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N. Bernhardt

Buch X: Schuld und Schmach

Der Hexer von Hymal

N. Bernhardt

Buch X: Schuld und Schmach

Der Hexer von Hymal

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-954184-28-6

www.null-papier.de/hymal

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ers­tes Ka­pi­tel: Wie ge­won­nen, so zer­ron­nen?

Zwei­tes Ka­pi­tel: Neue Hoff­nung

Drit­tes Ka­pi­tel: Der lan­ge Marsch

Vier­tes Ka­pi­tel: An­kunft und Zu­kunft

Fünf­tes Ka­pi­tel: An­ders als ge­dacht

Sechs­tes Ka­pi­tel: Eine ver­spä­te­te Lek­ti­on

Sieb­tes Ka­pi­tel: Ge­beich­te­te Lü­gen

Aus­blick

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Nach Nik­kos Zu­sam­men­prall mit dem Her­zog von Khond­harr kommt bald das böse Er­wa­chen! Was ist in Skingár bloß ge­sche­hen? Trägt der jun­ge Zau­be­rer etwa Schuld an all dem Gräu­el?

Dem Ort des Grau­ens ent­kom­men, muss sich Nik­ko end­lich um sei­ne neu­en Un­ter­ta­nen küm­mern. Doch schon bald holt ihn die Ver­gan­gen­heit wie­der ein.

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Website

Wei­te­re In­for­ma­tio­nen zur Rei­he und zum Au­tor fin­den Sie un­ter:

hy­mal.info

Erstes Kapitel: Wie gewonnen, so zerronnen?

Es war al­les dun­kel und still, als ob es schon im­mer so war und ewig so sein wür­de. Al­les ruh­te fried­lich und schwang in völ­li­ger Har­mo­nie. Er hat­te längst ver­ges­sen, wer er war, oder was er war. Aber das war ihm jetzt auch egal, es zähl­te ein­fach nicht. Mit die­sem Zu­stand zu­frie­den, ge­noss er das große Nichts.

Was war denn das? Was stör­te da? Ir­gend­wo zwick­te es, aber wo? Was be­deu­te­te die­ses Ge­fühl über­haupt? Es är­ger­te ihn, dass ein Zwi­cken das große Nichts hin­ter­frag­te. Eben noch mit al­lem zu­frie­den, muss­te er sich jetzt um so et­was küm­mern! Nein, am bes­ten, er igno­rier­te es ein­fach.

Das Ge­fühl wur­de stär­ker, im­mer stär­ker. Ge­fühl? Das Wort reich­te nicht mehr aus! Wie nann­te man es doch gleich, wenn ein Ge­fühl Ge­fahr ver­hieß? Schmerz! Das Zwi­cken war zu ei­nem Schmerz ge­wor­den. Wie är­ger­lich!

Im­mer noch ver­such­te er, in die­sem wun­der­ba­ren Zu­stand des Nichts zu ver­har­ren. Zu per­fekt er­schi­en ihm die­ser, als dass er ihn ein­fach so auf­ge­ben konn­te. Zu glück­lich war er hier, als dass er die­sen Ort je wie­der ver­las­sen woll­te.

Schmerz! Schon wie­der! Er wur­de im­mer schlim­mer und kon­zen­trier­te sich an ei­ner Stel­le, doch an was für ei­ner? Wer oder was war er über­haupt, dass er so et­was Übles emp­fin­den konn­te?

Hand. Links. Schmerz. Lang­sam ge­wan­nen die­se Wor­te wie­der an Be­deu­tung. Er hat­te einen Kör­per und eine lin­ke Hand. Aber warum soll­te die­se schmer­zen? Konn­te er es her­aus­fin­den? Nur wie?

Wer war er über­haupt? Was war er? Nik­ko! Ja, er er­in­ner­te sich wie­der – das war sein Name, und er war … ein … et­was Be­son­de­res … ah, ein Zau­be­rer! Lang­sam ka­men ihm all die­se In­for­ma­tio­nen ins Be­wusst­sein zu­rück. Aber wo war er? Was mach­te er hier?

Wie­der Schmerz! Wann hör­te das end­lich auf? Was konn­te er da­ge­gen tun? Er müss­te sich ei­gent­lich be­we­gen kön­nen. Sein Kör­per mit zwei Ar­men und zwei Bei­nen war doch dazu ge­schaf­fen. Oder war dies nur ein Traum, eine Il­lu­si­on? Au­gen, Ohren, Nase, Mund … Ja, er er­in­ner­te sich wie­der dar­an!

Lang­sam öff­ne­te Nik­ko sei­ne Au­gen, um end­lich zu er­fah­ren, was es mit den Schmer­zen auf sich hat­te. Al­les er­schi­en dun­kel und ir­gend­wie ver­schwom­men. Wie eine Wand aus Was­ser schi­en es, die dün­ner wur­de und For­men und dann auch Far­ben frei­gab. Eine mensch­li­che Fi­gur, de­ren Ge­sicht er noch nicht er­ken­nen konn­te, saß ne­ben ihm und küss­te sei­ne lin­ke Hand. Sie küss­te sei­ne Hand? Wa­rum das denn?

Schon wie­der Schmer­zen! Si­cher­lich woll­te die­se Per­son mit ih­ren Küs­sen sein Leid lin­dern. Wer war sie nur? Nik­ko ver­such­te, sei­nen Blick zu fo­kus­sie­ren. Ein blas­ses Ge­sicht, fah­le Au­gen mit mil­chi­gen Pu­pil­len – trotz­dem, ir­gend­wie kam ihm die­ser Mensch be­kannt vor.

Ein wei­te­rer Kuss, noch mehr Schmer­zen! Kuss? Von we­gen! Die Fi­gur biss ihn! Jetzt erst rich­te­te Nik­ko sei­nen Blick auf die blut­über­ström­te Hand, an der die Krea­tur in al­ler Ruhe nag­te. Sie fraß an ihm!

Mit ei­nem Schmer­zens­schrei wur­de der Zau­be­rer end­lich wach und konn­te auch wie­der kla­rer den­ken. Schnell sprang er auf und stieß die­ses … Et­was von sich, aber was war es ei­gent­lich? Es konn­te doch kein … aber schon der der nächs­ten Blick ließ kei­ne Zwei­fel – ein Un­to­ter, ganz klar!

Nun muss­te sich Nik­ko hef­tig über­ge­ben. Die Schmer­zen und der An­blick der zer­fleisch­ten lin­ken Hand wa­ren ein­fach zu viel für ihn. Was war nur pas­siert? Wo war er über­haupt?

Mit ei­nem Stöh­nen kam der Un­to­te dann gleich wie­der auf Nik­ko zu­ge­kro­chen, wohl um sein Mahl fort­zu­set­zen. Trotz des blei­chen Ge­sichts und der to­ten Au­gen kam ihm der Kerl ir­gend­wie be­kannt vor – ei­ner der Die­ner? Ja! Ei­ner sei­ner Be­diens­te­ten!

Die­ner? Ja, er war der Graf von Skingár und die­ses Ge­mäu­er sei­ne Burg! Aber was war hier pas­siert? Bü­cher, über­all Bü­cher. Er war in der Biblio­thek, kei­ne Fra­ge. Jetzt konn­te er sich so­gar wie­der an die­sen Raum er­in­nern, nicht aber an das, was hier ge­sche­hen war.

Der un­to­te An­grei­fer kam ihm in der Zwi­schen­zeit im­mer nä­her. Bei­na­he hät­te er Nik­ko wie­der er­grif­fen, doch die­ser ent­wisch­te im letz­ten Au­gen­blick. Voll Pa­nik rann­te der Zau­be­rer hin­aus in den Flur.

Nach ei­nem tie­fen Atem­zug mel­de­te sich sei­ne lin­ke Hand zu­rück. Der Schmerz war kaum noch aus­zu­hal­ten! Ver­flucht! Wa­rum war er nicht eher zur Be­sin­nung ge­kom­men? Was soll­te er nur ma­chen?

Zau­be­rei! Er war doch ein er­fah­ren­der Ma­gier und wür­de die Ver­let­zung hei­len kön­nen. Nun aber hieß es erst ein­mal, sich vor die­ser Krea­tur in Si­cher­heit zu brin­gen! Wie war sie über­haupt hier her­ge­kom­men? Ach ja! Nik­ko hat­te in ihr ja einen der Be­diens­te­ten wie­der er­kannt. Sein Geist war wohl noch im­mer et­was lahm.

So vie­le neue Fra­gen ta­ten sich ihm auf. Was war bloß pas­siert? Khon­dyr, husch­te es ihm durch den Kopf. Was be­deu­te­te die­ser Name? Ach ja, es war der Or­dens­na­me Rho­ba­nys, des Her­zogs von Khond­harr. Doch was hat­te Nik­ko mit die­sem zu tun?

Er­neut muss­te sich der jun­ge Zau­be­rer über­ge­ben und ver­spür­te plötz­lich auch boh­ren­den Hun­ger. Wie lan­ge hat­te er ei­gent­lich in der Biblio­thek ge­le­gen? Wa­rum hat­te ihn nie­mand ge­weckt? Al­les war so rät­sel­haft! Oder war er noch im­mer nur zu be­nom­men, um sich ein kla­res Bild zu ma­chen?

Die­se schreck­li­chen Schmer­zen hemm­ten ihn, ver­nünf­tig zu den­ken. Er muss­te sich rasch um die Hand küm­mern, be­vor der Scha­den noch dau­er­haft wür­de. Nicht al­les konn­te man schließ­lich mit Ma­gie hei­len oder wie­der­her­stel­len.

Nach­dem der Zau­be­rer sich in eine klei­ne Kam­mer un­weit der Biblio­thek ge­flüch­tet hat­te und die Tür fest ver­schlos­sen war, un­ter­such­te er sei­ne Hand ein­ge­hen­der. So schlimm, wie an­fangs ge­dacht, war es zum Glück aber nicht. Der Un­to­te hat­te tat­säch­lich nur ein­mal kräf­tig zu­ge­bis­sen, war aber nicht mehr dazu ge­kom­men, Fleisch aus sei­ner Hand zu rei­ßen.

Son­der­bar. Nik­ko er­in­ner­te sich doch dar­an, dass der Schmerz wie­der­holt auf­ge­tre­ten war. Spiel­te ihm die Erin­ne­rung hier etwa einen Streich? Ei­ner­lei! Viel wich­ti­ger war, dass er die Wun­de schnell ver­sorgt sein wür­de.

Nach ge­ta­ner Ar­beit mel­de­te sich der Ma­gen er­neut. Es fühl­te sich so an, als hät­te die­ser schon vie­le Tage lang nichts mehr zu tun ge­habt und pro­tes­tier­te nun aus ver­letz­tem Stolz.

Er muss­te wohl schon eine gan­ze Wei­le dort in der Biblio­thek ge­le­gen ha­ben. Wa­rum nur? Was war pas­siert? Aber­mals schoss ihm Khon­dyr durch den Kopf, doch muss­te er nun erst ein­mal sei­nen Ma­gen be­sänf­ti­gen. Brot war schnell her­bei­ge­zau­bert und fast eben­so schnell ver­schlun­gen. Ja, das tat gut! Was hat­te er doch für einen ra­sen­den Hun­ger ge­habt, dass ihm so­gar das ei­lig her­bei­be­schwo­re­ne, ein­fa­che Brot so sehr mun­de­te.

Kaum war der Ma­gen ge­füllt, hat­te Nik­ko plötz­lich großen Durst. Wie soll­te man denn un­ter die­sen Um­stän­den in Ruhe nach­den­ken? Zum Glück fand sich in der Kam­mer ein Krug, den er mit her­bei­ge­zau­ber­tem Was­ser füll­te und in ei­nem gie­ri­gen Zug leer­te.

Jetzt hieß es aber, end­lich Klar­heit dar­über zu er­lan­gen, was ge­sche­hen war! Khon­dyr? Ach ja! Der Kerl war plötz­lich auf­ge­taucht und hat­te Nik­ko zur Rede ge­stellt. Was hat­te er ge­wollt? Er for­der­te, dass der jun­ge Graf ihm ein­fach so die Burg und das Dorf übergab, sonst wür­de er die Be­völ­ke­rung Ho­ca­tins da­für bü­ßen las­sen. Was für ein ge­mei­ner Er­pres­sungs­ver­such!

Was war dann pas­siert? Das Zep­ter! Oh je, Nik­ko hat­te es tat­säch­lich auf den un­ver­schäm­ten Meis­ter ge­rich­tet und so­gar be­nutzt! Es hät­te die­sen ei­gent­lich so­fort tö­ten und so­gleich als Un­to­ten wie­der­au­fer­ste­hen las­sen sol­len. Hat­te es denn funk­tio­niert?

Der un­to­te Die­ner, der Nik­kos Hand be­nagt hat­te! Stand die­ser etwa im Zu­sam­men­hang mit dem Ge­brauch des Zep­ters? Hat­te es nicht auf Khon­dyr ge­wirkt, son­dern auf den ar­men Kerl? Wo war das Ding über­haupt? Ach ja! Es war beim Ge­brauch zer­bors­ten. Zer­bors­ten? Zer­bors­ten!

Das konn­te nichts Gu­tes be­deu­ten! Die Zer­stö­rung des Ar­te­fakts sprach ei­gent­lich da­ge­gen, dass es pro­blem­los funk­tio­niert hat­te. Wo­her kam dann aber die­ser Un­to­te?

Fra­gen über Fra­gen, die Nik­ko in sei­nem klei­nen Re­fu­gi­um nicht be­ant­wor­ten kön­nen wür­de. Es half nichts, er muss­te hier raus und sich erst ein­mal einen Über­blick über die Burg ver­schaf­fen. Oh je! Was, wenn der arme Die­ner nicht der Ein­zi­ge war, der … es wäre ja nicht aus­zu­den­ken!

Was aber war mit Khon­dyr pas­siert? War der eben­falls be­trof­fen, oder hat­te er sich ret­ten kön­nen? War es sein ma­gi­scher Schutz ge­we­sen, der das Zep­ter hat­te bers­ten las­sen? War er schuld an Nik­kos lan­ger Be­wusst­lo­sig­keit? All sol­che Fra­gen quäl­ten den Zau­be­rer, als er durch die Gän­ge der Burg schlich und aus gan­zem Her­zen hoff­te, hier kei­ne wei­te­ren Un­to­ten zu fin­den.

Die­se Hoff­nung zer­streu­te sich so­gleich, als der Graf aus ei­nem Fens­ter in den Bur­g­hof blick­te. Über­all schlurf­ten sie durch den Schnee, mit dem be­hä­bi­gen Gang, den er nur zu gut von sei­nem un­to­ten Die­ner her kann­te.

Die gan­ze Burg war be­trof­fen, stell­te Nik­ko mit Trä­nen in den Au­gen fest. All die Be­diens­te­ten und Sol­da­ten wa­ren nun lee­re Hül­len, Schat­ten ih­rer selbst. Un­to­te, die ziel­los in der Fes­tung um­her­streif­ten und da­bei kei­nem Meis­ter zu fol­gen schie­nen.

Vi­el­leicht könn­te er sich die­ses Heer wil­len­lo­ser Krea­tu­ren ja un­ter­tan ma­chen. Si­cher­lich, was hier pas­siert war, stell­te eine Tra­gö­die oh­ne­glei­chen dar. So vie­le gute Leu­te zum Un­tod ver­ur­teilt, was für ein Leid! Aber sie ein­fach so hier her­u­mir­ren zu las­sen, mach­te die Lage auch nicht bes­ser. Den­noch, schon einen Au­gen­blick spä­ter schäm­te sich Nik­ko die­ses Ge­dan­kens.

Mo­ment mal! Fo­daj! Der Oberst von Briscár! Rit­ter Fey­nal und die­ser Fri­no! Wa­ren sie etwa alle be­trof­fen? Das konn­te doch nicht sein! Bit­te nicht der di­cke Händ­ler und der treues­te Of­fi­zier Fy­dals! Was für ein rie­si­ges Un­glück wäre das!

Nik­ko muss­te Klar­heit ha­ben und stürm­te durch die Hal­len und Gän­ge der Burg! Fo­daj! Die Trep­pen hin­auf, eine an­de­re hin­un­ter. Fo­daj! Von Briscár!

Rund­um Un­to­te, die hung­rig stöhn­ten, als der Zau­be­rer ih­nen zu nahe kam. Bald schon hat­te er einen Tross der Krea­tu­ren hin­ter sich, die ihm lang­sam schlur­fend durch das Ge­mäu­er folg­ten. Fo­daj! Briscár, brüll­te er wei­ter und mach­te so nur noch mehr Un­to­te auf sich auf­merk­sam.

Auch nach­dem er eine hal­be Stun­de durch die Burg ge­hetzt war, hat­te Nik­ko we­der Fo­daj noch Briscár le­bend ge­fun­den und auch nicht un­ter den Un­to­ten wie­der­er­kannt. Es wa­ren je­doch ei­ni­ge hun­dert Leu­te in der Burg, de­ren Be­sat­zung er zu­letzt noch mit zwei­hun­dert Bo­gen­schüt­zen ver­stärkt hat­te. Doch mit sei­nen zahl­rei­chen Ver­fol­gern wur­de es lang­sam un­mög­lich, sich hier noch mit der nö­ti­gen Ruhe um­zu­se­hen.

Auch wenn der Zau­be­rer vor den wan­deln­den Lei­chen kaum Angst zu ha­ben brauch­te, da sie viel zu lang­sam und trä­ge wa­ren, wirk­te die Hor­de doch un­heim­lich. In Ruhe nach sei­nen Ge­treu­en zu su­chen, kam so oh­ne­hin nicht in Fra­ge. Am bes­ten wäre es da­her, die Fes­tung zu ver­las­sen und sich un­ten im Dorf zu er­kun­di­gen, wie die Lage war. Vi­el­leicht hat­ten sich auch ei­ni­ge sei­ner Leu­te dort­hin ret­ten kön­nen.

Nik­ko be­weg­te sich in Rich­tung des Burg­tors, stets be­müht, nicht auf Schnee oder Eis aus­zu­rut­schen. Soll­te er hier stür­zen und sich da­bei mit et­was Pech eine Ver­let­zung zu­zie­hen, könn­ten ihm die vie­len Un­to­ten schließ­lich doch noch ge­fähr­lich wer­den.

Das Tor stand of­fen? So wa­ren die Dör­f­ler der Ge­fahr aus der Burg doch schutz­los aus­ge­setzt! Aber viel­leicht hat­ten die Un­to­ten sich ja bis­her noch nicht aus dem Ge­mäu­er ge­wagt. Er konn­te nur hof­fen, dass sie ihm nicht bis ins Dorf fol­gen wür­den.

Not­falls müss­te er sie wohl mit Feu­er­bäl­len ver­nich­ten, plan­te Nik­ko auf sei­nem Weg in die Sied­lung. Ein Blick über die Schul­ter zeig­te je­doch, dass sei­ne Ver­fol­ger auf­ge­ge­ben hat­ten. Er hät­te es zu sehr be­dau­ert sie alle mit Feu­er ver­nich­ten zu müs­sen. Vi­el­leicht gab es ja doch noch eine Mög­lich­keit, das Ge­sche­he­ne rück­gän­gig zu ma­chen. Ob­wohl, al­les was Nik­ko über die Ne­kro­man­tie wuss­te, sprach ei­gent­lich da­ge­gen.

Völ­lig au­ßer Atem und nerv­lich am Bo­den, schlug der Zau­be­rer auf dem rest­li­chen Weg in das Städt­chen Skingár ein deut­lich ge­rin­ge­res Tem­po an. Dies er­laub­te es ihm, zum ers­ten Mal an die­sem un­heil­vol­len Tag, sich über­haupt zu ori­en­tie­ren.

So dürf­te es erst spä­ter Mor­gen sein. Ge­nau­er konn­te er es nicht schät­zen, da der Him­mel sehr be­deckt war. Doch schi­en die­ser im Os­ten noch ein biss­chen hel­ler zu sein. An­sons­ten war es ein ganz ge­wöhn­li­cher Win­ter­tag in den ge­lieb­ten Ber­gen. Es könn­te al­les so schön sein, wenn da nicht die­ser schreck­li­che Vor­fall wäre.

Auf dem wei­te­ren Weg zum Dorf frag­te sich Nik­ko er­neut, was aus Khon­dyr ge­wor­den war. Es konn­te gut mög­lich sein, dass der Kerl un­ter der un­to­ten Hor­de in der Burg zu fin­den war. Vi­el­leicht aber war er auch ent­kom­men und dürf­te auf den jun­gen Zau­be­rer kaum gut zu spre­chen sein. We­ni­ger noch als zu­vor.

Oh je, was hat­te er da nur wie­der an­ge­rich­tet? Wie­der? Nein, so viel Mist hat­te er noch nie ge­baut! Er hat­te im­mer­hin hun­der­te von Men­schen auf dem Ge­wis­sen. Erst jetzt wur­de ihm das klar! Be­son­ders um Fo­daj und Briscár tat es ihm un­end­lich leid. Aber viel­leicht wa­ren sie ja im Dorf, als es ge­sch­ah!

Vi­el­leicht. Mög­lich. Un­wahr­schein­lich. Was hät­te von Briscár denn im Dorf ge­wollt? Fo­daj? Gut, der alte Händ­ler hat­te dort noch sein An­we­sen am Markt­platz. Aber seit­dem er zum Kas­tel­lan er­nannt wor­den war, hat­te er doch die meis­te Zeit auf der Burg ver­bracht, wo ihn sei­ne vie­len Ver­pflich­tun­gen or­dent­lich auf Trab ge­hal­ten hat­ten.

Was hat­te Nik­ko da nur an­ge­stellt? Wie­so hat­te er das Zep­ter auf einen an­de­ren Ma­gier ge­rich­tet, von dem er über­haupt nicht wuss­te, wie der sich ge­schützt hat­te. War der Zau­ber des Ne­kro­man­ten an Khon­dyrs Schil­den ab­ge­prallt und hat­te sich so in der gan­zen Burg ver­teilt? Ja, so könn­te es ge­we­sen sein. Aber warum war Nik­ko dann selbst ver­schont ge­blie­ben? Er hat­te doch kei­nen Schild ge­gen To­des­ma­gie ge­wirkt ge­habt.

Er wür­de wahr­schein­lich nie eine Ant­wort auf all die­se Fra­gen fin­den. Mit ei­nem an­de­ren Zau­be­rer konn­te er die Sa­che doch nicht be­spre­chen. Denn, wenn je­mals her­aus­käme, was er hier an­ge­rich­tet hat­te, dann … er woll­te lie­ber erst gar nicht dar­an den­ken.

Khon­dyr! Hof­fent­lich wür­de der Kerl nicht al­les aus­plau­dern, wenn er denn über­haupt noch leb­te. Aber der Meis­ter ge­hör­te ja oh­ne­hin zum feind­li­chen La­ger. Nik­ko konn­te also al­les be­strei­ten … oder es so­gar ihm in die Schu­he schie­ben!

Ja, das war eine gute Idee. Er wür­de ein­fach be­haup­ten, Khon­dyr habe das Zep­ter ge­nom­men und auf ihn ge­rich­tet. Sein ei­ge­nes La­ger wür­de ihm das schon glau­ben. Mit Si­cher­heit! Wahr­schein­lich. Vi­el­leicht? Ach, das war al­les so ein rie­si­ges Un­glück! Wa­rum nur hat­te es über­haupt so weit kom­men müs­sen?

Tief in Ge­dan­ken ver­sun­ken merk­te Nik­ko erst kurz vor­her, dass er nun schon ganz nahe am Dorf war. Erst jetzt frag­te er sich, was er den Leu­ten dort ei­gent­lich er­zäh­len soll­te. Wie soll­te er das al­les er­klä­ren?

Am bes­ten wäre es wohl, erst ein­mal ganz al­lein mit Fi­nulf zu spre­chen. Der Dor­fäl­tes­te hat­te ja ein gu­tes Händ­chen für die Be­lan­ge der Ein­woh­ner Skingárs. Wo wohn­te der Kerl ei­gent­lich?

»Gu­ten Mor­gen«, sprach Nik­ko eine Frau an, die ge­bückt vor ihm lief. »Sagt mir doch bit­te, wo der Dor­fäl­tes­te wohnt.«

Mit ei­nem un­heil­vol­len Stöh­nen dreh­te sich das Weib um. Das blei­che Ge­sicht, die fah­len Au­gen! Nik­ko ver­stand so­fort und war wie er­starrt.

Ge­gen Mit­tag hat­te der jun­ge Zau­be­rer den ers­ten Schock über­wun­den. Die ver­gan­ge­nen Stun­den hat­te er da­bei ir­gend­wo im Wald nahe dem Dorf ver­bracht, ohne zu wis­sen, was das al­les be­deu­te­te oder was er nun tun soll­te.

Ei­nes war klar, die Berg­bau­sied­lung war nicht ver­schont ge­blie­ben. Die schlur­fen­den Ge­stal­ten, die Nik­ko von sei­nem Ver­steck aus im Dorf um­her­zie­hen se­hen konn­te, wa­ren der letz­te Be­weis, dass es das gan­ze Tal er­wi­scht hat­te. Alle Ein­woh­ner Skingárs streif­ten nun als Un­to­te durch die Welt. Alle. Jede Hoff­nung, dass Fo­daj oder von Briscár nicht be­trof­fen sein könn­ten, war da­mit end­gül­tig ver­flo­gen. Aber auch Fi­nulf und Fo­da­js bei­de Söh­ne wa­ren jetzt wan­deln­de Lei­chen.

Für den blo­ßen Ge­dan­ken, sich die Un­to­ten un­ter­tan zu ma­chen, schäm­te sich der jun­ge Meis­ter nun in Grund und Bo­den. Zu vie­le ver­trau­te Men­schen ga­ben der Hor­de ein ei­ge­nes Ge­sicht.

Trug er wirk­lich die Schuld an dem Ge­sche­he­nen? Es war ja nicht sei­ne Zau­be­rei ge­we­sen, die sol­ches Leid ver­ur­sacht hat­te, son­dern die des Ne­kro­man­ten. Wel­chen An­teil Meis­ter Khon­dyrs Schutz­ma­gie an all dem Un­heil hat­te, war zu­dem eine of­fe­ne Fra­ge. Wie hät­te er denn wis­sen sol­len, dass das Zep­ter so mit Khon­dyrs Schil­den rea­gie­ren wür­de?

Das Ding muss­te sich auf einen Schlag in die Um­ge­bung ent­la­den ha­ben, mut­maß­te Nik­ko. Die Burg und das gan­ze Dorf wa­ren be­trof­fen. Aber er konn­te sich ja noch nicht ein­mal si­cher sein, dass das al­les war! Was, wenn die ge­sam­te Welt dem Zau­ber zum Op­fer ge­fal­len war?

Gera­de die­ser letz­te Ge­dan­ke ließ in Nik­ko wie­der Pa­nik auf­kom­men. War er der letz­te Le­ben­de in ei­ner un­to­ten Welt? Nein, in ei­nem Au­gen­blick der Ruhe hör­te er ir­gend­wo Vö­gel zwit­schern. War das Zep­ter auf mensch­li­che See­len­mus­ter aus­ge­legt ge­we­sen?

»Fo­daj«, flüs­ter­te Nik­ko mit Trä­nen in den Au­gen. Gera­de der alte Freund hat­te so ein Schick­sal nicht ver­dient. Den di­cken Händ­ler und sei­ne bei­den Söh­ne hat­te der Zau­be­rer schon von Kin­des­bei­nen an ge­kannt. Ei­ni­ge Male wa­ren die drei je­des Jahr ins Dorf Vyl­do­ro ge­kom­men, um dort mit den Be­woh­nern Han­del zu trei­ben.

Vyl­do­ro! Was, wenn auch das Hei­mat­dorf nicht ver­schont ge­blie­ben war? Oh je, bei die­sem Ge­dan­ken zog sich in Nik­ko al­les zu­sam­men. Es half nichts mehr, er brauch­te end­lich Ge­wiss­heit! Was aber konn­te er tun? Ir­gen­det­was muss­te er doch tun!

Es war ei­gent­lich ganz ein­fach. Er muss­te in Vyl­do­ro nach dem Rech­ten se­hen. Dor­thin käme er al­ler­dings nur zu Fuß, was bei dem noch im­mer hüft­hoch lie­gen­den Schnee kei­ne ein­fa­che Wan­de­rung wäre. Aber er war nicht um­sonst ein Zau­be­rer und wür­de sich den Weg schon ir­gend­wie frei­ma­chen kön­nen.

Nach ei­nem tie­fen Durch­at­men er­wog der Meis­ter, erst ein­mal nach Hal­fuár zu rei­sen, oder nach Sinál. Wenn dort al­les in Ord­nung wäre, gäbe es auch für Vyl­do­ro noch Hoff­nung. Wenn aber nicht, dann hät­te es oh­ne­hin kei­nen Sinn mehr, dem Hei­mat­dorf über­haupt noch einen Be­such ab­zu­stat­ten.

Nein, Nik­ko könn­te es jetzt nicht er­tra­gen, mit der mög­li­chen Wahr­heit kon­fron­tiert zu wer­den. Eine mehr­tä­gi­ge Wan­de­rung kam ihm da Recht. Vi­el­leicht war ja so­gar schon in Vyl­rah­do wie­der al­les in Ord­nung.

Am bes­ten wäre es, er wür­de sich so­fort auf den Weg das Tal hin­un­ter ma­chen. Eine Nacht an die­sem jetzt ver­fluch­ten Ort woll­te er lie­ber nicht er­le­ben. Doch ließ es sich kaum ver­mei­den, der Burg einen letz­ten Be­such ab­zu­stat­ten. Sei­nen Ruck­sack mit ei­ni­gen sei­ner Ar­te­fak­te konn­te er un­mög­lich hier zu­rück­las­sen.

Zum Glück be­fand sich al­les, was von wah­rem Wert war, oh­ne­hin schon in Hal­fuár. So muss­te er kei­nen großen Trans­port mehr or­ga­ni­sie­ren. Skingár war je­den­falls ein ver­lo­re­nes Le­hen. Hof­fent­lich ging es Hal­fuár bes­ser. Aber die Kraft im Zep­ter war ja end­lich ge­we­sen und ver­mut­lich in alle Rich­tun­gen zer­streut. Sehr weit konn­te sie da doch nicht ge­wirkt ha­ben, mach­te Nik­ko sich Mut.

Der jun­ge Meis­ter war die un­wirk­li­che Käl­te be­reits ge­wohnt, die die Un­to­ten um­gab. Sie ent­zo­gen der Um­ge­bung die Ener­gie, um ihre Le­bens­mus­ter zu spei­sen. Aber die schie­re Mas­se wan­deln­der Lei­­­­­­­­­