Asta Scheib
Jeder Mensch ist ein Kunstwerk
Begegnungen
Deutscher Taschenbuch Verlag
Originalausgabe 2006
© Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
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eBook ISBN 978 - 3 - 423 - 40494 - 5 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978 - 3 - 423 - 24529 - 6
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Vorwort
»Mit vollem Gefühl aus dem Bauch« - Rainer Werner Fassbinder an Drehorten und anderswo
»Das Auge ist die Leuchte deines Leibes« - Wim Wenders in der Rhön
Die Frau, die weiß, was Mickymaus denkt - Erika Fuchs in Entenhausen
Etwas so schön sagen, wie es nicht ist - Martin Walser und der Bodensee
»Was ein Mann schöner is wie ein Aff, is ein Luxus« - Friedrich Torberg und die Tante Jolesch
Die Ehe – eine unheimlich fromme Abteilung - Udo Lindenberg in der Bar und am Set
Mein Mann ist ein Genie - Eva-Christina Fuchs in der Wiener Seilerstätte
Der Mann, der für Millionen schreibt - Johannes Mario Simmel und der Kaviar
Erzeuger in Sicht, aber kein Vater - Franziska Walser, Künstlerin auf der Bühne und im Leben
Ich turne von Titel zu Titel - Thomas Gottschalk, der Rundfunk und das Fernsehen
Ich denke, ich fall in den Himmel! - Eva Mattes, der Film und das Theater
Wer bei uns dominiert? Keine Ahnung - Cornelia Froboess, das überraschende Talent
Ein Eisberg, der Feuer speit - Milva, »la pantera«
Der Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit; das ist die wahre Hölle - Patricia Highsmith und Mr. Ripley
Einsam durch die Jahre - Wolfgang Koeppen und die Tauben im Gras
Von einer Katastrophe in die andere - Thomas Bernhard, ein großer Liebender
»Ein Gewächs vom starken Stamme« - Anna Wimschneider auf dem Steinerhof
Einmal Milchstraße sein - Brigitte Kronauer und die gemusterte Nacht
Ein Schiff fährt über den Berg - Werner Herzog und das Unmögliche
Der Zeitgeist und der Mister Trend, die waren nie auf meiner Seite - Hermann Lenz, der Schwabinger Poet
Für Konrad und Günther
Das Schönste am Journalismus ist, dass man wildfremde Menschen, die einem auffallen, die einen interessieren, anrufen und um ein Gespräch bitten kann. Natürlich muss man ein Konzept haben, und es ist auch nicht unwichtig, für welche Zeitung oder für welchen Sender man arbeitet. In den siebziger Jahren habe ich angefangen, mit so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie der Bäuerin Anna Wimschneider oder der Schriftstellerin Patricia Highsmith Gespräche zu führen. Ich habe immer versucht, mit scheinbar absichtslosen oder naiven Fragen das Vertrauen meines Gegenübers zu gewinnen, eine entspannte Situation zu schaffen. Behutsam und sanft tastete ich mich vor und versicherte jedes Mal meine Bereitschaft, die entstandenen Texte vor Drucklegung autorisieren zu lassen, was übrigens niemals verlangt wurde. Je stärker mich ein Gespräch fasziniert hat, umso mehr habe ich mich für weitere interessiert, und mir ist rasch klar geworden, welch außergewöhnliche Menschen ich da getroffen hatte. Menschen, deren Eigenheiten, Leidenschaften und besondere Begabungen sie zu dem machten, was sie auch heute noch auszeichnet. Stark und brillant waren alle schon damals, einige sind noch berühmter geworden, als sie es bei unserer ersten Begegnung waren. Jeder hat seine Zeit beeinflusst – sei es durch radikale oder extreme Texte wie zum Beispiel Thomas Bernhard und Brigitte Kronauer, sei es durch obsessive Verwirklichung von Träumen wie Rainer Werner Fassbinder oder Werner Herzog.
Im Laufe der Jahre ist eine Sammlung von Geschichten entstanden, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Jetzt, wo ich mich mit diesen Zeitungsartikeln oder Hörfunksendungen wieder beschäftige, weiß ich, dass es solche Persönlichkeiten kaum mehr gibt. Im Zeitalter von Reality-TV, Talk-Shows und Telenovelas werden schon Leute zu Stars ausgerufen, die eine winzige Rolle in einem seichten TV-Movie ergattern konnten. Sie sind austauschbar, eine Berühmtheit oder besser Bekanntheit für wenige Monate. So sieht man den jungen Talkmaster eines Privatsenders auf mannshohen Plakaten. Wenig später ist ein ebenso unbekannter Kollege der Größte. Niemandem wäre es Ende der Siebziger eingefallen, den Journalisten Thomas Gottschalk auf einer Litfasssäule abzubilden. Er hatte es aber auch nicht nötig, da er von Anfang an unverwechselbar und schon gar nicht austauschbar war.
Damals waren die Verleger der Zeitschriften auch noch nicht ausschließlich an der Auflage interessiert, sondern an guten Geschichten. Dafür boten sie ihren Journalisten erfreuliche Arbeitsbedingungen. Das heißt, sie erlaubten ihnen, sich auf ein Interview gründlich vorzubereiten, sich für die Begegnungen mit dem Interviewten Zeit zu nehmen. Ich durfte noch Journalistin sein und nicht eine Marketingfrau, die genau weiß, mit welchem Thema sie sich in eine Marktlücke hineinschreibt. Der Schwerpunkt meiner Arbeit war das Porträt. Alle Menschen, über die ich geschrieben habe, konnte ich aufsuchen, musste mich nicht auf Telefonate beschränken, wie das heute meist üblich ist. Manchmal verbrachte ich Stunden bei ihnen oder sogar mehrere Tage. Manche habe ich für ein Magazin interviewt, andere für einen Sender oder für beides. Meist waren die Begegnungen freundschaftlich, von Vertrauen geprägt. In fast allen Fällen war das gesamte Material in dem veröffentlichten Text nicht unterzubringen. Oder die Interviewten baten Tage später darum, bestimmte Äußerungen nicht zu verwenden. Bei Patricia Highsmith war das so und bei Rainer Werner Fassbinder.
Heute, bei Durchsicht der Original-Unterlagen, dem erneuten Abhören der Tonbänder, habe ich den Wunsch, die Gespräche völlig neu herauszugeben. Eingebunden in den Kontext der Umstände, unter denen sie entstanden sind, der Stimmung, der Gesten, des wechselnden Temperaments, der Reflexionen innerhalb der Dialoge. Diesmal will ich keine Interviews aufzeichnen, sondern Geschichten erzählen, Kurzgeschichten über die Begegnung mit Menschen und Orten und dem Bezug zum Heute. Ich kann mich an das Klima der aufgerufenen Zeit genau erinnern, an die Stimmen, den Sound der Umgebung, an die Temperatur, an Sonne, Schnee oder Regen, an die besondere Stimmung, an Wärme oder Distanz beim Reden. Es sind nicht zuletzt Erinnerungen an liebenswerte Menschen, deren Lebensentwürfe nicht ohne Einfluss auf mich und mein Selbstverständnis als Schriftstellerin waren.
München, Dezember 2005
Asta Scheib
Ich danke Dr. Hubert Fritz vom Bayerischen Rundfunk dafür, dass er mir Tonaufnahmen zur Verfügung stellte.
A. S.