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Fußnoten

1

Gemeint ist Lichtenberg selbst.

2

Vgl. Psalm 90,2: »Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit.«

3

Auftaktvers des 1. Gesangs von Friedrich Gottlieb Klopstocks Messias aus dem Jahre 1748.

4

Assembleen: Versammlungen.

5

belles lettres: Schöne Literatur.

6

Jus naturae: Naturrecht.

7

bissgen: bisschen.

8

als für: wie vor.

9

Tränkgen: Tränklein.

10

Livree: Kleidung, Uniform, insbesondere von Dienstboten.

11

Billigkeit: hier für: Gerechtigkeitsempfinden.

12

einen Folianten: ein dickes Buch.

13

Halseisen-Furcht: Angst vor dem Halseisen, mit dem Straftäter u. a. an den Pranger gekettet wurden.

14

akkommodieren: anpassen.

15

cürieuses: absonderliches, merkwürdiges.

16

Tubum: von lat. Tubus telescopius ›Fernsehrohr‹.

17

Lorgnette: Brille, Sehhilfe, die mit einem Griff vor die Augen gehalten wird.

18

Büchelgen: Büchlein.

19

Ratzen: Ratten.

20

Schanzen: hier: militärisches Befestigungswerk.

21

Fältgen: Fältchen.

22

Werther: Goethes empfindsamer Roman Die Leiden des jungen Werthers (zuerst 1774) zählte zu den bevorzugten Objekten von Lichtenbergs Spott.

23

pius: (lat.) der Fromme. – Aeneas: Stammvater der Römer. – Tullus und Ancus: römische Könige der vorchristlichen Zeit.

24

H. K…: Herr Friedrich Gottlieb Klopstock (17241803), wichtigster Schriftsteller der Empfindsamkeit, propagierte eine radikal phonetische Rechtschreibung.

25

Mülius: Wilhelm Christhelf Sigmund Mylius (1753–1827), Berliner Schriftsteller und Übersetzer, der Alain-René Lesages (1668–1747) französischen Schelmenroman Histoire de Gil Blas de Santillane mit mitunter phonetischen Schreibweisen ins Deutsche übertrug.

26

Stadtfarren: Stadtpfarren, Pfarrgemeinden.

27

eine Faust in der Tasche zu machen: sich im stillen eigene Gedanken zu machen.

28

Witz: hier: Verstand.

29

cogito: bezieht sich auf den Leitsatz des französischen Philosophen René Descartes (15961650): »Cogito ergo sum« (lat.: »Ich denke, also bin ich«).

30

deklarierteste: offensichtlichste.

31

Gerichtet an seine Geliebte Maria Dorothea Stechard (17651782).

32

Gemeint ist die Schriftstellerin Dorothea Friderika Baldinger (17391786), mit der Lichtenberg eng befreundet war – den Text Über die Macht der Liebe hatte er ihr im Zuge eines Briefwechsels geschickt.

33

Der Göttinger Theologe Gottfried Leß (17361797) hatte 1777 die Abhandlung Vom Selbstmord publiziert.

34

wohlfeiler: preiswerter.

35

Christoph Meiners (17471810), Betrachtung über die Frage, ob wir es in unserer Gewalt haben, uns zu verlieben oder nicht (erschienen Göttingen 1776).

36

übrigens: ansonsten.

37

courten: jemandem den Hof machen.

38

Eulern: Leonhard Euler (17071783), Mathematiker; Hallern: Albrecht von Haller (17081777), Mediziner und Botaniker; G…: Johann Wolfgang Goethe.

39

Plutarch (um 46 – um 120 n. Chr.), griechischer Geschichtsschreiber.

40

Johann Martin Miller (17501814), Siegwart, eine Klostergeschichte, erschienen 1776 – der vielleicht größte Bestseller der empfindsamen Literatur nach Goethes Werther.

41

Vgl. Anm. S. 49.

42

Pasquill: Schmäh-, Spottschrift.

43

Die kranke Frau, Lustspiel von Christian Fürchtegott Gellert (17151769) aus dem Jahre 1746.

44

In Celle gab es seit 1724 das Allgemeine Zucht-, Werk- und Tollhaus, zugleich Straf- und »Irrenanstalt«.

45

Zähre: Träne.

46

Physiognomische Fragmente: Titel eines ungemein populären Werks des Schweizer Theologen und Schriftstellers Johann Caspar Lavater (17411801), das in den Jahren 177578 erschienen ist. Als Physiognomik bezeichnete man die vermeintlich »wissenschaftlich« begründete Fähigkeit, aus dem Äußeren des Körpers – insbesondere aus den Gesichtszügen – auf die charakterlichen Eigenschaften, die Intelligenz, Moralität usw. eines Menschen schließen zu können. Mit seinen Physiognomischen Fragmenten legte Lavater ein gewaltiges Archiv von in Kupfer gestochenen Gesichtern, besonders Silhouetten, vor, die er jeweils ausführlichen Deutungen unterzog. Die Köpfe von Dichtern wie z. B. Homer, Shakespeare und Goethe dienten Lavater dazu, allein schon aus ihren Gesichtszügen das Genie dieser Menschen zu erweisen. – Lichtenberg hat das in vielen Schriften scharf und oft spöttisch kritisiert. Dazu gehört auch sein satirisches Fragment von Schwänzen, in dem er zunächst Schwänze von Tieren, dann die damals moderne Haar- bzw. Perückentracht junger Männer physiognomischen Deutungen unterzieht – und das ganz im Stil und Tonfall Johann Caspar Lavaters.

47

Bezieht sich auf das Verbot des Essens von Schweinefleisch im Judentum.

48

luderte: spielte herum, trieb sich herum.

49

Alexander der Große (356323 v. Chr.).

50

Die Worte aut Caesar, aut nihil (lat.: »Kaiser oder nichts«) finden sich unter einer berühmten Caesar-Büste des Renaissanceherrschers Cesare Borgia (1475/761507).

51

gerochener: gerächter.

52

Zitat aus Vergils Eklogen (10,33): »Mögen seine Gebeine sanft ruhen.«

53

Göttingen, schon im 18. Jahrhundert für seine Schweinswürste berühmt.

54

Elater: Aussaatorgan einiger Pflanzen, ähnelt entfernt einem männlichen Genital.

55

Heinrich Rüttgerodt (177176) wurde als Doppelmörder im niedersächsischen Einbeck hingerichtet; sein Gesicht wurde von Lavater als das eines »eingefleischten Teufels« charakterisiert.

56

Satyr: bocksbeiniges Mischwesen im Gefolge des Weingottes Bacchus.

57

Göttinger Schneidermeister.

58

Freitisch: Gasttisch, oft einmal pro Woche, in einer wohlhabenden Familie als eine Art Stipendium.

59

Von engl. pussilanimity ›Kleinmut, Verzagtheit‹.

60

Beisassen: Stadtbewohner.

61

Adlerstein: auch Klapperstein; ein Stein mit einem von losem Material gefüllten Hohlraum.

62

Flöze: Flötze, Gesteinsschichten.

Vorbemerkung

»Charakter einer mir bekannten Person«

Ihr Körper ist so beschaffen, dass ihn auch ein schlechter Zeichner im Dunkeln besser zeichnen würde, und stünde es in ihrem Vermögen, ihn zu ändern, so würde sie manchen Teilen weniger Relief geben.1 Mit seiner Gesundheit ist dieser Mensch, ohnerachtet sie nicht die beste ist, doch noch immer so ziemlich zufrieden gewesen, er hat die Gabe, sich gesunde Tage zu Nutze zu machen, in einem hohen Grade. Seine Einbildungskraft, seine treuste Gefährtin, verlässt ihn alsdann nie, er steht hinter dem Fenster den Kopf zwischen die zwo Hände gestützt, und wenn der Vorbeigehende nichts als den melancholischen Kopfhenker sieht, so tut er sich oft das stille Bekenntnis, dass er im Vergnügen wieder ausgeschweift hat. Er hat nur wenige Freunde, eigentlich ist sein Herz nur immer für einen Gegenwärtigen, aber für mehrere Abwesende offen, seine Gefälligkeit macht, dass viele glauben, er sei ihr Freund, er dient ihnen auch aus Ehrgeiz, Menschenliebe, aber nicht aus dem Trieb, der ihn zum Dienst seiner eigentlichen Freunde treibt. Geliebt hat er nur ein- oder zweimal, das einemal nicht unglücklich, das andermal aber glücklich, er gewann bloß durch Munterkeit und Leichtsinn ein gutes Herz, worüber er nun oft beide vergisst, wird aber Munterkeit und Leichtsinn beständig als Eigenschaften seiner Seele verehren, die ihm die vergnügtesten Stunden seines Lebens verschafft haben, und könnte er sich noch ein Leben und noch eine Seele wählen, so wüsste ich nicht ob er andere wählen würde, wenn er die seinigen noch einmal wieder haben könnte. Von der Religion hat er als Knabe schon sehr frei gedacht, nie aber eine Ehre darin gesucht, ein Freigeist zu sein, aber auch keine darin, alles ohne Ausnahme zu glauben. Er kann mit Inbrunst beten und hat nie den 90ten Psalm ohne ein erhabenes, unbeschreibliches Gefühl lesen können. Ehe denn die Berge worden pp2 ist für ihn unendlich mehr als: Sing unsterbliche Seele pp.3 Er weiß nicht, was er mehr hasst, junge Offiziers oder junge Prediger, mit keinen von beiden könnte er lange leben. Für Assembleen4 sind sein Körper und seine Kleider selten gut, und seine Gesinnungen selten … genug gewesen. Höher als drei Gerichte des Mittags und zwei des Abends mit etwas Wein, und niedriger als täglich Kartuffeln, Äpfel, Brot und auch etwas Wein, hofft er nie zu kommen, in beiden Fällen würde er unglücklich sein, er ist noch allzeit krank geworden, wenn er einige Tage außer diesen Grenzen gelebt hat. Lesen und Schreiben ist für ihn so nötig als Essen und Trinken, er hofft, es wird ihm nie an Büchern fehlen. An den Tod denkt er sehr oft und nie mit Abscheu, er wünscht, dass er an alles mit so vieler Gelassenheit denken könnte, und hofft, sein Schöpfer wird dereinst sanft ein Leben von ihm abfordern, von dem er zwar kein allzu ökonomischer, aber doch kein ruchloser Besitzer war.

1 Aphoristisches aus den »Sudelbüchern«

Zweifle an allem mindestens einmal,

und sei es der Satz: »Zwei mal zwei ist vier!«

Die größten Dinge in der Welt werden durch andere zuwege gebracht, die wir nichts achten, kleine Ursachen, die wir übersehen, und die sich endlich häufen.

 

Die Speisen haben vermutlich einen sehr großen Einfluss auf den Zustand der Menschen, wie er jetzo ist, der Wein äußert seinen Einfluss mehr sichtbarlich, die Speisen tun es langsamer, aber vielleicht ebenso gewiss, wer weiß, ob wir nicht einer gut gekochten Suppe die Luftpumpe und einer schlechten den Krieg oft zu verdanken haben. Es verdiente dieses eine genauere Untersuchung. Allein wer weiß, ob nicht der Himmel damit große Endzwecke erreicht, Untertanen treu erhält, Regierungen ändert und freie Staaten macht, ›und ob nicht die Speisen das tun was wir den Einfluss des Klima nennen‹.

 

Es wäre doch möglich, dass einmal unsere Chemiker auf ein Mittel gerieten, unsere Luft plötzlich zu zersetzen, durch eine Art von Ferment. So könnte die Welt untergehen.

 

Ein gewisses großes Genie fängt aus einem besondern Hang an, eine Verrichtung vorzüglich zu treiben, weil es schwer war, so wird er bewundert, andere reizt dieses. Nun demonstriert man den Nutzen dieser Beschäftigungen. So entstehen Wissenschaften.

 

Um uns ein Glück, das uns gleichgültig scheint, recht fühlbar zu machen, müssen wir immer denken, dass es verloren sei, und dass wir es diesen Augenblick wieder erhielten, es gehört aber etwas Erfahrung in allerlei Leiden dazu, um diese Versuche glücklich anzustellen.