Impressum

Titel der Originalausgabe: Was unsere Träume sagen wollen

Botschaften aus dem Raum der Seele

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2007

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung und Konzeption:

R·M·E München/​Roland Eschlbeck, Liana Tuchel

Umschlagfoto: © Mauritius

Autorenfoto: privat

E-Book-Konvertierung: epublius GmbH, Berlin

ISBN (E-Book): 978 - 3-451 - 80460-1

ISBN (Buch): 978 - 3-451 - 05889-9

Inhalt

1. Können uns Träume etwas sagen? 

Träume faszinieren schon immer

Vom Traumereignis zur bewussten Traumerfahrung

Was sagt die Traumforschung?

Unsere Träume verstehen - aber wie?

2. Wovon wir träumen

Das Unbewusste führt Regie

Sind wir für unsere Träume verantwortlich?

3. Die Sprache der Träume

Imagines: Die Vermischung realer und innerer Lebenswelt

Die Bilder der Träume „lesen“ lernen

Die Symbolsprache in den Träumen

Symbolverstehen durch kollektives Wissen bereichern

Wohin uns unsere Träume führen: Progression und Regression

Wie wir uns zur Welt stellen: Extraversion und Introversion

4. Traum und persönliche Wirklichkeit

Zum Verhältnis von Traum-Ich und Wach-Ich

Luzide Träume

Mit dem Traum-Ich neue Wege gehen

Aus dem Schatten lernen

Komplexe im Traumgeschehen

Projektion: Wenn wir Traumwelt und Wachwelt verwechseln

5. Verschlüsselte Botschaften verstehen

Kompensation: Im Traum Ergänzung erfahren

Kompensatorische Trauminhalte: Der Weisheit letzter Schluss?

Kausale und finale Sicht: Aus Vergangenem lernen - auf die Zukunft einrichten

6. Träume helfen Neues wagen

Die Traumstruktur als Lösungsweg

Archetypische Ausdrucksformen

7. Der praktische Umgang mit Träumen

Träume erinnern und festhalten

Zwölf Fragen an den Traum: ein Leitfaden zur Annäherung

Der Traum von Vater Timpetu: ein Traumbeispiel und seine Entschlüsselung

Träume,die wir nicht vergessen können: Wiederholungs- und Angstträume

8. Traumimpulse zu Individuation und Spiritualität

Werde,der du bist

Erkenne dich selbst

Vorausschauende Träume

Spirituelle Traumimpulse

Persönlichkeitsmodell der Analytischen Psychologie

Quellen und Literatur

Dank

1.

Können uns Träume etwas sagen?

„Träume sind Schäume“ reimt ein Sprichwort. Und tatsächlich: Unsere Träume wirken auf den ersten Blick wie irreale, flüchtige, abstruse Fantasiegebilde, die mit unserem wachen Erleben nicht viel zu tun zu haben scheinen und zuweilen aus unseren Lebenseindrücken scheinbar unsinnigen Schaum schlagen. Seifenblasen, die zerplatzen, wenn wir wieder wach und klar sind. Warum also sollten wir uns mit unseren Träumen beschäftigen? Im Schlaf mögen sie ihre Berechtigung haben. Aber für unser waches Leben gelten andere Gesetze, da haben Träume nichts verloren. Da müssen wir zupacken, aufmerksam, analytisch - da müssen wir eben „wach“ sein. Wer ein „Träumer“ ist, gilt nicht als besonders alltagstauglich und lebenspraktisch.

Aber die Träume ins nächtliche Reich des Schlafs zu verbannen - damit ist es nicht getan. Zu sehr beschäftigen sie uns immer wieder, auch wenn wir wach sind, klingen als Stimmung im täglichen Leben nach oder drängen sich in unseren Gedanken immer wieder auf. Lohnt es sich also, die Träume in das Leben zu holen? Und kann der Traumversteher sein Leben durch die Weisheiten aus seinen Träumen bereichern?

Antworten darauf, wie wir unsere Träume verstehen können, bietet die Analytische Psychologie C. G. Jungs. Dieser vertritt die Ansicht, dass der Traum ein hervorragendes Mittel ist, um Zugang zu den unbewussten Bereichen unserer Persönlichkeit zu bekommen. Der Traum ist gewissermaßen der „Königsweg“ zum Unbewussten. Gelingt es, ihn zu dechiffrieren, ist es möglich, ganz spezifische und zeitlich genau abgestimmte Botschaften verschiedenster Art zu erhalten. Dem Träumer kann dieses Wissen helfen, seine inneren Beweggründe für bestimmte Handlungen besser zu verstehen und daraus folgend konkrete Lebensprobleme zu lösen. Menschen, die sich mit ihren Träumen intensiv auseinandersetzen, erhalten dadurch oft auch wichtige Unterstützung in psychischen Entwicklungsphasen. Andere holen aus ihren Träumen künstlerische Inspiration oder lassen sich von Traumbildern anregen, sich tiefer mit der eigenen Spiritualität zu befassen. Die bewusste Auseinandersetzung mit den Träumen lohnt sich auf jeden Fall, denn so können Anregungen und Impulse aus den Traumbotschaften leichter für das wache Ich nutzbar gemacht werden.

Dieses Buch zeigt Wege zum Traumverstehen, die jeder im Alltag nachvollziehen und erproben kann.

Träume faszinieren schon immer

Dass unsere Träume mehr als Schäume sind, gehört zum uralten Wissen der Menschheit. Denn in vielen alten Kulturen wurde den Träumen eine besondere Bedeutung beigemessen. Was sie zu bedeuten haben - da gehen die Auffassungen allerdings auseinander. Die alten Griechen beispielsweise nahmen den Traum und seine prophetischen Aussagen außerordentlich ernst. Eindrucksvoll und schön zu lesen ist die Zusammenstellung einer Unmenge von antikem Wissen über die Traumkunst bei Artemidor von Daldis. Hier finden wir Vieles, was wir heute als abergläubische Betrachtung bezeichnen würden. So betonen beispielsweise die griechischen Traumdeuter, die insbesondere nach der Vorhersagbarkeit des Schicksals suchen, eben diese prophetische Bedeutung des Traums.

Aber auch zu medizinischen Zwecken wurde der Traum herangezogen. In den griechischen Asklepios-Tempeln sah man den Traum im Rahmen eines Heilschlafes als Erscheinung eines Gottes, der dem kranken Menschen eine hilfreiche Botschaft für seine Genesung mitteilt. Hier wurde der Traum bereits medizinisch im Sinne von Therapie verwandt.

Ebenso fungierte der Traum im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder als Übermittler bedeutender Signale aus der göttlichen oder transzendenten Welt. Die Bibel, vor allem das Alte Testament, enthält bedeutende Träume, so zum Beispiel die Prophetenträume, Jacobs Traum von der Himmelsleiter oder Josefs Traum in Ägypten. In der orientalisch-islamischen Kultur spielen Träume ebenfalls eine wichtige Rolle. Mohammeds Eingebungen, die im Koran zu lesen sind, wirken auf viele islamfremde Betrachter zuerst einmal wie faszinierende Traumbilder.

Heute sind wir aufgeklärt und glauben, rational zu handeln. Der Traum als prophetische oder gar göttliche Botschaft hat für den modernen Menschen unserer Zeit meist keine Bedeutung mehr. Es gibt jedoch auch zahlreiche Hinweise darauf, dass das Interesse an den Träumen heute eine Renaissance erfährt.

Eine zunehmend extravertierte Lebenseinstellung, also die Ausrichtung des Menschen nach außen, und die mit dieser Wendung verbundene Beschleunigung des Lebens hat heutzutage die Hinwendung nach innen stark zurückgedrängt. Möglicherweise ist es aber eine Reaktion auf diese extravertierte Schnelllebigkeit, dass viele Menschen sich doch wieder vermehrt für ihr Innenleben interessieren und so die Träume wieder entdecken. In Träumen finden wir unsere ureigenen Lebensthemen in oft uralter Bildersprache dargestellt. Unser Inneres stellt dem modernen Menschen einen großen Schatz an Impulsen für seinen individuellen Lebensweg bereit.

Wer sich an seine Träume erinnert und sie vielleicht sogar aufschreibt, hat meist auch das Bedürfnis, sie jemandem zu erzählen. Beim Erzählen der Träume entsteht dann häufig eine besondere Atmosphäre. Die Innenwelt - die Analytische Psychologie spricht vom Unbewussten - drückt sich hier mit Hilfe von symbolischen Bildern in ganz individueller Weise aus. Unsere Intuition und auch unser Gefühl werden in solch einer Situation besonders angesprochen. Zudem erfahren wir auf diese Weise viel über die psychische Situation des Träumers. In der analytischen Psychotherapie wird aus diesem Grunde der Traum auch gerne als Grundlage für den therapeutischen Dialog genutzt. Doch auch im privaten Bereich kann das Gemeinschaftsgefühl mit anderen in besonderer Weise vertieft werden, wenn man sich gegenseitig seine Träume erzählt.

Vom Traumereignis zur bewussten Traumerfahrung

„Ein unverstandener Traum bleibt bloßes Ereignis, aber das Verstehen macht ihn zum Erlebnis.“ C. G. Jung (GW Bd. 16, § 252)

Die Analytische Psychologie C. G. Jungs, deren Ansatz zum Traumverstehen ich in diesem Buch darstelle, ist eine besonders fruchtbare Grundlage für einen modernen Umgang mit dem Traum, denn sie bietet einen guten Zugang zu den unbewussten Bereichen der Psyche und ist ein hilfreiches Medium, um die momentane Seelenlage eines Menschen zu erkennen. Natürlich basiert jeder Versuch, Träume zu verstehen, auf der Hypothese des Unbewussten. Sigmund Freund hat die Annahme des Unbewussten als Grundthese der Tiefenpsychologie ins allgemeine Bewusstsein gebracht. Jung meint dazu: „Das Problem der Traumanalyse steht und fällt mit der Hypothese des Unbewussten. Ohne diese ist der Traum ein sinnloses Konglomerat zerbröckelter Tagesreste.“ (GW Bd. 16, § 294)

Wer sich also wirklich mit seinen Träumen auseinandersetzen möchte, glaubt demnach auch daran, dass ein Traum mehr ist als das kurze Aufflackern von Erlebnissen im Wachzustand. Auch die aktuelle Hirnforschung und neurologische Untersuchungen scheinen dies zu untermauern.

Was sagt die Traumforschung?

Mit der Entdeckung des REM-Schlafs beginnt 1953 die eigentliche naturwissenschaftliche Erforschung vom Traum. In den REM-Schlafphasen macht der Schlafende rasche Augenbewegungen (rapid eye movements) und träumt dabei intensiv. Im EEG (Electroencephalogramm), das die Hirnströme misst, zeigt sich eine hohe Aktivität des Gehirns, eine Eigenschaft, die eigentlich für das Wach-EEG typisch ist. Die Muskulatur hingegen ist im REM-Schlaf entspannt. Der Träumende kann sich nicht bewegen und sich so, während er träumt, auch nicht verletzen. Zudem können im REM-Schlaf die Genitalien der schlafenden Träumer stärker durchblutet werden. Bei der Frau bedeutet dies, dass die Scheide feucht wird und die Klitoris anschwillt, beim Mann hat dies eine Erektion zur Folge.

Es gibt aber auch die NON-REM-Schlafphasen. Je nach Gehirnaktivität gibt es zwei Leicht- und zwei Tiefschlafstadien. In den NON-REM-Schlafstadien sinkt mit zunehmender Schlaftiefe die Herzfrequenz ab. Auch Atemfrequenz und Blutdruck nehmen dabei einen entsprechenden Wert an.

Der gesamte Schlafzyklus innerhalb einer Nacht besteht aus Intervallzyklen, die jeweils ca. 90 Minuten dauern, wobei sich gegen Ende der Nacht die REM-Phasenzeiten verlängern. Personen, die in den REM-Phasen geweckt werden, berichten in der Regel über intensives Traumgeschehen. Aber auch in den NON-REM-Phasen wird geträumt. Im Schlaflabor können Testpersonen, die während der REM-Phasen plötzlich aus dem Schlaf gerissen wurden, in 95 % der Fälle Träume mitteilen. In NON-REM-Phasen geweckte Schläfer berichten hingegen in 5 -10 % der Fälle von erinnerten Träumen. Offenbar wird also in allen Schlafphasen geträumt und die weit verbreitete Aussage „Ich habe nichts geträumt“, weist lediglich darauf hin, dass wir uns häufig gar nicht oder nur in geringem Maße an unsere Träume erinnern können.

Die Forschungsergebnisse zeigen außerdem, dass Träume aus den REM-Phasen und die der NON-REM-Phasen jeweils einen anderen Charakter haben. So ergab die Befragung von Träumern, die in den REM-Phasen geweckt wurden, dass sie sich an Träume erinnerten, die tendenziell eher fantastisch, symbolisch, emotional und sinnlich erlebt wurden. Die Träumer hatten hier eher das Gefühl, dass diese Träume für sie eine persönliche Bedeutung haben. Aus den NON-REM-Schlafzuständen wurden meist Träume erinnert, die allgemein kürzer, rationaler, gedanklich geordneter und logischer aufgebaut wirkten. Besonders interessant für diejenigen, die in den vielen oft symbolischen Traumbildern einen Wissensschatz vermuten, sind also Träume aus den REM-Phasen.

Das träumende Gehirn

Obwohl die aktuelle Hirnforschung viele neue Erkenntnisse bezüglich der Abläufe in unserem Gehirn beim Träumen erbracht hat, stehen wir weiterhin vor einem sehr komplizierten Bild. Die neuesten Forschungsergebnisse gehen davon aus, dass einzelne Hirnregionen während unterschiedlicher Traumphasen wie in einem komplexen Funktionssystem miteinander interagieren. Insbesondere die älteren Hirnregionen wie Pons, Hippokampus und das Limbische System mit Teilen von Stirn- und Schläfenlappen sowie große Teile des visuellen Systems scheinen beim Traumgeschehen gemeinsam aktiviert zu sein.

Dagegen zeigt sich, dass das Frontalhirn beim Traumgeschehen weitgehend abgeschaltet ist. Im Vergleich zum Wachgeschehen ist das Ich im Traum deutlich weniger fähig zu Realitätsprüfung, logischer Erkenntnisfähigkeit und kritischem Denkvermögen. Die Traumbilder weisen oft viel Irrationales, Unlogisches und Fantastisches auf. Grund für das Überwiegen emotionaler und symbolischer Traumbilder mag also der weitgehende Ausschluss der entsprechenden höheren Hirnregionen sein.

Ein weiteres Ergebnis der Hirnforschung zeigt, dass die beim Träumen spezifische Erregungsausbreitung in den entsprechenden Hirnregionen interessanterweise auch im Wachzustand zu beobachten ist, wenn so genannte Basisemotionen (wie z. B. Aggression, Sexualität und Angst) erlebt werden. Das wache Ich-Erleben und das Traumerleben hängen also stark zusammen. Beides wird in der gleichen Hirnregion organisiert und bearbeitet. Diese Tatsache ist ein wichtiges Argument dafür, dass die emotionalen Abläufe im Traum sinnhaftig sind. Dies wiederum lässt den Schluss zu, dass emotionale Prozesse in Wach- und Traumzustand sich auch gegenseitig beeinflussen müssten.

Die biologische Funktion des Traums

Das Traumgeschehen im REM-Schlaf verschafft höheren Säugetieren und speziell auch dem Menschen einen großen evolutionären Vorteil. Dieser liegt zunächst einmal in der Steigerung der Lern- und Gedächtnisleistung. Damit verbunden ist eine größere Kapazität der Informationsverarbeitung, die dann komplexere kognitive Leistungen ermöglicht. Die höheren Bewusstseinsformen beim Menschen hängen wahrscheinlich in hohem Maße zumindest indirekt von der Gabe des Träumens ab (Mertens 1999: S. 97 f).

Die moderne Hirnforschung geht inzwischen davon aus, dass das, was wir tagsüber lernen, im Schlaf ins Langzeitgedächtnis überführt wird. Verhindert man den Schlaf und somit die REM-Phasen mit ihren Träumen, wird auch dieser Vorgang der Gedächtniskonsolidierung vereitelt, und Lernleistungen im Wachbewusstsein fallen deutlich schlechter aus (Spitzer 2002: S. 21 ff).

Forschungsergebnisse zeigen weiterhin, dass durch Traumentzug, also durch Wecken vor dem Einsetzen des REM-Schlafs, nicht nur deutliche Gedächtnisbeeinträchtigungen und Konzentrationsstörungen, sondern auch Gereiztheit, Angst, Unruhe, gesteigerte Aggressivität sowie Steigerung von sexuellen und Essimpulsen auftreten. Im Extremfall wurden sogar Wahnvorstellungen und Halluzinationen festgestellt. Der Traum ist also auch für die Stressbewältigung existenziell wichtig. Traumentzug hingegen bewirkt psychische Destabilisierung bzw. Beeinträchtigung der emotionalen Gesundheit.

Eine interessante Diskussion in den Neurowissenschaften legt heute die Vermutung nahe, dass im Traum emotionale Prozesse fortentwickelt werden und möglicherweise neue Entwicklungen für das wache Tagesleben im Traum initiiert werden. Die Hirnforschung zeigt auch, dass in den Träumen viele Tagesreste vorkommen. Es scheint durchaus plausibel, dass sie das Traumgeschehen in Gang setzen und wohl oft als Auslöser für die Behandlung bestimmter Themen im Traum in Frage kommen.

Man muss sich weitergehend fragen, welchen Sinn es hat, dass beim Traumgeschehen ältere Hirnareale, die mit den instinkthaften Verhaltens- und Erlebensweisen in Beziehung stehen, in besonderer Weise aktiviert werden, während die höheren kortikalen Bereiche eher ruhen. Möglicherweise hat der Traum die Funktion, Tagesgedanken mit den im Gehirn vorhandenen Abspeicherungen von instinktgebundenen Verhaltensweisen und Erlebtem abzugleichen. Zu den Tageserlebnissen wird im Traum das so genannte „emotionale Gehirn“ aktiviert. Ererbtes Instinktrepertoire bzw. archetypische Muster werden im Traum ausgelöst und mit den aktuellen Themen in Verbindung gebracht.

Aufgrund der Tatsache, dass Instinktmechanismen und somit archetypische Grundmuster ins psychologische Spiel kommen, können im Traum neue Verhaltensweisen ausprobiert und sogar eingeübt werden. In unseren nächtlichen Träumen begegnen wir einem größeren, instinktiven bzw. archetypischen Wissen in uns, als uns bewusst ist. Im folgenden Tagesgeschehen können wir mit dieser Anreicherung unseres bewussten Wissens klüger handeln. Diese biologische Funktion der Träume wird selbst dann erfüllt, wenn die Träume nicht erinnert werden.

Träume haben also für unseren Lebensalltag eine wichtige Funktion. Durch sie können wir unsere Persönlichkeit sinnvoll verändern und persönlich wachsen.

Unsere Träume verstehen - aber wie?

Das vorliegende Buch ist für all jene gedacht, die sich mit den grundlegenden traumpsychologischen Vorstellungen der Analytischen Psychologie vertraut machen möchten. So kann der Einzelne die eigenen Träume besser verstehen lernen. Es ist nicht leicht, aber doch möglich, die notwendige Distanz zum Erträumten herzustellen, um den Traum verstehend zu erforschen. Jeder kann aber auch den Dialog über die Träume mit anderen Menschen nutzen, die ihrerseits nach dem Sinn in ihren Träumen als Möglichkeit der Selbsterfahrung suchen. Nicht zuletzt sollen auch jene Menschen sich über die Entschlüsselung der Träume kundig machen können, die sich mit dem Ziel der seelischen Gesundung für eine therapeutische Traumarbeit entschieden haben.

Grundsätzlich kann jeder mit seinen Träumen arbeiten, sie verstehen und von ihnen lernen. Die Erkenntnisse der Analytischen Psychologie bieten hier Hilfe und Orientierung. C. G. Jung hat zwar immer betont, dass Trauminterpretationen immer als Hypothesen zu betrachten sind; sicher ist, „dass es stets der Mensch ist, der deutet, das heißt Be-Deutung gibt.“ (GW Bd. 16, § 93) Seine Erfahrungen und Anregungen haben sich dennoch für viele Menschen in der Praxis als hilfreich erwiesen, und Interessierte, die einen Schlüssel zum Traumverstehen suchen, wenden sich immer wieder Rat suchend an die Analytische Psychologie.

Dieses Buch erläutert anhand von vielen Beispielen, wie die Botschaften unserer Träume sich mit Hilfe der Analytischen Psychologie entschlüsseln lassen. Natürlich können mit den einzelnen Verstehensansätzen immer nur Teile der Traumbotschaften im jeweiligen Traum erfasst werden. Auf diese Weise werden die Beispielträume natürlich nicht in ihrer ganzen Komplexität erfasst. Über viele der einzelnen Traumbeispiele ließe sich ohne Mühe ein eigenes Buch schreiben. Daher sollten die hier erläuterten Interpretationsansätze keinesfalls als eindimensionale Übersetzung von Inhalt in Bedeutung verstanden werden. Das würde der Komplexität unserer Träume nicht gerecht.

Die zahlreichen Träume aus verschiedenen Fallgeschichten können für die eigene Traumanalyse eine wertvolle Anregung sein. Sie stammen zum großen Teil aus meiner langjährigen Praxis als Psychoanalytiker, wurden jedoch zum Schutz der Personen anonymisiert.

2.

Wovon wir träumen

Es ist schon erstaunlich, wem und welchen Situationen wir in unseren Träumen begegnen: Alte Schulkameraden tauchen auf, verstorbene Familienmitglieder, Arbeitskollegen, Menschen aus unserem heutigen Umfeld, aber auch von früher - und wir wundern uns, wieso gerade sie zum jetzigen Zeitpunkt Stoff unserer Träume sind. Zudem sind es auch immer wieder Alltagsprobleme, die zu Traumthemen werden. Beziehungsfragen und Familienkonflikte und insbesondere die oft hoch emotional besetzten Fragen um das Thema Liebe bieten viel Stoff für unsere Träume. Natürlich taucht auch unser Arbeitsleben, vor allem unsere beruflichen Nöte und Ärgernisse mit ihren vielfältigen Aspekten in unseren Träumen auf. Nicht zuletzt sind es aber besonders unsere Ängste, die uns im Traum umtreiben, den Schlaf belasten und auch morgens nach dem Erwachen noch unsere Gefühle bestimmen.

Wie aber gelangt dies alles in unsere Träume? Wieso treffen wir auf Dinge oder Personen, die wir längst vergessen glaubten? Oder die uns überhaupt völlig unbekannt und neu zu sein scheinen? Schauen wir uns dazu einen ganz typischen Traum an.

Eine Patientin erinnert sich daran, wie sie sich im Traum in einem Spiegel sah. Sie bemerkt an sich viele Falten und stellt fest, dass sie deutlich gealtert aussieht. Ja, sie fühlt sich plötzlich wie eine uralte Frau und ist über das Bild in ihrem Spiegel richtig erschrocken.

Im Gespräch stellt sich heraus: Am Morgen vor dem Traum hatte sie sich die Hände eingecremt und die ersten dunklen Altersflecken auf ihrer Haut entdeckt. Sie war kurz erschrocken, hatte aber nicht die Zeit gehabt, sich weiter damit zu beschäftigen. In der Nacht darauf tauchte dann das Thema „Altern“ auf diese Weise in ihrem Traum auf. Offensichtlich waren die dunklen Hautflecken mit dem Hintergrundthema „älter werden“ ein Auslöser dafür. Später führte dieser Traum zu einer fruchtbaren Auseinandersetzung mit dem Thema Altern.

Auch das folgende Beispiel zeigt, dass die Themen oft aus einer aktuellen Erfahrung in unsere Träume wandern, auch wenn hier der Bezug zum Erlebten zunächst weniger offensichtlich ist als beim vorigen Traum.

Eine Patientin berichtet mir, sie habe im Traum ihre Tochter ohnmächtig am Boden liegen sehen. Da die Tochter Diabetikerin ist, weiß die Mutter sofort: Zuckerschock! Doch die Notspritze fehlt, und die Mutter will voller Angst den Arzt rufen.

Die Träumerin war am Tag zuvor bei dem Begräbnis ihres Onkels gewesen. Neben Gedanken an den Verstorbenen und damit verbundenen Familienerinnerungen drängte sich ihr während der Trauerfeier auch die Sorge um die an Diabetes erkrankte Tochter auf. Da sie dieser Sorge aber während der Beerdigung nicht nachgehen konnte, verdrängte sie sie. Die beiseite geschobenen Gedanken wurden schließlich Auslöser für den Traum.

Bei der Patientin war der Traum Ausgangspunkt für eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Angst vor dem plötzlichen Tod ihrer Tochter. Bisher hatte sich die Träumerin solche Gedanken streng verboten, denn sie wollte ihrer Tochter Zuversicht im Umgang mit dem Diabetes vermitteln. Die Angst vor einem Zuckerschock wurde erst durch den Traum ein bewusstes Thema. Daraufhin beschäftigte sich die Träumerin noch einmal genauer mit dem möglichen Einsatz der Notspritze und konnte schließlich etwas gelassener mit der Erkrankung ihrer Tochter umgehen. Darüber hinaus führte sie der Traum zu einer vertieften und ruhigen Beschäftigung mit den großen Lebensthemen Krankheit, Endlichkeit, Trennung und Tod.

Um mehr über die Botschaften der Träume zu erfahren, müssen wir zuerst ihren Auslöser finden. C. G. Jung ist der Ansicht: „Wenn wir einen Traum richtig deuten wollen, so bedürfen wir einer gründlichen Kenntnis der momentanen Bewusstseinslage, denn der Traum enthält deren unbewusste Ergänzung.“ (GW Bd. 8, § 477) Wer die Traumauslöser kennt, kann auch die aktuelle bewusste Situation, aus der heraus der Träumer träumt, besser einschätzen.

Die Beschäftigung mit dem Traumauslöser hat noch einen weiteren Vorteil: Wir erfahren, dass die Traumbilder durch die Realität ausgelöst wurden und unser Traum einen direkten Bezug zum Jetzterleben hat. Das kann beruhigend wirken und Hemmungen und Ängste abbauen, da uns Trauminhalte sonst oft fremd und bedrohlich erscheinen und wir uns vielleicht fragen: Was hat das mit mir zu tun? Träume sind Teil unserer Realität.

So genannte Tagesreste oder bewusste aktuelle Gedanken und Assoziationen, die als Auslöser für die Themen im Traum in Frage kommen, lassen sich oft in den letzten Tagen vor dem Traum auffinden. Die Erfahrung lehrt, dass ein Dreitagesabstand als wesentlicher Zeitraum für das Auffinden des Traumauslösers angenommen werden kann. Deshalb ist es wichtig in Erfahrung zu bringen, was in den letzten drei Tagen der Auslöser für den Traum gewesen sein könnte. Folgende Fragen können dabei besonders hilfreich sein:

Das Unbewusste führt Regie

Selbst wenn wir die Auslöser für unsere Träume aus unserem alltäglichen Wacherleben kennen, erscheinen uns unsere Träume oft seltsam fremd. Denn nur selten tauchen Alltagsthemen eins zu eins abgebildet in unserem Traumerleben auf. Meist erkennen wir sie nicht auf Anhieb wieder oder sind manchmal sogar der Meinung, sie könnten unmöglich unserer eigenen Kreativität entsprungen sein. Hier, so die Ansicht von C.