IMPRESSUM
BACCARA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH
Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: 040/60 09 09-361 Fax: 040/60 09 09-469 E-Mail: info@cora.de |
Geschäftsführung: | Thomas Beckmann |
Redaktionsleitung: | Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.) |
Produktion: | Christel Borges |
Grafik: | Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto) |
© 2014 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „Beneath the Stetson“
erschienen bei: Harlequin Books, Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1850 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Ute Augstein
Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 12/2014 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733720865
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY
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Gil Addison mochte keine Agenten vom FBI – selbst dann nicht, wenn sie überdurchschnittlich hübsch waren. Vielleicht lag es an seinem indianischen Erbe, dass er Regierungsbeamten misstraute. Normalerweise machte sich seine Abstammung allerdings nicht bemerkbar, sah man einmal von seinem Äußeren – schwarzes Haar, braune Augen und sonnengebräunter Teint – ab.
Er schob den Vorhang ein wenig zur Seite und beobachtete die unauffällige schwarze Limousine, die sich dem Ranchhaus näherte. Streng genommen war die Frau, die er erwartete, eigentlich gar keine FBI-Agentin, sondern eine staatliche Ermittlungsbeamtin. Aber sie war vom FBI ausgebildet worden, und das war seiner Meinung nach schon Grund genug, sie nicht zu mögen.
„Wer ist das denn, Daddy?“
Der vierjährige Cade schlang die Arme um das Bein seines Vaters, der daraufhin lächelnd zu ihm hinabsah. „Eine Lady, die mit mir sprechen will. Es dauert nicht lange.“ Er hatte dem Kleinen nämlich versprochen, heute mit ihm auszureiten.
„Ist sie hübsch?“
Gil zog eine Augenbraue hoch. „Warum willst du das denn wissen?“
Sein Sohn, der ein ziemlich aufgeweckter Junge war, grinste. „Also, wenn sie hübsch ist, dann triffst du dich vielleicht mit ihr und verliebst dich in sie, und dann heiratet ihr und …“
„Darum geht es also wieder?“ Gil kniete sich hin und sah dem Jungen ernst in die Augen. „Ich hab doch dich. Das ist alles, was ich brauche.“ Ein Kind allein zu erziehen war wirklich keine Aufgabe für Weicheier. Gelegentlich fragte Gil sich, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Zärtlich umarmte er den kleinen Jungen, bevor er wieder aufstand. „Ich glaube, du guckst ein bisschen zu viel Fernsehen.“
Cade zog die Vorhänge noch ein Stückchen weiter auf und verfolgte aufmerksam, wie der Wagen anhielt, die Fahrertür geöffnet wurde und eine Frau ausstieg.
„Sie ist hübsch“, kommentierte er begeistert.
Im Stillen musste Gil seinem Sohn beipflichten. Trotz des schlichten schwarzen Hosenanzugs, den sie trug, war Bailey Collins eine äußerst attraktive Frau. Sie war nur wenige Zentimeter kleiner als Gil, der selbst über eins achtzig groß war, und ihre gerade Körperhaltung zeugte von großer Selbstsicherheit. Das Sonnenlicht ließ ihr welliges schulterlanges Haar rötlich schimmern, und ihre langen, dichten Wimpern waren nahezu so schwarz wie die von Gil.
Obwohl er diese beiden Details aus der Distanz natürlich nicht wahrnehmen konnte, erinnerte er sich von seiner ersten Begegnung mit Bailey Collins noch sehr gut daran.
Als sie die Eingangstreppe hochstieg, öffnete er die Tür und versuchte, seinem beschleunigten Herzschlag keine allzu große Beachtung zu schenken. Das erste Mal hatte er die Bundesbeamtin in der Royals’s Police Station getroffen, in der sie sich an einem großen Schreibtisch gegenübergesessen hatten. Es war seltsam gewesen, aber trotz seiner feindseligen Einstellung ihr gegenüber hatte er sich irgendwie zu ihr hingezogen gefühlt. Doch jetzt befand Bailey sich in seinem Revier, und er würde sich weder von ihrem formellen Auftritt noch von ihrem Ausweis einschüchtern lassen.
Versehentlich blieb Bailey mit dem Schuh an der obersten Treppenstufe hängen und geriet ins Stolpern, sodass sie beinahe der Länge nach hingeschlagen wäre. Glücklicherweise gelang es ihr noch rechtzeitig, das Gleichgewicht wiederzufinden, bevor die Tür aufgerissen wurde und sie Gil Addison zu Gesicht bekam. Ganz offensichtlich war er nicht sonderlich erfreut über ihren Besuch.
Als sie ihn sah, erschauerte sie, was sie ein wenig aus dem Konzept brachte. Deswegen dauerte es einen kleinen Moment, bis sie bemerkte, dass Addison nicht allein war. Er hielt die Hand eines kleinen Jungen, der ihren Informationen zufolge sein Sohn sein musste. Doch auch ohne Gils Personalakte zu konsultieren, wäre Bailey die Ähnlichkeit zwischen den beiden sofort aufgefallen. Der kleine Junge war sozusagen ein Miniaturabbild seines Vaters.
Das Kind befreite sich aus Gils Griff und trat lächelnd auf Bailey zu. „Willkommen auf unserer Ranch Straight Arrow“, sagte er und streckte ihr feierlich die Hand entgegen. Sein ansteckendes Lächeln entblößte eine reizende Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen. „Ich bin Cade.“
Bailey ging in die Hocke und ergriff die kleine Hand des Jungen. „Hallo, Cade“, sagte sie. „Ich heiße Bailey.“
„Das heißt: Ms Collins“, verbesserte Gil sie stirnrunzelnd. „Ich versuche, ihm Manieren beizubringen.“
„Es ist kein schlechtes Benehmen, wenn er mich mit Vornamen anspricht, nachdem ich ihm das angeboten habe“, erwiderte Bailey frostig. Sie stand wieder auf, um sich endlich dem Mann zu stellen, der ihr so viele schlaflose Nächte bereitet hatte.
Ängstlich sah Cade zwischen den beiden Erwachsenen hin und her, als er die kaum verhohlene Feindseligkeit zwischen ihnen bemerkte. Sein kleines Kinn begann zu zittern. „Ich habe doch nur gewollt, dass mein Dad Sie gernhat“, sagte er leise und starrte Bailey flehentlich aus großen blauen Augen an, die er vermutlich von seiner Mutter hatte.
Sofort verflog Baileys Ärger. „Es ist alles in Ordnung, Cade“, behauptete sie. „Dein Dad und ich können uns gut leiden, wirklich. Manchmal benehmen Erwachsene sich ein bisschen komisch, aber das bedeutet nicht, dass sie dann böse aufeinander sind.“
Selbst mit dreiunddreißig Jahren erinnerte sie sich nur zu gut an die lautstarken und verbitterten Streitereien zwischen ihren Eltern. Daher wusste sie, wie hilflos sich ein Kind in so einer Situation vorkam. Mitfühlend lächelte sie Cade an und brachte sogar ein Lächeln in Gils Richtung zustande. „Vielen Dank, dass Sie heute Zeit für mich haben. Wenn wir uns kurz zusammensetzen könnten, verspreche ich, Ihnen nicht zu viel von Ihrer kostbaren Zeit zu rauben.“
Da Cade immer noch zwischen ihnen stand, blieb Gil nichts weiter übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Er verwuschelte das Haar seines Sohnes, was seine Liebe für ihn verdeutlichte. „Warum leisten Sie uns nicht in der Küche Gesellschaft, Ms Collins? Um diese Zeit essen Cade und ich immer eine Kleinigkeit und trinken Limonade.“
„Sie dürfen mich übrigens auch Bailey nennen“, entgegnete sie leise und wusste nicht, ob er sie überhaupt gehört hatte, bevor sie den beiden durch das historische Haus in die modern eingerichtete Küche folgte. Gil hatte die imposante Ranch, die schon seinen Großeltern gehört hatte, von seinen Eltern übernommen, nachdem diese in den Ruhestand gegangen und nach Austin gezogen waren.
Vier Jahre zuvor hatte Gils Frau Selbstmord begangen, und er hatte daraufhin mehrere zusätzliche Rancharbeiter und Haushaltshilfen eingestellt, um sich voll und ganz um seinen Sohn kümmern zu können. Das wusste Bailey, weil sie Nachforschungen über den Mann angestellt und ihn insgeheim für seine Hingabe bewundert hatte. Trotzdem war das keine Entschuldigung für sein unkooperatives Verhalten bei ihrer Befragung. Immerhin ging es um wichtige Informationen, die bei der Aufklärung des Entführungsfalls Alex Santiago von größter Bedeutung sein konnten. Trotz der ausgiebigen Recherchen, die sie über Gil Addison angestellt hatte, wurde Bailey immer noch nicht recht schlau aus ihm.
Ganz gentlemanlike bot Cade ihr einen Stuhl an. Offenbar hatte Gil seinem Sohn wirklich schon Manieren beigebracht. Während Bailey den liebevollen Umgang zwischen Vater und Sohn beobachtete, änderte sie ein wenig ihre Meinung über den Rancher. Vielleicht war er ja doch nicht so schlecht, wie sie immer geglaubt hatte.
Sie setzte sich, legte ihr Mobiltelefon auf den Tisch und beobachtete Gil dabei, wie er Gläser aus einem Schrank nahm und einen Apfel in Spalten schnitt.
„Haben Sie gute Spiele auf Ihrem Telefon?“, fragte Cade hoffnungsvoll, und unwillkürlich musste Bailey lächeln.
„Ein paar“, erwiderte sie.
„Moorhuhn?“
„Ja. Kannst du das gut?“
Cade warf einen vielsagenden Seitenblick auf seinen Vater, bevor er mit gesenkter Stimme antwortete. „Er findet, dass ich nicht so viel Computer spielen soll, weil ich dann … ähm …“ Stirnrunzelnd suchte er nach einem passenden Wort.
„Weil du dann ein Nerd wirst“, ergänzte Gil und setzte die Gläser vor ihnen auf dem Tisch ab, bevor er auf dem Stuhl gegenüber von Bailey Platz nahm. „Wasch dir erst mal die Hände“, fuhr er fort, nachdem er die Handflächen seines Sohnes inspiziert hatte. „Ms Collins und ich warten auf dich.“
Nachdem Cade in den Flur Richtung Bad gegangen war, lächelte Bailey. „Er ist einfach toll. Und so erwachsen für einen Vierjährigen.“
„Er ist ja auch fast fünf. Bis zu seinem Besuch vom Daycare Center im Texas Cattleman’s Club hatte er kaum Umgang mit Gleichaltrigen. Da hat er eine Menge von uns Erwachsenen aufgeschnappt. Obwohl er mir sicher fehlen wird, glaube ich, dass er ab Herbst besser in den Kindergarten gehen sollte.“
Bailey neigte sacht den Kopf zur Seite. „Vielleicht habe ich mich in Ihnen getäuscht, Gil Addison, und in Ihrer Brust schlägt doch ein Herz.“
„Verwechseln Sie elterliche Liebe nicht mit Schwäche, Ms Collins. Ich verrate deswegen noch lange nicht meine Freunde an Sie“, gab er grimmig zurück.
Die Heftigkeit seiner Reaktion überraschte sie. „Sie vertrauen mir wohl überhaupt nicht, habe ich recht?“, fragte sie leise.
„Ich traue keinem Agenten“, stellte er klar. „Alex Santiago ist zwar entführt worden, mittlerweile befindet er sich aber wieder zu Hause. Früher oder später erinnert er sich ganz sicher an das, was mit ihm geschehen ist, und kann uns sagen, wer ihm das angetan hat. Warum könnt Ihr die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen und uns hier in Royal in Ruhe lassen?“
Besorgt sah Bailey zum Flur hinüber, weil sie befürchtete, dass Cade jeden Moment wieder zurückkehrte. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie wirklich so naiv sind“, entgegnete sie ruhig. „Alex erinnert sich nämlich immer noch an überhaupt nichts, weswegen er jederzeit wieder in Schwierigkeiten geraten könnte. Uns bleibt keine andere Wahl, als seine Entführer ausfindig zu machen. Das müssen Sie doch verstehen.“
„Ich sehe aber nicht ein, dass Sie dabei jeden verdächtigen, den ich kenne.“
„Zweifellos ist Alex in ganz Royal überaus beliebt, doch er hat wenigstens einen Feind. Sie kennen doch eine ganze Menge Menschen – und deswegen hoffe ich, mit Ihrer Hilfe den Entführer ausfindig machen zu könen. Das ist mein Job, Gil. Und ich bin echt gut darin. Ich brauche aber Ihre Unterstützung.“
In diesem Moment kehrte Cade in die Küche zurück. Die Vorderseite seines T-Shirts war feucht vom Händewaschen. „Ich habe Hunger“, sagte er, und nachdem sein Vater ihm zugenickt hatte, begann er, die Apfelspalten zu essen.
Stumm beobachtete Bailey, wie auch Gil ein Stück Apfel nahm, doch sie verspürte keinen Appetit. Sie musste den Mann unbedingt auf ihre Seite bringen, ihn davon überzeugen, dass er ihr vertrauen konnte. Vielleicht brauchte sie dafür nur ein wenig Zeit.
Plötzlich klingelte Gils Telefon. „Tut mir leid, Ms Collins“, sagte er, nachdem er einen Blick auf das Display geworfen hatte. „Dieser Anruf ist privat. Ich bin gleich wieder bei Ihnen.“
„Mach dir keine Sorgen, Daddy“, versicherte Cade ihm, als sein Vater aufstand. „Ich kümmere mich um sie.“
Als Gil dreißig Minuten später in die Küche zurückkehrte, regten sich ein paar Schuldgefühle in ihm, weil er Bailey so lange den Klauen seines Sohnes ausgeliefert hatte. Nur weil sie eine Frau war, musste das ja nicht bedeuten, dass sie zwangsläufig auch gut mit Kindern zurechtkam. Falls er Bailey richtig einschätzte, schien sie eher auf Karriere aus zu sein als darauf, eine liebende Ehefrau und Mutter zu sein. Doch als er über die Türschwelle trat, blieb er wie erstarrt stehen. Bailey und Cade saßen noch immer am Küchentisch, hatten die Köpfe zusammengesteckt und starrten gespannt auf Baileys Handy.
In der Zwischenzeit hatten sie auch die Limonade getrunken und die Apfelspalten gegessen.
Bailey schüttelte gerade den Kopf. „Du musst schon ein bisschen auf den Winkel achten“, sagte sie. „Du kannst nicht einfach so aufs Geratewohl schießen.“
Cade sah zu ihr auf, und Gil verschlug es fast den Atem, als er bemerkte, wie sehr sein Junge sich nach der Aufmerksamkeit dieser Frau zu sehnen schien. Ihm war klar, dass nichts die Liebe einer Mutter ersetzen konnte – auch wenn er sich noch so sehr als alleinerziehender Vater ins Zeug legte. Wenn Gil sich nicht vorsah, würde sein Sohn Bailey ganz und gar für sich beanspruchen und sie alle in eine peinliche Situation bringen.
Gil räusperte sich. „Cade, wenn du mir noch eine halbe Stunde Zeit gibst, um allein mit Ms Collins zu sprechen, verspreche ich dir, dass wir gleich danach ausreiten.“
„Klar, Dad“, erwiderte Cade, ohne vom Spiel aufzusehen. „Ich muss nur noch dieses Level zu Ende …“
Doch Gil nahm ihm das Telefon aus der Hand und reichte es Bailey. „Du darfst den Computer in meinem Arbeitszimmer benutzen. Und jetzt zisch ab.“
„Ja, Sir.“ Cade lächelte Bailey unschuldig zu, als er sich auf den Weg machte. „Sagen Sie mir noch Tschüss, bevor Sie fahren?“
Bailey stand auf und sah fragend zu Gil hinüber, der schließlich nickte. „Ich sag dir Bescheid, wenn wir hier fertig sind.“
Nachdem Cade gegangen war, herrschte eine Weile lang peinliche Stille zwischen ihnen. Zwischenzeitlich war etwas von Gils Ärger auf die Agentin verraucht, und er machte den ersten Schritt, um das Eis zwischen ihnen zu brechen.
„Da Cade ja jetzt in meinem Büro ist, können wir ebenso gut auf der Veranda weitersprechen, wenn das okay für Sie ist.“ Er streckte ihr den Arm entgegen.
Bailey nickte. „Klar.“
An diesem Januartag herrschte strahlender Sonnenschein, obwohl das Wetter in den vergangenen Wochen recht launisch gewesen war. Noch in der vergangenen Woche war Royal von Schneestürmen heimgesucht worden, und an diesem Tag herrschten über zwanzig Grad.
Als sie nach draußen kamen, musste Bailey lächeln. Straight Arrow war eine riesige Rinderfarm, die sich harmonisch in die Landschaft einfügte und auf der alles sauber und ordentlich war. Es kostete sicher viel Geld, eine derart große Ranch in Schuss zu halten, doch Gil war reich. Sehr reich sogar. Und das war eine gute Sache, denn nur so konnte er sich den Luxus leisten, derart viel Zeit mit seinem Sohn zu verbringen.
Als sie Cade zugehört und ihn beobachtet hatte, war ihr klar geworden, was für einen Job Gil als Vater geleistet hatte. Dieses Kind war emotional gefestigt, aufgeweckt und freundlich – dabei war es kein Zuckerschlecken, ohne Mutter aufzuwachsen. Doch Gil war es offensichtlich gelungen, Cades Verlust so gut wie möglich auszugleichen.
Da Gil keine Anstalten machte, sich zu setzen, folgte Bailey seinem Beispiel. Sie hatte ihre Aufgabe zu erledigen und würde sich nicht von Gils Machogehabe einschüchtern lassen. Schließlich arbeitete sie in einer Branche, die noch immer von Männern dominiert wurde. Um sich gegen ihre männlichen Kollegen behaupten zu können, hatte sie sich eine raue Schale zugelegt, auch wenn sie dadurch manchmal das Gefühl hatte, sich zu verstellen.
„Ich dachte, Sie wären schon wieder nach Dallas zurückgekehrt.“
Sie zuckte mit den Achseln. „War ich auch. Für eine Woche. Aber der Fall ist immer noch ungeklärt, und mein Boss will, dass ich jetzt hier weiterermittle.“
„Das letzte Mal sind Sie ja nicht besonders erfolgreich gewesen“, bemerkte Gil und sah Bailey wütend an.
Gelassen erwiderte sie seinen Blick. „Ermittlungen brauchen eben ihre Zeit, wie Sie sicherlich wissen. Ich verstehe es jetzt übrigens, Gil.“
„Was denn?“
„Sie sind zutiefst beleidigt, weil Sie auf der Liste der Tatverdächtigen stehen. Ich habe an Ihrer Ehre gekratzt, und jetzt sind Sie angepisst deswegen. Habe ich damit ins Schwarze getroffen?“ Herausfordernd sah sie ihn an.
Sein Gesicht wirkte mit einem Mal wie versteinert. „Sie sollten Ihre Zeit besser darauf verwenden, Kriminelle zu befragen, anstatt angesehene Mitglieder der Gesellschaft zu belästigen.“
„Sie wissen doch ganz genau, dass man Sie niemals wirklich verdächtigt hat. Es ist mein Job, mit allen zu sprechen, die Alex kennen, um die Entführer zu schnappen.“
„Und trotzdem hatten Sie noch keinen Erfolg.“
Beim scharfen Klang seiner Stimme zuckte sie zusammen. „Immerhin ist Alex wieder in Royal.“
„Aber das ist nicht Ihr Verdienst.“
„Ich muss mich wohl kaum vor Ihnen rechtfertigen“, gab sie zurück. „Könnten wir jetzt wieder aufs eigentliche Thema zu sprechen kommen?“
„Und das wäre?“
Als sie das Haus verlassen hatten, hatte Gil sich einen abgetragenen Stetson aufgesetzt. Jetzt verdunkelte der Schatten des Hutrandes seine Augen.
Bailey ließ sein Anblick ganz und gar nicht kalt. Die ausgewaschenen Jeans, die seine schmalen Hüfte umspannten und die schlanken, muskulösen Beine hervorragend betonten, die breiten Schultern unter dem maßgeschneiderten Hemd, die teuren Lederstiefel … das alles ließ keinen Zweifel daran, dass Gil Addison durch und durch ein echter Cowboy war.
Die Anziehungskraft, die er auf Bailey ausübte, war körperlich spürbar, und sie bedauerte aufrichtig, dass zwischen ihnen beiden nie etwas laufen würde. Dabei war es schon verdammt lange her, dass sie einen Mann so anziehend gefunden hatte. Allerdings konnte Gil sie nicht ausstehen, und ihr neuester Auftrag würde nicht gerade dazu beitragen, die Sache zu vereinfachen.
Während sie im Stillen ihr trostloses Liebesleben bedauerte, kam sie auf den entscheidenden Punkt zu sprechen. „Ich benötige den Zugang zu den Akten aller Mitglieder des Texas Cattleman’s Clubs.“
„Kommt überhaupt nicht infrage.“
Bailey verschränkte die Hände hinter dem Rücken und beugte sich über die Verandabrüstung, um zu verhindern, dass sie versehentlich die Arme um Gils gebräunten Nacken schlang. Dieser Mann trieb sie noch in den Wahnsinn. „Ich habe bereits alle erforderlichen Genehmigungen eingeholt“, ließ sie ihn wissen. „Aber ich würde es bevorzugen, wenn wir uns freundschaftlich einigen könnten. Seien Sie doch wenigstens ein Mal ein Gentleman und laden mich als Gast in Ihren Club ein.“
Leise stieß er einen Fluch aus, der Bailey zusammenzucken ließ. „Ich bin der Präsident des TCC“, erklärte er wütend – wobei er dabei die gebräuchliche Abkürzung für den Texas Cattleman’s Club verwendete. „Die Leute vertrauen mir ihre Geheimnisse an. Ich kann ihr Vertrauen wohl kaum missbrauchen.“
„Ihnen bleibt aber keine andere Wahl. Meine Anordnungen kommen von ganz oben, und ich werde auf jeden Fall die Akten durchgehen. Sie haben die Wahl: Entweder machen Sie mir das Leben schwer, oder Sie helfen mir. Liegt ganz bei Ihnen. Aber am Ende bekomme ich die Informationen, die ich brauche. Verlassen Sie sich drauf!“
Entnervt nahm Gil den Hut ab und wischte sich mit der Hand über die feuchte Stirn. Es war Januar, um Himmels willen, und eigentlich dürfte es gar nicht so schwülwarm sein.
Bailey hingegen schien trotz ihres dunklen Blazers völlig kühl und gelassen, wobei sie ihn so aufmerksam beobachtete, als wäre er eine gefährliche Klapperschlange, die kurz davor stand zuzubeißen.
Natürlich konnte sie nicht wissen, dass er tatsächlich schon davon geträumt hatte, an ihr herumzuknabbern … an ihrem schlanken Hals entlang bis hin zu dem verführerischen Dekolleté, das unter dem Kragen ihrer Bluse hervorblitzte. Erregung ergriff von ihm Besitz, und diese Frau hatte vermutlich nicht die geringste Ahnung, wie sehr sie trotz ihrer nüchternen Kleidung sein Blut in Wallung brachte. Heiße Bilder, wie er sie auszog, um endlich freien Blick auf ihren nackten, durchtrainierten Körper zu haben, schossen ihm durch den Kopf.
Erregung durchflutete ihn, und er bemerkte, wie seine Jeans plötzlich enger zu werden schien. Er stieß einen stummen Fluch aus und sah hastig in die Ferne – über das Land, das ihm gehörte, so weit das Auge reichte. Verzweifelt suchte er nach einem unverfänglichen Gesprächsthema.
„Sagt Ihnen der Name General Philip Sheridan aus dem amerikanischen Bürgerkrieg etwas?“
Bailey runzelte die Stirn. „Geschichte ist ehrlich gesagt nie mein Spezialgebiet gewesen, aber ich habe den Namen schon mal gehört.“
„Nach dem Krieg hat man ihm einen Posten in Texas angeboten. Er soll gesagt haben, lieber würde er in der Hölle leben.“
„Ich hätte jetzt nicht erwartet, das ausgerechnet von Ihnen zu hören. Normalerweise sind Texaner ziemlich überheblich.“
„Dafür haben wir auch gute Gründe … wenn man mal vom Wetter absieht“, gestand er, bevor er sich den Stetson wieder aufsetzte und sich zwang, die Hände bei sich zu behalten und Bailey nicht die Sachen vom Leib zu reißen.
„Dann soll ich also glauben, dass alles in Texas größer und besser ist?“
Überrascht sah er sie an. Flirtete sie etwa mit ihm? Unmöglich. Sie wirkte so kühl und gelassen wie zuvor und kein bisschen so, als hätte sie ihre Bemerkung zweideutig gemeint. Zu schade.
„Ja“, erwiderte er kurz angebunden. „Eigentlich müssten Sie das doch wissen. Schließlich kommen Sie aus Dallas.“
„Ich stamme aber nicht aus Dallas. Mein Dad ist in der Army gewesen, und wir sind viel rumgekommen. Ich arbeite augenblicklich nur in Dallas.“
„Und wo sind Sie zu Hause?“
Ein paar Sekunden verstrichen, und einen kurzen Moment meinte er, Bedauern in ihren braunen Augen sehen zu können. „Im Grunde nirgendwo richtig.“
Deutlich nahm er ihr Unbehagen wahr. Es fiel ihm schwer, sich vorzustellen, wie es sein musste, keine Wurzeln zu haben. Texas war ein Teil von ihm und gehörte zu ihm wie sein Herzschlag. „Tja“, meinte er. „Sie sind zwar nicht hier geboren, aber wenigstens so schnell wie möglich hergekommen.“
Lächelnd verschränkte sie die Arme. „Das kann man wohl so sagen.“
„Offenbar kann ich nichts gegen Ihre Anwesenheit unternehmen“, stellte er bekümmert fest.
„Da haben Sie völlig recht.“ Obwohl sie sich bestimmt über seine Kapitulation freute, ließ sie sich nichts anmerken.
„Also gut. Kommen Sie morgen um zehn Uhr in den Club. Ich zeige Ihnen dann, wo Sie Ihre Informationen herbekommen können.“
„Ich bin Computerexpertin, Gil, und brauche bestimmt nicht mehr als eine Woche, bevor ich wieder aus Ihrem Leben verschwinde.“
Zu schade. Er sah auf die Uhr. „Kommen Sie, verabschieden Sie sich noch von Cade.“
Im Arbeitszimmer fanden sie Cade vor dem Computer. Bestürzt stellte Gil wieder einmal fest, wie sehr sein Sohn sich über ihre Besucherin zu freuen schien.
„Ich habe noch drei Level geschafft, Bailey.“
Sie nickte ihm zu. „Prima.“
Fragend sah der Junge zu seinem Vater. „Nennst du sie auch Bailey?“
„Ich denke schon“, gestand Gil. „Sie ist noch eine Weile bei uns.“
„Toll.“ Cade lächelte strahlend.
Scherzhaft zog Gil seinen Sohn am Ohr. „Benimm dich, junger Mann. Ich brauche deine Hilfe nicht, um eine Frau zu finden.“
Erfreut stellte er fest, dass Bailey errötete. Es war nur fair, dass sie sich unwohl in ihrer Haut fühlte, schließlich stellte sie sein ganzes Leben auf den Kopf und versetzte zu allem Überfluss seine Libido in hellen Aufruhr. Je früher sie mit ihrem Job fertig war und die Stadt verließ, desto besser.
Am nächsten Morgen traf Bailey eine Viertelstunde früher als mit Gil vereinbart auf dem Parkplatz des Texas Cattleman’s Club ein. Die Hitzewelle hielt die ganze Gegend immer noch unbarmherzig im Griff, und die Wintergarderobe, die Bailey für ihre Reise mitgenommen hatte, war viel zu warm.
Kurzerhand entschied sie, auch ohne Blazer einen professionellen Eindruck vermitteln zu können, und legte das Kleidungsstück sorgfältig auf den Rücksitz. Nachdem sie die Ärmel ihrer weißen Seidenbluse hochgekrempelt hatte, seufzte sie erleichtert auf.