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Warum ein Mann
gut angezogen sein soll

Adolf Loos

Warum
ein Mann
gut
angezogen
sein soll

Enthüllendes über
offenbar Verhüllendes

metroverlag

18191  Mit freundlicher Unterstützung
der Kulturabteilung der Stadt Wien, Literaturreferat

Die Orthografie wurde gemäß den Regeln
der alten Rechtschreibung vereinheitlicht.

© 2007 metroverlag – verlagsbüro w. gmbh
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gesamtherstellung: cpi moravia books gmbh
printed in the EU
isbn 978-3-902517-62-3

Inhalt

Lob der Gegenwart

Wäsche

Die Herrenmode

Die Herrenhüte

Die Fußbekleidung

Die Schuhmacher

Damenmode

Kurze Haare

Die Englische Uniform

Antworten von Adolf Loos

Das Prinzip der Bekleidung

Die Frau und das Haus

Von der Sparsamkeit

Vom Nachsalzen

Lob der Gegenwart

Wenn ich die vergangenen Jahrtausende überdenke und mich frage: in welcher Zeit würdest du wohl am liebsten gelebt haben, so sage ich mir: in der heutigen. O ich weiß, gar manchmal war es eine Lust zu leben. Manche Epoche bot diese, manche jene Vorteile. Und vielleicht lebte man in jeder Zeit glücklicher als in der heutigen. Aber in keiner Zeit ging man so schön, gut und praktisch gekleidet wie heute.

Die Idee, daß ich mich am Morgen mit einer Toga drapieren und diese Draperie den ganzen Tag, den ganzen Tag bitte, in derselben Ordnung an mir herumhängen lassen müßte, könnte mich zum Selbstmord treiben. Ich will gehen, gehen, gehen; und wenn mir eine Laus über die Leber läuft, auf einen dahinsausenden Tramwagen aufspringen. Und dann ist sie weg. Die Römer aber gingen nie. Sie standen herum. Und wenn ich mir im Bade das Leintuch umnehme und knote, so ist es schon in fünf Minuten ganz woanders. Solche Nerven habe ich.

Aber das Cinquecento. Sehr gut. Aber ich sollte mich in Samt und Seide stecken und wie ein Jahrmarktsaffe aussehen? Nein.

Da lobe ich mir meine Kleider. Es ist die menschliche Urkleidung. Die Stoffe sind dieselben, aus denen schon Wotan, der Allvater, seinen Mantel trug. Die Theaterschneider färben ihn rot oder blau, aber es war ein schottischer Plaid. Denn schon damals gab es schwarze Schafe, und ihre Wolle gab, vermischt mit der der weißen Schafe, das erste Pfeffer- und Salzgewebe.

Es ist die Urkleidung. Wer kennt nicht die große Enttäuschung, die sich des Reisenden in fernen Kontinenten bemächtigt, wenn er gewahr wird, daß er in bezug auf malerische Kleidungen aufgesessen ist. Denn die Haderlumpen am Tigris und in Chicago, in China und in Kapstadt gehen alle wie die in seinem Heimatsneste angezogen. Und der Bettler zu Semiramis’ Zeiten hatte dieselbe Uniform wie sein heutiger Kollege in Posemukel.

Es ist die Urkleidung. Unsere alten Hosen könnten in jeder Epoche und an jeder Stelle des Erdballs dem Pauper seine Blöße decken, ohne daß dadurch ein fremder Ton in die Zeit oder Landschaft gebracht würde. Diese Kleidung ist nicht modern. Sie war immer mit uns, begleitete uns durch die Jahrtausende. Die großen Herren der vergangenen Zeiten haben sie verachtet und die dümmsten und unästhetischsten Kapriolen gemacht. Aber ein Haderlump ist und war für das Auge immer ästhetisch, ein Ludwig der Vierzehnte nie. Für das Auge, ich sagte nicht für die Nase.

Es ist die Urkleidung. Es ist keine Erfindung. Nicht einmal etwas Gewordenes. War immer mit uns, auch in den embryonalen Zeiten der Menschheit. Von den Müttern stieg sie zu uns hinauf.

Es ist die Kleidung des Reichen am Geiste. Es ist die Kleidung des Selbständigen. Es ist die Kleidung des Menschen, dessen Individualität so stark ist, daß er nicht mehr imstande ist, sie durch Farben, Federn und verzwickte Kleiderschnitte zum Ausdruck zu bringen. Wehe dem Maler, der das durch einen Samtrock kann. Der Künstler resigniert.

Als die Engländer die Weltherrschaft antraten, haben sie, befreit von den Nachahmungen der Affenkostüme, zu denen sie durch die anderen Völker verdammt waren, die Urkleidung dem Erdball aufgezwungen. Die Gewebe hatte das Volk Bacons und Wilhelms des Großen, des Schwans vom Avon durch Jahrtausende treu bewahrt. Und die Form wurde zur Einform, zur Uniform ausgebildet, in der die Individualität ihren Reichtum am besten verbergen kann. Zur Maske.

Es ist die Kleidung des Engländers. Es ist die Kleidung jenes Volkes, das unter allen die stärksten Individualitäten zählt, wo die starke Individualität ohne Vermögen, der Landstreicher, nicht ins Arbeitshaus gesperrt wird, und wo man für ihn Wohlwollen und Interesse zeigt. Wo Arbeit keine Schande, noch weniger aber eine Ehre ist, wo jeder sich betätigen oder nicht betätigen kann, wo jeder nach freiem Willen durch das Leben geht. Der Landstreicher ist die heroischste Äußerung einer starken Individualität. Es gehört kein Heldentum dazu, Geld zu haben und nicht zu arbeiten. Wer aber ohne Geld arbeitslos durchs Leben geht, ist ein Held.

Die Deutschen aber muckten auf. Wohl war Goethe der erste, der sich bewußt englisch trug und die stärkste äußerliche Charakterisierung Werthers ist ein Gewand, in dem wir heute John Bull karikieren. Aber der Deutsche will heute noch nicht. Seine Individualität kann noch durch merkwürdige Kleiderschnitte, durch außergewöhnliche Erfindungen auf diesem Gebiete, durch abenteuerliche Krawatten zum Ausdruck gebracht werden. Innerlich sind sie alle gleich. Jeder von ihnen geht heute in den Tristan, raucht seine fünf Zigarren täglich, geht morgen ins Tingltangl, spricht in gleicher Situation dieselben Sätze (man frage die Prostituierten), trinkt seine gleiche Anzahl Biere zur Erlangung der Bettschwere, erzählt von zwölf Uhr an Mikosch-Witze und legt sich zu seiner Frau. Dafür will er doch individuell gekleidet sein und verachtet die Uniformität des Engländers.

Der aber sauft sich entweder zu Tode oder er hat noch keinen Tropfen über seine Kehle gebracht. Theater, ja selbst Shakespeare ist für diesen Todsünde, für jenen einziger Grund zum Dasein. Es gibt solche unter ihnen, bei denen mit der Befruchtung jede sexuelle Empfindung aufhört, und solche, lange vor Sade, die von den unerhörtesten Lastern überschäumen. Und alle sind gleich angezogen.

Der Engländer kauft eine Krawatte. Packen Sie mir eine um den und den Preis für diese und diese Gelegenheit ein.

Der Deutsche kauft eine Krawatte. Das heißt, soweit sind wir noch nicht. Jeden Bekannten fragt er, wo er seine Krawatte gekauft hat. Tagelang treibt er sich auf der Gasse herum, von Schaufenster zu Schaufenster. Schließlich nimmt er noch einen Bekannten mit, der bei der Auswahl behilflich sein muß. Und hat dann glücklich für zwei Mark am Nationalgeldumsatz beigetragen.

Aber während dieser Zeit hätte der Engländer ein paar Schuhe gemacht oder ein Gedicht oder an der Börse ein Vermögen gewonnen oder eine Frau glücklich oder unglücklich gemacht.

Lasset dem Tschandala seinen individuellen Hosenschnitt. Der Königssohn will unerkannt durch die Straßen schreiten.

Wäsche

Neulich geriet ich mit einem bekannten in Streit. Was ich über kunstgewerbliche Fragen schrieb, wollte er wohl gelten lassen. Aber die Mode- und Bekleidungsthemen gingen ihm gegen den Strich. Er warf mir vor, daß ich die ganze Welt niformieren wolle. Was soll denn dann aus unseren herrlichen Nationaltrachten werden!

Hier wurde er poetisch. Er gedachte seiner Kindheit, gedachte der herrlichen Sonntage in Linz, gedachte des Landvolkes, das festlich geschmückt sich zum Kirchgang versammelte. Wie prächtig, wie schön, wie malerisch! Wie ist das nun alles anders geworden! Nur die alten Leute hielten an der alten Tracht fest. Die jungen aber äffen schon den Stadtleuten nach. Man möge lieber das Volk für die alte Tracht wieder zu gewinnen suchen. Das wäre die Aufgabe eines Kulturliteraten.

»Also diese alte Tracht hat Ihnen gefallen?« warf ich ein. – »Gewiß.« – »Und Sie wünschen daher, daß diese Tracht für ewige Zeiten erhalten bleibe.« – »Das ist mein sehnlichster Wunsch!«

Nun hatte ich ihn, wo ich ihn haben wollte. »Wissen Sie,« sprach ich zu ihm, »daß Sie ein ganz gemeiner, egoistischer Mensch sind. Wissen Sie, daß Sie einen ganzen Stand, einen großen herrlichen Stand, unseren Bauernstand, ausschließen wollen von allen Segnungen der kultur. Und warum? Damit Ihr Auge, sobald sie sich aufs Land begeben, malerisch gekitzelt werde! Warum laufen Sie denn nicht so herum? Ah, Sie möchten sich schönstens bedanken. Aber Sie verlangen von anderen Menschen, daß Sie Ihnen zuliebe in der Landschaft Staffage spielen, um Ihr trunkenes Literatenauge nicht zu beleidigen. Ja, stellen Sie sich doch einmal hin und machen Sie einmal den Wurstl für den Hrn. Kommerzienrat, der unverfälschte Alpen genießen will. Der Bauer hat eine höhere Mission zu erfüllen, als für die Sommerfrischler die Berge stilvoll zu bevölkern. Der Bauer – der Spruch ist schon bald hundert Jahre alt – ist kein Spielzeug!«

Auch ich gebe zu, daß mir die alten Trachten sehr gut gefallen. Das gibt mir aber noch kein Recht, von meinem Nebenmenschen zu verlangen, sie meinetwegen anzulegen. Die Tracht, die in einer bestimmten Form erstarrte Kleidung, die sich nicht mehr weiter entwickelt, ist immer das Zeichen, daß ihr Träger es aufgegeben hat, seinen Zustand zu verändern. Die Tracht ist die Verkörperung der Resignation. Sie sagt: Ich muß es aufgeben, mir im Kampfe um das Dasein eine bessere Stellung zu erobern, ich muß es aufgeben, mich weiter zu entwickeln. Als der Bauer noch frisch und fröhlich kämpfte, als er von den grünsten Hoffnungen erfüllt war, da wäre es ihm nicht im Traume eingefallen, denselben Rock anzuziehen, den sein Großvater getragen hatte. Das Mittelalter, die Bauernkriege, die Renaissance, kennen das starre Festhalten an den Kleidungsformen nicht. Der Unterschied zwischen der Kleidung des Städters und des Bauern wurde nur durch die verschiedene Lebensführung bedingt. Städter und Bauer verhielten sich damals zu einander wie heute Städter und Farmer.

Da verlor der Bauer seine Selbständigkeit. Er wurde zum Leibeigenen. Leibeigener mußte er bleiben, er und seine Kindeskinder. Wozu sollte er sich da anstrengen, sich durch sein Kleid über seine Umgebung zu erheben, also eine Änderung in seiner Kleidung herbeizuführen? Es nützte ja doch nicht. Der Bauernstand wurde zur Kaste, dem Bauer jede Hoffnung abgeschnitten, diese Kaste zu verlassen. Völker, die sich in Kasten gesondert haben, haben diesen Zug alle gemeinsam, das starre, jahrtausendlange Festhalten an der Tracht.

Dann wurde der Bauer frei. Aber nur äußerlich. Innerlich fühlt er sich doch noch dem Städter gegenüber minderwertig. Das sind die Herren. Die jahrhundertelange Knechtschaft liegt ihm noch zu sehr in den Gliedern.

Nun aber kommt eine neue Generation. Die hat der Tracht den Krieg erklärt. Dabei hat sie eine gute Verbündete, die Dreschmaschine. Wo die einmal ihren Einzug hält, ist es für immer mit dem malerischen Plunder vorbei. Der geht nun dahin, wo er hingehört: In die Maskenleihanstalt.

Das sind herzlose Worte. Sie müssen aber ausgesprochen werden, weil in Österreich zufolge einer falschen Sentimentalität sich sogar Vereine gebildet haben, die bestrebt sind, dem Bauer das Brandmal seiner Knechtschaft zu erhalten. Und doch hätten wir Vereine, welche den umgekehrten Weg einschlagen, viel notwendiger. Denn von der Kleidung wie sie die großen Kulturvölker tragen, sind auch wir Städter noch weit entfernt. Äußerlich sehen wir ja ganz passabel aus. Da können wir es schon mit den anderen aufnehmen. Wir können es, wenn wir uns von einem ersten Wiener Schneider anziehen lassen, schon zuwege bringen, auf Londoner, New Yorker und Pekinger Pflaster für zivilisierte Europäer gehalten zu werden. Wehe uns aber, wenn uns die Oberfläche der Bekleidung Stück für Stück abfiele und wir in der Wäsche dastünden! Da würde man gewahr werden, daß wir unsere europäische Kleidung nur wie einen Maskenzug anlegen, denn unter derselben tragen wir noch die nationale Tracht.

Aber entweder – oder. Wir müssen uns entschließen. Entweder wir haben den Mut der Überzeugung, uns von der übrigen Menschheit abzusondern und legen eine Nationaltracht an. Oder aber, wir wollen uns an die übrige Menschheit halten und kleiden uns wie diese. Äußerlich aber den modernen Kulturmenschen spielen zu wollen und mit jenen Kleidungsstücken, die dem fremden Blicke erreichbar sind, anderen die Augen auszuwischen, zeigt nicht von vornehmer Denkungsart.

Während uns in der Oberkleidung eine ganze Welt von dem Landmann trennt, unterscheidet sich unsere Unterkleidung, unsere Wäsche in nichts von der des Bauern. In Ungarn trägt man dieselben Unterhosen wie der Csikos, in Wien dieselben, die der niederösterreichische Bauer trägt. Was ist es nun, was uns so sehr in der Wäsche von den übrigen Kulturvölkern trennt?

Es ist die Tatsache, daß wir um mindestens 50 Jahre hinter dem Stadium zurückstehen, das England gegenwärtig der gewirkten Wäsche gegen die gewebte Wäsche erkämpft hat. In der Oberkleidung haben wir ja im Laufe dieses Jahrhunderts keine großen Umwälzungen zu verzeichnen. Um so einschneidender sind sie in der Unterkleidung. Vor hundert Jahren noch hüllte man sich ganz in Leinwand. Im Laufe dieses Jahrhunderts aber ist man schrittweise daran gegangen, dem Wirkwarenerzeuger wieder sein Gebiet zurückzuerstatten. Schrittweise ging man vor, das heißt von Körperteil zu Körperteil. Man begann mit den Füßen und ging nach aufwärts. Gegenwärtig gehört dem Wirker der ganze Unterkörper, während sich der Oberkörper noch gefallen lassen muß, daß das Trikothemd durch ein Leinwandhemd verkleidet wird.

Man begann mit den Füßen. Auf diesem Standpunkte stehen wir nun auch. Auch wir tragen keine Fußlappen mehr, sondern Strümpfe. Aber wir tragen noch Leinwandunterhosen, einen Artikel, der in England und Amerika schon ausgestorben ist.