Schmutztitel

Henriette Wich

Titel

Freundinnen in Gefahr!
Teil 3
Falsche Freunde

Kosmos

Umschlagillustration Ina Biber, Gilching

Umschlaggestaltung von Friedhelm Steinen-Broo, eSTUDIO CALAMAR

Grundlayout: Doppelpunkt, Stuttgart

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© 2014, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-440-14452-7

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

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Ohnmächtig

Ein schreckliches Geräusch riss Marie aus ihrem unruhigen Dämmerschlaf. Es hörte sich an, als ob neben ihr ein schwerer Gegenstand zu Boden gekracht wäre … Nein, das konnte nicht sein, der hätte nicht leise gestöhnt.

Maries Herz raste. Sie schreckte hoch. Wo war sie? Was war passiert? Marie zwang sich, zwei-, dreimal tief durchzuatmen. Dann sah sie sich um. Sie befand sich mit Kim und Franzi in einem engen, holzverkleidete Raum. Eine Lampe an der Wand verbreitete warmes, gelbes Licht. Es war furchtbar stickig und roch schwach nach Pfefferminz. Die Erinnerung traf Marie wie ein Faustschlag in die Magengrube. Die drei !!! waren in einer Sauna eingesperrt!

Kim kauerte neben Marie auf der oberen Saunabank und murmelte mit geschlossenen Augen: »Hey, Ben, Lukas, seid nicht so laut, ich will schlafen!« Seufzend versuchte sie wieder eine einigermaßen bequeme Schlafposition zu finden.

Marie rüttelte sie unsanft an der Schulter.

»Wach auf! Franzi braucht Hilfe!«

»Was? Wer? Franzi?« Kim blinzelte verwirrt. Als ihr Blick auf den Boden fiel, schlug sie sich mit der Hand auf den Mund. »Nein, bitte nicht!«

Marie sah Kim flehend an. Normalerweise behielt die Chefin des Detektivclubs in brenzligen Situationen einen klaren Kopf und tat als Erste ganz ruhig, was getan werden musste. Aber heute war sie eindeutig überfordert.

Marie kämpfte gegen die Angst an. Langsam stand sie auf.

»Beweg dich nicht«, sagte Marie leise, während sie sich über Franzi beugte.

Ihre Freundin bewegte sich tatsächlich keinen Millimeter. Sie lag mit zur Seite ausgestreckten Armen und Beinen da, als ob jemand mitten in einer rasanten Actionfilmszene die Pausentaste der Fernbedienung gedrückt hätte. Aber das hier war kein Film. Es war real. Kim, Franzi und Marie saßen schon seit Stunden in der Sauna fest. Gestern waren sie so erschöpft von den Anstrengungen des Tages gewesen, dass sie nicht mal mehr versucht hatten, sich zu befreien. Trotz des Lichts, das man von innen nicht ausschalten konnte, waren sie irgendwann eingeschlafen. Aber was war nur mit Franzi passiert? Warum lag sie dort unten auf dem Boden? Und warum hatte sie ein Handtuch auf dem Gesicht? Marie war noch viel zu durcheinander, um Antworten auf diese quälenden Fragen zu finden.

Plötzlich wölbte sich der dunkelblaue Frotteestoff leicht nach oben. »Ich … krieg … keine Luft! Ich … muss … sterben!«, stammelte Franzi panisch.

»Nein, du musst nicht sterben«, sagte Kim. Sie hatte den ersten Schock überwunden, ihre Stimme klang wieder ziemlich ruhig und klar, fast so wie immer.

Vorsichtig streckte Marie die Hand aus und entfernte das Handtuch von Franzis Gesicht.

Franzi keuchte. »Hilfe! Bitte helft … Was ist … mit mir?«

»Ich glaube, du bist gestürzt und dabei kurz ohnmächtig geworden.« Kim ließ sich an der Saunawand zu Boden gleiten und strich sanft eine verschwitzte Haarsträhne aus Franzis blasser Stirn.

»Ohnmächtig?« Franzi schob stöhnend Kims Hand weg. »Mein Kopf … Aua! Pablo hat an der Tür gekratzt und ich wollte zu ihm … und dann wurde mir plötzlich schwarz vor den Augen. Ich dachte, jetzt ist alles aus und vorbei!«

Marie versuchte mit einem kurzen Lachen die eigene Angst zu vertreiben. »Nein, das ist es nicht. Du lebst und deine Stirn ist nur leicht gerötet. Wahrscheinlich wirst du bloß eine harmlose Beule bekommen. Du kannst doch noch deine Arme und Beine bewegen, oder? Versuch es mal.«

Zögernd dehnte und streckte sich Franzi. Endlich kehrte wieder ein wenig Farbe in ihr Gesicht zurück. »Ich glaube, ich bin okay. Das mit der Stirn ist auch nicht so schlimm. Tut kaum weh. Ihr wisst ja, Sportlerinnen sind zäh, die halten einiges aus.«

Kim atmete erleichtert auf. Franzi hatte ihren Humor wiedergefunden. Das war ein gutes Zeichen. »Du hattest einen Schutzengel. Dieses Ding hier hätte dich nämlich auch übel verletzen können.« Kim hob eine Stange auf, an deren oberem Ende ein Haken befestigt war. »Ich frag mich schon seit gestern, was das komische Teil hier zu suchen hat.«

»Das ist eine Saunafahne«, erklärte Marie aufgeregt. »Ich war neulich mit Tessa und Lina in der Frauensauna, da gab es einen genialen Fahnen-Aufguss. Die Bademeisterin hat die Fahne mit dem Handtuch geschwenkt und damit die warme, feuchte Luft überall gleichmäßig in der Sauna verteilt.«

Kim betrachtete stirnrunzelnd den Haken, dessen Öse in der Mitte aufgebrochen war. »Jetzt ist mir alles klar. Franzi ist beim Aufstehen auf den unteren Teil der Stange getreten und hat damit eine Katapultbewegung ausgelöst. Dabei muss sich das Handtuch aus der Halterung gelöst haben. Als sie auf dem Boden lag, ist es auf ihr Gesicht gesegelt.«

»Deshalb war alles auf einmal schwarz.« Franzi richtete sich auf und lächelte gequält. »Keine schöne Erfahrung, kann ich euch sagen.«

»Das glaub ich dir sofort«, sagte Marie. »Ich würde dich jetzt am liebsten bei Ina Westphal im Garten in einen Liegestuhl setzen und dir einen eisgekühlten Fruchtcocktail servieren, aber ich fürchte, daraus wird erst mal nichts. Wir sitzen nämlich hier fest.«

Maries letzter Satz holte Franzi endgültig ins Leben zurück. »He, aufgeben gilt nicht! Wie oft waren wir als Detektivinnen schon eingesperrt, und wie oft haben wir uns am Ende selbst befreit?«

Kim begann, an den Fingern die scheinbar ausweglosen Situationen abzuzählen, an die sie sich noch lebhaft erinnern konnte. Bei sieben hörte sie auf und grinste. »Ich schätze, wir haben eine Befreiungs-Quote von 100 Prozent.«

»Exakt.« Franzi stand auf und stemmte entschlossen die Hände in die Hüften. »Dann wollen wir doch mal sehen, wie wir es diesmal schaffen.«

So müde und ausgelaugt Marie sich fühlte, auf einmal wurden in ihrem Körper wieder Energiereserven freigesetzt. »Franzi hat recht. Das sind wir unserer Ehre als Detektivinnen schuldig und Pablo auch. Der Arme hat mir so leidgetan, wie er gestern Abend vor der verschlossenen Saunatür auf und ab gelaufen ist und verzweifelt gebellt hat.«

Franzi spähte durch den verglasten Lichtschlitz im Wandbereich. »Er wollte uns unbedingt befreien, der mutige Held.« Von außen kratzte Pablo wieder an der Tür. »Ja, Kleiner«, beruhigte Franzi ihn. »Wir sind gleich bei dir.«

Die drei !!! setzten sich nebeneinander auf die obere Saunabank und entwarfen abenteuerliche Strategien, von denen sie die meisten sofort wieder verwarfen, weil sie undurchführbar waren.

»Wir müssen die verkeilte Tür irgendwie aufkriegen.« Kim krauste die Stirn. »Ein Dietrichset haben wir nicht dabei, und unsere anderen bewährten Tricks funktionieren leider auch nicht.«

Marie ließ ihren Blick über die holzverkleideten Wände gleiten. Auf einmal stutzte sie. »Da drüben ist eine Holzlatte locker! Meint ihr, die könnten wir rausreißen und als Hebel einsetzen?«

»Gewalteinwirkung? Warum nicht!« Franzis Augen blitzten unternehmungslustig. »Das ist zwar Sachbeschädigung, aber die Kosten für die Reparatur können sich Alex und Olaf teilen. Selbst schuld, sie hätten uns eben nicht hierherschleifen und einsperren dürfen.«

Kim, die sonst oft vor Handlungen am Rande der Legalität zurückschreckte, hatte diesmal keinerlei Skrupel. »Worauf warten wir noch? Ich muss nur aufpassen, dass mein Ellbogen nicht von der Latte getroffen wird.«

Auf einmal spürte Marie wieder den Schmerz in ihrem linken Handgelenk. Seit sie mit Kim in der Ferme Auberge zusammengestoßen war, hatte sie keinen Gedanken mehr dran verschwendet. »Geht’s einigermaßen mit deinem Ellbogen?«, fragte sie.

»Klar.« Kim lächelte tapfer, obwohl die Schwellung bestimmt wehtat.

Die drei !!! griffen an drei verschiedenen Stellen an die Holzlatte. Marie zählte laut: »Drei, zwei, eins … LOS!«

Beim ersten Mal knirschte das Holz widerwillig und die Latte löste sich nur einen Zentimeter aus der Wand.

»Noch mal!«, feuerte Franzi ihre Detektivkolleginnen an. »Drei, zwei, eins … POWER!«

Es knirschte und krachte. Dann kapitulierte die Holzlatte vor der geballten Krafteinwirkung. Ruckartig löste sie sich und warf die drei !!! mit ihrer Wucht nach hinten. Kim und Franzi ließen vor Schreck kurz los, aber Marie fing die Latte blitzschnell auf, bevor sie auf den Boden knallte. »Hiergeblieben! Wir brauchen dich noch.«

Jetzt kam die nächste Herausforderung, die wesentlich mehr Fingerspitzengefühl erforderte. Es galt, genau den richtigen Winkel unter dem ersten der beiden Keile zu finden. Pablo bellte aufgeregt und sprang immer wieder an der Tür hoch.

»Aus, Pablo!«, sagte Franzi streng. »Wir müssen uns konzentrieren.«

Brav setzte Pablo sich auf sein Hinterteil und verstummte. Seine großen, wässrigen Augen hingen voller Bewunderung an Franzi, die er inzwischen zu seinem Lieblings-Ersatzfrauchen erkoren hatte.

Fünf Mal mussten Kim, Franzi und Marie den Winkel der Holzlatte unter dem ersten Keil verstellen, bis sie endlich Erfolg hatten. Dann sprang der Keil weg. Beim zweiten Keil waren sie schon wesentlich geübter und entsprechend schneller. Zack! Auch dieser löste sich mühelos.

»Hurra!«, jubelte Kim.

Franzi drückte mit letzter Kraft die Tür nach außen auf. Frische Luft strömte herein. Endlich! Sie hatten es geschafft!

Erleichtert und völlig ausgelaugt stolperten die drei !!! aus der Saunakabine. Pablo war vor Freude außer sich. Er sprang an Franzi hoch und fuhr ihr mit seiner Schlabberzunge einmal quer übers Gesicht.

»Lass das!« Franzi wischte sich lachend die Spucke ab. Es war höchste Zeit, dem Hund diese unmögliche Macke abzugewöhnen, aber jetzt hatten sie erst mal andere Sorgen.

Pablo rannte im Kreis um die Detektivinnen herum. Er bellte und wedelte und konnte sich vor lauter Begeisterung gar nicht mehr einkriegen. Franzi musste ihn schließlich an die Leine nehmen und mehrmals »Sitz!« rufen, bis er sich endlich beruhigte.

»Und jetzt – nichts wie raus in die Freiheit!«, rief Marie.

Kim zeigte nervös zur Treppe. »Nicht so schnell. Erst sollten wir nachsehen, ob Alex und Olaf da sind.«

Die Männer waren zum Glück nicht zurückgekommen. Die drei !!! kontrollierten noch kurz, ob es Einbruchspuren gab. Franzi lief zur Vordertür der Villa, während Marie und Kim den Hintereingang überprüften. Fünf Minuten später trafen sie sich wieder im Eingangsbereich.

»Nichts.« Franzi schüttelte den Kopf. »Keine Kratzer am Schloss, keine Beschädigungen.«

Marie und Kim hatten auch nichts gefunden.

»Damit wäre auch das geklärt«, fasste Kim zusammen. »Alex und Olaf müssen einen Schlüssel gehabt haben. Fragt sich nur, von wem.«

»Das finden wir schon noch heraus.« Marie trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. »Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich will bloß noch weg von hier.«

Kim und Franzi ging es ähnlich. Eilig verließen die drei !!! das Château Truite. Als die Tür mit einem dumpfen Geräusch hinter ihnen ins Schloss fiel, fiel gleichzeitig eine Riesenlast von ihren Schultern. Sie hatten eine der schlimmsten Nächte ihres Lebens überstanden. Sie froren, sie hatten immer noch Hunger und Durst, waren aber wie durch ein Wunder gesund und unverletzt. Es war vorbei und ein neuer Tag brach an. Er schien schön zu werden, die Sonne vertrieb die dunklen Wolken und brachte die dünne Schneeschicht in der Einfahrt zum Schmelzen.

Kim, Franzi und Marie schwangen sich auf die Fahrräder und fuhren los. Pablo freute sich riesig über die Bewegung. Gut gelaunt sprang er neben Franzis Fahrrad her. Die drei !!! wollten trotz Erschöpfung so schnell wie möglich zurück zum NaturErlebnisWald. Vielleicht hatten sie ja Glück und konnten sich unbemerkt in ihre Hütte schleichen, weil Ina davon ausging, dass sie ausschlafen wollten.

Marie ignorierte den Muskelkater in ihren Beinen, sie ignorierte die Schmerzen und dachte ganz fest daran, wie sie schon bald unter der warmen Dusche stehen würde. Dann würden die fürchterlichen Strapazen des letzten Tages und der Nacht von ihrem Körper einfach abfallen. Marie war so in ihre Wunschvorstellung vertieft, dass sie das Motorengeräusch erst bemerkte, als bereits ein dunkelgrüner Kombi auf die Detektivinnen zufuhr. Die Fahrerin bremste abrupt ab und sprang aus dem Wagen.

»Ina???«, rief Marie. »Was machst du denn hier?« Sie konnte sich beim besten Willen nicht erklären, woher Ina Westphal wusste, wo Kim, Franzi und Marie sich gerade aufhielten. Hatte sie plötzlich magische Fähigkeiten entwickelt?

Keineswegs, wie sich rasch herausstellte. Die Leiterin vom NaturErlebnisWald starrte die drei !!! entsetzt an. »Wie seht ihr denn aus? Ihr seid ja total fertig und verdreckt! Was fällt euch eigentlich ein, einfach abzuhauen? Das geht nicht! Als ihr heute nicht zum Frühstück gekommen seid, hab ich in der Hütte nachgesehen und einen Riesenschock bekommen. Ich dachte, ihr liegt tot in euren Schlafsäcken, bis ich endlich entdeckt hab, dass ihr euch Schlafattrappen gebastelt habt.«

Kim machte ein zerknirschtes Gesicht. »Entschuldige bitte! Wir wollten dich nicht erschrecken, wirklich nicht. Wir mussten nur unbedingt mit den Rädern …«

Ina Westphal schnitt ihr das Wort ab. »Stopp! Ich will gar nicht wissen, wo ihr euch herumgetrieben habt.« Empört schüttelte sie den Kopf. »Ihr dachtet wohl, ich finde die Schlafattrappen lustig, was?«

»Nein, natürlich nicht«, versuchte Franzi die Leiterin zu beschwichtigen. »Es ist ja alles gut. Wir sind gesund. Aber woher wusstest du eigentlich, wo du uns finden konntest?«

»Die Mountainbikes der Gäste sind mit einem Radarsystem ausgestattet«, erklärte Ina. »Damit kann man jederzeit ihre Position bestimmen. Es kommt nämlich hin und wieder vor, dass sich Gäste im Wald verfahren oder die Bikes klauen wollen. Oder dass sich drei minderjährige Mädchen einfach davonstehlen und sich im Wald Gefahren aussetzen, die sie nicht im Geringsten einschätzen können!«

Marie zog den Kopf ein. So streng hatte sie die Leiterin vom NaturErlebnisWald noch nie erlebt. Das verhieß nichts Gutes. Das dicke Ende kam dann auch gleich. Ina Westphal bestand darauf, dass die drei !!! sofort mit Pablo ins Auto stiegen. Die Fahrräder würde sie später abholen lassen. Ina hatte nämlich nichts Besseres zu tun gehabt, als die Eltern der Mädchen zu benachrichtigen. Die machten sich jetzt natürlich große Sorgen und verlangten, dass die drei !!! sofort nach Hause fuhren.

»Wir wollen aber noch nicht zurück!«, protestierte Marie. »Es war doch ausgemacht, dass wir mehrere Tage bei dir bleiben dürfen.«

Ina Westphal blieb hart. »Keine Widerrede! Den Abbruch eurer Ferien habt ihr euch selbst zuzuschreiben.«

»Bitte!!!«, sagte Kim flehentlich. »Das Ganze tut uns sehr leid. Wir versprechen, dass wir nie wieder einfach so verschwinden werden. Wir können doch zu Hause anrufen und sagen, dass alles in Ordnung ist. Dann beruhigen sich unsere Eltern bestimmt ganz schnell wieder.«

Leider hatte auch Kim mit ihrer diplomatischen Art keine Chance. Ina rückte von ihrem Entschluss nicht ab. Es half alles nichts. Schließlich stiegen Kim, Franzi und Marie schweigend in den Wagen. Keine wollte neben der Leiterin vom NaturErlebnisWald sitzen. Lieber quetschten sie sich alle auf der Rückbank zusammen. Ina Westphal startete mit zusammengepressten Lippen den Kombi und gab kräftig Gas.

In den ersten zehn Minuten der Fahrt waren die drei !!! noch so geschockt, dass sie kein Wort herausbrachten. Die Stimmung im Auto war eisig, obwohl die Heizung auf Hochtouren lief. Nur ein Mitfahrer fühlte sich pudelwohl: Pablo hatte sich im Heck eingerollt und schnarchte selig.

Franzi kraulte ihn zärtlich zwischen den Ohren und seufzte. »Du hast es gut, Kleiner!«

Marie wünschte sich auch sehnlichst, an Pablos Stelle zu sein. Sie war todmüde und gleichzeitig stand sie unter Strom. Die Ereignisse der letzten Stunden rasten noch einmal wie ein Film durch ihr Gehirn. Sie hatten unglaubliche und heftige Dinge erlebt, die sie nie vergessen würden: die Schürfwunden in Toms Gesicht, das Autowrack mitten im Wald und den Moment, als Alex mit der Pistole die Treppe der Villa herunterkam. Und natürlich die schreckliche Nacht in der Sauna. Aber das Schlimmste war, dass sie Tom vor seinen Entführern nicht hatten retten können. Der Sänger war Alex und Olaf hilflos ausgeliefert.

Marie folgte ihrem Impuls und beugte sich nach vorne zum Fahrersitz. »Ich weiß, du willst nicht wissen, wo wir waren, aber wir müssen dir trotzdem was Wichtiges sagen, Ina: Ein Freund von uns, der Sänger Tom Jeremias, wurde gestern um 23:15 Uhr entführt. Zwei Männer haben ihn ganz in der Nähe, wo du uns gefunden hast, gegen seinen Willen in ein Auto verfrachtet und sind mit ihm abgebraust. Das wird garantiert keine Erholungsreise.«

Ina Westphal trommelte mit den Daumen aufs Lenkrad. »Mit den Detektivgeschichten ist jetzt wirklich Schluss. Erspart mir die Details und hört mir gut zu: Wir werden einen kurzen Zwischenstopp im Reservat einlegen, damit ihr euch duschen, packen und schnell frühstücken könnt. Danach geht es sofort weiter nach Hause, verstanden?«

»Wir haben uns das nicht ausgedacht«, mischte sich Kim ein. »Bitte, Ina, du musst sofort die französische Polizei informieren. Die sollen die beiden Entführer auf ihre Fahndungsliste setzen.«

Franzi nickte eifrig. »Wir können beschreiben, wie die beiden aussehen.«

»Hier geht es um ein Menschenleben«, setzte Marie noch eins drauf. »Ein Menschenleben, das womöglich in großer Gefahr schwebt!«

Ina Westphal nahm den Fuß vom Gaspedal. »Mit so was macht man keine Scherze.«

»Wir machen keine Scherze«, versicherte Kim. Mit einer Engelsgeduld klärte sie Ina noch einmal über die Fakten auf und drang endlich zu ihr durch.

»Ist ja schon gut, ihr Nervensägen!«, gab sich Ina Westphal geschlagen. »Ihr lasst einfach nicht locker, was?« Sie steuerte den nächsten Parkplatz an, parkte und griff zum Handy.

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Das Leben ist keine Krimiserie

»Ich bin ja so froh, dass dir nichts passiert ist, Prinzessin!« Helmut Grevenbroich streckte seinen Arm über dem Esstisch aus und drückte Maries Hand.

Marie wich seinen forschenden, viel zu ernst blickenden Augen aus und starrte auf das blaue Glas der Tischplatte. Prinzessin! So nannte ihr Vater sie sonst nur in besonderen Augenblicken, etwa wenn sie zu zweit einen Vater-Tochter-Ausflug unternahmen.