Johannes Pauli, der ein Jude war, ehe er ein Barfüßermönch wurde, erzählt in seinem Buche ›Schimpf und Ernst‹ die sonderbar düstre Geschichte eines Malers, der ein Monstrum war: halb Mensch, halb Roß, hausend im wilden Walde, aber mit hoher Kunst gar wunderbar begabt. Doch wie seine Farben auch leuchteten und wie meisterlich immer seine Zeichnung ging: was er gestaltete, hatte die scheusälige Grimasse seines Urhebers. Nicht einmal den Heiland vermochte er anders als mißgestalt zu schaffen, dermaßen, daß man ihn eher für einen Teufel als den Sohn Gottes habe ansehen müssen. Daher denn Christus selber ergrimmte und dem malenden Ungetüm erschien, ihm seine Schönheit zu zeigen und ihm ins Gemüt zu reden.
Daß er dabei gesprochen hat, wie es der Barfüßer berichtet: nämlich nicht anders, als wie ein junger Herr, der, von seiner Schönheit eingenommen, die Leistungen seines Photographen nicht vorteilhaft genug findet, ist schwer zu glauben. Eher hat noch die Antwort des schlimmen Malers glaubliche Haltung: Daß er nichts als Vergeltung übe an dem, der zuerst ihn als Scheusal geschaffen habe. »Wahrlich, wär ich es mächtig, dir Härteres anzutun, als böse Bilder – ich tät's mit Lust.«
Da ergrimmte der Herr, nach des Mönchs Bericht, in großem Zorne und stieß mit seinen Händen das Malgerüst um, auf dem Samalio Pardulus stand, daß es ihn unter sich erschlug, und sprach: Talem perpetrat verdictam, qui per ipsam perdit vitam.
Hat dieser Johannes seinen Jesus recht gekannt? Hat er um den Maler Bescheid gewußt? Nein, er wußte weder von Gott noch von der Kunst.
Die Geschichte von Samalio Pardulus nach den Quellen und nach dem Geiste ist so:
Ja, er war ein wildhäßlicher Mensch: über die Maßen lang und dürr, dazu schiefschulterig und lahm; und hatte einen lächerlich spitzen Kopf voll kraußborstiger schwarzer Haare, die bis tief in die faltige Stirn hineingewachsen waren; aber keinen Bart um die schmalen, gleichsam verwelkten Lippen, und auch die gelben, schlotterigen Wangen waren ganz bloß wie bei einem Kinde. Dafür lagen wie zwei dicke Raupen, die sich ineinander verbissen haben, dichte, stachelige Brauen über den kugelig hervorstehenden, braungrünen Augen, und seine knochigen, langen Hände waren dicht behaart. Auch aus den viel zu großen und abstehenden, dabei pergamentfarbenen Ohren wuchsen Haarbüschel heraus, und nicht minder aus den abscheulich weiten Öffnungen der Nase, die im übrigen übermäßig lang und an der Spitze schnabelartig überhängend war. Ein Roßmensch war er aber nun doch nicht und lebte auch nicht eigentlich im Walde, sondern in einer der Burg an Burg, Turm an Turm, wie aus Zyklopenquadern zusammengehäuften Städte des Albanergebirgs: zu jener Zeit, da es niemals Frieden gab, sondern immer der Krieg den Rachen offen hatte, sei es, daß unter den Geschlechtern Streit war oder zwischen diesen und den Bürgerlichen.
Indessen lebte man darum keineswegs traurig, sondern, ob auch in steter Unsicherheit, mutig, ja lustig dahin, immer darauf gefaßt, dem Leben schnell Lebewohl sagen zu müssen, aber entschlossen, bis zum Ende des großen Abenteuers frisch und derb zuzulangen nach allem, was Gott oder Teufel auftafelte. Zwischen Laster und Tugend, Tod und Wollust, Kampf und Schmaus aber gingen in Kapuzen und Sutanen Mönche und Priester dunkel umher und hatten für alles ihre lauten oder leisen Worte, und in den Kirchen knieten Freund und Feind nebeneinander, mit den Nüstern schwülen süßen Weihrauch atmend, mit den Ohren Geheimnisse vernehmend aus herrischen, aber wie auf Wolken göttlicher Verheißung schwebenden Tönen und mit den Augen umfangend die königlich strenge, jedoch auch mütterliche, jedoch auch bräutliche Schönheit der goldumloderten Madonna.
Samalio Pardulus, seinem eigentlichen Namen nach der Sproß des ältesten und mächtigsten Geschlechtes der Stadt, das sich auf altrömischen Ursprung zurückführte, war weder bei den Rittern noch bei den Geistlichen, weder bei den Kämpfen noch bei den Schmäusen: war auch in der Kirche nicht zu sehen. Er nahm nicht teil am Leben seiner Tage, war im Gefühle tot für alles, was jenen Menschen Glück oder Unglück hieß. Und hatte auch nicht Freude an sich selbst.
Kannte nur eine Lust: allein zu sein und um sich herum eine neue Welt zu bilden aus Gestalten seiner Einbildung, der eine starke Kraft zu Gebote stand, sich in Bildern darzustellen.
Das Handwerk hatte er von einem Manne aus Florenz gelernt, der, aus der Heimat um Parteifeindschaft willen vertrieben, der Geheimschreiber seines Vaters geworden war: ein schweigsamer Mensch, dessen Augen voller Klage und Heimsucht waren. Was dieser mit Pinsel und Farbe vermochte, hatte er auch bald vermocht. Aber er wollte mehr. Denn jener, der das Malen nur erlernt hatte, um sich, da er noch reich und ein großer Herr gewesen war, müßige Stunden zu vertreiben, malte nur, was die Meister seiner Vaterstadt schon einmal gemalt hatten, und er gedachte gar nicht, es ihnen gleich zu tun oder gar mehr als sie. Indem er malte, dachte er an Florenz und schuf sich ein blasses Abbild des Schönen, daraus er vertrieben worden war. Samalio Pardulus aber (wir wissen nicht, welche Bewandtnis es mit diesem Namen hat) hatte keine Kunst fremder Meister gesehen (denn die schlechten Bilder in den Kirchen und Häusern seiner Stadt waren nicht meisterlich), und so gedachte er an nichts Fremdes: nur an das, was in ihm selber war und das er innerlich sah als etwas ganz ihm Eigenes, nicht zugespiegelt aus fremder Kunst, am wenigsten der seines Lehrers. Seine innerlichen Gesichte aus sich herauszustellen, die schwankenden fest, die verwehenden dauerhaft zu machen, war sein Begehren.
»Daß ich Genossen hätte, male ich«, sagte er einmal zu seinem Lehrer, »ich male, daß ich nicht ganz allein sei. Könnte ich nicht malen, so würde ich mit Huren Kinder machen: aber mit den schamlosesten und wüstesten. Ja, mit Tieren, wenn es die Natur zuließe. Nur, daß ein anderes Volk um mich herum wäre, als dieses, das mir greulich fremd ist.«