Weltmacht IWF
Chronik eines Raubzugs
Ernst Wolff
Weltmacht IWF. Chronik eines Raubzugs
© Tectum Verlag Marburg, 2014
ISBN 978-3-8288-6091-9
(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter der ISBN 978-3-8288-3329-6 im Tectum Verlag erschienen.)
Umschlagabbildung: Pistole © runningbean / www.istockphoto.com; Aufnahme der Erde während des Fluges von Apollo 17 zum Mond am 7. Dezember 1972 (Fotograf: Harrison Schmitt oder Ron Evans)
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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Dieses Buch ist den Menschen in Afrika, Asien und Südamerika gewidmet, die es nicht lesen können, weil die Politik des IWF ihnen den Besuch einer Schule verwehrt hat.
Vorwort
Die Konferenz von Bretton Woods
Zum Auftakt Erpressung
Der Nachkriegsboom
Der IWF wirft sein Netz aus
Die siebziger Jahre
Der IWF und die chilenische Erfahrung
»Strukturanpassungsprogramme«
Der IWF systematisiert sein Vorgehen
Die lateinamerikanische Schuldenkrise
Der IWF wird zum globalen Krisenmanager
Die Folgen der »Strukturanpassung«
Der Widerstand gegen den IWF wächst
Die »Schocktherapie« für die Sowjetunion
Der IWF und die Wiedereinführung des Kapitalismus
Südafrika nach der Rassentrennung
IWF und ANC verbünden sich gegen das Volk
Jugoslawien
Der IWF als Kriegsvorbereiter und -begleiter
Die Asien-Krise
Der IWF demonstriert seine Macht
Lohnobergrenzen und höhere Preise
Die »Armutsbekämpfung« des IWF
Die Argentinien-Krise
Der IWF erzwingt den größten Staatsbankrott aller Zeiten
Globalisierung und Finanzialisierung
Die Triebkräfte des IWF
Die Finanzkrise von 2007/2008
Die Ruhe vor dem Sturm für den IWF
Islands Bankencrash von 2008
Der IWF nimmt Europa ins Visier
Irland
Der IWF leitet eine Armutsexplosion in Europa ein
Die Euro-Krise
IWF, EU und EZB stellen Europa unter Zwangsverwaltung
Griechenland
Die Troika bringt den Hunger zurück nach Europa
Zypern und der IWF
Auf die Plünderung folgt die Enteignung
Die Euro-Krise nach Zypern
Der IWF verlangt die Institutionalisierung des Raubes
Schuldenberge, soziale Ungleichheit, Revolution
Das Ende des IWF?
Deutschland und der IWF
Schwarze Schwäne am Horizont
Literaturverzeichnis
Bildnachweise
Keine andere Finanzorganisation hat im vergangenen halben Jahrhundert so tief in das Leben so vieler Menschen eingegriffen wie der Internationale Währungsfonds (IWF). Seit seiner Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg hat er seinen Einflussbereich bis in die entlegensten Winkel der Erde ausgeweitet. Derzeit zählen 188 Länder auf fünf Kontinenten zu seinen Mitgliedern.
Jahrzehntelang war der IWF hauptsächlich in Afrika, Asien und Südamerika tätig. Dort gibt es kaum noch ein Land, in dem seine Politik nicht ein- oder mehrmals in enger Zusammenarbeit mit der jeweiligen nationalen Regierung durchgesetzt wurde. Nach dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise im Jahr 2007 hat er sich verstärkt Nordeuropa zugewandt, seit dem Einsetzen der Euro-Krise im Jahr 2009 ist vor allem das südliche Europa in seinen Fokus gerückt.
Offiziell besteht die Hauptaufgabe des IWF darin, das globale Finanzsystem zu stabilisieren und in Schwierigkeiten geratenen Ländern aus der Krise zu helfen. In der Realität erinnern seine Einsätze eher an Feldzüge kriegführender Armeen. Wo immer er einschreitet, greift er tief in die Souveränität von Staaten ein, zwingt ihnen Maßnahmen auf, die von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt werden, und hinterlässt eine breite Spur wirtschaftlicher und sozialer Zerstörung.
Dabei setzt der IWF weder Waffen noch Soldaten ein, sondern bedient sich ganz einfach der Mechanismen des Kapitalismus, genauer gesagt: der Kreditwirtschaft. Seine Strategie ist in allen Fällen so simpel wie effektiv: Gerät ein Land in finanzielle Schwierigkeiten, ist er zur Stelle und bietet Unterstützung in Form von Krediten an. Im Gegenzug fordert er die Durchsetzung von Maßnahmen, die die Zahlungsfähigkeit des Landes zum Zwecke der Rückzahlung dieser Kredite sicherstellen sollen.
Wegen seiner weltweiten Sonderstellung als »Kreditgeber letzter Instanz« bleibt den Regierungen in der Regel keine andere Wahl als das Angebot des IWF anzunehmen und auf seine Bedingungen einzugehen – mit dem Ergebnis, dass sie sich in einem Netz der Verschuldung verfangen, in dem sie sich infolge von Zins-, Zinseszins- und Tilgungszahlungen immer tiefer verstricken. Die sich daraus ergebende Belastung des Staatshaushaltes und der heimischen Wirtschaft führt mit unerbittlicher Konsequenz zu einer Verschlechterung ihrer Finanzlage, die der IWF wiederum als Vorwand nutzt, um unter dem Schlagwort der »Austerität« immer neue Zugeständnisse in Form von »Sparprogrammen« zu erzwingen.
Für die einfache Bevölkerung der betroffenen und zumeist einkommensschwachen Länder hat diese Politik verheerende Folgen, denn deren Regierungen handeln allesamt nach dem gleichen Muster: Sie wälzen die Folgen der Sparmaßnahmen auf die abhängig Beschäftigten und die Armen ab.
Auf diese Weise haben IWF-Programme Millionen von Menschen den Arbeitsplatz genommen, ihnen den Zugang zu ausreichender Gesundheitsversorgung, einem funktionierenden Bildungswesen und menschenwürdigen Unterkünften verwehrt. Sie haben ihre Nahrungsmittel bis zur Unbezahlbarkeit verteuert, die Obdachlosigkeit gefördert, alte Menschen um die Früchte lebenslanger Arbeit gebracht, die Ausbreitung von Krankheiten begünstigt, die Lebenserwartung verringert und die Säuglingssterblichkeit erhöht.
Am anderen Ende der gesellschaftlichen Leiter dagegen hat die Politik des IWF einer winzigen Schicht von Ultrareichen dazu verholfen, ihre riesigen Vermögen sogar in Krisenzeiten zu vermehren. Die von ihm geforderten Maßnahmen haben entscheidend dazu beigetragen, dass die weltweite soziale Ungleichheit ein in der Geschichte der Menschheit nie dagewesenes Ausmaß angenommen hat. Der Einkommensunterschied zwischen einem Sonnenkönig und einem Bettler am Ausgang des Mittelalters verblasst gegenüber dem Unterschied zwischen einem Hedgefonds-Manager1 und einem Sozialhilfeempfänger von heute.
Obwohl diese Fakten allgemein bekannt sind und in den vergangenen Jahrzehnten Hunderttausende zum Teil unter Einsatz ihres Lebens gegen die Auswirkungen seiner Maßnahmen protestiert haben, hält der IWF bis heute eisern an seiner Strategie fest. Trotz aller Kritik und trotz der nicht zu übersehenden Folgen seines Handelns genießt er dabei nach wie vor die rückhaltlose Unterstützung der Regierungen sämtlicher führender Industrienationen.
Wieso? Wie kann es sein, dass eine Organisation, die rund um den Globus solch ungeheures menschliches Leid verursacht, weiterhin ungestraft handeln und auch in Zukunft mit der Unterstützung der mächtigsten Kräfte unserer Zeit rechnen darf? In wessen Interesse arbeitet der IWF? Wer profitiert von seinem Tun?
Diese Fragen zu beantworten, ist das Ziel dieses Buches.
1Ein Beispiel: Der Hedgefonds-Manager John Paulsen hat im Jahr 2010 fünf Mrd. US-Dollar verdient. Das entspricht einem Tagesverdienst von 19,2 Mio. Dollar und damit fast dem Zehnmillionenfachen der zwei Dollar pro Tag, von denen zur gleichen Zeit 2,5 Mrd. Menschen auf der Welt leben mussten.
Während der Zweite Weltkrieg noch in Europa tobte, luden die USA im Juli 1944 Delegationen aus 44 Ländern zu einer Konferenz in den Ski-Erholungsort Bretton Woods im US-Bundesstaat New Hampshire. Offizielles Ziel des dreiwöchigen Sitzungsmarathons war es, die Grundzüge einer Wirtschaftsordnung für die Nachkriegszeit festzulegen. In der Abgeschiedenheit des luxuriösen Mount Washington Hotels sollten die Weichen für ein System gestellt werden, das die Weltwirtschaft stabilisieren und eine Rückkehr zu den Verhältnissen zwischen den beiden Weltkriegen verhindern sollte. Vor allem die dreißiger Jahre hatten sich durch hohe Inflation, Handelsbarrieren, stark schwankende Wechselkurse, Goldknappheit und einen Rückgang wirtschaftlicher Aktivitäten um mehr als 60 % ausgezeichnet. Außerdem hatten soziale Spannungen die herrschende Ordnung ständig bedroht.
Der Konferenz vorangegangen waren mehrjährige Geheimverhandlungen zwischen dem Weißen Haus und der britischen Regierung, die bereits seit 1940 an Plänen zu einer neuen Weltwährungsordnung arbeitete. Was deren damalige Elite von den Interessen und Anliegen kleinerer Länder hielt, verdeutlicht ein überlieferter Kommentar ihres Delegationsleiters, des Ökonomen Lord Keynes: »Man hat zweiundzwanzig Länder eingeladen, die ganz offensichtlich nichts (zur Konferenz) beizutragen haben und einzig und allein im Weg stehen werden… (Es handelt sich um) das ungeheuerlichste Affenhaus, das seit Jahren zusammengekommen ist.«2
Lord Keynes und seine Landsleute sollten die Geringschätzung, die aus diesen Worten sprach, schon bald am eigenen Leib zu spüren bekommen. Im Verlauf der Konferenz stellte sich nämlich immer deutlicher heraus, wie sehr sich das Machtverhältnis zu Ungunsten Großbritanniens verändert hatte. Das britische Empire, durch den Ersten Weltkrieg bereits stark geschwächt, stand wegen seiner Kriegsausgaben als größter Schuldner der Erde am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Die Wirtschaft lag am Boden und das Anschwellen der Befreiungsbewegungen in aller Welt läutete bereits die endgültige Auflösung seines einst weltumspannenden Kolonialreiches ein.
Unumstrittener Sieger des Zweiten Weltkrieges dagegen waren die USA. Sie waren zum international größten Gläubiger aufgestiegen, hielten fast zwei Drittel der weltweiten Goldvorräte und verfügten über die Hälfte der globalen Industrieproduktion. Ihre Infrastruktur war im Gegensatz zu der europäischer Länder intakt und während ihre Delegation in Bretton Woods verhandelte, plante der Generalstab der US Army den Abwurf zweier Atombomben auf die japanischen Großstädte Hiroshima und Nagasaki, mit dem auch die letzten Zweifel am amerikanischen Anspruch auf die künftige globale Führungsrolle ausgeräumt werden sollten.
Dieser veränderten Gewichtsverteilung entsprechend kassierte Lord Keynes mit seinem Entwurf für eine neue Wirtschaftsordnung eine klare Abfuhr. Als Vertreter eines Landes mit erheblichen Zahlungsbilanzproblemen hatte er eine »internationale Zahlungsunion« vorgeschlagen, die es defizitären (unter einer negativen Zahlungsbilanz leidenden) Ländern erleichtern würde, an Kredite heranzukommen. Als Leitwährung sollte eine neu zu schaffende internationale Verrechnungseinheit namens »Bancor« dienen.
Die USA waren aber nicht bereit, die Rolle des Großgläubigers, die dieser Plan für sie vorsah, zu übernehmen. Ihr Delegationsleiter, der Ökonom Harry Dexter White, präsentierte im Gegenzug einen eigenen Plan, der schließlich von der Konferenz angenommen wurde. Dieser »White-Plan« sah ein Weltwährungssystem vor, das es in der Geschichte des Geldes so noch nicht gegeben hatte. In seinem Mittelpunkt sollte einzig und allein der US-Dollar stehen. Er sollte zu allen anderen Währungen ein festes Wechselverhältnis haben, sein Tauschverhältnis zum Gold sollte auf 35 Dollar je Unze Feingold festgelegt werden. Ergänzt wurde der Plan durch die Forderung der USA nach der Errichtung mehrerer internationaler Organisationen, die das neue System überwachen und es durch die Vergabe von Krediten an Länder mit Zahlungsbilanzproblemen stabilisieren sollten.
Absicht der USA war es, die Kreditvergabe auf viele Schultern zu verteilen, sich aber gleichzeitig selbst die Kontrolle über alle internationalen Finanzströme zu sichern. Schließlich musste Washington sich auf Grund seiner Größe und seines rasanten Wirtschaftswachstums Zugang zu Rohstoffen und darüber hinaus Absatzmärkte in aller Welt für die eigene Überproduktion erschließen. Dazu war es nötig, die bis dahin am weitesten verbreitete Währung, das britische Pfund, durch den Dollar zu verdrängen. Außerdem hielt man die Zeit für gekommen, die Vormachtstellung der City of London durch die Wall Street abzulösen und sich so selbst als neue Weltmacht zum Dreh- und Angelpunkt des internationalen Handels- und Finanzgeschehens zu machen.
Die Bindung des Dollars an Gold und die Einrichtung fester Wechselkurse bedeuteten eine teilweise Wiedereinführung des Goldstandards, der zwischen 1870 und dem Beginn des Ersten Weltkrieges gegolten hatte – allerdings unter völlig neuen Vorzeichen. Durch die Fixierung aller Kurse an den US-Dollar nahmen die USA den übrigen Teilnehmerländern das Recht, die eigene Geldpolitik zum Schutz der heimischen Industrie zu steuern – ein erster Schritt hin zur Beschneidung der Souveränität des Rests der Welt durch die von nun an dominierenden USA.
Die Stimmrechtsverteilung, die die USA für die zu gründenden Organisationen3 vorschlugen, war ebenfalls alles andere als demokratisch. Die einzelnen Länder sollten nicht etwa gleichberechtigt sein oder nach der Größe ihrer jeweiligen Bevölkerung bewertet werden, sondern entsprechend ihren eingezahlten Beiträgen – womit sich Washington durch seine finanzielle Übermacht von vornherein die absolute Kontrolle über alle Entscheidungen sicherte. Dass die rassistische Apartheid-Diktatur in Südafrika Gründungsmitglied des IWF wurde, verdeutlicht, welche Rolle humanitäre Erwägungen damals spielten.
Die US-Regierung ahnte, dass es nicht einfach sein würde, der Öffentlichkeit ein Projekt zu verkaufen, das dem Geist der amerikanischen Verfassung und dem Demokratieverständnis vieler Bürger so offensichtlich widersprach. Deshalb wurden die wahren Ziele des IWF in der Presse mit großem Aufwand verschleiert und durch Phrasen vom »freien Handel« und von der »Abschaffung des Protektionismus« beschönigt. Die New York Herald Tribune sprach damals von der »intensivsten von oben gesteuerten Propaganda-Kampagne in der Geschichte des Landes.«
Die erste Aufgabe des IWF bestand darin, sämtliche Mitgliedsstaaten unter die Lupe nehmen, um ihre jeweiligen Beitragsquoten festzulegen. Schließlich sollte der Fonds zur Sicherung des Systems langfristig eine »Überwachungsfunktion« ausüben. Im Grunde bedeutete das nichts anderes als dass die USA sich auf Dauer das Recht herausnahmen, jederzeit über die finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnisse aller Beteiligten informiert zu sein.
Als die Briten ein halbes Jahr nach der Konferenz auf eine Verbesserung der Verträge zu ihren Gunsten pochten, wurde ihnen unmissverständlich klargemacht, wer im IWF das Sagen hatte. Die USA knüpften einen Kredit in Höhe von 3,75 Mrd. Dollar, den Großbritannien wegen seiner Kriegsschulden dringend benötigte, kurzerhand an die Bedingung, dass das Königreich dem vorliegenden Abkommen ohne Wenn und Aber zustimmte. Es dauerte keine zwei Wochen – und Großbritannien fügte sich. Am 27. Dezember 1945 unterzeichneten 29 Regierungen schließlich das endgültige Abkommen. Im März 1946 kamen in Savannah im US-Bundesstaat Georgia die Vertreter von 34 Nationen zum Einführungstreffen des Gouverneursrates von IWF und Weltbank zusammen. Bei dieser Gelegenheit hatten Lord Keynes und seine Landsleute einmal mehr das Nachsehen: Entgegen ihrem Vorschlag, den inzwischen zur Sonderorganisation der Vereinten Nationen erklärten IWF wie diese in New York anzusiedeln, bestand die US-Regierung darauf, den Standort selbst zu bestimmen. Am 1. März 1947 nahm der IWF schließlich seine Tätigkeit auf – im Zentrum der US-Hauptstadt Washington.
Die Regeln für die Mitgliedschaft im IWF waren simpel: Antragstellende Länder mussten die Bücher offenlegen, wurden auf Herz und Nieren durchleuchtet und eingeschätzt. Anschließend mussten sie entsprechend ihrer Wirtschaftskraft eine bestimmte Menge Gold hinterlegen und ihren finanziellen Beitrag an die Kasse der Organisation entrichten. Im Gegenzug erhielten sie die Zusicherung, dass ihnen im Fall von Zahlungsbilanzproblemen ein Kredit in Höhe ihrer Einlage zustand – gegen entsprechende Zinsen und die vertraglich abgesicherte Verpflichtung, die IWF-Schulden unter allen Umständen vor allen anderen zu begleichen.
Der IWF erhielt schließlich ein Startkapital von 8,8 Mrd. US-Dollar aus Quoten der Mitgliedsstaaten, die ihre Beiträge zu 25 % in Gold und zu 75 % in eigener Währung leisteten. Die höchste Quote sicherten sich die USA mit einer Einlage von 2,9 Mrd. Dollar. Der Betrag war doppelt so hoch wie der Großbritanniens und garantierte den USA nicht nur das doppelte Stimmrecht, sondern sicherte ihnen bei allen kommenden Abstimmungen auch noch als einziger Nation Sperrminorität und Vetorecht.
Die Organisation des IWF wurde von einem Gouverneursrat geleitet, dem zwölf Exekutivdirektoren unterstanden. Sieben wurden von den Mitgliedern des IWF gewählt, die anderen fünf von den größten Ländern unter Führung der USA ernannt. Die Büros des IWF wurden wie die seiner Schwesterorganisation Weltbank in der Pennsylvania Avenue in Washington eingerichtet – nur wenige Minuten Fußweg vom Weißen Haus entfernt.
In den ursprünglichen Statuten des IWF heißt es, die Organisation habe die Aufgabe,
•die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Währungspolitik zu fördern,
•die Ausweitung und ein ausgewogenes Wachstum des Welthandels zu erleichtern,
•die Stabilität der Wechselkurse zu fördern und bei der Errichtung eines multilateralen Zahlungssystems mitzuwirken,
•den Mitgliedsländern in Zahlungsbilanzschwierigkeiten die allgemeinen Fondsmittel vorübergehend und angemessen abgesichert zur Verfügung zu stellen,
•die Dauer und das Ausmaß von Ungleichgewichten der internationalen Zahlungsbilanzen der Mitgliedsländer zu verringern.
Diese offiziellen Formulierungen klingen, als handle es sich beim IWF um eine über den Nationen stehende und von politischen Einflüssen unabhängige neutrale Einrichtung, deren Hauptziel darin besteht, die Weltwirtschaft so geordnet wie möglich ablaufen zu lassen und Störungen so schnell wie möglich zu beheben. Das ist kein Zufall. Dieser Eindruck war von den Verfassern beabsichtigt und erzielte in der Tat die erwünschte Wirkung: Genau dieses Bild wird der Weltöffentlichkeit seit mehr als sechs Jahrzehnten von Politikern, Wissenschaftlern und internationalen Medien vermittelt.
Tatsächlich handelte es sich beim IWF um eine von den USA ins Leben gerufene, von ihnen beherrschte und allein auf ihre Interessen zugeschnittene Einrichtung, mit der die neue Supermacht sich neben der militärischen auch die wirtschaftliche Weltherrschaft sichern wollte. Um diese Absichten vor der Weltöffentlichkeit noch weiter zu verschleiern, riefen die Gründerväter des IWF 1947 eine Tradition ins Leben, an der die Organisation bis heute festgehalten hat – die Besetzung des Chefpostens mit einem Nicht-Amerikaner.
Die erste Wahl fiel 1946 auf den Belgier Camille Gutt. Der studierte Ökonom hatte den Briten als Finanzminister seines Landes durch Leihgaben belgischen Goldes geholfen, ihre Kriegsausgaben zu bestreiten, den Zweiten Weltkrieg durch Lieferungen von Kobalt und Kupfer aus der belgischen Kolonie Kongo gefördert und sich der US-Regierung durch geheime Lieferungen kongolesischen Urans für ihr Atomprogramm anempfohlen. Die arbeitende Bevölkerung Belgiens dagegen hatte er 1944 durch eine drastische Währungsreform (die »Gutt-Operation«) um einen großen Teil ihrer Ersparnisse gebracht.
Gutt leitete den IWF von 1946 bis 1951 und konzentrierte sich in dieser Zeit weitgehend auf die Einführung und Überwachung fester Wechselkurse. Damit sicherte er amerikanischen und internationalen Großkonzernen die Basis für eine bis dahin wegen der Währungsturbulenzen nicht gekannte Sicherheit beim Export ihrer Waren und beim Einkauf von Rohstoffen. Außerdem ebnete er großen US-Banken den Weg zur problemlosen Vergabe internationaler Kredite und erschloss dem nach Investitionsmöglichkeiten suchenden internationalen Finanzkapital den ungehinderten Zugang zu fast allen Regionen der Erde.
Ein Dorn im Auge des IWF waren die großen politischen Veränderungen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, die den Wirkungsbereich der Organisation einschränkten. So nutzte vor allem die Sowjetunion die Nachkriegslage aus, um den eigenen Einflussbereich auszuweiten. Da sich die Herrschaft von Stalins Funktionären noch immer auf die Vergesellschaftung der Produktionsmittel durch die Russische Revolution von 1917 stützte, schotteten sie nach der Aufteilung der Welt unter den Großmächten und der Ziehung neuer Grenzen in Europa den sogenannten »Ostblock« vom Westen ab und ließen durch ihre Statthalter in diesen Ländern die Planwirtschaft einführen. Ziel war dabei nicht etwa die Durchsetzung der Interessen der arbeitenden Bevölkerung, sondern die Unterordnung des Ostblocks unter die eigenen Interessen zum Zwecke der Plünderung dieser Länder.4 Auf jeden Fall bedeutete es, dass dem internationalen Finanzkapital mit Polen, der DDR, der Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien zahlreiche weitere Märkte entzogen wurden.
Die Machtübernahme durch Mao Zedong im Jahr 1949 und die Einführung der Planwirtschaft versperrten westlichen Investoren dann auch noch den Weg nach China und führten schließlich zum Koreakrieg, in dem die USA im Rahmen ihrer Politik der »Eindämmung« (»containment«) des Machtbereiches der Sowjetunion den Tod von vier Millionen Menschen in Kauf nahmen, um der Welt eine klare Botschaft zu vermitteln: dass die größte Wirtschaftsmacht der Erde es nicht dulden würde, wenn auch nur ein einziges weiteres Land ihrem Zugriff entzogen würde.
2Richard Peet: »Unholy Trinity«, ZED Books, London, 2009
3Neben der Gründung des IWF beschloss die Konferenz von Bretton Woods auch die Gründung seiner Schwesterorganisation, der Weltbank, die damals noch Internationale Bank für Aufbau und Entwicklung hieß. Ihre Aufgabe sollte zunächst in der Vergabe von Darlehen zum Wiederaufbau nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges bestehen.
4Nach der Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen kam es zur »Demontage« von Produktionsanlagen. Die Sowjetunion entfernte zwischen 1945 und 1948 u. a. vier Fünftel der Kapazitäten in der Fahrzeugindustrie und drei Viertel der Eisenerzeugung in der von ihr beherrschten Sowjetisch Besetzten Zone (SBZ, Vorläuferin der 1949 gegründeten DDR).
Die Nachkriegsjahre waren von einem – in Deutschland als »Wirtschaftswunder« bezeichneten – rasanten wirtschaftlichen Aufschwung der führenden Industrienationen gekennzeichnet, in dessen Verlauf die Kreditvergabe durch den IWF nur eine untergeordnete Rolle spielte. Von 1947 bis 1948 beanspruchten ganze elf Länder seine Gelder, 1950 wurden gar keine Kredite angefordert und auch in den folgenden Jahren nur sehr wenige. Das heißt aber nicht, dass man in der Washingtoner Zentrale des IWF untätig war. Ganz im Gegenteil: Unter der Leitung des zweiten IWF-Chefs Ivar Rooth, eines ehemaligen Gouverneurs der Schwedischen Zentralbank und Ex-Direktors der Basler Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ)5, setzte eine Entwicklung ein, die in der späteren Geschichte der Organisation eine herausragende Bedeutung gewinnen sollte – die Bindung der Kreditvergabe an Bedingungen.
Harry Dexter White hatte bereits auf der Bretton-Woods-Konferenz einen Vorschlag in dieser Richtung gemacht, war aber am Widerstand der Briten gescheitert. Inzwischen hatte sich Großbritanniens Lage jedoch weiter verschlechtert. Ehemalige Kolonien, vor allem in Afrika, kämpften um ihre Unabhängigkeit und im Nahen Osten zeichnete sich die Suezkrise6 ab – eine günstige Gelegenheit für die USA, die eigenen Interessen im IWF noch stärker durchzusetzen.
Mit den Stand-by-Arrangements (Bereitschaftskrediten), deren Regelungen nach der Niederlage der Briten im Suez-Konflikt und der Zunahme von Spannungen im britisch-amerikanischen Verhältnis noch weiter verschärft wurden, hielt das Prinzip der »Konditionalität« im IWF Einzug. D. h. die Gewährung von Krediten wurde an Bedingungen geknüpft, die weit über die Festlegung von Laufzeiten und Zinsätzen hinausgingen.
Bei der Durchsetzung dieser Regelung arbeiteten die Strategen des IWF mit einer geschickten Täuschung der Öffentlichkeit. Ab 1958 wurden die Regierungen von Schuldnerstaaten verpflichtet, mit einem »Letter of Intent« eine Absichtserklärung zu verfassen, mit der sie sich zu »angemessenen Bemühungen« bereiterklärten, um ihre Zahlungsbilanzprobleme in den Griff zu bekommen. Auf diese Weise entstand nach außen der Eindruck, das jeweilige Land habe dem IWF die Maßnahmen vorgeschlagen, die er in Wirklichkeit selbst einforderte.
Doch selbst das ging dem IWF noch nicht weit genug. So erfolgte die Auszahlung des Kredites nur noch in Etappen (»Phasing«) und war damit an das Wohlverhalten des Schuldnerlandes gebunden. Außerdem bestand (und besteht) der IWF darauf, dass Abkommen zwischen ihm und seinen Schuldnern nicht als internationale Verträge gelten und deshalb nicht parlamentarisch abgesegnet werden müssen. Schließlich verfügte er, dass sie darüber hinaus nicht für die Augen der Öffentlichkeit bestimmt, sondern als Geheimsache zu behandeln sind – eine Regelung, die ebenfalls heute noch gilt.
Die Konditionalität sollte im Verlauf der Geschichte des IWF ständig gesteigert und verschärft werden und sich als entscheidender Mechanismus für die immer größere Fremdbestimmung der betroffenen Länder erweisen. Außerdem trug sie durch eine Art von Hebelwirkung entscheidend zum Machtzuwachs des IWF bei, denn die Weltbank, die meisten Regierungen und die überwiegende Mehrzahl internationaler kommerzieller Banken gewährten von nun an nur noch solchen Ländern Kredite, denen der IWF – auf Grund der Erfüllung der Kriterien – sein »Gütesiegel« verpasste.
1956 fand in Paris ein Treffen statt, das für die spätere Entwicklung des IWF richtungsweisende Bedeutung gewinnen sollte. Argentinien hatte Probleme, einen Kredit zurückzuzahlen, und musste sich mit seinen Gläubigerländern und Vertretern des IWF zusammensetzen, um sich neue Bedingungen diktieren zu lassen. Das Treffen fand in den Amtsräumen und unter Vorsitz des damaligen französischen Finanzministers Pierre Pflimlin statt und blieb nicht das einzige seiner Art. In den kommenden Jahren wurden am selben Ort des Öfteren Treffen zwischen IWF-Repräsentanten, Gläubigern und Schuldnern abgehalten, aus denen sich nach und nach eine feste allmonatliche Zusammenkunft von IWF und staatlichen Gläubigern entwickelte, die als »Pariser Club« bekannt geworden ist und in deren »informellem« Rahmen überaus wichtige Entscheidungen getroffen wurden und werden – abseits von Parlamenten und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Schon bald erkannten auch die kommerziellen Banken in aller Welt die Bedeutung dieses Treffens, zogen nach und hielten (und halten auch heute noch) zeitgleich mit dem Pariser Club Treffen ihres »Londoner Clubs« ab.
Von der Weltöffentlichkeit kaum beachtet, wandte sich der IWF in der Folgezeit einem Betätigungsfeld zu, das ihm innerhalb kurzer Zeit zu einem gewaltigen Machtschub verhelfen sollte. Die Welle von Unabhängigkeitserklärungen afrikanischer Staaten Anfang der sechziger Jahre7 führte dazu, dass Länder, die jahrzehntelang durch den Kolonialismus ausgeplündert worden waren und wirtschaftlich am Boden lagen, nun unter veränderten Bedingungen ihren Platz in der Welt und vor allem in der Weltwirtschaft finden mussten. Dazu brauchten ihre Regierungen – Geld. Da die meisten dieser Länder den kommerziellen Banken aber wegen sozialer Spannungen, politischer Unruhen und kaum vorhandener Infrastruktur zu wenig Sicherheit boten, nutzte der IWF die Gunst der Stunde und diente sich ihnen als Gläubiger an.
Zwar waren die afrikanischen Länder durchweg so arm, dass ihnen nur relativ bescheidene Summen zugebilligt wurden, aber auch diese hatten Folgen. Die Fälligkeit von Zins- und Tilgungszahlungen sorgte mit unerbittlicher Regelmäßigkeit dafür, dass sich die gerade der Kolonialabhängigkeit entkommenen Staaten übergangslos in einem neuen Netz von Abhängigkeit verfingen – der finanziellen Abhängigkeit vom IWF.
Da die Gewährung eines Kredites die Mitgliedschaft des Schuldners im IWF voraussetzte, schlossen sich der Organisation, zu deren Gründungsmitgliedern nur drei afrikanische Staaten – Ägypten, Äthiopien und Südafrika – gehört hatten, zwischen 1957 und 1969 mehr als vierzig weitere an. 1969 waren 44 von 115 Mitgliedern afrikanisch. Obwohl ihr Anteil an der Gesamtorganisation damit über einem Drittel lag, betrug ihr Stimmrecht im selben Jahr unter fünf Prozent.
5Dachorganisation der nationalen Notenbanken
6Nach der Verstaatlichung des Suezkanals durch Ägypten griffen Großbritannien und Frankreich, unterstützt von Israel, militärisch ein, wurden aber durch die USA und die Sowjetunion zum Waffenstillstand gezwungen.
71960 wird das »afrikanische Jahr« genannt, weil allein in diesem Jahr 18 ehemalige Kolonien (14 französische, zwei britische, je eine belgische und italienische) ihre Unabhängigkeit erklärten.
Mit Beginn der siebziger Jahre endete der Nachkriegsboom, eine etwa 25-jährige Periode wirtschaftlicher Expansion, in der der arbeitenden Bevölkerung zumindest in den führenden Industrienationen große soziale Zugeständnisse gemacht worden waren und die zu einer bis dahin nicht gekannten Verbesserung des Lebensstandards geführt hatte. Ursache für das Ende dieser Entwicklung war die innere Zersetzung des Systems von Bretton Woods. Als Ergebnis steigender US-Investitionen im Ausland und ausufernder Militärausgaben – insbesondere für den Vietnamkrieg – hatte die weltweit zirkulierende Dollar-Menge unaufhaltsam zugenommen. Sämtliche Versuche der amerikanischen Regierung, dieses Ausufern unter Kontrolle zu bringen, scheiterten, weil sich das US-Kapital inzwischen mit internationalem Kapital vermischt hatte und diese geballte Finanzkraft von einer einzelnen Nation nicht mehr zu bändigen war.
1971 wiesen die USA zum ersten Mal in ihrer Geschichte ein Zahlungsbilanzdefizit auf. Gleichzeitig erreichte das Missverhältnis zwischen der globalen Dollarmenge und den in Fort Knox gelagerten Goldreserven der USA ein solches Ausmaß, dass selbst die Anhebung des Goldpreises auf zunächst 38,00 Dollar und dann auf 42,20 Dollar den Eintausch gegen eine Unze Gold nicht länger garantieren konnte.8 Am 15. August 1971 zog US-Präsident Nixon die Notbremse und löste die Gold-Dollar-Bindung in gewohnter Großmachtmanier – ohne sich vorher mit seinen Verbündeten abzusprechen.9
Im Dezember 1971 beschloss eine Konferenz der G10, der 1962 gegründeten Gruppe der weltweit führenden zehn Industriestaaten, eine Anpassung der Wechselkurse, die den Wert des Dollars gegenüber anderen Währungen neu festlegte. Sie führte zu einer Abwertung des Dollars, die von 7,5 % gegenüber der schwachen italienischen Lira bis zu 16,9 % gegenüber dem starken japanischen Yen reichte. Im Februar 1973 wurde der Dollar erneut abgewertet, doch es wurde schon bald klar, dass das System fester Wechselkurse nicht länger aufrechtzuerhalten war. Im März 1973 führten die G10 und einige andere Industrieländer das System gleitender und durch die Zentralbanken festzulegender Wechselkurse ein – ohne auch nur ein einziges weiteres Land in ihre Entscheidung einzubeziehen und obwohl die neue Regelung in krassem Widerspruch zum Artikel 6 des Gründungsdokuments des IWF über feste Wechselkurse und Währungsstabilität stand.
Mit der Abschaffung fester Wechselkurse waren die Kernaufgaben des IWF historisch erledigt. Übrig blieb nur die Rolle als Kreditgeber, der über die Vergabe von Geldern, ihre Knüpfung an Bedingungen und die Einsicht in die Bücher des jeweiligen Bittstellers direkten Einfluss auf dessen Politik nehmen konnte. Für genau diese Funktion sollten sich allerdings schon wenig später auf unerwartete und dramatische Weise neue, überaus günstige Bedingungen ergeben.
1973 nutzten die Mitglieder der 1960 gegründeten Organisation ölexportierender Länder (OPEC) den Jom-Kippur-Krieg zwischen Ägypten und Israel, um die in den Westen gelieferten Ölmengen zu drosseln (»Ölembargo«) und die Ölpreise drastisch zu erhöhen. Die Maßnahme sorgte für eine gewaltige Steigerung der Profite von Ölkonzernen und ölproduzierenden Ländern. Diese Profite landeten bei kommerziellen Banken, die ihrerseits versuchten, sie gewinnbringend anzulegen. Da die Weltwirtschaft 1974/75 in eine Rezession rutschte und die Investitionsmöglichkeiten in den Industrieländern abnahmen, wurde der Löwenanteil des Geldes in Form von Krediten an Dritte-Welt-Länder in Asien, Afrika und Südamerika vergeben, die wegen ihrer höheren Ausgaben durch die gestiegenen Ölpreise dringend Geld brauchten. Der IWF selbst reagierte auf den erhöhten Kreditbedarf der Entwicklungsländer, indem er 1974 die Extended Fund Facility (erweiterte Kreditfazilität) einführte, aus der Mitgliedsländer Kredite über 140 % der jeweiligen Quote bei Laufzeiten von viereinhalb bis zehn Jahren beziehen konnten.
Obwohl die Fazilität ausdrücklich zur Finanzierung von dringend benötigten Ölimporten eingerichtet wurde, kümmerte es den IWF – ebenso wie die Banken – wenig, wofür das Geld tatsächlich ausgegeben wurde. Ob es direkt in die Taschen von Diktatoren10 wie Mobutu in Zaire, Saddam Hussein im Irak oder Suharto in Indonesien wanderte, die es entweder verprassten, auf ausländischen Nummernkonten versteckten oder zur Aufrechterhaltung ihrer Macht für militärische Zwecke ausgaben, oder ob es die Staatsverschuldung auf andere Art und Weise in die Höhe trieb, war dem IWF und den Banken so lange egal, wie die Zinszahlungen regelmäßig auf ihren Konten eingingen.
Die Situation aber änderte sich schlagartig, als Paul Volcker, der neue Vorsitzende der US-Zentralbank Federal Reserve, 1979 den Leitzins (den Zinssatz, zu dem sich kommerzielle Banken bei Zentralbanken Geld besorgen können) um 300 % erhöhte, um die Inflation in den Vereinigten Staaten zu drosseln. Die USA rutschten in eine weitere Rezession, in deren Folge wegen geringerer Wirtschaftsaktivitäten weniger Rohstoffe benötigt wurden.
Für viele Entwicklungsländer bedeutete die Kombination aus nachlassender Nachfrage, fallenden Rohstoffpreisen und explodierenden Zinsen, dass sie ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber internationalen Großbanken nicht mehr nachkommen konnten. Es drohte eine Finanzkrise gewaltigen Ausmaßes. Die Schuldenlast der Entwicklungsländer betrug zu Beginn des Jahres 1980 insgesamt 567 Mrd. US-Dollar. Ein Ausfall von Zahlungen dieser Größenordnung hätte zahlreiche westliche Banken zusammenbrechen lassen und musste unter allen Umständen verhindert werden.
Jetzt schlug die große Stunde des IWF als Kreditgeber letzter Instanz. Während seine PR-Abteilung über die Medien verbreiten ließ, er arbeite an »Rettungspaketen« für die überschuldeten Länder, nutzte der Fonds seine unanfechtbare Monopolstellung aus und knüpfte die Erteilung von Krediten an eisenharte Bedingungen. Dabei kamen ihm zwei Erfahrungen, die er in den vergangenen Jahren gemacht hatte, zugute.
Zum einen hatte ein von der CIA unterstützter Militärputsch in Chile im September 1973 die Herrschaft des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende beendet und den faschistischen Diktator Augusto Pinochet an die Macht gebracht. Pinochet hatte Allendes Verstaatlichungen umgehend rückgängig gemacht, aber kein Rezept gegen die galoppierende Inflation gefunden. Um der Lage wieder Herr zu werden, wandte er sich an eine Gruppe von 30 chilenischen Wirtschaftswissenschaftlern, die als Chicago Boys bekannt waren, weil sie unter dem Nobelpreisträger Milton Friedman an der Chicago School of Economics studiert hatten, und schlug ihnen eine klar definierte Arbeitsteilung vor: Er selbst würde für die Unterdrückung jeglicher politischer und gewerkschaftlicher Opposition und die Zerschlagung aller Arbeitskämpfe sorgen, wenn sie auf der Grundlage neoliberaler11 Ideen ein radikales Austeritätsprogramm (Einsparungsprogramm) in seinem Lande durchsetzten.
Innerhalb weniger Wochen wurde ein umfangreicher Maßnahmenkatalog entwickelt. Er sah eine drastische Begrenzung der umlaufenden Geldmenge und der Regierungsausgaben, Entlassungen im öffentlichen Dienst, Privatisierungen im Gesundheits- und Bildungswesen, Lohnkürzungen und Steuererhöhungen für die arbeitende Bevölkerung bei gleichzeitiger Senkung von Zöllen und Unternehmenssteuern vor und wurde von beiden Seiten unumwunden als »Schocktherapie« bezeichnet.
Sowohl Pinochet als auch seine Partner, die der Öffentlichkeit als eine »Regierung der Technokraten« präsentiert wurden, erfüllten ihre Seite des Abkommens im Übermaß. Während der Diktator jeglichen Widerstand gegen die einschneidenden Maßnahmen brutal niederschlug und dafür sorgte, dass viele Oppositionelle für immer verschwanden, setzten die Chicago Boys