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CLAUDE BAUMANN

ROBERT
HOLZACH

Ein Schweizer Bankier und seine Zeit

Mit einem Vorwort
von Henry Kissinger

VERLAG NEUE ZÜRCHER ZEITUNG

Für Maurice und Yves – wie immer

«In unserem Beruf – und in unserem Leben – geht es unter anderem um die Ausgewogenheit zwischen Geld und Geist. Das tönt einfach, gehört aber wohl zum Schwierigsten.»

Robert Holzach

«Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel ist.»

Franz Kafka

Persönliche Einleitung: Eine Klarstellung und eine Begegnung

Dieses Buch ist keine Auftragsarbeit, wie sie über so manchen Wirtschaftsführer existiert, dem oft schon zu Lebzeiten ein Denkmal gesetzt wird. Das vorliegende Werk beruht vielmehr auf persönlichen Erfahrungen und meiner langen publizistischen Auseinandersetzung mit der Schweizer Finanzbranche. Dabei stellte ich fest, dass es vergleichsweise wenig Literatur gibt, die über die Tagesaktualität hinausreicht und, ohne einem billigen Alarmismus zu huldigen, den wichtigen Fragen, Entwicklungen und den prägenden Gestalten in diesem Gewerbe nachgeht. Abgesehen von einigen löblichen, aber spärlichen Beispielen (siehe das Literaturverzeichnis im Anhang) hat in der Schweiz eine Aufarbeitung der Bankengeschichte bisher nur rudimentär stattgefunden. Ebenso verhält es sich mit den Biografien bedeutender Personen aus der Schweizer Finanzwelt. Solche Werke sind dünn gesät; sozusagen als Monument ragen hier bloss die Lebenserinnerungen von Hans J. Bär heraus.1 Auch die Memoiren von Rainer E. Gut sind lesenswert.2 Leider haftet ihnen der Makel an, dass ein Mitarbeiter der Credit Suisse sie verfasst hat. Darüber hinaus existieren verschiedene, eher dem hastigen Journalismus verpflichtete Werke, etwa über Josef Ackermann, Marcel Ospel und auch über Rainer E. Gut. Diese Bücher gehen allerdings wenig bis gar nicht auf die epochalen Veränderungen und langfristigen Entwicklungen in der Bankenlandschaft ein.

Dieses Vakuum in der Analyse und Reflexion der Schweizer Bankengeschichte ist durchaus begründbar. Es hat damit zu tun, dass das Schweizer Finanzgewerbe seit seinen Ursprüngen im 14. Jahrhundert und abgesehen von den späteren Exzessen nie genügend Projektionsfläche für eine ausführliche Berichterstattung lieferte. Vielmehr war es stets ein Geschäft des Vertrauens, der Redlichkeit und insbesondere der Diskretion. Entsprechend fühlten sich auch die Protagonisten nie bemüssigt, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Im Gegensatz zu manchen ihrer angelsächsischen Berufskollegen lebten die grossen Schweizer Bankiers getreu der Maxime des römischen Dichters Ovid: Bene vixit, bene qui latuit – Glücklich lebte, wer sich gut verborgen hielt. Oder anders gesagt: Sie folgten auch im Privaten der beruflich propagierten Zurückhaltung und Bescheidenheit, und sie stellten sich bis zu ihrem Tod kompromisslos in den Dienst ihrer Bank – und nicht in den der Imagepflege in der Öffentlichkeit. Das mag auch der Grund sein, dass es bis heute keine Biografie über Robert Holzach gibt. Sicherlich hätte auch dieser Ausnahme-Bankier genügend Argumente gefunden, um jemanden von einem solchen Vorhaben abzubringen.

Selbst wenn der Wunsch nach Privatsphäre und Diskretion respektiert werden soll, so lässt sich doch einwenden, dass wir heute in einer anderen Zeit leben. Weil uns die Medien inklusive Internet pausenlos mit Informationen überfluten, wähnen wir uns in einer Kultur der Transparenz, obwohl die vielen Daten uns den Blick auf die grossen Zusammenhänge im Gegenteil erst so richtig verstellen. Und noch etwas: Trotz der vermeintlich totalen Digitalisierung kommen uns zahlreiche bisweilen höchst wertvolle Zeugnisse abhanden. Einerseits, weil manche Leute nicht mehr leben, die über die entsprechenden Geschehnisse berichten könnten, und andererseits, weil wichtige Dokumente oder Aufzeichnungen keinen Eingang in die elektronischen Archive gefunden haben. Das zeigte sich bei meinen Recherchen: Die Zeit von Ende der 1970er- bis Mitte der 1980er-Jahre ist ganz besonders davon betroffen. Sie scheint noch zu wenig historisch zu sein, als dass sie flächendeckend digitalisiert worden wäre.

Dieser Befund trifft auch auf Robert Holzachs Vermächtnis zu. Der Bankier hat in der erwähnten Zeitspanne die wichtigsten Etappen in seiner Karriere zurückgelegt. Obschon er der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) fast ein halbes Jahrhundert lang aufs Engste verbunden war und das Institut in denjenigen Jahren leitete, als es mit Abstand am erfolgreichsten war, existieren eher wenige öffentlich zugängliche Quellen, die dies dokumentieren. Ebenso verhält es sich mit den übrigen Tätigkeiten Holzachs, die weit über die Bankbranche hinausreichen und diesen Mann zu einer äusserst vielseitigen Figur machen. Denn Holzach betätigte sich auch als Kulturförderer, indem er diverse Künstler unterstützte, mehrere Stiftungen (mit-)initiierte* [* James-Joyce-Stiftung (gegründet 1985), Thurgauische Kulturstiftung Ottoberg (1989), Thurgauische Bodman-Stiftung (1996).] und als Bauherr zahlreiche Liegenschaften errichten liess oder erneuerte; mit dem Zürcher Augustinerquartier sanierte er gar ein ganzes Stadtviertel. Als nimmermüder Schreiber hat er sein Denken und Verstehen in verschiedenen Publikationen dargelegt. Von alldem ist aber nur noch ein verschwindend kleiner Teil im öffentlichen Bewusstsein präsent.

Das ist bedauerlich, zumal der Bankensektor weltweit und der schweizerische im Besonderen seit einigen Jahren in einer tiefen Sinnkrise stecken. Die Protagonisten ringen um eine Glaubwürdigkeit, die ihnen und ihrer Branche abhanden gekommen ist, aber unerlässlich wäre, um neue Legitimation zu erlangen. Das hat viel mit dem Holzachschen Wertekodex zu tun, den man in den vergangenen 25 Jahren zunehmend ausblendete und stattdessen bloss noch einem dem Zeitgeist verpflichteten Banking nachging. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Holzach bereits in den 1980er-Jahren vor den späteren Exzessen gewarnt hat. So stellte er 1987, wenige Monate vor dem ersten Börsenkrach nach dem Zweiten Weltkrieg, dem Black Monday, fest:

«Die Reaktionen der neuen Märkte auf aussergewöhnliche Belastungen sind noch unbekannt. Es sind deshalb brutale Ernüchterungen für allzu eifrige Finanzalchimisten zu erwarten.»3

Er erkannte auch klar, wie sich das Berufsbild des Bankiers wandelte. Ebenfalls 1987 sagte Holzach:

«Eine gewisse Irritation kann aus dem Umstand entstehen, dass in den USA die Harvard-Absolventen in nie gekannten Mengen sich dem Finanzzentrum Wall Street zuwenden, um ihre elitäre Berufung als ‹Fast-Track-Kids› unter Beweis zu stellen. Ohne irgendwelche berufsethische Verpflichtung wollen sie möglichst innert Monaten ein Millionen-Plansoll im persönlichen Dollareinkommen erreichen oder übertreffen. Wen wundert’s, dass die Zahl der Finanzskandale in etwa gleichem Rhythmus zunimmt?»4

Insofern war er nicht nur ein besonnenes Vorbild für die Bankbranche, sondern gleichsam ein Visionär, dem man leider zu wenig Gehör geschenkt hat. Selbst die Frage, ob ein Finanzinstitut mit Steuergeldern gerettet werden soll, wie dies im Oktober 2008 mit der UBS geschah, thematisierte er bereits 1984 in einer Rede:

«Wollen wir die Prinzipien aufrechterhalten, die am massgeblichsten zur Förderung des allgemeinen Wohlstandes beigetragen haben – eben die Prinzipien einer freien Marktwirtschaft –, dann geht es nicht an, nur die Chancen einer liberalen Wirtschaftsordnung in Anspruch zu nehmen und die damit verbundenen Risiken dem Staat und damit letztlich dem Steuerzahler zu überlassen».5

Dass gerade «seine» Bank – oder zumindest das, was von ihr übrig geblieben war – vom Staat gerettet werden musste, hat Holzach rund sechs Monate vor seinem Tod aufgewühlt. Es war ein Schock für ihn, dass eine kleine Gruppe ignoranter und extrem kurzfristig denkender Manager ausgerechnet diejenige Institution fast in den Ruin trieb, der er sein ganzes Leben so konsequent gewidmet und die er zum Erfolg geführt hatte.

Ich kann mit gutem Gewissen über Holzach schreiben, da ich niemandem verpflichtet bin. Die sukzessive Annäherung an ihn erfolgte in meiner Tätigkeit als Journalist für die Finanz und Wirtschaft unter den Fittichen der damaligen Ressortleiterin Anne-Marie Nega-Ledermann, später bei der Weltwoche vor und unter der Leitung von Verleger Roger Köppel und schliesslich für die Handelszeitung in der Ära von Chefredaktor Beat Balzli. Prägend war auch die Arbeit an meinem Buch Swiss Banking – wie weiter?,6 in dem ich mich ausgiebig mit den Werten und Tugenden im Bankwesen befasst habe. Persönlich bin ich Robert Holzach nur ein einziges Mal begegnet. Das war im Frühjahr 1995, als ich zwischen zwei Arbeitsstellen einige Monate im SBG-Konferenzgebäude Grünenhof in Zürich aushalf.

Gemeinsam mit Kurt Walder, der mir den temporären Job bei der SBG vermittelt hatte und der über lange Jahre für dieses Konferenzgebäude verantwortlich war, stand ich vor dem Eingang zum «Grünenhof», als der Bankier, damals noch Ehrenpräsident der SBG, mit zwei weiteren Personen auf uns zukam. Beiläufig sah ich, wie Walder eine Art Achtungstellung einnahm. Natürlich hätte Holzach an uns vorbeigehen können, da uns bestenfalls die Funktion von Türstehern zufiel. Doch er grüsste uns, worauf Walder, der die Umgangsformen innerhalb der Bank immer gerne etwas ausreizte, unvermutet sagte: «Mon Colonel, willkommen im ‹Grünenhof›. Alles ist bereit, wie Sie es gewünscht haben.» Für den Bruchteil einer Sekunde herrschte eine geradezu andächtige Stille. Holzachs klare blaue Augen blickten mich an; sie drückten eine seltene Mischung aus Autorität und Respekt aus. Zunächst blieb er stumm, vielleicht um seinem Status innerhalb der Bank Nachdruck zu verleihen und wohl auch, um die Distanz zu wahren, die er im Umgang mit seinen Untergebenen stets gepflegt hat. Die Begegnung erinnerte kurz an den Truppenbesuch eines Kommandanten, der sich über die Lage an der Front ins Bild setzt. Holzach nickte und sagte dann zu Kurt Walder: «Das ist gut so.» Er bedankte sich und wünschte uns einen schönen Tag. Walder öffnete die schwere Glastür in den Eingangsraum des «Grünenhof», sodass der Ehrenpräsident auf dem kürzesten Weg zum Lift gelangen konnte, der ihn in die erste Etage führte. «Das war Robert Holzach», sagte Walder mit einem gewissen Pathos.

Die Erinnerung ist frisch. Doch es blieb das einzige Mal, dass ich Holzach begegnet bin, der im Militär tatsächlich Colonel, also Oberst war. Das kurze Zusammenkommen genügte jedoch, um mein Interesse an dieser Person zu wecken; einer Person, von der ich über die Jahre immer wieder hören und lesen sollte, weil sie, wie kaum jemand anders, die Schweizer Bankenwelt so nachhaltig geprägt hat.

Holzach wird in Finanzkreisen oft als der letzte echte Schweizer Bankier bezeichnet, weil er im Gegensatz zu den späteren Generationen von Bankern sein Handwerk nicht nur bis ins letzte Detail verstand, sondern seinem Schaffen stets auch eine Vorbildfunktion beimass, die neben einer beruflichen eine gesellschaftliche und moralische Dimension umfasste. Dazu gehörte auch sein Mut zum Verzicht, wie im Fall Rey (siehe Kapitel 5). Insofern war Robert Holzach tatsächlich ein Gentleman-Banker, wie ihn der Basler Journalist Hansjörg Abt einst bezeichnet hat.7 Ich würde sogar noch eine Nuance weitergehen und sagen, dass Robert Holzach ein Gentleman-Bankier war. Denn mit einem angelsächsischen Banker, der, in Anlehnung an das Wort «Gangster», gelegentlich sogar zum Bankster mutiert, hatte Holzach nun wirklich nichts zu tun.

Da sich mein persönlicher Kontakt mit Robert Holzach auf das erwähnte Treffen beschränkt, nehme ich für mich in Anspruch, mit der erforderlichen Unvoreingenommenheit über ihn schreiben zu können. Damit sollte auch gewährleistet sein, dass meine Auseinandersetzung mit dieser Person keine hagiografischen Züge annimmt. Die Gespräche, die ich mit allen möglichen Weggefährten und Familienangehörigen Holzachs führen durfte, haben weiter dazu beigetragen, ein im Positiven wie im Negativen vielgestaltiges Bild dieses Mannes zu entwerfen, der selbst am peinlichsten darauf geachtet hätte, dass es der Wahrheit verpflichtet ist – und gerne Goethe zitierte: «Wo Licht ist, ist auch Schatten.» (Im Original: «Wo viel Licht ist, ist starker Schatten – doch war mir’s willkommen.»8) Diese Bedingungen haben es verständlicherweise nicht einfach gemacht, Robert Holzach zu beschreiben, zumal seine Biografie auch Brüche aufweist und er, wie jede facettenreiche und einflussreiche Persönlichkeit, nicht ohne Widersprüche, Mythen und Kritiker blieb. Auch unter ihm passierten Fehler: Der bisweilen übertrieben soldatisch auftretende Chef konnte ein Pedant sein, der von seinen Mitmenschen dieselbe überdurchschnittliche Leistung forderte wie von sich selbst. Er hat mit manchen Untergebenen einen Umgang gepflegt, der heute nicht mehr möglich wäre und in die öffentliche Kritik geriete. Er hat andere Menschen seine Macht spüren lassen und einige von ihnen sogar sehr verletzt. Er bewies nicht selten zu wenig Menschenkenntnis und war nachtragend. Wenn er anderen seine Meinung eintrichtern wollte, fiel es ihm manchmal schwer, sein Temperament zu zügeln. Da zerbrach in einem Anfall von Holzachs Wut schon mal ein Telefonhörer, blieb ein Brieföffner in der Tischplatte stecken oder flog ein Papierkorb durch die Luft …

Obschon mir solche Dinge durchaus bekannt sind, entziehen sich die tieferen Beweggründe dafür meiner Kenntnis. Daher möchte ich mich in dieser Hinsicht eines Urteils enthalten – gerade weil es zum Teil sehr persönliche Dinge sind, die man zu Holzachs Zeiten möglicherweise auch noch nicht als so störend empfand wie heute. In gewissem Sinn war dieser Mann ein Patriarch – mit allen Vor- und Nachteilen –, nur ohne eigenes Unternehmen. Dieses Buch soll kein Psychogramm sein, weil es nie meine Absicht war, psychologische Erklärungen für Holzachs Verhalten oder für seine Persönlichkeit zu finden. Vielmehr galten im Rahmen meiner Arbeit getreu den Prinzipien Holzachs die Prämissen Redlichkeit, Respekt und Wahrheit. Unter diesen Voraussetzungen war es mein Ziel, ein adäquates Bild vom Leben und Schaffen dieses Mannes entstehen zu lassen.

Als ich ihm 1995 begegnet bin, stand die Finanzwelt sozusagen am Vorabend jener epochalen Zäsur, die den Schweizer Bankenplatz folgenschwer verändern würde. Als Ausgangspunkt dieser Entwicklung kann die Mitte 1998 vollzogene Fusion der Schweizerischen Bankgesellschaft mit dem Schweizerischen Bankverein betrachtet werden, der Holzach stets skeptisch gegenüberstand und über die er dem damaligen Verwaltungsratspräsidenten Robert Studer am Tag ihrer Bekanntgabe am 8. Dezember 1997 schrieb:

«In der VR-Sitzung vom 5. Dezember 1997 wurde nach 85-jähriger Existenz der SBG über das Ende dieser Bank gesprochen und entschieden. Mit diesem Entscheid kann ich mich nicht befreunden. Eine derzeitige Schwäche endet mit der Selbstaufgabe. Ein Heer, das sich lange Zeit zu den stärksten zählen durfte, entscheidet sich für die Kapitulation. Alle Erklärungen und Begründungen führen nicht daran vorbei, dass die heutige Führungsgeneration eineinhalb Jahre nach ihrem Amtsantritt den Glauben an die eigene Kraft verloren hat. […] Der vorgeschlagene und nun vorgesehene Weg erweckt den Eindruck einer megalomanen Fluchtlösung. Diesem Entscheid kann man nur wünschen, dass ihm die geschichtliche Wertung dereinst gnädig sei.»9

Die Fusion der beiden Grossbanken, die tatsächlich nie die in Aussicht gestellten Erwartungen erfüllt hat, geht auch einher mit dem stillosen Rauswurf Holzachs aus der UBS, der symptomatisch ist für die Unvereinbarkeit der alten und der neuen Bankenwelt. Es ist bis heute kaum zu fassen, mit welcher Durchtriebenheit und mit welchem unreflektierten Profitstreben die Bankoberen der UBS nach der Fusion das Vermächtnis Holzachs demontiert haben, um schliesslich doch nur selbst zu scheitern.

Paradoxerweise scheint diese Bankrotterklärung der UBS nötig gewesen zu sein, um überhaupt erst eine Rückbesinnung aufs Masshalten, auf die Vernunft und die Redlichkeit im Bankwesen einzuläuten, sprich die Holzachschen Prinzipien aufs Neue zu entdecken; insbesondere im Hinblick darauf, dass das Bankgeschäft eine andere Aufgabe hat, als bloss im sozusagen keimfreien Labor unnachhaltige Eigenkapitalrenditen anzupeilen. Vor diesem Hintergrund erhält Holzachs Wertekodex definitiv neue Relevanz, zumal seine gesamte Tätigkeit – nicht nur als Bankier, sondern ebenso als Bürger, Denker, Dichter und Förderer – von Integrität, Vorbildlichkeit und Leistung geprägt war. Das stellt höchste Ansprüche an eine Person und bringt zwangsläufig mehr Verantwortung mit sich, als bloss dem schnellen Profit respektive dem Millionenbonus hinterherzujagen. Dabei wäre es ein Einfaches gewesen, sich an die Leitsätze des «Alten» zu erinnern, wie er in den Teppichetagen der UBS zuletzt nur noch despektierlich genannt wurde.

Holzach ist nie der Bankier gewesen, der die Verantwortung im Geschäft auf irgendwelche mathematische Modelle abwälzte, wie das später in der Finanzwelt zunehmend der Fall war. Stets hat er vor dem Übergriff der Maschinen gewarnt. Für ihn zählte der direkte Kontakt mit den Kunden und mit den Entscheidungsträgern. Darauf verliess er sich, genauso wie auf seine Erfahrung und seine Intuition. Blickte er in die Zukunft, war er überaus skeptisch:

«Was ich fürchte, sind Situationen des Ungleichgewichts, der Unangemessenheit und der Unverhältnismässigkeit. Die Megalomanie, der Wahnwitz der unkontrollierten Grösse, hat schon immer ins Unglück geführt. Der kleine Kopf der riesenhaften Dinosaurier hat schliesslich nicht ausgereicht, die Gattung vor dem Aussterben zu bewahren.»10

Dass er sich mit solchen Äusserungen bei den aufstrebenden Bankern, die den Lockrufen der Wall Street verfallen waren, keine Sympathien holte, wusste Holzach selbst am besten. Seit der Eskalation der Finanzkrise und der alsbald um sich greifenden Orientierungslosigkeit auf dem Schweizer Finanzplatz stelle ich bei zahlreichen Vertretern der Branche ein wachsendes Bedürfnis nach denjenigen Werten und Tugenden fest, die man zuvor weit von sich geschoben hatte und stattdessen der angelsächsischen Anything goes-Kultur huldigte. Das hat mich in meiner Absicht bestärkt, die Person Robert Holzachs publizistisch aus der Vergessenheit zu holen. Natürlich wäre es verfehlt, in diesem Buch die Vergangenheit zu verklären. Stets sind Dinge schiefgelaufen, gab es Ungereimtheiten, Verluste; auch in der Ära Holzach. Und dennoch scheint diese Epoche von einer Integrität geprägt zu sein, die es seither nie mehr gegeben hat und die durchaus als Grundlage für das Swiss Banking von morgen dienen könnte.

In seinen allerletzten Lebensjahren verstummte Holzach; zum einen aus gesundheitlichen Gründen, zum anderen aus der unabwendbaren Erkenntnis heraus, selbst endlich zu sein. Für die Angehörigen, die diesen aussergewöhnlichen Menschen im Zenit seiner Lebenskraft erlebt hatten, erwies sich diese Zeit als eine überaus schmerzhafte Erfahrung, die Holzach bei seinem grossen Mentor und Vorgänger, SBG-Präsident Alfred Schaefer, selbst am besten beschrieben hatte:

«Die Einsicht, nicht mehr stärker zu werden, und erst recht die Gedanken, dass er schwächer werden oder dass es etwas Stärkeres geben könnte, wies er von sich. Er ist buchstäblich daran zerbrochen, sich dem zu unterziehen, was wir vieldeutig ‹Schicksal› nennen.»11

Robert Holzach verstarb am 24. März 2009 nach einem kurzen Spitalaufenthalt. Konrad Hummler, Holzachs bevorzugter Assistent und persönlicher Mitarbeiter bei der SBG, gab an der Abdankungsfeier am 30. März 2009 in der Zürcher St.-Peter-Kirche der Trauergemeinde folgende Worte mit auf den Weg:

«Wenn wir nun mit dem vollendeten Leben Robert Holzachs umzugehen haben, dann wissen wir eines ganz sicher: Die beste Erinnerung an ihn wird sein, dass wir zurückgehen an unsere Arbeit und das tun, was uns auferlegt ist.»

In diesem Sinne ist dieses Buch vielleicht doch eine Auftragsarbeit.

Claude Baumann, Valencia, im Juni 2014

Vorwort von Henry Kissinger

Robert Holzach zählt zu jenen Menschen, an die ich mich mit grosser Verbundenheit erinnere. Ich lernte ihn 1981 im Rahmen meines Mandats als Mitglied des internationalen Beraterkreises der Robert-Bosch-Gruppe kennen. In diesem Gremium, dem auch Robert Holzach angehörte, diskutierten wir wirtschaftliche und politische Entwicklungen. Daraus leiteten wir jeweils wertvolle Hinweise für die Strategie des Unternehmens ab.

So habe ich Robert Holzach, damals Präsident der angesehenen Schweizerischen Bankgesellschaft, als kompetenten, weitsichtigen und verantwortungsvollen Menschen erlebt, der die Werte, die er hochhielt, auch selbst vorlebte. Er warnte vor falschen Gläubigkeiten und setzte sich für Redlichkeit und Integrität in der Unternehmenswelt ein. Damit verkörperte er auch die Tugenden des Schweizer Bankwesens, das man in der ganzen Welt bewundert hat.

Robert Holzach war ein Freund, obschon dieses Wort nie zwischen uns gefallen ist. Doch die Art und Weise, wie wir uns begegnet sind, beruhte stets auf Respekt, Verlässlichkeit und persönlicher Anteilnahme. Dabei reichten unsere Interessen weit über die geschäftlichen Belange hinaus; ich habe Robert Holzach immer auch für seine Belesenheit und sein grosses Interesse an gesellschaftlichen und kulturellen Fragen und Themen hoch geschätzt. Aus der Lektüre, insbesondere von belletristischen Werken, hat er Anregungen und Gedanken bezogen, die er in unsere Gespräche, aber auch in seine brillanten Reden einfliessen liess. Seine Plädoyers etwa für eine Elite in unserer Gesellschaft, für den Mut zum Ausserordentlichen oder für den Königsweg zwischen Risiko und Verantwortung, zwischen Tradition und Innovation, sind herausragende Beiträge eines Menschen, der sich unablässig und besonnen mit den grossen Fragen des unternehmerischen Handelns auseinandergesetzt hat.

Unvergesslich bleibt mir Robert Holzachs Einladung 1982 an die Landsgemeinde nach Trogen im Kanton Appenzell Ausserrhoden. Diese urschweizerische Institution ist wohl die älteste und einfachste Form der direkten Demokratie: An einer Landsgemeinde versammeln sich die wahl- und stimmberechtigten Bürger unter freiem Himmel und beschliessen die politischen Traktanden durch Handerheben.

Ich habe damals auch erleben können, wie sehr Robert Holzach mit seinem Vaterland verbunden und auf dieses stolz war. Er hat die Errungenschaften der Schweiz allerdings nie als gottgegeben betrachtet, sondern fühlte sich vielmehr verpflichtet, alles zu tun, um diese Werte in eine vom Fortschrittsglauben geprägte Zeit überzuführen.

Die globale Finanzindustrie hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verändert – in vielen Fällen nicht nur zum Guten. Auch die Schweiz blieb von dieser Entwicklung nicht ausgespart, sondern musste und muss sich in einem teilweise schmerzhaften Prozess den neuen Gegebenheiten anpassen. Viele Bankiers haben den Respekt, den ihr Berufsstand früher hatte, leichtsinnig verspielt – weil sie sich von genau jenen Qualitäten entfernt haben, die Robert Holzach seinerzeit vertreten hat: Vernunft, Verhältnismässigkeit und Vertrauen.

Der Paradigmenwechsel in der Finanzwelt hat just dann begonnen, als sich Robert Holzach altershalber zurückzog – insofern steht er für eine Epoche, in welcher der Bankier noch Ansehen genoss und eine unternehmerische Verantwortung besass, um «aus dem Vorhandenen und Vorgegebenen – oft visionär – etwas Besseres zu gestalten», wie Robert Holzach an seiner letzten Generalversammlung als Präsident der Schweizerischen Bankgesellschaft 1988 erklärte. Dieser schöpferische Antrieb hat ihn in seiner Ruhelosigkeit stets beseelt.

Ich behalte Robert Holzach in ehrendem Andenken als Freund genauso wie als unternehmerischen Schweizer Bankier und gleichzeitig als Menschen von seltener Grösse.

Henry Kissinger, New York, im August 2014

(Amerikanischer Aussenminister von 1973 bis 1977, Friedensnobelpreisträger 1973 sowie Mitglied des internationalen Beraterkreises der Robert-Bosch-Gruppe von 1981 bis 2014.)

Kapitel 1

Bankier aus Zufall

So geht es los: Robert Holzach wird Bankangestellter und hadert mit seinem Schicksal, abendelang. Doch die Zeiten sind besser, als manch einer annimmt. Bald herrscht eine totale Aufbruchstimmung, die auch Holzach mitreisst. Er lässt sich auf das Abenteuer «Kredit» ein und verachtet die Spekulanten. Ein eleganter Mann mit präzisem Scheitel und einem Zwicker auf der Nase ist die prägende Gestalt dieser Epoche: Alfred Schaefer ist wahrscheinlich der attraktivste Bankchef der Schweiz; das zumindest finden die Frauen. Holzach wird ungestüm und riskiert einiges. Am Ende des Jahrzehnts kann er sich gar nicht mehr vorstellen, dass er höchstens ein Jahr bei der SBG bleiben wollte. Die Schuhe, die er tragen soll, sind ihm zwar noch etwas zu gross. Doch bald werden sie ihm schon passen.

 

Dass Robert Holzach Bankier wurde, war keineswegs vorgezeichnet. Man könnte im Gegenteil sagen, er sei recht zufällig in dieses Metier geraten. Denn nach seinem Rechtsstudium an der Universität Zürich, das er kurz vor Weihnachten 1949 mit dem Doktorat abschloss,12 hatte er zunächst am Bezirksgericht im thurgauischen Arbon erste Berufserfahrungen gesammelt. Danach war er in die Amriswiler Kanzlei von Alfred Müller eingetreten, der damals als freisinniger Nationalrat und Präsident des Bankrats der Schweizerischen Nationalbank amtete.* [* Operativ stand das Büro unter der Leitung des späteren Thurgauer Ständerats Hans Munz. Das ist insofern bemerkenswert, als Munz und Holzach bei der Sanierung der Arboner Fahrzeug- und Textilmaschinenfirma Saurer in den 1970er-Jahren eine massgebliche Rolle spielten (siehe Kapitel 5).]

Obschon Holzach im Frühjahr 1951 das Thurgauer Anwaltsexamen bestand, war er sich über seine weitere Zukunft im Unklaren. Der Beruf des Rechtsanwalts schien ihm nicht wirklich zu behagen. Nach «erstmaligen Auftritten vor den kantonalen Gerichten» fühlte er sich ausserstande, «das Engagement für seine Klienten in vernünftiger Weise unter Kontrolle zu halten».13 Mehr noch: Die Auftritte vor Gericht hatten in ihm eine «hinderliche Befangenheit und Belastungssituation» hervorgerufen.14 «Vor entscheidenden Gerichtsverhandlungen litt ich an Schlaflosigkeit und war übernervös», gestand Holzach später.15 Daraus folgerte er: «Solche Erfahrungen legen eine lebenslängliche Berufsarbeit als Advokat nicht nahe.»16

Offenbar gab es einen weiteren Grund, weshalb Holzach keine Juristenkarriere einschlug: Aus ihm sei kein Anwalt geworden, weil er nicht verlieren könne, gestand er einst seinem engen Freund Jean-Claude Wenger, der selbst eine höchst erfolgreiche Karriere in ebendiesem Beruf einschlug.17 Und viele Jahre später sagte Holzach über seine ersten beruflichen Gehversuche: «Wenn ich über die Stationen nachdenke, die mich dem Sinn meines Lebens nähergebracht haben, dann fehlt der geradlinige Weg, der von Anfang an ein breites bekanntes Ziel laufend präzisiert und konkretisiert hätte.»18

Notorische Unnachgiebigkeit

Dass er mit fast 30 Jahren noch nicht wusste, was aus ihm werden sollte, hatte insofern etwas Beunruhigendes, als er der erste Akademiker in der Familie war. Robert Holzachs Vorfahren stammten aus dem Kleingewerbe oder dem mittelständischen Unternehmertum. Sein Grossvater mütterlicherseits war ein erfolgreicher Uhren- und Schmuckgrosshändler, während sein Vater als kaufmännischer Angestellter für das Winterthurer Handelshaus Volkart gearbeitet hatte, bevor er sich selbstständig machte; allerdings mit wenig Erfolg, sodass er später in der Firma seines Schwiegervaters Unterschlupf suchen musste. Den beiden Geschwistern Robert Holzachs, dem zwei Jahre älteren Bruder Franz und der fünf Jahre jüngeren Schwester Doris, war es ebenfalls nicht vergönnt gewesen, eine akademische Ausbildung zu absolvieren. Robert Holzach seinerseits hatte sich schon früh als wissensdurstiger Schüler hervorgetan, dessen notorische Unnachgiebigkeit die Eltern letztlich genötigt hatte, ihn aufs Gymnasium zu schicken. Nach Matura, Universität und Doktorat lastete folglich ein gehöriger Erwartungsdruck auf Robert Holzach, zumal er sich mit seinem Hochschulstudium klar gegen einen Eintritt ins grosselterliche Unternehmen entschieden hatte, oder, wie er es selbst einmal formulierte: «Mein Wunsch nach grösstmöglicher Eigenständigkeit ergab eine Ablehnung dieser Chance, ohne dass ich eine echte Alternative schon konkret vorgelegt hätte.»19

Diese Ambivalenz in Holzachs Naturell ist kennzeichnend. Da waren einerseits Ambitionen und Verantwortungsbewusstsein – Tugenden, die er von der «dominierenden Gestalt» seiner Mutter geerbt hatte – und andererseits das Hadern mit der Welt und sich selbst, was Holzach bisweilen sehr verletzlich machte. Gerade weil er sich oft überhöhten Ansprüchen aussetzte, plagten ihn Selbstzweifel, sodass er sich regelmässig einsam und elend fühlte, was er allerdings nach aussen hin nie offenbarte.

Holzach hatte aber auch eine pragmatische Seite. Deshalb knüpfte er seine Suche nach einer «sinnstiftenden beruflichen Tätigkeit» letztlich an zwei profane Bedingungen: erstens an einen «Aufenthalt in einem fremden Sprachgebiet, um die etwas marginalen Sprachkenntnisse» zu verbessern, und zweitens an eine Tätigkeit, die «mindestens die Finanzierung des Lebensunterhalts» sicherstellen würde, um den Eltern nicht «weiter auf der Tasche zu liegen».20 Mit diesen Vorgaben ging er auf Stellensuche und bewarb sich bei unterschiedlichsten Firmen und Institutionen. Das Spektrum der kontaktierten Arbeitgeber zeigt, wie unschlüssig Holzach damals noch war. Er schrieb an Versicherungen, an Firmen der chemischen Industrie in Basel sowie an diverse Handelskammern, und er meldete sich bei zwei Banken: der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) und dem Schweizerischen Bankverein (SBV). Sein Brief an den SBV trug ihm harsche Kritik seines Vetters Dietrich Holzach ein. Der damals schon 62-jährige Vizedirektor beim SBV ermahnte seinen wesentlich jüngeren Cousin, in der Selbstdarstellung «etwas mehr Zurückhaltung» zu üben.

Auf alle Bewerbungen erhielt Holzach zunächst Absagen. Die einzige halbwegs positive Reaktion kam vom Basler Chemieunternehmen Sandoz, wo er sich immerhin vorstellen durfte. Doch auch da war ihm kein Glück beschieden: Sein Versuch, einen Text ins Französische zu übersetzen, «scheiterte überwiegend».21

Initialzündung in Genf

Erst Monate später und gänzlich unverhofft meldete sich die SBG bei ihm. Er solle doch in Zürich vorbeikommen; sie hätten vielleicht etwas für ihn, schrieb die Personalabteilung. Konkret handelte es sich um ein Praktikum in Genf. Bei diesem Angebot zögerte Holzach nicht lange, waren doch seine zwei Bedingungen erfüllt: Erstens hatte er so Gelegenheit, seine Französischkenntnisse aufzubessern, und zweitens konnte er auf eigenen Füssen stehen. Zudem war ihm die Rhonestadt nicht gänzlich fremd, hatte er doch ein Semester dort studiert – unterbrochen vom Aktivdienst, wie in der Schweiz der Militäreinsatz während des Zweiten Weltkriegs hiess.* [* In Genf war Carl E. Weidenmann (1921–2014), der später Divisionär der Schweizer Armee und Chef des Schweizer Nachrichtendiensts werden sollte, sein engster Freund. Auch er studierte Rechtswissenschaften. In ihrer Freizeit sassen sie oft an der Rhone, träumten von Reisen ins Ausland, wenn dereinst der Krieg vorüber sein würde, und phantasierten über Firmengründungen, obschon ihnen die nötige Geschäftsidee fehlte.]

Die zunächst auf neun Monate befristete Stelle, die Holzach am 1. Juni 1951 antrat, darf rückblickend als Initialzündung für eine Bankkarriere betrachtet werden, die dem Zufall entsprang, ihresgleichen aber bis heute sucht. An der Feier zu seinem 60. Geburtstag im Jahr 1982 im SBG-Ausbildungszentrum Wolfsberg in Ermatingen am Bodensee sagte Holzach im Kreis seiner engsten Angehörigen: «Meine Berufswahl war eher das Resultat verschiedenartiger Komponenten als eine zielgerichtete Entscheidung. (Erst recht) der Eintritt in die Schweizerische Bankgesellschaft 1951, bei dem man (beinahe) von einem Zufall sprechen kann.»22

In Genf machte sich Holzach in der Devisen- und Akkreditiv-Abteilung der SBG sowie in diversen Sekretariaten und im Wertschriftenbereich «nützlich». Eine «peinliche Meldepflicht» trug ihm einmal eine auf der falschen Seite verbuchte Devisenposition in «Franzosenfranken» ein, ansonsten bewährte sich der gewissenhafte Deutschschweizer im Urteil der Genfer SBG durch und durch. Holzach hielt in seinem Tagebuch allerdings fest: «Ich bin ohne Zweifel ungeduldig. […] Nach sechs Wochen Einarbeitung sehe ich mich erst auf dem Niveau einer mittleren Daktylo […] und nach sechs Monaten Einarbeitung auch nur auf dem Niveau eines x-beliebigen Angestellten.»23

In seiner Freizeit flanierte Holzach gern durch die malerischen Gassen der Stadt, in der das Schweizer Bankwesen seinen Ursprung hat und der französische Reformator Jean Calvin den Zins für legitim erklärt hatte.* [* Jean Calvin unterschied zwischen gerechtem und ungerechtem Zins. Ein «gerechter Zins» lag vor, wenn das Darlehen der Gründung oder dem Ausbau eines Unternehmens diente und so dem Darlehensnehmer einen Gewinn bescherte. Im Jahr 1545 schrieb Calvin: «Über Zinsen muss man nicht nach einem bestimmten und besonderen Wort Gottes urteilen, sondern nur nach der Regel der Billigkeit.» Dieser Massstab sollte später bei Holzachs Tätigkeit als Kreditbankier eine wichtige Rolle spielen.] In Genf machte Holzach zudem erste Erfahrungen mit dem Börsenhandel, und zwar nicht nur in der Bank selbst, sondern auch am Feierabend, wenn er sich in den Bars und Cafés zu seinen Arbeitskollegen gesellte, die mit den schnellen Gewinnen prahlten, die sie tagsüber erzielt hatten. Holzach blieb dieses Gebaren fremd. Die blosse Spekulation an den Finanzmärkten kam ihm ungeheuerlich vor, denn sie hatte in seinen Augen nichts, aber auch gar nichts mit dem wirtschaftlichen Streben eines Unternehmers zu tun, geschweige denn mit dem redlichen Schaffen der arbeitstätigen Bevölkerung.

Via London nach Zürich

Trotz wiederkehrender Zweifel und permanenter Skepsis gegenüber dem Lauf der Dinge hinterliess Holzach in Genf einen guten Eindruck, sodass die SBG sein Praktikum verlängerte und ihm die Möglichkeit bot, weitere Erfahrungen beim englischen Börsenbroker Strauss Turnbull in London zu sammeln. Mit dem Aufenthalt in der Themsestadt war auch ein Kurs an der angesehenen London School of Economics verbunden, wo «erste Konfrontationen mit nationalökonomischen Theorien» anstanden. Dabei festigte sich Holzachs Einstellung zum Bankgeschäft in dem Sinn, dass er darin nicht nur eine ausführende Tätigkeit – oder, wie manche Angestellte, eben auch eine bloss spekulative Angelegenheit – sah, sondern eine weit darüber hinausreichende Aufgabe, die mit einer hohen gesellschaftlichen Verpflichtung einherging, insbesondere für eine landesweit vertretene Grossbank wie die SBG. Im Land, wo der Kapitalismus seinen Ursprung hat, nahm auch Holzachs Banklaufbahn weiter Gestalt an, und er bekam im November 1952 seine erste feste Anstellung am Hauptsitz der SBG an der Zürcher Bahnhofstrasse 45. Der 30-Jährige begann als Sekretariatsassistent von Generaldirektor Hugo Grüebler, der damals den Kommerzbereich leitete, diejenige Abteilung, die Kredite an Unternehmen vergab und wie ein Nukleus funktionierte: unabhängig und selbsttragend. Obschon Holzach somit im profitabelsten Bereich der Bank gelandet war, haderte er mit seiner Tätigkeit. Am Feierabend redete er sich oft wie versessen ein: «Da werde ich sicher nicht alt.»24

Das Bestehende permanent zu hinterfragen, mochte zwar gelegentlich zu neuen Einsichten führen, war für den unverbesserlichen Skeptiker Holzach aber vor allem eine Last, so etwas wie ein Phantomschmerz, der auf die Dauer zermürbte. Trotzdem blieb Holzach bei der Bank. Es waren «verschiedene Komponenten», die ihn dazu bewogen, wie er einmal sagte.25 Um seine Motive zu ergründen, ist es lohnenswert, sich die damalige Schweizer Grossbanken-Szene vor Augen zu führen.

Kommerzgeschäft als Dreh- und Angelpunkt

Anfang der 1950er-Jahre waren grosse Institute wie die Schweizerische Kreditanstalt (SKA), der Schweizerische Bankverein (SBV), die Schweizerische Bankgesellschaft (SBG) sowie – gemessen an der Bilanzsumme mit einem gewissen Abstand – auch die Schweizerische Volksbank (SVB) sogenannte Handels- oder Geschäftsbanken. In deren Zentrum stand damals der Kommerzbereich, der für die Kreditvergabe an die Wirtschaft zuständig war, während die Anlageberatung (heute Vermögensverwaltung beziehungsweise Wealth Management) sowie der Börsen- und Devisenhandel eine untergeordnete Rolle spielten. Die Beziehungen zu sehr wohlhabenden Einzelkunden und Familien überliess man mehrheitlich den noblen Privatbankiers, und auch bezüglich Kleinkunden- sowie Hypothekargeschäft hatten die Grossbanken damals kaum Ambitionen, in diese klassischen Domänen der Regional-, Raiffeisen- und Kantonalbanken einzudringen.

Dass die Kommerzabteilung Dreh- und Angelpunkt der Grossbanken war, hing nicht zuletzt mit der politischen und konjunkturellen Situation in den Nachkriegsjahren zusammen. Der unversehrten Schweiz kam zugute, dass sich Westeuropa weit schneller erholte als erwartet. Entgegen den Befürchtungen zahlreicher Politiker, Ökonomen und auch einiger Bankiers war es nicht zu einer Nachkriegsdepression gekommen. Vielmehr wollten die Menschen Leid und Not so rasch wie möglich hinter sich lassen und zu neuen Ufern aufbrechen.

Das war die Situation am Anfang einer geradezu spektakulären Entwicklung, die in Deutschland als «Wirtschaftswunder» in die Geschichte eingehen sollte. Ab 1951 setzte eine der längsten Hochkonjunktur-Perioden in der westlichen Welt ein, eine Phase, die bis zur Erdölkrise und Rezession in den Jahren 1973 und 1974 dauern sollte. Dank dem sportlichen Exploit an der Fussballweltmeisterschaft von 1954 in der Schweiz, der als «Wunder von Bern» Geschichte schrieb, rehabilitierte sich (West-)Deutschland auch gesellschaftlich und kulturell, was den wirtschaftlichen Aufschwung zusätzlich beschleunigte. Das alles manifestierte sich in einem enormen Nachholbedarf bei den Menschen, auch in der Schweiz – und das wiederum führte zu einer überschiessenden Kreditnachfrage.

Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass die SBG es als eine ihrer «vornehmsten Aufgaben betrachtete, ihr Kreditpotenzial in den Dienst des Schweizer Exports zu stellen».26 Die Schweizer Grossbanken konnten zu jener Zeit noch von weiteren günstigen Faktoren profitieren: tiefe Zinsen, ein starker Franken, der neben dem Dollar bis 1958 die einzige konvertierbare Währung war; darüber hinaus aber auch die politische Stabilität der Schweiz, ein verlässlicher Rechtsrahmen sowie die hohe Kompetenz und die damals noch vorbildliche Gewissenhaftigkeit der Bankangestellten. Ab Mitte der 1950er-Jahre machte sich auch wieder ein verstärkter Kapitalzufluss aus dem Ausland in die Schweiz bemerkbar. Allerdings flossen die Mittel noch so unstetig, dass sie sich vorerst kaum zur Absicherung von Krediten eigneten. Umso wichtiger war eine kompetente Beurteilung, wenn einem Unternehmen ein Darlehen gewährt werden sollte. Mit Hugo Grüebler hatte Robert Holzach einen brillanten Lehrmeister, der ihn Schritt für Schritt in die hohe Kunst des Kredits einführte. «An das Verantwortungsbewusstsein und die Einflussnahme der Bankexponenten wird eine besonders hohe Anforderung gestellt», notierte Holzach bald einmal.27 Aber auch: «Der Reichtum an Betätigungsvarianten, der sich im Kreditgeschäft auftut, ist fast unerschöpflich.»28 So wandelte sich Holzachs zufälliger Einstieg ins Bankgeschäft zu einer eigentlichen Raison d’être.

Hemdsärmelige Emporkömmlinge

Die Aufbruchstimmung in den 1950er-Jahren war bei der SBG ganz besonders ausgeprägt. Dieser Umstand hatte einerseits historische Gründe, andererseits beruhte er auf einer einzigartigen Fügung.

Historisch betrachtet, war die Schweizerische Bankgesellschaft 1912 aus dem Schulterschluss der 1862 gegründeten Bank Winterthur und der 1863 gegründeten Toggenburger Bank entstanden. Gerade weil das Institut keiner Finanzmetropole wie Zürich, Genf oder Basel entstammte, haftete ihm noch lange das Image einer «Bauernbank» an; auch dann noch, als es 1917 von der mittelgrossen Industriestadt Winterthur an die mondäne Bahnhofstrasse in Zürich gezogen war. Selbst nach dem Zweiten Weltkrieg galt die SBG als «Bank der hemdsärmeligen Emporkömmlinge» oder als eine «volkstümliche Citibank», wie Rainer E. Gut, der Ehrenpräsident der Credit Suisse, in seinen Memoiren schreibt.29 Genau das sollte sich in den 1950er-Jahren dramatisch ändern. Denn die angeblich hemdsärmeligen SBG-Leute stellten sich als die besseren Deuter der internationalen Grosswetterlage heraus als etwa die erfolgsverwöhnten Vertreter der 1856 gegründeten Schweizerischen Kreditanstalt (SKA, heute Credit Suisse), die als Grossbank lange den uneingeschränkten Führungsanspruch in der Schweizer Geldbranche für sich gepachtet hatte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die SKA-Führungsleute aber in eine sonderbar pessimistische Grundstimmung verfallen, woraus sich ein höchst konservatives Geschäftsgebaren ergab, das den epochalen Veränderungen in Europa viel zu wenig Rechnung trug.* [* Als Verfechter der negativen (Konjunktur-)Prognosen übte vor allem Walter Adolf Jöhr, Professor an der Handelshochschule St. Gallen, einen erheblichen Einfluss auf seinen Vater Adolf Jöhr aus, der von 1940 bis 1953 Präsident des Verwaltungsrats der SKA war.] Zu diesen Fehleinschätzungen gesellte sich ein Dünkel, der es definitiv verhinderte, dass neue Kunden und deren Bedürfnisse adressiert wurden. Das zeigte sich besonders gut in einer Direktive von Felix W. Schulthess, der Adolf Jöhr im SKA-Präsidium ablöste: «Wir gehen nicht wie Hausierer auf die Strasse und ziehen an den Hausglocken. Die Leute kommen zu uns, und wir entscheiden dann, ob sie würdig sind, unsere Kunden zu werden.»30

Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass die einstmals so stolze SKA gegenüber der SBG immer stärker in Rückstand geriet. Anders ausgedrückt: Die SBG-Leute waren sich nicht zu schade, genau das zu tun, was die vornehmen SKA-Herren für unwürdig hielten, nämlich an allen Hausglocken zu ziehen. Das Institut musste sich ohnehin gehörig anstrengen, wenn es seinen Führungsanspruch konkretisieren wollte. Gemessen an der Bilanzsumme, also an der damals für die Grösse wichtigsten Kennziffer, war die SBG in den 1950er-Jahren nämlich noch klar die Nummer drei – hinter dem SBV und der SKA.

Entwicklung der Bilanzsummen
Jahr         SBV         SKA         SBG
(in Millionen Franken)  
1950267022651699
1955314930432387
1960515149184636

Um an die Spitze zu gelangen, galt es, «eine besondere Dynamik» zu entwickeln, wie es im Haus SBG hiess. Die Ausgangslage bot denjenigen Mitarbeitern, die «Phantasie und Arbeitswillen einbrachten, einmalige Möglichkeiten». Das wollte sich Holzach nicht entgehen lassen, sondern «in gleicher Dynamik an den denkbaren Fortschritten teilhaben».31 Dass die SBG in den 1950er-Jahren den Grundstein legte, um ein Jahrzehnt später die ganze Konkurrenz weit hinter sich zu lassen, ist besonders einer Person zuzuschreiben: Alfred Schaefer.

Von Schäfer zu Schaefer

Der Aargauer Alfred Schaefer, 1905 geboren, war in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung, die viele Mitmenschen nicht nur nachhaltig beeindruckte, sondern bisweilen fast schon einschüchterte. Schaefer wuchs in der Stadt Aarau auf, wo sein Vater, Albert Schäfer, ein angesehener Bauunternehmer war. Das «ä» im Nachnamen verwandelte Albert Schaefer in ein «ae», als er in seiner Banktätigkeit immer häufiger mit der angelsächsischen Welt zu tun hatte.

Wenn nicht Historiker, dann wäre er am liebsten Berufsoffizier geworden, doch in beiden Fällen setzten sich die Eltern gegen ihn durch, einmal der Vater und einmal die Mutter, Tochter aus wohlhabendem Haus. So studierte er schliesslich Jurisprudenz, und zwar in Zürich, Genf, Rom und Paris, was dem gebürtigen Aargauer bereits ein gewisses kosmopolitisches Flair verlieh, das sich noch weiter ausprägen sollte.32 Ein Brief seines Vaters nach Paris, wonach die SBG «juristische Mitarbeiter» suche, hatte Alfred Schaefer veranlasst, in die Heimat zurückzukehren, um sich 1930 «ohne viel Begeisterung» bei der Bank zu bewerben. Nach dem Vorstellungsgespräch plagten ihn auf dem Weg zurück zum Bahnhof jedoch bereits Gewissensbisse; er fand, er habe sich «verkauft». Bankbeamter statt freier Jurist zu werden, erschien dem damals 25-Jährigen plötzlich als Rückschritt. Am Zürcher Hauptbahnhof, wo er den Zug zurück in den heimatlichen Aargau nehmen wollte, machte er kehrt, um seine eben erst abgegebene Bewerbung zu widerrufen. Doch das Tor der SBG war um sechs Uhr abends bereits geschlossen, sodass er sich seinem Schicksal fügte, am 15. Januar 1931 als Praktikant in die Dienste der SBG eintrat und sich vornahm, höchstens ein Jahr zu bleiben.33 Tatsächlich blieb er der Institution bis zu seinem Tod im Jahr 1986 zuletzt als Ehrenpräsident treu.

Ausgesprochen gut aussehend

Alfred Schaefer war ein hochgebildeter, stets vornehm auftretender Mensch, der gleichzeitig für eine Bescheidenheit eintrat, die er selbst vorlebte. Neben seinem Beruf, den er mit eiserner Disziplin ausübte, interessierte er sich mit Hingabe für Kunst und Kultur; zudem war er ein passionierter Reiter. Im Urteil vieler Frauen sah er ausgesprochen gut aus. Der Zwicker, auch Pincenez genannt, den er viele Jahre trug, verlieh ihm zusammen mit der in seine Krawatte gesteckten Perle und den edlen Anzügen eine durchwegs elegante Ausstrahlung, die Weltgeltung erlangte, als das amerikanische Time Magazine am 12. März 1965 erstmals einen Schweizer Bankier in Wort und Bild porträtierte. Doch bis es so weit war, musste Schaefer eine enorme Leistung an den Tag legen, zumal sein Eintritt in die SBG 1931 in keine schwierigere Zeit hätte fallen können.

Die Weltwirtschaftskrise sowie der Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland stürzten Europa und damit die Schweizer Banken in existenzielle Probleme; davon war auch die SBG betroffen. Schaefer war alsbald gefordert, und ein Ausstieg aus der Bank nach einem Jahr war bald einmal überhaupt kein Thema mehr. Stattdessen musste er Kredite abschreiben, Beteiligungen und Tochterfirmen liquidieren, Löhne kürzen, Stellen streichen, die Leistungen der Pensionskasse kürzen, stille Reserven aktivieren und das Aktienkapital herunterfahren. In der damals neu herausgegebenen Personalzeitschrift schrieb Schaefer, der ein Faible für Napoleon und damit auch für die französische Sprache hatte: «Serrez les rangs» – eine unmissverständliche Durchhalteparole. Später, bei seinem Rücktritt als SBG-Verwaltungsratspräsident sagte Schaefer: «‹Sparen› musste in dieser Zeit grossgeschrieben, die Unkostenbudgets mussten scharf beschnitten werden. Das ging so weit, dass bei irgendwelchen Konferenzen keine Zigarren mehr serviert werden durften, dass man nur offenen Wein trank und dass in einer Direktorenkonferenz das Menü nie über Franken 4.50 kosten durfte.»34 1941, also zehn Jahre nach seinem Eintritt in die SBG, wurde der erst 36-Jährige, als jüngster Generaldirektor überhaupt, in die oberste, damals noch zweiköpfige Führungscrew befördert – neben Präsident Fritz Richner. Damit war zumindest operativ der Grundstein für die Renaissance einer erfolgreichen SBG gelegt.

Krisen frühzeitig entgegenwirken, entschieden handeln, lieber früh begrenzte Verluste hinnehmen als später viel grössere, auf dubiose Konstruktionen verzichten und nie von einseitigen Engagements abhängig sein – das waren in etwa die Prinzipien, die Schaefer während der schwierigen Zeit befolgte. Als Konsequenz daraus hatte die SBG bei Kriegsende zwar keinerlei stille Reserven mehr, dafür waren aber die offenen Reserven gerettet und alle schwachen Engagements ausgemerzt. Rund 15 35