Erzählungen?
Jede beruht auf überlieferten Tatsachen, doch ein wichtiges Faktum ist ausgespart. Der Hauptakteur des geschichtlichen Vorgangs fällt aus. Ein früher Tod hindert ihn, seine welthistorische Rolle zu spielen.
Was wäre ohne ihn geschehen? Welche Ereignisse hätten nun eintreten können? Wie wäre es ohne das Erscheinen dieser prägenden Persönlichkeit in der Geschichte der Menschheit weitergegangen? Wäre die Welt ohne sein oder ihr Auftreten besser oder schlechter geworden?
Wir wissen es nicht.
Doch es öffnet sich hier ein weiter Raum für unterhaltsame Spekulationen. Der frühe Tod des noch nicht aufgetretenen Protagonisten oder der Hauptdarstellerin einer Geschichtsepoche erfordert für das zu spielende Stück ein Alternativszenarium. Wir können immer nur eines anbieten. Dabei gäbe es unzählige.
Vielleicht lässt der Leser sich darauf ein und macht seine eigenen Entwürfe …
Peinliche Affäre
»Ich schreibe Ihnen diesen Brief, während ich Lady Hamilton gegenübersitze. Daher werden Sie von dem Wirrwarr, der in ihm herrscht, nicht überrascht sein. Wären Eure Lordschaft an meiner Stelle, würden Sie zweifellos auch keinen anständigen Brief zustande bringen.«
Der diese Zeilen ungelenk mit der linken Hand schrieb, war niemand anders als der berühmte Baron Nelson of the Nile and of Burnham Thorpe and Rear Admiral of the Red, was den siebthöchsten Rang in der britischen Flotte bedeutete.
Seit einiger Zeit hielt sich Horatio Nelson, neununddreißig Jahre alt, in Palermo auf, wo er noch immer an seinen Verwundungen laborierte. Nachdem er im August 1798 eine französische Kriegsflotte bei Abukir vernichtet hatte, war er hierhergekommen, in das mit England verbündete Königreich beider Sizilien, um sich zu verproviantieren und an seinen arg ramponierten Schiffen die notwendigen Reparaturen ausführen zu lassen. Das zog sich hin, und sein Aufenthalt dauerte nun schon über ein Jahr.
Die schöne Dame, die hinter ihm stand und ihm über die Schulter sah, lachte auf. »Und das wollen Sie dem Earl of Saint Vincent schicken?«
»Mit Sonderkurier.«
»Den trifft der Schlag.«
»Kann sein. Dann bekomme ich seinen Posten.«
»Sie gehen nach Malta?«
»Nein.«
»Aber war das nicht schon der zweite Befehl?«
»Kapitän Troubridge wird bald einen dritten bringen.«
»Sie werden Schwierigkeiten bekommen.«
»Das bin ich gewohnt.«
»Und setzen Ihren guten Ruf aufs Spiel.«
»Ich bin keine Jungfrau.«
»Sie sind sicher, keinen Fehler zu machen?«
»Was ein Fehler ist, darüber entscheidet Erfolg oder Misserfolg.«
Emma Hamilton schmiegte sich lächelnd in einen Armsessel und spielte mit ihrem Fächer. Der englische Gesandte, Sir William Hamilton, hatte Nelson sein Arbeitszimmer zur Verfügung gestellt und auch keine Einwände erhoben, als der einarmige Admiral seine Gattin gebeten hatte, ihm bei dem »Schreibkram« ein wenig zu helfen. Da allerdings nicht viel zu tun war, wurde manche Stunde – so wie es Nelson wünschte – verplaudert. Er schenkte sich noch einen Whisky ein.
»Misserfolge?«, sagte sie schmeichelnd. »Haben Sie nicht immer nur Siege errungen? Wie fühlt man sich eigentlich in einem solchen Augenblick? Im Augenblick des Sieges?«
Der Admiral lachte auf, klemmte die kurze Pfeife zwischen die Zähne und paffte ein paar Tabakswölkchen. »Im Augenblick des Sieges, Mylady? Beim letzten Mal … da lag ich mal wieder, jämmerlich zugerichtet, in der Kajüte des Chirurgen. Es ist wirklich zu dumm, aber man kommt nie dazu, so erhabene Momente richtig auszukosten. Statt an Gott, den König und England zu denken, zählt man seine Knochen. Und irgendetwas lässt man ja meistens zurück. Den Arm bei Teneriffa. Das Auge auf Korsika … zum Glück bemerkt man nicht, dass es blind ist. Zuletzt, in Ägypten, schien es so, als ob diesmal der ganze Kopf dran war. Der wird aber aufgespart, für einen noch größeren Sieg.«
»Ach, hören Sie auf! Das ist entsetzlich.«
»Entschuldigen Sie den Seemann. Keine Übung in galanter Konversation.«
»Sprechen wir lieber von etwas anderem. Haben Sie Nachricht von Ihrer Frau? Wie geht es ihr?«
»Ich hoffe, gut. Wie Ihrem beneidenswerten Mann.«
Emma erhob sich und trat an ein Tischchen zu einer Marmorbüste, die sie selbst darstellte. »Finden Sie, dass sie mir ähnlich ist?«
»Ja. Der Künstler hat gute Arbeit geleistet. Ich frage mich jedes Mal, wenn ich sie betrachte, welche Ihrer berühmten ›Attitüden‹ das sein soll.«
»Es ist die Schwermut. Er hat meinen Seelenzustand getroffen. Ich habe das alles hier satt. Die Auftritte in den Salons, die leeren Aristokratengesichter, die faden, unechten Lobsprüche … und dann …« Sie strich flüchtig mit den Fingerspitzen über die glatten marmornen Schultern der Büste. »Die würde Sir William völlig genügen. Er kann sie bewundern, vorzeigen, ausleihen, und sie wird nie etwas Unpassendes tun. Sie empfindet ja nichts.«
Emma sah Nelson voll an, und er erwiderte den Blick. Dann wich er plötzlich aus, erhob sich und trat an ein Fenster.
»Ich gestehe«, sagte er seufzend, »dass ich immer ein Sklave von Konventionen war. Ich achte Titel, Ränge und jede Art von Kontrakten. Auch …« Der Admiral unterbrach sich plötzlich, als fürchtete er, einen falschen Kurs einzuschlagen, und fuhr dann mit einer den Raum umfassenden Geste fort: »Sie fühlen sich dem hier nicht sehr verpflichtet, wie?«
»Ich bin eine hübsche Dekoration für das alberne Stück, das hier gespielt wird. Revolution, Flucht, Rückeroberung. Dazwischen Feste, Komödie, Empfänge, Intrigen, Todesurteile, Verleumdung, Betrug …«
»Ja«, sagte er nachdenklich, »es passiert viel Dummes, Sinnloses. Aber fügt sich nicht alles zu einer großen Ordnung? Haben wir nicht unseren Platz darin? Müssen wir nicht unsere Pflicht tun und …«
»Gestatten Sie eine Frage, Sir«, fiel sie ihm spöttisch ins Wort. »Wenn Sie zum Beispiel den Union Jack einholen, dafür den Jolly Roger hissen und mit Ihrem Schiff auf Kaperfahrt gehen … Wird davon die Welt einstürzen?«
Nelson war einen Augenblick lang sprachlos. »Den Jolly Roger … Ich?«, rief er dann auflachend.
»Ja! Das wäre eine Sensation. Wie ein britischer Admiral zum Seeräuber wurde.« Emma löste den Knoten des rotseidenen Tuchs, das sie um den Hals trug, und wand es ihm mit geübten Händen um den Kopf. »Phantastisch! In so einen könnte ich mich verlieben!«
»Haben Sie keine Angst«, fragte Nelson mitspielend, »selbst gekapert zu werden? Als Lady … auf einem Piratenschiff?«
»Ach, seien Sie unbesorgt. Ich bin doch nicht echt!«
***
Zur selben Zeit hatte der Gatte der schönen Dame, der einundsiebzigjährige Sir William Hamilton, eine ernste Unterredung mit Sir John Francis Edward Acton, dem Premierminister des Königreichs beider Sizilien, der ebenfalls Engländer war. Die beiden waren alte Freunde und mussten nicht allzu diplomatisch miteinander umgehen.
Beim Rumpeln seiner Karosse über die Straßen Palermos machte der Politiker dem Gesandten heftige Vorwürfe.
»So weit ist es gekommen! Der Sieger von Abukir lässt sich von einer Circe betören. Vernachlässigt seine Pflichten, düpiert seinen Vorgesetzten und die ganze britische Admiralität, bringt uns alle in Verlegenheit. Warum hast du nicht aufgepasst, William?«
»Aufgepasst? In meinem Alter sind einem da Grenzen gesetzt. Ich habe ihr fünfunddreißig Jahre voraus.«
»Trotzdem wirst du verantworten müssen, dass bei Nelsons Aufenthalt in Sizilien für England nichts weiter herausspringt als eine peinliche Liebesaffäre.«
»Das ist nun wirklich untertrieben, John. Nelson hat den Hof mit seinen Schiffen aus Neapel herausgebracht, als die Franzosen kamen. Sein Geschwader kreuzt vor der Küste, er bietet euch Schutz. Außerdem glaube ich, dass zwischen den beiden bisher nichts Ernstes geschehen ist.«
»Du gehörst also auch zur gläubigsten aller Gemeinden.«
»Von welcher Gemeinde sprichst du?«
»Von der der gehörnten Ehemänner.«
»Ich bitte dich, schweig!«
Von der Straße war Lärm vernehmbar, dort schien sich wieder einmal eine Menge zusammenzurotten.
Sir William schob eine weiße Haarsträhne unter die verrutschte Perücke. »Du wirst es doch nicht nach London berichten!«
»Ich fürchte, man weiß es dort schon. Und ich vermute, dass deine Tage hier gezählt sind.«
»Meinst du, dass man mich abberuft?«, fragte der alte Gesandte verzagt. »Aber ich kann ohne Italien nicht leben. Ohne die Landschaft, die Kunst, den Geist der Antike. Ich bin Diplomat, gewiss, aber vor allem Kunstliebhaber, Archäologe und Sammler. Ich würde zugrunde gehen, John.«
»Deine Schuld, William«, sagte Acton ungerührt. »Warum hast du dir diese Skandalnudel aufgeladen? Die abgelegte Geliebte deines Neffen, ein Geschöpf aus der Gosse. Warum musstest du sie heiraten und sie hierher an den Hof bringen? Warum …«
Ein Steinwurf zerschlug das Fenster der Karosse. Die beiden alten Herren fuhren erschrocken zurück und drückten sich in die Ecken ihrer Sitzbänke.
»Mein Gott!«, stöhnte Sir William. »Die Revolution … auch in diesem verlassenen Winkel Europas.«
Der Kutscher schlug auf die Pferde ein.
Acton hob den Stein auf und betrachtete ihn mit finsterer Miene.
»Vielleicht solltest du dankbar sein, wenn man dich abberuft. Wer weiß, was in ein paar Wochen sein wird. Ob wir hier noch heil herauskommen? Am meisten beunruhigt mich, was aus der französischen Armee geworden ist. Ich meine, der in Ägypten verschollenen. Man hört überhaupt nichts mehr von ihr. Dabei ist der Befehlshaber, dieser Korse, mit allen Wassern gewaschen. Das haben wir ja schon in Norditalien erlebt. Zwar hat ihm Nelson seine Flotte genommen, aber dem wird bestimmt etwas einfallen. Er könnte den Landweg über die Cyrenaika und Tripolitanien und den kurzen Seeweg über Malta nehmen … dann sind wir erledigt. Nelson könnte das verhindern, aber der ist ja – mit deiner Billigung und Unterstützung – anderweitig beschäftigt. Und die Franzosen haben Malta!«
»Vielleicht könnte Emma etwas tun«, sagte der alte Gesandte zaghaft. »Sie hat ja Einfluss auf ihn …«
Acton ließ ein verächtliches Lachen hören. »Das fehlte noch – dass sie es ist, die uns rettet! Doch immerhin … rede mit ihr.«
***
»Wie ich höre«, sagte Sir William ein paar Tage später zu seiner Frau, die in ihrem Boudoir vor dem Spiegel saß, »besichtigt Nelson heute die Hafenanlagen und Befestigungen. Das scheint dich ausnahmsweise mal nicht zu interessieren. Sonst klebst du ja förmlich an ihm.«
»Ich hab ihn schon tagelang nicht gesehen«, erwiderte Emma. »Aber du hast recht. Ich komme nicht mehr von ihm los. Ich glaube sogar, dass ich ihn liebe. Doch das verstehst du wohl nicht.«
»Nicht ganz. Wer zur Gesellschaft gehört, kann sich im Allgemeinen jeden Luxus erlauben. Nur Gefühle … die sind sehr teuer. Und du kannst sie dir schon gar nicht leisten.«
»Wie meinst du das?«, fragte sie spitz.
»Du weißt sehr gut, wo das hinführt. Kommst ja von dort her.«
»Ach, willst du dich scheiden lassen, bevor überhaupt etwas passiert ist?«
»Passiert ist, was man zur Kenntnis nimmt. Das nimmt man schon lange zur Kenntnis.«
»Eine Drohung?«
»Sagen wir, eine freundliche Warnung. Vergiss bitte eines nicht: Solange du meine Frau bist, wird man in dir eine Dame sehen, die eine Affäre hat. Sonst wärst du nur eine Seemannshure.«
»Du bist widerlich!«, schrie sie, wobei sie aufsprang und die Hand hob, als wollte sie ihn schlagen.
»Das beweist nur, wie recht ich habe«, erwiderte der alte Gesandte, wobei er sich mit zwei Schritten rückwärts in Sicherheit brachte. »Und ich füge hinzu: eine, die man bald wieder ablegen wird.«
»Halt den …«
»Ich finde, jetzt unterschreitest du das Niveau, auf das wir uns geeinigt haben.«
Emma nahm wieder vor dem Spiegel Platz und probierte das Kollier, das sie später auf einem Empfang bei Hofe tragen wollte.
»Wenn du glaubst, dass ich ohne dich unter die Räder käme, dann irrst du dich sehr. Ich singe, ich tanze, ich habe Bühnenerfahrung … Der Impresario der Oper von Madrid lässt anfragen …«
»Und wem verdankst du das alles?« Die brüchige Greisenstimme Sir Williams wurde schrill. »Aus den tiefsten Niederungen habe ich dich heraufgezogen. Wer warst du denn? Malermodell für Romney. Demonstrationsobjekt reisender Scharlatane. Eines von diesen netten Früchtchen, die in der Londoner Lebewelt von Hand zu Hand gereicht werden. Du warst ein Nichts – und was bist du? Ich habe dir eine Erziehung gegeben. Ich habe dir das alles beibringen lassen: wie man geht, wie man steht, wie man bei Tisch das Glas hebt und den Löffel hält. Ich habe deine Tanzmeister und Gesangslehrer bezahlt. Hab dich bekleidet und – wie man gerade sieht – mit Juwelen behängt. Hab dich zur Lady gemacht! Seitdem besitze ich keine Verwandten mehr, borge mir Geld, und man wird mich nun wohl mit Schimpf und Schande aus dem Dienst jagen.«
»Tut mir leid, lieber William«, sagte Emma, die sich beruhigt hatte, mit gespielter Betrübnis. »Es tut mir wirklich sehr leid, dass du mit mir nicht so glücklich bist wie mit deinen antiken Statuen.«
»Ein ziemlich unpassender Vergleich.«
»Keineswegs. Du sahst mich bei deinem Neffen, bemerktest mit Kennerauge meinen Kunstwert, fandest, dass ich ein gutes Stück in deiner Sammlung sein könnte – und kauftest.«
»Emma, wie kannst du …«
»Hast du Grevilles Schulden bezahlt? Na also. Dafür hast du nun die Venus von London. Und weil sie ein bisschen beschädigt war, musstest du ziemlich viel Geld aufwenden, um sie ausstellungsreif zu machen.«
»Emma …«
»Ach, mein Alter, ich habe Mitleid mit dir«, sagte sie. Ihr Zorn war verflogen. »Gefalle ich dir so?«, fragte sie kokett, sich ihm zuneigend, das Perlenkollier an ihrem makellosen Hals. »Wir wollen doch beide auf dem Empfang wieder Ehre einlegen. Damit alle Köpfe sich nach uns umdrehen.«
»Der König wird dir hundert Komplimente machen, Emma. Ich weiß sehr wohl«, stammelte Sir William, der es bereute, sein Anliegen mit den heftigen Vorwürfen schlecht begonnen zu haben, »dass auch ich dir manches schulde … will sagen, ich …«
»Ist das wahr? Man will dich abberufen? Meinetwegen?«
»Nicht direkt. Aber es könnte ein Vorwand sein. Noch ist es auch nicht amtlich. Doch gewisse Anzeichen …«
»Dagegen müssen wir aber schnell etwas tun!«, sagte sie, in ihrem Schmuckkästchen kramend.
»Das Beste wird sein, dass ich gleich selbst beim Premierminister um meine Demission bitte. Könnte mir damit Demütigungen ersparen.«
»Auf keinen Fall! Das kommt nicht in Frage!«
Sie fand die tropfenförmigen goldenen Ohrringe und wandte sich wieder dem Spiegel zu, um sie zu probieren.
Sir William knetete seine Hände und sagte schließlich: »Vielleicht könntest du etwas bewirken, Emma …«
»Siehst du! Ich weiß ja, dass du mich brauchst.«
»Dein Einfluss auf Nelson … Er könnte kriegsentscheidend werden. Bonaparte … dieser verfluchte Korse, der irgendwo in Ägypten oder Syrien steht … den wir von Frankreich abgeschnitten haben … Es ist zu befürchten, dass er demnächst die Rückkehr versuchen wird. Verhindern muss man, dass er Frankreich erreicht! Unbedingt! Der brächte es fertig, ganz Europa in Brand zu setzen. Verhindern kann das aber nur Nelson, wenn er mit seiner Flotte …«
***
Die kleine Flotte des Admirals lag zwei Wochen später, Mitte September 1799, immer noch im Hafen von Palermo.
Es war ein strahlender Spätsommertag. Nelson saß im seidenen Schlafrock in seinem Armstuhl auf Deck der Vanguard und frühstückte noch, als er Troubridge auf der Brücke bemerkte. Im ersten Augenblick wollte er aufstehen und sich verleugnen lassen, doch es war schon zu spät.
Der Maat, der ihn bediente, meldete Troubridge, und gleich darauf stand der hochgewachsene, vierschrötige Kapitän vor ihm und machte steif und korrekt eine Ehrenbezeigung.
»Troubridge!«, rief Nelson, Freude heuchelnd. »Sie sind schon zurück?«
»Ja, Sir, seit Montag«, sagte Troubridge ernst und mit strenger Miene. »Leider gelang es mir nicht, bis zu Ihnen vorzudringen.«
»War das so schwierig?«
»Sehr schwierig, Sir. Sprach ich hier auf dem Schiff vor, waren Sie in der Gesandtschaft. Ging ich dorthin, hieß es, Sie seien auf dem Schiff. Dann wieder wurde mir gesagt, Sie befänden sich bei Hofe oder auf einem Ausflug in die Umgebung.«
»Nun, freiheraus, Kapitän«, sagte Nelson mit einem Seufzer der Ergebung ins Unvermeidliche, »ich hatte befohlen …«
»Ist mir klar, Sir. Sie hatten befohlen, mich nicht vorzulassen. Sozusagen mich abzuwimmeln.«
»Was nicht immer leicht war. Ihre Hartnäckigkeit …«
»Mein Pflichtgefühl, Sir, gegen Gott, den König und England.«
»Was will denn der alte John schon wieder von mir? Noch immer dasselbe?«
»Sir, ich hatte seit meiner Ankunft Gelegenheit, mich auf den Schiffen umzuhören. So spreche ich auch im Namen der Offiziere und Mannschaften.«
»Also …?«
Troubridge räusperte und straffte sich, wobei er versuchte, sich zu sammeln, um seine Botschaft so überzeugend wie möglich vorzubringen.
»Wenn Sie erst einmal einen Schluck trinken wollen«, sagte Nelson lächelnd und deutete auf eine Weinflasche, »bedienen Sie sich.«
»Nein danke, Sir.«
»Sie können sich auch den Hocker dort nehmen.«
»Nicht nötig, Sir.«
»Haben Sie etwas dagegen, dass ich weiterfrühstücke?«
»Natürlich nicht, Sir.«
»Dann los!«
»Sir! Vor etwas über einem Jahr, am 1. August 1798, haben wir unter Ihrem Kommando in einer ruhmreichen Schlacht den glorreichsten Sieg in der Geschichte der britischen Seefahrt errungen.«
»Das ist mir bekannt. Doch vergessen Sie nicht die Armada. Ich denke, die beiden Siege sind gleichwertig. Und was kommt nun nach dieser feierlichen Einleitung?«
»Wir waren und wir sind stolz darauf, Sir, in einem Geschwader zu dienen, dessen Chef bereits zu Lebzeiten in den Pantheon der Geschichte eingetreten ist.«
»Ja, aber ich habe es, wie Sie sehen, dort nicht ausgehalten. Das Klima war nicht sehr bekömmlich.«
»Sir! Ich würde mir nie die Freiheit nehmen, Ihnen mit Ironie entgegenzutreten …«
»Tun Sie es doch mal, ausnahmsweise. Ich erlaube es Ihnen. Nur Mut!«
»Dann würde ich sagen, Sie sind auf dem besten Wege, Sir, Ihren Namen, der für die Unsterblichkeit bestimmt ist, mit dem Makel menschlicher Unzulänglichkeit zu beflecken.« Troubridge sprach die letzten Worte mit ersterbender Stimme.
Nelson, ein Stück Käse verzehrend, lachte in sich hinein. »Darf ich Ihnen auch mal ironisch kommen?«
»Ich bitte darum. Wenn es sich nicht vermeiden lässt …«
»In letzter Zeit haben mich alle so eifrig in den Himmel gehoben und mich auf Podeste und Denkmalssockel gestellt, dass ich schon an mir selbst zu zweifeln begann. Sie haben mich wieder zum Menschen gemacht.«
»Das war aber nicht meine Absicht, Sir.«
»Trotzdem ist es Ihnen gelungen. Vielen Dank. Doch nun weiter.«
»Darf ich ganz offen sprechen?«
Der Admiral deckte eine Schüssel auf und machte sich über das Rührei her. »Wenn Sie mir nicht den Appetit verderben.«
»Ich riskiere es.«
»Auf Ihre Verantwortung.«
»Auf den Schiffen ist man der Ansicht, dass es die höchste Zeit ist, Sie an Ihre Pflicht zu erinnern.«
»Wer ist ›man‹?«
»Die besseren Elemente, Sir, die nur das eine wünschen: Englands Ruhm.«
»Und was verlangen die ›besseren Elemente‹ von mir?«
»Der Befehl ist bekannt. Ich selber hatte die Ehre, ihn aus dem Munde des Oberbefehlshabers zu vernehmen und Ihnen schon zweimal zu übermitteln. Admiral Saint Vincent hat uns ausersehen, unter Ihrem Kommando neue Ruhmestaten zu vollbringen. Deshalb fordere ich Sie im Namen Ihres Geschwaders auf: Belagern Sie endlich die Festung Malta!«
Nelson legte die Gabel beiseite und wischte sich den Mund. »Nehmen Sie es nicht übel, Troubridge, aber ich muss Sie im Moment enttäuschen. Ich belagere gerade eine andere Festung, und ehe die nicht gefallen ist, kann ich nicht abziehen. Das wäre eines Engländers einfach nicht würdig.«
»Sir! Ich appelliere noch einmal an Ihr Ehrgefühl! Denken Sie daran, was die Geschichte von Ihnen …«
»Aber daran denke ich dauernd! Ich frage mich, ob es schon ausreicht, was ich für die Geschichte getan habe. Haben Sie schon einmal von Mark Anton gehört?«
»Natürlich«, antwortete Troubridge unsicher. »Römischer Feldherr.«
»Einer der größten. Welche berühmte Seeschlacht verlor er?«
Troubridge dachte angestrengt nach und bewegte die Lippen, brachte jedoch nichts heraus.
»Sie wissen es nicht? Auf der Kadettenschule geschlafen, wie? Macht nichts. Was wissen Sie sonst von diesem Mann?«
Troubridge seufzte, senkte den Kopf und schwieg geniert.
»Eines doch bestimmt«, fuhr Nelson fort. »Er war der Geliebte und Gatte der Kleopatra. Er liebte sie – und sie ihn. Das hat ihnen die Menschheit nicht vergessen. Nicht einmal Sie, Kapitän Troubridge.«
»Sir!«, rief Troubridge verzweifelt. »Ich wollte … Ich wünschte Sie zu überzeugen …«
»Wovon?«
»Dass Sie Ihre Gedanken nicht darauf richten sollten, was Sie zu Ihrer Schmach, sondern darauf, was Sie zu Ihrer Ehre tun können!«
Nelson blickte prüfend in das rot angelaufene Gesicht des Kapitäns und wurde plötzlich ernst. »Wissen Sie, was mir Kapitän Hallowell zum Geburtstag geschenkt hat?«
»Nein, Sir.«
»Kommen Sie mit.«
Der Admiral erhob sich und stieg in seine Kajüte hinab. Troubridge folgte ihm.
»Es war ein makabrer Scherz«, sagte Nelson. »Aber auch eine Mahnung. Und ich habe sie verstanden. Ziehen Sie mal an der Schnur dort.« Er deutete mit einer Kopfbewegung nach einem Vorhang, der hinter dem Bett eine Ecke des Raumes abteilte.
Troubridge verstand nicht, ging aber hin und zog an der Schnur.
Der Vorhang glitt zur Seite und gab den Blick frei – auf einen Sarg.
Hinter Nelsons Bett stand er hochkant an die Wand gelehnt. Es war ein plumper, roh gezimmerter Seemannssarg.
Troubridge fuhr betroffen zurück. »Sir, ich wollte Ihnen nicht …«
»Schon gut. Der wird von jetzt an immer in meiner Kajüte stehen. Ein schöner Sarg, finden Sie nicht auch? Aus den Brettern vom Fockmast des französischen Admiralsschiffs, wo ein Mann kommandierte, dem zuerst eine Kugel die Beine wegriss und der dann noch zwei Stunden an Bord saß und Befehle erteilte, bis er den Geist aufgab. Der Mann hatte Pech. Hätte er Glück gehabt, dann hätte er sich aus dem Fockmast unserer Vanguard eine Trophäe machen lassen. Nun blicken Sie nicht so trübselig, Troubridge. Die Ehre, wissen Sie …« Er klopfte an den Sarg. »Die Ehre geht uns nicht verloren. Sonst noch was?«
»Nein, Sir. Ich denke, es ist alles gesagt. Die Flotte erwartet Ihre Befehle.« Er salutierte und wollte in steifer Haltung hinausgehen.
Nelson rief ihn zurück. »Beinahe hätte ich es vergessen … Sie werden gleich noch einmal als Sonderkurier zum Earl of Saint Vincent zurückkehren. Malta kann warten, aber ich möchte dem lieben John, unserem verehrten Oberkommandierenden, eine Freude machen. Er soll es auch zuerst erfahren, sonst weiß es noch niemand. Damit er sich wie nach der Schlacht von Saint Vincent, die ich für ihn gewonnen hatte, wofür aber er die Siegesmedaille und den Titel erhielt, einer weiteren Großtat rühmen kann. Hier, ein Schreiben dazu, bei dessen Abfassung mir Lady Hamilton ein wenig geholfen hat. Es geht immer noch schlecht mit der linken Hand.«
»Wenn es dringend ist, Sir, werde ich unverzüglich aufbrechen.«
»Oh, nehmen Sie sich nur Zeit bis morgen oder auch ein paar Tage. So wichtig ist es nun auch wieder nicht. Der Brief enthält eine interessante Nachricht. Es geht um den Mann, von dem wir lange nichts mehr gehört hatten. Von dem wir schon annahmen, er sei irgendwo in der Wüste, zwischen Kairo und Jaffa, umgekommen. Mit seiner ganzen Armee.«
Troubridge machte eine heftige Bewegung. »Sprechen Sie – von Bonaparte, Sir?«
»Erraten. Von diesem Teufelskerl, der den Franzosen die Lombardei und die Toskana erobert hat und den sie dann nach Ägypten schickten. Wohl um ihn loszuwerden, weil er ihnen zu Hause zu gefährlich wurde. Die Zeitungen schrieben ja, dass er bis nach Indien vordringen wollte, um England von dort aus in die Knie zu zwingen. Nun, wenn das sein Ziel war, hat er es verfehlt.«
»Und das ist sicher?«
»Absolut. Kapitän Samuel Hood war selbst hier, um zu berichten. Er war es, der die Franzosen aufbrachte. Zwischen Kreta und der afrikanischen Küste.«
»Aber wie, Sir, konnten sie denn aus Ägypten entkommen? Wir hatten doch …«
»… ihre Flotte bei Abukir zerstört. Leider konnten sie einige Schiffe retten, vier insgesamt. Zwei Schlachtschiffe und zwei Fregatten. Übrigens auch durch Ihre Schuld, Troubridge.«
»Sir, ich konnte mich rechtfertigen!«
»Trotzdem ist mir immer noch unbegreiflich, wie man es sich, während die Seeschlacht tobt, auf einer Sandbank bequem machen kann. Aber lassen wir das. Kurz und gut, Bonaparte befand sich auf einer der beiden Fregatten.«
»Und wo hält er sich jetzt auf, Sir?«
»Ich nehme an, auf dem Meeresgrund.«
»Wie? Was?«
»Vielleicht passte er auch in einen Fischmagen. Es hieß, dass er nur untermittelgroß war.«
»Sir!«
»Er könnte auch irgendwo ans Ufer geschwemmt sein.«
»So ist er tatsächlich tot? Und dafür gibt es Beweise?«
»Hood hat durch Zufall gerade diese Fregatte versenkt. Sie soll rasch gesunken sein, niemand hat überlebt. Die anderen drei Schiffe wurden geentert. War ein tapferer Kerl, dieser Bonaparte … und einer ihrer wenigen Feldherren, die etwas taugten. Und er war noch sehr jung … was hätte aus dem noch werden können! Ja, das war einer von meinem Schlage. Vielleicht hätte ich ihm Hallowells Sarg überlassen, wenn sie ihn mir als Leichnam gebracht hätten.«
»Sir, diese Nachricht wird den Oberkommandierenden glücklich machen. Und ich bin glücklich, sie überbringen zu dürfen. Erlauben Sie, dass ich eile!«
Nelson gab ihm den Brief. »Bestellen Sie John meine patriotischen Grüße, und betonen Sie meinen heißen Wunsch und meine jederzeitige Bereitschaft, neue Taten zum Ruhme Englands zu vollbringen. Nur was Malta betrifft …«
»Oh, Sir!«, rief Troubridge. »Bitte denken Sie jetzt nur an Ihre Gesundheit. Malta wird auch ohne Ihre Mitwirkung fallen. Überlassen Sie uns ein Blatt Ihres Lorbeers!«
***
»Ich muss magische Kräfte haben«, sagte Nelson später zu Lady Hamilton, die im wehenden weißen Musselin à la Grecque, ihren Sonnenschirm drehend, zu ihm an Bord kam. »In meiner Nähe wollen sie alle Heldentaten vollbringen.«
»Und Sie? Was wollen Sie?«
»Einen Ausflug mit Ihnen machen. Und sobald wir auf hoher See sind …«
»Sobald wir auf hoher See sind … was dann?«
»Dann hissen wir beide den Jolly Roger!«
Infolge des (hypothetischen) Todes General Napoleon Bonapartes im September 1799 irgendwo im Mittelmeer auf der Überfahrt von Ägypten nach Frankreich finden die folgenden geschichtsprägenden Ereignisse nicht statt:
Der Staatsstreich Bonapartes am 18. Brumaire des Jahres VIII im Revolutionskalender (9. November 1799) und die Ernennung des Generals zum Ersten Konsul der Republik.
Die Schlacht bei Marengo am 14. Juni 1800.
Die Friedensschlüsse von Lunéville (1801) und Amiens (1802).
Der Reichsdeputationshauptschluss (1803).
Die Umwandlung der Republik Frankreich in ein Kaiserreich und die Krönung Napoleons zum Kaiser (1804).
Die Einführung des Code civil (ab 1807 Code Napoléon).
Die Schlachten bei Ulm und Austerlitz (1805).
Die Gründung des Rheinbunds und das Ende des »Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation« (1806).
Die Schlacht bei Jena und Auerstedt und die Besetzung Preußens (1806).
Die Kontinentalsperre als Wirtschaftsblockade über England, in Berlin verfügt (1806).
Die Schlacht bei Friedland und der Frieden von Tilsit (1807).
Die Schlacht bei Wagram (1809).
Die Heirat Napoleons mit Marie-Louise von Habsburg (1810).
Die Geburt eines Sohnes, der als Napoleon II. Thronfolger werden sollte (1811).
Der Feldzug nach Russland, die Schlacht von Borodino, der Brand Moskaus, der desaströse Rückzug mit dem Verlust der Großen Armee (1812).
Die »Völkerschlacht« bei Leipzig (1813).
Die erste Abdankung Napoleons, seine Verbannung auf die Insel Elba und die Wiedereinsetzung Ludwigs XVIII. (1814).
Die Rückkehr Napoleons für 100 Tage, die Schlacht bei Waterloo und die Gefangennahme und endgültige Verbannung des Kaisers nach der Atlantikinsel St. Helena (1815), wo er 1821 stirbt.
Der Wiener Kongress und die Gründung der heiligen Allianz (1814–1815) mit all ihren Folgen.
Kurz: Die gesamte Epopöe des Napolione Buonaparte vom korsischen Niemand zum großmächtigen Beherrscher fast ganz Europas bis zum Gefangenen einer Weltmacht.
Was könnte stattdessen geschehen? Eine Variante des historischen Fortgangs wäre die folgende.
In Frankreich herrscht 1799 das Direktorium, die letzte Revolutionsregierung, die dem Wohlfahrtsausschuss 1794 gefolgt ist. Das Direktorium bleibt länger im Amt als realiter (weil Bonaparte nicht zurückkehrt, kein Staatsstreich erfolgt und das Konsulat nicht eingeführt wird) und hält sich noch bis Mitte des Jahres 1800.
Barras, der Erste der Direktoren, leitet den Widerstand gegen die andrängende Koalition, die Österreich, Russland, England und Preußen zur Rückführung der Bourbonen gebildet haben. General Moreau kann Österreich noch eine Niederlage beibringen. Pichegru, ein früherer Revolutionsgeneral, kämpft auf Seiten der Russen und besiegt die französische Armee.
Georges Cadoudal (30), der herkulische, gewalttätige, militärisch begabte Bauernführer der Bretagne, belebt die Bewegung der Chouans im Innern Frankreichs und rückt mit royalistisch gesinnten bäuerlichen Heerhaufen gegen Paris vor.
Im Frühjahr 1801 ist Frankreich von ausländischen Truppen besetzt. Die in den Jahren der Revolution geflohenen und vertriebenen Aristokraten kehren zurück und nehmen grausam Rache. Barras und die anderen vier Direktoren werden hingerichtet.
Es kommt zur Restauration, fünfzehn Jahre vor ihrem realen geschichtlichen Beginn.
Der Herzog von Provence besteigt als Ludwig XVIII. den seit der Gründung der Ersten Republik (1792) verwaisten Thron und lässt das Lilienbanner der Bourbonen hissen. Er setzt aber auf Ausgleich und Versöhnung mit den Republikanern.
Sein Bruder hingegen, der hasserfüllte, rachsüchtige Graf Charles d’