Wenn jemand eine Reise tut, So kann er was erzählen |
sagt Herr Urian, und ich füge hinzu: er kann's nicht bloß, er will's meist auch. Das Erzählen in langen und breiten Briefen aber, wie und es hier verübt habe, ist im allgemeinen aus der Mode gekommen. Erstens wohl, weil das Reisen nichts weiter besonderes mehr ist, dann, weil man heute überhaupt nicht mehr gerne lange Briefe schreibt, und schließlich, weil es überall Ansichtspostkarten gibt. Wenn ich trotzdem diese Briefe geschrieben und mich sozusagen in einen gewissen Gegensatz zu meinen Zeitgenossen gebracht habe, so ist dies nicht lediglich aus der bösen Lust am Andersmachen zu erklären, sondern, vielleicht, zu entschuldigen durch folgende drei Umstände. Erstens: Meine Reise war etwas besonderes. Zweitens: Ich schreibe gerne lange Briefe. Drittens: Auf den Ansichtspostkarten ist so schrecklich wenig Platz, daß sie meinem Mitteilungsbedürfnis nicht genügen.
Der Hauptgrund ist natürlich der erste. Es wird zwar, wie ich glaube, nicht mehr lange dauern, und das Reisen im Automobil ist etwas gewöhnliches; vor der Hand aber gehören längere Reisen dieser Art noch zu den Seltenheiten. Die vorliegende Schilderung eines solchen Unternehmens ist, soviel ich weiß, die erste, die in Deutschland als Buch veröffentlicht wird. Nur in Sportszeitungen bin ich kürzeren Beschreibungen längerer Touren begegnet, und bei ihnen handelte es sich fast ausschließlich um Äußerungen rein sportlichen Interesses. Meine Reise aber hat mit dem Automobil sport als solchem nicht viel zu tun, – sonst hätte ich sie nicht als eine empfindsame Reise bezeichnen können, denn was ein richtiger »Automobilist« ist, der kennt die Empfindsamkeit nicht. Ich meine das Wort natürlich in seiner alten Bedeutung und nicht in dem Sinne von Sentimentalität, den es jetzt angenommen hat. Empfindsamkeit heißt mit der Zustand und die Gabe stets bereiter Empfänglichkeit für alles, was auf die Empfindung wirkt, die Fähigkeit und Bereitschaft, neue Eindrücke frisch und stark aufzunehmen. Mit offenen, wachen, allen Erscheinungen des Lebens, der Natur zugewandten Sinnen reisen nenne ich empfindsam reisen, und dieses Reisen allein erscheint mir als das wirkliche Reisen, wert und dazu angetan, zur Kunst erhoben zu werden. Doch darüber wird man in diesen Briefen meine Meinung öfter vernehmen, und ich hoffe, daß dieses Buch meine Leser davon überzeugen wird, daß wir jetzt im Automobil das Mittel an der Hand haben, die Kunst des Reisens aufs neue zu pflegen und noch weiter zu führen, als es ihr in der Zeit der Reisekutschen beschieden gewesen ist, denen unsre Vorfahren Genüssen zu verdanken gehabt haben, wie sie der Eisenbahnreisende nicht einmal ahnt. Der gewöhnliche »Automobilist« allerdings auch nicht; der ist dazu zu sehr Sportsman. Erst, wenn der Automobilismus aufhört, ausschließlich ein Sport zu sein, wird er für die Kunst des Reisens das bedeuten, was seine eigentliche Bestimmung ist.
Ich möchte nicht mißverstanden werden: Ich unterschätze die Bedeutung des Automobilsports für die Entwickelung der Sache keineswegs, schlage sie vielmehr hoch an und lasse mich darin auch durch die Auswüchse des Rennwagenwesens nicht irre machen. Dieses wird für die Motorwagenindustrie immer die Bedeutung haben, die der Rennpferdesport für die Pferdezucht hat. Aber das Eigentliche dieser großen neuen Erscheinung, die den Rang eines starken Kulturfaktors hat, liegt nicht im Sport. Der hat nur Experimentalwert. In der Ausnutzung seiner Resultate für das allgemeine, in seiner Übersetzung ins praktische Leben liegt die Zukunft des Automobilismus.
Meine Reise war der Versuch einer praktischen Probe auf das Exempel des Sports, und ich bringe ihre Schilderung vor die Öffentlichkeit, weil sie gelungen ist, und zwar gelungen nicht mit einem der Millionärsvehikel, die nur Portemonnaiegranden erschwinglich sind, sondern mit einem leichten, billigen Wagen. – Für mich wäre er freilich immer noch zu teuer gewesen, und so will ich, um mich keiner Vorspiegelung falscher Tatsachen schuldig zu machen, und um gleichzeitig gebührenden Dank auszusprechen, zum Schlusse nicht verhehlen, daß ich die Möglichkeit, diesen angenehmen Versuch zu machen, nicht meinen Einkünften als deutscher Dichter, sondern der Freundlichkeit des Verlags August Scherl G. m. b. H. verdanke, der mir den Wagen für die Dauer der Reise zur Verfügung gestellt hat.
Nymphenburg, im November 1903.
Otto Julius Bierbaum.
An Herrn Professor Hans Thoma in Karlsruhe
Rom, den 12. Juni 1902, im Albergo Italia.
Ich hatte mir, lieber Herr Thoma, als ich den Plan zu dieser Reise machte, alles hübsch eingeteilt, kilometerweise und nach Hauptrastorten, und hatte mir gleichzeitig, als besonderes Reisevergnügen, vorgenommen: diesen Teil schilderst du dem, jenen Teil jenem Freude, und ich dachte es mir so hübsch, so von Ort zu Ort aus der frischen Stimmung des Tages meine Sendeblätter freundschaftlichen Gedenkens dorthin fliegen zu lassen, woher ich gekommen: nach Deutschland. Aber der Menschen Pläne werden bekanntlich vom Leben korrigiert, und besonders auf der Reise, auch wenn man sie im Automobil tut, waltet der Rotstift des Lebens grimmiger als der eines Regisseurs. Ich bin in den letzten Reisewochen nur eben zu kurzen Notizen gekommen und war vor lauter Schauen und Genießen nicht imstande, auch nur halbwegs ordentliche Briefe zu schreiben. Je weiter man in dieses herrliche Land hineinkommt, umsomehr gewinnt es Gewalt über einen und zwar so, daß man es gar nicht wagt, sich sofort nach deutscher Weise darüber »Rechenschaft zu geben«. Ihr Maler habt es da viel besser. Ihr denkt gar nicht daran, euch Gedanken über das Schöne zu machen, weil ihr Besseres könnt: Ihr setzt euch, wenn ihr ganz überwältigt seid, hin und versucht in Gottes Namen wenigstens ein Stücklein davon abzumalen. So haben Sie viele Ihrer schönsten italienischen Stunden sich und uns im Bilde festgehalten und aufbewahrt. Der Engel der Schönheit erschien, Sie faßten ihn heiteren Mutes an, den schönen Bibelspruch im Herzen: Ich lasse dich nicht, du segnetest mich denn, – und so hat er Sie gesegnet, denn das ist sein Amt, wenn er es mit guten Kämpfern zu tun hat. Wir aber können im besten Falle bloß stammeln oder – notieren. Meine Stammelverse will ich Ihnen aber doch nicht zumuten. Sie mögen erst zu vollen Rhythmen reifen, – vielleicht sehr spät erst, wenn meine Seele so ruhig und klar ist, wie es diese erhabenen Gegenstände erfordern. Einstweilen bitte ich Sie, meine Notizen entgegenzunehmen, die ich nur schlecht und recht ein bißchen in Form zu bringen mich bemühen will, freilich von vornherein überzeugt, daß die Form noch allzulocker bleiben wird, denn hier in Rom ist es eine heillose Aufgabe, über etwas andres zu schreiben, als über Rom, und am liebsten würde man gar nicht schreiben. Am liebsten würde ich hier, wenn ich nicht umhergehe und staune, lateinisch lernen, ordentlich, nicht bloß so, wie es mich meine Präzeptoren auf den verschiedenen deutschen Gymnasien gelehrt haben, in denen mir die schönsten Jahre meiner Jugend zerschunden worden sind. Aber das geht nun freilich nicht mehr. Hin ist hin, verloren ist verloren.
So nehmen Sie denn das Vielzuwenige, das ich Ihnen an Notizen zu bieten habe, nachsichtig an.
Dienstag, den 3. Juni sind wir von Siena weitergefahren. Bald hinter der Stadt gab uns die Landschaft ein Rätsel auf, das zu lösen ich leider in der Geologie zu schlecht beschlagen bin. Rings um uns herum nahm die Gegend das Ansehen an, als sei das Erdreich völlig verschwunden und an seine Stelle eine unabsehbare Reihe von Sandhaufen getreten. Alles grau und trist, nur ein leiser Anflug von grün oder gelb darauf. Strichweise eine vollkommene Öde, das Bild der Unfruchtbarkeit. Ich stieg ab, um mir den seltsamen Boden näher anzusehen, und fand, daß er sich genau wie trockener Bildhauerton ansah und anfühlte. Der Umstand, daß er mit allerhand Muscheln übersät war, bringt mich auf die Vermutung, daß dieses Land alter Seeboden ist. Stellenweise ist es bebaut, und es nimmt sich wunderlich genug aus, wie dieser harte, rissige Boden, der von weitem wie Stein aussieht, mit dem Pflug bearbeitet ist, und wie in den tiefen Furchen, die dieser gerissen hat, und auf den aufgeworfenen Furchenwällen spärlich dünn die Saat aufstrebt. Das heiß ich wirklich, der Erde Frucht abtrotzen: es ist ein heroischer Ackerbau, und unsre Bauern würden weidlich dabei fluchen.
Auch die dortigen Bauern haben das Fluchen gelernt. Zum ersten Male auf unserer Reise begegnete uns auf dieser Strecke, daß wir, ohne daß wir eine Veranlassung dazu geboten hätten, verwünscht wurden, und zwar in ausgiebig kollektivischer Form, bei der auch August Scherl G. m. b. H. und die Adlerfahrradwerke ihr Teil mit abbekamen. Die Verwünschung, ausgestoßen von einem alten Bauernweib, lautete in getreuer Übersetzung wie folgt: »Verdammt sollt ihr sein und euer Wagen und wer das gemacht und euch gegeben hat!« Für diesen bösen Gruß wurden wir kurz darauf entschädigt durch den Anblick eines aus dem Straßengraben auftauchenden wunderschönen Mädchenkopfes, der den Ausdruck maßlosesten Erstaunens in einer Weise zeigte, wie wir ihn noch nie gesehen hatten. So muß Lots Weib ausgesehen haben, ehe es zur Salzsäule wurde. – Es schien übrigens bald darauf, als sollte sich der Fluch der alten Tonbäuerin an uns erfüllen: ein mächtiges Gewitter brach über uns herein. Wir mußten zum ersten Male das Leder mit den zwei Guckfenstern anbringen, das sich auch recht gut bewährte, indem es uns vor dem Schicksale unsers beklagenswerten Führers Riegel schützte, der auf dieser Fahrt ein vollkommenes Sitzbad genoß, was den wackeren Pionier der Reserve aber nicht weiter genierte. Blitz, Donner und Dunkelheit, – so fuhren wir dahin und kamen ziemlich spät abends in Arezzo an.
Daß diese Stadt einmal eine gefährlich Gegnerin Roms gewesen ist, sieht man ihr nicht mehr an, aber ein malerisches Nest ist sie, und wir denken gerne an den Spaziergang zurück, den wir durch ihre hügeligen Gassen gemacht haben. Ihre älteste Kirche, Santa Maria della Pieve, ist ein Ding zum Fürchten, so schwarz und grimmig sieht sie aus. Der Dom aber liegt auf heiterer Höhe und enthält innen einen wahrhaft lachenden Schmuck von bunten Terrakotten des Andrea della Robbia. Unweit von ihm steht das Geburtshaus Petrarkas mit einer endlosen Ruhmestafel. Mein Gott, was alles so ein Dichter heißt, wenn er tot ist. Im Museum grüßten uns wiederum ein paar liebe alte Madonnen von der sieneser Art. – Am 4. Juni hätten wir nach Perugia fahren sollen; wir machten aber, getreu unserm Programm, möglichst an keiner Schönheit vorbeizufahren, schon im alten Cortona Station, das, wie alle diese alten Etruskerstädte, hoch auf einem Berge liegt. –Hinter Arezzo begegneten wir zum ersten Male auf unsrer Reise einem Automobil. Da es mitten auf der Landstraße hielt, war es wohl eben mit einer »Panne« beschäftigt. Es war ein gewaltiges Ding, gewiß auf 24 Pferdestärken zu schätzen, und unser Adlerwagen nahm sich etwas kleinbürgerlich daneben aus. Aber, item, David lief und Goliath lag, – evviva David! Es kommt auch bei Laufwagen nicht bloß auf die Kraft an. Man kann mit einem leichten Wagen wie dem unseren selbst auf einer großen Reise unter Umständen mehr leisten, als es den Besitzern schwerer Kolosse vergönnt ist, die eigentlich nur das eine voraus haben, daß sie unsinnig rennen können. Woran uns gar nichts liegt. – Wer weiß, was passiert wäre, wenn an unsrer Stelle der Goliath, kurz nach unsrer Begegnung mit ihm, die Begegnung mit dem Wagen der Miserikordia-Brüderschaft gehabt hätte. Sie wäre dann wohl sehr übel abgelaufen. Ich will Ihnen die Sache doch erzählen, weil sie beweist, wie nötig es ist, daß auch Automobilisten Rücksicht beweisen. Wir fuhren in gelassenem Tempo dahin, als uns ein großer schwarzer Wagen entgegenkam, dessen Pferde, kaum, daß sie unser ansichtig wurden, in nervöse Bewegung gerieten. Unser Führer hielt sofort an, etwa 20 Meter von dem Wagen entfernt, dessen Kutscher herabsprang, aber kaum imstande war, die Pferde zu bändigen, die offenbar durch das bloße Geräusch des Motors wild wurden und durchaus in den Straßengraben wollten. Ich ließ sogleich den Motor abstellen, und die Gäule beruhigten sich. Als der schwarze Wagen nun langsam an uns vorüberfuhr, berichtete uns der Kutscher, daß drei schwerkranke Leute in ihm lagen...
Cortona ist es wert, besucht zu werden. Schon die Lage ist herrlich, und der ganze alte Habitus des Städtchens mit seinen riesigen etruskischen Mauern hat etwas sehr Eindrucksvolles. Auch besitzt es, in einer verfallenden Kirche, eine schöne Himmelfahrt Mariä von Bart. della Gatta (die wohl bald in ein Museum überführt werden wird, da hier kein Raum mehr für sie ist), – aber das beste, was es aufzuweisen hat, sind zwei kostbare antike Stücke: eine enkaustische Malerei auf Schiefer wohl eine Muse vorstellend, und ein etruskischer Kronleuchter. Die alte Malerei ist sehr schön, und da es die erste antike war, die ich sehen durfte, habe ich sie mir sehr genau und andächtig angesehen. Ja, da ich hier andre, zweifellos antike, Malereien gesehen habe, getraue ich mich des Urteils, auch sie für antik zu halten. Es ist ein edles und ehrwürdiges Stück Kunst von gänzlich andrer Art als meine geliebten alten Madonnen: ganz Hoheit, Symbol, durchaus nicht lyrisch; spricht lediglich die Augen an, nicht die Seele. Der Kronleuchter ist pompös. Von Ferne gesehen, wie eine riesige Sonnenblume, aber die Blätter sind Satyrn von einer Form, für die in Florenz die Klempner Feigenblätter zu fabrizieren haben. Unter ihnen Delphine und Sirenen, in der Mitte ein Gorgonenkopf, – das ganze mit fabelhaftem Geschmack in eins komponiert, ein Ding von unschätzbarem Werke, das auch hier in Rom die Blicke auf sich lenken würde. – Den nächsten Tag fuhren wir nach Perugia. Herrlich ging es im schönsten Motorviertakt den schönen Weg von Cortona hinunter in dieses unglaublich schöne Flächenland mit dem trasumenischen See. Auch wenn man nicht allzusehr an der historischen Krankheit leidet (ganz frei davon ist wohl kein Deutscher), wird man hier doch nachdenklich, indem nicht man sich jenes mörderischen Zusammenstoßes zwischen Afrika und Rom erinnert, der die ganze damalige europäische Kultur in Frage gestellt hat. Auch an Frau Bertha von Suttner denkt man hier und ihre Träume vom ewigen Frieden, und das je öfter, je näher man Rom kommt, der Stadt, die alles mit dem Schwert erreicht hat. Im Grand Hotel von Perugia diskutierten die vielen Engländer, die dort wohnten, gerade den Frieden zwischen ihrem Lande und den Buren. Es war uns, die wir nun eine schöne Reihe von Wochen keine Zeitung mehr gelesen haben, angenehm zu hören, daß dieser ungleiche Kampf zwischen dem Elefanten und dem Schäferhund nun endlich bald vorbei sein sollte. Daß der Elefant einst Sieg trompeten würde, war vorauszusehen, – hoffentlich macht ers kurz und erspart denen, die ihn noch nicht für ein lächerlich verkommenes Monstrum, sondern für eine sehr respektable Bestie halten, das Schauspiel eines unanständig langen und lauten Siegeslärmes. – Ehe wir nach Perugia kamen, versuchte ein findiger Straßenkehrer, eine kleine Steuer von uns zu erheben. Er gab uns mit gebieterischer Handbewegung ein Zeichen, zu halten, und ich ließ nach seinem Willen geschehen, weil ich glaubte, er hätte uns eine Mitteilung über eine Brückenreparatur oder dergleichen zu machen. Der naive Bursche verlangte aber den Vorweis einer Fahrerlaubnis, weil, wie er mit Amtsmiene erklärte, ein Zirkular von der Regierung erschienen sei, demzufolge nur Fahrer mit Autorisation diese Straße nehmen dürften. Meine Frau erklärte ihm, sie würde sich darüber lieber direkt bei der Regierung in Rom in formieren, als bei einem Funktionär seiner Beamtenrangklasse, und der Biedermann sah ein, daß er sich verrechnet hatte. Er war gewiß zu höherem geboren als zum Kehrbesen. – Auch Perugia liegt, wie alle diese etruskischen Städte Umbriens hoch auf einem Berge, wahrhaft königlich und gebietend. Wäre es unsre Absicht gewesen, die umbrische Malerschule zu studieren, so hätten wir uns sehr viel länger in seinen Mauern aufhalten müssen, als wir getan haben. Es lag uns aber nicht gar viel an Meister Perugino und seinen Schülern, für die ich, um ganz offen zu sein, wenig Neigung empfinde. Auch hier gefallen mir vielmehr die früheren, wie der sanfte Benedetto Bonsigli, der die süßesten Engel gemalt hat, die jemals, Rosenkränze im Haar, dazu dienten, eine Madonna und einen kleinen Christus einzurahmen. Auch Bernardino Mariotto, der etwas strenger ist, sagt mir sehr zu. Sonst sind vornehmlich noch drei Dinge in meiner Erinnerung geblieben: der fonte maggiore, ein Brunnen von den schönsten Verhältnissen, durchaus edel und zurückhaltend; der Augustus-Bogen, wie alles Antike ein Inbegriff von Solidität und Sicherheit; und die uralte Kirche S. Angelo mit antiken Säulen, die aus den Resten eines »heidnischen« Tempels entstanden sein soll. (Mir kommt es wunderlich vor, Antikes »heidnisch« zu nennen, da ich bei Heiden an Neger und dergleichen zu denken gewöhnt bin.) – Die umbrische Landschaft hat in diesen ersten Tagen, da wir sie durchfuhren, wie auch später, einen gewaltigen Eindruck auf mich gemacht. Es ist eine heroische Landschaft im eigentlichsten Sinne des Wortes und war in der Tat der geeignetste Exerzierplatz für ein Volk wie die Römer, das hier seine ersten großen Übungen im Erobern gemacht hat. Bei uns in Deutschland gibt es wohl Strecken, wie am Rhein und noch mehr an der Etsch, wo jeder Berg von einer Burg bekrönt ist; hier aber liegen die Städte selber alle auf Bergesrücken, ein Riesenburgkomplex neben dem andern. Die Etrusker sind ein Berg-Festungsvolk gewesen; die Identität von Bürger- und Mauerkrone stammt wohl von ihnen. Was eine Stadtmauer ist, habe ich erst in Cortona wirklich kennen gelernt. Man sollte meinen, daß selbst moderne Belagerungsgeschütze nicht imstande wären, dieses Quaderwerk zu zerstören. Heute aber nistet ein bewegliches Kleinbürgervölkchen dazwischen, dessen Aussehen und Gebahren in einem wunderlichen Gegensatz zu diesen cyklopischen Ummauerungen steht. Diese Leute gehören eigentlich in die Ebene. Sie sitzen nur hier oben, weil eben die alten Häuser oben stehen, hohe, düstere Gebäude, die zum großen Teile leer sind. Die Gassen aber eng, gewunden, winklig. Mancher palazzo dazwischen mit großen Wappen und Balkonen, aber die alten Geschlechter sind wohl ausgestorben oder leben in den modernen Großstädten.
Bei der Höhenlage dieser Städte hat eine jede weiten Rundblick. Zumal die Blicke von Cortona werden uns unvergeßlich bleiben. Trotzdem muß es auf die Dauer kein angenehmes Wohnen dort sein, weil alles schrecklich zusammengedrängt ist. Immer bloß die Blicke wandern lassen, genügt uns Leuten aus der Ebene nicht. Die Etrusker wanderten wohl nur, wenn sie im Heerbann gingen, immer eine Stadt gegen die andere, bis Rom die Bergstädte zwang, sich gegen die Siebenhügelstadt zu vereinigen, die schließlich doch alle verschlungen hat als der große Völkermagen.
Rom! Rom! Je näher man an das Ungetüm kommt, umsomehr wird alles, was vor ihm liegt, nur Einleitung, Vorbereitung, und auch wir dürfen es nicht leugnen, daß unsre Reiseruhe dadurch etwas beeinträchtigt worden ist.
An Frau Malgonia Stern in Berlin
Rom, den 14. Juni 1902.
Gnaedige Frau! Sie sitzen jetzt wohl längst im grünen Potsdam und genießen die Kühle Ihres Tuskulums auf dem Kapellenberge. Also haben Sie etwas vor uns voraus: daß Sie nicht vor Hitze schier verschmachten müssen. Denn wir hier werden gebraten oder gedämpft, je nachdem. Daß es trotzdem »schön« in Rom ist, brauche ich Ihnen nicht zu beteuern; es ist sogar schön in einem Sinne, den ich bisher überhaupt nicht gekannt habe.
Aber von Rom darf ich Ihnen leider nicht erzählen. »So weit sind wir noch nicht in der Geschichte«, wie ich als Junge zu sagen pflegte, wenn mich ein indiskreter Onkel über etwas historisches ausforschen wollte, wovon es mir an Sachkenntnis gebrach. Ihnen, gnädige Frau, ist, in der Trambahnsprache zu reden, die »Teilstrecke« Perugia-Terni bestimmt, deren Schilderung ich leider erst heute, so gut es eben gehen mag, niederschreiben kann. Dann, sehen Sie, wenn man so den ganzen Tag im Automobil gefahren ist, von einer Schönheit der anderen in die Arme geworfen (wobei ich das Wort Schönheit in keinem verfänglichen Sinne zu nehmen bitte), da ist man abends so müde, daß die freundschaftlichsten Gefühle es nicht vermögen, einem zum Schreibzeug zu bringen. Auch pflegt dann in diesem schönen, aber lauten Lande die abendliche Plauderparade zu beginnen, und zwar doch unter dem Fenster des müden Reisenden, sodaß die Gedanken, statt sich zu einem hübschen Briefreigen zu schließen, auseinander gehen, wie die Gänse, wenns donnert. Ich mußte es also bis Rom verschieben, und hier soll mich nun auch die verwegenste Hitze nicht abhalten, Ihnen Ihre Teilstrecke zu schildern.
In unserem Adlerwagen, der durchaus hält, was wir uns von ihm versprochen haben und von dem das schnöde Wort eines Freundes nicht gilt: »Motorwagen haben mehr Launen, als eine schöne Frau« (derselbe Freund behauptet auch, sie seien nicht weniger kostspielig zu erhalten, als diese, – was übrigens auch nicht stimmt, denn schöne Frauen sind teurer, da man einen Motorwagen ja nicht immer wieder neu anziehen muß; – doch ich fang an, mich zu verheddern und werde mich sicher nie mehr aus diesem Parenthesendickicht herausfinden, weshalb ich denn kurz entschlossen auf den Anfang der Periode zurückgreife mit einem parlamentarischen: Ich sage): In unserm Adlerwagen haben wir die Schönheit einer sommerlichen Reise durch Italien genossen, ohne die Hitze eines italienischen Sommers zu spüren. Das ist unter den vielen Vorteilen des Laufwagenreisens nicht die letzte. Das Land liegt in unbeschreiblicher Schöne im Sommersegen unter einem wolkenlosen Himmel; die Cicaden rühren die Flügelgeigen zum Lobe des großen Pan; man sieht und hört: Sommer, Sommer, Sommer, – Aber die Kräfte des Motors tragen einen so geschwind dahin, daß man unausgesetzt von frischem Wind befächelt wird. Freilich muß man auch, wie wir, Hüte von der Größe eines Sonnenschirmes aufhaben, damit die allzuliebe Sonne uns ihre brünstigen Küsse nicht direkt auf die Haut geben kann. Wir haben uns in Siena damit versehen, wo die Strohhüte bekanntlich die größte Ausdehnung in Europa erreichen.
An welchem Tage wir von Perusia aufgebrochen sind, weiß ich nicht mehr; ich weiß nur, wie alle anderen Tage war auch er wunderschön, wolkenlos und klar. Wir machten bis Foligno zweimal halt. Einmal beim Grabe des Volumnier und dann beim heiligen Franz von Assisi. – Die Alten haben es verstanden, besser als wir, ihr Leben mit Schönheit zu umgeben, und sie haben es auch besser als wir verstanden, auch dem Tode Schönheit zu verleihen. (Daß sie, lange vor Ibsen, auch die allerhöchste Kunst: in Schönheit zu sterben, recht oft bewährt haben, sei nebenbei bemerkt.)
Die Herren und Damen aus der Familie der Volumnier haben sich, d. h. ihre Asche, so begraben lassen: Sie ließen einen Tuffsteinhügel zu Kammern aushöhlen, die um eine Art Vorhalle herumliegen. In dieser Vorhalle grüßt das Bild des Sonnengottes, eingerahmt von Delphinen, die Majestät des Todes, der als schöner Genius mit umgekehrter Fackel (übrigens en miniature, von der Decke herabhängend) dargestellt ist. Im Hauptraum, der am Ende der Halle liegt, ruht umgeben von den Seinen, der Vater der Familie. Es sind sehr einfache, kastenartige Sarkophage; auf dem Deckel ist der, dessen Asche darunter liegt, dargestellt, wie beim Mahle liegend, in der Toga, eine Kette um den Hals, eine Schale in der Hand, – aber keine Speiseschale; es ist der Teller mit dem Obolus. Nur eine weibliche Gestalt hat nichts im Teller; aber dieses Nichts ist eine Auszeichnung: die Dargestellte ist eine Priesterin, die, wie der witzige Custode bemerkte, gratis über den Hades gefahren wurde. Im übrigen: Charon mit der Trinkgeldhand, – auch ein Symbol. Indessen war mir sonst nicht blaßphemisch zumute. Der Ort hat Weihe. – In Deutschland kenne ich nur einen Ort, wo die Toten so schön zum Leben reden: im Schloßpark zu Tegel, dem Begräbnisorte der Humboldts, wo auf einer schönen Säule die liebliche Hoffnung Canovas steht, das Gewand mit der einen Hand zum Tanze geschürzt, während die andre eine Blume hält. Die Humboldts waren, obgleich der eine Staatsminister war, recht mäßige Christen. Ich fürchte, sie würden, lebten sie heute, bei Hofe nicht so wohl gelitten sein, wir zu ihrer Zeit, die wir die der Biedermeier nennen, – spotten unsrer selbst, und wissen nicht wie.
Von den Volumniern zum heiligen Franz von Assisi, – die Welt ist ein Kaleidoskop, oder, mit Frank Wedekind zu reden, »das Leben ist eine Rutschbahn«, – auch das Leben der Völker. Goethe, der in der Sicherheit seines genialen Instinktes nur auf die Antike in Italien ausging, und dessen ganz unmoderne Größe immer darin beruhte, daß er sich in dem, was seine Seele gerade verlangte, nicht beirren ließ, hat in Assisi nichts sehen wollen und nichts gesehen, als die schöne Front des Tempels der Minerva. »Die ungeheuern Substruktionen der babylonisch übereinandergetürmten Kirchen, wo der heilige Franziskus ruht, ließ ich links, mit Abneigung . . . .« Quod licet Iovi, non licet bovi. Ein arm unsicherer Pilgerer in der Welt der Fragen, wie ich, mußte auch an den Pforten des heiligen Franz anklopfen, bedürftig der Wegweisung und hoffend, sie möchte ihm hier werden, so oder so. Daß ich es ohne Umschweife rund heraussage: Franziskus hat mich im Stiche gelassen, und ich konnte mich auch hier nur an ein paar schönen Eindrücken alter Freskenfarbenklänge erbauen, ohne jede tiefere Rührung und durchaus unempfänglich für das »Wunderbare« dieser mönchischen Art. Ja, ich mußte über manche dieser Wunder lächeln, die in der oberen Kirche wie in einem riesigen Bilderbuche abgebildet sind (wie man glaubt von Giotto). Und ist es nicht wirklich eine Spur komisch, daß man es unter die Wunder dieses Mönches rechnet, weil er einmal im Traume den Thron gesehen hat, der ihm im Himmel aufbewahrt werde? Wir würden heute wohl nur sagen, daß er schwülstig und etwas unbescheiden geträumt habe, wenn er im Schlafe Gott-Vater und Gott-Sohn auf Sesseln sitzen sah und daneben ein leeres Fauteuil, auf das der liebe Gott mit der Geste hin weist: Bitte, Platz zu nehmen.
Franziskus ist überhaupt ein wunderlicher Heiliger gewesen. Meine Frau hat sich ein kleines anonymes Buch gekauft, das sich »I fioretti di San Francesco« nennt und, nach dem alten Italienisch zu schließen, in dem es geschrieben ist, bald nach den Lebzeiten des Heiligen verfaßt worden sein mag. Darin finden sich Geschichten, über die sich ein Ketzer einigermaßen wundern muß, weil sie ihm nicht eigentlich heilig vorkommen. Auf alle Fälle hat Francesco auch in seiner heiligen Zeit, als der Sturm seiner wollüstigen Jugend längst hinter ihm lag, recht viel Menschliches – Allzumenschliches an sich gehabt, vornehmlich ein ungeberdiges Herz, und wunderbar ist nur, daß Gott selber auch Kleinlichkeiten des Heiligen für wichtig genug fand, sich persönlich darüber zu äußern. So hatte sich Franziskus einmal darüber geärgert, daß Frater Bernardo, der in der Einsamkeit des Waldes selig verzückt vor Gott im Gebete lag, ihm nicht antworten wollte. Er rief ihn, in steigendem Ärger, ein-, zwei-, dreimal an, und als Bernhard immer nur weiter betete und durchaus nicht reagierte, freute er sich nicht etwa des frommen Sinnes seines Genossen, sondern wandte sich direkt an Gott mit der, wie mir scheint, höchst unpassenden Frage, warum denn dieser Bernhard nicht antworten wollte. Es ist ein vollkommener Beweis für die Langmütigkeit Gottes, daß er auf diese Frage wirklich und persönlich antwortete und bis auf die verweisende Anrede »o povero amicciulo« nicht einmal scharf. Er sagte ihm nur, daß es für einen frommen Mann wichtiger ist, mit Gott, als mit einem Kollegen zu reden. Jetzt freilich geriet Franz außer sich vor Scham und Reue, – aber ist das ein Wunder? Allerdings nahm seine Reue eine ungewöhnliche Form an. Er ging zu Bernhard, der mittlerweile mit Beten fertig geworden war, zurück und sprach zu ihm: »Ich befehle Dir« (der Ketzer wundert sich hier schon wieder über das Befehlen) »beim heiligen Gehorsam« (was ist das für eine verruchte Logik? fragt sich der Ketzer), »daß du, meinen Trotz zu strafen und ihn wegzutreiben aus meinem Herzen, mir, der ich mich jetzt rücklings auf den Boden werfen werde, mit dem einen Fuß auf die Gurgel und mit dem andern auf den Mund tretest und, dreimal hin und wider tretend, zu meiner Schande und Schmach sagest wie folgt: Da liege, du Bauer, Sohn des Pietro Bernardoni; woher in aller Welt nimmst du deinen Dünkel, der du doch eine so niederträchtige Kreatur bist?!« Bernhard hat, um des heiligen Gehorsams willen, also getan (indem er sich bemühte, möglichst gelinde und, so hoffen wir, nach Ablegung der hölzernen Sandalen zu treten), und Franz mag nach dieser Massage etwas wie Genugtuung verspürt haben, aber der Ketzer kam nicht umhin, zu finden, daß das Ganze doch eigentlich eine skurrile Anekdote ist, die für den Heiligen von Assisi nicht besonders einnimmt. Er hat auch, nach dem Bilde des Cimabue, nicht sehr einnehmend ausgesehen und ist auf den landläufigen Bildern, die ihn darstellen, wie er die Wundmale empfing, arg versüßlicht. In Wahrheit muß er ein Mensch mit sehr wildem Gemüte gewesen sein, der sich gewaltsam bändigte und durch eine immense Inbrunst des Willens Kräfte aus sich erweckte, die wir heute als Beweis mediumistischer Veranlagung betrachten, während sie seiner Zeit als Wunderkräfte erschienen sind. Ein Gewaltiger ist er auf alle Fälle gewesen, und er hat in der Tat den Lateran gestützt (in welcher Pose er dem Papst im Traume erschien) durch die Gründung seines Ordens, der sich wie ein Heer über die Christenheit verbreitete. – Doch ich muß Ihnen noch eine Geschichte aus den Blumen des heiligen Franz erzählen, eine schönere. – In der Nähe von Assisi war auch das Kloster der heiligen Clara, die gleich dem heiligen Franz einer vornehmen Familie von Assisi entstammte und sehr gegen den Willen der Ihren den Schleier genommen hatte, erfaßt von der Inbrunst, es Franzesco nachzutun. Er war ihr leuchtendes Vorbild, ihm galt die Glut ihrer Seelenliebe. Und so ließ sie ihn denn immer und immer wieder bitten, er möge ihr doch einmal das Glück einer Unterhaltung über göttliche Dinge gewähren. Er aber, unwirsch und längst kein Freund der Frauen mehr, die, wie er nun meinte, seine Jugend vergiftet hatten, wollte sich nicht dazu herbeilassen, bis ihm wiederum der himmlische Vater selber klar machte, daß es nicht nur unhöflich, sondern auch unheilig sei, so frommen Wünschen taub zu sein. Er nahm also die heiligsten seiner Genossen mit sich und ging zur heiligen Clara. Und sie ließen sich, Mönche und Nonnen, an einem Tische nieder, der im Walte stand, mit einander zu speisen. Aber weder Franz noch Clara rührten die Speisen an, denn sie erkannten ihre Seelen, sahen sich in die Augen und sprachen von Gott und allen Dingen der göttlichen Tiefe und Klarheit. Da ward es im Walde stille, und eine Röte baute sich über dem Walde auf gleich sanften Flammen, –es war der Wald umzirkt von Glut. »Seht doch«, riefen die Bauern im Felde, »der Wald er heiligen Clara brennt; laßt uns löschen!« Und sie liefen von Pflug und Egge und kamen herbei. Aber es war kein Brand, der Bäume versehrt; das merkten sie wohl; und merkten auch, daß nur die Heiligkeit des Bodens sichtbarlich glühend den Wald umzirkte, daß sie alleine wären mit sich und ihrem Verstande Gottes. –
So etwas ist sehr schön; nicht wahr, gnädige Frau? Es gibt auch sonst noch viel schönes und wunderbares in der cyklopischen Festung des Franziskanerklosters, und dennoch, hat man sie hinter sich mit ihren übereinandergetürmten Kirchen, wo über und unter der Erde in Form und Farbe immer wieder das eine Wort murmelt oder dröhnt: Sünde, so wirkt der Anblick des kleinen Minervatempels wie eine holde Beruhigung, wie der erste Blick in den mordendlichen Tag, wenn man nach fieberhaft verworrenen Träumen erwacht. Das strebt im schönsten Gleichmaß ruhig auf, – ein paar Säulen und ein schlichter Giebel, nichts weiter: gesundes, schönes Lebensgefühl, erhaben ins Erhabene gewandt. – Bei einem Kupferschmied, der das Stück von einem Bauern an Zahlungsstatt erhalten haben wollte, kauften wir eine kleine Tonplatte von anscheinend sehr alter Flach-Reliefarbeit, die den heiligen Franziskus darstellt, wie er Fischen und Vögeln predigt. Ich habe meine Freude an dem sehr gut komponierten Dinge und hoffe, daß ich es gut nach Hause bringen und meinen Freunden zeigen kann. Es soll mich außerdem immer daran gemahnen, daß es gut ist, seinem ungeberdigen Herzen Mäßigung aufzuerlegen, damit man nicht einmal in die Lage komme, einem Freunde zu sagen: Bitte, tritt mir auf Gurgel und Mund! – Von Foltigno weiß ich nichts weiter zu erzählen, als daß wir hier zum ersten Male genauer beobachtet haben, in welchen Grade die italienische Straßenjugend verwildert ist. Es ist unmöglich, aufzuschreiben, was selbst ganz kleine Jungen hinter meiner Frau herbrüllten. – Am nächsten Tage über Spoleto nach Terni. Die Gegend ist äußerst üppig, und das Rindvieh erwies sich noch heute des hohen Lobes wert, das ihm Virgil gespendet hat. Herrlich liegt Trevi da: wie auf umgekehrter Schale den Göttern entgegengehalten, ein wahrhaft majestätischer Anblick. Was man den Tempel des Clitumnus genannt hat, ist eine christliche Kapelle in antikisierender Form und aus antiken Resten zusammengestoppelt. Man hat aber von dort aus einen schönen Blick über das hier beginnende Tal des Clitumnus, der ein Stück weiter oben entspringt. – Spoleto liegt, wie Trevi und die übrigen umbrischen Städte, hoch und frei und schön. Wir haben einen kleinen Gang durch die Stadt gemacht, einmal, um den Dom mit den Fresken Fra Filippo Lippis, vor allem aber, um die Turmbrücke zu sehen. Von den Fresken haben wir nicht viel zu sehen bekommen, weil sie sehr beschädigt sind und es zudem in der Kirche sehr dunkel war (lichte christliche Kirchen gibt es wenige); die alte Brücke und Wasserleitung aber breitete sich in ganzer Schöne vor uns aus und riß uns zu heller Bewunderung hin. Sie spannt sich wirklich über Türme, so hoch ragen die Pfeiler empor, und wenn es seine Richtigkeit hat, daß sie, auf antiker Grundlage, von Theodolapius, dem dritten Herzog von Spoleto, erbaut worden ist, so darf man sagen, daß sich dieser Longobarde ein Denkmal gesetzt hat, wie es nur wenige gibt. Hätten unsre gewalttätigen Vorfahren immer auf antiker Grundlage weiter gebaut, statt alles Alte blindwütig zu zerschmeißen, – wie herrlich stände es um dieses Land, wie herrlich stände es um uns! – Bei der Ausfahrt aus Spoleto besuchten wir noch die sehr alte Kirche San Pietro, deren Fassade die Meinung erwecken könnte, daß sie keiner Kirche, sondern einer Menagerie angehört, denn sie ist in der Hauptsache mit Darstellungen aus der Tierwelt geschmückt. An den Toren wachen wunderliche Löwen, und oben treten gar zwei Ochsen in halber Figur aus der Mauer heraus. Dazu alles mögliche andre Getier: Wolf, Fuchs, Schlangen u. s. w., alles sehr amüsant und sehr naiv. – Nach Spoleto gibt es wieder ein Stück Gebirge zu überschreiten, wie immer waldlos und öde, aber ganz erfüllt von dem köstlichen Duft des südlichen Ginsters, der in hohen Büschen massenhaft seine leuchtenden gelben Blüten entfaltet. So hat jede Fahrt hier ihren Genuß, – wenn nicht fürs Auge, so für die Nase. Diese hat dafür leider in den Städten mancherlei Unliebliches mit in Kauf zu nehmen, sie und das Ohr, das in Italien wahrhaft maltraitiert wird.
Leben Sie wohl und genießen Sie die kühle Ruhe Ihres Kapellenberges!
An Herrn Professor Franz Stuck in München
Rom, den 10. Juni 1902.
Lieber Herr Stuck! Ich wollte Ihnen schon gestern schreiben, aber, wie es mir bisher nun immer auf dieser schönen Reise ergangen ist, wenn wir in einer großen Stadt ankamen: mich überfiel eine Erschlaffung. Wir sind durch das tägliche frische Luftbad so verwöhnt, daß die eingesperrte Luft der Städte uns wie Backofentemperatur vorkommt, in der zu leben uns anfänglich unmöglich scheinen will. Ich weiß nicht, ob es wahr ist, daß Fliegen vor Hitze umfallen, wie man sagt, – sicher ist, daß ich hier tatsächlich umgefallen bin und nicht imstande war, die Feder zu rühren.
Das ist kein würdiger Beginn eines römischen Aufenthaltes, und ich schäme mich seiner rechtschaffen. Aber das kommt davon, wenn Hyperboräer wie ich zu einer Zeit nach Rom fahren, wo selbst die Römer die Stadt verlassen und die meisten Hotels geschlossen werden. Saison morte. Selbst die enge Stadt kennt diesen Begriff.
Nun haben wir heute eine Rundfahrt gemacht, und die hat mich elektrisiert. Hitze hin und Hitze her, – in Rom gibt es Dinge, die alles vergessen lassen, selbst 35 Grad Réaumur. Ob ich aber Worte für sie finden werde? Kann man mit wirbelndem Gehirne schreiben? Ich will es versuchen und mit leichten Dingen beginnen.
Die Aussicht von meinem Fenster: Sie wird links von einem Seitenflügel des schönen Palazzo Barberini begrenzt, dessen Garten gerade vor mir liegt. Ein Garten nach unseren Begriffen, mit vielen Bäumen und dichtem Buschwerk, ist das nicht. Der Bäume sind nur wenige, aber es sind seltene Prachtstücke südlicher Art, immergrüne, die auch im Winter nicht kahl werden. Hinter ihnen hohe Häuser mit glatten Dächern (auf dem einen sitzt, der Kleidung nach zu schließen, ein Kammermädchen, und ich bilde mir ein, daß es ein hübsches Kammermädchen ist, denn es wäre sehr ungeschickt, mir ein häßliches einzubilden; deren gibt es genug in den italienischen Hotels, in denen, so scheint es, grundsätzlich nur Matronen vorgerückten Alters angestellt werden), und rechts hinauf, gleichfalls mit platten Dächern, aber außerdem mit vielen luftigen Balkonen (doch ist es leider zu heiß, als daß sich auch nur der Ansatz zu einem Kranze holder Damen auf ihnen präsentierte) die via delle quattro fontane, auf der ein lebhaftes Hin und Her von Menschen zu Fuß und zu Wagen ist. Ich sehe und nenne: Mönche, Carabinieri, ein paar verspätete Engländer, Malermodelle aus den Abbruzzen (denn die »spanische Treppe« ist nicht weit), ein Trupp Bersaglieri (wie Max Schillings mit Recht sagt: die schönsten Soldaten der Welt), ein Zug von Leuten mit Dreimastern und merkwürdigen Uniformröcken, in der Hand Wachskerzen, also wohl eine Begräbnisbrüderschaft, und, siehe da: auch drei »Krebse«. So nenne man nämlich, ihrer roten Soutanen wegen, die deutschen Seminaristen in Rom. An den Straßenecken sitzen junge Burschen, die Kirschen feilhalten, die sie in Form von Trauben zusammengebunden haben. Hinten, wo die via delle quattro fontane von einer andren Straße gekreuzt wird, sehe ich, einen Trupp Kürassiere voran, einen Trupp Kürassiere hinterher, im schnellsten Tempo eine Hofkalesche fahren. Vielleicht ist es der König oder die Königin. Die arme Ellena! Sie ist zwar die Königin, aber sie gilt nicht als solche. Noch immer denkt der Italiener an die blonde Margherita, wenn er la regina sagt. – Im ganzen genommen: das Straßenbild ist lebhaft, bunt, großstädtisch, aber seinethalben würde man kaum hier in der Hitze aushalten. Den Italienern, denen, je nach ihrer politischen Meinung, Rom heilig ist als Wahrzeichen der unita Italia oder des Papsttums, gilt in erster Linie das lebendige Rom, – uns verschwindet dieses vor den Resten des toten, dem wir doch allein die Ewigkeit zuerkennen.
Vor diesem tritt in mir jetzt alles andere zurück, aber ich bin froh, daß ich vorher noch von anderem zu handeln habe, denn ich würde (s. o.!) noch nicht imstande sein, Worte darüber zu finden. Ich frage mich wieder: werde ich es später? Das Ziemlichste wäre hier, zu schweigen oder Goethe zu zitieren. –
Einstweilen zurück nach Terni! Eine merkwürdige Stadt, –: sie hat keine Sehenswürdigkeiten. Wenigstens nicht innerhalb ihres Burgfriedens. Doch ist sie trotzdem viel besucht als Ausgangsort für die berühmten Wasserfälle le marmore. Es versteht sich, daß wir unsern Adlerwagen zu ihnen lenkten, und wir haben sehr wohl daran getan, denn sie sind ein herrlicher Anblick. Man muß aber nicht an das denken, was in der Schweiz oder Tirol ein Wasserfall heißt. Es ist nicht der gewisse Gießbach, der senkrecht eine hohe Schlucht herabfällt, sondern es ist ein Terrassensturz. Erst, in drei Strängen, eine hohe Wand herab, in einen mittleren Kessel, von wo aus sich die Gewässer als flüchtiger Staub bis fast zur halben Höhe der Wand wieder erheben, dann in wilden Strudeln zu einer zerrissenen Felsenstufe, und nun im gewaltigsten Schwalle herunter zum eigentlichen Bette des Flusses, wo dann der übermütige Springer bald ruhiger wird. Das ganze hat Majestät und Würde und sieht sich fast wie Kunst an, – wobei man aber an das denken muß, was man sich unter antikerzwei