Während der Klimawandel ein politisches Topthema der Gegenwart ist, gibt es bislang keine überzeugende Klimaethik. Dabei sind entscheidende Fragen zu klären: Haben zukünftige Generationen absolute Rechte? Wie viele Lasten muss die gegenwärtige Generation für das Wohl künftiger Generationen schultern? Kann man von Schwellenländern fordern, ihre Entwicklung zu verlangsamen, um Klimaschutz zu betreiben?

Das Buch verfolgt drei Ziele: die Darstellung der naturwissenschaftlichen Fakten und der bisherigen Reaktionen der Klimaethik, die Entwicklung einer eigenen utilitaristischen Position zur Klimaethik inklusive einer Kritik der bisherigen, gerechtigkeitsorientierten Klimaethik sowie die Suche nach einem Konsens zwischen verschiedenen Ethiken, der es erlaubt, politische Maßnahmen konkret zu bewerten.

Bernward Gesang ist Professor für Philosophie mit Schwerpunkt Wirtschaftsethik an der Universität Mannheim.

Bernward Gesang

Klimaethik

 

 

 

 

 

Suhrkamp

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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2011

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eISBN 978-3-518 74840-4

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Karl-Heinz Gesang gewidmet

9Einleitung

Während der Klimawandel politisches Topthema der Gegenwart und der nächsten Jahrzehnte ist beziehungsweise weiter sein wird, gibt es im deutschen Sprachraum nur zaghafte Sprosse einer Klimaethik. Dabei gibt es entscheidende Fragen zu klären, die sich auf die Klimaethik, aber auch auf allgemeinere Aspekte der Generationengerechtigkeit beziehen: Haben zukünftige Generationen Rechte und haben wir dementsprechende Pflichten gegenüber ihnen? Wenn sie Rechte haben, dann in welchem Umfang? Haben sie ein Recht auf Gleichbehandlung? Was bedeutet das speziell für das Klimaproblem? Haben die Industrieländer die Pflicht, ihre CO2-Emissionen zu senken? Kann man von Schwellenländern fordern, ihre Entwicklung zu verlangsamen, um Klimaschutz zu betreiben?

Dieses Buch soll helfen, die Klimaethik in Deutschland zu etablieren. Sie ist genauso ein Teilgebiet der angewandten Ethik wie zum Beispiel die Reproduktionsethik. Das Buch verfolgt vier Ziele:

(1) eine Darstellung und Bewertung der naturwissenschaftlichen Fakten und der bisherigen Reaktionen der Klimaethik auf sie;

(2) die Entwicklung einer eigenen utilitaristischen Position zur Klimaethik inklusive einer Kritik der gerechtigkeitsorientierten bisherigen Klimaethik;

(3) die Suche nach einem Konsens zwischen verschiedenen Ethiken, der es erlaubt, politische Maßnahmen konkret zu bewerten;

(4) die Darlegung der Leistungsstärke des Utilitarismus in einem Anwendungsgebiet und die grundlegende Kritik der alternativen Paradigmen der Gerechtigkeitstheorien.

 

Zu Beginn geht es im ersten Kapitel darum, die hoch komplizierte Faktenlage darzustellen und ansatzweise zu bewerten. Noch immer sind viele Bürger »Klimawandelskeptiker«. Verwirrende Berichte über Datenfälschungen und dergleichen scheinen einen solchen Skeptizismus zu belegen. Die Positionen des IPCC [1] und der Skeptiker werden einander gegenübergestellt anhand von Fragen wie: Gibt es eine Erderwärmung? Ist sie anthropogen verursacht? Kann 10man die Zukunft mit Modellen prognostizieren? Werden die Folgen der Erderwärmung dramatisch sein?

Im zweiten Kapitel werden die bisher entwickelten Modelle der Klimaethik und der Generationengerechtigkeit vorgestellt. So liefert dieses Buch eine Übersicht über den Stand dieser Debatte. Die Modelle werden auf griffige Prinzipien gebracht und kritisch diskutiert, auch was die Durchsetzbarkeit angeht. Fast alle Prinzipien sind Gerechtigkeitsprinzipien, und die, die sie vertreten, sind um die Herstellung von »Klimagerechtigkeit« bemüht.

Das dritte Kapitel [2] beginnt mit einer kurzen Darstellung und Rechtfertigung des Utilitarismus, der den ethischen Rahmen dieser Studie bildet. Anschließend wird der hinter den Prinzipien des zweiten Kapitels stehende Leitwert der Gerechtigkeit aus dieser Perspektive kritisiert. Gerechtigkeit ist wichtig, so möchte ich behaupten, aber sie ist kein Selbstzweck. Wenn sich Gerechtigkeit in niemandes Glücksempfinden niederschlägt, wird sie zum Fetisch. Kant hat sie in diesem Sinne vertreten: »Wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Wert mehr, daß Menschen auf Erden leben.« [3] Das ist unplausibel. Gerechtigkeit ist um der Menschen willen da, nicht umgekehrt. Gerechtigkeit hat instrumentellen Wert. Sie kann in der Klimapolitik helfen, Lösungen durchsetzbar zu machen. Aber der Wert der Gerechtigkeit hat seine Grenzen. Die dominierenden inhaltlichen Füllungen der Verteilungsgerechtigkeit, der Egalitarismus, der Suffizienziarismus und der Prioritarismus werden dargestellt, kritisiert und verworfen. Auch wird dargelegt, dass es keine absoluten Rechte der Zukunft gegenüber der Gegenwart gibt.

Im vierten Kapitel unternehme ich eine utilitaristische Abwägung des Klimaproblems. Diese führt zu Prinzipien, die auch für andere Ethikmodelle zustimmungsfähig sind. So wird neben der engeren utilitaristischen Perspektive auch ein überlappender Konsens formuliert. Allerdings wird es wie bei fast allen anderen moralischen Problemen nicht möglich sein, das Orchester der Ethiker in vollständige Harmonie zu bringen.

Die relevanten Faktoren für die utilitaristische Abwägung werden dargestellt. Klimapolitik kann das enorme Nutzenpotenzial 11ermöglichen, das in der Zukunft liegt. Dieses Potenzial möchte ich verdeutlichen und den Kosten eines ehrgeizigen Klimaschutzes gegenüberstellen. Der Utilitarist will den Erwartungsnutzen, das heißt das Produkt aus Nutzengröße und Eintrittswahrscheinlichkeit, maximieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass der enorme Zukunftsnutzen durch klimapolitische Maßnahmen eintritt, ist jedoch geringer als 1. So könnte sich die Menschheit in einem Atomkrieg zerstören, was verhindern würde, dass es Nutzen in der Zukunft gibt. Mittel, die diesen Nutzen ermöglichen, würden somit verschwendet. Ebenso wäre CO2-sparen Verschwendung, wenn man in Zukunft das CO2 technisch aus der Atmosphäre entfernen könnte oder wenn der Klimawandel doch nicht im befürchteten Ausmaß eintritt. Derartige Faktoren senken die Eintrittswahrscheinlichkeit und sind gegen die Größe des Zukunftsnutzens zu gewichten.

Das Ergebnis meiner Abwägung wird ganz klar lauten: Energische Klimapolitik ist geboten. Das ist eine Politik, welche die von Theorien des Klimawandels beschriebenen Domino-Effekte durch das Überschreiten sogenannter Tipping-Points (vgl. Kap. 1.7) vermeiden sollte. Das impliziert im Regelfall, dass sofort alle nennenswerten technisch möglichen Maßnahmen zu realisieren sind, um die Erderwärmung zu begrenzen.

Dieses Fazit gilt, zumal die im fünften Kapitel erörterten konkreten politischen Maßnahmen des Klimaschutzes einen Doppeleffekt haben. Sie verringern die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre und sind wirksame Instrumente im Kampf gegen die globale Armut. Damit profitieren Gegenwart und Zukunft von ihnen. Ihre Berechtigung hängt zudem nicht allein von zum Teil unsicheren Klimaprognosen ab. So führt ein globaler Emissionshandel zu Einkünften für Entwicklungsländer, was aus Sicht des Utilitaristen zum Zwecke der Armutsbekämpfung ohnehin geboten ist. Darüber hinaus spart die ebenfalls vorgeschlagene Verlangsamung des Bevölkerungswachstums Emissionen und verringert eine der ohnehin zu bekämpfenden Hauptursachen für Armut.

Dieses Buch formuliert den Rahmen für eine Zukunftspolitik, welche die größten Probleme der Menschheit im Zusammenhang sieht und beheben soll. Besonders in Zeiten des Klimawandels, aber auch unabhängig von diesem, ist der skizzierte Weg ein Weg in eine nachhaltige und humane Zukunft. Abschließend werde ich im 12vierten Kapitel erörtern, welche Verpflichtungen uns als Individuen aus dem Klimaproblem erwachsen.

Im fünften Kapitel diskutiere ich konkrete politische Maßnahmen zur Durchsetzung der im vierten Kapitel formulierten Verpflichtungen. Insbesondere werden Emissionshandel, additive Klimapolitik und Drosselung des Bevölkerungswachstums besprochen. Zu Beginn führe ich, neben anderen Handelsmodellen, eine bestimmte Form des Emissionshandels ein, die bislang nicht genügend ernst genommen wird: den gewichteten Mikrozertifikatehandel. Anschließend erörtere ich, ob neben einem globalen Emissionshandel überhaupt noch andere Maßnahmen sinnvoll sind. Ökonomen wie Hans-Werner Sinn bestreiten dies. [4] Wir benötigen hingegen – so meine These – neben einem Emissionshandel eine Förderung erneuerbarer Energien.

Im letzten Schritt möchte ich der Idee nachgehen, ob wir nicht das Wachsen der Zahl der CO2-Emittenten verringern sollten, um Klimaschutz zu ermöglichen. Insbesondere wenn globale Vereinbarungen zur Emissionsbegrenzung nicht zustande kommen, wäre es denkbar, über dieses Ventil »Druck aus dem Kessel« abzulassen. Zur Lösung der dabei entstehenden neuen Probleme der Industrienationen (Überalterung, Einbruch der Sozialsysteme) wird ein neues Instrument der Entwicklungs-, Ökologie- und Rentenpolitik vorgestellt: Win-Win-Partnerschaften zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.

Der Klimawandel ist eine der bislang größten Bedrohungen für den Fortbestand der Menschheit. Allerdings bietet er auch Chancen: Mit ihm verbindet sich die Möglichkeit, große moralische Probleme der Gegenwart und Zukunft zu lösen. Gemeint sind die absolute Armut und die fehlende Verteilungsgerechtigkeit auf der Welt. Die wichtigsten Maßnahmen gegen den anthropogenen Klimawandel (Emissionshandel, Bevölkerungspolitik, erneuerbare Energien) haben die oben erwähnten Doppeleffekte. Es liegt im mittelfristigen Eigeninteresse der wohlhabenden Bürger und Staaten, diese Instrumente einzusetzen und so den Armen zu helfen. Sonst steht bei der Erderwärmung – anders als beim Problem der Armut – das Schicksal aller Menschen auf dem Spiel. Vielleicht führt uns diese Einsicht zu einer neuen Handlungsbereitschaft.

13Für Kritik und Diskussion bin ich vielen Personen zu Dank verpflichtet. Insbesondere möchte ich erwähnen: Vuko Andrić (der unermüdlich diskutiert und korrigiert hat), Gregor Betz, Jochen Bojanowski, Gerhard Bronner, Wilfried Hinsch, Agnetha Höfels (die viele Übersetzungen angefertigt hat), Anton Leist, Christoph Lumer, Hans-Jochen Luhmann (der mir bei der Sichtung der Fakten geholfen hat), Marcel Mertz, Olaf Müller, Benjamin Quarta, Helge Rückert (der viele Formulierungen präzisiert hat), Bryan Scheler, Rudolf Schüssler, Hans-Werner Sinn sowie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an meinen Seminaren zur Klimaethik an den Universitäten Konstanz und Mannheim.

15 Kapitel 1
Der Klimawandel – Fakten und Bewertungen

1. Einleitung

Der Begriff »Klimawandel« ist in aller Munde. Manche halten diesen Wandel für die größte Zukunftsherausforderung überhaupt, andere für eine maßlose Übertreibung. Selten hat ein naturwissenschaftliches Phänomen für derartige Zwiespältigkeiten gesorgt. Während wir im Allgemeinen den Einschätzungen einer breiten Mehrheit von Naturwissenschaftlern vertrauen, wie sie der IPCC hinsichtlich des Klimawandels vorgestellt hat, sind Zweifel an diesem speziellen Votum an der Tagesordnung. Zu Beginn eines Buches über Klimaethik muss ich mich daher als naturwissenschaftlicher Laie auf unbekanntes Terrain vorwagen und versuchen, die umstrittenen Fakten darzustellen und zu bewerten. Es soll ein tragfähiges Fundament für unsere ethischen Überlegungen vorgetragen werden. Das Feld ist so vermint, dass die Autoren des Wissensmagazins Scinexx meinen: »Selbst vorgebildeten Laien oder teilweise sogar Forschern ›vom Fach‹ fällt es unter Umständen schwer, diesen Wust aus Fakten, Fehlschlüssen und Behauptungen auseinander zu sortieren.« [1]

Hier soll die schwierige Diskussionslage hinsichtlich der Belege für einen anthropogenen Klimawandel mit bedrohlichen Folgen veranschaulicht werden, um dann mit ethischen Überlegungen darauf zu reagieren. Wie wir sehen werden, sind die ethischen Überlegungen mitunter ein Stück weit von den konkreten Faktenanalysen unabhängig. Das macht die ethische Diskussion erfreulicherweise unabhängig von möglichen Fehlern in der Beurteilung von faktischen Einzelfragen. Was im Kern unserer ethischen Überlegungen stehen wird, sind die in Abschnitt 1.7 diskutierten »Worst-Case-Szenarien« beziehungsweise die Theorie der Tipping-Points insgesamt. Darin werden aus den in Kapitel 4.3 dargelegten ethischen Gründen die wichtigsten faktischen Orientierungspunkte gesehen.

Ich habe mir erlaubt, nach jedem Abschnitt des ersten Kapitels 16ein bewusst persönlich gehaltenes Fazit zu ziehen, das sicher angreifbar ist, aber meine Einschätzung der Sachlage ausdrückt. Ich formuliere persönlich, da ich kein Klimaforscher bin und daher nie den Grad an Gewissheit erreichen kann, der nötig wäre, um zum Beispiel zu sagen: »Was die Klimaskeptiker oder der IPCC behaupten, ist definitiv widerlegt.« Das ist meiner Position als Philosoph geschuldet, also meinem »epistemischen Standpunkt«.

2. Der Treibhauseffekt

Der Mechanismus, mit dem man den von Menschen verursachten Anteil des Klimawandels erklärt, ist der Treibhauseffekt, der kurz auf Grundlage der Beschreibungen des IPCC und anderer Quellen referiert werden soll. CO2 und andere Treibhausgase (Methan, Lachgas und andere) steigen in die Atmosphäre auf und verweilen dort lang anhaltend. Bei CO2 lässt sich keine definitive Verweildauer angeben. Man rechnet aber laut IPCC damit, dass mehr als 50 Prozent in rund 100 Jahren abgebaut werden, während bis zu 20 Prozent Jahrtausende verweilen könnten. Bei Methan sind rund acht Jahre Verweildauer realistisch. [2] Diese Treibhausgase lassen die Sonnenstrahlung passieren. Sie trifft auf die Erde und wird zeitverzögert als langwellige Wärmestrahlung von der Erde wieder abgestrahlt. Die Treibhausgase lassen diese von der Erde zurückgestrahlte Wärme nicht ungehindert in das All austreten, sondern sie absorbieren die Strahlung zum Teil und strahlen sie in alle Richtungen gleichmäßig wieder ab. Ähnlich wie das Dach eines Treibhauses reflektieren sie einen Teil der aufsteigenden Wärme zurück zur Erde, was dort zu einem »Wärmestau« führt. Nahe der Erdoberfläche findet sich also die neu eintreffende Sonnenstrahlung plus der von den Treibhausgasen zurückgestrahlten Strahlung. Die Erde wird durch diese Wirkung der Treibhausgase wärmer.

Der Treibhauseffekt ist ein natürlicher Vorgang und es gibt von je her Treibhausgase in der Atmosphäre. Wir verdanken der durch sie hervorgerufenen Erwärmung, dass die Erde ein lebensfreundlicher Ort ist. Ohne den Treibhauseffekt würde die mittlere Temperatur an der Erdoberfläche minus 18 Grad Celsius betragen, 17mit dem natürlichen Treibhauseffekt beträgt sie plus 15 Grad. [3] Nun emittieren die Menschen aber immer mehr Treibhausgase, die lange in der Atmosphäre verweilen. Damit und durch die Zerstörung von CO2-Senken (zum Beispiel Wäldern) wird die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre und damit der natürliche Treibhauseffekt verstärkt. Welche Macht dieser Effekt hat, zeigt sich schon an den 33 Grad Temperaturdifferenz, die er, wie gerade erwähnt, auf der Erde ausmacht. Auf der Venus beträgt die mittlere Temperatur an der Oberfläche 460 Grad Celsius. Das verdankt sie unter anderem einer Atmosphäre, die zu 96 Prozent aus CO2 besteht. [4] Diese Fakten machen den Einfluss gesteigerter CO2-Emissionen deutlich.

Zwar emittieren Menschen und Vulkane [5] auch Aerosole (Schwefelpartikel), die kühlend auf das Weltklima wirken, aber das hebt die Wirkung des anthropogenen Treibhauseffekts nicht auf. Aerosole verweilen nur kurzzeitig in der Atmosphäre und das Verhältnis von Aerosolen zu Treibhausgasen wird von den Klimamodellen des IPCC natürlich berücksichtigt.

Das ist die Theorie des Treibhauseffekts, die ein wichtiger Bestandteil der Aussagen der Klimaforscher ist. Auch wenn manche Messungen von Klimadaten uneinheitlich ausfallen würden, könnte man argumentieren, dass über den bekannten Treibhausmechanismus jedenfalls eine Erderwärmung stattfinden muss. Für den Mechanismus sprechen nach Rahmstorf und Schellnhuber empirische Belege in der Klimageschichte. Größere Eisvorkommen auf der Erde fallen demnach mit Zeiten niedriger CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre zusammen, Zeiten hoher CO2-Konzentration mit Zeiten weitgehender Eisfreiheit. [6] Es gab zudem vor 55 Millionen Jahren offenbar schon einmal eine Reaktion des Klimas auf eine massive Kohlenstoff-Freisetzung (PETM), die einen Temperaturanstieg um mindestens sechs Grad Celsius bewirkte. [7]

Das Fazit, das etwa Rahmstorf und Schellnhuber daraus ziehen, lautet: »Die Klimageschichte ist ein sensibles System, das in der Vergangenheit schon auf recht kleine Änderungen in der Energiebilanz 18empfindlich reagiert hat.  […] Das Klima ist kein ›träges Faultier, sondern gleicht einem wilden Biest‹, wie es der bekannte amerikanische Klimatologe Wallace Broecker einmal formulierte.« [8]

Gehen wir nun die einzelnen Kritikpunkte der Skeptiker an den Befunden und Prognosen des IPCC durch, um uns einen Überblick zu verschaffen. Dabei kann es durchaus sein, dass den Klimaskeptikern zu viel der Ehre erwiesen wird. Sie bilden eine extreme Minderheitenfraktion, die in sich widersprüchliche Dinge behauptet (»Es gibt keine Erderwärmung«, »Es gibt eine, aber sie ist nicht anthropogen« usw.). Es muss sogar gefragt werden, ob diese skeptischen Diskussionsbeiträge nicht absichtsvoll von gesellschaftlichen Gruppen lanciert werden, die ihre Profitinteressen schützen wollen. Luhmann und Rahmstorf haben in diese Richtung argumentiert und es gibt Studien, die dies belegen. [9] Allerdings werden solche »ideologiekritischen« Überlegungen hier zurückgestellt. Es wird sich nämlich zeigen, dass die Skeptiker auch dann nicht überzeugen können, wenn man ihre Beiträge vollständig ernst nimmt.

3. »Es gibt keine Erderwärmung«

3.1 Klimageschichte

Die Klimaskeptiker haben sich zum Beispiel in der Gesellschaft ICECAP (International Climate and Environmental Change Assessment Project) [10] zusammengeschlossen. Dort gibt es Vertreter 19der These, dass eine besondere Erderwärmung nicht stattgefunden habe beziehungsweise stattfinde. Ein Argument dafür: Der Vergleichsmaßstab sei falsch gewählt. Heute würden wir das vorindustrielle Niveau mit dem nachindustriellen Niveau vergleichen. Das sei aber eine viel zu enge Vergleichsspanne, wie etwa der Physiker Richard Muller meint. [11] Wenn man diese Spanne auf die letzten 11 000 Jahre ausdehne, sei keine besondere Erwärmung festzustellen.

Das führt auf das komplexe Feld der Klimageschichte. Wie sah unser Klima früher aus und welche Schlüsse lässt das auf heute zu? Problematisch ist, dass wir genaue Aufzeichnungen von Klimadaten über solche langen Zeiträume nicht haben, uns also mit indirekten Schlüssen begnügen müssen. Wir sind auf die Analyse von Eiskernen, Baumringen, Gebirgsgletschern angewiesen. Der von Muller vorgeschlagene Vergleichsrahmen umfasst in etwa das sogenannte Holozän, die erdgeschichtliche Epoche, in der wir heute noch leben. Dieses Zeitalter zeichnet sich durch ein relativ warmes und stabiles Klima aus.

Der IPCC kontert die Argumente von Muller, MacDonald und anderen damit, dass es im Holozän nie höhere Jahresdurchschnittstemperaturen als heute gab: »Bis vor 2000 Jahren sind Temperaturschwankungen zwar nicht systematisch in globalen Mittelwerten zusammengefasst worden, aber sie liefern keinen Beleg dafür, dass es während des Holozäns höhere globale Jahresdurchschnittstemperaturen gab als heute.« [12] Zudem gibt es dem IPCC zufolge seit 650 000 Jahren heute den höchsten CO2-Gehalt in der Atmosphäre: »Die CO2-Konzentration der letzten 650 000 Jahre ist heute durch die antarktischen Eisbohrkerne genau bekannt. Während dieser Zeit schwankte die CO2-Konzentration zwischen einem Tiefstwert von 180 ppm  [parts per million, B.G.] während kalter Eiszeiten und einem Höchstwert von 300 ppm während warmer Zwischeneiszeiten. Im Laufe des letzten Jahrhunderts stieg die CO2-Konzentration rapide weit über diesen Bereich hinaus an und liegt heute bei 379 ppm.« [13]

Auch wenn man den Anstieg, den die Erderwärmung seit rund 1900 genommen habe, mit dem im restlichen Jahrtausend vergleiche, 20könne man starke Auffälligkeiten nicht bestreiten. Das zeigten die sehr differenzierten Messungen von Michael Mann und anderen, Anders Moberg und anderen, Johannes Oerlemans und anderen und des Hadley Centres, die in der folgenden Abbildung zu sehen sind. Die Messungen würden insbesondere übereinstimmend einen großen Temperaturanstieg seit etwa 1970 belegen.

 

Abb1_Holozän.tif

Abb. 1: Anstieg der Erderwärmung. Aus: Rahmstorf, Schellnhuber 2007, 27.

 

Die Grafik enthält allerdings auch die umstrittene »Hockey-Stick-Kurve«, die von Mann und anderen 1999 publiziert wurde. Die bei dieser Kurve verwendeten statistischen Daten sind in die Kritik geraten. Methodisch scheint die Kurve nicht einwandfrei zu sein. Allerdings hat das offenbar kaum Auswirkungen auf das Ergebnis. So wird in der obigen Abbildung der Befund von Mann und anderen mit den Befunden anderer Forscher konfrontiert, die ähnliche Ergebnisse liefern. Daher fasst die Süddeutsche Zeitung im Jahr 2006 den Streit um die Kurve wie folgt zusammen:

 

Fachlich ist Manns Kurve weitgehend von der Kritik freigesprochen. Weitere Wissenschaftler haben die Wirkung der statistischen Methoden untersucht 21und festgestellt, dass sie kaum Einfluss auf das Ergebnis besitzt. Der aktuelle Entwurf zum IPCC-Bericht von 2007, der der SZ vorliegt, zeigt neben Manns Kurve zehn weitere Rekonstruktionen, die einen ähnlichen Verlauf nehmen. Auch Hans von Storch, der im Jahr 2004 methodische Kritik an Manns Arbeit geäußert hatte, sagt: »Der schnelle Temperaturanstieg am Ende der Kurven ist ein deutliches Zeichen, dass der Mensch am Klimawandel beteiligt ist.« [14]

 

Eine weitere Relativierung der Erderwärmung durch klimageschichtliche Betrachtungen arbeitet mit folgendem Argument: Vom Jahr 1000 bis 1800 sei keine wesentliche CO2-Veränderung messbar gewesen, aber es gab größere Klimaschwankungen, zum Beispiel eine Warmzeit im Mittelalter. Ebenso werden natürlich jedes Jahr die aktuellen lokalen Wetterentwicklungen als Belege für oder gegen den Klimawandel diskutiert.

Dagegen spricht, dass nur globale Klimaveränderungen durch globale Antriebe (CO2 und dergleichen) erklärt werden können. Lokale Phänomene haben lokale Ursachen (Windänderungen und dergleichen) und die Warmzeit im Mittelalter war ein europäisches Phänomen. Auch alle aktuellen Wetterentwicklungen etwa in Europa sind natürlich lokale Phänomene. Zudem behauptet kein Klimawissenschaftler, dass CO2 der einzige Faktor sei, der das Klima beeinflusst. [15]

Mein persönliches Fazit: Die Relativierungen der Erderwärmung mit Blick auf die Klimageschichte überzeugen mich nicht, da die Trends der letzten 30 Jahre zu auffällig sind und sich zu gut durch einen anthropogenen Klimawandel erklären lassen.

3.2 Gletscher, Meeresspiegel, Messdaten

Ich möchte nun weitere »Belege«, die aus der Sicht der Skeptiker gegen eine Erderwärmung sprechen sollen, nennen:

(a) Gletscher: Roger Braithwaite führt Belege an, dass nicht alle Gletscher schmelzen, was ein Indiz für eine Erwärmung wäre, sondern dass etwa im Kaukasus auch Gletscher wachsen. [16] Dem 22stimmen etwa Rahmstorf und Schellnhuber zu und führen das auf regionale Niederschlagsmengen zurück. [17] Der globale Gesamttrend sei aber klar eine Abnahme der Gletscher. Das bestätigte auch Roger Barry im Jahr 2006: »Berggletscher sind zentrale Indikatoren für den Klimawandel, auch wenn die beteiligten klimatischen Variablen regional und zeitlich verschieden sind. Nichtsdestotrotz sind die Gletscher seit der Kleinen Eiszeit erheblich zurückgegangen und dieser Rückgang hat sich während der letzten zwei bis drei Jahrzehnte beschleunigt.« [18]

(b) Meeresspiegel: Guy Wöppelmann und andere haben 2007 Bewegungen von Landmassen in Berechnungen des Meeresspiegelanstiegs einbezogen und daraus gefolgert, der absolute Meeresspiegelanstieg im 20. Jahrhundert habe nicht 1,7 mm/Jahr (laut IPCC), sondern nur 1,3 mm/Jahr betragen. [19] Rahmstorf kommentiert, dass Wöppelmann selbst diese Zahlen inzwischen revidiert habe: »Mit einigen Jahren weiterer GPS-Messungen berechnet Wöppelmann den absoluten Meeresspiegeltrend des 20. Jahrhunderts inzwischen auf 1,6 mm/Jahr – fast identisch mit dem IPCC-Wert von 1,7 mm/Jahr.« [20] Gleichzeitig kritisiert Rahmstorf, wie unseriös mit den ersten Daten, welche die Klimaskeptiker diesbezüglich publizierten, umgegangen wurde. So schreibt etwa der bekannte Klimaskeptiker Pat Michaels: » [Wöppelmann und andere, B.G.] ermittelten einen globalen Wert von 1,3 ± 0,3 mm pro Jahr im Vergleich zum Wert 3,1 mm pro Jahr, den die UN für die letzten Jahre angibt. Wo ist die Schlagzeile? ›Objektive Messungen reduzieren den aktuellen Meeresspiegelanstieg um 70 Prozent!‹« [21] Dem Zitat liege, so Rahmstorf, neben den falschen Zahlen von Wöppelmann und anderen auch ein falscher Vergleich der angeblichen 1,3 mm/Jahr mit 3,1 mm/Jahr (dem Trend 1993-2003) zugrunde, da hier verschiedene Zeiträume (der Durchschnittstrend im zwanzigsten Jahrhundert mit dem von 1993-2003) verglichen würden.

(c) Messdaten: Der vom IPCC angenommene globale Temperaturanstieg 23wird manchmal auf fehlerhafte Messdaten zurückgeführt. Messstationen befänden sich eher in warmen, urbanen Gebieten und weniger auf dem kühleren Land. In manchen Ländern (Russland) gebe es überhaupt nur wenige. Wie der ehemalige College-Professor des Lyndon State College Joseph D’Aleo vernehmen lässt:

 

Auch wenn es in den letzten Jahrzehnten eindeutig eine zyklische Erwärmung gegeben hat (insbesondere 1979 bis 1998), sind  […] die globalen Daten, welche von den Stationen zur Messung der Oberflächentemperatur ermittelt werden, durch Verstädterung, durch andere lokale Faktoren (Landnutzung/Landbedeckung, ungeeigneter Standort, Stationsausfall, nicht berücksichtigte Änderungen des Instrumentariums und verlorene Daten) und durch Unsicherheiten bezüglich der Meerestemperaturen stark verzerrt. Demzufolge kann man sich auf die so gewonnenen Daten nicht verlassen, um die genauen Entwicklungen zu bestimmen. Diese Faktoren führen alle zu einer Überschätzung der Temperaturen. Zahlreiche, von Fachleuten begutachtete Arbeiten der letzten Jahre haben gezeigt, dass sich die Überschätzung allein aufgrund dieser Probleme in Größenordnungen von 30-50 Prozent bewegt. [22]

 

Die Gegenposition beruft sich darauf, dass die regionalen Unterschiede, etwa die zwischen Stadt und Land schon in den Klimamodellen einberechnet seien: [23]

 

Um Unterschiede in der Verteilung der Messstationen auszugleichen, nutzen die Modelle nicht einfach nur die Daten aller vorhandenen Stationen, sondern der Globus wird in ein virtuelles Gitter mit einer jeweiligen Kantenlänge von 5°x5° eingeteilt. Für jede dieser Boxen wird pro Zeitpunkt nur ein Wert genutzt, der sich wiederum aus den Durchschnitten der innerhalb dieser Fläche befindlichen Stationen zusammensetzt. Das Datennetz des NASA GISS umfasst damit immerhin 8000 Einzelregionen, das des Climate Research Unit in Großbritannien immerhin noch 2592. In die vom IPCC diskutierten Modelle flossen alle Ergebnisse der verschiedenen Netze mit ein. [24]

 

Studien, die D’Aleos Fazit widersprechen, finden sich ebenfalls in hochkarätigen Zeitschriften, wie etwa Nature:

 

24Es herrscht weiter Uneinigkeit über den Einfluss von urbaner Erwärmung auf berichtete großflächige Temperaturtrends der Oberflächenluft. Städtische Wärmeinseln treten meist nachts auf und werden durch Wind verringert. Hier zeigen wir, dass die Temperaturen über dem Land global gesehen in windigen Nächten ebenso angestiegen sind wie in windstillen Nächten. Dies lässt erkennen, dass die festgestellte Gesamterwärmung keine Folge der Städteentwicklung ist. [25]

 

Weiterhin seien Städte zwar wärmer als das Land, aber im Vergleich sei die Klimaerwärmung um ein Vielfaches höher als die Differenz zwischen Stadt und Land. Und letztlich entsprächen sich die Messungen der Meerestemperatur, die nicht durch Hitzeinseln erklärbar sind, mit den an Land gemessenen Daten. [26]

Mein persönliches Fazit lautet daher: Die Position des IPCC bestätigt sich, alle drei Kritikpunkte implodieren bei näherer Betrachtung.

4. »Die Erderwärmung besteht, ist aber nicht anthropogen verursacht«

Einige Klimaskeptiker behaupten, die Sonnenaktivität sei primär für die Erderwärmung zuständig, nicht der menschliche CO2-Ausstoß. Diese These ist sehr populär. So behauptet der Meteorologe Horst Malberg in einem Aufsatz, der allerdings nicht in einer wissenschaftlichen Zeitschrift mit Peer-Review-System veröffentlicht wurde:

 

Der Temperaturanstieg in den letzten 150 Jahren kann maximal zu einem Drittel durch den anthropogenen Treibhauseffekt verursacht worden sein. Der anthropogene Treibhauseffekt wird somit in den Klimamodellen des UN-Klimareports 2007 wesentlich überschätzt.  […] Bei einer globalen Temperaturerhöhung seit 1850 von +0,6°C lassen sich folglich +0,4°C durch den gesteigerten solaren Energiefluß erklären und maximal nur +0,2°C durch den anthropogenen Treibhauseinfluß. Da der CO2-Effekt allein zur Zeit rund 50 Prozent des anthropogenen Treibhauseffekts ausmacht, folgt: Die CO2-Zunahme von 35 Prozent in den letzten 150 Jahren 25kann nur einen Temperatureffekt von + 0,1°C an der globalen Erwärmung seit 1850 erklären. [27]

 

Der IPCC setzt dagegen einen Beitrag von 0,5 Grad an, den die anthropogenen Treibhausgase zur Erwärmung im 20. Jahrhundert beisteuerten. [28]

Eine eigene Theorie des Klimawandels durch Sonnenaktivität vertritt der Wissenschaftler Henrik Svensmark. So vermutet er, dass ein Zusammenspiel von kosmischen Strahlen und Sonnenaktivität dazu führt, dass die Wolkenbedeckung abnimmt: Mehr Sonnenstrahlung verringere die kosmische Strahlung und die bewirke eine verringerte Wolkenbildung in der unteren Atmosphäre, was zur Erwärmung führe. [29] Ebenfalls sehr skeptisch ist Douglas Hoyt: »Die solaren Einflüsse können den größten Teil der Klimaerwärmung im 20. Jahrhundert erklären, aber es bleibt noch immer eine unerklärbare Resterwärmung von etwa 0,16°C, die den anthropogenen Treibhausgasen zugeordnet werden kann.« [30] Verglichen mit den 0,5 Grad des IPCC wäre dies eine deutliche Revision. Dem gegenüber stehen zahlreiche Forschungsbefunde, welche die Basis der IPCC-Position bilden.

Der IPCC selbst weist darauf hin, dass die Sonne als Ursache der gesamten Erwärmung fraglich sei, weil dann der gemessene Unterschied in der Erwärmung von Tropo- und Stratosphäre nicht erklärbar sei. Wäre die Sonne diese umfassende Ursache, müsste auch die höher gelegene Stratosphäre erwärmt sein, was nicht der Fall sei. Zudem sei der Erwärmungsverlauf im 20. Jahrhundert nicht mit der Sonne, Vulkanen und anderen externen Faktoren erklärbar. Jedoch würden die Modelle die aktuelle Entwicklung sehr gut wiedergeben, wenn man den angenommenen anthropogenen Anteil an der Erwärmung hinzurechne. [31] Der IPCC kommt zu dem Fazit: »Folglich ist in der heutigen Atmosphäre der durch menschliche Aktivitäten verursachte Strahlungsantrieb für den gegenwärtigen 26und zukünftigen Klimawandel weitaus entscheidender, als der geschätzte Strahlungsantrieb durch Veränderungen in natürlichen Prozessen.« [32]

In einer Abbildung dargestellt, sieht das wie folgt aus:

 

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Abb. 2: Strahlungsantrieb des Klimas. Aus: Solomon u. a. 2007, 136.

 

Die Position des IPCC kann man prüfen, indem man sich einige der wichtigsten Einzelpublikationen über den Einfluss der Sonne 27anschaut. Die Sonnenaktivität sei in den letzten 60 Jahren sehr stark gewesen, behauptet die Forschergruppe um Sami Solanki vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS). Sie sei in diesem Zeitraum größer gewesen als in den 8000 Jahren zuvor. Sonnenaktivität könnte zudem eine Erderwärmung theoretisch erklären. Das ist zwischen IPCC und Skeptikern unstrittig. Aber: Die Forscher des MPS hoffen gezeigt zu haben, dass die Sonne höchstens für einen kleinen Teil der Erwärmung der letzten 30 Jahre verantwortlich sein kann. [33]Sie benutzten dazu den gemessenen und berechneten Verlauf der Helligkeit der Sonne über die letzten 150 Jahre und verglichen ihn mit der Temperatur der Erde. Obwohl sich die zwei Größen in den ersten rund 120 Jahren einigermaßen in Einklang bewegen, stieg die Temperatur der Erde in den letzten rund 30 Jahren rasant an (vgl. Abb. 1), während sich die Helligkeit der Sonne nur unwesentlich erhöht hat: »Klar ist hingegen, dass seit etwa 1980 die Gesamtstrahlung der Sonne, ihre Ultraviolettstrahlung, wie auch die kosmische Strahlung, mit dem elf-jährigen Sonnenzyklus geschwankt hat, aber nicht signifikant zugenommen hat. Im Gegensatz dazu hat sich die Erde in diesem Zeitraum weiter stark erwärmt. Dies schließt die Sonne als Verursacherin der gegenwärtigen globalen Erwärmung aus.« [34]

Peter Foukal und andere schreiben, »dass es unwahrscheinlich ist, dass die zunehmende Helligkeit der Sonne seit dem 17. Jahrhundert einen wesentlichen Einfluss auf die globale Erwärmung hat.« [35] Nicola Scafetta und Bruce West meinen: »Wir schätzen, dass die Sonne für 45 bis 50 Prozent der globalen Erwärmung zwischen 1900 und 2000 und für 25 bis 35 Prozent der globalen Erwärmung zwischen 1980 und 2000 verantwortlich ist.« [36] Ilya Usoskin und andere argumentieren, dass die Daten über die Sonne und die Temperaturdaten eine Korrelation von 0,7 bis 0,8 haben. Allerdings seien die letzten 30 Jahre atypisch: »Während dieser Zeit weichen die Klima- und Solardaten stark voneinander ab.« [37] Das deckt sich mit den Befunden des MPS und mit denen von Scafetta und West. 28Viel vorsichtiger formuliert dann wieder Joanna Haigh: »Beobachtungsdaten deuten darauf hin, dass die Sonne Temperaturen in Zeiträumen von Jahrzehnten, Jahrhunderten und Jahrtausenden beeinflusst hat. Allerdings deuten Erwägungen zum Strahlungsantrieb und die Ergebnisse von Energiebilanzmodellen und Zirkulationsmodellen darauf hin, dass die Erwärmung während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht gänzlich dem Einfluss der Sonne zugeschrieben werden kann.« [38]

Damit haben wir Verschiedenes über die historische Aktivität der Sonne vor 1980 gehört. Es bleibt jedoch bei der Kernaussage, dass die Sonne nicht die Ursache der Erwärmung in den letzten 30 Jahren sein kann. [39] Die Vielfalt der historischen Aussagen lässt sich dadurch erklären, dass noch große Unsicherheit bezüglich des Einflusses der Sonne auf das Erdklima herrscht. [40] Offenbar verdichten sich die Aussagen, dass insbesondere die letzten 30 Jahre atypisch verlaufen sind, wenn man die Sonne als Ursache in Betracht zieht. Zudem kommt erhärtend für die Position des IPCC hinzu, dass man eben um den Mechanismus des Treibhauseffekts weiß und es daher sehr plausibel ist, eine anthropogene Erwärmung herzuleiten. Auch Messdaten legen nahe, dass zumindest die CO2-Zunahme in der Atmosphäre anthropogen ist. Man

 

kann  […] mit modernen Meßmethoden sicher den Menschen als Verursacher entlarven. Messungen des Kohlenstoff-Isotops C14 erlauben, zwischen Kohlendioxid aus natürlichen Quellen und solchem, das z. B. durch Verbrennung fossiler Brennstoffe entstanden ist, zu unterscheiden. Durchgeführte C14 Messungen bestätigen, dass der Anstieg des Kohlendioxids in der Atmosphäre anthropogenen Ursprungs ist und nicht auf Freisetzungen aus den Ozeanen zurückzuführen ist. [41]

 

Das muss zu einer Erderwärmung führen, wenn der Mechanismus des Treibhauseffektes richtig erkannt ist.

Persönliches Fazit: Die Aussagen über die historische Rolle der Sonne sind vielfältig. Das erklären Jürg Beer und andere:

 

29Aus der Analyse historischer Daten schließen wir, dass solare Strahlung tatsächlich eine wichtige Rolle im vergangenen und gegenwärtigen Klimawandel spielt. Es ist allerdings dennoch voreilig, diese Rolle in Zeitskalen von Jahrhunderten und Jahrtausenden zu quantifizieren. Die beiden damit verbundenen Hauptunsicherheiten stehen im Zusammenhang mit der Geschichte der solaren Strahlung, verursacht durch die Variabilität der Sonnenstrahlung und die Sensibilität des Klimasystems hinsichtlich dieser Strahlung. [42]

 

Allerdings zeichnet sich eine deutliche Besonderheit durch die Erderwärmung in den letzten 30 Jahren ab, welche von den Hockey-Stick-Kurven (vgl. Abb. 1) dargestellt wird. Hier geraten die Klimaskeptiker in große Erklärungsnöte. Daher sehe ich die Thesen des IPCC als bestätigt an.

5. Kennen wir die Zukunft?
Klimaprognosen in der Kritik

Bislang haben wir uns mit Vergangenheit und Gegenwart auseinandergesetzt. Noch viel umstrittener werden die Positionen, wenn wir etwas über die Zukunft erfahren wollen. Können wir, selbst wenn eine Erderwärmung stattfindet und anthropogen mitverursacht ist, zukünftige Entwicklungen vorhersagen? Das Wetter ist ein chaotisches System, bei dem kleine Fehleinschätzungen der Anfangsbedingungen große Folgen haben können. Die theoretische Grenze für Wettervorhersagen liegt bei zwei Wochen. [43]Nun geht es beim Klima um einen über einen bestimmten Zeitraum gemittelten Wettertrend, was Mojib Latif zu der Aussage führt: »Chaotische Systeme wie die Atmosphäre sind also unter bestimmten Bedingungen auch auf Zeitskalen von  […] Jahren beziehungsweise Jahrzehnten vorhersagbar.« [44] Letztlich kann man einen einzelnen Münzwurf nicht prognostizieren, aber eine hinreichend große Folge von Münzwürfen schon. Aber der IPCC merkt relativierend an: »In der Klimaforschung und -modellierung sollten wir anerkennen, dass wir es mit einem gekoppelten, nichtlinearen, chaotischen System zu tun haben und dass deshalb Langzeitvorhersagen 30über zukünftige Klimazustände nicht möglich sind. Wir können höchstens erwarten, eine Vorhersage über die Wahrscheinlichkeitsverteilung der möglichen zukünftigen Stadien des Systems zu erreichen.« [45]

Gerade computerbasierte »Weltuntergangsszenarien« haben in der Öffentlichkeit heutzutage keinen leichten Stand mehr, da diese seit 1970 unablässig mit solchen Weltuntergangsszenarien [46] konfrontiert wird. Das stimmt viele Menschen skeptisch gegenüber Untergangsprophezeiungen allgemein und Computermodellen im Speziellen. Das bringt der Physiker Freeman Dyson zum Ausdruck, der meint, dass Klimawandelmodelle als Vorhersageinstrumente nichts taugen. Er erklärt das wie folgt:

 

Modelle erfüllen die Gleichungen der Strömungsdynamik und beschreiben sehr gut die Strömungen der Atmosphäre und der Ozeane. Sie beschreiben die Wolken, den Nebel, die Chemie und die Biologie der Felder, der Farmen und der Wälder sehr schlecht. Sie beschreiben nicht im Ansatz die reale Welt, in der wir leben. Sie sind voller frisierter Faktoren, die dem existierenden Klima angepasst sind, damit die Modelle mehr oder weniger mit den Beobachtungsdaten übereinstimmen. Es gibt aber keinen Grund zu der Annahme, dass dieselben frisierten Faktoren die richtige Verhaltensweise in einer Welt mit einer anderen Chemie, zum Beispiel einer Welt mit gestiegenem CO2 in der Atmosphäre, vorgeben. [47]

 

Verstärkt werden solche Einschätzungen durch eventuelle Fehler des IPCC, so etwa die eventuelle Unterbewertung der Umwälzzirkulation der Ozeane. [48] Die stärkere Zirkulation könnte eine »Pause« der Erderwärmung mit sich bringen. Zwar ist das Phänomen – wenn es denn besteht – offenbar ein kurzfristiges, bei dem natürliche Einflüsse auf das Klima die Effekte des CO2-Anstiegs überlagern und überkompensieren. Das müsste später vollständig wieder aufgeholt werden, da der CO2-Anstieg und der Mechanismus des 31Treibhauses davon unberührt bleiben. [49] Aber Debatten um solche »Korrekturen« untergraben das Vertrauen in modellbasierte Prognosen beträchtlich. [50]

Allerdings versuchen die Wissenschaftler des IPCC nach Rahmstorf und Schellnhuber [51] auch keine Vorhersage über das Klima zum Zeitpunkt x zu treffen. Sie spielen vielmehr Annahmen à la »wenn das CO2 in der Zeitspanne z bis zum Wert x ansteigen würde, würde das eine Erderwärmung in der Spanne y1-y2 zur Folge haben« durch. Solche Szenarien gehen von Randbedingungen (Zahl der Vulkanausbrüche, menschliches Emissionsverhalten und dergleichen) aus, die niemand vorhersehen kann. Aber es sollen eben Aussagen der Art »Die Erdtemperatur wird 2050 um 3,6 Grad zugenommen haben« vermieden werden, sondern es soll eine Vorstellung davon entstehen, was uns in etwa drohen könnte. [52] Anhand von Ober- und Untergrenzen der zu erwartenden Temperaturen werden stets sehr breite Korridore abgesteckt: »Um die denkbaren Auswirkungen dieser Szenarien auf die globale Mitteltemperatur zu berechnen, wurden für den letzten IPCC-Bericht Klimamodelle damit angetrieben, die weitgehend die Spanne der Unsicherheit in der Klimasensitivität erfassen (diese Modelle deckten eine Spanne von 1,7 bis 4,2 Grad ab).« [53] Die Probleme einer Klimaprognose werden also sehr wohl gesehen, und es geht lediglich um die Abschätzung eines Rahmens der Möglichkeiten. Ebenso verweisen die Vertreter der IPCC-Modelle auf Erfolge sowohl bei der Anwendung auf bereits vergangene Klimaentwicklungen [54] als auch bei der Prognose von Ereignissen von 1988 bis heute. [55]

Man braucht keine Klimamodelle, um sich die erheblichen 32Schäden auszumalen, die eine fortschreitende Erderwärmung mit sich brächte. Dazu bedarf es nur physikalischen Basiswissens, wie Rahmstorf und Schellnhuber ausführen. Leicht erschließen lässt sich, dass Hitzewellen, Extremniederschläge und Wirbelstürme zunehmen werden, wenn der Treibhauseffekt greift. [56]

Persönliches Fazit: Offenbar kann man den Trendaussagen der Klimamodelle des IPCC vertrauen, aber unfehlbar sind sie nicht.

6. »Die Folgen der Erderwärmung sind nicht gravierend«

6.1 Mögliche Schäden

Wenn man bestreitet, dass die Folgen der Erderwärmung gravierend sein werden, ist natürlich erst einmal zu spezifizieren, von einer wie hohen Erwärmung man ausgeht. Vertreter der These, dass eine Erwärmung über drei Grad hinaus harmlos sei (Prognoserahmen der Erdtemperaturzunahme bei »Business as Usual«  [BAU] von 1990 bis 2100: bis zu 8,0 Grad) [57] oder in einer Kosten-Nutzen-Bilanz neutral ausfalle, sind selten. Dazu der nebenstehende Vergleich von 14 Kosten-Nutzen-Analysen durch Richard Tol (Abb. 3):

Ab 1,1 Grad (0,7 Grad Unsicherheit) hört der Anstieg der Nutzenkurven auf, dann beginnen sie zu sinken. Bei 2,3 Grad schlagen sie fast alle in den Schadensbereich um.

Nur begrenzte Erwärmungen werden bezüglich positiver Folgen diskutiert und solche Begrenzungen setzen bereits eine energische Klimapolitik voraus (vgl. Kap. 1.7). [58] Daher können positive Folgen nicht als Begründung für die Einschränkung von Klimaschutzpolitik fungieren, denn ohne energische Politik dieser Art werden jedenfalls drei Grad und mehr erreicht. Allerdings besteht zu Recht Skepsis, [59] dass es Sinn macht, hier genaue Kosten-Nutzen-Analysen aufzustellen. Die Unsicherheit ist zu groß. [60] Auch Tol konstatiert:

 

Abb3_Vierzehn Einschätzungen.tif

Abb. 3: Kosten-Nutzen-Analysen im Vergleich. Aus: Tol 2009, 37.

 

33»Dies zeigt vermutlich am besten die erhebliche Unsicherheit bezüglich der wirtschaftlichen Auswirkung des Klimawandels und dass negative Überraschungen wahrscheinlicher sind als positive. Kurzum, es herrscht hier ein hoher – und wahrscheinlich untertriebener – Grad an Unsicherheit vor  […]. Die politische Implikation ist, dass die Reduzierung der Treibhausgasemissionen ambitioniert verfolgt werden sollte.« [61]

Unter dem Aspekt, dass Erwärmungen über drei Grad nicht betrachtet werden, kann eine ganze Liste von Versuchen, die Folgen des Klimawandels zu relativieren, nicht überzeugen. Diese Liste soll Begrenzungen der Klimaschutzpolitik begründen, aber energische Klimapolitik ist eine Voraussetzung der Begrenzung des Temperaturanstiegs unter drei Grad. Die Autoren der relativierenden Versuche machen meist auf die Gegenwart und Vergangenheit bezogene Aussagen. Diese sollen suggerieren, dass Größen wie die 34Höhe des Meeresspiegels und Extremwetterereignisse nicht von der Erderwärmung abhängen. In diesem Sinne fasst Roger Pielke, jr. seine (mehr als zehn Jahre alten) Forschungsergebnisse und Befragungen von Kollegen zusammen:

 

1. Jeder, der behauptet, dass Klimaveränderungen (ob durch Menschen verursacht oder nicht) für einen Teil des globalen Trends wachsender Katastrophenverluste verantwortlich sind, hätte besser neue wissenschaftliche Beweise geliefert, um solche Behauptungen zu stützen. Weitere Forschung könnte zu anderen Ergebnissen kommen, aber nach meiner Interpretation des momentanen Forschungsstandes sind solche Behauptungen heute haltlos. 2.  […] Ich schlage vor, dass wir  […] zunächst die folgende Hypothese aufstellen: »Alle in den letzten Jahrzehnten beobachteten Trends, die auf einen wachsenden Schaden in Bezug auf das Wetter und das Klima deuten, können durch die gestiegene gesellschaftliche Anfälligkeit gegenüber diesen Trends erklärt werden.« Der zweite Schritt ist dann, Forschung zu betreiben, die die Widerlegung dieser Hypothese zum Ziel hat. [62]

 

Allerdings bricht diese Kritik einer Verbindungsthese von Klimawandel und katastrophalen Ereignissen zusammen, wenn man Erwärmungen über drei Grad hinaus betrachtet. Die große Unsicherheit über die Zukunft verbietet es, wie gesagt, genaue Kosten-Nutzen-Rechnungen aufzustellen. [63] Aber das Wissen um den Treibhauseffekt und die groben Stellgrößen des Klimas reicht aus, um Folgen einer so hohen Erwärmung in etwa zu prognostizieren. [64] Aufgrund der relativ zweifelsfreien Geltung der Verbindungsthese bei höheren 35Temperaturen [65] erübrigt es sich, folgende auf ICECAP dokumentierte Thesen zu vertiefen:

(a) Der Meeresspiegel sei bis jetzt nicht angestiegen (und damit wird impliziert, das gelte auch in Zukunft);

(b)  es gebe nicht mehr Tote durch Hitzesommer (dito);

(c) es gebe keine Häufung von Wetterextremen (dito);

(d) eine Ausbreitung von Tropenkrankheiten sei durch den Klimawandel nicht zu befürchten (dito). [66]

Diese Aussagen von ICECAP sprechen je eine Folgendimensionen an, die bei ungehemmtem Klimawandel jedenfalls zu erwarten ist. Daher sind die Aussagen (a) bis (d) irrelevant, da sie sich eben auf die Gegenwart und die Vergangenheit beziehen, aber Implikationen über die Zukunft erlauben sollen, die bei Temperaturen über drei Grad falsch sind. Weitere mögliche Schadensdimensionen, die alles andere als vollständig sind, listen der IPCC sowie Rahmstorf, und Schellnhuber auf:

(a) Gletscherschwund: Dieser kann einen Anstieg der Meeresspiegel und einen regionalen Mangel an Trinkwasser bewirken;

(b) Eisschmelze: Eine Folge könnte ein drastischer Rückgang der Eisflächen der Welt sein, wobei das Festlandeis beim Abschmelzen den Meeresspiegel erhöht. Zwar wird das Eis der Antarktis durch zunehmende Schneefallmengen eventuell zunehmen (auch da gibt es aktuelle Forschungen, die das pessimistischer sehen [67]). Aber Sorge bereitet insbesondere Grönlands Eispanzer, von dem befürchtet wird, er könne bei einer Erwärmung über zwei Grad Celsius beginnen irreversibel abzuschmelzen. Der Meeresspiegel könnte langfristig um sieben Meter steigen. [68] James Hansen nimmt einen deutlich höheren Anstieg an, da er nicht von einem linearen Abschmelzungsprozess ausgeht. [69] Zudem können Lebensräume (zum Beispiel von Eisbären) vernichtet werden, und der Klimawandel selbst könnte forciert werden, denn die Eisflächen 36reflektieren Sonnenlicht stärker als das vergleichsweise dunkle Wasser. [70]