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F E S T M A H L
 

D E R
 
D R A C H E N
 

 

(Band 3 im Ring der Zauberei)

 

 

Morgan Rice

 

Über Morgan Rice

 

 

Morgan schrieb auch die Nr. 1 Bestseller Fantasy-Serie DER RING DER ZAUBEREI, die bisher aus zehn Bänden besteht und teilweise auch auf Deutsch erschienen ist.

Morgan Rice schrieb die Nr. 1 Bestseller-Serie THE VAMPIRE JOURNALS, eine zehnteiligen Serie für Jugendliche, die bisher in sechs Sprachen übersetzt wurde und teilweise bereits auf Deutsch erhältlich ist.

Morgan Rice schrieb auch die Nr. 1 Bestseller ARENA ONE und ARENA TWO, den ersten beiden Titeln der post-apokalyptischen SURVIVAL Action-Thriller-Trilogie, die in der Zukunft angesiedelt ist.

Sämtliche Bücher von Morgan Rice werden demnächst in deutscher Sprache erhältlich sein.

Bitte besuchen Sie auch www.morganricebooks.com. Morgan freut sich auf Ihren Besuch.

 

 

 

Ausgewählte Kommentare zu Morgan Rice

 

 „Rice leistet gute Arbeit, den Leser von Beginn an in die Geschichte hineinzuziehen, mit wunderbaren Beschreibungen, die über das reine Zeichnen des Hintergrundes hinausgehen....schön geschrieben und extrem schnell zu lesen.“

--Black Lagoon Reviews (über Turned - Verwandelt)

 

„Eine ideale Geschichte für junge Leser. Morgan Rice leistet gute Arbeit, eine interessante Wendung herauszuarbeiten...erfrischend und ungewöhnlich, mit allen klassischen Elementen, die in vielen Serien paranormaler Geschichten für Jugendliche zu finden sind. Die Serie dreht sich um ein Mädchen...ein außergewöhnliches Mädchen!...Einfach zu lesen, doch extrem rasant...empfehlenswert für alle, die gerne paranormale Soft-Romanzen lesen. Bedingt jugendfrei.“

--The Romance Reviews (über Turned - Verwandelt)

 

„Packte meine Aufmerksamkeit von Anfang an und ließ nicht locker... diese Geschichte ist ein fantastisches Abenteuer, von Beginn an rasant und actionreich. Es ist kein langweiliger Moment zu finden.“

--Paranormal Romance Guild {über Turned- Verwandelt}

 

„Vollgepackt mit Action, Romantik, Abenteuer und Spannung. Lasst es euch nicht entgehen, und verliebt euch ganz von Neuem.“

--vampirebooksite.com (über Turned - Verwandelt)

 

„Eine tolle Geschichte, und vor allem die Art von Buch, die man nachts nicht weglegen kann. Das Ende war ein Cliffhanger, der so spektakulär war, dass man sofort das nächste Buch kaufen möchte, nur um herauszufinden, wie es weitergeht.“

--The Dallas Examiner {über Loved - Geliebt}

 

„Ein Buch, das TWILIGHT und VAMPIRE DIARIES Konkurrenz macht, und dazu führen wird, dass man bis zur letzten Seite nicht genug davon bekommt! Wer Abenteuer, Liebe und Vampire mag, liegt mit diesem Buch genau richtig!“

--Vampirebooksite.com (über Turned - Verwandelt)

 

„Morgan Rice erweist sich erneut als äußerst talentiert im Geschichtenerzählen...Dies wird eine große Bandbreite an Lesern ansprechen, darunter die jüngeren Fans des Vampir/Fantasy-Genres. Das Ende ist ein unerwarteter Cliffhanger, der Sie schockieren wird.“

--The Romance Reviews (über Loved - Geliebt)

 

 

Bücher von Morgan Rice

 

auf Deutsch erschienen

DER RING DER ZAUBEREI
QUESTE DER HELDEN (Band 1)

MARSCH DER KÖNIGE (Band 2)

FESTMAHL DER DRACHEN (Band 3)


schon bald auf Deutsch erhältlich

A CLASH OF HONOR - KAMPF DER EHRE (Band 4)

A VOW OF GLORY - SCHWUR DES RUHMS (Band 5)
A CHARGE OF VALOR - ANGRIFF DER TAPFERKEIT (Band 4)
A RITE OF SWORDS - RITUS DER SCHWERTER (Band 7)

A GRANT OF ARMS - GEWÄHR DER WAFFEN (Band 8)
A SKY OF SPELLS - HIMMEL DER ZAUBER (Band 9)
A SEA OF SHIELDS - MEER DER SCHILDE (Band 10)

 

schon bald auf Deutsch erhältlich

THE SURVIVAL TRILOGY
ARENA ONE: SLAVERUNNERS (Band 1)
ARENA TWO (Band 2)

 

auf Deutsch erschienen

THE VAMPIRE JOURNALS -

VERWANDELT (Band 1)

GELIEBT (Band 2)

 

schon bald auf Deutsch erhältlich

BETRAYED (Band 3)

DESTINED (Band 4)

DESIRED (Band 5)
BETROTHED (Band 6)

VOWED (Band 7)

FOUND (Band 8)

RESURRECTED (Band 9)
CRAVED (Band 10)

 

 

 

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Hören Sie sich die RING DER ZAUBEREI-Serie im Hörbuch-Format an!

 

Jetzt erhältlich auf:
 

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Copyright © 2013 Morgan Rice

 

Alle Rechte vorbehalten. Mit den im U.S. Copyright Act von 1976 erlaubten Ausnahmen ist es nicht gestattet, jeglichen Teil dieser Publikation in jeglicher Form oder über jegliche Mittel ohne die vorherige Erlaubnis des Autors zu vervielfältigen, verteilen oder übertragen, oder in einer Datenbank oder einem Abrufsystem zu speichern.

 

Dieses Ebook ist ausschließlich für den persönlichen Gebrauch zugelassen. Dieses Ebook darf nicht weiterverkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit einer anderen Person teilen möchten, erwerben Sie bitte ein zusätzliches Exemplar für jeden Empfänger. Wenn Sie dieses Buch lesen und nicht gekauft haben, oder es nicht ausschließlich für Ihren Gebrauch gekauft wurde, geben Sie es bitte zurück erwerben Sie Ihr eigenes Exemplar. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit des Autors respektieren.

 

Diese Geschichte ist frei erfunden. Namen, Figuren, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder ein Produkt der Phantasie des Autors oder werden im fiktionalen Sinne verwendet. Jegliche Ähnlichkeit mit existierenden Personen, tot oder lebend, ist rein zufällig.

 

 

INHALT

 

KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL ACHT

KAPITEL NEUN

KAPITEL ZEHN

KAPITEL ELF

KAPITEL ZWÖLF

KAPITEL DREIZEHN

KAPITEL VIERZEHN

KAPITEL FÜNFZEHN

KAPITEL SECHZEHN

KAPITEL SIEBZEHN

KAPITEL ACHTZEHN

KAPITEL NEUNZEHN

KAPITEL ZWANZIG

KAPITEL EINUNDZWANZIG

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG

KAPITEL DREIUNDZWANZIG

KAPITEL VIERUNDZWANZIG

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG

KAPITEL DREISSIG

KAPITEL EINUNDDREISSIG

 

 

„Komm nicht dem Zorn des Drachens in die Quere.“
 

—William Shakespeare
König Lear

 

 

 

KAPITEL EINS

 

 

König McCloud ritt über den Abhang der Hochlande, an der Spitze des Sturmangriffs in die MacGil-Hälfte des Rings, mit hunderten Mann in seinem Gefolge; fest an sein Pferd geklammert galoppierte er den Berg hinunter. Er hob seine Peitsche und schnalzte sie dem Pferd kräftig aufs Leder: sein Pferd brauchte keinen Antrieb, aber es machte ihm Freude, es trotzdem zu peitschen. Er genoss es, Tieren Schmerz zuzufügen.

McCloud sabberte geradezu, als er den Anblick vor ihm betrachtete: ein idyllisches MacGil-Dorf, die Männer in den Feldern, unbewaffnet, die Frauen zuhause an den Wäscheleinen, kaum bekleidet in dieser Sommerhitze. Die Haustüren standen offen; Hühner liefen frei herum; Kessel brodelten bereits zum Abendessen. Er dachte an den Schaden, den er anrichten würde; die Beute, die er einholen würde; die Frauen, die er ruinieren würde—und sein Lächeln wurde breiter. Er konnte förmlich das Blut schmecken, das er gleich vergießen würde.

Sie stürmten und stürmten, die Pferde breiteten sich grollend wie Donner über die Landschaft, und endlich wurden sie entdeckt: die Dorfwache, ein armseliger Möchtegern-Soldat, ein junger Bursche mit einem Speer, stand auf, als er etwas näherkommen hörte, und drehte sich zu ihnen herum. McCloud konnte deutlich das Weiße in seinen Augen sehen, die Furcht und Panik in seinem Gesicht; an diesem verschlafenen Außenposten hatte dieser Junge wahrscheinlich noch nie in seinem Leben eine Schlacht gesehen. Er war jämmerlich unvorbereitet.

McCloud verlor keine Zeit: er wollte das erste Todesopfer einfordern, wie in jeder Schlacht. Seine Männer kannten ihn gut genug, um das ihm zu überlassen.

Er peitschte sein Pferd erneut, bis es aufschrie und schneller wurde, den anderen immer weiter voraus. Er hob den Speer seiner Vorfahren, ein schweres Teil aus Eisen, holte aus und schleuderte ihn.

Wie immer traf er in sein Ziel: der Junge hatte sich kaum ganz herumgedreht, als der Speer ihn im Rücken traf, direkt durch ihn hindurchfuhr und ihn mit einem Zischen an einen Baum heftete. Blut schoss aus seinem Rücken hervor, genug, um McCloud den Tag zu versüßen.

McCloud stieß einen kurzen Jubelschrei aus, während sie den Sturmangriff fortsetzten, quer über die erlesenen Ländereien der MacGils, durch die gelben Getreidehalme, die sich im Wind bogen und seinem Pferd bis an die Schenkel reichten, und auf das Dorftor zu. Es war ein fast zu schöner Tag, ein zu schönes Bild für die Zerstörung, die sie gleich anrichten würden.

Sie preschten durch das ungeschützte Tor in das Dorf, diesen Ort, der so dumm war, an den Ausläufern des Rings zu liegen, so nah an den Hochlanden. Sie hätten es besser wissen sollen, dachte McCloud verächtlich, während er seine Axt schwang und das Holzschild niederschnitt, das den Ort kennzeichnete. Er würde ihn schon bald umbenennen.

Seine Mannen fielen in den Ort ein und überall um ihn herum erhoben sich die Schreie von Frauen, Kindern, alten Männern; jedem, der an diesem gottverlassenen Ort gerade zu Hause anzutreffen war. Es waren wahrscheinlich einhundert gottverlassene Seelen, und McCloud war fest entschlossen, jede einzelne von ihnen bezahlen zu lassen. Er hob seine Axt hoch über den Kopf und nahm eine bestimmte Frau aufs Korn, die mit dem Rücken zu ihm um ihr Leben rannte, versuchte, die Sicherheit ihres Heims zu erreichen. Es sollte nicht sein.

McClouds Axt traf sie in der Wade, wie er es beabsichtigt hatte, und sie ging mit einem Schrei zu Boden. Er hatte sie nicht töten wollen: nur verstümmeln. Immerhin wollte er sie lebend, um sich später mit ihr zu vergnügen. Er hatte sie gut ausgewählt: eine Frau mit langem, ungezügeltem blondem Haar und schmalen Hüften, kaum über achtzehn. Sie würde ihm gehören. Und wenn er mit ihr fertig war, dann würde er sie vielleicht töten. Oder vielleicht auch nicht; vielleicht würde er sie als seine Sklavin behalten.

Er jauchzte vor Freude, während er auf sie zuritt und neben ihr vom laufenden Pferd sprang, auf ihr landete und sie zu Boden riss. Er rollte mit ihr durch den Staub, fühlte den Aufprall auf der Straße und lächelte, während er das Gefühl genoss, am Leben zu sein.

Endlich hatte sein Leben wieder einen Zweck.

 

 

KAPITEL ZWEI

 

 

Kendrick stand im Auge des Sturms: im Waffensaal, flankiert von Dutzenden seiner Brüder, allesamt abgehärtete Mitglieder der Silbernen, und blickte ruhig auf Darloc, den Kommandanten der königlichen Garde, die auf diese unglückselige Mission geschickt worden war. Was hatte sich Darloc dabei gedacht? Hatte er wirklich geglaubt, dass er in den Waffensaal spazieren und Kendrick, das beliebteste Mitglied der königlichen Familie, vor den Augen all seiner Waffenbrüder festnehmen konnte? Hatte er tatsächlich geglaubt, die anderen würden tatenlos danebenstehen und das zulassen?

Er hatte die Loyalität der Silbernen zu Kendrick weit unterschätzt. Selbst, wenn Darloc mit legitimen Gründen für seine Festnahme angekommen wäre—und das waren sie definitiv nicht—bezweifelte Kendrick stark, dass seine Brüder zulassen würden, dass er davongeschleppt würde. Sie waren loyale Freunde fürs Leben, und loyal bis in den Tod. Das war das Credo der Silbernen. Er hätte genauso reagiert, wenn irgendeiner seiner Brüder bedroht würde. Immerhin hatten sie alle gemeinsam trainiert, zusammen um ihr Leben gekämpft.

Kendrick konnte die Anspannung fühlen, die in der schweren Stille hing, als die Silbernen ihre Waffen gegen das kleine Dutzend der Königlichen Garde richteten, die von einem Fuß auf den anderen traten und mit jedem Moment betretener dreinblickten. Es muss ihnen klar gewesen sein, dass es in einem Massaker enden würde, wenn auch nur einer von ihnen zum Schwert griff—und sie waren weise genug, dass niemand es versuchte. Sie alle standen da und erwarteten den Befehl ihres Kommandanten Darloc.

Darloc schluckte und blickte äußerst nervös drein. Er erkannte, dass sein Auftrag hoffnungslos war.

„Es scheint, Ihr seid nicht mit ausreichend Männern gekommen“, erwiderte Kendrick ruhig und lächelte. „Ein Dutzend der Königlichen Garde gegen ein Hundert der Silbernen. Eure Sache ist hoffnungslos.“

Darloc wurde abwechselnd rot und bleich. Er räusperte sich.

„Mein Herr, wir alle dienen demselben Königreich. Es ist nicht mein Wunsch, Euch zu bekämpfen. Ihr habt recht: dies ist ein Kampf, den wir nicht gewinnen können. So ihr es uns gebietet, werden wir diesen Ort verlassen und zum König zurückkehren.

Doch Ihr wisst, dass Gareth einfach nur mehr Männer nach Euch senden würde. Andere Männer. Und Ihr wisst, wohin dies führen würde. Ihr könntet sie alle töten—doch wollt Ihr wirklich das Blut Eurer Brüder an den Händen haben? Wollt Ihr wirklich einen Bürgerkrieg anfachen? Für Euch würden Eure Männer ihr Leben riskieren, jeden töten. Doch ist das ihnen gegenüber gerecht?“

Kendrick starrte zurück und dachte darüber nach. Darlocs Argumente waren gut. Er wollte nicht, dass auch nur einer seiner Männer seinetwegen zu Schaden kam. Er verspürte ein übermächtiges Verlangen, sie alle vor jeglichem Blutvergießen zu schützen, egal, was das für ihn bedeuten würde. Und wie furchtbar sein Bruder Gareth auch war, und wie schlecht er auch als Herrscher war, wollte Kendrick keinen Bürgerkrieg—zumindest nicht um seinetwillen. Es gab andere Wege; direkte Konfrontation, so hatte er gelernt, war nicht immer der effektivste.

Kendrick streckte die Hand aus und drückte sanft das Schwert seines Freundes Atme zu Boden. Er wandte sich an die anderen Silbernen. Er war vor Dankbarkeit dafür überwältigt, dass sie zu seiner Verteidigung gekommen waren.

„Meine Gefährten der Silbernen“, verkündete er. „Ich bin geehrt von eurer Verteidigung, und ich versichere euch, sie ist nicht umsonst. Wie ihr mich alle kennt, hatte ich nichts mit dem Tod meines Vaters, unseres ehemaligen Königs, zu tun. Und sobald ich seinen wahren Mörder finde, wobei die Natur dieses Haftbefehls in mir schon einen Verdacht erweckt, werde ich der Erste sein, der Rache übt. Dies ist eine fälschliche Beschuldigung. Andererseits möchte ich nicht der Anstoß für einen Bürgerkrieg sein. Und so bitte ich euch, senkt eure Waffen. Ich werde ihnen gestatten, mich friedlich abzuführen, denn ein Bewohner des Rings soll einen anderen nie bekämpfen. Wenn die Gerechtigkeit lebt, dann wird die Wahrheit zu Tage treten—und ich werde umgehend zu euch zurückkehren.“

Die Gruppe der Silbernen senkte langsam und zögerlich die Waffen, während Kendrick sich zurück an Darloc wandte. Kendrick trat vor und ging an Darlocs Seite auf die Türe zu, umringt von der königlichen Garde. Kendrick schritt stolz und aufrecht in ihrer Mitte. Darloc versuchte nicht, ihm Fesseln anzulegen—vielleicht aus Respekt, oder aus Furcht, oder weil Darloc wusste, dass er unschuldig war. Kendrick würde sich selbst in sein neues Gefängnis führen. Doch er würde nicht klein beigeben. Irgendwie würde er seinen Namen reinwaschen, sich aus dem Kerker befreien—und den Mörder seines Vaters töten. Selbst, wenn es sein eigener Bruder war.

 

 

 

KAPITEL DREI

 

 

Gwendolyn stand in den Eingeweiden der Burg, ihr Bruder Godfrey neben ihr, und starrte Steffen an, der von einem Fuß auf den anderen trat und mit den Händen rang. Er war ein seltsamer Vogel—nicht nur wegen seines verkrümmten, buckeligen Rückens, sondern auch, weil er von Nervosität erfüllt schien. Seine Augen zuckten immerzu hin und her, und seine Hände packten einander, als wäre er vor Schuld geplagt. Er schaukelte im Stehen, trat von einem Fuß auf den anderen und summte mit tiefer Stimme vor sich hin. All die Jahre hier unten, dachte Gwen bei sich, all die Jahre der Isolation, hatten ihn offenbar zu einem Sonderling geformt.

Gwen wartete gespannt darauf, dass er sich endlich öffnete und enthüllte, was ihrem Vater zugestoßen war. Doch Sekunden wurden zu Minuten, Schweiß sammelte sich auf Steffens Brauen, er schaukelte sich immer dramatischer hin und her, und nichts kam hervor. Das dichte, schwere Schweigen zog sich weiter in die Länge, lediglich von seinen Summgeräuschen durchbrochen.

Gwen fing schon selbst an, hier unten zu schwitzen—die schwelenden Flammen von den Feuerstellen standen an diesem Sommertag zu nahe. Sie wollte, dass das hier ein Ende hatte, wollte diesen Ort verlassen und nie wieder zurückkehren. Sie betrachtete Steffen eingehend und versuchte, seinen Ausdruck zu entziffern; zu entschlüsseln, was ihm durch den Kopf ging. Er hatte versprochen, ihnen etwas zu erzählen, doch nun war er verstummt. Während sie ihn betrachtete, schien es, als würde er es sich anders überlegen. Er hatte sichtlich Angst; er hatte etwas zu verbergen.

Endlich räusperte sich Steffen.

„Etwas fiel in jener Nacht den Abfluss herunter, ich gebe es zu“, begann er, den Augenkontakt vermeidend und zu Boden blickend, „aber ich bin nicht sicher, was es war. Es war aus Metall. Wir trugen in jener Nacht den Nachttopf hinaus und ich hörte, wie etwas im Fluss landete. Etwas, das anders war. Also“, sagte er, räusperte sich mehrmals und rang weiter seine Hände, „Ihr seht, was immer es war, es wurde von den Fluten davongespült.“

„Bist du sicher?“, forderte Godfrey.

Steffen nickte energisch.

Gwen und Godfrey tauschten einen Blick aus.

„Konntest du zumindest einen Blick darauf werfen?“, drängte Godfrey.

Steffen schüttelte den Kopf.

„Aber du erwähntest einen Dolch. Wie konntest du wissen, dass es ein Dolch war, wenn du es nicht sehen konntest?“, fragte Gwen. Sie war sicher, dass er log; sie wusste bloß nicht, warum.

Steffen räusperte sich.

„Das sagte ich, weil ich einfach annahm, dass es ein Dolch war“, antwortete er. „Es war klein und aus Metall. Was sollte es sonst gewesen sein?“

„Aber hast du am Boden des Topfes nachgesehen?“ fragte Godfrey. „Nachdem du ihn entleert hast? Vielleicht ist es immer noch am Boden des Topfes.“

Steffen schüttelte den Kopf.

„Ich habe den Boden überprüft“, sagte er. „Das tue ich immer. Da war nichts. Leer. Was immer es war, es wurde davongespült. Ich sah, wie es davonschwamm.“

„Wenn es aus Metall war, wie konnte es dann schwimmen?“, fragte Gwen.

Steffen räusperte sich, dann zuckte er die Schultern.

„Der Fluss ist geheimnisvoll“, antwortete er. „Die Fluten sind stark.“

Gwen warf Godfrey einen skeptischen Blick zu und konnte an seinem Ausdruck erkennen, dass er Steffen genauso wenig glaubte.

Gwen wurde langsam ungeduldig. Und jetzt war sie auch ratlos. Noch vor wenigen Augenblicken wollte Steffen ihnen alles erzählen, wie er es versprochen hatte. Doch anscheinend hatte er es sich plötzlich anders überlegt.

Gwen machte einen Schritt auf ihn zu und starrte ihn grimmig an; sie spürte, dass dieser Mann etwas zu verbergen hatte. Sie setzte ihre härteste Miene auf und fühlte dabei die Stärke ihres Vaters durch sich fließen. Sie war entschlossen, herauszubekommen, was er wusste—besonders, wenn es ihr helfen würde, den Mörder ihres Vaters zu finden.

„Du lügst“, sagte sie mit kalter, stählerner Stimme, und die Kraft, die darin lag, überraschte sie selbst. „Weißt du, welche Strafe darauf steht, ein Mitglied der königlichen Familie anzulügen?“

Steffen rang seine Hände und hüpfte geradezu auf der Stelle auf und ab, blickte einen Moment zu ihr hoch und wandte rasch den Blick wieder ab.

„Es tut mir leid“, sagte er. „Es tut mir leid. Bitte, ich habe nichts mehr zu sagen.“

„Du hast uns vorhin gefragt, ob du dem Gefängnis entgehen könntest, wenn du uns sagst, was du weißt“, sagte sie. „Doch du hast uns gar nichts gesagt. Warum würdest du uns diese Frage stellen, wenn du uns nichts zu sagen hast?“

Steffen leckte sich über die Lippen und blickte zu Boden.

„Ich... ich... ähm“, setzte er an, und stockte. Er räusperte sich. „Ich war besorgt...dass ich in Schwierigkeiten geraten würde, dass ich nicht gemeldet habe, dass ein Gegenstand den Abfluss herunterkam. Das ist alles. Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was es war. Es ist weg.“

Gwen kniff die Augen zusammen, starrte ihn an und versuchte, diesem seltsamen Geschöpf auf den Grund zu gehen.

„Was genau ist deinem Meister passiert?“, frage sie, nicht locker lassend. „Uns wurde gesagt, dass er vermisst wird. Und dass du etwas damit zu tun haben sollst.“

Steffen schüttelte wieder und wieder den Kopf.

„Er ist fortgegangen“, antwortete Steffen. „Mehr weiß ich nicht. Es tut mir leid. Ich weiß nichts, dass Euch weiterhelfen könnte.“

Plötzlich ertönte ein lautes, zischendes Geräusch am anderen Ende des Raumes, und sie blickten sich um und sahen, wie Mist den Abfluss herunterkam und in den riesigen Nachttopf platschte. Steffen lief durch den Raum zum Topf hinüber. Er stand daneben und sah zu, wie er sich mit Mist aus den oberen Gemächern füllte.

Gwen blickte zu Godfrey, der ihren Blick erwiderte. Auch sein Gesichtsausdruck war ratlos.

„Was er auch immer verbirgt“, sagte sie, „er wird es nicht preisgeben.“

„Wir könnten ihn einsperren lassen“, sagte Godfrey. „Das bringt ihn vielleicht zum Reden.“

Gwen schüttelte den Kopf.

„Das glaube ich nicht. Nicht bei dem da. Er hat offensichtlich enorme Angst. Ich denke, es hat etwas mit seinem Meister zu tun. Er ist eindeutig zwiegespalten von irgendetwas, und ich glaube nicht, dass es mit Vaters Tod zu tun hat. Ich denke, er weiß etwas, das uns weiterhelfen könnte—aber ich spüre, dass er nur ganz zumachen wird, wenn wir ihn in die Ecke drängen.“

„Also was sollen wir tun?“, fragte Godfrey.

Gwen stand da und grübelte. Sie erinnerte sich an eine Freundin aus ihrer Kindheit, die einmal beim Lügen erwischt wurde. Sie erinnerte sich, dass ihre Eltern sie von allen Seiten unter Druck setzten, die Wahrheit zu sagen, doch sie tat es nicht. Erst Wochen später, als alle sie endlich in Ruhe ließen, trat sie freiwillig hervor und verriet alles. Gwen spürte die gleiche Stimmung von Steffen ausgehen; dass er nur noch verschlossener werden würde, wenn er in die Ecke gedrängt würde; dass er den Freiraum brauchte, aus eigenen Stücken mit der Wahrheit hervorzurücken.

„Geben wir ihm Zeit“, sagte sie. „Suchen wir woanders weiter. Sehen wir, was wir herausfinden können, und kommen wir auf ihn zurück, wenn wir mehr in der Hand haben. Ich denke, er wird sich öffnen. Er ist nur noch nicht so weit.“

Gwen beobachtete ihn am anderen Ende des Raumes, wie er den Mist begutachtete, der den Kessel füllte. Sie fühlte sich sicher, dass er sie zum Mörder ihres Vaters führen würde. Sie wusste nur nicht, wie. Sie fragte sich, welche Geheimnisse sich in den Tiefen seines Verstandes verbargen.

Er war ein sehr eigenartiger Geselle, dachte Gwen. Wahrlich sehr eigenartig.

 

 

 

KAPITEL VIER

 

 

Thor versuchte, Luft zu holen und dem Wasser auszuweichen, das seine Augen, Nase und Mund bedeckte und von allen Seiten auf ihn herunterströmte. Nachdem er quer über das ganze Schiff gerutscht war, hatte er es schließlich geschafft, die hölzerne Reling zu packen und sich mit aller Kraft daran zu klammern, während das erbarmungslose Wasser sein Bestes gab, seinen Griff zu lockern. Jeder Muskel in seinem Körper zitterte, und er wusste nicht, wie lange er sich noch festhalten konnte.

Um ihn herum taten es ihm seine Brüder gleich, klammerten sich ums nackte Leben an alles, was sie fassen konnten, während das Wasser sie vom Schiff spülen wollte. Irgendwie schafften sie es, durchzuhalten.

Der Lärm war ohrenbetäubend und er hatte Schwierigkeiten, mehr als ein paar Fuß weit zu sehen. Trotz des Sommertages war der Regen kalt, und das Wasser schickte ein Frösteln durch seinen Körper, das er nicht abschütteln konnte. Kolk stand mit grimmiger Miene da, die Hände in die Hüften gestützt, als wäre er immun gegen die Regenwand, und bellte um sich.

„ZURÜCK AN EURE SITZE!“, schrie er. „RUDERT!“

Kolk selbst setzte sich hin und fing zu rudern an, und in wenigen Momenten rutschten und krochen die Jungen über das Deck auf die Bänke zu. Thors Herz pochte, als er selbst losließ und sich über das Deck mühte. In seinem Hemd winselte Krohn, als Thor ausrutschte und hart auf dem Deck aufschlug.

Er kroch den Rest des Weges und war schon bald wieder an seinem Sitz.

„BINDET EUCH FEST!“, schrie Kolk.

Thor blickte nach unten auf die geknoteten Seile unter seiner Bank, und endlich verstand er, wofür sie gut waren: er nahm eines auf und band es sich ums Handgelenk, somit fest mit der Bank und dem Ruder verbunden.

Es funktionierte. Er rutschte nicht mehr. Und schon bald konnte er zu rudern beginnen.

Um ihn herum fingen die Jungen wieder zu rudern an, Reece auf der Bank vor ihm, und Thor spürte, wie das Schiff sich in Bewegung setzte. Nach wenigen Minuten lichtete sich der Regenwall über ihnen.

Während er ruderte und ruderte, seine Haut von diesem seltsamen Regen brannte und jeder Muskel in seinem Körper schmerzte, ließ das Regengeräusch schließlich nach und Thor fühlte immer weniger Wasser auf seinen Kopf niederprasseln. Nach wenigen weiteren Augenblicken kamen sie unter sonnenklaren Himmel.

Thor blickte sich schockiert um: es war absolut trocken und hell. Etwas so Merkwürdiges hatte er noch nie erlebt: die Hälfte des Schiffs stand unter einer trockenen, leuchtenden Sonne, während die andere noch begossen wurde, während sie aus dem Rest des Regenwalls hervorkam.

Endlich lag das ganze Schiff unter dem klaren blauen und gelben Himmel, und die warme Sonne brannte auf sie herunter. Es war nun ruhig, der Regenwall verschwand rasch, und seine Waffenbrüder warfen einander verdutzte Blicke zu. Es war, als wären sie durch einen Vorhang in eine andere Welt gesegelt.

„HALT!“, schrie Kolk.

Um Thor herum ließen die Jungen mit einem gemeinsamen Aufseufzen ihre Ruder fallen und schnappten nach Luft. Thor tat es ihnen gleich; er fühlte jeden Muskel in seinem Körper zittern und war dankbar für die Pause. Er ließ sich nach vorne fallen, schnappte nach Luft und versuchte, seine schmerzenden Muskel zu entspannen, während das Schiff durch diese neuen Gewässer glitt.

Endlich hatte Thor sich erholt und stand auf, um sich umzublicken. Er blickte auf das Wasser hinunter und sah, dass es die Farbe geändert hatte: es war nun ein helles, leuchtendes Rot. Sie waren in einem anderen Ozean angelangt.

„Die Drachensee“, sagte Reece neben ihm, der ebenso gebannt hinunterstarrte. „Man sagt, es ist rot vom Blut seiner Opfer.“

Thor betrachtete das Wasser. Es blubberte an manchen Stellen, und in der Ferne tauchten seltsame Geschöpfe kurz aus den Fluten hoch, um wieder abzutauchen. Keine von ihnen blieb lange genug sichtbar, dass er einen guten Blick auf sie werfen konnte, doch er wollte sein Glück nicht herausfordern, indem er sich weiter vorlehnte.

Thor versuchte verwirrt, alles zu erfassen. Alles hier auf dieser Seite des Regenwalls schien so fremd, so anders. Es lag sogar ein leichter roter Nebel in der Luft, der tief über dem Wasser schwebte. Er betrachtete den Horizont und sah dutzende kleiner Inseln, die wie Trittsteine über den Horizont verteilt waren.

Eine starke Brise kam auf und Kolk trat vor und bellte:

„SETZT DIE SEGEL!“

Thor sprang gemeinsam mit den anderen Jungen in Aktion, packte Taue und zog an ihnen, um die Brise einzufangen. Die Segel füllten sich und ein Windstoß trug sie vorwärts. Thor spürte, wie das Schiff sich unter ihnen schneller bewegte als je zuvor, und sie fuhren auf die Inseln zu. Das Schiff schwankte über riesige, sanfte Wellen, die aus dem Nichts aufkamen und sich sanft auf und ab bewegten.

Thor spazierte zum Bug, lehnte sich gegen die Reling und hielt Ausschau. Reece tauchte neben ihm auf, und O’Connor auf seiner anderen Seite. Nebeneinander standen sie da, und Thor sah zu, wie die Inselkette rasch näherkam. Sie standen lange Zeit schweigend da, und Thor genoss die feuchte Brise, während sein Körper sich entspannte.

Schließlich stellte Thor fest, dass sie auf eine bestimmte Insel zusteuerten. Sie wurde größer, und Thor fröstelte, als er erkannte, dass sie das Ziel ihrer Reise war.

„Die Insel der Nebel“, sagte Reece ehrfürchtig.

Thor betrachtete sie staunend. Langsam wurde ihre Gestalt erkennbar—sie war felsig und zerfurcht, karg, und erstreckte sich über mehrere Meilen in beide Richtungen, lang und schmal, geformt wie ein Hufeisen. Riesige Wellen krachten gegen ihre Küste, ihr Grollen sogar von hier zu hören, und warfen sich schäumend gegen enorme Felsbrocken. Ein winziger Streifen Festland war hinter den Felsen zu sehen, und dahinter eine Klippenwand, die sich senkrecht hoch in die Lüfte erhob. Thor konnte nichts sehen, wo ihr Schiff sicher anlegen konnte.

Ein roter Nebel, der wie Tau über der ganzen Insel hing und in der Sonne funkelte, trug zur Merkwürdigkeit dieses Ortes bei. Er verlieh ihm eine Atmosphäre, die nicht ganz geheuer war. Thor konnte etwas Unmenschliches, Unirdisches an diesem Ort verspüren.

„Man sagt, sie hat Millionen Jahre überstanden“, fügte O’Connor hinzu. „Sie ist älter als der Ring. Sogar älter als das Imperium.“

„Sie gehört den Drachen“, fügte Elden hinzu, der sich neben Reece gesellt hatte.

Thor sah zu, wie die zweite Sonne plötzlich am Himmel versank; in wenigen Momenten wandelte sich der Tag von sonnig und hell zu beinahe Sonnenuntergang, und der Himmel färbte sich rot und violett. Er konnte es nicht glauben: noch nie hatte er gesehen, dass die Sonne sich so schnell bewegte. Er fragte sich, was in diesem Teil der Welt sonst noch alles anders war.

„Wird diese Insel von einem Drachen bewohnt?“, fragte Thor.

Elden schüttelte den Kopf.

„Nein. Ich habe gehört, dass er in der Nähe lebt. Man sagt, der rote Nebel entsteht aus dem Atem des Drachen. Er atmet bei Nacht auf einer benachbarten Insel, und der Wind trägt es herüber und bedeckt die Insel bei Tag.“

Thor hörte ein plötzliches Geräusch; zuerst klang es wie ein tiefes Grollen, wie Donner, lange und laut genug, um das Schiff zum Erbeben zu bringen. Krohn, der immer noch in seinem Hemd lag, duckte den Kopf und winselte.

Die anderen wirbelten alle herum, und auch Thor drehte sich herum und hielt Ausschau; irgendwo am Horizont glaubte er, den blassen Umriss von Flammen erkennen zu können, die in den Sonnenuntergang flackerten und dann in einer Wolke schwarzen Rauchs verschwanden, wie der Ausbruch eines kleinen Vulkans.

„Der Drache“, sagte Reece. „Wir sind nun in seinem Revier.“

Thor schluckte und staunte.

„Aber wie können wir hier dann in Sicherheit sein?“, fragte O’Connor.

„Ihr seit nirgendwo in Sicherheit“, ertönte eine dröhnende Stimme.

Thor wirbelte herum und sah Kolk da stehen, Hände in die Hüften gestützt und über ihre Schultern hinweg den Horizont betrachtend.

„Das ist der Zweck der Hundert: jeden Tag in Lebensgefahr zu verbringen. Dies ist keine Übung. Der Drache lebt in der Nähe, und es gibt nichts, was ihn davon abhält, anzugreifen. Es ist unwahrscheinlich, dass er es tun wird, da er habsüchtig den Schatz auf seiner eigenen Insel bewacht, und Drachen nicht gerne ihre Schätze unbewacht lassen. Doch ihr werdet ihn brüllen hören und bei Nacht seine Flammenstöße sehen. Und wenn wir ihn irgendwie erzürnen, gibt es keine Gewissheit, was alles passieren kann.“

Thor hörte ein weiteres tiefes Grollen, sah einen weiteren Flammenstoß am Horizont und sah die Insel immer näher kommen, umspült von tosenden Wellen. Er blickte zu den steilen Klippen hoch, einer schieren Felswand, und fragte sich, wie sie jemals nach oben auf ihr flaches und trockenes Land gelangen würden.

„Aber ich kann nirgends sehen, wo ein Schiff anlegen könnte“, sagte Thor.

„Das wäre zu einfach“, schoss Kolk zurück.

„Und wie kommen wir dann auf die Insel?“, fragte O’Connor.

Kolk grinste auf sie hinunter; es war ein fieses Grinsen.

„Ihr schwimmt“, sagte er.

Einen Moment lang fragte sich Thor, ob er scherzte; doch dann erkannte er an seinem Gesichtsausdruck, dass es ihm ernst war. Thor schluckte.

„Schwimmen?“, wiederholte Reece ungläubig.

„Diese Wasser strotzen vor Ungeheuern!“, sagte Elden.

„Oh, das ist das geringste Problem“, fuhr Kolk fort. „Diese Fluten sind tückisch; diese Wirbel können euch in die Tiefe reißen; diese Wellen werden euch gegen diese scharfen Felsen schmettern; das Wasser ist heiß; und wenn ihr es an den Felsen vorbei geschafft habt, müsst ihr einen Weg finden, diese Klippen hoch auf festen Boden zu klettern. Wenn die Meereskreaturen euch nicht vorher erwischen. Willkommen in eurem neuen Zuhause.“

Thor stand mit den anderen an der Reling und starte auf das schäumende Meer hinunter. Das Wasser wirbelte unter ihm wie ein lebendiges Wesen, die Strömungen wurden jede Sekunde stärker, schaukelten das Boot und erschwerten es ihm, das Gleichgewicht zu halten. Unter ihm tosten die aufgewühlten Fluten, ein helles Rot, das das Blut der Hölle selbst zu enthalten schien. Schlimmer noch: wie Thor bei näherer Beobachtung feststellte, wurden diese Gewässer alle paar Fuß getrübt vom Auftauchen eines weiteren Seeungeheuers, das hervorkam, mit langen Zähnen schnappte und wieder untertauchte.

Ihr Schiff senkte plötzlich den Anker, weitab vom Ufer, und Thor schluckte. Er blickte zu den Felsen hoch, die die Insel umringten, und fragte sich, wie sie es von hier dorthin schaffen sollten. Das Tosen der Wellen kam jede Sekunde näher, und die anderen mussten rufen, um gehört zu werden.

Er sah zu, wie mehrere kleine Ruderboote zu Wasser gelassen und dann von den Kommandanten weit vom Schiff weggeführt wurden, gut dreißig Schritt entfernt. Sie würden es ihnen nicht einfach machen: sie würden schwimmen müssen, um sie zu erreichen.

Beim Gedanken daran wurde Thor flau im Magen.

„SPRINGT!“, schrie Kolk.

Zum ersten Mal verspürte Thor Angst. Er fragte sich, ob ihn das zu einem geringeren Legionär machte, einem geringeren Krieger. Er wusste, dass Krieger zu allen Zeiten furchtlos sein sollten, doch er musste sich eingestehen, dass er gerade Furcht verspürte. Er hasste die Tatsache und wünschte, es wäre anders. Doch so war es.

Als Thor sich aber umblickte und um sich herum verängstigte Gesichter sah, war er erleichtert. Überall um ihn herum standen die Jungen starr vor Angst an der Reling und starrten auf das Wasser hinunter. Ein Junge war gar so eingeschüchtert, dass er bibberte. Es war der Junge, der an dem Tag mit dem Schild-Training so viel Angst gehabt hatte und gezwungen worden war, Runden zu laufen.

Kolk musste das gespürt haben, denn er kam über das Schiff auf ihn zu. Kolk schien unbeeindruckt, als der Wind sein Haar zurückwarf; mit finsterer Miene schritt er vorwärts, als würde er die Natur selbst bezwingen wollen. Er kam neben ihm zu stehen und sein Gesicht verzog sich noch mehr.

„SPRING!“, schrie Kolk.

„Nein!“, antwortete der Junge. „Ich kann nicht! Ich tu’s nicht! Ich kann nicht schwimmen! Bringt mich nach Hause zurück!“

Kolk trat an den Jungen heran, als dieser von der Reling zurückwich, packte ihn hinten am Hemd und hob ihn in die Luft.

„Dann wirst du das Schwimmen lernen!“, zischte Kolk und warf dann vor Thors ungläubigen Augen den Jungen über Bord.

Der Junge flog schreiend durch die Luft und stürzte gut fünfzehn Fuß tief auf die schäumenden Fluten zu. Er landete mit einem Platschen und trieb dann mit zappelnden Armen an die Oberfläche.

„HILFE!“, schrie er.

„Was ist das erste Gesetz der Legion?“, rief Kolk an die anderen Jungen an Bord gewandt, den Jungen im Wasser ignorierend.

Thor war die richtige Antwort vage bewusst, doch er war zu abgelenkt vom Anblick des Jungen, der unter ihm ertrank, um zu antworten.

„Einem anderen Legionär in Not beizustehen!“, schrie Elden hervor.

„Und ist er in Not?“, schrie Kolk und zeigte auf den Jungen hinunter.

Der Junge hob die Arme, tauchte im Wasser auf und ab, und die anderen Jungen standen am Deck, starrten und hatten zu viel Angst, um hinunterzuspringen.

In dem Moment geschah etwas Seltsames mit Thor. Während er sich auf den ertrinkenden Jungen konzentrierte, wurde alles andere unwichtig. Thor dachte nicht länger an sich selbst. Der Gedanke, dass er ertrinken könnte, kam ihm gar nicht erst. Das Meer, die Ungeheuer, die Strömung...all das verblasste. Das Einzige, woran er denken konnte, war, jemand anderen zu retten.

Thor kletterte auf die breite Eichenreling, ging in die Knie, und ohne nachzudenken sprang er hoch in die Luft und stürzte sich kopfüber in das blubbernde Rot der Gewässer unter ihm.

 

 

 

KAPITEL FÜNF

 

 

Gareth saß auf seines Vaters Thron im Großen Festsaal und ließ seine Hände über die glatten hölzernen Armlehnen gleiten, während er die Szenerie vor ihm betrachtete: tausende seiner Untertanen waren in den Raum gepfercht; aus allen Ecken des Rings waren die Menschen angereist, um diesem einmaligen Ereignis beizuwohnen: zu sehen, ob er das Schicksalsschwert ziehen konnte. Zu sehen, ob er der Auserwählte war. Das Volk hatte seit den Jugendtagen seines Vaters keine Gelegenheit mehr gehabt, einer Schwertziehung beizuwohnen—und es schien, als ob niemand es verpassen wollte. Aufregung hing wie eine Wolke in der Luft.

Gareth selbst war vor Anspannung ganz benommen. Während er zusah, wie sich der Raum immer weiter füllte, mehr und mehr Menschen sich hereindrängten, fragte er sich, ob die Ratgeber seines Vaters doch recht hatten; ob es eine schlechte Idee gewesen war, die Schwertziehung im Großen Festsaal abzuhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Sie hatten ihn beschworen, es in der kleinen, privaten Schwertkammer zu versuchen; sie argumentierten, dass es so weniger Zeugen geben würde, falls er scheitern sollte. Doch Gareth traute den Leuten seines Vaters nicht; er fühlte sich seines Schicksals sicherer als die alte Garde seines Vaters, und er wollte, dass das gesamte Königreich seinem Triumph beiwohnen und miterleben konnte, dass er der Auserwählte war, während es passierte. Er wollte den Augenblick für alle Zeiten festgehalten haben. Der Augenblick, an dem sein Schicksal sich verwirklichte.

Gareth war mit Flair in den Saal getreten, in Begleitung seiner Berater hindurchstolziert, bestückt mit seiner Krone und seinem Mantel, das Zepter in der Hand—er wollte, dass ihnen allen bewusst war, dass er, nicht sein Vater, der wahre König, der wahre MacGil war. Wie er es erwartet hatte, hatte es nicht lange gedauert, bis es sich für ihn so angefühlt hatte, dass dies sein Schloss war, seine Untertanen. Er wollte, dass sein Volk es nun zu spüren bekam und diese Machtdemonstration weithin zu sehen war. Nach dem heutigen Tage würden sie mit Bestimmtheit wissen, dass er ihr einer und einziger wahrer König war.

Doch jetzt, da Gareth alleine auf dem Thron saß und auf die leeren Eisenstützen in der Mitte des Saales blickte, in die das Schwert gelegt werden würde, beleuchtet von einem Sonnenstrahl, der durch die Decke hereinbrach, war er sich nicht mehr sicher. Die Schwere dessen, was er gleich tun würde, fing an, ihn zu bedrücken; es würde ein nicht umkehrbarer Schritt sein, und es würde kein Zurück geben. Was, wenn er tatsächlich scheiterte? Er versuchte, es aus seinen Gedanken zu bannen.

Am anderen Ende des Saals öffnete sich knarrend die riesige Tür, und mit einem aufgeregten Wispern legte sich langsam erwartungsvolles Schweigen über den Raum. Herein marschierten ein Dutzend der stärksten Männer am Hof, die das Schwert zusammen geschultert hatten und allesamt unter seinem Gewicht ächzten. Sechs Männer standen zu beiden Seiten und trugen das Schwert in langsamem Marsch Schritt für Schritt seinem Liegeplatz entgegen.

Gareths Herz schlug schneller, während er zusah, wie es näherkam. Für einen kurzen Augenblick flackerte Unsicherheit auf—wenn diese zwölf Männer, größer als alle, die er je gesehen hatte, es kaum tragen konnten, welche Chance hatte er dann? Doch er versuchte, diese Gedanken zur Seite zu schieben—immerhin ging es bei dem Schwert um Schicksal, nicht um Kraft. Und er zwang sich dazu, nicht zu vergessen, dass es sein Schicksal war, hier zu sein, der Erstgeborene der MacGils zu sein, König zu sein. Er suchte in der Menge nach Argon; aus irgendeinem Grund verspürte er plötzlich ein dringendes Bedürfnis, seinen Rat einzuholen. Dies war der Moment, in dem er ihn am meisten brauchte. Aus irgendeinem Grund konnte er an niemand anderen denken. Doch natürlich war er nirgends zu finden.

Endlich hatte das Dutzend Männer die Mitte des Saales erreicht, trugen das Schwert in den Sonnenstrahl und platzierten es auf den eisernen Stützen. Es landete mit einem schallenden Klirren, und der Klang breitete sich in Wellen durch den ganzen Saal. Im Saal herrschte absolute Stille.

Instinktiv teilte sich die Menge, um Platz zu machen, damit Gareth heruntersteigen und versuchen konnte, es zu ziehen.

Langsam erhob sich Gareth von seinem Thron und kostete den Moment aus, all diese Aufmerksamkeit. Er konnte spüren, wie alle Augen auf ihn gerichtet waren. Er wusste, ein Augenblick wie dieser würde nie wieder kommen, in dem das gesamte Königreich ihm so vollkommen gebannt zusah, so eingehend jede seiner Bewegungen analysierte. Er hatte diesen Moment in Gedanken so oft durchlebt, schon seit seiner Jugend, und nun war er gekommen. Er wollte, dass es langsam ging.

Er stieg bedächtig die Treppe vor dem Thron hinunter, Stufe für Stufe, jeden Schritt voll auskostend. Er schritt den roten Teppich entlang, fühlte, wie weich er unter seinen Füßen war, kam immer näher an die Lichtsäule, an das Schwert. Es war, als würde er in einem Traum wandeln. Er fühlte sich, als hätte er seinen Körper verlassen. Ein Teil von ihm fühlte sich, als wäre er diesen Teppich schon viele Male entlanggeschritten; immerhin hatte er das Schwert im Traum schon eine Million Mal gezogen. Er fühlte nur noch stärker, dass es ihm bestimmt war, es zu ziehen; dass er seinem Schicksal entgegenschritt.

In Gedanken konnte er schon sehen, wie es ablaufen würde: er würde tapfer vortreten, eine Hand ausstrecken, und während seine Untertanen sich gespannt vorbeugten, würde er es mit einem Ruck dramatisch hoch über sein Haupt erheben. Sie alle würden den Atem anhalten und sich zu Boden werfen und ihn zum Auserwählten erklären, dem bedeutendsten MacGil-König, der je regierte, der Eine, dem es bestimmt war, auf immer zu regieren. Sie würden bei dem Anblick vor Freude weinen. Sie würden vor Furcht vor ihm zurückschrecken. Sie würden Gott danken, dass sie zu dieser Zeit am Leben waren, um dies zu erleben. Sie würden ihn als einen Gott anbeten.

Gareth kam auf das Schwert zu, das nun wenige Fuß entfernt war, und er fühlte, wie er innerlich bebte. Er trat in das Sonnenlicht, und obwohl er das Schwert schon viele Male zuvor gesehen hatte, war er von seiner Schönheit überwältigt. Es war ihm noch nie gestattet gewesen, ihm so nahe zu sein, und er war überrascht. Es war ein durchdringender Anblick. Mit einer langen, glänzenden Klinge, aus einem Material gefertigt, das noch niemand entschlüsselt hatte, hatte es den am aufwändigsten gearbeiteten Griff, den er je gesehen hatte; von feinem, seidenartigem Gewebe umhüllt, besetzt mit allen Arten von Edelsteinen, und geprägt mit dem Siegel des Falken. Als er einen Schritt nähertrat und direkt über ihm schwebte, spürte er die mächtige Energie, die es verströmte. Es schien zu pulsieren. Er konnte kaum atmen. In nur einem Augenblick würde es in seiner Hand liegen. Hoch über seinem Haupt. Im Sonnenlicht glänzen, vor den Augen der Welt.

Er, Gareth, der Große.

Gareth streckte die rechte Hand nach vorne und legte sie auf den Griff. Langsam krümmte er die Finger herum, fühlte jeden Edelstein, jeden Umriss, während er es elektrisiert fasste. Eine durchdringende Energie strahlte durch seine Handfläche, seinen Arm hinauf, durch seinen Körper. Er hatte so etwas noch nie gefühlt. Dies war sein Augenblick. Sein Moment für die Ewigkeit.