Unter allen Criminalprocessen, die in das Gebiet der Politik überspielen, hat keiner ein so welthistorisches Aufsehen erregt, als der, welcher vor dem englischen Parlamente gegen Warren Hastings, den gewesenen Generalgouverneur von Indien, geführt wurde. Die lange Dauer, die Wichtigkeit des Gegenstandes, die Schwere der Anschuldigungen, das hohe Tribunal, die großen weltberühmten Namen seiner Ankläger, das Mitleid und die Bewunderung auf der einen, der Haß und der Abscheu auf der andern Seite gaben ihm diese historische Bedeutung; aber sie ist um so merkwürdiger, weil dieser Proceß nicht die Lücken einer matten, interesselosen Zeit ausfüllte, wo der Sinn des Menschen nach aufregender Nahrung sucht, und wenn es an großen Thaten fehlt, mit großen Verbrechen zufrieden ist. Nein, er spielte zu einer Zeit, wo ohnehin alle Gemüths- und Geisteskräfte angespannt wurden von Erscheinungen und Fragen, welche die alten Staaten und Königreiche in ihrem Innersten erschütterten und der Welt eine neue Gestalt gaben. Der Proceß, in seinem ersten Beginn, das ist in der üblen That selbst, hub an, als noch die europäische Politik in tiefem Gedankenfrieden schlummerte. Aber erst als Amerika aufgestanden war und die Ketten abschüttelte, die es an England banden, erhob sich die Anklage gegen den Mann, dessen Thaten oder Verbrechen so groß erschienen, daß, es ist nicht zu viel gesagt, das verlorene Amerika in England über Warren Hastings' Proceß vergessen wurde. Mit ungemeiner Bitterkeit ward er Jahre hindurch geführt, lange der einzige, wenigstens erste Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit, bis ein neues, gewaltigeres Weltdrama, die französische Revolution, sie nicht gerade von ihm ablenkte, aber durch ihre Erschütterungen doch verursachte, daß man den minder wichtigen Hader um Vergangenes wegen der Ungeheuern Fragen der Gegenwart und Zukunft schneller austrug, als es sonst der Fall gewesen wäre. Aber auch da, als man, bald nach der Schreckensherrschaft in Frankreich, um mit der Sache nur fertig zu werden, Warren Hastings freisprach, war der moralische Proceß nicht eigentlich zu Ende. Noch einmal, 1813, trat der Greis ins öffentliche Leben, und hier erst, als er zufällig im Parlament erschien, erfolgte durch eine allgemeine Acclamation die Ehrenerklärung der Nation als letzter Act der Untersuchung.
Und nicht England allein nahm diesen lebendigen Antheil. Der Proceß ward ein Gemeingut der gebildeten Welt; selbst damals, als der Sinn für öffentliches Leben tief begraben in den vergessenen Erinnerungen einer andern Vorzeit ruhte, waren Warren Hastings und seine Verfolger der Gegenstand der Neugier und Unterhaltung unter unsern Vätern. Man haßte ihn auch in Deutschland als den furchtbaren Tyrannen, und man bewunderte auch unter uns den großen Staatsmann und seufzte um seine Freisprechung.
Ein Proceß, welcher solche Wirkungen hervorbrachte, mußte einen Stoff haben, der das allgemein menschliche Interesse in höherm Grade als eine Criminalgeschichte in Anspruch nimmt, die nur das Gefühl und den Verstand anregt, aber wenn der Schauer vorüber und die ernsteren Fragen gelöst sind, ihre Anziehungskraft verliert. Processe dieser Art kannte eigentlich nur die alte Welt, und auch hier nur das alte welterobernde Rom, das seine Proconsuln in die unterworfenen Länder aussandte; und wenn sie zu arg wirtschafteten, wenn die Klagen der Unterdrückten zu laut schrieen, alsdann traten Ankläger wider sie auf, und das römische Volk entschied, nicht darüber, ob sie eigennützig und gewaltthatig gewirthschaftet, denn das ließ sich vom Begriff eines Proconsuls nicht trennen, wol aber darüber, ob ihr Regiment von solchem bösen Scheine gewesen, daß das römische Volk, seiner eigenen Majestät willen, dazu das Auge nicht zudrücken dürfe. Zeugen wurden dann vernommen, Reden und Gegenreden ertönten auf dem Forum, und das Volk entschied, je wie der Angeklagte unter den herrschenden Parteien mehr Freunde oder mehr Feinde hatte, gegen oder für ihn.
Hastings' Proceß war nicht der erste der Art in England; kurz vor ihm war ein ähnlicher gegen einen andern Gouverneur in Ostindien, gegen den Lord Clive, geführt worden. Aber ungleich wichtiger war dieser zweite, weil es sich um die Frage handelte: ob große Verdienste in der Politik einen Anspruch geben, daß die strafende Gerechtigkeit über große Versündigungen hinweggehen dürfe?
Warren Hastings war der eigentliche Schöpfer der heutigen Macht der Briten in Ostindien; er hatte sie mehr als einmal vor vernichtenden Angriffen gerettet, er hatte ihrer Herrschaft so viel Länder und Fürsten unterworfen, daß es ein Reich wurde, größer als das der vereinigten Inselreiche, größer als das Mutterland selbst, dies war seine That; sein Verbrechen waren die Mittel und Wege, die er dazu angewandt. Das Reich aufzugeben, das er für sie erworben, fiel keinem Engländer ein, aber die Art zu misbilligen, wie es erworben war, schien Vielen eine Pflicht der Pietät, vielleicht aus einer Art abergläubischer Eingebung, um den Fluch abzuwenden, der auf solcher Erwerbung lastet.
Der Proceß gegen Hastings war, gleich jenem auf dem römischen Forum, ein rein politischer Proceß. Weder die Satzungen, noch die Formen des bürgerlichen Rechts haben hier Gültigkeit. In diesen Regionen existirt weder ein Gesetzbuch, noch eine Proceßordnung; wer die Macht hat, entscheidet nach seinem Willen und Gewissen, unbeschränkt von den mehr oder mindern Rücksichten, die jede irdische Macht zu beobachten hat. Die allegirten Gesetze, die gewählten Formeln sind ein Spiel, womit die höchsten Richter das Publicum unterhalten, oder ihr eigen Gewissen beschwichtigen. Es ist, wie in der Politik und Geschichte selbst, wo auch kein Codex des Völker oder Naturrechts ausreicht, um festzusetzen, was dafür gelten soll; der Erfolg allein dictirt das Recht, die Machthaber wählen unter allen Formen und Satzungen; die ihnen beliebigste ist die gültigste. Nicht im Buchstaben des Gesetzes ruht daher für den Unschuldigen in diesen politischen Processen eine Bürgschaft, sie ist allein für ihn da, wo das Verfahren öffentlich ist, wo Richter und Machthaber unter der Controle der moralischen Macht stehen, welche den Spruch in letzter Instanz fällt. Wo die eine Rücksicht ihnen vor Augen steht, ihr Verdict darf nicht gegen das allgemeine Gefühl, gegen Sitte und Vernunft verstoßen. Darum ging Struensee unter, auch angeklagt um Verbrechen, für die es keine Gesetze gab, weil er im Verborgenen gerichtet wurde, und seine Feinde die Saat des Hasses ungestört unter dem Volke ausstreuen konnten. Glücklicher Warren Hastings, dessen Proceß vor den Augen des ganzen englischen Volkes, ja der ganzen Welt geführt wurde; und das Volk, das das Schlimmste von ihm erfuhr, daß er menschlich schwer gefehlt, erfuhr zugleich durch die Procedur, wo auch seine Verfolger menschlich fehlten in ihrem zu weit getriebenen, rücksichtslosen Grimm. Es compensirte endlich, als es durch die lange Dauer des Processes den Angeklagten für genug gestraft hielt, seine Fehler mit seinen Tugenden und seine Uebertretungen mit den Uebertretungen seiner Gegner. Erst als das ganze Publicum nach einer zehnjährigen Untersuchung ihn – ich sage nicht für unschuldig, aber – für straflos erklärte, sprach auch das Parlament das Urtheil aus, welches in seinem Wesen mehr einer Begnadigung, als einer Freisprechung gleichkam. Es war der Gerechtigkeit genügt, und die segensreichen Folgen hat die Nachwelt geerntet.
Ueber zehn Jahre im Wesentlichen und über sieben Jahre in der formalen Behandlung währte Hastings' Proceß. Unsere Aufgabe, den Fall in unsere causes celèbres einzureihen, würde weit die ihr gestellten Grenzen überschreiten, wollte sie, wie in andern Criminalfällen, den Hergang der Gerichtsverhandlungen, alle Acte, den Fortschritt der Ermittelungen und der Defensionalpunkte berichten. Dazu gehörten Bände, nicht ein Aufsatz. Auch den Richtern wuchs die Aufgabe so über den Kopf, daß sie zuletzt ein sinnreiches Verfahren einschlugen, um nur mit der Sache fertig zu werden. Sie ist fertig in der Geschichte, und über die Hauptthatsachen dürften wenig Zweifel mehr obwalten. Auch wir halten uns daher für berechtigt, hier sogleich mit dem historischen Zusammenhang anzufangen, wie er nach den glaubwürdigsten Zeugen feststeht, – er enthält die Haupt-Thatsachen der Anschuldigung und der Vertheidigung – und die formalen Proceßacte an ihrer Stelle nachzuschicken. Die Literatur über den Proceß Hastings' ist sehr reich; es bedarf aber kaum der vergessenen Werke, da ihr Inhalt bereits in der englischen Geschichte selbst lebt. Als unvergeßliche Zeugnisse werden die weltberühmten Reden der Ankläger für alle Zeiten Bedeutung haben. Sheridan's funkelnde Beredtsamkeit hat sich nie zu gleich kühnem Schwunge erhoben; aber Edmund Burke's Reden als Hastings' Ankläger sind die anerkanntesten Muster und Meisterwerke parlamentarischer und gerichtlicher Beredtsamkeit, Zeugnisse, wie auch Haß und Entrüstung begeistern können und Werke hervorbringen, welche an Vollkommenheit mit den Vorbildern der Classiker den Vergleich nicht zu scheuen haben. Auch Deutsche traten als Zeugen über den Proceß auf, und Georg Forster ist kein unbedeutender, was die letzten Acte desselben betrifft. Von einem Geistlichen, Gleig, sind vor Kurzem Memoiren über Hastings' Leben, aus Originalpapieren gesammelt, erschienen. Aus der Masse mehr oder minder wichtiger Documente geht indeß nicht mehr zur Aufklärung über Hastings' Thaten und Charakter hervor, als wir schon wissen, nur daß der Sammler sich gedrungen fühlt, in einen unmäßigen Lobeshymnus über den Verkannten auszubrechen. Ungleich wichtiger ist eine Abhandlung über Hastings' in einem neueren Hefte des Edinburgh review, von der Feder eines ausgezeichneten Schriftstellers, in dem man einen der ersten Gelehrten und Parlamentsredner Englands, der selbst einige Zeit als Generalgouverneur in Indien gelebt, zu erkennen glaubt. Unter der Form einer Kritik jenes Werkes gibt er die zusammenhängendste Geschichte Hastings' und seines Processes, aus Archiven, Druckschriften und eigener Anschauung des Schauplatzes seiner Thaten, und mit einer Deutlichkeit und Kritik, daß dem Leser kaum etwas zu wünschen übrig bleibt. Es ist dieser Aufsatz, dem wir im Ganzen bei unserer Darstellung folgen werden.
In der Dorfschule zu Daylesford in Worcestershire saß, etwa um die Zeit, als Friedrich der Große den Thron seiner Väter bestieg, ein Knabe auf der Bank, wo die andern Bauersöhne saßen, in derselben groben Jacke, oft wol auch barfuß, wie sie. Er aß mit ihnen dasselbe Brot, lernte dieselbe Wissenschaft und spielte dieselben Spiele. Nur fleißiger war er als die Meisten, und mancher Bauer schüttelte den Kopf über den kleinen Warren, was der zusammenlese! Aber daß dem armen Kinde, welches das Gnadenbrot seiner Verwandten zehrte, große Dinge bevorständen, konnte Niemand in den Sinn kommen.
Daß er von besserer Abkunft war, wußte man wol, aber sie war längst verdunkelt durch Armuth und Unglück. Das alte graue Herrenhaus von Daylesford hatte seinen Vorfahren gehört. Die Erinnerung mochte aber eher zum Spott Anlaß geben, denn es war nicht die geringste Aussicht für die Familie, ihr ehemaliges Besitzthum wieder zu gewinnen, vielmehr ging sie schon seit Jahrhunderten und mit immer raschern Schritten der Zeit entgegen, wo sie sich, wie so viele jüngere Zweige alter Häuser, im Volke verlieren mußte.
Der junge Warren war der Sohn eines Taugenichts, Pynaston Hastings, der sich schon in seinem sechzehnten Jahre verheirathet hatte. Vater und Mutter waren, vermuthlich zu ihrem Glücke, schon gestorben, als ihr Kind noch in der Wiege lag, und dieses war seinem armen alten Großvater zur Erziehung anheimgefallen. Dieser Großvater hatte die Pfarrei in Daylesford; eine letzte Verleihung, welche der letzte Hastings, der das wüste Herrenhaus von Daylesford besaß, zu Gunsten seines Sohnes gemacht, ehe er, von Schulden gedrängt, das Haus und was noch daran hing, einem Kaufmann aus London verkaufen mußte. Der reiche neue Eigenthümer plagte den armen Pfarrer, dessen Stelle an und für sich schlecht war, dem er aber auch noch aus Uebermuth die Zehenten vorenthielt. Warren's Großvater starb später als völlig ruinirter Mann durch die Processe mit seinem Gutsherrn.
Vielleicht auch an gebrochenem Herzen, wenn er der ehemaligen Größe seines Hauses gedachte; denn die Erinnerung und der Stammbaum waren nicht mit dem Reichthume verwischt. Die Hastings rühmten sich uralter Abkunft, sogar von einem dänischen Seekönige wollten sie abstammen, der durch lange Jahre das Schrecken der englischen Küsten gewesen war. Doch auch in der beglaubigten Geschichte Englands werden verschiedene ihrer Mitglieder mit Ruhm genannt und trugen hohe Ehren und Würden. Die Tudor's, deren treue Anhänger sie gewesen, verliehen ihnen die Grafschaft Huntingdon. Die Hastings von Daylesford galten als das Haupt dieser in viele Zweige zersplitterten Familie. Sie waren bis zu den Bürgerkriegen sehr reich und in hohem Ansehen, obgleich, wie das häufig bei den großen Familien der Gentry zutrifft, ihnen keine aristokratischen Titel und Kronen zugefallen waren. Möglich auch, daß sie diese neuern Ehren aus altem Adelsstolze verschmäht hatten. Aber im Bürgerkriege hatte sich der damalige Besitzer von Daylesford als ein zu eifriger Cavalier gezeigt; er hatte sein Silbergeschirr zu Geld für die königliche Armee münzen lassen, und nachdem er sein halbes Vermögen für die Sache der Stuart's geopfert, war er froh, mit der andern Hälfte durch Bestechung sein Leben zu erkaufen, als das Parlament gesiegt hatte.
Von da ab datirte der Verfall der Hastings von Daylesford; aber der Knabe Warren dachte in seinen Holzschuhen und bei seinem Trockenbrot, wenn er an den Mauern des Herrenhauses vorüberging, nur an die Zeiten, als in den Hallen unter Herrlichkeit und Feudalglanz seine Väter auf ihrem Rechte saßen. Träumerisch ging er auf den Feldern umher und maß die Grenzen mit seinen Schritten, auf denen sie einst geherrscht, und nichts hörte er lieber, als die Erzählungen alter Leute von der vergangenen Zeit. An einem schönen Sommerabend 1740, er war etwa sieben Jahre alt (Warren Hastings wurde am 6. December 1732 geboren), lag er am Ufer des Baches, welcher durch die Besitzungen seiner Väter sich windet. Da stieg in seinen Phantasien ein Traumbild auf, ein riesenhafter Gedanke des armen Knaben: sein Leben solle bestimmt sein, diese Besitzungen wieder zu sammeln; er wolle als Hastings von Daylesford sterben. Siebenzig Jahre später erzählte Warren Hastings mit Wohlgefallen Allen, die es hören wollten, seinen damaligen Vorsatz, und das Merkwürdige ist nicht sowol, daß er durch Noth und Kümmerniß daran festhielt, sondern daß er diesem Traume noch lebte, als Glück und Verdienst ihn schon weit über diese bescheidenen Wünsche hinausgetragen hatten. Als Herr von Indien, als ein anderer Alexander, als ein König oder Sultan über 50 Millionen Menschen, die sich vor ihm in den Staub warfen, blieb es noch immer sein schönstes Lebensziel, Herr und Gebieter der Herrschaft von Daylesford zu werden. In diesem kleinen Vorfall spiegelt sich doch schon ein Zug seines Charakters, der ihn sein Leben hindurch begleitet: seine ruhige und durch Nichts zu überwindende Willenskraft.
Sein Oheim, Howard Hastings, der eine Anstellung in London hatte, nahm Warren in dessen achtem Jahre dahin, um ihm auf seine Kosten eine gelehrtere Erziehung zu geben. In der Schule von Newington lernte er ziemlich, aber bekam – sie war zugleich Pensionat – zu wenig zu essen. Hastings schrieb seine magere Statur auf Rechnung dieser magern Beköstigung. Mit dem zehnten Jahre in die Westminsterschule gebracht, schloß er mit dem nachmals berühmten Dichter Cowper die innigste Freundschaft, die weder die Zeit, noch ihre verschiedenen Ansichten trennen konnte. Cowper schwor so zuversichtlich auf seinen Freund, daß, als später das allgemeine Geschrei gegen den blutdürstigen, habsüchtigen Tyrannen sich erhob, der scheue und verschlossene Poet zu Jedem sagte, das sei ganz unmöglich, denn seinen Warren Hastings kenne er von außen und innen, und er sei der gutmüthigste Bursch, der keinem Wurm ein Leids anthun könne! So hatte Cowper unter Beten, Singen und Dichten in seiner kindlichen Zurückgezogenheit die Unschuld seiner Kinderjahre sich erhalten, daß er, dem das Gespenst der Erbsünde beständig als ein Schreckbild vor Augen schwebte, es doch nicht faßte, daß der Drang der Umstände einen edlen Geist vom Pfade des Rechten forttreiben könne.
Die nachmals in der Literatur berühmt gewordenen Churchill, Colman, Lloyd und Cumberland waren ebenfalls seine Schulcameraden; auch ein gewisser Elijah Impey, bestimmt, später eine bedeutende, aber verderbliche, Rolle in seinem Leben zu spielen.
Warren war ein vortrefflicher Schwimmer, Schiffer und Schüler. Bei allen Prüfungen war er der Erste und der Liebling des ausgezeichneten Rectors der Schule, Dr. Richots. Sein Name glänzte schon mit goldenen Buchstaben, als Prämie seiner Verdienste, an der Mauer des Schlafzimmers, und eben wollte er, was wir nennen, zur Universität abgehen, als sein Oheim Howard starb, und mit diesem alle seine Aussichten auf eine gelehrte Laufbahn. Zwar hatte der Oheim die Sorge für den Neffen einem Mstr. Chiswick zur Pflicht gemacht, der sich auch derselben in soweit unterzog, daß er ihm eine Anstellung als Schreiber bei der ostindischen Compagnie verschaffte, aber durch Nichts zu bewegen war, ihn länger bei seinen Studien zu lassen. Umsonst bot sich Dr. Richots an, er wolle auf seine eigenen Kosten Warren in Oxford studiren lassen; Mstr. Chiswick war froh, durch einen Dienst, der ihm nichts als ein Wort gekostet, seiner Last überhoben zu werden, und schickte im Januar 1750 sein kaum 17jähriges Mündel nach Kalkutta, gleichviel, ob aus ihm etwas dort werde, oder das Fieber ihn fortraffe. Er war ihn losgeworden.
Im October des nämlichen Jahres kam der Jüngling in dem heißen Lande an, ohne an seiner Gesundheit zu leiden. Man stellte ihn an ein Pult, und er mußte zwei Jahre hindurch im Dienste der Compagnie Posten ein- und umschreiben und Frachtbriefe ausfertigen. Dies die Schulstudien, durch welche die Compagnie ihre Staatsmänner bildet; denn Fort William bei Kalkutta war dazumal eine bloße Kaufmannsniederlassung und die Beamten lebten im tiefen Frieden, während auf der westlichen Halbinsel, im Süden Indiens, die englischen Factoreien in Reibungen und im Kampfe mit den Franzosen waren, ein Umstand, der die jungen Kaufmannsdiener in Diplomaten und Offiziere, ja in Generale verwandelte.
Nachdem er zwei Jahre in Kalkutta Rechnungen geschrieben, mußte er den Huglystrom hinauf in eine andere Factorei der Engländer, Kossimbazar, am Ganges, wo viel Betriebsfleiß der Eingeborenen und Handel mit den Briten war. Der Ort hatte in jener Zeit einige Bedeutung, indem er eine Art Vorstadt der größern Fürstenstadt Murschedabad bildete, wo der Nabob von Bengalen, dem Namen nach vom Großmogul abhängig, in Wirklichkeit aber souverain, seine Residenz hatte und über die drei großen Provinzen, Bengalen, Orissa und Bahar, herrschte. Warren Hastings mußte hier die Seideneinkäufe für die Compagnie besorgen und Contracte mit den Producenten schließen, ein Geschäft, welches ihm, da er mehre Jahre darauf zubrachte, die Gelegenheit verschaffte, Charakter, Sitten und Verhältnisse der Eingeborenen näher zu studiren.
Hier sollte sich für ihn auch die erste Gelegenheit zeigen, seine diplomatischen Talente zu entwickeln. Der neue Fürst von Murschedabad, Suradscha Daula, erklärte den Engländern den Krieg. Die kleine, vertheidigungslose Factorei von Kossimbazar ward im ersten Augenblicke genommen und Hastings gefangen nach Murschedabad geschleppt. Der Nabob marschirte gerade auf Kalkutta los, wo der Gouverneur und der Commandant entflohen. Stadt und Citadelle wurden genommen und die Mehrzahl der englischen Gefangenen verschmachteten in der bekannten schwarzen Höhle.
Der Gouverneur und sein flüchtiger Anhang hatten sich auf die Insel Fulda in der Mündung des Hugly zurückgezogen. Von hier war einstweilen durch offene Gewalt Nichts, aber viel durch geheime Unterhandlungen zu bewirken. Hastings hatte in Murschedabad, durch Verwendung der Beamten der holländischen Compagnie, ein sehr erträgliches Gefängniß; er konnte nicht allein frei umhergehen, sondern Ohr und Auge wurden ihm nicht verstopft und verbunden, um nicht die innern Verhältnisse des Nabobstaates zu belauschen. Die Herrschaft des mächtigen Tyrannen stand auf so hohlem Grunde, wie die meisten Herrschaften asiatischer Despoten. Während derselbe einen siegreichen Feldzug gegen die äußern Feinde geführt, wurde an seinem eigenen Hofe eine Mine gegraben, um ihn in die Luft zu sprengen. Hastings hatte Zutritt zu den Versammlungen der Verschwörer; er berichtete darüber dem Gouverneur auf der Insel, er empfing dessen geheime Botschaften und agirte als der geschickteste Diplomat. Indessen kam das Complott zu früh an den Tag und Hastings mußte eiligst entfliehen.
Das Häuflein Engländer auf der Insel Fulda erhielt jedoch jetzt Hülfe von außen durch den jungen Robert Clive, welcher mit Schiffen und Mannschaft von Madras ankam. Hastings ergriff, gleich den andern jungen Männern im Dienste der Compagnie, die Muskete. Clive, der, jetzt ein tüchtiger und glücklicher Feldherr, auch als ostindischer Kaufmannsdiener seine Laufbahn begonnen hatte, erkannte in Hastings bald einen Mann, der mit seinem Kopfe der Compagnie bessere Dienste leisten würde, als mit seinem Arme. Nach der Schlacht von Plassey erfolgte der schon längst vorbereitete Sturz des Suradscha Daula, und als Mir Jaffier zum Nabob von Bengalen erhoben war, wurde Hastings als diplomatischer Agent an dem Hofe desselben bestellt.
Bis 1761 blieb er auf diesem Posten, worauf er ein Mitglied des Rathes von Indien ward. Ueber seine Wirksamkeit hier ist wenig bekannt; desto mehr leider über die traurigen allgemeinen Verhältnisse des Landes unter dem Vansittart'schen Gouvernement, welches dem Robert Clive's folgte. Der wohl von Indiens Verhältnissen unterrichtete Brite entwirft uns darüber in kurzen schlagenden Zügen folgendes Schreckensbild:
»Vansittart, an der Spitze eines neuen Reiches, für das noch keine Ordnung, keine Satzungen bestanden, hatte die besten Absichten; aber für die Aufgabe war er zu schwach. Auf der einen Seite fand er eine Bande englischer Beamten, kühn, frech, kenntnißreich und alle begierig, reich zu werden; auf der andern eine ungeheure einheimische Bevölkerung, scheu, furchtsam, hülflos und gewohnt, unter jeden Druck sich zu schmiegen. Die stärkere fremde Partei davon abzuhalten, daß sie sich nicht über die schwächere warf, um sie auszusaugen, bedurfte es der ganzen Energie eines Clive. Vansittart war dazu nicht der Mann. Die Kaste der Herrscher war von allem Zwange befreit und eines der entsetzlichsten Schauspiele zeigte sich, die physische und geistige Macht der Civilisation, losgelassen auf ein unterdrücktes Volk, ohne ihre Milde. Gegen jeden andern Despotismus gibt es einen Widerstand, der seine volle Kraft hemmt; ein unvollkommener allerdings, einer so ungestümer Art, daß er oft das Uebel schlimmer macht, aber dennoch schützt er die menschliche Gesellschaft vor dem letzten Elend. Es kommt eine Zeit, wo Jeder einsieht, daß die Uebel des Druckes größer sind, als die, welche der Widerstand mit sich bringt, wo die Furcht selbst muthig wird; wenn der convulsivische Ausbruch der Wuth und Verzweiflung die Tyrannen warnt, nicht allzusehr auf die Geduld eines Volkes zu bauen. Aber gegen die Leiden von oben, welche Bengalen damals drückten, war es unmöglich, zu kämpfen. Ihre überragende Intelligenz und ihre größere Kraft machte die herrschende Classe unwiderstehlich. Ein Krieg der Bengalesen gegen die Engländer wäre ein Krieg von Schafen gegen Wölfe, von Menschen gegen Dämonen gewesen. Der einzige Schutz der Armen war in dem Maße zu suchen, welches ihre Herren sich selbst setzten, in einer christlichen Milde, einer erleuchteten Politik. Dieser Schutz ward ihnen erst in der Folge. Wie sie die englische Macht kennen lernten, war es eine nackte, rohe, furchtbare Macht, ohne die englische Sittlichkeit. Erst spät kamen wir zu der Besinnung, daß wir gegen diese Völker nicht allein Rechte, sondern auch Pflichten hätten, die Pflichten, von denen keine Regierung sich lossagen darf. Bis wir zu dieser Ueberzeugung gelangt, war es die Aufgabe jedes Dieners der ostindischen Compagnie, so rasch als möglich durch Erpressungen gegen die Eingeborenen sich ein Vermögen von hundert oder einigen hunderttausend Pfund Sterling zu erwerben, um nach England zurückzukehren, ehe das gefährliche Klima die Gesundheit angegriffen hatte, alsdann eine Pairstochter zu heirathen, einen verrotteten Wahlflecken in Cornwallis zu kaufen und Bälle in St. James Square zu geben.«
Daß man von Hastings' Aufführung als Rath unter Vansittart's Gouvernement nichts weiß, spricht nur für ihn; denn die Anklage, welche nachmals Alles aufgriff, was nur einen Schatten von Vorwurf auf ihn werfen konnte, schweigt über diese Zeit. Mit moralischer Sicherheit darf man daher annehmen, daß Hastings in dieser Zeit Nichts gethan, was seinen Ruf beflecken konnte.
Der Grund seiner Integrität wird in seinem Charakter gesucht. Er war nicht gleichgültig gegen das Geld, aber er betrachtete es aus höherm Gesichtspunkte als ein Geizhals oder Räuber. Er handelte immer als Staatsmann und wußte die Vortheile des Geldes wohl zu schätzen, aber es war nirgend sein letzter Zweck. Wenn er es auch zu seinen Zwecken zu erwerben und Großes damit zu bewirken wußte, so verstand er doch nicht, als Oekonom es im Kleinen zu nutzen. Seine Leidenschaften und sein Ehrgeiz waren anderer Art.
Im Jahre 1764 kehrte Hastings das erste Mal nach England zurück. Sein erspartes Vermögen war für einen ostindischen Nabob sehr gering. Den Theil, welchen er mitbrachte, verschwendete er bald, zum Theil in lobenswerther Freigebigkeit gegen seine Verwandten; der andere Theil, welchen er auf hohe Zinsen in Indien zurückgelassen, ging verloren, weil auch dort der Satz gilt, daß hohe Zinsen keine große Sicherheit verrathen.
Hastings brachte ein Jahr in England zu; auch von diesem Zeitraume in seinem Leben weiß man wenig; doch ist es wahrscheinlich, daß er seine Muße fast ganz allein mit literarischen Studien verbrachte, namentlich denen der orientalischen Sprachen. Die Beamten der Compagnie pflegten nur so viel von denselben zu erlernen, als nothwendig ist, sich mit den eingeborenen Webern und Geldwechslern zu unterhalten. Er trieb die Sache mit wissenschaftlicher Vorliebe. Besonders war sein Sinn auf die persische Literatur und Sprache gerichtet, welche letztere noch jetzt im indischen Orient als die feinere Geschäfts- und die Sprache der gebildeten Welt gilt. Sein Bemühen ging sogar dahin, einen neuen und besondern Lehrstuhl für dieselbe auf der Universität Oxford zu errichten. Er conferirte deshalb mit dem berühmten Johnson, welcher aus den mit ihm gepflogenen Verhandlungen eine große Achtung für Hastings mitbrachte, wie aus Briefen hervorgeht, die er an den spätem Generalgouverneur nach Kalkutta richtete.
Hastings fand in England Nichts, was ihn anzog. Er war noch in voller Jugendkraft und verlangte nach einer angemessenen Thätigkeit. Ueberdem waren seine Mittel völlig erschöpft, geschweige denn, daß er damit eine Rolle hätte spielen können, welche seinem Ehrgeiz entsprach. Er kam deshalb bei den Secretairen der Compagnie um eine neue Anstellung ein, und diese, denen Nichts willkommener sein konnte, als einen so fähigen Mann wieder zu gewinnen, beeilten sich, ihm eine Anstellung als Mitglied des Rathes von Madras zu ertheilen.
Er schiffte sich im Frühjahre 1769 dahin ein, und zwar, dermaßen vom Gelde entblößt, daß er zur nöthigsten Equipirung eine Schuld aufnehmen mußte. Die Ueberfahrt war von Wichtigkeit für sein ganzes Leben. Es befand sich auf dem Schiffe ein deutscher Maler, ein Baron Imhoff, den die englischen Berichterstatter als einen armen Schlucker, trotz seiner Familienansprüche, darstellen. Er wollte nach Indien, um durch Ankauf von Götzenbildern und Skizzirung indischer Seltenheiten ein Geschäft in Europa zu machen. Er war verheirathet und führte seine Gattin mit sich, die, wie es hieß, in Archangel geboren, ein Kind der arktischen Zone, sich schwerlich in ihrer Wiege vorsingen lassen, daß sie dereinst als machtige Königin im indischen Orient in abgöttischer Verehrung Millionen von Asiaten zu ihren Füßen sehen sollte. Sie hatte einen gebildeten Geist und ihre Gestalt und ihr Wesen waren gleich einnehmend. Sie verachtete ihren Mann, und Hastings' Aufmerksamkeit für sie, sowie seine lebhafte, geistvolle und würdige Unterhaltung verfehlte nicht bald einen tiefen Eindruck auf ihr weibliches Herz zu machen. Der Aufenthalt auf einem Indienfahrer soll die beste Gelegenheit sein, um sich hassen oder lieben zu lernen. Die Langeweile wird unerträglich; bei der Hitze, dem Mangel an Raum und Bewegung weiß der Geistreichste sich nicht selbst zu beschäftigen. Jeder Fisch, jeder Vogel, jedes Segel, jede Wolke am Horizont ist ein Schauspiel, eine willkommene Abwechselung. Einige tödten die Zeit mit doppelten Mahlzeiten; wer nach geistigerer Nahrung sucht, zankt sich oder macht den Damen den Hof. Viele ernsthafte Feindschaften und viele ernsthafte Liebesverhältnisse sollen an Bord der Ostindienfahrer entsprungen sein. Gemeinschaftliche Noth und Gefahr rufen oft schlummernde Tugenden und Laster in ihrer ursprünglichen Gestalt, in ihrer vollen Schönheit und in ihrer vollen Häßlichkeit hervor, und beim Mangel der Ceremonien lernt der Mensch den Menschen hier in Wochen genauer kennen, als es beim ruhigen Laufe des gesellschaftlichen Lebens oft in Jahren geschieht.
Warren Hastings und die Baronin Imhoff wurden durch geistige Bande bald aufs Innigste zu einander gezogen; er der vollkommenste Gentleman, sie eine Dame, die durch Anmuth und Geist an jedem Hofe geglänzt haben würde. Er war durch keine andern Bande gefesselt, sie nur durch die an einen Mann, den sie verachtete, und der selbst es mit den Ehrengesetzen (wie der Engländer sagt) leicht nahm. Um das Verhältniß der Liebenden noch fester zu schlingen, wurde Hastings auf dem Schiffe krank. Die Baronin pflegte ihn mit unermüdlicher Sorgfalt und wachte in seiner Cajüte, wenn er schlief.
Hastings liebte die Baronin mit aller Gluth, deren er fähig war. Auch in diesem Verhältnisse spricht sich sein Charakter aus. Wie sein Haß, sein Ehrgeiz und seine übrigen Leidenschaften, war auch seine Liebe stark, aber nicht heftig. Sie war ruhig, ernst, geduldig, aber fest gegen alle Stürme und fest gegen die Einflüsse der Zeit. Beide Liebende und der Ehemann der Geliebten verstanden sich bald zu einem friedlichen Uebereinkommen. Mariane von Imhoff sollte auf Scheidung gegen ihren Gatten vor dem Gerichtshofe des fränkischen Kreises klagen, Hastings sollte die Kosten dazu vorschießen. Bis dahin, es konnten Jahre darüber vergehen, sollten die Imhoff's mit ihm leben. Wenn die Scheidung ausgesprochen wäre, würde Hastings Marianen heirathen, ihre Kinder von Imhoff adoptiren und – den Ehegatten mit reichlichen Geschenken für seinen Verlust abfinden. Als Verbrechen ward ihm dieser Pact nicht angerechnet, aber er gab Hastings' Feinden nachmals unerschöpflichen Stoff, seine Moralität anzugreifen.
In Madras fand Hastings die Handelsangelegenheiten im schlimmsten Zustande, wie sich das erwarten ließ, wo die Kaufmannsdiener Soldaten und Politiker geworden. Seine eigene Neigung zog ihn ebenfalls mehr zu großartigen politischen, als zu kaufmännischen Unternehmungen; wenn er indessen den Beifall seiner Machtgeber, der ostindischen Directoren, sich erhalten wollte, mußte er Hand anlegen, die Handelsgeschäfte zu verbessern, denn der Werth eines Beamten stieg und fiel in ihrer Ansicht nach den Zusendungen aus Indien an Geld und Waaren, und demnächst nach den Dividenden, welche sie den Actionairen auszahlen konnten. Auch auf diesem Felde verfuhr er mit Energie und Geschick. Er ward aus London höchlich belobt und zur Belohnung schon nach zwei Jahren (1772) an die Spitze des Gouvernements von Bengalen berufen. Die Imhoff's, noch immer nicht geschieden, begleiteten ihn nach Kalkutta.
Die Verfassung Indiens, wenn dieser Name auf die dortigen verworrenen Verhältnisse überhaupt paßt, war damals eine völlig anomale, welche für die Dauer nicht bestehen konnte. Es gab eine doppelte Macht, eine wirkliche und eine, welche den Schein hatte. Die wirkliche war in den Händen der Compagnie, eine der aller despotischsten, die nur gedacht werden mag. Gar kein Hemmniß war da für die englischen Gebieter, wenn nicht ihr eigenes Rechtsgefühl und ihre eigene Humanität. Von verfassungsmäßigen Rechten war keine Rede; ein gesetzlicher Widerstand gegen ihre Willkür war unmöglich.
Aber trotz dieser unumschränkten Macht, hatte die Compagnie es doch noch nicht gewagt, den Titel der Souverainetät anzunehmen. Das Gefühl der Orientalen mußte geschont werden. Noch saß der Mogul auf seinem Throne zu Delhi, dem Namen nach der Herrscher über die vielen Reiche, deren keines ihm mehr gehorchte. Die Compagnie besaß ihre Länder als Vasallen von ihm, ihrem Lehnsherrn; die Steuern trieb sie ein als seine Commissarien, und die Münzen, welche sie prägte, trugen seinen Stempel.
Außerdem residirte in Murschedabad noch immer ein Nabob von Bengalen, zu dem die Compagnie sich in ein Verhältniß gesetzt hatte, wie die Hausmeier der Franken zu den letzten merowingischen Königen. Fürstlicher Glanz umgab ihn, sein Name prangte in allen Verordnungen; in Wirklichkeit aber hatte er weniger Einfluß, als der letzte Schreiber der Compagnie. Diese, als eine moralische Person im juristischen Sinne, war des Nabobs Major-Domus; in allen auswärtigen Angelegenheiten, in den Verhandlungen mit Fürsten und Völkern handelte sie selbst unmittelbar von Kalkutta aus, ohne der Sache einen andern Mantel umzugeben, als den Namen des Schattenfürsten. Dahingegen mochte sie zu jener Zeit sich mit der innern Verwaltung noch nicht abgeben. Diese überließ man dem Nabob, das heißt jetzt auch nur noch dem Namen nach; denn man bestellte dem Fürsten einen Premierminister aus der Zahl der Eingeborenen, der zu Murschedabad seinen Sitz und, außer der Administration, alle ceremonielle Angelegenheiten und das Hausministerium unter sich hatte.
Dieser Unter-Major-Domus war indessen eine wichtige Person, und das Amt wurde von den Eingeborenen, so Hindu als Muselmännern, mit Eifer gesucht, denn sein eigener Gehalt erreichte beinahe die Summe von 100,000 Pf. Sterling; außerdem aber ging die ganze Civilliste des Nabob, die von der Compagnie auf 300,000 Pf. Sterling festgesetzt war, durch seine Hände. Und für die Verwendung dieser großen Summen, für die Eintreibung der Steuern, für die Administration der Justiz und Policei war er keinem Andern verantwortlich, als den Engländern!
Hastings' Vorgänger im Generalgouvernement von Kalkutta, Clive, hatte vor sieben Jahren zwischen zwei Rivalen zu diesem Amte zu entscheiden gehabt, und die Auswahl war ihm nicht leicht geworden. Die beiden Bewerber waren zugleich die Vertreter der zwei Religionen und Stämme, welche vor der Zeit der Engländer um die Herrschaft in Indien stritten, ein Mohammedaner und ein Hindu, Beide von hohem Ansehen unter den Ihrigen.
Der Mohammedaner war Mohammed Reza Khan, von persischer Abkunft, ein sehr geschickter, thätiger Mann, vollkommen für den Posten geeignet. Als sehr fromm im Sinne seiner Landsleute, erfreute er sich der größten Achtung unter denselben. »In England würde er vielleicht für einen verderbten, habsüchtigen, politischen Charakter gegolten haben; nach dem Maßstabe der indischen Moralität mußte man ihn für einen Mann von Unbescholtenheit und Ehrgefühl anerkennen.«
Der Hindubewerber war ein Brahmine, der Maharadscha Nuncomar; ein Mann, bei allen Revolutionen betheiligt, welche seit des Nabob Suradscha Daula Zeiten in Bengalen stattgefunden. Auch er stand in hohem Ansehen bei den Seinen, weil seine Kaste eine der ersten und reinsten war, und er mit dieser hohen Geburt Reichthum, Talente und eine große Erfahrung verband. Ueber seinen moralischen Charakter gibt uns unser Gewährsmann eine eigene Schilderung, aber er bevorwortet sie, daß man an keinen Orientalen den Maßstab europäischer Tugenden legen darf. Unter allen Hindu ist der Bengalese der weichlichste, schwächlichste, verachtetste, zu dem man am wenigsten Vertrauen hat. Schon seine physische Constitution ist mehr als weichlich, weibisch. Er lebt eigentlich in einem beständigen Dampfbade. Von den zartesten Gliedmaßen, ist sein ganzes Wesen der Ruhe hingegeben, jede Bewegung ist ihm eine Anstrengung. So lange Jahre hindurch ist er von Stämmen kräftigerer Natur mit Füßen getreten worden. Daher sind Muth, Unabhängigkeitssinn, Wahrheitsgefühl ihm fremde Eigenschaften geworden. Sein Geist ist seinem Körper ganz analog geworden. Er ist bis zur Hülflosigkeit schwach bei allen Dingen, die einige Anstrengung erfordern; aber er ist dabei so feinfühlend und von so richtigem Tact, daß der Europäer ihn oft bewundern muß, während er ihn verachtet. Alle die kleinen Künste, welche die Waffen der Schwachen und Getretenen gegen die Starken sind, kennt er aus dem Grunde. Was die Hörner dem Büffel, was die Klaue dem Tiger, was der Stachel der Biene, was die Schönheit, nach der griechischen Mythe, dem Weibe ist, das ist dem Bengalesen der Betrug. Ungemessene Versprechungen, süße Ausreden, die ausgearbeitetsten Gewebe von Lügen und Intriguen, Chicanen jeder Art, falsche Eide, falsche Zeugen, falsche Documente, das sind die Waffen, deren sich das Volk am untern Ganges zum Angriff und zur Vertheidigung bedient. Alle diese Millionen liefern der Armee der Compagnie nicht einen Sipoy. Aber als Geldwechsler, Wucherer und raffinirte Ausleger des Gesetzes vor den Gerichten suchen sie ihres Gleichen.
Bei aller seiner Sanftmuth ist der Hindu doch nichts weniger als zur Versöhnlichkeit gestimmt, noch zum Mitleid geneigt. Er ist ausdauernd in allen seinen Vorsätzen; er weicht nur der Furcht, und auch da nur der unmittelbaren Drohung. Bei alle Dem hat er eine gewisse Art von Muth, worin er sogar seine Meister und Herren hinter sich zurückläßt. Bei einem unvermeidlichen Uebel unterwirft er sich mit einem stoischen Gleichmuthe Dem, was nicht zu vermeiden ist. Ein europäischer Krieger stürmt mit lautem Hurrah auf die Batterie, welche ihm den sichern Tod droht, aber er mag unter dem Messer des Wundarztes aufschreien und vielleicht in Agonie verfallen, wenn ihm der Tod angekündigt wird. Der Bengalese wird gelassen zusehen, daß sein Vaterland erobert, sein Haus in Asche gelegt wird, daß man seine Kinder ermordet und entehrt, ohne in den meisten Fällen den Muth zu haben, nur seinen Arm aufzuheben. Aber viele Beispiele beweisen, daß er die Torturen wie ein Mucius Scävola erträgt, und diese Geschichte selbst bekundet, wie er mit festen Schritten und dem ruhigsten Pulse auf das Schaffot zu steigen und dem Tode mit der Ruhe, würdig eines Helden des Alterthums und eines Christen, ins Auge sehen kann.
Wie der Bengalese sich zu den übrigen Hindu verhält, so verhielt sich Nuncomar zu seinen Landsleuten. Der Nationalcharakter hatte sich in ihm bis zur Uebertreibung ausgeprägt. Von den Beamten der Compagnie war er mehre Mal auf den allerabscheulichsten Intriguen und Betrügereien ertappt worden. Einst hatte er eine falsche Anklage gegen einen andern Hindu vor Gericht gebracht und suchte sie durch verfälschte Documente zu beweisen. Ein andermal konnte man ihm nachweisen, daß, während er die innigste Treue und Hingebung gegen das englische Interesse heuchelte, er sich in die verschiedensten Verschwörungen gegen die Compagnie eingelassen und sie befördert hatte. Er war der ermittelte Unterhändler zwischen dem Hofe von Delhi und den französischen Behörden in Pondichery gewesen, welche die Bekriegung und Vertreibung der Engländer zum Zwecke hatte. Dafür und um anderer Vergehungen willen hatte er lange im Gefangniß gesessen; aber bei seinen vielfachen Verbindungen war es ihm gelungen, wieder loszukommen, und er hatte nicht allein seine Freiheit, sondern auch eine Art Ansehen bei den englischen Behörden wieder gewonnen, als ein Mann von außerordentlichen Talenten und einem Einfluß und Kenntnissen, die man bei andern Gelegenheiten wieder brauchen könnte.
Danach sollte man meinen, daß dem Gouverneur Clive die Wahl zwischen ihm und Reza Khan nicht hätte schwer fallen sollen. Wie konnte er einem notorischen Verräther und Verbrecher und einem Charakter von solcher Unzuverlässigkeit ein so wichtiges Amt anvertrauen! Aber auf der andern Seite war und ist es noch heut die Politik der Engländer in Indien – man denke an Lord Ellenborough's Proclamation über die Thore von Somnauth – die Hindu vor den Mohammedanern zu begünstigen. Die Briten wollen als Rächer alter Unbill, als Wiederhersteller früherer Zustände, ihrem eignen Interesse ein moralisches Siegel aufdrücken. Aber einen Mann von so notorischer Schlechtigkeit zum Premierminister einzusetzen, konnte Clive nicht über sich gewinnen. Nach langem Widerstreben hatte er daher, rechtlich und klug handelnd, Mohammed Reza Khan die wichtige Stellung übertragen.
Der Mohammedaner also war Minister und bereits sieben Jahr im Amte, als Hastings Gouverneur wurde. Zugleich war er Vormund des unmündigen Kindes, welches damals, ein Sohn Mir Jaffiers, die Nabobwürde geerbt hatte. Aber in diesen sieben Jahren hatte Nuncomar nicht nachgelassen seinen Gegner zu unterminiren; seinen Künsten war es endlich gelungen, Clive's Administration kam ihm zu Hülfe. Der Gouverneur konnte nicht so viel Rimessen nach London schicken, als die Directoren der Compagnie erwartet, die Dividenden fielen schmaler aus, die Actionaire machten böse Gesichter. Noch galt in London der mystische Glaube an den unerschöpflichen Reichthum Indiens, wo die Häuser lauter Porphyrpaläste waren, mit Perlen und Edelgesteinen von oben bis unten geschmückt und Schatzgewölben, in denen die Goldmünzen in Scheffeln aufgehäuft ständen und mit der Kelle geschöpft würden. Die Kenntniß, daß Indien verhältnißmäßig ein ärmeres Land sei, als Irland und Schweden, findet selbst jetzt noch wenig Glauben unter dem Volke, während zu Hastings' Zeit selbst das Parlament und die Minister jenem anhingen. Nuncomar hatte überall Verbindungen, auch in London, auch in den Bureaus der Compagnie. Er ließ Winke fallen, mit scheinbaren Beweisen unterstützt, wie nur Reza Khans Verwaltung daran Schuld sei, daß Clive nicht mehr einsende. Die Winke wurden willig aufgenommen, die Directoren glaubten und beschlossen, und an Hastings erging ein Befehl des Inhalts: Reza Khan augenblicklich zu verhaften und zwar mit seiner ganzen Familie und allen seinen Anhängern; demnächst aber eine strenge Untersuchung der Verwaltung des Landes zu veranlassen. Dabei ward ihm gesagt: er würde gut thun, wenn er bei dieser Operation sich der Dienste Nuncomar's bediene. Zwar sei seine Schlechtigkeit bekannt, aber auch aus seinen Untugenden könne man Vortheil ziehen, wenn man mit Vorsicht dabei zu Werke gehe, und dürfe man ihm auch kein vollkommenes Vertrauen schenken, so sei es doch rathsam, ihn durch die Aussicht auf Belohnung aufzumuntern.
Wenn Jemand Nuncomar genau kannte, so war es Hastings. Er war bei seinem frühern Aufenthalt in Murschedabad nicht allein mit ihm in Verkehr gewesen, sondern auch in bitterem Hader, der kaum durch die Obern friedlich ausgeglichen worden. In einem Punkte waren Hastings und Nuncomar Geistesverwandte, sie trugen Beide Kränkungen lange nach. Gegen Reza Khan hegte Hastings keine feindlichen Gesinnungen. Und dennoch empfing er mit Freuden den Befehl und führte ihn mit einer Raschheit und, man kann sagen, mit einer Lust aus, welche er sonst nur bei Unternehmungen bewies, die in seinem, nicht in Anderer Kopfe entsprungen waren.
Der Grund lag nahe. Es galt ihm, mit diesem einen Streiche die Scheinherrschaft des Nabob vernichten und die nicht mehr zu duldende Doppelherrschaft zu Grabe zu tragen. Wie sie überhaupt, wenn Ordnung im Regiment hergestellt werden sollte, aufhören mußte, so war dieser Zwiespalt zwischen Schein und Wesen für einen thätigen und ehrgeizigen Charakter wie Hastings auch persönlich unerträglich. Sein Ehrgeiz erhielt aber dabei noch eine andere Nahrung. Der Befehl der Directoren war an ihn allein ergangen, während er, nach der bisherigen Ordnung an den Rath von Kalkutta hätte gerichtet werden müssen.
Nach der Verfassung, wie sie jetzt für Indien gilt, ist der Gouverneur von Kalkutta in allen executiven Maßregeln absolut. Er kann Krieg erklären, Frieden schließen, Beamte anstellen und entlassen, auch gegen den einstimmigen Widerspruch aller Beisitzer des Raths. Sie sind berechtigt, über Alles, was er gethan, Erklärung zu fordern, darüber zu discutiren, ihm Rathschläge zu ertheilen, zu remonstriren und nach Hause Proteste zu senden; aber in der Person des Gouverneurs ruht die höchste Gewalt und die alleinige Verantwortlichkeit. Dieses quasi monarchische System ward unter Pitt's Ministerium, von dem Colonialminister Dundas unterstützt, eingeführt, nicht ohne heftige Opposition, besonders von Seiten Burke's, und hat sich bei Indiens entfernter und eigenthümlicher Lage, als das angemessenste bewährt. Zu Hastings' Zeiten aber war es anders. Damals hatte der Gouverneur nur eine Stimme im Rathe, und nur bei gleicher Theilung war sie die entscheidende. Es traf daher nicht selten zu, daß der Gouverneur bei den wichtigsten Fragen überstimmt wurde, und es mochte kommen, daß er, obgleich Gouverneur, ganze Jahre hindurch auf diese Weise von der Leitung der Angelegenheiten ganz ausgeschlossen wurde, oder nur ein Instrument blieb, um den Willen Derer, die seines Gleichen waren, ausführen.
Hastings konnte diesmal also ganz allein handeln, und er that es mit der ihm eigenen Kraft und Geschicklichkeit. Um Mitternacht wurde Reza Khan's Palast zu Murschadabad von einem Bataillon Sipoys umringt, der Minister aus seinem Schlafe aufgestört und ihm erklärt, daß er ein Gefangener sei. Mit der Gravität eines Muselmanns beugte er sein Haupt und fügte sich in Allah's Willen. Mit ihm zugleich wurde ein Häuptling, Schitab Roy, dem man das Gouvernement von Bahar anvertraut hatte, abgesetzt und gefangen genommen; ein Krieger, welcher im Dienste der Compagnie sich so ausgezeichnet hatte, daß ihm einst ein englischer Heerführer das Zeugniß vor allen Würdenträgern gegeben: er habe nie einen tapferern Asiaten gesehen! – Der Rath zu Kalkutta erfuhr von der ganzen Expedition erst, als die Gefangenen dahin transportirt wurden.
Aber nachdem der Schlag geschehen, ließ Hastings Das ruhen, um was er eigentlich verordnet war, die Untersuchung gegen Reza Khan, der nur einige Monate in anständiger Haft verblieb, bis das dem Gouverneur Wichtigere ins Werk gesetzt war. Der ganze Premierministerposten des Nabob von Bengalen ward aufgehoben. Die Compagnie selbst übernahm die innere Verwaltung des Landes, das Kind, der Nabob, erhielt keinen Antheil mehr daran. Er ward abgefunden mit einer Pension und mit dem äußern fürstlichen Staat, den man ihm ließ, und zu seiner Vormünderin bestellte man eine der Frauen aus seines Vaters Harem, die Munny Begum. Als Schatzmeister des fürstlichen Hauses wurde Nuncomar's Sohn, Gurdas, eingesetzt. Hastings glaubte hier sehr klug zu handeln, indem er die etwaigen Verdienste des Vaters bei der Sache, durch eine Gunstbezeigung für seinen unschuldigen Sohn belohnte, und der kitzlichen Aufgabe sich überhoben wähnte, einen Schurken selbst in ein wichtiges Amt zu bringen.
Erst nachdem diese Veränderung in Ordnung war, schritt Hastings zur Untersuchung. Er hatte jetzt keinen Beweggrund, gegen die Diener des Nabob mit Härte zu verfahren. Schitab Roy ward zuerst vernommen und nach wenigen Verhören völlig freigesprochen; ja um einen so ausgezeichneten Diener der Compagnie für die erlittene Unbill zu entschädigen, wurden ihm bei dieser feierlichen Freisprechung alle die Auszeichnungen erwiesen, auf welche die Orientalen so vielen Werth legen. Ihm ward ein Ehrenkleid umgethan, kostbare Edelsteine wurden ihm in der Audienz geschenkt, und auf einem mit Purpur behangenen Elephanten ward er in seine Statthalterschaft zurückgesandt. Aber sein stolzes Herz war durch die Kränkung in der Gefangenschaft gebrochen und er starb bald nachher. – Gegen Reza Khan war die Sache nicht ganz so klar, aber Hastings hatte keine Lust, gegen ihn streng zu sein. Nachdem Runcomar als Ankläger alle seine Künste gegen den ehemaligen Minister vorgebracht, erklärte der Gouverneur, als Präsident des Untersuchungscomités, daß die Belastungspunkte nicht erwiesen wären, und ließ ihn frei.