Die Backup-Männer
Ein McCorkle-und-Padillo-Fall
Deutsch von Wilm W. Elwenspoek, Heinz F. Kliem und Jochen Stremmel
Alexander Verlag Berlin | Köln
Die Ross-Thomas-Edition im Alexander Verlag Berlin
Herausgegeben von Alexander Wewerka
Kälter als der Kalte Krieg. Ein McCorkle-und-Padillo-Fall
http://www.alexander-verlag.com/programm/titel/268-Kaelter_als_der_Kalte_Krieg.html
Gelbe Schatten. Ein McCorkle-und-Padillo-Fall
http://www.alexander-verlag.com/programm/titel/290-Gelbe_Schatten.html
Umweg zur Hölle. Ein Artie-Wu-und-Quincy-Durant-Fall
http://www.alexander-verlag.com/programm/titel/275-Umweg_zur_Hoelle.html
Am Rand der Welt. Ein Artie-Wu-und-Quincy-Durant-Fall
http://www.alexander-verlag.com/programm/titel/9-Am_Rand_der_Welt.html
Voodoo, Ltd. Ein Artie-Wu-und-Quincy-Durant-Fall
http://www.alexander-verlag.com/programm/titel/16-Voodoo_Ltd.html
Gottes vergessene Stadt
http://www.alexander-verlag.com/programm/titel/12-Gottes_vergessene_Stadt.html
Teufels Küche
http://www.alexander-verlag.com/programm/titel/274-Teufels_Kueche.html
Die im Dunkeln
http://www.alexander-verlag.com/programm/titel/11-Die_im_Dunkeln.html
Der Yellow-Dog-Kontrakt
http://www.alexander-verlag.com/programm/titel/10-Der_Yellow-Dog-Kontrakt.html
Der achte Zwerg
http://www.alexander-verlag.com/programm/titel/277-Der_achte_Zwerg.html
Erste vollständige deutsche Ausgabe
Die deutsche (gekürzte) Erstausgabe erschien 1972 unter dem Titel
Was ich nicht weiß, macht mich nicht kalt im Ullstein Verlag,
Frankfurt/M., Berlin.
Die amerikanische Originalausgabe erschien 1971 unter dem Titel
The Backup Men.
© 1971 by Ross E. Thomas.
Licensed with The Estate of Ross E. Thomas
© für diese Ausgabe und die erste bearbeitete und vollständige Übersetzung
by Alexander Verlag Berlin 2012
Alexander Wewerka, Fredericiastr 8, D-14050 Berlin
Umschlaggestaltung: Antje Wewerka
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-89581-294-1 (e-book)
info@alexander-verlag.com
www.alexander-verlag.com
Inhaltsverzeichnis
Das Buch, Der Autor
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Die Ross-Thomas-Edition im Alexander Verlag
Das Buch: Nachdem Padillo, McCorkles Geschäftspartner der gemeinsamen Bar, von seiner Geheimdienst-Vergangenheit eingeholt wird und kurz darauf ein ehemaliger Kollege Padillos in McCorkles Wohnung tot aufgefunden wird, bleibt dem Duo keine Wahl: Es gilt, den zukünftigen König des ölreichen arabischen Staates Llaquah zu beschützen. Auf dem Weg zum entscheidenden Treffen mit den Öl-Gesellschaften entwickelt sich dabei ein erbitterter Kampf um Leben und Tod.
Der Autor: Ross Thomas, geboren 1926 in Oklahoma, richtete in den fünfziger Jahren das deutsche AFN-Büro in Bonn ein und arbeitete als Journalist, Gewerkschaftssprecher und Public-Relations- und Wahlkampfberater für Politiker in den USA. Seine vielfältigen Erfahrungen verarbeitete er in seinen Politthrillern, in denen er vor allem die Hintergründe des (amerikanischen) Politikbetriebs entlarvt und bloßstellt. Ihm wurden zweimal der Edgar Allan Poe Award und mehrmals der Deutsche Krimi Preis verliehen. Bis zu seinem Tod 1995 entstanden 25 Romane.
1
Er sah nicht so aus, als ob er schon alt genug wäre. Nicht alt genug, um vormittags um elf Uhr fünfundvierzig einen Martini zu bestellen. Daher verließ ich, als mir Joan, unsere Cocktailkellnerin, kurz zunickte, die Bar und einen leicht verkaterten Reporter der Washington Post, um nachzusehen, ob der jugendliche Vormittagstrinker irgendwie beweisen konnte, daß er wenigstens einundzwanzig war.
Für das Mittagsgeschäft war es noch zu früh, und der Reporter und ich hatten bei einer Flasche Bier Diättips und Erinnerungen an eine Infanteriegarnison im Norden von Texas ausgetauscht, wo wir beide vor langer Zeit einige Monate verbracht hatten, von denen uns jeder Augenblick verhaßt gewesen war.
Selbst aus nächster Nähe wirkte er noch nicht alt genug. Ich schätzte ihn auf neunzehn, möglicherweise zwanzig, aber das mochte an seinem blaßblonden, beinahe weißen Haar liegen, das ihm über die Ohren hing und das er sorgfältig zu einem revolutionären Entenschwanz zurückgebürstet und gekämmt trug. Die Revolution von 1776, nicht die gegenwärtige.
Er sah mich nicht näherkommen. Er blickte nicht auf, bevor ich sagte: »Bedauere, Sie zu behelligen, aber haben Sie etwas bei sich, aus dem hervorgeht, daß Sie schon einundzwanzig sind? Wir möchten die Lizenz behalten.«
Da blickte er auf, und als ich seine Augen sah, vermutete ich, daß ich einen Fehler gemacht hatte. Als er lächelte, wußte ich es. Manche Leute haben ein dreckiges Lachen, aber er hatte ein dreckiges Lächeln, und er hatte länger als einundzwanzig Jahre gebraucht, um es zu dieser Vollkommenheit zu entwickeln. Er behielt es bei, während er in die Innentasche seiner Jacke griff und mir ein dünnes schwarzes Klappetui reichte. Seine Augen wichen keinen Augenblick von meinem Gesicht, Augen, die von blässestem Blau waren, fast die Farbe von arktischem Eis und annähernd so warm.
Er hatte mir einen Schweizer Paß gereicht, der behauptete, er heiße Walter Gothar, lebe in Genf und sei zweiunddreißig Jahre alt. Ich reichte ihm den Paß zurück.
»Entschuldigen Sie, Mr. Gothar«, sagte ich.
»Das passiert mir oft.«
»Der Drink geht aufs Haus.«
Gothar schüttelte flüchtig den Kopf. »Ich bestehe darauf, ihn zu bezahlen.« Er sprach mit Akzent, aber der schien zu kommen und zu gehen, je nach dem Wort, das er benutzte. Ich zuckte mit den Achseln, zeigte ihm ein durchaus freundliches Lächeln und wollte mich abwenden, als er fragte: »Wo ist Michael Padillo?« Ich wandte mich ihm wieder zu.
»In Chicago. Geschäftlich.«
»Tut mir leid, daß ich ihn verpaßt habe.«
»Morgen ist er wieder zurück.«
»Ich möchte eine Nachricht für ihn hinterlassen.«
Er schwieg lange, als ob er sich Gedanken machte, wie er die Nachricht formulieren sollte, und das gab mir Gelegenheit, sein dunkelblaues Hemd, die weiße Strickkrawatte und die dicke Rohseide, aus der er seinen neuen Frühlingsanzug hatte machen lassen, zu bewundern. Er trug ein Ziertaschentuch, das er in seinen linken Ärmel gesteckt hatte, und es entsprach genau der Farbe seines Hemdes; ich hätte ihn vielleicht für einen kleinen Stenz gehalten, wenn nicht diese eisigen Augen und dieses dreckige Lächeln gewesen wären, das auftauchte und verschwand wie das Warnzeichen eines Leuchtturms über einem glatten, eigensinnigen Kinn, das wohl nur selten rasiert werden mußte. Auch seine dünne Nase hatte Charakter, aber ich war mir nicht sicher, welcher Art.
»Sie sind der McCorkle?« sagte er, und ich sagte ja, ich sei der McCorkle. Ich drehte mich um und nickte Joan zu, und sie brachte schnell den Martini. Nachdem sie wieder gegangen war, nahm er zwei Eindollarnoten aus einer dünnen braunen Brieftasche, strich sie neben dem Glas glatt, betrachtete nachdenklich seinen Drink, rührte ihn aber nicht an. Er starrte immer noch darauf, als er schließlich begann: »Sagen Sie Michael Padillo ...« Er brach ab und sah schnell zu mir auf, vielleicht um sich zu vergewissern, daß ich ihm wirklich zuhörte.
»Sagen Sie Padillo«, er betonte jedes Wort, »daß wir die Farm nicht kaufen wollen.«
»Das wird er aufrichtig bedauern«, erwiderte ich, nur um überhaupt etwas zu sagen.
Er musterte mich weiter, anscheinend nicht so sehr, um festzustellen, ob ich den Satz gehört, sondern ob ich ihn verstanden hatte. Ich glaubte schon, sah aber keinen Grund, Gothar das wissen zu lassen. Manchmal habe ich einen vorsichtigen Tag.
»Uber die Gründe muß ich mit ihm persönlich sprechen.«
»Kommen Sie morgen vorbei.«
»Wann ist die beste Zeit?«
»Im allgemeinen kommt er zwischen zehn Uhr dreißig und elf hierher.«
»Sie werden die Nachricht nicht vergessen?«
»Nein.«
»Auch meinen Namen nicht?«
»Walter Gothar.« Ich habe ein gutes Gedächtnis für Namen und Gesichter. Es ist ungefähr die einzige Befähigung, die man braucht, um eine erfolgreiche Kneipe zu betreiben.
Gothar erhob sich hinter dem Tisch mit einer glatten, fließenden Bewegung. Ich sah, daß er annähernd so groß wie ich war, etwas über einsachtzig, und solange er die Augen geschlossen hielt und niemanden anlächelte, hätte er als junger Quarterback eines Provinzcolleges gelten können. Er betrachtete mich noch einmal aufmerksam, als überlege er noch, ob ich genug Verstand besäße, seine Nachricht weiterzugeben, nickte auf eine abgehackte teutonische Art, nachdem er offenbar zu dem Schluß gekommen war, daß es sich so verhielt, wandte sich ab und ging auf den Ausgang zu, ohne sich zu verabschieden oder guten Tag oder gar Auf Wiedersehen zu sagen, was vermutlich die Sprache gewesen wäre, in der er sich am sichersten fühlte.
Ich nahm sein unangetastetes Glas und brachte es zur Bar zurück, überlegte, ob ich den Drink selber trinken oder noch einmal verkaufen sollte, und während ich an der Bar saß, den Martini schlürfte und die ersten eintreffenden Gäste beobachtete, dachte ich über die Mitteilung nach, die ich an Padillo weitergeben sollte. Es war ein Spruch aus dem Zweiten Weltkrieg, und ich fand, daß Gothar noch etwas zu jung dafür sei, sich seiner zu bedienen; aber schließlich hatte ich auch gedacht, daß er zu jung wäre, sich um Viertel vor zwölf einen Martini zu bestellen.
Jene, die während des Zweiten Weltkriegs die Farm gekauft hatten, waren natürlich die gewesen, die gestorben waren, und wenn Gothar sie nicht kaufen wollte, bedeutete das, daß er nicht sterben wolle und Wert darauf legte, daß Padillo es erfuhr.
Ich fand das etwas merkwürdig, denn zu einer gewissen Zeit hatte Padillo im Dienst einer geheimen Dienststelle der Regierung einer ganzen Anzahl von Personen die Farm verkauft, und es gab Leute, die meinten, daß er auf diesem Gebiet nicht schlecht gewesen sei. Es gab auch eine Reihe andere, die wünschten, daß er sich schon seit langem selbst eine gekauft hätte.
2
Vor einigen Jahren hatten Padillo und ich eine Kneipe mit Namen Mac’s Place in Bonn am Rhein besessen. Genau genommen war das in Bad Godesberg gewesen, und es hatte einigen Ärger gegeben, bei dem das Lokal in die Luft gesprengt worden war, und dann war Padillo über ein Jahr lang verschwunden gewesen. Ich hatte geheiratet und in Washington ein paar Blocks nördlich der K Street und etwas westlich von der Connecticut Avenue eine andere Kneipe eröffnet. Auch sie hieß Mac’s Place, und noch hatte niemand sie in die Luft gesprengt; obwohl es, als Padillo wieder auftauchte, einige Schwierigkeiten mit einem schwarzen Washingtoner Gangster, einem Agenten des Rauschgiftdezernats und dem sterbenden weißen Ministerpräsidenten eines südafrikanischen Landes gegeben hatte, der von Padillo verlangte, er solle ihn durch ein Attentat töten; doch war es nichts, was nicht geregelt werden konnte, ohne daß mehr als drei oder vier Personen dabei ums Leben kamen. Ich träume kaum noch davon.
Manche sagen, Mac’s Place sei inzwischen etwas abgenutzt, aber ich sehe darin lieber ein Anzeichen von Reife. Die Beleuchtung ist angenehm gedämpft, und deshalb kann das Lokal gut als Zuflucht für Leute dienen, die gern mal mit der Frau eines anderen zu Mittag essen oder einen Drink nehmen. Der Service ist schnell, leise und unaufdringlich, die Getränke angemessen gekühlt und vielleicht mehr als großzügig, und wer sich für den jüngsten Klatsch interessiert, kann sich an die Bar setzen und zuhören, wie Karl, der Chefbarkeeper, jeden beliebigen Charakter oder Ruf völlig unvoreingenommen seziert. Die Speisekarte ist zugegeben beschränkt und zugegeben teuer, aber wenn man Geschmack an Hähnchen oder Steaks hat, findet man hier die besten Hähnchen und Steaks der Stadt.
Padillo und ich hatten daran gedacht, ein weiteres Lokal in einer von vier Städten zu eröffnen, und deshalb befand er sich in Chicago, als Walter Gothar kam und ihn sprechen wollte. Die Städte, die wir uns ausgesucht hatten, waren neben Chicago New York, Los Angeles und San Francisco. Ich hatte gerade eine Woche damit verbracht, mich in New York umzusehen, um festzustellen, daß die Stadt wirklich nicht noch eine weitere Kneipe brauchte. Sobald Padillo von Chicago zurück war, beabsichtigte ich, mir San Francisco anzusehen, weil ich dort geboren war, und Padillo würde Los Angeles überprüfen, weil er vor langer Zeit mal dort gelebt hatte.
Der einzige Grund, weshalb wir an eine Erweiterung dachten, war der Rat unserer Steuerberater gewesen, wir sollten mit unseren Gewinnen etwas unternehmen, sonst würden wir bald ein neues Raketenabwehrsystem oder Napalm oder etwas vergleichbar Nützliches mitfinanzieren. Eine weitere Kneipe erschien sinnvoller als das, und obgleich keiner von uns ein leidenschaftlicher Expansionist war, fanden wir es doch ganz nett, im Lande herumzureisen und uns anzusehen, was sich eines Tages zur Konkurrenz auswachsen könnte.
Als Padillo am nächsten Morgen kam, wirkte er entspannt, sogar sorglos, deshalb war ich der Überzeugung, daß auch Chicago keinen Bedarf an einer weiteren Kneipe hatte. Nachdem wir uns begrüßt hatten, holte er sich eine Tasse Kaffee und kam damit zur Bar.
»Wie war es?« sagte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Es mangelt dort am richtigen Ambiente.« Es war der gleiche Satz, mit dem ich New York abgetan hatte. Uns beiden gefiel der Ausdruck, weil einer der Washingtoner Journalisten über Mac’s Place einmal geschrieben hatte, das Restaurant habe »ein ungewöhnliches Ambiente, das erforscht zu werden verdiene«, und es waren Tage vergangen, bevor Karl zugab, daß er nach dem Lexikon gegriffen habe, um sich zu vergewissern, daß die Gesundheitsbehörde daraufhin nicht unser Lokal schließen konnte.
»Wann willst du dich in Los Angeles umsehen?« sagte ich.
»Nächsten Monat, denke ich. Hast du immer noch vor, nächste Woche nach San Francisco zu fliegen?«
Ich nickte. »Nächste oder übernächste Woche.«
»Was hörst du von Fredl?«
»Das übliche ›Ich wollte, du wärst hier‹.«
»Vielleicht hättest du sie begleiten sollen.«
»Ich habe mir nie viel aus Frankfurt gemacht«, sagte ich. Meine Frau war Washingtoner Korrespondentin einer Frankfurter Zeitung, jener, die in ihren Leitartikeln immer noch sorgenvolle Überlegungen anstellte, ob England in die EWG aufgenommen werden solle; sie war zur jährlichen Redaktionskonferenz nach Deutschland geflogen. Die meisten Auslandskorrespondenten in Washington nannten sie entweder Fredl oder Freddie, in Frankfurt jedoch war sie Frau Dr. McCorkle, was bestimmt mit einem schönen gutturalen Gurgeln ausgesprochen wurde. Neben einem scharfen Verstand besaß meine Frau Aussehen, Stil und Witz, und wir stritten uns selten öfter als zwei- oder dreimal im Jahr, und mich überraschte es nicht, daß ich sie sehr vermißte.
»Hat irgendwer für mich angerufen?« fragte Padillo.
Ich griff nach einigen Zetteln und reichte sie ihm. Es waren telefonische Nachrichten, die entweder ich oder Herr Horst, unser Zuchtmeister von einem Oberkellner, der zwei Prozent unserer Nettoeinnahmen erhielt und der Ansicht war, daß Padillo schon längst hätte heiraten sollen, entgegengenommen hatten. Die Anrufe kamen meistens von jungen, atemlosen Frauenstimmen, die wissen wollten, wann Mr. Padillo wohl wieder in der Stadt sei und ob es mir schrecklich viel ausmachen würde, ihn zu bitten, Margaret oder Ruth oder Helen anzurufen, sobald er zurück sei. »Die eine, die sich Sadie nannte, hörte sich nett an«, sagte ich. »Irgendwie altmodisch.«
Padillo blätterte durch die Zettel und nickte abwesend. »Sie spielt Waldhorn bei den Symphonikern«, sagte er. »Sonst noch etwas?«
»Ich habe eine Nachricht von Walter Gothar für dich.«
Padillos glattes olivfarbenes Gesicht nahm einen Ausdruck an, den ich manchmal als seine spanische Miene bezeichne. Seine dunkelbraunen Augen wurden schmal, und sein Mund spannte sich zu einer dünnen Linie. Ich fand, er sah dann irgendwie wie ein Matador aus, dem man einen gefährlichen Stier untergejubelt hat. »Telefonisch?«
»Nein, er hat sie persönlich überbracht.«
»Helles Haar, beinahe weiß? Sieht aus, als ob er nächste Woche als Rekrut eingezogen werden würde?«
»Das ist er.«
»Was wollte er?«
»Ich soll dir sagen, daß er die Farm nicht kaufen will.«
Padillo stellte seine Kaffeetasse ab, ging hinter die Bar, suchte die bauchige Haig-Flasche und schenkte sich einen ordentlichen Drink ein. Er sah mich an, und ich schüttelte den Kopf. Padillo schlürfte seinen Scotch und ließ die Augen durch den leeren Raum wandern, als ob er sich fragte, wieviel das alles bei einer Zwangsversteigerung einbringen würde.
»Hat Gothar gesagt, daß er sie nicht kaufen will oder daß wir sie nicht kaufen wollen?«
Ich versuchte, mich zu erinnern. »Er hat ›wir‹ gesagt.«
Es gibt Menschen, die niemals die Stirn zu runzeln scheinen, und Padillo war einer von ihnen. Doch diesmal tat er es, und es verlieh seinem Gesicht einen merkwürdig abweisenden Ausdruck. »Hat er noch was gesagt?«
»Daß er heute um diese Zeit vorbeikommt, um dich zu sehen. Ist er ein alter Freund von dir?«
Padillo schüttelte den Kopf. »Sein Bruder war einer, sein älterer Bruder. Wir haben ein paarmal zusammen gearbeitet und waren uns gegenseitig Gefälligkeiten schuldig. Ich glaube, ich schuldete ihm noch eine, als er im vergangenen Jahr in Beirut getötet wurde. Man sagte, es sei in Beirut gewesen.«
»Mir kam die Nachricht etwas offenkundig vor.«
Padillo seufzte. Das tat er etwa ebensooft wie die Stirn runzeln – ein- oder zweimal im Jahr. »Wenn man versucht, am Leben zu bleiben, kann man sich allzuviel Subtilität nicht leisten. Aber er hat ›wir‹ gesagt, nicht wahr?«
»Er hat ›wir‹ gesagt.«
»Sie arbeiten als Team.«
»Was tun sie beruflich?«
Padillo zündete sich eine Zigarette an, bevor er antwortete. »Mehr oder weniger das gleiche, was ich mal getan habe. Es liegt ihnen im Blut. Die Gothars treiben das seit den Tagen Napoleons. Karl Schulmeister hat sie Anfang des achtzehnten Jahrhunderts in das Geschäft eingeführt. Sie sind Schweizer und haben immer für den Meistbietenden gearbeitet. ›Nur Verstand und kein Herz‹«, sagte er, als sei es ein Zitat.
»Wer hat das über sie gesagt?«
»General Savary hat es über Schulmeister gesagt, als er ihn Napoleon vorstellte. Es paßt aber auch auf die Gothars – auf das, was von ihnen übrig ist. Deshalb erscheine ich vielleicht etwas überrascht. Sie gehören nicht zu der Sorte, die vorbeikommt und um Hilfe bittet.«
»Wer ist die andere Hälfte des Teams?«
»Gothars Zwilling.«
Ich zeigte auf den Haig. »Ich glaube, ich leiste dir doch Gesellschaft. Ein gleichaussehendes Paar von Gothars kommt mir ein bißchen üppig vor.«
»Sie sehen nicht direkt gleich aus«, sagte Padillo und schenkte mir einen Drink ein.
»Willst du damit sagen, daß sie keine richtigen Zwillinge sind?«
»Richtige Zwillinge sind sie schon, aber man hat keine Schwierigkeiten damit, sie auseinanderzuhalten.«
»Wieso?«
»Weil Walter Gothars Zwilling Wanda heißt.«
3
Sie kamen etwa eine halbe Stunde später zusammen, blinzelten in unserem ständigen Zwielicht und sahen sich so ähnlich, wie das bei zwei Personen verschiedenen Geschlechts nur möglich ist – etwa wie zwei vernickelte Kugellager, die »Er« und »Sie« beschriftet sind.
Obwohl Wanda Gothar die gleichen eisigen Augen wie ihr Bruder hatte, entsprach die Niedertracht in ihrem Lächeln nicht ganz der ihres Bruders, aber andererseits sah ich sie nur zweimal lächeln, und ich glaube, daß sie es beide Male nicht wirklich versucht hatte.
Padillo drehte sich auf seinem Barhocker herum und sah ihnen entgegen. Auch er lächelte nicht. Statt dessen behielt er sie im Auge, etwa so, wie ein Mungo Zwillingskobras im Auge behalten würde. Ich begann mich zu fragen, ob ich Herrn Horst nicht das gute Silber wegschließen lassen sollte.
Als er nur noch wenige Fuß entfernt war, blieb Walter Gothar stehen und vollführte sein abruptes teutonisches Nicken, das im Nacken eines normalen Menschen zu einem bösen Schleudertrauma geführt hätte. Dann sagte er: »Padillo.«
»Wie geht’s, Walter?« sagte Padillo und fügte gleichmütig hinzu: »Und dir, Wanda?«
Sie lächelte Padillo nicht an, noch nickte sie ihm zu. Statt dessen schien sie mit einem Blick, der seine Existenz leugnete, direkt durch ihn hindurchzusehen. Sie war fast fünfzehn Zentimeter kleiner als ihr Bruder, für eine Frau aber immer noch groß, und während sein Kiefer störrisch wirkte, schien ihrer nur entschlossen, und während sein Mund eine harte Linie strenger Disziplin formte, war ihrer virtuos zu etwas aufgemacht, das voller und weicher wirkte, aber dennoch unter scharfer Kontrolle stand.
Man hätte Walter Gothar keinen hübschen Burschen nennen können, schon seine Augen hätten das nicht zugelassen, aber mit exquisit wäre man durchgekommen, und ihm wäre es wahrscheinlich ohnehin egal gewesen. »Schön« hätte auf seine Schwester zutreffen können, obwohl sie nicht daran interessiert zu sein schien, wie man sie bezeichnete, falls nicht die ganze Gelassenheit in Gang und Haltung und Bewegung eine vorsätzliche Pose war, was durchaus der Fall sein mochte.
»Du hast meine Nachricht erhalten«, sagte Gothar und ließ den Blick von Padillo zu mir schweifen, um anzudeuten, daß ihm meine Existenz zwar bewußt sei, er es aber nicht für erforderlich hielt, sie formell anzuerkennen.
»Das habe ich«, sagte Padillo, bevor er mich Wanda Gothar vorstellte: »Miss Gothar, Mr. McCorkle, mein Partner.«
Sie nickte ungefähr in meine Richtung, sagte aber immer noch nichts.
»Wir möchten mit dir darüber sprechen«, sagte Gothar. »Privat.«
Padillo schüttelte den Kopf. »Du kennst mich doch, Walter. Ich würde mit dir nicht über den Preis eines Drinks sprechen, wenn nicht ein Zeuge dabei wäre.«
»Es ist eine vertrauliche Angelegenheit«, sagte Gothar.
»McCorkle ist ein vertrauenswürdiger Mann.«
Gothar sah seine Schwester an, und wieder nickte sie, wenn man das Heben und Senken des Kinns um knapp einen Zentimeter ein Nicken nennen kann. Gothar sah sich in der noch leeren Bar um und machte eine knappe, geringschätzige Handbewegung. »Gibt es hier nicht einen anderen Ort, wo wir reden können?«
»Wir haben ein Büro«, antwortete Padillo. »Genügt das?«
Gothar stimmte zu, und sie folgten Padillo durch den Bereich mit den Eßtischen; ich trabte hinterher und kam mir unerwünscht, wenn nicht überflüssig vor, und war nur geringfügig daran interessiert, worum es bei Walter Gothars vertraulicher Angelegenheit ging. Viel mehr interessierten mich die langen schlanken Beine seiner Schwester, die unter dem blaßgrauen Rock ihres Strickkostüms herausragten, das sich nicht bemühte, ihre anderen Reize zu verbergen, die beträchtlich waren. Ich bin kein Sachverständiger für Damengarderobe, aber ich hätte Wanda Gothars Strickkostüm mit einem Preisschild von dreihundert Dollar versehen und weitere hundert daraufgesetzt, daß ich damit um nicht mehr als zehn Dollar vom wahren Preis abwich. Walter Gothar trug einen anderen Anzug als gestern, einen grauen Zweireiher mit zahllosen Knöpfen, aber bei ihm konnte ich kein Interesse dafür aufbringen, was er gekostet haben mochte.
Unser Büro stellte nicht viel dar, abgesehen von einem antiken Doppelschreibtisch, den Fredl uns letzte Weihnachten geschenkt hatte und den wir beide selten benutzten, weil wir fürchteten, einer von uns könne aus Gedankenlosigkeit ein nasses Glas auf seine hochglanzpolierte Eichenplatte setzen. Es waren noch ein weiterer Schreibtisch und eine recht bequeme Couch vorhanden, zwei einfache Stühle, drei grüne Aktenschränke, zwei Telefone, ein knallbunter Kalender und ein Fenster, durch das man auf eine Seitengasse hinaus sah.
Padillo und ich setzten uns an den Schreibtisch. Walter Gothar suchte sich die Couch aus, und seine Schwester nahm auf einem der Stühle Platz, mit geschlossenen Knien und gekreuzten Knöcheln.
Padillo lehnte sich in seinem Sessel zurück, legte beinahe die Füße auf den Schreibtisch, zog sie aber noch rechtzeitig zurück und fragte: »Um was geht es bei deinem Auftrag, Walter?«
»Um persönlichen Schutz.«
»Jemand, den ich kenne?«
»Meinst du unseren Klienten?«
»Nein.«
»Dann mußt du unseren Widersacher meinen.«
»Das ist hübsch formuliert.«
»Es ist Kragstein.«
Padillo schwieg, als ob er die Akte über Kragstein in seinem Gedächtnis durchginge. Nach ein oder zwei Augenblicken sagte er: »So gut ist er nicht mehr.«
»Er hat Gitner bei sich.«
Padillo brauchte seine Akte über Gitner nicht durchzugehen. Er sagte: »Dann habt ihr ein Problem.«
»Das ist ja der Grund, weshalb wir einen – äh – Backup-Mann brauchen«, sagte Gothar und wirkte ein bißchen stolz auf seine geschickte Verwendung des umgangssprachlichen Ausdrucks.
Padillo schüttelte den Kopf – nachdrücklich. »Ich bin raus aus dem Geschäft«, sagte er. »Schon seit zwei Jahren.«
Wanda Gothar sah ihn an, zum erstenmal nicht durch ihn hindurch, und lächelte, bevor sie sprach; aber die Kälte in ihrem Ton löschte jede Bedeutung aus, die ihr Lächeln haben mochte. »Du wirst nie raus aus dem Geschäft sein, Michael. Das habe ich dir schon vor sieben Jahren in Bukarest gesagt.«
»Du hast mir in Bukarest eine Menge gesagt, Wanda, aber nichts davon war wahr.«
»Seit wann bist du eine Autorität auf dem Gebiet der Wahrheit?«
»Bin ich nicht«, sagte er. »Aber ich bin verdammt gut, wenn es sich um Lügen handelt.«
Walter Gothar schnitt schnell einen Wortwechsel ab, aus dem sich ein häßlicher Streit zwischen alten Rivalen oder einem ehemaligen Liebespaar hätte entwickeln können. Oder beides. Ich war da nie ganz sicher. »Du mußt es dir zumindest überlegen.«
»Nein«, sagte Padillo.
»Ich habe dir gleich gesagt, daß er nicht mitmacht«, sagte Wanda zu ihrem Bruder.
Walter Gothar warf ihr einen kurzen, verärgerten Blick zu, ehe er Padillo fragte: »Stört dich Gitner so sehr?«
»Amos Gitner sollte jeden stören, der kein Narr ist«, sagte Padillo. »Aber er kann mich nicht stören, weil ich mit ihm nichts zu tun haben werde.«
»Sollte es Kragstein sein, der –«
»Franz Kragstein wird alt«, unterbrach Padillo. »Er reagiert nicht mehr so schnell wie früher, aber an seinem Verstand ist nichts auszusetzen, und wenn er Gitner bei sich hat, dann spielt es keine Rolle, ob er noch reagieren kann oder nicht. Ich habe Gitner einmal in Aktion gesehen, und er ist jünger und schneller als jeder von uns.«
Wenn der Amos Gitner genannte Mann Reflexe besaß, die schneller als die von Padillo waren, befand er sich wirklich in Superform. Obwohl der deutlich sichtbare Reif auf dem dunklen Haar meines Partners keineswegs verfrüht aufgetaucht war, verfügte er über einen dieser von Natur aus athletischen Körper, die sich von selbst vollkommen fit zu halten schienen, ohne jede bewußte Bemühung von seiten seines Inhabers. Er aß, was er wollte, rauchte ebensoviel wie ich, trank annähernd soviel, konnte die hundert Yards in glatt zehn Sekunden im Straßenanzug laufen und atmete anschließend nicht schwerer als ich – sollte ich je Grund haben, einmal um den Block zu laufen, was nicht passieren wird. Außerdem sprach er sechs oder sieben Sprachen perfekt, verstand von Schußwaffen und Messern alles, was man davon verstehen konnte, war in gewisser Weise ein Frauentyp, wenn nicht gar ein ausgemachter Casanova; es gab Tage, an denen ich über all das leicht verbittert war.
»Wir brauchen ihn nicht«, sagte Wanda und stand auf.
»Das meine ich auch«, sagte Padillo. »Um was geht es denn?«
»Interessiert?« fragte sie.
»Neugierig.«
»Setz dich, Wanda«, sagte Walter. Sie zögerte kurz und nahm dann wieder ihren Platz ein. Walter Gothar runzelte die Stirn, als denke er angestrengt nach, und sagte dann: »Das Problem besteht darin, daß unser Klient inkognito reist. Sonst hätten wir uns an euren Secret Service wenden können.«
»Das könnt ihr trotzdem, wenn er zur freundlichen Sorte gehört«, sagte Padillo.
Gothar schüttelte den Kopf. »Davon will er nichts hören. Er besteht darauf, daß offiziell von seinem Besuch keine Kenntnis genommen wird, weder formell noch informell.«
»Weiß er über Kragstein und Gitner Bescheid?«
»Ja.«
»Dann ist er ein Narr.«
»In gewisser Weise.«
Padillo stand auf. »Es tut mir leid, ich kann euch nicht helfen.«
»Die Bezahlung ist ausgezeichnet«, sagte Gothar.
Padillo schüttelte den Kopf. »Ich habe genug Geld.«
»Niemand hat genug«, sagte Wanda.
»Das hängt davon ab, was man glaubt, sich dafür kaufen zu können.«
»Deine Philosophie war immer etwas billig, Padillo.«
»Ich glaube mich an eine Zeit zu erinnern, als du sie für die wertvollste hieltest, die es gab.«
»Das war, bevor ich wußte, was für ein –«
»Bitte!« sagte Gothar, aber es war mehr eine Forderung als eine Bitte. Seine Schwester wandte den Blick von Padillo ab und ließ ihn auf dem Kalender ruhen. Padillo lächelte schwach. Gothar stand auf und griff in seine Innentasche. Er zog einen Briefumschlag heraus und hielt ihn Padillo hin. »Das ist von Paul an dich«, sagte er. »Mir bleibt keine andere Wahl.«
Padillo zögerte, bevor er den Umschlag entgegennahm. Dann griff er danach, betrachtete das blaue Wachssiegel auf seiner Klappe, öffnete den Brief und las ihn schnell. »Ich erkenne seine Handschrift wieder«, sagte er und reichte mir den Brief. »Wißt ihr, was drin steht?«
»Ich habe eine Vermutung«, sagte Gothar. »Er meinte, daß wir den Brief eines Tages vielleicht brauchen würden.«
»Von ihrem Bruder«, erklärte Padillo mir. »Er ist inzwischen tot. Er starb letztes Jahr in Beirut, oder nicht?«
Gothar nickte. »In Beirut.«
Der undatierte Brief war mit schwarzer Tinte in einer sauberen europäischen Schrift geschrieben, die vorwiegend aus engen scharfen Winkeln und unvollendeten Unterlängen bestand. Er war auf englisch geschrieben. »Mein lieber Padillo, eines Tages werden sich die Zwillinge einem gegenüberfinden, bei dem sie so vernünftig sind zu erkennen, daß sie allein nicht mit ihm fertig werden. Wir haben uns oft gegenseitig Gefälligkeiten erwiesen, und ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich Dir eine schulde oder Du mir, ich hoffe aber, daß das keine Rolle spielt. Tu bitte für sie, was Du kannst – wenn Du kannst. Ich werde Dir, sagen wir, ewig dankbar sein. Mit freundlichem Gruß, Paul Gothar.«
»Er hatte eine schöne Handschrift«, sagte ich und reichte den Brief zurück. Padillo nickte und gab das Blatt Gothar, der es las und seiner Schwester gab. Während sie las, fragte er: »Nun?«
Padillo schüttelte den Kopf. »So sentimental bin ich nicht, Walter. Wenn dein Bruder es nicht gewesen wäre, lebte er vielleicht noch.«
»Wir brauchen ihn nicht, Walter«, sagte Wanda Gothar.
Der große Mann mit dem zu jungen Gesicht riß den Kopf in nackenverrenkendem Nicken vor und trat zur Tür, hielt sie für seine Schwester auf. Sie fegte mit einem wie mir schien angemessenen Maß von Verachtung hindurch. Gothar hielt inne, um sich nachdenklich nach Padillo umzusehen. »Wir werden nicht betteln«, sagte er, »aber solltest du es dir anders überlegen – einer von uns beiden wird im Hay-Adams zu erreichen sein.«
»Ich werde es mir nicht anders überlegen«, sagte Padillo. »Außerdem finde ich, daß ihr euch unterschätzt. Eigentlich braucht ihr mich nicht.«
»Darüber entscheiden die nächsten Tage«, sagte Gothar und wandte sich ab.
»Viel Glück«, sagte Padillo.
Gothar blieb noch einmal stehen, um Padillo kalt zu mustern. »In unserem Gewerbe, Padillo, spielt Glück eine sehr geringe Rolle«, sagte er, und dann war er fort.
»Willst du einen Drink?« fragte ich und griff nach dem Telefon.
»Einen Martini.«
Ich wählte eine einstellige Nummer und bestellte. »Warum hast du ihnen nicht helfen wollen?« fragte ich. »Der Brief war doch nett.«
Padillo lächelte leicht. »Daran stimmte nur eines nicht«, sagte er.
»Was?«
»Paul Gothar konnte Englisch weder lesen noch schreiben.«
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Ich bin vielleicht einer der letzten in Washington, der nachts durch die Straßen geht. Ich tue das, weil ich es mag und außerdem der perversen Überzeugung bin, daß in unserer Stadt Bürgersteige angelegt wurden, um vierundzwanzig Stunden täglich benutzt zu werden, genau wie in anderen Städten, zum Beispiel London und Paris und Rom.
Ein paarmal habe ich Ärger bekommen, aber das kann im großen und ganzen an meiner Ansicht nichts ändern. Einmal war es ein Trio junger Rowdys, die meinten, eine Schlägerei könne Spaß machen, und jammerten, als sie herausfanden, daß dem nicht so war. Ein anderes Mal waren es zwei, die es auf meine Uhr und meine Brieftasche abgesehen hatten, sich aber bald ohne beide in eine Seitengasse verzogen. Ich buchte beide Vorfälle als meine Beiträge zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung ab. In New York fahre ich natürlich Taxi. Ich bin kein völliger Narr.
Im allgemeinen ist es kurz nach Mitternacht, wenn ich in meine Wohnung komme, die im achten Geschoß eines Apartmenthauses unmittelbar südlich vom Dupont Circle liegt. Die Gegend ist zwar nicht ganz so elegant wie Georgetown, hat aber mehr Atmosphäre, und das soll ja den Reiz des Stadtlebens ausmachen. Im Umkreis eines Blocks brauchte ich nicht länger als drei Minuten, um einen Beutel Heroin oder einen Biskuitkuchen zu erstehen, und daran muß die Hausverwaltung gedacht haben, als sie die Wohnung mit dem Hinweis auf ihre gute Einkaufslage anpries.
Am Abend des Dienstags, an dem die Gotharzwillinge Padillo aufgesucht hatten, ging ich später als üblich nach Hause. Es war einer der in Washington relativ seltenen Frühlingstage, an denen selbst jemand, der drei Packungen Zigaretten am Tag raucht, den Duft der Magnolien wahrnimmt. Das Abendgeschäft war besonders gut gewesen, der Koch war nüchtern geblieben, und nur meine unterdrückten Schuldgefühle würden mich davon abhalten können, bis Mittag zu schlafen.
Die Redakteure von House Beautiful wären angesichts unserer Fünf-Zimmer-Wohnung blaß geworden, weil sie mit den grundverschiedenen Habseligkeiten zweier Menschen möbliert war, die ein bißchen spät im Leben geheiratet hatten und deren Geschmacksnuancen schon geformt und zu etwas geprägt worden waren, das manche als Vorurteil betrachten würden. Bei Gemälden waren wir normalerweise einer Meinung, aber wenn es um Möbel ging, neigte Fredl zu etwas, was ich als unglückliches Hepplewhite betrachtete, während sie mich mehr als einmal beschuldigte, die Wohnung in den Raum für ältere Mitglieder im Racquet Club zu verwandeln. Es hatte eine Reihe schmerzlich ausgehandelter Kompromisse gegeben, aber ich hatte die Grenze bei Dem Sessel gezogen.
Ich hatte ihn mit einem Drilling gewonnen, als ich im College war, und er hatte den Atlantik zweimal überquert, und wenn sein Leder auch ein bißchen abgenutzt war und die Federn ein wenig durchhingen, war es doch immer noch Der Sessel, und ich hatte ein paar schöne Bücher in ihm gelesen und ihn dazu benutzt, ein paar langweilige Nachmittage zu verdösen, und sogar ein paar große Pläne darin geschmiedet, und wenn sie keine konkreten Formen angenommen hatten, war es nicht die Schuld des Sessels.
Doch als ich in jener Nacht nach Hause kam, die Tür aufmachte und das Licht einschaltete, wußte ich, wie sich Papa Bär gefühlt haben mußte, weil jemand in meinem Sessel gesessen hatte – tatsächlich saß er immer noch darin, hatte sich darin breitgemacht, den Kopf zurückgelehnt, die Hände im Schoß, die Beine lang von sich gestreckt. Seine Augen standen offen und sein Mund auch, aus dem dunkel und aufgequollen die Zunge herausragte. Zwei weiße Fahrradlenkergriffe lagen auf seiner Brust, auf der breiten, grau und grün gemusterten Krawatte. Die Griffe waren an einer Klaviersaite befestigt, die benutzt worden war, um Walter Gothar zu erdrosseln.
Vermutlich hat er sich dagegen gewehrt, aber von einem Kampf war keine Spur zu entdecken. Keine Lampe war umgestürzt. Die Aschenbecher, voll wie üblich, standen an Ort und Stelle. Vielleicht hatte er also nur nach dem Draht gegriffen, der ihm in den Hals schnitt, und mit den Absätzen verzweifelt auf den Boden getrommelt. Es war eine scheußliche Art zu sterben, weil es so lange dauerte – möglicherweise zwei Minuten, je nach Geschicklichkeit und Kraft des Garrotteurs.
Ich durchquerte das Zimmer, griff nach dem Telefonhörer und wählte 444-1111, und als die Männerstimme sagte: »Polizeinotruf«, nannte ich meinen Namen und meine Adresse, sagte ihm, daß in meiner Wohnung ein Mann getötet worden sei, und dann hängte ich ein. Ich wählte eine weitere Nummer, und als Padillo sich meldete, sagte ich: »Dein Freund Walter Gothar.«
»Was ist mit ihm?«
»Er ist tot.«
»Wo?«
»In meinem Sessel. Jemand hat ihn erdrosselt. Klaviersaite mit Fahrradgriffen. Ich halte es jedenfalls für eine Klaviersaite.«
»Sind die Cops auf dem Weg?«
»Ich hab sie gerade angerufen.«
»In fünf Minuten bin ich da.«
»Falls sie vor dir hier sein sollten – gibt’s irgend etwas, was ich ihnen nicht erzählen sollte?«
Padillo schwieg einen Augenblick, bevor er sagte: »Nein, nichts.«
»Dann werde ich es mit der Wahrheit versuchen.«
»Sie könnten dir sogar glauben.« Er hängte ein.