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Julia Fischer

Affengesellschaft

Suhrkamp

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2012

© Suhrkamp Verlag Berlin 2012

 

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Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

eISBN 978-3-518-77780-0

 

www.suhrkamp.de

 

für Kurt

Inhalt

Cover

Impressum

Prolog

TEIL: SOZIALVERHALTEN

Diversität der Primaten

Berberaffen als Modell

Die Sozialsysteme von Primaten

Soziale Organisation

Paarungssysteme

Soziale Beziehungen

Bärenpaviane

Baboon Camp

Leben und Sterben

Aggression

Guineapaviane

Expedition in den Senegal

Simenti

Erste Ergebnisse

Evolution der Paviane

Herausforderungen der dritten Art

TEIL: KOGNITION

Was denken Tiere?

Trophäensammler und Spielverderber

Das soziale Gehirn

Physikalische Kognition

Grundlagen

Mengen

Raum

Zeit

Soziale Intelligenz

Kultur bei Tieren?

Formen des Sozialen Lernens

Blickfolgeverhalten

Soziales Wissen

Theorie des Geistes

Intentionen

Sehen und Wissen

Glauben

Metakognition

Evolution der Intelligenz

TEIL: KOMMUNIKATION

Was ist Kommunikation?

Sender und Empfänger

Signale und Anzeichen

Information

Funktion von Lauten

Kommunikation in Konflikten

Paarungslaute

Gruppenkoordination

Evolution der Sprache – die Anfänge

Frühe Theorien

Ein Pionier

Elemente der Sprachfähigkeit

Die Ape Language-Projekte

Sprechtraining für Affen

Symbolsprachen

Natürliche Kommunikation bei Affen

Alarmrufe

Entwicklung der Lautgebung

Dialekte

Entwicklung der Reaktionen

Wahrnehmung gradueller Unterschiede

Wortlernen beim Haushund

Evolution der Sprache – heute

Syntaktische Fähigkeiten

Ein Gen für Sprachfähigkeit?

Gestische Kommunikation

Intentionale Kommunikation

Der Spaß an der Freude

Evolution der Kommunikation

Fazit und Ausblick

Danksagung

Anmerkungen

Abbildungsnachweis

Prolog

»Sagen Sie, wie ist es eigentlich, etwas zu machen, was niemanden interessiert?« Ich war auf einer Party bei Freunden mit einem anderen Gast ins Gespräch gekommen, und er hatte sich nach meiner Arbeit erkundigt. Begeistert erzählte ich ihm vom Aufbau unserer Feldstation im Senegal und wie spannend die Arbeit mit den Affen dort sei. Bevor ich weiter ausholen konnte, unterbrach er mich mit seiner Frage. Ich schwieg verblüfft. Bislang hatte ich nie den Eindruck gehabt, dass sich niemand für die Affenforschung interessiert. Im Gegenteil. Wenn ich auf Reisen erwähne, was ich mache, werde ich meist mit Fragen bestürmt. Ob Affen denn auch eine Sprache hätten? Ob sie wirklich so intelligent seien? Und ob ich, ebenso wie die berühmte Schimpansenforscherin, wie hieß sie denn gleich, die, die von Wilderern umgebracht worden sei, im Dschungel leben würde? Sei das nicht Jane Goodall gewesen? Ich versichere dann, dass Jane Goodall sich immer noch bester Gesundheit erfreue und Dian Fossey, die Gorillaforscherin, tatsächlich unter ungeklärten Umständen umgebracht worden sei. Und dann berichte ich von den Affen, wie sie leben und wie sie sich verständigen, dass sie vieles wissen und manches überhaupt nicht verstehen.

Affen faszinieren – sie sind uns ähnlich, aber doch anders. Das hatte schon der kleine Junge erkannt, neben dem ich einmal im Zoo vor einem Affengehege stand. Er schaute gebannt auf die Tiere und rief: »Guck mal, der Affe hat Hände an den Füßen!« Genau genommen müsste es allerdings heißen: Die anderen Affen faszinieren uns – gehören wir doch zur selben Ordnung, nämlich den Primaten. Die Affenforschung verspricht nicht nur Einblicke in unsere evolutiven Ursprünge, sie liefert gleichzeitig die Folie für die Charakterisierung unserer eigenen Art: Was unterscheidet uns von unseren nächsten Verwandten? Welche Merkmale sind spezifisch für Affen und welche ausschließlich beim Menschen zu beobachten?

Man muss die Affen1 allerdings nicht unbedingt als Bezugspunkt zur Bestimmung der Gattung Mensch heranziehen, um sich für sie zu interessieren. Die Vielfalt ihrer Erscheinungs- und Lebensformen, ihr differenziertes Verhalten und die Komplexität ihres Gruppenlebens ziehen einen auch so in ihren Bann.

Dieses Buch richtet sich an all diejenigen, die sich ebenso für die Affengesellschaft begeistern wie meine neugierigen Mitreisenden. Und weil so viele danach fragen, wie das Leben »in Affengesellschaft« so ist, werde ich auch etwas von den Reizen, Herausforderungen und absonderlichen Begebenheiten erzählen, die sich einem bei der Freilandforschung in tropischen Ländern bieten.

Mein Forschungsinteresse gilt primär der Frage, in welchem Verhältnis Sozialsystem, Intelligenz und Kommunikation der Affen zueinander stehen. Ausgangspunkt ist die These, dass Intelligenz als Folge des Lebens in Gruppen mit komplexer Struktur entstanden ist. Diese Annahme soll kritisch hinterfragt werden, ebenso wie die Intuition, dass Intelligenz und kommunikative Fähigkeiten in einem engen Zusammenhang stehen. Dementsprechend gliedert sich das vorliegende Buch in drei Teile. Zunächst werde ich Einblicke in das soziale Leben von Affen geben, wobei ich mich vor allem mit den drei afrikanischen Spezies beschäftige, die ich selbst untersucht habe. Der zweite Teil widmet sich der Frage nach der Intelligenz von Affen. Wie schlau sind Affen eigentlich? Lernen sie von anderen? Inwiefern unterscheiden sich ihr Wissen und ihre kognitiven Fähigkeiten von denen anderer Tiere? Und welche Anforderungen stellt das Leben in der Wildnis an die Affen? In diesem Abschnitt werde ich auf zwei verschiedene Forschungsansätze eingehen: Zum einen auf experimentelle Tests an in Gefangenschaft gehaltenen Tieren, die in der Tradition der Experimental- und Entwicklungspsychologie stehen, und zum anderen auf Feldversuche, die darauf abzielen, die Problemlösungsstrategien der Tiere in der Wildnis auszuloten. Der dritte Teil schließlich beschäftigt sich mit der Kommunikation von Affen. Hier frage ich vor allem, was wir aus der Untersuchung der Verständigung von Affen über die Evolution der menschlichen Sprachen lernen können – und was nicht.

Ein wesentliches Erkenntnisinteresse meiner Arbeit ist es, die Evolution menschlichen Sozialverhaltens, unserer Intelligenz und Sprache besser zu verstehen. Dabei vertrete ich die These, dass sich Intelligenz und Kommunikation des Menschen in vielerlei Hinsicht von der von Affen unterscheiden und dass die Gemeinsamkeiten eher im Bereich des Sozialverhaltens und hier insbesondere in der besonderen Bedeutung sozialer Bindungen zu finden sind. Ich finde den Affen im Menschen bemerkenswerter als den Menschen im Affen. Ob man eher die Gemeinsamkeiten zwischen Affen und Menschen betont oder die Unterschiede, ist vielleicht Ausdruck der persönlichen Neigung oder des intellektuellen Stils. Meiner Meinung nach jedenfalls hängt die Faszination, die von einzelnen Tierarten ausgeht, nicht damit zusammen, ob sie unserer eigenen Art mehr oder weniger ähnlich sind.

Affenforscherin zu werden, war mir sicherlich nicht in die Wiege gelegt. Es gibt Leute, die von klein auf wissen, dass sie sich in ihrem späteren Leben mit antiken Tonscherben beschäftigen wollen oder mit der Gestaltung von Bühnenbildern. Ich fand alles Mögliche spannend: Sprachen, Gesellschaftswissenschaft, aber auch die Biologie hatte es mir angetan. Erst später wurde mir klar, dass es mir mit der Entscheidung für die Affen gelang, meine verschiedenen Interessen für Natur- und Geisteswissenschaften unter einen Hut zu bringen. Zu meiner eigenen Überraschung musste ich außerdem feststellen, dass ich das Leben in der Wildnis liebte. Dabei galt ich jahrelang als eingefleischte Stubenhockerin. Das Wunderbare an der Affenforschung ist, dass sie so vielfältige Herausforderungen bietet. Zur Lektüre gehören verhaltensbiologische Fachtexte ebenso wie philosophische Essays – und das Handbuch Wo es keinen Doktor gibt. Ich habe gelernt, die Sonne als Kompass zu nutzen und Wasserleitungen zu reparieren, die von Elefanten zerstört worden waren. Bei einem Abendessen auf der Terrasse vor unserem Forschungscamp musste ich feststellen, dass es sich sieben Löwinnen um den Tisch herum bequem gemacht hatten. Ich musste Geduld üben und viele Rückschläge einstecken. Am Ende aber bin ich immer wieder entschädigt worden. Das soziale Leben von Makaken und Pavianen – das ist ganz große Oper. Vorhang auf.