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PROLOG

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Wenn ich heute auf diese ersten, frühen Tage des Wettbewerbs zurückblicke, kann ich über meine grenzenlose Naivität nur mehr den Kopf schütteln. Und gleichzeitig verspüre ich Mitleid mit dem einfältigen, unbedarften Mädchen von damals. Wie hätte ich auch ahnen können, in was ich bereits hineingeschlittert war.

Ich sah nur den Wettbewerb – oder besser: Ich sah ihn nicht. Mein einziges Ziel war es, möglichst schnell wieder nach Hause zu meiner Schwester und ihrem Mann zu kommen.

Dennoch weiß ich nicht, ob ich mich mit dem heutigen Wissen anders verhalten hätte. Vielleicht. Womöglich hätte ich mein Schicksal aber auch erst recht herausgefordert.

Schon kurz nach dem Zwischenfall mit Alissa, die mich bei unserem Balanciertraining mit voller Absicht bloßgestellt und verletzt hatte, befand ich mich auf dünnem Eis. Doch natürlich war mir das damals nicht klar gewesen.

Denn da war noch etwas anderes, das meine Aufmerksamkeit unerbittlich einzufordern versuchte und sich immer schwerer zurückdrängen ließ: das furchtbar schöne und furchtbar beängstigende Gefühl der ersten Verliebtheit. Denn ich hatte mich noch nie so unsicher, so verzagt gefühlt wie in diesen Tagen.

Nachdem ich die vier jungen Männer kennenlernen durfte, spürte ich zum ersten Mal, wie sehr ich mich, wie sehr mich meine Tante Danielle von der Welt abgeschottet hatte. Dabei lebten wir in Viterra ja bereits unter einer gläsernen Kuppel.

Ich verstand damals noch nichts von jungen Männern und es war also kein Wunder, dass ich mich so töricht verhielt. Wenn ich heute darüber nachdenke, könnte ich gleichzeitig weinen und schreien vor Lachen. Ich war so nervös und verwirrt und hatte keine Ahnung, dass dies erst der Anfang eines ganzen Orkans an Gefühlen war.

Glücklicherweise hatte ich Claire an meiner Seite. Die anderen Kandidatinnen mochten mich nicht.

Und dann war da noch dieser mysteriöse Wächter in der Dunkelheit. Er hatte mir, so seltsam es auch erscheinen mag, ein Gefühl von Sicherheit verliehen, er hatte mir das Gefühl gegeben, beschützt zu werden.

Wenn ich doch schon damals gewusst hätte, wie viel Schutz ich tatsächlich bedurfte.

Doch besser der Reihe nach: Meine Geschichte geht an jenem Abend weiter, an dem die erste Aufgabe des Wettbewerbs zur Auswahl der Prinzessin verkündet wurde.

1. KAPITEL

WIR ALLE HABEN UNSERE AUFGABEN IM LEBEN

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Als ich zurück zu den Türmen kam, drangen bereits aus allen Fenstern aufgeregte Gespräche zu mir herüber. Der Stimmenwirrwarr tat seine Wirkung: Langsam, aber sicher wurde auch ich neugierig auf die bevorstehende Aufgabe. Gleichzeitig erschauerte ich bei der Vorstellung, dass das ganze Königreich uns bei der Erfüllung zusehen würde.

Doch bevor mich diese Erkenntnis zu überwältigen drohte, kam mir schon Claire entgegengestürmt.

»Oh Tanya! Weißt du schon, was wir machen müssen?«, kreischte sie und packte mich am Arm, um mich zum Turm zu ziehen.

Ich verzog meinen Mund angesichts der Schmerzen in meiner Hand und löste mich sanft aus ihrer Umklammerung. »Nein, woher auch. Was müssen wir denn machen?«

»Oh, du glaubst es nicht!«, platzte es aus ihr heraus. »Schau es dir am besten selbst an. Ich bin absolut fassungslos. Schockiert. Weiß nicht mehr, was ich sagen soll.« Kurz hielt meine Freundin inne und atmete tief durch. »Rose hat es mir schon gezeigt, deshalb darfst du unser Päckchen mit der Aufgabe öffnen.« Ihre Stimme wurde immer lauter und gereizter, so dass sogar mein Herz begann, seinen Rhythmus zu beschleunigen.

Hektisch schob sie mich in den Turm, nahm mir den Korb ab und deutete mit aufgerissenen Augen und zusammengepressten Lippen auf mein Bett.

Bereitwillig folgte ich ihrer Geste und erblickte ein in goldenes Geschenkpapier eingewickeltes, kleines Päckchen, das mit einer schwarzen Schleife verziert war. Ungläubig starrte ich es an. Dieses kleine Ding verursachte eine solche Aufregung?

Bevor ich es an mich nehmen konnte, eilte Claire jedoch schon zu meinem Bett, riss das Päckchen hoch und drückte es mir in die Hand.

»Bitte, bitte, mach es endlich auf! Du wirst bestimmt ebenso den Kopf schütteln. Denn ich für meinen Teil kann nicht fassen, dass wir so etwas machen müssen. Meine Eltern werden sich den Rest ihres Lebens über mich lustig machen, wenn sie sehen, wie ich anfange zu basteln«, zeterte sie und spie das letzte Wort förmlich aus. »Nicht einmal als Kind hatte ich Lust dazu.«

Beim Anblick ihrer vor Empörung geröteten Wangen und ihrer wild tanzenden Locken konnte ich mir ein Grinsen nur schwer verkneifen. Was hatte sie denn bloß?

Schnell schloss ich meine Finger um die Schleife und zog sachte daran, so dass sie sich öffnete. Dann löste ich vorsichtig das schöne Papier vom Päckchen. Zum Vorschein kam eine kleine, schwarze Schachtel, die kaum größer war als meine Faust. Vorsichtig öffnete ich den Deckel – und stutzte. Darinnen lag ein zierlicher goldener Schlüssel, eingebettet in schwarzem Samt. Mehr nicht. Einfach nur ein Schlüssel.

»Siehst du!«, kreischte Claire und deutete fast schon angewidert auf das kleine, goldene Etwas.

Ich ignorierte sie, nahm den Schlüssel seelenruhig in meine Hand und drehte ihn langsam hin und her. Doch egal, wie intensiv ich ihn auch ansah: Ich konnte nichts Besonderes daran erkennen. Da entdeckte ich einen Zettel im Deckel, der mir bisher verborgen geblieben war, zog ihn heraus und faltete ihn auseinander.

Dupliziere den Schlüssel zum Herzen des Prinzen.

»Das ist doch unglaublich, oder? Wer denkt sich denn so etwas Kitschiges aus? Denn wie stellen die sich das vor? Sollen wir den Schlüssel etwa aufmalen und dann ausschneiden?« Claire schmiss sich theatralisch auf mein Bett und seufzte laut, während sie sich die Hand vor die Stirn schlug.

Und ich musste wirklich den Kopf schütteln, aber nicht aus dem Grund, den meine Freundin vielleicht annahm. »Was ist denn so schlimm an der Aufgabe? Meinst du nicht, du übertreibst ein bisschen?«, fragte ich sie und ließ mich neben sie aufs Bett sinken. Dabei betrachtete ich weiterhin den Schlüssel in meiner Hand.

»Was so schlimm daran ist? Diese Aufgabe ist äußerst peinlich für eine zukünftige Prinzessin! Wieso können wir nicht etwas Nützliches machen? Einen hübschen Blumenstrauß binden, zum Beispiel, oder ein tolles Kleid entwerfen. Das wären viel bessere Aufgaben. Schließlich sind wir hier doch nicht im Kindergarten!« Meine Freundin seufzte erneut und drehte sich dann mit einem Ruck auf ihren Bauch, so dass ihr dunkelblaues Kleid raschelte.

Ich wollte mit Claire ganz gewiss keine Diskussion über die nützlichen und weniger nützlichen Dinge des Lebens, geschweige denn des Prinzessinnendaseins, führen. Daher entgegnete ich schlicht: »Ich finde es nicht so schlimm.« Und das stimmte. Tatsächlich überlegte ich bereits, wie ich die Aufgabe lösen konnte.

»Was? Ist das dein Ernst?!« Entgeistert starrte sie mich an und zog überrascht ihre Augenbrauen hoch.

»Ja. Das ist eigentlich sogar ganz interessant.«

»Also du bist wirklich seltsam. Alle anderen Kandidatinnen finden die Aufgabe genauso scheußlich wie ich.«

»Wirklich? Dabei ist sie doch recht einfach. Bekommen wir Materialien dafür gestellt?« Mit einem Mal beflügelt von dieser neuen Herausforderung sprang ich auf und begann meine Krankenkluft auszuziehen. Augenblicklich wurde mir schwindelig und ich verharrte einige Sekunden lang an Ort und Stelle.

»Bestimmt«, antwortete Claire nachdenklich. »Aber ich weiß nicht, was. Sag mal, glaubst du wirklich, wir könnten das gut hinbekommen?« Dabei stand sie auf und half mir aus dem weißen Mantel. Ich nickte ihr dankbar zu und verfolgte, wie sie ihn geschickt auf einem Kleiderbügel drapierte und dann in den Schrank hängte. Danach half sie mir auch noch aus meinem Nachtkleid.

»Ja, das glaube ich. Ich durfte hin und wieder bei meiner Schwester und ihrem Mann in der Schmuckschmiede aushelfen. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir das sogar besser machen können als die anderen. Nichts da mit abmalen und ausschneiden!« Langsam wurde ich richtig aufgeregt und zog mir so schnell es mit meiner verletzten Hand ging eine gemütliche Hose und einen Pullover an. Als Letztes schlüpfte ich in ein Paar Pantoffeln, die Claire mir aus dem Schrank geholt hatte.

»Du hast so etwas schon einmal gemacht? Das ist unglaublich!«

Claires Verblüffung ehrte mich. Doch ich zwinkerte ihr nur zu und warf ihr betont lässig den Schlüssel hin. Ungeschickt fing sie ihn auf und begann breit zu lächeln.

»Also, was machen wir?« Auf einmal voller Tatendrang hüpfte Claire wie ein kleines Schulmädchen auf und ab und blickte mich dabei ehrfürchtig an. In ihren Augen glitzerte reiner Siegeswillen.

»Erst mal machen wir gar nichts. Ich weiß, was zu tun ist, und werde es dir noch in aller Ruhe erklären.« Mit einem Lächeln setzte ich mich auf den Rand meines Bettes – bis mir plötzlich etwas einfiel. »Was ist eigentlich mit deiner Verabredung? Bist du schon fertig?«

Claires Gesicht wurde mit einem Mal kreidebleich. Sie starrte auf die kleine Standuhr und dann wieder zu mir. »Verdammt! Wie konnte ich das nur vergessen? Er wird jeden Moment hier sein und ich habe noch nicht mal das richtige Kleid an!«, quiekte sie panisch und rannte zum Schrank.

Grinsend stemmte ich mich wieder hoch und folgte ihr. Sie zog drei Kleider heraus und hielt sie sich an ihren Körper.

»Nimm das grüne«, ermunterte ich sie.

»Ich liebe dich«, seufzte Claire und drückte mich kurz an sich, während sie die restlichen Kleider einfach auf ihr Bett warf. Da klopfte es an der Tür.

»Verflucht!« Panik quoll aus all ihren Poren. »Bitte mach was! Er darf mich nicht so sehen. Ich bin noch nicht fertig. Oh nein, dafür wird er sich bestimmt nie wieder mit mir verabreden«, schniefte sie in schauspielerischer Höchstleistung und umklammerte fest ihr Kleid.

»Du machst dich jetzt fertig und ich werde mich zu ihm hinaussetzen. Ich mag Fernand. Er ist in Ordnung. Nicht mein Typ natürlich«, ergänzte ich sogleich beschwichtigend und musste über Claires entgeisterten Gesichtsausdruck lachen. »Los, verschwinde schon!«

»Danke. Du bist die Beste!« Überschwänglich drückte sie mich noch einmal an sich und gab mir einen Kuss auf die Wange.

»Lass dir nicht zu viel Zeit. Du siehst bereits blendend aus.«

Ich löste mich von ihr und ging zur Tür hinüber. Als ich sie öffnete, stand dort tatsächlich Fernand. Er trug legere Kleidung, was seiner Ausstrahlung jedoch keinen Abbruch tat. Vor Freude blitzten seine Augen. Seine braunen Haare, die in der Sonne rötlich schimmerten, trug er leicht verwuschelt. Das stand ihm sehr gut und verlieh ihm etwas Jungenhaftes.

Hastig zog ich die Tür hinter mir zu.

»Ich würde so gerne mit dir ausgehen, aber heute habe ich ein Auge auf deine reizende Turmgenossin geworfen.« Sein entwaffnendes Lächeln entschädigte mich vollends für die »Abfuhr«.

»Du brichst mir das Herz.« Ich atmete tief ein und schüttelte meinen Kopf. Dann zuckte ich mit meinen Schultern und hakte mich grinsend bei ihm unter. »Aber meine allerliebste Lieblings-Turmgenossin ist leider noch nicht fertig. Nimm es ihr nicht übel. Ich bin gerade erst zurückgekommen und sie hat sich so rührend um mich gekümmert. Dabei haben wir die Zeit vergessen.« Ich setzte mich auf die Bank vor dem Turm und zog ihn neben mich.

»Hat dich Heiler Larsson also aus seinen Fängen gelassen, ja?« Fernand zwinkerte mir vergnügt zu, dann schwiegen wir eine kleine Weile. Es war ein angenehmes Schweigen, wie unter Freunden. Schließlich ergriff Fernand wieder das Wort: »Was hältst du eigentlich von eurer Aufgabe?«

»Ich denke, damit lässt sich was anfangen«, entgegnete ich lächelnd.

»Das Grinsen in deinem Gesicht ist ziemlich verräterisch.« Er boxte mir spielerisch gegen meine Schulter und lachte.

»Lass dich überraschen.« Ich konnte einfach nicht anders, als leise zu kichern. Seine Art erinnerte mich ein wenig an Markus, den ich für einen Moment schmerzlich vermisste.

»Was planst du nur? Jetzt hast du mich neugierig gemacht und ich weiß nicht, ob ich es bis Sonntag aushalte.«

»Das wirst du noch früh genug herausfinden.«

»Ach komm, jetzt tu doch nicht so geheimnisvoll. Wir sind doch Freunde, oder nicht?«

Aha, er versuchte es nun auf die hinterhältige Tour. Doch das konnte ich genauso gut wie er.

»Gegenfrage: Sag mir, wer von euch der Prinz ist, und ich sage dir, wie wir die Aufgabe lösen. Freunde haben doch keine Geheimnisse voreinander, oder?« Dabei klimperte ich geziert mit meinen Wimpern.

Er prustete los. »Das ist etwas anderes.«

Vielsagend hob ich meine Augenbrauen. »Wirklich?«

»Schon gut«, lenkte er ein. »Geht es dir jetzt eigentlich besser?«

Ich öffnete meinen Mund schon zur Antwort, da fiel mein Blick auf Henry und Charles, die auf die Türme zuliefen und sich kurz darauf trennten, um ihre Verabredungen in Empfang zu nehmen. Henry musste gar nicht lange warten: Emilia – ausgerechnet Emilia! – sprang ihm förmlich entgegen. Sie sah aus, als würde sie sich viel von dem Abend versprechen. Allein ihr Ausschnitt! Einfach skandalös! Angewidert wandte ich mich ab.

»Alles okay? Du siehst plötzlich so grün im Gesicht aus.« Fernand lächelte mir aufmunternd zu. Natürlich war ihm das Abholspektakel auch nicht entgangen.

Ich musste zugeben, ich mochte ihn immer mehr, wusste jedoch nicht genau, was ich von dem halten sollte, was sich zwischen uns abspielte. War es überhaupt in Ordnung, wie ich mit ihm redete? Oder betrog ich damit meine Freundin, auch wenn ich einfach nur Spaß machte?

»Erica wird gleich da sein. Wir wollten zusammen etwas essen«, sagte ich ausweichend und traute mich nicht, ihn dabei anzusehen.

»Hm.« Er wusste natürlich sofort, dass ich ihm nicht die Wahrheit sagte, doch war höflich genug, mich nicht weiter zu bedrängen.

Auf einmal schwang die Tür neben uns auf. Claire trat heraus und knetete aufgeregt ihre Hände.

Sofort sprang Fernand auf und verbeugte sich vor ihr. »Einen wunderschönen Guten Abend, Miss Claire.«

Meine Freundin machte einen eleganten Knicks, kam dann die Stufen herunter und hakte sich bei ihm unter. Da erhob auch ich mich und baute mich vor den beiden auf. Bei meiner Körpergröße sicherlich sehr beeindruckend.

»Dass du mir das Kind auch wieder heil zurückbringst. Ich will weder Kratzer noch sonst irgendwelche rüpelhaften Spuren an ihr finden, mein Freundchen«, drohte ich mit ausgestrecktem Zeigefinden – und erntete von Fernand schallendes Gelächter. Auch Claire stimmte schüchtern mit ein, nickte mir dann jedoch dankbar zu.

»Sehr wohl, Madame Tatyana. Ich werde sie mit meinem Leben beschützen.« Er drehte sich zu Claire. »Können wir?«

»Natürlich«, antwortete sie glücklich lächelnd.

Fernand zwinkerte mir zu und ging dann mit Claire davon.

Mit einem seligen Lächeln auf meinen Lippen sah ich den beiden hinterher und setzte mich wieder auf die Bank. Ich gönnte ihnen ihre Zweisamkeit von ganzem Herzen.

Einen Moment lang ergab ich mich dem irren Gefühl vollkommener Zufriedenheit. Dann sah ich eine Gestalt aus dem Schatten des Palastes hervortreten. Wobei »Treten« nicht ganz stimmte: Eher rannte sie. Es war Phillip. Doch er bemerkte mich nicht einmal, sondern hielt direkt auf einen Turm weiter rechts von meinem zu. Dort angekommen klopfte er so laut, dass es in meinen Ohren wehtat. Nur einen Augenblick später öffnete eine Kandidatin die Tür und trat heraus. Charlotte.

Mein Magen verkrampfte sich schmerzhaft, als ich die beiden dabei beobachtete, wie sie scheinbar vertraut in Richtung des Palastes gingen. Vorbei war der kurze Augenblick des Wohlbehagens. Ich fühlte mich vielmehr, als würde mein ganzer Körper in Flammen stehen. Dennoch konnte ich nicht anders und starrte ihnen wie gebannt hinterher.

Wenig später trat Erica um die Ecke und hetzte auf mich zu. Ich sah ihr entgegen, schielte jedoch gleichzeitig an ihr vorbei, um noch einen letzten Blick auf Phillip und Charlotte zu erhaschen.

»Entschuldige mich bitte. Dringende Angelegenheiten.« Sie fächelte sich Luft zu. »Komm. Wir sollten reingehen. Ich verhungere sonst gleich.« Energisch zog sie mich von der Bank hoch und hinein in den Turm. Drinnen stürzte sie sich sofort auf den Korb und öffnete ihn. Er war voll mit Plastikschälchen, in denen frische Früchte und belegte Brote lagen. Da wir nicht am Schminktisch essen wollten, breitete sie alles mit einer Decke auf meinem Bett aus.

Ich krabbelte darauf und setzte mich im Schneidersitz vor die Leckereien, während sich Erica einen Stuhl zum Bett heranzog.

Schweigend begannen wir zu essen. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, doch in mir brodelte die Eifersucht. Dabei war es doch alles sonnenklar: Natürlich wurden Charlotte und Emilia als Erste gefragt. Sie waren immerhin Nachfahrinnen der Gründer und gehörten zu den ältesten Familien von Viterra. Ihre Verwandten hatten beinahe die ganze Industrie des Landes in der Hand. Wieso sollten die jungen Herren also mich fragen? Zumal ich sowieso bald weg sein würde, da war ich mir nach wie vor sicher.

»Was hältst du von der ersten Aufgabe?« Ericas Frage ließ mich hochschrecken. Ob es ihr aufgefallen war, dass meine Gedanken ganz weit weg flogen? Wenn ja, zeigte sie es mir nicht.

»Ich finde, dass das eine gute Aufgabe ist. Eine Aufgabe, die wir wohl meistern können«, antwortete ich achselzuckend und biss in einen Apfelschnitz.

»Wirklich?«

»Natürlich. Sie ist sehr interessant und ich denke, wir haben schon einen guten Lösungsansatz gefunden.« Krampfhaft bemühte ich mich, nicht so nervös zu klingen, wie ich es gerade war. Einerseits fühlte ich mich grässlich, andererseits wollte ich es jetzt erst recht allen beweisen.

»Darf ich denn erfahren, was für eine Lösung du dir überlegt hast?«, fragte Erica neugierig und griff nach einer süßen Erdbeere, die mit Schokolade überzogen war.

Ich tat es ihr nach und kostete ebenfalls eine Schokoladenfrucht. Unwillkürlich musste ich schmunzeln, da Erica Claire wohl von vornherein für die Bewältigung der Aufgabe ausschloss.

»Ich weiß doch überhaupt noch nicht, ob es alle Materialien dafür gibt«, entgegnete ich vorsichtig.

Da leuchteten Ericas Augen auf. »Das kann ich dir sagen. Das ist kein Geheimnis.« Sie zählte mir aufgeregt alles auf, was uns zur Verfügung stand, und in meinem Gesicht erwuchs ein breites Grinsen. Nur zu gern berichtete ich ihr, wie genau ich mir alles vorstellte.

»Das ist wirklich beeindruckend«, erwiderte sie, als ich mit glänzenden Augen innehielt. »Ich bin mir sicher, dass nicht eine andere Kandidatin so etwas kann. Oh, ich freue mich schon darauf! Das wird sicher ein richtig schöner Schlüssel.«

»Danke. Aber wir sollten erst einmal abwarten. Noch ist das gute Stück nicht hergestellt«, tadelte ich sie und verzog meinen Mund, da ich in eine bitter schmeckende Mandarine gebissen hatte. »Was war das eigentlich für ein Problem vorhin, als du mich abholen wolltest?«, fragte ich Erica betont beiläufig, doch konnte nicht anders, als zu ihr hinüberzuschielen.

Sie betrachtete mich erst ein wenig misstrauisch, atmete dann aber tief ein. »Nichts Besonderes. Nur eine kleine Unstimmigkeit. Das legt sich schon wieder.«

»Ach so. Na ja, dann ist es ja gut.« Ich wusste, dass sie mir nicht die Wahrheit sagte. Doch wer war ich schon, dass ich sie drängen durfte?

Wir redeten noch eine Weile über die Aufgabe und über einige andere belanglose Dinge, während die Schälchen zunehmend leerer wurden.

»Ach, wo bleibt sie nur?«, murmelte Erica irgendwann und schaute auf die Uhr.

»Claire?«, fragte ich erstaunt.

»Ja, natürlich. Oder denkst du, ich lasse meine Schützlinge so lange ausbleiben, wie sie wollen? Wir sind hier schließlich im königlichen Palast und nicht auf einem Bauernhof.«

Angesichts dieses Vergleichs musste ich lachen. »Wie lange dürfen solche Verabredungen denn dauern?«

»Bis zehn Uhr. Dann müssen die jungen Männer die Kandidatinnen zurück zu ihrem Turm bringen.« Sie begann damit, die Essensschalen wieder in den Korb zu räumen.

»Wartet jede Vertraute auf die Rückkehr?«

»Natürlich. Das ist unsere Pflicht.«

Nun blickte auch ich auf die Uhr. Es war fünf Minuten vor zehn. Die jungen Herren mussten also jeden Moment zurückkommen.

»Weißt du schon vorher, welche Kandidatin von welchem jungen Mann gefragt wird?« Bereitwillig half ich ihr beim Einsammeln der Sachen.

»Ja. Es gibt sogar einen Plan für diese Woche. Das wissen jedoch die Kandidatinnen vorher nicht. Als Erstes werden die Mädchen gefragt, von denen sich die jungen Männer noch kein genaues Bild machen konnten. Sie verdienen schließlich alle eine Chance«, erklärte sie eifrig.

»Also ist, ganz hypothetisch angenommen, Emilia mit Henry bei einer Verabredung, weil er erst einmal sehen muss, was für ein Mensch sie ist?«

Erica verzog ihr Gesicht, sah mich jedoch nicht an. »Also, nein, nicht unbedingt. Bei Miss Emilia ist es ein wenig anders … Sie ist schließlich eine Dupont. Genauso wie Miss Charlotte eine Eddison ist. Es gibt da Verpflichtungen –«

»Ich verstehe, man kann natürlich niemanden mit so hohem gesellschaftlichem Rang einfach links liegen lassen«, unterbrach ich sie aufgebracht. »Wer könnte das nicht nachvollziehen?« Ein heftiger Stich durchfuhr meinen Magen.

Bevor Erica etwas erwidern konnte, ging plötzlich die Tür auf und eine strahlende Claire kam herein.

Kopflos sprang ich auf. »Entschuldigt mich bitte, ich müsste mich kurz frisch machen. Ich bin sofort wieder zurück«, erklärte ich hastig und rannte auch schon die kleine Wendeltreppe zu unserem Badezimmer hoch. Dort angekommen ließ ich das Licht aus und stellte mich ans Fenster. An genau das Fenster, von dem aus ich erschreckend gut auf Charlottes Turm schauen konnte. Ich sah gerade noch, wie Phillip sich an der Turmtür zum Gehen wandte. Kurz blieb er stehen, um auf Fernand und Henry zu warten. Dabei schaute er zu unserem Turm herüber. Zumindest wirkte es so.

Hastig drückte ich mich an die Wand und das, obwohl er mich unmöglich sehen konnte. Trotzdem wollte ich nichts riskieren. Schließlich war mein Verhalten absolut irrational, unverständlich und kindisch. Und dennoch gab es mir eine enorme Genugtuung zu sehen, dass er nicht mehr mit ihr alleine war.

Ich war mir selbst schon peinlich.

2. KAPITEL

OHNE EIFERSUCHT KEINE LIEBE

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Als Claire am nächsten Morgen auf mein Bett sprang und mich weckte, brannten meine Augen. Für einen kurzen Moment erinnerte ich mich an den gestrigen Abend. Nachdem Erica gegangen war, hatte Claire mir haarklein von ihrer Verabredung erzählt. Was Fernand wann gesagt oder getan hatte. Und wieso sie was gesagt und getan hatte. Am Ende hatte er sie tatsächlich geküsst. Immer wieder war sie sich bei der Erzählung unwillkürlich mit den Fingern über die Lippen gefahren. Wie berauscht und verzaubert.

Ich freute mich für sie. Meiner Meinung nach würden die beiden perfekt zueinanderpassen. Aber das konnten weder ich noch Claire entscheiden. Schließlich waren wir nur Kandidatinnen in einem perfiden Wettbewerb. Natürlich sagte ich ihr das nicht, vor allem, nachdem sie sich rücklings auf ihr Bett geworfen und nur noch von ihm geredet hatte.

Irgendwann übermannte mich dann doch die Neugier, schließlich hatte meine Freundin zuvor augenscheinlich nur die Krone gewollt. »Was ist, wenn Fernand nicht der Prinz ist?«, fragte ich sie forsch.

Da hatte sie sich zu mir gedreht, den Kopf auf ihrer Hand abgestützt und mich angelächelt. »Dann bin ich wohl in einen ganz normalen jungen Mann verliebt. Aber hey, das ist mir egal! Stell dir das doch mal vor: Mir ist egal, ob er ein Prinz ist oder nicht. Das ist echt unglaublich!«

In diesem Moment durchflutete ein warmes Gefühl von Zuneigung mein Herz. »Das ist schön. Ich freue mich für dich.« Dann hatte ich sie fest an mich gedrückt.

Claire hatte sich verliebt und sie hatte es verdient. Ich hoffte nur inständig, dass Fernand ihr nicht das Herz brechen würde.

Jetzt saß der hübsche Rotschopf auf meinem Bett und ließ die Matratze wippen.

»Was ist?«, fragte ich gähnend und versuchte mich mühevoll aufzusetzen. Als ich meine verletzte Hand belastete, zuckte ich zusammen und ließ mich wieder zurückfallen.

»Du siehst wirklich scheußlich aus«, stellte Claire kopfschüttelnd fest.

In gespielter Empörung warf ich die Decke von mir und rappelte mich endgültig hoch. »Vielen Dank für das Kompliment. Nicht jede von uns kann verliebt auf Wolke sieben schweben. Und was sind das überhaupt für Ausdrücke, junge Dame?«

Claire kicherte amüsiert. »Junge Dame«, äffte sie mich nach. »Das fand ich schon immer witzig: Wir sind völlig normal und trotzdem werden wir als junge Damen bezeichnet. Als wären wir noch im Mittelalter.«

Sie kam hinter mir her, schob mich sanft beiseite und zog für mich ein rosa Kleid mit weißer Spitze aus dem Schrank. Inzwischen ein lieb gewonnenes Auswahlritual.

Ich schlüpfte hinein und war erstaunt, dass es Claire überhaupt nichts mehr ausmachte, mich in Unterwäsche zu sehen. Vielleicht hatte sie sich vorher auch einfach nur angestellt. »Wahrscheinlich stammt die Bezeichnung vom gleichen Witzbold, der entschieden hat, dass wir jungen Damen nicht in Hosen oder kurzen Kleidern auf der Straße herumlaufen sollten.«

»Möglich. Ach, und Fernand hat mir gestern verraten, dass er den Rest der Woche mit anderen Kandidatinnen ausgehen muss. Aber er meinte auch, dass ich seine Liebste sei«, wisperte Claire darauf und schaute verträumt aus dem Fenster.

Ich konnte nicht anders, als zu lachen. Das passte zu Fernand. Eine unangenehme Nachricht mit einem Kompliment verpacken. »Wenigstens ist er ehrlich zu dir. Das ist gut.«

»Ja, das finde ich auch. Natürlich ist allein die Vorstellung grässlich, aber das werde ich wohl oder übel durchstehen müssen. So viele Kandidatinnen für nur vier junge Männer: Das könnte noch ziemlich schwierig werden.«

»Das stimmt. Aber sag mal, wäre es da nicht das Beste, wir versuchen uns mit der einen oder anderen anzufreunden?«, fragte ich, als mir klar wurde, wie wenig ich die übrigen Mädchen kannte. Gleichzeitig erschrak ich über meine Ambitionen.

»Keine Ahnung. Ich glaube, sie mögen uns sowieso nicht, weil wir beiden die Ersten waren, die ausgesucht wurden. Ich habe schon mitbekommen, dass sie uns für eingebildet und hochnäsig halten. Vermutlich liegt das an Charlotte und Emilia. Warum auch immer die ständig bei uns sitzen wollen.« Claire schob mich zum Schminktisch und drehte mich zu sich herum, damit sie mich schminken konnte. Da ich zu müde war, um auch nur ansatzweise etwas Vernünftiges zu Stande zu bringen, störte es mich nicht sonderlich.

Behutsam pinselte sie an mir herum, während ich über ihre Worte nachdachte.

»Wahrscheinlich würde ich das auch annehmen, wenn ich eine von ihnen wäre«, murmelte ich. »Aber egal, erzähl mir doch lieber etwas vom Unterricht mit Herrn Bertus.«

»Oh, er ist eigentlich sehr nett. Klein und rund mit Glatze. Das sieht echt witzig aus. Aber er hetzt uns, als wären wir Tiere. Wir durften gestern eine ganze Stunde lang im Kreis laufen. Meine Beine tun jetzt noch weh davon. Auf diese Schinderei könnte ich wirklich verzichten.«

»Klingt so, als müssten wir trainiert werden, damit wir unsere überflüssigen Pfunde verlieren«, scherzte ich.

Meine Freundin schnalzte abwertend mit ihrer Zunge. »Sag doch nicht so etwas. Hier ist keine zu dick. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass sie so oberflächlich sind und genau das im Sinn haben.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Frag doch Fernand. Vielleicht sagt er es dir.«

Sofort stahl sich wieder ein verträumtes Lächeln auf ihre Lippen, aber sie sagte nichts mehr dazu. Dafür griff sie eindeutig zu tief in den Rouge-Topf und »zauberte« mir knallrote Apfelbäckchen. Als sie schließlich von mir abließ und noch einmal schnell ins Bad huschte, wischte ich mir hastig etwas Farbe aus dem Gesicht. So dankbar ich auch für Claires Schminkkünste war: Herumlaufen wie ein Paradiesvogel wollte ich nicht.

Glücklicherweise fiel ihr diese kleine Veränderung nicht weiter auf. Sie hakte sich vergnügt bei mir unter, wir verließen den Turm und schlenderten langsam zum Haupthaus.

***

Auf der Terrasse herrschte wieder reges Treiben. Die anderen jungen Damen redeten wild durcheinander und ein ganzes Grüppchen scharte sich um eine Kandidatin, die anscheinend gestern Abend die Verabredung mit Charles gehabt hatte. Genauso wie Claire strahlte sie überglücklich. Anderen hingegen stand der Neid deutlich ins Gesicht geschrieben.

Claire und ich setzten uns an einen leeren Tisch relativ weit vorne.

»Ach, Tanya, ich bin so froh. Und ich glaube, ich bin wirklich verliebt. Aber ist das denn überhaupt möglich, wenn man diese Person kaum kennt?«, fragte sie schmachtend und strich ihr Kleid glatt.

Ob ich wollte oder nicht: Ich musste lächeln bei dem Leuchten in ihren Augen. »Ich glaube, das nennt man Liebe auf den ersten Blick. Aber da ich noch keine Erfahrung in solchen Dingen habe, solltest du meine Meinung nicht allzu ernst nehmen.«

»Liebe auf den ersten Blick … Das hört sich so schön an«, seufzte meine Freundin.

»Was hört sich schön an?«, platzte Emilia dazwischen und setzte sich wie selbstverständlich zu uns. Charlotte war direkt dahinter und folgte ihrem Beispiel.

»Das geht euch nichts an«, entgegnete Claire zuckersüß und warf ihre roten Kringel in den Nacken.

Daraufhin machte Emilia ein erstauntes Gesicht und sah Charlotte an, der das Ganze aber ziemlich egal zu sein schien. Sie lächelte diabolisch, als hätte sie gerade ein kleines, unschuldiges Tier gequält, und schaute mich direkt an. »Ich hatte gestern eine Verabredung mit Phillip. Er ist so toll. Ich und er: Das wäre einfach perfekt!« Obwohl sie so harmlos tat, wirkten ihre Worte wie eine Kampfansage.

Ich ignorierte den scharfen Stich in meiner Brust und lächelte ihr ebenfalls tapfer entgegen. »Ja, das denke ich auch. Ihr passt wirklich perfekt zueinander.«

Charlottes Augenbrauen schnellten kurz in die Höhe. »Ach, findest du?«

»Ja, natürlich. Ich verstehe überhaupt nicht, warum alle anderen denken, dass ich mich für ihn interessieren würde.« Betont gleichmütig ließ ich meinen Blick schweifen und beobachtete, wie die Bediensteten gerade unser Frühstück auf einem Tisch drapierten. Da traten auch Phillip, Fernand, Charles und Henry aus dem Haupthaus heraus. Sie alle sahen so aus, als wären sie ziemlich gut gelaunt, und unterhielten sich angeregt miteinander, während sie sich an einen Tisch ganz in unserer Nähe setzten.

»Dann sind wir ja endlich einer Meinung«, säuselte Charlotte scheinbar liebenswürdig. »Und als er mich gestern Abend zum Abschied geküsst hat, fühlte ich mich gleich bestätigt.«

Der Stich in meiner Brust glich nun einem Dolchstoß. Ich schäumte innerlich, konnte mich aber gerade noch zusammenreißen, ihr nicht die Augen auszukratzen. »Schön für dich«, brachte ich erstaunlich gelassen hervor. Eine schauspielerische Meisterleistung!

»Er hat dich geküsst? Das hast du mir überhaupt nicht erzählt!«, kreischte Emilia so laut, dass auch die umliegenden Tische sie problemlos hören konnten.

Prompt starrten alle zwischen Phillip und Charlotte hin und her, doch Miss Eddison genoss diese Aufmerksamkeit eher, als dass sie sie beschämte. Sie setzte ein unschuldiges Lächeln auf und sah zu Phillip hinüber. Er hatte Emilias Aufschrei natürlich auch gehört und blickte uns nun mit einer Mischung aus Überraschung und Entsetzen an.

Ich wusste nicht, auf wen er wohl wütender war: auf Emilia, weil sie es so herausposaunte, auf Charlotte, weil sie es überhaupt verraten hatte – oder auf sich selbst, weil er so dumm war, Charlotte zu küssen.

Charlotte schien das aber alles nicht zu stören. Sie zwinkerte Phillip vergnügt zu und unterhielt sich dann mit Emilia, wobei sie ihr nun alle Einzelheiten des Kusses schilderte. Ich versuchte nicht hinzuhören und auch Phillips penetrantes Starren zu ignorieren.

Dieser Mistkerl!

Langsam standen die Kandidatinnen um uns herum auf und holten sich etwas zu essen. Sie alle gingen natürlich nah an den jungen Männern vorbei, lächelten ihnen zu und buhlten so um ihre Aufmerksamkeit.

Claire und ich warteten jedoch einen Moment und standen erst auf, als Charlotte und Emilia vom Büfett zurückkamen. Natürlich ließen auch sie es sich nicht nehmen, direkt am Tisch der jungen Männer vorbeizugehen. Dabei streifte Charlotte wie zufällig Phillips Arm. Mit großer Selbstbeherrschung konnte ich es ignorieren und mich ganz auf Claire konzentrieren, die saftige Schimpftiraden auf Charlotte vor sich hin murmelte.

Auch die jungen Männer ließ ich im wahrsten Sinne des Wortes links liegen und fokussierte meinen Blick stattdessen aufs Büfett vor uns. Lustlos belud ich mir meinen Teller mit einem Brötchen und Marmelade. Irgendwie verging mir der Hunger bei all den Zickereien um mich herum. Ich nahm mir noch ein Glas Orangensaft und wollte mich gerade zum Gehen wenden, als ich überrascht feststellte, dass nicht Claire neben mir stand, sondern Alissa. Und sie starrte mich an.

»Ist was?«, fragte ich patzig und trank einen Schluck aus meinem Glas, während ich krampfhaft versuchte, das Hochziehen meiner Augenbrauen zu unterdrücken.

Ihr Blick wanderte zu meiner Handschiene. »Es tut mir leid. Das ist wirklich nicht gelogen. Ich habe mich kindisch verhalten. Dass du dich verletzt, war nie meine Absicht.« Kleinlaut verzog sie ihren Mund.

Tief atmete ich ein, weil ich nicht mehr wusste, was ich noch glauben konnte und was nicht. Doch ich wollte keinen Streit. »Schon in Ordnung. Meine Hand sollte bald wieder heile sein und ansonsten geht es mir auch gut«, lenkte ich ein.

Ich wollte mich schon umdrehen, doch da griff Alissa nach meinem Arm. Perplex sah ich sie an. »Ist noch was?«

Doch sie presste nur die Lippen aufeinander, während ihre Augen zu den anderen Kandidatinnen huschten, die uns allesamt zu beobachten schienen. Fast so, als würden sie erwarten, dass wir uns jeden Moment wie zwei Furien aufeinander stürzten. Auch die jungen Männer musterten uns neugierig.

Ich atmete noch einmal tief durch, stellte dann meinen Teller und mein Glas auf einen freien Platz am Büfett und sah meine Kontrahentin an. »Ich tue dir diesen Gefallen nur, weil ich keine Lust habe, dass du wegen mir rausfliegst, klar?«, flüsterte ich ihr zu – und umarmte dann die verwunderte Alissa.

Als sie verstand, was ich da gerade für sie tat, drückte sie mich fest an sich. »Danke … vielen Dank!«

»Schon gut«, entgegnete ich knapp und löste mich wieder von ihr. Um das Bild abzurunden, lächelten wir uns an, dann ging ich schnell mit meinem Teller und meinem Glas zurück zu meinem Tisch, wo Claire bereits ungeduldig auf mich wartete.

»Habe ich etwas verpasst?« Ungeniert musterte Emilia mich und versuchte nicht einmal, ihre Stimme zu senken. Was für eine unmögliche Person! Die Gespräche um unseren Tisch herum verstummten und machten einem angespannten Schweigen Platz. Alle schienen begierig auf meine Antwort zu sein.

Innerlich stöhnte ich auf. »Wir haben uns vertragen. Wahrscheinlich hatten wir einfach nur einen schlechten Start. Eigentlich ist sie wirklich nett«, antwortete ich betont laut und wartete darauf, dass endlich wieder das Geklapper von Besteck und die Gespräche einsetzen mochten.

»Als ob! Wirklich jeder hat gesehen, dass sie das mit Absicht gemacht hat. Du bist einfach nur zu naiv, um das zu kapieren«, zischte Charlotte. Wir boten wirklich ein gelungenes Schauspiel für die anderen.

Entnervt pustete ich Luft durch meinen Mund. »Wie du meinst.«

»Oh, bist du etwa zu nett, um dich zu wehren, oder ist das eine Masche von dir?«, erwiderte sie daraufhin angriffslustig. Offensichtlich wollte sie mich provozieren.

»Wahrscheinlich bin ich zu nett und zu dumm und ein total schlechter Mensch, ja. Ich habe dich schon verstanden. Danke. Darf ich jetzt endlich frühstücken oder willst du mir noch etwas sagen?« Ich hob meine Augenbrauen und sah sie herausfordernd an.

Ihre Wangen röteten sich. Mit dieser Antwort hatte sie anscheinend nicht gerechnet, was mir ein wenig Genugtuung gab. Sie wandte sich schnaubend zu ihrem eigenen Essen um und ich beschmierte in aller Seelenruhe meine Brötchenhälften.

Da rutschte Claire näher zu mir heran. »Was war das vorhin nun wirklich mit Alissa?«, fragte sie flüsternd.