Aus dem Tagebuche eines blümeranten Dichters

Emil der Verstiegene

Zitzebüttel im Mai 1897.

Einst besang ich den Mai, jetzt geht er mir auf die Nerven. Der Frühling ist die Jahreszeit der Banalen, derer, die sich auf ihren Saft etwas zu gute tun, weil sie keiner verfeinerten Gefühle fähig sind.

Diese Leute besingen auch noch die Liebe. Sie ahnen nicht, welche Roheit sie damit offenbaren, und wenn sie auch so idealistisch tun. Ebensogut könnte man einen Rinderbraten besingen. Es ist unsäglich gemein.

Dichten und an ein Mädchen denken! Ein Mädchen, das, wenn es heiß ist, schwitzt; ein Mädchen, das vielleicht Kartoffelklöße als Lieblingsspeise hat; ein Mädchen, das vielleicht eben das Kochen lernt und nach der Küche riecht! Welch ein Mangel an Sensitivität, oder welch ein Symptom von niederen Instinkten!

Der wahre Dichter, das fühle ich mehr und mehr, muß mit geschlossenen Augen durch dieses Leben gehn, und wenn er dichtet, muß er überhaupt abwesend sein.

Hier dichte ich nie. Hier bin ich der Sohn des Seifenfabrikanten Meyer und muß meine Seele martern lassen.

Es gab heute eine häßliche Szene mit meinem Vater. Ich soll ins Geschäft eintreten oder mein Referendarsexamen machen. Das eine ist so ausgeschlossen wie das andere. Ich bin zu differenziert für einen bürgerlichen Beruf. Träumen ist mein Teil, träumen und dichten.

Ich werde mit meinem mütterlichen Erbteil auf Reisen gehn.

München im Juni 1897.

Diese Stadt tut meinen Nerven weh. Die Straßen sind so weiß, die Menschen so dick, die Kunst so laut.

Ich sehne mich nach der Provence ... oder nach Griechenland ... oder nach dem grünen Eise dort oben ... im Norden ... sehr weit ...

Nur Nachts, im Englischen Garten, wacht meine Seele auf. Oh du Tempel Monopteros! Oh du Mond auf der Wiese! Oh ihr sehr schwarzen Bäume, wenn's dunkel ist ...

Oh! ... oh! ... oh ...

Meine Seele lallt sehr bange ...

Ich trage meinen überaus weichen Hut in der Hand und warte, gestützt auf meinen Stock aus südlichem Bambus, auf jenes Rauschen aus der Tiefe, das sehr dunkel ist, wie die Baumwipfel in dieser Nacht der heimlichen Sehnsüchte.

Ich warte ... sehr lange ...

Pfui! Zwei Menschen, aneinander klebend wie dicke, brünstige Raupen, kreuzen meine einsame Warte.

Im Innersten beleidigt, beschmutzt, gestoßen wanke ich an meinem bambusischen Stabe heim.

Wenn ich nicht so müde wäre, führe ich davon. Aber ich bin sehr müde.

Denn meine Augen müssen hier Bilder sehen, die nichts als noch einmal Leben sein wollen.

Diese Maler haben den Wahnsinn der schamlosen Farbe.

Wo ist das silberige Grau meiner Seele, das sehr dünn ist?