Leberecht der Gestrenge

In einer kleinen Stadt Niederschlesiens kanzelt als Pastor primarius mein ehemaliger Freund Leberecht Wacker. Der Kreisarzt, der Amtsrichter und der Apotheker, welche alle drei die Fahne des Liberalismus in dieser kleinen Stadt hochhalten (meist bei einer merkwürdigen Marke Rotwein, die sich Saint-Julien nennt, aber ganz gewiß aus dem naheliegenden Grüneberg stammt), heißen ihn bloß Leberecht den Gestrengen und finden, daß er ganz »unangenehm schwarz« ist. Das geht aber weder auf die Farbe seines Haupthaares noch seines Bartes, denn beide sind ihm sehr blond, fast rötlich, sondern auf seine theologische Seele.

»Stöcker in Duodez!« sagt grimmig lächelnd der Amtsrichter.

»Ein anmaßender Mucker!« pflichtet der Kreisarzt bei.

»Ein unausstehlicher Pietist!« erklärt der Apotheker.

In der Tat kann nicht geleugnet werden, daß mein ehemaliger Freund keiner von den freundlichen Pastoren ist, die gemütlich predigen und im Privatleben gutmütig behaglich lächeln. Wenn er so auf der Kanzel steht, sehr steif, zusammengekniffenen Mundes, die kaltblauen Augen unverwandt geradeaus, so fühlt man, auch ehe er spricht, sogleich, daß-dieser Mann mehr für den strengen als den linden Kanzelstil ist. Und wenn er anhebt, zu reden, so bläst es kalt über die Häupter der Gemeinde weg, die sich gleich duckt. Er spricht nicht gerade gut und gar nicht leidenschaftlich, er predigt nicht einmal im eigentlichen Sinne – er dekretiert.

So und so seid ihr, und so und so solltet ihr sein, also seid ihr auf dem falschen Wege. Ich aber sage euch: kehrt endlich um!

Dann kommen praktische Nutzanwendungen, sowohl allgemeiner als auch sehr spezieller Art, scharfe Anklagen der Zeit und Welt im ganzen und der lutherischeh Gemeinde von X. im besonderen. Den Bilderschmuck der Sprache liebt er dabei nicht, lyrische Anwandlungen sind ihm fremd, und was er an Pathos besitzt, braucht er polemisch herbe auf, statt es nach Art der schwärmerisch gottlobesamen Kanzelredner seelenbrünstig zum Preise der erhabenen Weltordnung aufzurollen als einen gewaltigen Wortteppich. So ist er auf der Kanzel. Noch mehr beinahe steckt er den Gestrengen bei den übrigen Handlungen seines Amtes heraus. Besonders rigoros ist er in Aberkennung des Myrtenkranzes bei Bräuten, die den Termin spezifisch ehelicher Zärtlichkeiten nicht ganz genau eingehalten haben. In diesem Punkte ist er erstaunlich gut unterrichtet, und es heißt, daß er die erotischen Beziehungen seiner Gemeinde von Spionen überwachen läßt, wie der Staat revolutionäre Umtriebe. Soviel ist gewiß, daß er großen Wert darauf legt, das Privatleben seiner Herde bis unter die Bettdecke genau zu kennen. Da er sich zu diesem Zwecke der Ohrenbeichte als Lutheraner nicht bedienen kann, und da die guten Leute von X. ihm ihre intimeren Heimlichkeiten nicht freiwillig anvertrauen, so ist er darauf angewiesen, nach Möglichkeit selber nachzusehen, und da mag es wohl sein, daß er denjenigen seiner Gemeindemitglieder manchmal etwas lästig erscheint, die, ohne gerade stolze Briten zu sein, dem Grundsatze huldigen: My house is my castle.

Ohne Zweifel tut Leberecht auch mancherlei Gutes, zumal an Kranken, Alten und Armen. Aber er tut es in recht eigentlich unmilder Art. Indem er unterstützt, erhebt er nicht zugleich, sondern drückt eher nieder. Wenn er in ein Haus tritt und die Mitteilung einer Unterstützung bringt, so verbreitet er doch nicht Licht und Wärme und macht keine helle Freude. Denn es ist keine Wärme, kein Licht, keine Freude in ihm. Er hat nicht das Lächeln und die leicht aufliegende Hand des geistlichen Freundes, sondern er ist immer der geistliche Lehrer und Richter, der stets auch züchtigt, indem er mitteilt.

In seinem eigenen Hause handelt er nicht anders. Wie er selbst die Gabe des Lachens nicht besitzt, ja nicht einmal richtig zu lächeln weiß, so trägt auch seine Frau, die magere Pauline, beständig einen tief eingegrabenen Ernst zur Schau, und selbst seine Kinder, der sechsjährige Fürchtegott und die fünfjährige Johanna, haben schon Leberecht- und Paulinengesichter. Man wundert sich fast, wenn sie Vater und Mutter sagen; man erwartet, daß sie ihre Eltern mit Herr Pastor und Frau Pastor anreden werden. Die Dienstboten halten es in Leberechts Hause nur kurze Zeit aus, obwohl die Küche dort gut und die Arbeit nicht übermäßig ist. Denn sie dürfen nie auf den Tanzboden gehen, und das Singen bei der Arbeit ist durchaus verpönt.