Hipster
Eine transatlantische
Diskussion
Herausgegeben von Mark Greif, Kathleen Ross, Dayna Tortorici und Heinrich Geiselberger
Aus dem Englischen von Niklas Hofmann und Tobias Moorstedt
Suhrkamp
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel
What Was the Hipster? A Sociological Investigation
als dritter Band der Small Book-Serie der New Yorker Zeitschrift n+1.
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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2012
© Suhrkamp Verlag Berlin 2012
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eISBN 978-3-518-76190-8
www.suhrkamp.de
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Vorwort zur amerikanischen Ausgabe
Die Tagung an der New School
I. Vorträge
Mark Greif: Positionen
Christian Lorentzen: Ich lag falsch. Nach Charles Bernstein
Jace Clayton: Die Vampire von Lima
II. Podiumsdiskussion
Reaktionen
Jennifer Baumgardner: Williamsburg, Jahr null
Margo Jefferson: Zwanzig Fragen
Patrice Evans: Hip-Hop und Hipsterismus. Anmerkungen zu einer Philosophie des Uns und der Anderen
Essays
Dayna Tortorici: Man erkennt sie, wenn man sie sieht
Mark Greif: Nachruf auf den weißen Hipster
Christopher Glazek: South Side Story. Hipster gegen Chassidim
Bibliografie
Reaktionen von diesseits des Atlantiks
Tobias Rapp: Hackescher Markt, Trucker-Mütze, Tourist. Der Berliner Hipster in drei Begriffen
Thomas Meinecke/Eckhard Schumacher: Geradeaus Wilhelmsburg
Jens-Christian Rabe: Gegenwärtigkeit als Phantasma. Über den Hass auf den Hipster
Die Beiträgerinnen und Beiträger
Dank
Man muss nicht besonders aufmerksam Zeitung lesen, um ihm nahezu überall zu begegnen – dem Hipster. Er kommt in Artikeln über Musik und Kleidung vor (»Vor wenigen Jahren wäre es noch eine Sache für absolute Hipster oder CSU-Mitglieder gewesen, sich in Loden zu zeigen. Nun ist der Wollstoff Thema der Mode.«), hat allerdings längst weitere soziokulturelle Nischen erobert. In einem Bericht über einen abgesetzten Tatort-Kommissar heißt es: »Mit dem patenten Burschen aus dem Chiemgau, der daheim gerade einen Bauernhof repariert, können sich bodenständige Konservative und großstadtmüde Hipster gleichermaßen identifizieren.« Und der Spiegel-Redakteur Georg Diez hat die Hipster im besetzten Zuccotti Park in New York entdeckt, er spricht von den »Kiffern, Hipstern und Drop-outs der Occupy-Bewegung«.1
Dabei klingt es immer so, also müsse man gar nicht lange erläutern, was ein Hipster eigentlich ist. Das Wort scheint so etwas wie ein semantischer Joker zu sein, den man ausspielen kann, wenn es irgendwie um junge, modebewusste Menschen in Großstädten geht. Anders als »Kiffer« oder »Drop-outs« lassen sich die Hipster allerdings weder über Tätigkeiten noch über ihren sozialen Status definieren, was sie auch von Sozialfiguren wie Spekulanten, Medienintellektuellen oder Therapeuten unterscheidet.2 Und im Gegensatz zu Punks, Poppern, Rappern oder Metallern kristallisiert sich diese Jugendkultur (wenn es denn eine ist) nicht um eine identifizierbare Musikrichtung. Am Ende landet man meist bei intensionalen phänomenologischen Definitionen, die Accessoires auflisten, an denen man Hipster erkennt (dicke Brillen, enge Hosen, Fahrräder ohne Gangschaltung usw.; vgl. dazu die Abbildung auf S. 10), oder im definitorischen Nirgendwo. Patrice Evans berichtet in seinem Beitrag von den vergeblichen Versuchen, seiner Verwandtschaft zu erklären, was ein Hipster denn nun eigentlich sei: »›Ach, du meinst junge Leute?‹, war eine der häufigsten Antworten.«
Um die Diskrepanz zwischen diskursiver Omnipräsenz und begrifflicher Unterbestimmtheit zu reduzieren, hat die New Yorker Kulturzeitschrift n+1 dem Hipster am 11. April 2009 eine Tagung an der New School gewidmet. 2010 erschien dann der Band What Was the Hipster?, der die Vorträge, die Podiumsdiskussion und Medienberichte über die Veranstaltung dokumentiert; daneben enthält das amerikanische Buch weitere Essays, die auf die Thesen der Tagung reagieren. Diese Texte zeigen zunächst, wie es mithilfe der »Race, Class, Gender«-Heuristik gelingt, dem vermeintlichen Oberflächenphänomen zeitdiagnostische Tiefe zu verleihen. Zugleich sieht man, daß die Hipster die Wiege des Hipstertums im Südosten Manhattans bzw. New Yorks verlassen und Lima, Paris und Berlin erreicht haben, wo sie ein höchst gegenwärtiges Phänomen darstellen – so (all)gegenwärtig, daß sich die ersten Berliner Kneipen bereits dagegen wehren. Im Herbst 2011 fand sich in einem Neuköllner Schaufenster folgender Aushang: »Entschuldigung, kein Eintritt für Hipster aus den USA. Auch Personen, die amerikanische Hipster nachahmen, sind nicht willkommen.« (Vgl. dazu die Abbildung auf S. 158)
Aus diesem Grund wurde der amerikanische Titel für diese Ausgabe in die Gegenwart geholt, zudem führen deutsche Journalisten, Autoren und Wissenschaftler die Debatte auf dieser Seite des Atlantiks weiter.3 Tobias Rapp widmet sich dem Berliner Hipster und fragt, wie die Mechanismen der globalen Nachahmung funktionieren. Thomas Meinecke und Eckhard Schumacher verlängern die Analysen in die Vergangenheit und versuchen (im Rahmen eines im Frühsommer 2011 geführten E-Mail-Wechsels) herauszuarbeiten, was all die Künstlerinnen, Musiker und Schauspieler gemeinsam haben, denen man in den vergangenen sechs, sieben Jahrzehnten das Label »hip« verpaßt hat. Jens-Christian Rabe schließlich befaßt sich mit zwei weiteren Aspekten, die in dem »Hipster-müssen-draußen-bleiben-Aushang« angedeutet sind: seiner (All-)Gegenwart und dem Hass auf den Hipster.
Hipster Bingo-Karte
(Foto und Design: © Paul Buller)
Jeder Versuch, die Hipster zu beschreiben, ist letztlich zum Scheitern verurteilt, weil darin am Ende nie alle die Hipster wiedererkennen, denen sie selbst begegnet sind. Doch eines Tages, wenn die Hipster längst vom Antlitz der Erde verschwunden sein werden, wenn sich die Subkulturen verändert und sich neue Stile und Formen entwickelt haben und wenn neue Begriffe für Lob und Tadel gelten, wird die Hipster-Ära von 1999 bis 2011 von historischem Interesse sein – und die Forscher der Zukunft werden sich darauf verlassen müssen, dass wir im Hier und Jetzt unsere Beobachtungen und Eindrücke notiert haben.
Ich muss an dieser Stelle an einen Scherz denken, den sich ein Freund vor einiger Zeit mit mir erlaubt hat. »Kennst du den Komiker Ali G«, fragte er mich. »Nein«, antwortete ich. »Wunderbar«, sagte er, »hör dir einfach an, wie ich seine Witze erzähle. Meine Imitation von ihm ist perfekt.«
Was ich damit sagen will: Diejenigen von Ihnen, die Hipstern bereits im wirklichen Leben begegnet sind, werden sich vermutlich über die Charakterisierungen in diesem Buch beschweren. Den Lesern allerdings, die dieses Buch im Jahr 2050 in die Hand nehmen, kann ich nur sagen: Jeder Satz in diesem Buch ist wahr und unsere Imitation des Hipsters perfekt.
Die Mission dieses Bandes besteht darin, zu eruieren, ob es möglich ist, eine subkulturelle Formation zu analysieren, während sie noch existiert – und zwar anhand der Zeugenaussagen von Menschen, die der Szene nahestehen. Wir haben hierfür das kollektive Wissen einer eigenwillig zusammengestellten Gruppe angezapft: Autoren und Leser unseres Magazins n+1 sowie einige interessierte Außenstehende trafen sich bei einer Podiumsdiskussion in den Räumen der New School in New York. Die Transkripte dieser Veranstaltung übergaben wir später Kritikern und Journalisten, damit sie sich eine andere Meinung bilden und unseren Ansatz infrage stellen konnten.
Alle Beiträger waren aufgefordert, ihre eigenen unmittelbaren Erfahrungen und ihr Wissen einzubringen, ihre akademisch-analytischen Neigungen ebenso wie die Ressentiments und üblen Hintergedanken, die sie ohne Zweifel gegenüber ehemaligen Nachbarn, Konkurrenten und allen Menschen, die sich besser oder teurer anziehen, hegen, um so die Akte des modernen Hipsters zu füllen, dieses wandelnden Klischees und Buhmanns, der uns allen in den vergangenen Jahren begegnet ist. Das Projekt fand in genau der Sekunde statt, in der diese Figur begann, sich zu verändern.
Die Metamorphose des Hipsters, so sie denn wirklich stattfindet, bringt es mit sich, dass ein Begriff, der lange Jahre als Beleidigung verwendet wurde, plötzlich eine neutrale oder gar positive Konnotation erhält. Dieser Prozess geht zum einen mit der Tatsache einher, dass die Hipster-Mode den Mainstream erreicht hat, ein fixes Set von Accessoires und Stilmitteln, die frisch verpackt in den Einkaufszentren der USA liegen, zum anderen mit der tieferen Einsicht, dass die sozialen Kräfte, welche den Hipster – und das lebensnotwendige Bedürfnis, den Hipster infrage zu stellen – hervorgebracht haben, sich auch in Europa und Lateinamerika epidemisch ausbreiten.
Der Hipster ist nicht tot – vermutlich kennen Sie sogar ein paar lebende Exemplare, haben sie gar beim Essen und Schlafen beobachtet –, aber der Umstand, dass man immer häufiger hört, wie Café-Besucher in Williamsburg und der Lower East Side sich oder ihre Freunde als »irgendwie ein Hipster, klar, oder?« beschreiben, zeigt uns, dass wir die frühe Kulturgeschichte unseres Untersuchungsgegenstandes und die negativen Bedeutungen, die dem Wort ursprünglich anhafteten, unbedingt untersuchen sollten, bevor es zu spät ist.
Auch das Wort »Hippie« war ursprünglich ja mal als Beleidigung gedacht. »Kleine Hipster« nannten die Hipster und Beatniks der fünfziger und frühen sechziger Jahre jene Kids, die nur tanzen und kiffen wollten, dabei jedoch keine Ahnung hatten von Jazz, Politik oder Literatur. In den Sechzigern griffen die Massenmedien den Begriff auf und schufen so immer mehr Jünger für diesen Lifestyle. Irgendwann nahmen selbst die jungen Leute, die man nun korrekterweise »Hippies« nannte und die sich früher als »Freaks« oder »Heads« bezeichnet oder ganz auf einen Mannschaftsnamen verzichtet hatten, den Begriff auf und freuten sich über ein nützliches neues Wort (»Es wird dir gefallen, es sieht aus wie ein Hippie-Shirt«).4
Könnte es sein, dass der Begriff »Hipster« an einem ähnlichen Wendepunkt steht? Eher nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass derselbe Spitzname gleich zwei Mal mit großer Bedeutung aufgeladen wird, ist gering. Das Wort »Hipster« kommt aus der Tiefe der amerikanischen Geschichte und bezeichnete einst eine frühere, tatsächlich relevante Subkultur. Einer der Hauptstränge unserer Untersuchung beschäftigt sich mit dem zentralen Anliegen dieser älteren Figur, dem Hipster der vierziger und fünfziger Jahre – Rasse als Unterscheidung zwischen dem Schwarz- und dem Weiß-Sein, Rasse als Quelle von Wissen und als Schlachtfeld gesellschaftlicher Konflikte, von der Bürgerrechtsära bis in unsere vermeintlich postethnische Gesellschaft – und stellt die Frage, warum dieser alte Name wiederaufgenommen wurde.
Das Hipstertum als abgrenzbares Phänomen hat auch sehr viel mit bestimmten Moden und modischen Mikrotrends zu tun, die naturgemäß schwer zu beschreiben sind. Die Frage, welche äußeren Merkmale nun genau das Wesen des Hipsters ausmachen, wo ihr Ursprung liegt und was sie bedeuten, bringt unsere Autoren immer wieder aus dem Konzept. Aber gerade durch dieses Fragen und Deuten erhält man Hinweise, worum es eigentlich geht: um Abgrenzung, Narzissmus und ein Gefühl der Überlegenheit, das man mit kleinen Unterschieden produziert. Noch wichtiger aber ist womöglich, dass kryptische Mode-Statements wie die Trucker-Kappe oder der ironische Spruch auf dem T-Shirt zumindest zu Beginn sehr offensichtliche und präzise, ja beinahe verbale Zeichen waren, die uns Informationen darüber gaben, wer der Träger gerne sein wollte, für was er sich schämte und wonach er sich sehnte. Gerade weil viele dieser Trends historische Elemente aufgriffen und kopierten, dienten sie als Kommunikationsmittel und Bestätigung ideologischer Positionen.
Die modischen Details sind also womöglich gar nicht so kryptisch, wie sie im ersten Augenblick aussehen. Da fragt man sich schon, ob die behauptete Willkür der Mode-Statements womöglich Teil eines Mythos sein könnte oder gar die schlichte Weigerung, diese Phänomene zu ihren ersten Trägern und Vertretern zurückzuverfolgen.
Unsere »Untersuchung« lief wie folgt ab: An einem Samstagnachmittag im Frühjahr 2009 fand ein erstes Symposium an der New School in Manhattan statt. Dieses Buch dokumentiert die Vorträge, die an diesem Tag gehalten wurden, sowie die Diskussion, die den Redebeiträgen folgte. Wir haben der Versuchung widerstanden, die Fehler der Panel-Teilnehmer zu korrigieren (einige faktische Irrtümer wurden allerdings verbessert). In der Folge schickten wir Transkripte dieser Vorträge an Publizisten, von denen wir annahmen, dass sie unsere Vorgehensweise kritisieren und so neue Themenfelder erschließen würden. Die Anmerkungen sind im Abschnitt »Reaktionen« zusammengefasst. An diesem Punkt sollte die organisierte Untersuchung längst auf den Leser übergegriffen haben, der ein eigenes Erkenntnisinteresse und eine eigene Meinung entwickelt haben wird und weiß, in welche Richtung das Verhör der Hipster-Figur im nächsten Schritt gehen sollte. Im letzten Kapitel mit dem Titel »Essays« sind einige wohlüberlegte und detailreiche Texte enthalten, die auf verschiedene Unterthemen unseres Gegenstandes fokussieren oder die Interaktion der Hipster-Szene mit der Außenwelt untersuchen – Hipster und Gender, Hipster und Rasse, Hipster und Ästhetik sowie die Zukunft des Hipsters.
Endlich können wir uns einmal der Analyse eines kulturellen Phänomens widmen, von dem wir nicht nur über das Fernsehen erfahren haben oder das uns auf irgendeine andere Weise vorgekaut wurde. Gott sei Dank! Denn immer wenn man sich mit Artefakten und Dokumenten einer Subkultur beschäftigt, merkt man, wie stark doch die Vergangenheit durch intellektuelle Schlampigkeit, den Wunsch, Geld zu machen, zweitklassige Medienbeiträge und Nachzügler verdichtet und verzerrt wird. Als ob Norman Mailer gleichbedeutend mit den früheren Hipstern wäre, die Hippies gleich Woodstock, Punkrock gleich Sex Pistols und Grunge gleich Kurt Cobain. Obwohl diese artifiziellen Phänomene ihre Reichweite vor allem ihrem privilegierten Zugang zu PR-Agenturen, Kapital und den beiden wichtigsten Medien des subkulturellen Transfers, Film und Musik, verdankten, spielten sie doch über mehrere Generationen hinweg eine wichtige Rolle bei der Reproduktion von authentischer Hoffnung und widerständigen Impulsen. Auch unsere Autoren liefern allerdings keine rein subjektiven Berichte aus der Mitte der Hipster-Szene – im Gegenteil, und ich bin mir sicher, dass jeder, der Teil der Hipster-Szene ist, unsere Autoren als Nachzügler, Spielverderber und verkopfte Feuilletonisten verachten wird. Nachdem ich die Texte nun genau gelesen habe, bin ich mir allerdings sicher, dass diese Beiträge aus sicherer Entfernung eine korrekte Bilanz des Hipstertums ziehen. Ausgehend von unseren Erfahrungen, testen sie die Validität von Definitionen, sie versuchen sich an einer historischen Einordung und häufen eine ganze Reihe möglicher Eigenschaften des Hipsters an – ganz zu schweigen von einer wahren Schatztruhe an Gerüchten, Anekdoten, historischen Fakten und Pseudo-Fakten, die auf jeden Fall in eine Zeitkapsel der nuller Jahre gehören. Zudem bin ich der Meinung, dass diese Berichte in ihrer Gesamtheit einen blinden Fleck in der allgemeinen Wahrnehmung füllen. Und gerade solche Lücken erzählen uns viel über die Werte und sozialen Bedingungen des Hipstertums. Man denke etwa an die Tatsache, dass es bislang nicht gelungen ist, den weiblichen Hipster zu lokalisieren, obwohl Frauen in jeder Sphäre, die durch das Hipstertum berührt wurde (also Bereiche wie Mode oder Kunst), eine zentrale Rolle spielen. Hipster-Frauen kommen häufig nur dann vor, wenn man über die Dominanz der Männer in der Szene spricht.
Diese Beiträge sind sowohl Diagnosen als auch Symptome einer gewissen Ära, sie spiegeln unbewusste Haltungen, Fehler und Eitelkeiten wider, aus denen wir lernen können, was es einst bedeutete, in einem Klima der permanenten Kritik und der unterschwelligen Identifizierungsprozesse über Hipster zu sprechen. Man spürt das beispielsweise, wenn unsere Autoren klingen wie die letzten Idioten (was wir ihnen explizit erlaubt haben). Außerdem gibt es in diesem Buch ziemlich viel Geschrei und Gebrüll.
Wenn ich dieses Projekt Leuten beschreibe, die Hipster nur für eine Modeerscheinung oder einen lustigen Trend halten, dann sage ich immer, dass wir von einem sozialwissenschaftlichen Erkenntnisinteresse getrieben werden. Wenn ich mit Menschen spreche, die noch ernsthafter drauf sind, sage ich manchmal, dass unser Projekt eine Parodie des Wissenschaftsbetriebs darstellt. Die Strenge und die vielen Vorschriften, welche die Vorgehensweise von Professoren und Universitäten kennzeichnen, fehlen natürlich bei unserer Unternehmung. Wir wollen das Leben der Menschen in unsere Studie hereinholen – und zeigen, dass das Alberne untersucht werden kann und dass solche Unterfangen auch albern, spielerisch und profan sein können.
Sozialwissenschaftliche Literatur findet sich nur äußerst selten auf den hippen Lektüre-Listen meiner Freunde, was sowohl mit dem Antiintellektualismus des amerikanischen Hobbylesers zu tun hat als auch mit den sperrigen formalen Standards, den Fußnoten, quantitativen Daten, Bibliografien usw., denen die universitäre Veröffentlichungspraxis unterliegt. Die eine soziologische Studie, die dennoch jeder, wirklich jeder, lesen und erfahren sollte, sind dabei Die feinen Unterschiede von Pierre Bourdieu. Das Buch stellt eine Übung in Selbstkritik dar, die jede Generation durchlaufen sollte. Bourdieu hatte dieses Buch aus strategischen und Karrieregründen für die intellektuellen Elite-Kader der französischen Universitäten geschrieben, und der Leser muss, um das Buch zu verstehen, ein neues Vokabular erlernen und geistige Arbeit in einem Ausmaß leisten, das nur im akademischen Diskurs üblich ist. Im besten Fall wird unser kleines Buch, so hoffe ich zumindest, die interessierte Öffentlichkeit an diese Art Text heranführen – an Bourdieu natürlich, aber auch an andere zeitgenössische Sozialwissenschaftler, die Bücher einer großen Bandbreite, Bedeutung und Wirkung geschrieben haben: Barbara Ehrenreich, Thomas Frank, Arlie Russell Hochschild, David Harvey, Juliet Schor, Mike Davis und all die anderen Autoren, deren Namen man im Literaturverzeichnis am Ende der ursprünglichen amerikanischen Beiträge findet.
Eine Anmerkung habe ich noch: Einige Leute, Außenstehende und Teilnehmer dieses Projekts, haben sich darüber lustig gemacht, dass ausgerechnet das Magazin n+1, dieses »Tagebuch über Literatur, Politik und Diskurs«, das 2004 in New York gegründet wurde und in den Hipster-Biotopen Dumbo und Lower East Side produziert wird, eine intellektuelle Debatte über Hipster anstößt. Ein Grund für diesen Widerspruch war, dass das Thema vielen banal und dümmlich erschien. Als wir die Veranstaltung ankündigten, erhielten wir binnen weniger Minuten die E-Mail eines Lesers, der schrieb: »Ich hoffe, das ist ein Witz. Denn wenn dies nicht der Fall sein sollte, dann ist das sehr, sehr traurig.« Andere beschwerten sich, es sei einfach zu naheliegend, dass wir uns mit dem Thema beschäftigen – Soziologen würden dies vermutlich als Beispiel für inadäquate Selbstreflexivität bezeichnen. n+1, so der Vorwurf, sei schließlich selbst ein Hipster-Magazin und werde durch ähnliche soziale Kräfte geformt und vorangetrieben. Ich denke, dass der erste Vorwurf falsch ist, der zweite jedoch eine gewisse Berechtigung besitzt. Der Hipster verkörpert auf fundamentale Art und Weise einen kulturellen Trend, den wir mit der Gründung des Magazins bekämpfen wollten. Und trotzdem existiert der Hipster auch in unserer unmittelbaren Umgebung, in unserer Nachbarschaft und kleinen Lebenswelt. Er ist zugleich Gefahr und Versuchung, ein Feind also, mit dem wir sehr gut vertraut sind.
Nachdem ich die Debatte, die Antworten und Essays nun viele Male gelesen habe, stelle ich folgenden Lerneffekt fest: Der Hipster zeigt uns, was mit Eliten im Allgemeinen und der weißen Mittelschicht im Speziellen passieren kann, wenn sie ihre ach so kontroverse und mutige Rebellion nur noch in Bereichen austragen, die ihr eigenes Vergnügen und ihren Komfort betreffen – anstatt sich zu fragen, warum ausgerechnet die eigene Schicht einen Anspruch auf diese Privilegien besitzen soll, welche Population eventuell unter dieser Konstellation leidet und welche Schnittstellen es zwischen ihrer Stil-Rebellion und jenen echten sozialen Konflikten gibt, die jeden Menschen, der Autoritäten misstrauisch gegenübersteht, zum Engagement verpflichten.
Oder anders (und schlimmer): Der subkulturelle Typus des Hipsters ist ein Produkt des Neoliberalismus, dieser berüchtigten Strömung unserer Zeit, öffentliche Güter zu privatisieren und die Umverteilung von unten nach oben voranzutreiben. Die Hipster verherrlichen reaktionäre Politik, tragen Rebellen-Kostüme und verstecken sich hinter der Maske des »Lasters« (englisch vice, ein Schlüsselbegriff der Szene; das gleichnamige Magazin spielt in den USA, inzwischen aber auch in Europa eine wichtige Rolle im Hipster-Milieu; Anmerkung des Übersetzers). Die Kunst und der Diskurs der Hipster, so es sie denn geben sollte, setzen sich oft für die Wiederholung und das Kindische ein, für Primitivismus und plüschige Tiermasken. Der allzu artikulierte Antiautoritarismus der Hipster entpuppt sich als Trick, durch den sich der weiße Mittelschichtnachwuchs die Coolness der Subkultur sichert, während er zugleich eine Ausrede dafür darstellt, die Forderungen der Gegenkultur – der Punks, Anarchisten, Antikapitalisten, Nerds usw. – aufgegeben zu haben. Es besteht die Gefahr, dass die Avantgarden der Zukunft einfach nur Gemeinschaften von early adopters und Trendsettern sein werden.
Aber ich sehe schon, ich greife dem Buch vor. Am Ende ist es jedoch die beinahe universale Abneigung, die dem Hipster entgegenschlägt (auch unter Hipstern), die mich glauben lässt, dass ich vielleicht ein wenig übertreibe und dass alles gut würde, wenn wir die Dinge nur ein klein wenig klarer sähen.
Viel Vergnügen!
Mark Greif
Aus dem Englischen von Tobias Moorstedt
Wollen wir also mal sehen, ob ich, ausgehend von dem, was ich lese, was ich höre und was ich gesehen habe, den Hipster trennscharf und hinreichend beschreiben kann. Vielleicht stellen meine Definitionsversuche ja einen brauchbaren Ausgangspunkt für unsere Diskussion dar. Und wenn sie falsch sein sollten, dann müssen wir sie eben korrigieren.
Zeitliche Einordnung: Wenn wir über den zeitgenössischen Hipster sprechen, dann sprechen wir über eine äußerst heterogene Figur, die in diversen Subkulturen zu verorten ist und die zum ersten Mal im Jahr 1999 auftauchte und eine recht kurze, aber robuste erste Phase durchlebte, zwischen 1999 und 2003. Zu dieser Zeit schien sich die Kategorie des Hipsters jedoch bereits wieder aufzulösen und in der chaotischen Ursuppe des Undergrounds aufzugehen, um etwas Neuem Platz zu machen. Tatsächlich wurden wir dann jedoch Zeugen einer raschen Ausbreitung und Stabilisierung des Begriffs. Diese zweite Phase begann 2003, und sie dauert bis zum heutigen Tag an.
Entstehung: Zu dem Beziehungsgeflecht, aus dem der zeitgenössische Hipster hervorgegangen ist, gehören der Neunziger-Jahre-Lifestyle des »Indie« oder »Indie-Rock« sowie jenes Milieu, das der Soziologe Richard Lloyd in seiner Ethnografie des Chicagoer Stadtteils Wicker Park als »Neo-Boheme« bezeichnet hat: eine Künstler-Szene, deren Mitglieder ihren Lebensunterhalt in Bars, Cafés und Rock Clubs verdienen und gleichzeitig unbewusst ein Milieu bilden, in dem der »Spätkapitalismus« – also das Geschäft mit Design, Werbung, Webdesign und der sogenannten »Erfahrungsökonomie« – floriert.
Für die Zeit ab ca. 1980 haben wir meines Erachtens eine ziemlich konkrete Vorstellung davon, wie nacheinander eine Reihe von Subkulturen entstand, die allesamt eine Alternative zu der erfolgreichen Subkulturalisierung des Konsumkapitalismus darstellten. Alles begann mit der Auflösung eines Ethos, das man mit Punk und der »Do it yourself«-Bewegung assoziierte. Daraus entstand die Lebenseinstellung des Postpunk, der zwar immer noch mit den Idealen der Unabhängigkeit und des alternativen Lebens spielte, dabei aber klar zwischen den Sphären der individuellen und der ökonomischen Aktivität unterschied. Dieser Trend erreichte seinen Höhepunkt im Jahr 1991. An das Jahr 1991 erinnert man sich unter anderem wegen der berühmten Dokumentation 1991: The Year Punk Broke. Der Titel hatte eine doppelte Bedeutung, spielte sowohl darauf an, dass Punk zu diesem Zeitpunkt endgültig den Durchbruch in die Mainstream-Kultur geschafft hatte, als auch auf die Tatsache, dass damals einige erfolgreiche Postpunk-Bands zu Mainstream-Labeln wechselten und der originäre Geist der Bewegung an den Riffen des Kommerzialismus zerschellte. Die kurze Blütezeit des Grunge passt da ins Bild: Grunge war lange Zeit eine kleine, räumlich begrenzte Szene, bis sich Kurt Cobain, die zentrale und übertrieben gehypte Figur, schließlich 1994 umbrachte, weil er mit all diesen Widersprüchen wohl nicht mehr klarkam.
Der zeitgenössische Hipster scheint also aus einer verworrenen Ahnenreihe von Jugendbewegungen hervorgegangen zu sein, die alle versucht hatten, ihre Unabhängigkeit von der Massenkultur zu wahren, eine Alternative zu dieser zu bilden, bevor sie dann doch integriert, gedemütigt und zerstört wurden.
Das führt uns zu einigen explizit politischen Fragen. Obwohl das Hipstertum ja als unpolitisch gilt, gibt es doch zwei einschneidende Momente, die die Bewegung geformt haben und eine historische Periodisierung erlauben, und diese Ereignisse werden auch im Diskurs der Hipster selbst thematisiert. Ich denke an zwei bedeutende Episoden des politischen Aktivismus, die am Ende zwar scheiterten, aber nichtsdestotrotz die politische Sensibilität einer Generation bestimmten: die Proteste während des WTO-Gipfels in Seattle im Jahr 1999 – was erklärt, warum sich Hipster über Themen wie Umweltschutz und globale Gerechtigkeit abwechselnd lustig machen oder sich dafür engagieren – und die Demonstrationen gegen den Krieg im Irak im Jahr 2003, die ebenfalls ohne große Folgen blieben. Die Wahl von Barack Obama 2008 scheint so etwas zu markieren wie die Wiedervereinigung der Apathie und des Engagements, die sich aus der Abneigung gegenüber dem vorhergehenden Präsidenten speiste – niemand, absolut niemand mochte George W. Bush.
Lokalisierung: Es ist charakteristisch für die Hipster-Bewegung der nuller Jahre, dass man sie stark mit bestimmten Vierteln US-amerikanischer Städte verbindet, in denen entweder eine weiße Rekolonialisierung von Gegenden stattfand, die ursprünglich von Angehörigen ethnischer Minderheiten bewohnt wurden, oder die so etwas darstellen wie Subkolonien bestehender Boheme-Biotope. In New York muss man nur die Worte »Lower East Side« oder »Williamsburg« aussprechen, um das Post-1999er-Hipstertum heraufzubeschwören. Die ursprünglichen Bewohner, die verdrängt wurden, waren in diesem Fall Hispanics und Juden. Seit 2009 scheint nun der Stadtteil Bushwick das Epizentrum der Bewegung zu sein.
Robert Lanham hat das Hipster-Territorium in seinem 2003 erschienenen Hipster Handbook zumindest für das Nordamerika dieser Zeit schlüssig kartografiert: das Plateau in Montreal, College und Clinton in Toronto, Jamaica Plain in Boston, Capitol Hill in Seattle, Whittier in Minneapolis, Echo Park und Silverlake in Los Angeles, Inner Mission in San Francisco und so weiter.
Differentiae specificae: Es stellt sich die Frage, warum der Hipster ausgerechnet zur Jahrhundertwende aufgetaucht ist und warum es auf der Hand lag – ich denke, es lag auf der Hand –, dass man dieser Figur auch noch diesen mit historischen Konnotationen befrachteten Namen verpasst hat. Die Subkultur hatte ja im Prinzip noch nie ein Problem mit Neologismen oder der Ausbeutung von Slang gehabt: Das gilt für die Emos, ebenso wie für Punks und Hippies. Aber den Hipster gab es ja eigentlich schon. Er war ein, nein, das Andere. Eben die schwarze subkulturelle Figur der späten vierziger Jahre, die am präzisesten in einem Essay Anatole Broyards aus dem Jahr 1948 beschrieben wurde (einer Zeit, in der Broyard noch als Afroamerikaner galt). Diese Hipster-Figur spielt auch eine wichtige Rolle in Ralph Ellisons Roman Invisible Man (1952). In den fünfziger Jahren bezeichnete man mit dem Begriff Hipster dann einen weißen Angehörigen einer Subkultur oder der Boheme, der von dem Wunsch der angelsächsischen Avantgarde getrieben war, sich von dem Weißen an und in sich zu lösen und das coole Wissen und die exotische Energie, die Lust und die Gewalt der Afroamerikaner zu erlangen. Die 08/15-Fußnote an dieser Stelle ist natürlich Norman Mailers Essay »The White Negro« aus dem Jahr 1957.
Der Hipster zeichnet sich sowohl in seiner schwarzen als auch in der weißen Inkarnation vor allem durch überlegenes Wissen aus – Broyard hat das in seinem Text auch »Priorismus« genannt. Er bestand darauf, dass das afroamerikanische Hipstertum von dem Gefühl gespeist wurde, dass schwarze Menschen in Amerika von jeher den Entscheidungen mächtiger Institutionen unterworfen waren, die ein Monopol auf Informationen und Wissen innehatten, das Schwarze sich auch durch Karriere und Bildung niemals erarbeiten konnten. Die »hippe« Reaktion auf dieses Schicksal bestand nun darin, (rein symbolisch) für sich zu reklamieren, dass es Wissensbestände gab, die eingeweihte Schwarze vor allen anderen entdeckt hatten, ja sogar bevor in diesen Bereichen überhaupt so etwas wie positives Wissen existierte – a priori, sozusagen. Broyard konzentrierte sich dabei auf die verschlüsselte Sprache des hippen Slangs. Dieses symbolische Wissen funktionierte also entweder als Selbstversicherung oder als Kompensation.
Warum aber ist der archaische Begriff aus den fünfziger Jahren zu Beginn des 21. Jahrhunderts plötzlich wieder in aller Munde? Um diese Frage zu beantworten, möchte ich drei Definitionen einführen, die das Auftauchen und die Dauerhaftigkeit des zeitgenössischen Hipsters erklären sollen. Alle drei Definitionen greifen den eben erwähnten Aspekt des Priorismus auf. Ich möchte allerdings vorausschicken, dass moderne Menschen niemals auf die Idee kommen würden, sich selbst als Hipster zu bezeichnen. Es handelt sich immer um einen pejorativen Begriff. Es ist aber auch keine eindeutige Beleidigung, die Konturen verschwimmen hier ziemlich stark. Subkulturen haben immer die Figuren des Snobs, des Sammlers und des Connaisseurs gekannt, doch der Anspruch des Hipsters, einen exklusiven Zugang zu irgendeinem Wissen zu haben, funktioniert noch einmal anders.
Ein Hipster der klassischen Ära: der Jassmusiker Thelonious Monk in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre (© Michael Ochs Archives/Corbis).
Der Grund, warum man das Wort Hipster heutzutage tatsächlich meist auf abwertende Art und Weise verwendet, liegt meiner Meinung nach darin, dass die Hipster längst eine dominante Position in der Gesellschaft eingenommen haben – die Subkultur als Elite. Der Hipster orientiert sich (ganz ähnlich übrigens wie die verwandten Gruppierungen der darbenden Künstler und Doktoranden, der Neo-Bohemiens, Veganer, Fahrradkuriere und Skater, der Möchtegern-Proletarier und der postideologische Rest) sowohl an der subkulturellen Rebellion als auch an der Elite und reißt dadurch eine Kluft zwischen diesen Sphären auf, der giftige Dämpfe entströmen.
Erste Definition: (Sie bezieht sich auf die ursprünglichen weißen Hipster.) Die erste Definition ist die bei Weitem engste, sie gilt eigentlich nur für jene Phänomene, die mir selbst in den späten neunziger Jahren auf der Lower East Side als anders auffielen. Lassen Sie mich einige Schlüsselbegriffe aufzählen: Trucker-Kappen; altmodische Feinripp-Unterhemden (auch »Wife-beater« genannt), die plötzlich als Oberbekleidung getragen wurden; eine gewisse Amateurporno-Ästhetik; überbelichtete Polaroids; gefakte Holzvertäfelungen; Bier der Marke Pabst Blue Ribbon; »Porno«- oder »Pädophilen«-Schnauzer; Pilotenbrillen; T-Shirts, wie man sie im amerikanischen Herzland trägt, mit Aufdrucken, die für Dinge werben wie den Flohmarkt der lokalen Kirchengemeinde; weiße Tennissocken; die späten (von Rick Rubin produzierten) Platten von Johnny Cash; Tätowierungen natürlich; Alife, eine Gruppe von Typen, die Unternehmen in Sachen Markenpflege berieten und außerdem einen Turnschuhladen betrieben; das Vice-Magazin, das 1999 von Montreal nach New York umzog; das im selben Jahr gegründete Modelabel American Apparel, das den Topos der sozialen Verantwortung mit einem Porno-Chic kombiniert, bei dem gehäkelte Hotpants als Kleidung durchgehen. Das waren nur die offensichtlichsten Embleme dieser kleinen, in gewisser Weise überraschenden Subkultur, in der eine nur teilweise nostalgische Sehnsucht für eine suburbane Form der »Weißheit« zur Quelle des A-priori-Wissens wurde. Einer »Weißheit«, die man mit der Kultur der siebziger Jahre assoziiert, als die angelsächsischen Bewohner aus den Zentren in die Vorstädte flohen, aber auch mit den vorgeblich nicht endgültig assimilierbaren weißen Ethnien der Iren, Italiener, Polen usw. Diese Subkultur rekolonisierte nun die Innenstädte mit einer neuen Ästhetik, wobei man die ganze Geschichte mit den unterschiedlichen Ethnien einfach über Bord warf. Genau wie der »White Negro« einst das Schwarze zu einem Fetisch gemacht hatte, verehrten die weißen Hipster nun die Gewalt, den Instinkt und die Widerständigkeit der weißen Angehörigen der Unterschicht oder der Menschen aus der Provinz.
Zweite Definition: Die zweite, allgemeinere Definition des modernen Hipstertums ist sozusagen eher extensional und geht von den Dingen aus, die nach herkömmlicher Auffassung in den Bereich der »Hipster-Kultur« fallen. Sehen wir uns zunächst die traditionellen Kunstgattungen an. Welchen Filmen, Büchern oder Bands hat man dieses Label in den vergangenen Jahren verpasst? Zu den am häufigsten genannten Beispielen zählen der frühe Dave Eggers, etwa sein Roman A Heartbreaking Work of Staggering Genius, und die ersten Ausgaben seines Magazins The Believer; die Filme von Wes Anderson, also Rushmore und The Royal Tenenbaums. (Mir ist bewusst, dass diese Beispiele nicht ganz unproblematisch sind.)
Zur »Hipster-Kultur« würden nach dieser vorläufigen Definition dann praktisch vor allem Kunstwerke gehören, die sich an der alten binären Opposition von Wissen vs. Naivität, erwachsener Reife vs. Welt der Kindheit abarbeiten – wobei diese Filme und Texte auf eine radikale, ja schwindelerregende Weise zwischen diesen Polen oszillieren. Formal haben wir es mit einer Radikalisierung und Ästhetisierung jener Technik des Pastiches zu tun, die Frederic Jameson in den frühen achtziger Jahren als den prototypischen Erzählmodus der Postmoderne bezeichnete. In den genannten Fällen wurde die »blanke Ironie« allerdings durch die Rekonstruktion früherer Ästhetiken und eine formale Perfektion ersetzt, die über jene der zitierten Originale hinausgeht. Wir erleben eine Ironie ohne Sarkasmus, ohne Bitterkeit und ohne kritischen Impetus. Die Reflexivität wird ausschließlich in den Dienst einer Rückkehr zu den Emotionen gestellt, vor allem wo es darum geht, die Welt der Kindheit wiederauferstehen zu lassen.
Im Bereich der Popmusik ist es vergleichsweise schwierig, zu sagen, ob Hipster jemals Musik von Bedeutung gemacht haben. Gerade für New Yorker ist es verführerisch, eine Band wie The Strokes herauszugreifen, die sich allerdings schnell selbst zerstört hat und die ohnehin besser zur ersten Definition passt. Dave Eggers verbündete sich für einen kurzen Moment mit den Flaming Lips, die er für das musikalische Äquivalent seines Hefts McSweeneys hielt – hier wären wir nun tatsächlich wieder bei der zweiten Definition. Wenn man diese Logik ernst nimmt, wenn man also davon ausgeht, dass die Hipster-Kultur durch den Versuch gekennzeichnet ist, mithilfe perfekter Pastiches die tiefen Gefühle der Kindheit zu reproduzieren, dann wäre Belle and Sebastian die Mutter aller Hipster-Bands, auch wenn die harmlosen Schotten auf den ersten Blick nichts mit diesem System zu tun zu haben scheinen. Ich fürchte, dass Sie an genau dieser Stelle aufhören weiterzulesen, aber es war nur so ein Gedanke. (Vielleicht sollte ich hinzufügen, dass n+1 gelegentlich als Hipster-Publikation bezeichnet worden ist. Die Gründe für diese Einschätzung blieben bislang jedoch im Dunkeln.)
Dritte Definition