N. Bernhardt
Buch X: Schuld und Schmach
Der Hexer von Hymal
N. Bernhardt
Buch X: Schuld und Schmach
Der Hexer von Hymal
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-954184-28-6
www.null-papier.de/hymal
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Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel: Wie gewonnen, so zerronnen?
Zweites Kapitel: Neue Hoffnung
Drittes Kapitel: Der lange Marsch
Viertes Kapitel: Ankunft und Zukunft
Fünftes Kapitel: Anders als gedacht
Sechstes Kapitel: Eine verspätete Lektion
Siebtes Kapitel: Gebeichtete Lügen
Ausblick
Nach Nikkos Zusammenprall mit dem Herzog von Khondharr kommt bald das böse Erwachen! Was ist in Skingár bloß geschehen? Trägt der junge Zauberer etwa Schuld an all dem Gräuel?
Dem Ort des Grauens entkommen, muss sich Nikko endlich um seine neuen Untertanen kümmern. Doch schon bald holt ihn die Vergangenheit wieder ein.
Weitere Informationen zur Reihe und zum Autor finden Sie unter:
hymal.info
Es war alles dunkel und still, als ob es schon immer so war und ewig so sein würde. Alles ruhte friedlich und schwang in völliger Harmonie. Er hatte längst vergessen, wer er war, oder was er war. Aber das war ihm jetzt auch egal, es zählte einfach nicht. Mit diesem Zustand zufrieden, genoss er das große Nichts.
Was war denn das? Was störte da? Irgendwo zwickte es, aber wo? Was bedeutete dieses Gefühl überhaupt? Es ärgerte ihn, dass ein Zwicken das große Nichts hinterfragte. Eben noch mit allem zufrieden, musste er sich jetzt um so etwas kümmern! Nein, am besten, er ignorierte es einfach.
Das Gefühl wurde stärker, immer stärker. Gefühl? Das Wort reichte nicht mehr aus! Wie nannte man es doch gleich, wenn ein Gefühl Gefahr verhieß? Schmerz! Das Zwicken war zu einem Schmerz geworden. Wie ärgerlich!
Immer noch versuchte er, in diesem wunderbaren Zustand des Nichts zu verharren. Zu perfekt erschien ihm dieser, als dass er ihn einfach so aufgeben konnte. Zu glücklich war er hier, als dass er diesen Ort je wieder verlassen wollte.
Schmerz! Schon wieder! Er wurde immer schlimmer und konzentrierte sich an einer Stelle, doch an was für einer? Wer oder was war er überhaupt, dass er so etwas Übles empfinden konnte?
Hand. Links. Schmerz. Langsam gewannen diese Worte wieder an Bedeutung. Er hatte einen Körper und eine linke Hand. Aber warum sollte diese schmerzen? Konnte er es herausfinden? Nur wie?
Wer war er überhaupt? Was war er? Nikko! Ja, er erinnerte sich wieder – das war sein Name, und er war … ein … etwas Besonderes … ah, ein Zauberer! Langsam kamen ihm all diese Informationen ins Bewusstsein zurück. Aber wo war er? Was machte er hier?
Wieder Schmerz! Wann hörte das endlich auf? Was konnte er dagegen tun? Er müsste sich eigentlich bewegen können. Sein Körper mit zwei Armen und zwei Beinen war doch dazu geschaffen. Oder war dies nur ein Traum, eine Illusion? Augen, Ohren, Nase, Mund … Ja, er erinnerte sich wieder daran!
Langsam öffnete Nikko seine Augen, um endlich zu erfahren, was es mit den Schmerzen auf sich hatte. Alles erschien dunkel und irgendwie verschwommen. Wie eine Wand aus Wasser schien es, die dünner wurde und Formen und dann auch Farben freigab. Eine menschliche Figur, deren Gesicht er noch nicht erkennen konnte, saß neben ihm und küsste seine linke Hand. Sie küsste seine Hand? Warum das denn?
Schon wieder Schmerzen! Sicherlich wollte diese Person mit ihren Küssen sein Leid lindern. Wer war sie nur? Nikko versuchte, seinen Blick zu fokussieren. Ein blasses Gesicht, fahle Augen mit milchigen Pupillen – trotzdem, irgendwie kam ihm dieser Mensch bekannt vor.
Ein weiterer Kuss, noch mehr Schmerzen! Kuss? Von wegen! Die Figur biss ihn! Jetzt erst richtete Nikko seinen Blick auf die blutüberströmte Hand, an der die Kreatur in aller Ruhe nagte. Sie fraß an ihm!
Mit einem Schmerzensschrei wurde der Zauberer endlich wach und konnte auch wieder klarer denken. Schnell sprang er auf und stieß dieses … Etwas von sich, aber was war es eigentlich? Es konnte doch kein … aber schon der der nächsten Blick ließ keine Zweifel – ein Untoter, ganz klar!
Nun musste sich Nikko heftig übergeben. Die Schmerzen und der Anblick der zerfleischten linken Hand waren einfach zu viel für ihn. Was war nur passiert? Wo war er überhaupt?
Mit einem Stöhnen kam der Untote dann gleich wieder auf Nikko zugekrochen, wohl um sein Mahl fortzusetzen. Trotz des bleichen Gesichts und der toten Augen kam ihm der Kerl irgendwie bekannt vor – einer der Diener? Ja! Einer seiner Bediensteten!
Diener? Ja, er war der Graf von Skingár und dieses Gemäuer seine Burg! Aber was war hier passiert? Bücher, überall Bücher. Er war in der Bibliothek, keine Frage. Jetzt konnte er sich sogar wieder an diesen Raum erinnern, nicht aber an das, was hier geschehen war.
Der untote Angreifer kam ihm in der Zwischenzeit immer näher. Beinahe hätte er Nikko wieder ergriffen, doch dieser entwischte im letzten Augenblick. Voll Panik rannte der Zauberer hinaus in den Flur.
Nach einem tiefen Atemzug meldete sich seine linke Hand zurück. Der Schmerz war kaum noch auszuhalten! Verflucht! Warum war er nicht eher zur Besinnung gekommen? Was sollte er nur machen?
Zauberei! Er war doch ein erfahrender Magier und würde die Verletzung heilen können. Nun aber hieß es erst einmal, sich vor dieser Kreatur in Sicherheit zu bringen! Wie war sie überhaupt hier hergekommen? Ach ja! Nikko hatte in ihr ja einen der Bediensteten wieder erkannt. Sein Geist war wohl noch immer etwas lahm.
So viele neue Fragen taten sich ihm auf. Was war bloß passiert? Khondyr, huschte es ihm durch den Kopf. Was bedeutete dieser Name? Ach ja, es war der Ordensname Rhobanys, des Herzogs von Khondharr. Doch was hatte Nikko mit diesem zu tun?
Erneut musste sich der junge Zauberer übergeben und verspürte plötzlich auch bohrenden Hunger. Wie lange hatte er eigentlich in der Bibliothek gelegen? Warum hatte ihn niemand geweckt? Alles war so rätselhaft! Oder war er noch immer nur zu benommen, um sich ein klares Bild zu machen?
Diese schrecklichen Schmerzen hemmten ihn, vernünftig zu denken. Er musste sich rasch um die Hand kümmern, bevor der Schaden noch dauerhaft würde. Nicht alles konnte man schließlich mit Magie heilen oder wiederherstellen.
Nachdem der Zauberer sich in eine kleine Kammer unweit der Bibliothek geflüchtet hatte und die Tür fest verschlossen war, untersuchte er seine Hand eingehender. So schlimm, wie anfangs gedacht, war es zum Glück aber nicht. Der Untote hatte tatsächlich nur einmal kräftig zugebissen, war aber nicht mehr dazu gekommen, Fleisch aus seiner Hand zu reißen.
Sonderbar. Nikko erinnerte sich doch daran, dass der Schmerz wiederholt aufgetreten war. Spielte ihm die Erinnerung hier etwa einen Streich? Einerlei! Viel wichtiger war, dass er die Wunde schnell versorgt sein würde.
Nach getaner Arbeit meldete sich der Magen erneut. Es fühlte sich so an, als hätte dieser schon viele Tage lang nichts mehr zu tun gehabt und protestierte nun aus verletztem Stolz.
Er musste wohl schon eine ganze Weile dort in der Bibliothek gelegen haben. Warum nur? Was war passiert? Abermals schoss ihm Khondyr durch den Kopf, doch musste er nun erst einmal seinen Magen besänftigen. Brot war schnell herbeigezaubert und fast ebenso schnell verschlungen. Ja, das tat gut! Was hatte er doch für einen rasenden Hunger gehabt, dass ihm sogar das eilig herbeibeschworene, einfache Brot so sehr mundete.
Kaum war der Magen gefüllt, hatte Nikko plötzlich großen Durst. Wie sollte man denn unter diesen Umständen in Ruhe nachdenken? Zum Glück fand sich in der Kammer ein Krug, den er mit herbeigezaubertem Wasser füllte und in einem gierigen Zug leerte.
Jetzt hieß es aber, endlich Klarheit darüber zu erlangen, was geschehen war! Khondyr? Ach ja! Der Kerl war plötzlich aufgetaucht und hatte Nikko zur Rede gestellt. Was hatte er gewollt? Er forderte, dass der junge Graf ihm einfach so die Burg und das Dorf übergab, sonst würde er die Bevölkerung Hocatins dafür büßen lassen. Was für ein gemeiner Erpressungsversuch!
Was war dann passiert? Das Zepter! Oh je, Nikko hatte es tatsächlich auf den unverschämten Meister gerichtet und sogar benutzt! Es hätte diesen eigentlich sofort töten und sogleich als Untoten wiederauferstehen lassen sollen. Hatte es denn funktioniert?
Der untote Diener, der Nikkos Hand benagt hatte! Stand dieser etwa im Zusammenhang mit dem Gebrauch des Zepters? Hatte es nicht auf Khondyr gewirkt, sondern auf den armen Kerl? Wo war das Ding überhaupt? Ach ja! Es war beim Gebrauch zerborsten. Zerborsten? Zerborsten!
Das konnte nichts Gutes bedeuten! Die Zerstörung des Artefakts sprach eigentlich dagegen, dass es problemlos funktioniert hatte. Woher kam dann aber dieser Untote?
Fragen über Fragen, die Nikko in seinem kleinen Refugium nicht beantworten können würde. Es half nichts, er musste hier raus und sich erst einmal einen Überblick über die Burg verschaffen. Oh je! Was, wenn der arme Diener nicht der Einzige war, der … es wäre ja nicht auszudenken!
Was aber war mit Khondyr passiert? War der ebenfalls betroffen, oder hatte er sich retten können? War es sein magischer Schutz gewesen, der das Zepter hatte bersten lassen? War er schuld an Nikkos langer Bewusstlosigkeit? All solche Fragen quälten den Zauberer, als er durch die Gänge der Burg schlich und aus ganzem Herzen hoffte, hier keine weiteren Untoten zu finden.
Diese Hoffnung zerstreute sich sogleich, als der Graf aus einem Fenster in den Burghof blickte. Überall schlurften sie durch den Schnee, mit dem behäbigen Gang, den er nur zu gut von seinem untoten Diener her kannte.
Die ganze Burg war betroffen, stellte Nikko mit Tränen in den Augen fest. All die Bediensteten und Soldaten waren nun leere Hüllen, Schatten ihrer selbst. Untote, die ziellos in der Festung umherstreiften und dabei keinem Meister zu folgen schienen.
Vielleicht könnte er sich dieses Heer willenloser Kreaturen ja untertan machen. Sicherlich, was hier passiert war, stellte eine Tragödie ohnegleichen dar. So viele gute Leute zum Untod verurteilt, was für ein Leid! Aber sie einfach so hier herumirren zu lassen, machte die Lage auch nicht besser. Dennoch, schon einen Augenblick später schämte sich Nikko dieses Gedankens.
Moment mal! Fodaj! Der Oberst von Briscár! Ritter Feynal und dieser Frino! Waren sie etwa alle betroffen? Das konnte doch nicht sein! Bitte nicht der dicke Händler und der treueste Offizier Fydals! Was für ein riesiges Unglück wäre das!
Nikko musste Klarheit haben und stürmte durch die Hallen und Gänge der Burg! Fodaj! Die Treppen hinauf, eine andere hinunter. Fodaj! Von Briscár!
Rundum Untote, die hungrig stöhnten, als der Zauberer ihnen zu nahe kam. Bald schon hatte er einen Tross der Kreaturen hinter sich, die ihm langsam schlurfend durch das Gemäuer folgten. Fodaj! Briscár, brüllte er weiter und machte so nur noch mehr Untote auf sich aufmerksam.
Auch nachdem er eine halbe Stunde durch die Burg gehetzt war, hatte Nikko weder Fodaj noch Briscár lebend gefunden und auch nicht unter den Untoten wiedererkannt. Es waren jedoch einige hundert Leute in der Burg, deren Besatzung er zuletzt noch mit zweihundert Bogenschützen verstärkt hatte. Doch mit seinen zahlreichen Verfolgern wurde es langsam unmöglich, sich hier noch mit der nötigen Ruhe umzusehen.
Auch wenn der Zauberer vor den wandelnden Leichen kaum Angst zu haben brauchte, da sie viel zu langsam und träge waren, wirkte die Horde doch unheimlich. In Ruhe nach seinen Getreuen zu suchen, kam so ohnehin nicht in Frage. Am besten wäre es daher, die Festung zu verlassen und sich unten im Dorf zu erkundigen, wie die Lage war. Vielleicht hatten sich auch einige seiner Leute dorthin retten können.
Nikko bewegte sich in Richtung des Burgtors, stets bemüht, nicht auf Schnee oder Eis auszurutschen. Sollte er hier stürzen und sich dabei mit etwas Pech eine Verletzung zuziehen, könnten ihm die vielen Untoten schließlich doch noch gefährlich werden.
Das Tor stand offen? So waren die Dörfler der Gefahr aus der Burg doch schutzlos ausgesetzt! Aber vielleicht hatten die Untoten sich ja bisher noch nicht aus dem Gemäuer gewagt. Er konnte nur hoffen, dass sie ihm nicht bis ins Dorf folgen würden.
Notfalls müsste er sie wohl mit Feuerbällen vernichten, plante Nikko auf seinem Weg in die Siedlung. Ein Blick über die Schulter zeigte jedoch, dass seine Verfolger aufgegeben hatten. Er hätte es zu sehr bedauert sie alle mit Feuer vernichten zu müssen. Vielleicht gab es ja doch noch eine Möglichkeit, das Geschehene rückgängig zu machen. Obwohl, alles was Nikko über die Nekromantie wusste, sprach eigentlich dagegen.
Völlig außer Atem und nervlich am Boden, schlug der Zauberer auf dem restlichen Weg in das Städtchen Skingár ein deutlich geringeres Tempo an. Dies erlaubte es ihm, zum ersten Mal an diesem unheilvollen Tag, sich überhaupt zu orientieren.
So dürfte es erst später Morgen sein. Genauer konnte er es nicht schätzen, da der Himmel sehr bedeckt war. Doch schien dieser im Osten noch ein bisschen heller zu sein. Ansonsten war es ein ganz gewöhnlicher Wintertag in den geliebten Bergen. Es könnte alles so schön sein, wenn da nicht dieser schreckliche Vorfall wäre.
Auf dem weiteren Weg zum Dorf fragte sich Nikko erneut, was aus Khondyr geworden war. Es konnte gut möglich sein, dass der Kerl unter der untoten Horde in der Burg zu finden war. Vielleicht aber war er auch entkommen und dürfte auf den jungen Zauberer kaum gut zu sprechen sein. Weniger noch als zuvor.
Oh je, was hatte er da nur wieder angerichtet? Wieder? Nein, so viel Mist hatte er noch nie gebaut! Er hatte immerhin hunderte von Menschen auf dem Gewissen. Erst jetzt wurde ihm das klar! Besonders um Fodaj und Briscár tat es ihm unendlich leid. Aber vielleicht waren sie ja im Dorf, als es geschah!
Vielleicht. Möglich. Unwahrscheinlich. Was hätte von Briscár denn im Dorf gewollt? Fodaj? Gut, der alte Händler hatte dort noch sein Anwesen am Marktplatz. Aber seitdem er zum Kastellan ernannt worden war, hatte er doch die meiste Zeit auf der Burg verbracht, wo ihn seine vielen Verpflichtungen ordentlich auf Trab gehalten hatten.
Was hatte Nikko da nur angestellt? Wieso hatte er das Zepter auf einen anderen Magier gerichtet, von dem er überhaupt nicht wusste, wie der sich geschützt hatte. War der Zauber des Nekromanten an Khondyrs Schilden abgeprallt und hatte sich so in der ganzen Burg verteilt? Ja, so könnte es gewesen sein. Aber warum war Nikko dann selbst verschont geblieben? Er hatte doch keinen Schild gegen Todesmagie gewirkt gehabt.
Er würde wahrscheinlich nie eine Antwort auf all diese Fragen finden. Mit einem anderen Zauberer konnte er die Sache doch nicht besprechen. Denn, wenn jemals herauskäme, was er hier angerichtet hatte, dann … er wollte lieber erst gar nicht daran denken.
Khondyr! Hoffentlich würde der Kerl nicht alles ausplaudern, wenn er denn überhaupt noch lebte. Aber der Meister gehörte ja ohnehin zum feindlichen Lager. Nikko konnte also alles bestreiten … oder es sogar ihm in die Schuhe schieben!
Ja, das war eine gute Idee. Er würde einfach behaupten, Khondyr habe das Zepter genommen und auf ihn gerichtet. Sein eigenes Lager würde ihm das schon glauben. Mit Sicherheit! Wahrscheinlich. Vielleicht? Ach, das war alles so ein riesiges Unglück! Warum nur hatte es überhaupt so weit kommen müssen?
Tief in Gedanken versunken merkte Nikko erst kurz vorher, dass er nun schon ganz nahe am Dorf war. Erst jetzt fragte er sich, was er den Leuten dort eigentlich erzählen sollte. Wie sollte er das alles erklären?
Am besten wäre es wohl, erst einmal ganz allein mit Finulf zu sprechen. Der Dorfälteste hatte ja ein gutes Händchen für die Belange der Einwohner Skingárs. Wo wohnte der Kerl eigentlich?
»Guten Morgen«, sprach Nikko eine Frau an, die gebückt vor ihm lief. »Sagt mir doch bitte, wo der Dorfälteste wohnt.«
Mit einem unheilvollen Stöhnen drehte sich das Weib um. Das bleiche Gesicht, die fahlen Augen! Nikko verstand sofort und war wie erstarrt.
Gegen Mittag hatte der junge Zauberer den ersten Schock überwunden. Die vergangenen Stunden hatte er dabei irgendwo im Wald nahe dem Dorf verbracht, ohne zu wissen, was das alles bedeutete oder was er nun tun sollte.
Eines war klar, die Bergbausiedlung war nicht verschont geblieben. Die schlurfenden Gestalten, die Nikko von seinem Versteck aus im Dorf umherziehen sehen konnte, waren der letzte Beweis, dass es das ganze Tal erwischt hatte. Alle Einwohner Skingárs streiften nun als Untote durch die Welt. Alle. Jede Hoffnung, dass Fodaj oder von Briscár nicht betroffen sein könnten, war damit endgültig verflogen. Aber auch Finulf und Fodajs beide Söhne waren jetzt wandelnde Leichen.
Für den bloßen Gedanken, sich die Untoten untertan zu machen, schämte sich der junge Meister nun in Grund und Boden. Zu viele vertraute Menschen gaben der Horde ein eigenes Gesicht.
Trug er wirklich die Schuld an dem Geschehenen? Es war ja nicht seine Zauberei gewesen, die solches Leid verursacht hatte, sondern die des Nekromanten. Welchen Anteil Meister Khondyrs Schutzmagie an all dem Unheil hatte, war zudem eine offene Frage. Wie hätte er denn wissen sollen, dass das Zepter so mit Khondyrs Schilden reagieren würde?
Das Ding musste sich auf einen Schlag in die Umgebung entladen haben, mutmaßte Nikko. Die Burg und das ganze Dorf waren betroffen. Aber er konnte sich ja noch nicht einmal sicher sein, dass das alles war! Was, wenn die gesamte Welt dem Zauber zum Opfer gefallen war?
Gerade dieser letzte Gedanke ließ in Nikko wieder Panik aufkommen. War er der letzte Lebende in einer untoten Welt? Nein, in einem Augenblick der Ruhe hörte er irgendwo Vögel zwitschern. War das Zepter auf menschliche Seelenmuster ausgelegt gewesen?
»Fodaj«, flüsterte Nikko mit Tränen in den Augen. Gerade der alte Freund hatte so ein Schicksal nicht verdient. Den dicken Händler und seine beiden Söhne hatte der Zauberer schon von Kindesbeinen an gekannt. Einige Male waren die drei jedes Jahr ins Dorf Vyldoro gekommen, um dort mit den Bewohnern Handel zu treiben.
Vyldoro! Was, wenn auch das Heimatdorf nicht verschont geblieben war? Oh je, bei diesem Gedanken zog sich in Nikko alles zusammen. Es half nichts mehr, er brauchte endlich Gewissheit! Was aber konnte er tun? Irgendetwas musste er doch tun!
Es war eigentlich ganz einfach. Er musste in Vyldoro nach dem Rechten sehen. Dorthin käme er allerdings nur zu Fuß, was bei dem noch immer hüfthoch liegenden Schnee keine einfache Wanderung wäre. Aber er war nicht umsonst ein Zauberer und würde sich den Weg schon irgendwie freimachen können.
Nach einem tiefen Durchatmen erwog der Meister, erst einmal nach Halfuár zu reisen, oder nach Sinál. Wenn dort alles in Ordnung wäre, gäbe es auch für Vyldoro noch Hoffnung. Wenn aber nicht, dann hätte es ohnehin keinen Sinn mehr, dem Heimatdorf überhaupt noch einen Besuch abzustatten.
Nein, Nikko könnte es jetzt nicht ertragen, mit der möglichen Wahrheit konfrontiert zu werden. Eine mehrtägige Wanderung kam ihm da Recht. Vielleicht war ja sogar schon in Vylrahdo wieder alles in Ordnung.
Am besten wäre es, er würde sich sofort auf den Weg das Tal hinunter machen. Eine Nacht an diesem jetzt verfluchten Ort wollte er lieber nicht erleben. Doch ließ es sich kaum vermeiden, der Burg einen letzten Besuch abzustatten. Seinen Rucksack mit einigen seiner Artefakte konnte er unmöglich hier zurücklassen.
Zum Glück befand sich alles, was von wahrem Wert war, ohnehin schon in Halfuár. So musste er keinen großen Transport mehr organisieren. Skingár war jedenfalls ein verlorenes Lehen. Hoffentlich ging es Halfuár besser. Aber die Kraft im Zepter war ja endlich gewesen und vermutlich in alle Richtungen zerstreut. Sehr weit konnte sie da doch nicht gewirkt haben, machte Nikko sich Mut.
Der junge Meister war die unwirkliche Kälte bereits gewohnt, die die Untoten umgab. Sie entzogen der Umgebung die Energie, um ihre Lebensmuster zu speisen. Aber die schiere Masse wandelnder Lei