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In diesem Werk, das in einer Reihe steht mit seiner ›Summa Technologiae‹ (1976) und ›Phantastik und Futurologie‹ (1977), unternimmt Stanisław Lem eine Neuschöpfung der sokratischen Dialoge, sokratischer Dialoge in einer Zeit, in der die traditionellen Themen der Philosophie, Theologie und Gesellschaftstheorie, vor allem unter dem Einfluß der Kybernetik, eine neue Darstellung erfahren. Die in der Zukunft liegenden Konsequenzen, die die weiter fortschreitende Konstruktion von Computern zeitigen werden – von einem eventuell möglichen ewigen Leben des Individuums bis zur Konstruktion neuer Gesellschaftsformationen –, suchen diese Dialoge zu explorieren und zu bewerten. »Nicht die verschiedenen phantastischen Bücher bildeten den Inhalt meines geistigen Lebens, sondern die Fragen, die ich in den ›Dialogen‹ ausgesprochen habe – Fragen nach den kausalen Ursachen des Lebens, des Bewußtseins und des Todes, nach der Formbarkeit der Intelligenz, nach den Grenzen dessen, was wir zu tun vermögen, danach, ob gesellschaftliche Mängel überwindbar sind oder ob man in den verschiedenen gesellschaftlichen Formationen nur das eine Unglück gegen das andere austauschen kann.«

Stanisław Lem wurde am 12. September 1921 im polnischen Lwów (Lemberg) geboren, lebte zuletzt in Krakau, wo er am 27. März 2006 starb. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er als Übersetzer und freier Schriftsteller. Er wandte sich früh dem Genre Science-fiction zu, verfaßte aber auch gewichtige theoretische Abhandlungen und Essays zur Kybernetik, Literaturtheorie und Futurologie. Stanisław Lem zählt zu den bekanntesten und meistübersetzten Autoren Polens. Viele seiner Werke wurden verfilmt.

STANISŁAW LEM

DIALOGE

Autorisierte Übersetzung aus dem Polnischen
von Jens Reuter

Mit einem Nachwort des Autors

Suhrkamp

Titel der Originalausgabe: Dialogi

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2013

© Stanisław Lem 1957

© der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1980

Deutsche Erstausgabe

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile

Umschlaggestaltung: Willy Fleckhaus

eISBN 978-3-518-74315-7

www.suhrkamp.de

I

PHILONOUS Sei mir gegrüßt, lieber Freund. Worüber sinnst du nach so ganz allein in diesem schönen Park?

HYLAS Ach, du bist’s? Ich freue mich, dich zu sehen. Diese Nacht habe ich in harter Arbeit einen Gedanken entwickelt, der der Menschheit unendlich viel verheißt.

PHILONOUS Was ist denn das für ein wertvoller Gedanke?

HYLAS Ich bin zur Überzeugung gekommen (die eigentlich Gewißheit ist), daß die Menschen dermaleinst die Unsterblichkeit erlangen werden.

PHILONOUS Hör ich richtig? Wie denn das, du bist doch nicht etwa dem Materialismus untreu geworden, den du bisher gepredigt hast?

HYLAS Nie und nimmer. Mein Gedanke kollidiert nicht im geringsten mit dem Materialismus, ganz im Gegenteil, er geht notwendig aus ihm hervor.

PHILONOUS Ich bin ganz Ohr. Laß hören, mein Freund.

HYLAS Wie dir bekannt ist, existiert über die Materie hinaus nichts. Diese Wolken, diese herbstlichen Bäume, diese blaßgelbe Sonne, wir selbst schließlich – all das sind materielle Gegenstände, das heißt Ansammlungen von Atomen; die verschiedenartigen Eigenschaften der Körper jedoch entspringen dem Unterschied ihrer atomaren Strukturen. Denn es sind die gleichen Sauerstoff-, Kohlenstoff- oder Eisenatome, ob sie sich nun in Steinen, Blättern oder unserem Blut befinden. Diese Gebilde unterscheiden sich einzig und allein durch ihren Aufbau, durch die unterschiedliche Position ihrer Teilchen, das heißt durch ihre Struktur. Daher kann man ganz generell sagen, daß einzig Atome und ihre Strukturen existieren. Also habe ich mir die Frage vorgelegt, was die Ursache dafür ist, daß ich mich trotz all der Jahre, die inzwischen vergangen sind, immer noch als der gleiche Hylas fühle, der hier als kleiner Junge gespielt hat. Ist dieses Gefühl der individuellen Identität – fragte ich mich – durch die Identität des Baustoffs meines Körpers hervorgerufen, das heißt der Atome, aus denen er zusammengesetzt ist? So kann es jedoch keinesfalls sein. Denn es ist ja aus den Naturwissenschaften bekannt, daß sich die Atome unseres Körpers dank der Speisen und Getränke, die wir zu uns nehmen, und der Luft, die wir atmen, unaufhörlich erneuern. Knochen, Nerven- und Hautzellen wechseln ihre Atome pausenlos aus, und zwar so schnell, daß alle materiellen Teilchen, aus denen mein Organismus zusammengesetzt war, jeweils nach Ablauf einiger Wochen in den Wellen eines Flusses oder in den Wolken schweben; ich aber existiere gleichwohl weiter und spüre die Kontinuität meiner Persönlichkeit. Wem verdanke ich das? Ganz sicher meiner nicht veränderten atomaren Struktur. Bedenke nur, daß die neuen Atome meines Körpers nicht dieselben sind, die noch vor einem Monat in ihm steckten, sie sind jedoch die gleichen, und das genügt voll und ganz. So statuiere ich also: Die Identität meiner Existenz hängt von der Identität meiner Struktur ab.

PHILONOUS Einverstanden. Und weiter?

HYLAS Die Menschen der Zukunft werden bessere und immer getreuere Kopien von den atomaren Strukturen aller materiellen Produkte der Schöpfung anfertigen. Schon jetzt können sie künstliche Diamanten herstellen oder Saphire, künstlichen Harnstoff und sogar künstliches in Retorten synthetisiertes Eiweiß. Zweifellos werden sie eines Tages die Kunst beherrschen, zunächst die Moleküle des lebenden Körpers und dann ihn selbst – aus Atomen zu bauen. In diesem Moment haben sie die Unsterblichkeit gewonnen, denn sie werden in der Lage sein, jeden Verstorbenen ins Leben zurückzurufen, und zwar durch die perfekte Anordnung der Atome entsprechend der Struktur, die sein Körper zu Lebzeiten aufwies. Dieser Prozeß der Auferstehung wird – wie ich meine – im Inneren einer Maschine vor sich gehen, in die das entsprechende Schema eingegeben wird, eine Art Bauplan, das heißt die Strukturformel eines bestimmten Menschen, nach der die Maschine aus Atomen Eiweißmoleküle baut, Zellen, Sehnen, Nerven – und schon tritt dieser Mensch aus der Maschine heraus, froh und munter sowie bei bester Gesundheit. Na, was sagst du dazu?

PHILONOUS Ich sage, daß man das Problem von allen Seiten erörtern muß.

HYLAS Was gibt es da noch zu erörtern? Eine derartige Maschine vermögen wir heute noch nicht zu bauen, der Fortschritt der Wissenschaften gibt uns jedoch die Gewißheit, daß sie einmal gebaut werden wird, und für uns Philosophen ist es nicht wichtig, ob das in tausend oder einer Million Jahren der Fall sein wird. Wie ich bereits sagte, in der Natur kannst du über die Atome und ihre Strukturen hinaus nichts finden. Es gibt insbesondere keine unsterbliche Seele, die, den Toten verlassend, ins Jenseits entschwebt. So wird folglich derjenige, der die Kunst beherrscht, die Atome längst vermoderter Körper wieder gemäß ihrer Struktur zusammenzusetzen, eo ipso diese Körper in ihrer ursprünglichen Gestalt und ihren Funktionen ins Leben zurückrufen können. Wer aber den Körper eines bereits verstorbenen Menschen erneut aus Atomen zusammengesetzt hat – der wird ihn vor sich haben in der Fülle seines Lebens, obwohl jener bereits vor Jahrhunderten zu Grabe getragen wurde ...

PHILONOUS Meinst du? Ausgezeichnet. Erlaubst du, daß ich dir zur Erforschung der Spezifika deiner Maschine, die aus Atomen wieder zum Leben erweckt, Fragen stelle, auf die du mir Antwort geben wirst?

HYLAS Gern bin ich damit einverstanden.

PHILONOUS Prächtig. Stelle dir vor, Hylas, daß du heute sterben mußt, denn du befindest dich in der Gewalt eines Tyrannen, der den unumstößlichen Beschluß gefaßt hat, dich zu töten und dazu alle Möglichkeiten besitzt. Der Zeitpunkt deiner Exekution ist auf sieben Uhr morgens festgelegt. Um sechs, das heißt gerade jetzt, begibst du dich von Trauer und Angst gemartert auf deinen letzten Spaziergang vor dem Tode, triffst mich und erzählst mir von deinem Unglück.

Bist du bereit, einen derartigen Ausgangspunkt für unsere Disputation über diese fiktive Situation zu akzeptieren, in der du zum Tode verurteilt bist, ich aber – dein Freund bin, der dir helfen will und zugleich Erfinder der Maschine, die aus Atomen wieder zum Leben erwecken kann?

HYLAS Ich bin bereit. Sprich.

PHILONOUS Mein armer Hylas, du mußt sterben, o weh, das ist entsetzlich! Aber nicht wahr, du bist doch Materialist?

HYLAS So ist es.

PHILONOUS Das trifft sich ausgezeichnet. Ich habe soeben die Konstruktion der Maschine vollendet, über die wir in letzter Zeit so viel gesprochen haben. Die Kopien, die ich mit ihrer Hilfe anfertige, unterscheiden sich durch nichts von den Originalen. Der Mensch, den meine Maschine aus Atomen zusammensetzt, weist nicht nur in seiner sterblichen Hülle keinerlei Abweichungen vom Original auf, sondern er besitzt auch sämtliche geistigen Eigenschaften desselben; um ein Beispiel zu nennen, möchte ich nur das Gedächtnis erwähnen – wie du weißt, beruht es auf bestimmten individuellen Eigenschaften der Struktur des Gehirns. Meine Maschine liefert eine Kopie vom Aufbau des Gehirns präzis bis ins kleinste Detail, also auch mit dem Gedächtnis an vergangene Ereignisse und die damit verbundenen Gedanken, Erinnerungen und Wünsche. Kurz gesagt, lieber Hylas, wenn du in einer Stunde der Gewalt zum Opfer fällst und gestorben bist, so wird deine sterbliche Hülle noch nicht erkaltet sein, da setze ich schon die Maschine in Gang und aus den gleichen Atomen, aus denen dein Körper jetzt zusammengesetzt ist, baue ich einen lebendigen, einen denkenden Hylas. Ich bürge dir dafür. Na, was sagst du, freust du dich?

HYLAS Aber ja, dreimal ja, selbstverständlich. Du brauchst nur meine atomare Struktur zu erforschen, um sie dann der Maschine einzugeben.

PHILONOUS Versteht sich. Erlaube jedoch, mein Freund, daß ich dich in deiner Sicherheit, den Tod zu überleben, noch bestärke. Du kennst mich, glaubst meinen Worten, meinen Versicherungen, hinfällig jedoch sind die Werke von Menschenhand, Gewißheit ist hier mithin unerläßlich. Erlaube daher, daß ich diesen Hylas, der deine Fortsetzung, deine Kontinuation, sein soll, schon jetzt schaffe. Er wird deinen Tod abwarten, bist du aber gestorben, werde ich mich gemeinsam mit ihm, das heißt mit dir, den Freuden des wiedererweckten Lebens hingeben.

HYLAS Was redest du da, Philonous?

PHILONOUS Du hast schon richtig gehört: Um deine Gewißheit zu erhöhen, werde ich deine Kopie bereits jetzt anfertigen ...

HYLAS Aber das ist doch Unsinn!

PHILONOUS Aber weshalb denn?

HYLAS Das wäre ja ein von mir ganz losgelöstes, ein fremdes Wesen!

PHILONOUS Meinst du?

HYLAS Ja, wie denn sonst? Dieser Mensch kann und wird mir unendlich ähnlich sein, alle werden ihn für mich halten, er wird dieselben Empfindungen haben wie ich, dieselben Wünsche und Neigungen, sogar die Arbeiten, die von mir begonnen wurden, kann er in meinem Geist zu Ende führen, aber das werde doch nicht ich sein! Das ist ein Doppelgänger, gleichsam ein Zwilling, ich aber sterbe für immer!

PHILONOUS Woher nimmst du diese Gewißheit?

HYLAS Nun daher, daß ich, wenn du ihn jetzt gleich erschaffst, und er dann unter uns weilen wird, von ihm als »er« sprechen werde, wie von jedem anderen Menschen, und daß ich ihn sehen werde, der äußerlich ich selbst ist – und doch wird er ein anderes, von mir losgelöstes, fremdes Wesen sein, wie jeder Mensch, und die Tatsache, daß er mir gleicht wie ein Ei dem anderen, kann mir meinen Tod nicht im geringsten versüßen. Freilich, für die, die weiterleben, für meine Freunde, meine Verwandten, wird er eine vollkommen perfekte Vortäuschung meiner Existenz sein, ich aber – ich werde sterben und nicht weiterleben.

PHILONOUS Woher diese Gewißheit?

HYLAS Du kannst in dieser Sache nicht die geringsten Zweifel haben, Philonous, nur auf die Probe stellen willst du mich. Gleichwohl, wenn ich dieses feuchte, welke Blatt hier von der Erde aufhöbe und es diesem »zweiten Hylas« reichte, angenommen, er stünde neben uns, so wäre es doch er, der seinen herben und angenehmen Duft einatmen und verspüren würde, nicht aber ich. Und ähnlich verhielte sich die Sache auch nach meinem Tode, denn infolge meines Ablebens würde sich bei ihm ja nichts verändern, nichts Neues eintreten. Er wird weiterhin auf der Welt sein, sich ihrer Schönheit erfreuen, ich hingegen werde vollends aufhören zu existieren.

PHILONOUS So? Hm, was also tun? Sag mir, was soll ich mit der Maschine tun, um dir die Auferstehung zu sichern?

HYLAS Das ist ganz einfach. Du brauchst meine lebendige und denkende Kopie nur nach meinem Tode herzustellen.

PHILONOUS Meinst du wirklich?

HYLAS Ja.

PHILONOUS Die nach deinem Ableben angefertigte Kopie wird mit dir identisch sein, die vor deinem Tode angefertigte aber nicht, sie wird zwar ein Mensch sein, der dir über alle Maßen ähnlich ist, dennoch aber ein anderer? Worin liegt denn nun der Unterschied zwischen diesen beiden Wesen? Erklär mir das bitte!

HYLAS Erstens, jener vor meinem Ableben Erschaffene wird meiner ansichtig geworden sein, wie ich seiner; er wird wissen, daß ich zugrunde gehe, während er gerade erschaffen wurde, er wird ...

PHILONOUS Wenn das deine ganze Sorge ist, der kann ich dich entheben: Die Kopie wird in dem einen wie dem anderen Falle dank eines Schlaftrunks selig schlummern und erst nach deinem Ableben wieder erwachen, also wird sie nichts über die unliebsamen Begleitumstände deines Endes erfahren, noch darüber, wie sie selbst das Licht der Welt erblickt hat.

HYLAS Nein, nicht darum geht es. Ich war, wie ich sehe, nicht vorsichtig genug, Philonous. Diesem Problem muß man sich mit dem scharfen Instrument des Verstandes nähern. Unmittelbar nach meinem Tode, wenn ich aufgehört habe zu existieren, wird es auf der ganzen Welt keine Methode geben, nach der man feststellen könnte, daß nicht ich es bin, sondern nur meine Kopie. Ist es nicht so?

PHILONOUS So ist es.

HYLAS Hättest du die Kopie aber früher angefertigt, so könnte man mit Leichtigkeit feststellen, daß sie nicht mit mir identisch ist, und zwar deshalb, weil die Kopie neben mir existieren würde, an einer anderen Stelle des Raumes. Das wäre folglich eine Koexistenz, die ipso facto die Kontinuation ausschließt. Ja, jetzt sehe ich, wo der Irrtum gesteckt hat. Die nach meinem Ableben erschaffene Kopie, das bin ich, die vor meinem Tode erschaffene – das ist ein anderer, ein fremder, von mir losgelöster Mensch. Sage nicht, daß du den Moment seiner Erschaffung beliebig in der Zeit verschieben kannst, so daß es schließlich der millionste Teil einer Sekunde sein wird, der zwischen meiner Auferstehung und der Erschaffung meines mir fremden Doppelgängers liegt. Sag das nicht, denn obwohl die Sache merkwürdig erscheint, muß sie sich so verhalten. Eine besondere Situation zieht besondere Konsequenzen nach sich.

PHILONOUS Gut. Du sagst also, daß eine Kopie, die vor deinem Ableben aus Atomen zusammengesetzt wurde, ein dir völlig fremder Mensch sein wird, mit dem dich nichts anderes verbindet als eine außerordentliche Ähnlichkeit. Eine Kopie jedoch, die nach deinem Ableben angefertigt wurde, wird deine Kontinuation sein, das heißt du selbst, nicht wahr?

HYLAS Ja.

PHILONOUS Darf man erfahren, wodurch sich diese Kopien voneinander unterscheiden?

HYLAS Durch den Zeitpunkt, zu dem sie entstanden sind. Eine parallele Existenz von mir und der Kopie schließt die Kontinuation aus, ihre Existenz aber in der Zeit nach mir, nach meinem Ableben, macht sie möglich.

PHILONOUS Die Existenz der Kopie nach deinem Ableben macht deine Kontinuation möglich, sagst du? Ausgezeichnet. So nimm jetzt zur Kenntnis, welchen Tod der Tyrann dir zugedacht hat. Einen Becher mit tödlichem Gift wirst du leeren. Die Agonie wird eine Stunde dauern. Wann soll ich nun die Maschine in Gang setzen?

HYLAS Wenn ich gänzlich zu leben aufgehört habe.

PHILONOUS Wenn ich dann die Kopie angefertigt habe, wird sie deine Kontinuation, das heißt du selbst sein?

HYLAS Wenn sie nach meinem Tode angefertigt ist, ja.

PHILONOUS Ausgezeichnet. Wenn aber der boshafte Tyrann seinen Medici befiehlt, dich, der du an dem Gift gestorben bist, wieder lebendig zu machen, und zwar dadurch, daß man eine Gänsefeder in deinen Hals steckt und dir ein Gegengift einflößt, was ist dann? Die Kopie, welche die Maschine nach deinem Tode anfertigte, war – wie du selbst gesagt hast – du. Hört denn diese Kopie jetzt, da man dich wieder lebendig gemacht hat, plötzlich auf, du zu sein und verändert sich mit einem Schlage in einen Menschen, der dir völlig fremd ist?

HYLAS Wie wäre das möglich, mich, einen Toten, wieder lebendig zu machen?

PHILONOUS Das wäre sicherlich leichter, als eine Maschine zu konstruieren, die aus Atomen wieder zum Leben erweckt. Diskutieren wir technische oder philosophische Einzelheiten, lieber Hylas? Ist es denn aus irgendeinem Grunde prinzipiell unmöglich, einen frisch Verstorbenen wieder zum Leben zu bringen? Können die Chirurgen nicht schon heute einen auf dem Operationstisch Gestorbenen wieder lebendig machen? Weißt du etwa nichts davon? Bitte sag mir, wie es sich mit der Kopie verhält, die bereits deine Kontinuation war, was mit ihr in dem Moment passiert, in dem du dank eines Gegengifts wieder zum Leben erwacht bist? Vielleicht aber wirst nicht mehr du selbst in deinem ursprünglichen Körper zum Leben erwachen, sondern ein ganz anderer?

HYLAS Ausgeschlossen. Es ist völlig klar, daß ich in dem Körper wieder zum Leben erwache, den der Tyrann durch Gift seines Lebens beraubt hatte. In diesem Moment wird die Kopie notwendigerweise aufhören, meine Kontinuation zu sein.

PHILONOUS So, meinst du? Überleg doch einmal, Hylas. Kannst du dir vorstellen, daß gerade du diese Kopie bist? Also nehmen wir einmal an, ich zeige dir die Maschine und sage, daß du gerade in diesem Moment aus ihrem Inneren hervorgegangen bist. Du fühlst dich natürlich Zoll für Zoll als Hylas – denn die Maschine hat dich glänzend reproduziert. Nun stell dir vor, daß »jener Hylas«, der sich in der Hand des Tyrannen befand, vor einer Stunde vergiftet wurde, jetzt aber haben ihn die Medici gerade durch ein Gegengift ins Leben zurückgeholt. Spürst du irgendeine Veränderung deiner Persönlichkeit infolge dieses fernen Ereignisses?

HYLAS Nein.

PHILONOUS Na, siehst du. Die Kopie ist ein lebendiger, normaler Mensch (das folgt aus den Prämissen), und in ihr können keinerlei Veränderungen vor sich gehen, die damit zusammenhängen, was mit dem »Original« geschieht. Ob man diesem Gift einflößt oder auch ein Gegengift – die Kopie wird davon weder betroffen noch verändert. So können wir also sagen: Ebenso, wie es keinerlei ursächlichen Zusammenhang gibt zwischen dir, all den Höhen und Tiefen deines Lebens, und jenem Hylas, der von einer Maschine erschaffen wurde – ob nun für ein Jahr, dein Leben lang oder erst nach deinem Ableben – genau so ist er für dich ein fremder Mensch, der nichts mit dir gemein hat, außer einer erstaunlichen Ähnlichkeit. Daß deine zur Kopie parallele Existenz die Kontinuation ausschließt – damit bin ich einverstanden. Ob die nach deiner Vernichtung entstandene Kopie jedoch wirklich du bist, und ob eine derartige Möglichkeit dir somit die Chance eröffnet, erneut zum Leben zu erwachen – dafür muß der Beweis erst noch erbracht werden. Bisher jedenfalls spricht alles gegen ein derartiges Verständnis der Sache.

HYLAS So warte doch. Seltsam, wie du die Dinge verwirrt hast. Sieh hier, mein Körper. Wenn er zugrundegegangen und vernichtet ist, so wird in Zukunft eine analoge Struktur entstehen können ... aha! Ich hab’s! Ich weiß schon! Man muß mit der Herstellung der Kopie warten, bis mein Körper aufgehört hat zu existieren, bis seine Struktur gänzlich vergangen ist.

PHILONOUS Folglich ist dafür, ob du wieder zum Leben erwachst, entscheidend, ob deine sterbliche Hülle gründlich verwest ist oder nicht, wenn ich dich richtig verstehe? Deine Auferstehung ist somit vom Tempo abhängig, in dem sich deine Gebeine zersetzen. Wenn aber der Tyrann befiehlt, dich einbalsamieren zu lassen, wirst du niemals wieder lebendig werden, hab ich recht?

HYLAS Nein, zum Teufel, das hast du nicht. Wie ich sehe, muß man bei dem ganzen Gedankengang lebendige Wesen aus dem Spiel lassen. In die Aussagen über Menschen schleicht sich offensichtlich irgendein störender Faktor – ein Faktor der Angst oder der Unruhe – ein. Erörtern wir die ganze Sache anhand toter Gegenstände. Ich habe hier ein wertvolles Kamee, aus Elfenbein geschnitzt. Nehmen wir an, daß ich es zu Atomen pulverisiere und dann aus eben diesen Atomen eine nicht zu unterscheidende Kopie anfertige. Wie sieht die Sache dann aus? Ich sehe sie so: Wenn wir verabredet haben, daß die Kopie die Kontinuation des Originals sein soll, so wird sie es sein. Wenn wir statt dessen darauf erkennen, daß sie es nicht ist, so wird sie keine Kontinuation sein. Die Entscheidung hängt ausschließlich von unserer Verabredung ab, denn wenn wir das »frühere« und das »spätere« Kamee untersuchen, können wir keinerlei Unterschiede zwischen ihnen feststellen – da beide ex definitione die gleichen sind.

PHILONOUS Endlich hast du Licht auf das Problem geworfen. Deine letzte Schlußfolgerung lautet auf den Menschen angewendet wie folgt: Wenn du um die siebte Stunde gestorben bist, und ich dich aus Atomen rekonstruiert habe, so wirst du – je nachdem, wie wir uns vorher verabredet haben – weiterleben oder nicht weiterleben. Erscheint dir das nicht auch völlig unsinnig? Wenn du aber auf dem Operationstisch unter dem Messer des Chirurgen gestorben bist, und es gelingt der ärztlichen Kunst dennoch, dich wieder ins Leben zurückzurufen, wirst du auch dann sagen, daß du lebst oder auch nicht mehr lebst, je nachdem wie wir uns verabredet haben?

HYLAS Die Schwierigkeit liegt, wie ich sehe, darin, daß in bezug auf sämtliche, objektiv um mich herum existierenden Dinge eine beliebig getroffene Verabredung (Konvention) über das Problem ihrer Kontinuation entscheidet. Wenn ich mich jedoch selbst einem analogen Experiment unterziehe, so bringt allein der Abschluß einer Konvention nichts als Unsinn hervor. Ich verstehe nicht, warum das so ist! Denn der Mensch ist doch ebenso eine materielle Sache wie ein Felsbrocken, eine Flachsfaser oder ein Stück Metall!

PHILONOUS Ich will dir den Quell aufzeigen, aus dem deine Verwirrung entspringt. Wenn wir uns daran machen, die Kontinuation irgendeines Gegenstands festzustellen, so wählen wir gleichzeitig konkrete Kriterien, die darüber entscheiden, ob tatsächlich eine Kontinuation vorliegt, d. h. ob ein und derselbe Gegenstand jetzt wie ehedem unverändert andauert. Wenn wir den Stand der Dinge definieren, wählen wir also implicite (manchmal auch explicite) Methoden, die diesen Stand feststellen sollen. Mein Bewußtsein hingegen ist mir unmittelbar gegeben, und absolut nicht von mir hängt die Wahl der Methode ab, die überprüfen soll, ob ich zu diesem Zeitpunkt bewußt bin oder nicht. Was andere Menschen anbelangt, so können sie mich als Objekt behandeln und zur Frage meiner etwaigen Existenz nach meinem Tode und nach meiner Rekonstruktion aus Atomen Verabredungen treffen. Ich jedoch bin der einzige, der das nicht tun kann. Hier geht es um ein allgemeines, methodologisches Problem. Jeder beliebige Körper offenbart uns seine verschiedenen Eigenschaften in Abhängigkeit davon, mit welcher Methode wir ihn untersuchen. Das menschliche Bewußtsein jedoch offenbart sich seinem Träger auf die unmittelbarste, ursprünglichste, augenscheinlichste Weise, ohne die Anwendung irgendeiner Methode oder – wenn du so willst – durch »die gleiche Methode« für alle bewußten, normalen Menschen. Abgrundtiefe Zweifel kann man hegen, was die Struktur und den Entstehungsmechanismus des Bewußtseins anbelangt, seine Existenz jedoch in identischer Gestalt bei einem gegebenen Individuum läßt sich nicht leugnen.

HYLAS Weißt du was? Ich glaube, du stellst mir die falschen Fragen. Das ganze Problem ist falsch gestellt, da es auf ein argumentum ad hominem hinausläuft. Du fragst mich nach künftigen Dingen, die ich mir ausdenken muß, da sie noch kein Mensch erlebt hat. Damit jedoch nicht genug: Wesentlich sind hier nur meine prämortalen Aussagen, denn wenn ich gestorben bin, und du nach meinem Tode die in der Maschine geschaffene Kopie befragst, ob sie ich ist, so wird sie natürlich mit ja antworten, wird behaupten, sie sei Hylas, derselbe, der hier mit dir dieses Gespräch geführt hat. So ist denn alles, was ich zum Thema der Zukunft gesagt habe, die für mich nach meinem Tode und der Neuschaffung meines Körpers aus Atomen anbrechen soll, vor allem aber das, was ich zum Thema, ob ich weiterleben werde oder nicht, geäußert habe, so sind all das, lieber Philonous, nur meine subjektiven Vorstellungen, Erwartungen, Gedanken, Vorgefühle, Zweifel und nichts sonst.

PHILONOUS Wie ist das zu verstehen? Dann ruft die Maschine die Toten also nicht in ein neues Leben zurück?

HYLAS Das habe ich nicht gesagt. Ich weiß nicht, wie die Sache sich verhält. Wissenschaftlich läßt sich hier jedoch nichts beweisen. Kein entscheidendes Experiment kann durchgeführt werden, denn auf Befragen wird die Kopie behaupten, daß sie ich ist, und einen Weg, um in Erfahrung zu bringen, ob sie nicht nur ein Doppelgänger ist, gibt es nicht und wird es nicht geben. Will man also den Boden der empirischen Wissenschaften nicht verlassen, so muß man das ganze Problem für ein Scheinproblem erklären, jetzt und immerdar, und meine oder die Aussagen anderer Personen können lediglich von bestimmten besonderen Eigenschaften des menschlichen Geistes Zeugnis ablegen, sagen hingegen nichts über künftige Ereignisse. Wenn es aber den Anschein hat, daß sie es dennoch tun, so handelt es sich um einen Mißbrauch der Sprache, und um nichts anderes. Ja, Philonous, es ist ein Scheinproblem, dessen bin ich jetzt ganz sicher.

PHILONOUS Du hast recht, empirisch läßt sich das Problem nicht lösen. Denn selbst wenn die Maschine hier vor uns stünde, wenn du bereit wärst, dich dem Experiment zu unterziehen und nach deiner Ermordung wieder zum Leben erwachtest, so bliebe ungewiß, ob du es wärst, der da von den Toten auferstanden ist oder nur ein dir ähnlicher Mensch, gleichsam ein Zwilling. Hier haben wir den logisch exakten Fall einer Alternative vor uns: Entweder ist die Kopie die Kontinuation des Originals oder sie ist es nicht. Aus jeder Eventualität gehen – wenn wir eine davon für wahr halten – bestimmte Schlußfolgerungen hervor. Wenn diese Schlußfolgerungen zu einem logischen Widerspruch führen, müssen wir sie verwerfen, gemeinsam mit der Auflösung der Alternative, die sie hervorgebracht hat. Auf diese Weise werden wir die Möglichkeit entdecken, die von logischen Widersprüchen frei ist und diese als diejenige anerkennen, die mit Gewißheit der Wirklichkeit entspricht. In jedem Falle, ein Scheinproblem ist es meiner Meinung nach nicht. Ein Scheinproblem ist ein Problem, das es überhaupt nicht gibt. Wenn es das besagte Problem nicht gibt, so hast du keinerlei Anlaß, dir darüber Sorgen zu machen, was sich um die siebte Stunde aufgrund der Pläne des grausamen Tyrannen ereignen wird.

HYLAS Du scherzt, Philonous, das Problem jedoch ist schwierig und verdient eine sachliche Betrachtung. Als zum Tode Verurteilter mache ich mir Sorgen, denn meine festgesetzte Hinrichtung ist ein Faktum, das stattfinden soll, und kein Scheinproblem, die von mir aufgezeigte und zuvor als unerschütterlich anerkannte Möglichkeit der Wiederauferstehung hingegen enthält Geheimnisse, die bisher noch von niemandem verstanden, geschweige denn enträtselt wurden. Versuchen wir das Problem der Kontinuation am Beispiel eines Menschen zu betrachten. Nehmen wir an, es existiert ein Mensch X, und wir schaffen zu seinen Lebzeiten mit Hilfe der Maschine eine Kopie, die wir X’ nennen. X und X’ haben dasselbe Gefühl ihrer Identität und auch dieselben Erinnerungen gespeichert. Der eine antwortet auf Befragen, er habe dasselbe erlebt wie der andere. Jedoch in Wirklichkeit hat nur X das erlebt, wovon er spricht, X’ hingegen kommt dies nur so vor. Also zeugt von der Identität eines Menschen nicht nur seine atomare Struktur, sondern auch die genetische Verbindung seiner gegenwärtigen Struktur mit seiner vorherigen Struktur. Somit haben wir für unsere Untersuchungen den Begriff der Identität gerettet, indem wir das genetische Element zu einem Bestandteil dieses Begriffs gemacht haben. Diese Identität kann man nach Lewin als Genidentität bezeichnen.

PHILONOUS Mit Vergnügen habe ich deinen Gedankengang gehört, lieber Freund, ich meine jedoch, daß er nichts zur Lösung der Frage beiträgt, sondern sich im Gegenteil – völlig von ihr entfernt.

HYLAS Und weshalb, wenn ich fragen darf?

PHILONOUS Erstens suchst du auf andere Weise als vorher nachzuweisen, daß eine Kontinuation unter der Bedingung der Koexistenz unmöglich ist. Zweitens forderst du, daß man für den Beweis der Kontinuität den Begriff der genetischen Identität als unerläßlich anerkennt. Aber gerade das durchkreuzt das eigentliche Funktionsprinzip der Maschine, denn was sind die Konsequenzen? Wenn der Tyrann seinen Schergen befiehlt, dir für eine bestimmte Zeit den Mund zuzuhalten, so mußt du sterben. Irgendein Gelehrter, besessen von deiner Doktrin der Genidentität, wird nach einer gewissenhaften Untersuchung des Leichnams sagen, der Verstorbene sei genidentisch mit Hylas, er sei die Kontinuation des Hylas, nur daß diese Kontinuation eben nicht mehr am Leben sei. So wird er eine zweifellos wahre Sache entdecken, aber nicht eben die allerneueste, daß nähmlich ein sterbender Mensch im Begriff ist, ein Verstorbener zu werden und daß dieser Verstorbene derselbe Mensch ist, nur eben nicht mehr am Leben, jedoch wird uns diese Entdeckung nicht im geringsten helfen, Licht auf die Sache zu werfen. Du hast selbst zu Beginn unseres Gesprächs auf das Postulat der Genidentität verzichtet, indem du mit Recht bemerktest, daß darüber, ob man sich als homogene Persönlichkeit fühlt, nicht die Erhaltung derselben Atome entscheidet, sondern die Bewahrung derselben Struktur. Angenommen, die Schergen schneiden dir die Hände ab, die Maschine jedoch schafft dir aus Atomen neue, lebendige Hände, die ganz natürlich an deine Arme angewachsen sind. Wirst du weiterhin du selbst sein?

HYLAS Selbstverständlich.

PHILONOUS Und jetzt schneiden dir die Schergen den Kopf ab, mir gelingt es jedoch, mit Hilfe der Maschine eine Kopie deines Körpers zu schaffen, die ihrerseits an den Kopf anwächst. Wirst es du selbst sein, der auf diese Weise zum Leben erwacht oder nur dein Doppelgänger?

HYLAS Ich selbst.

PHILONOUS Und wenn ich nun nach deinem Tode eine vollständige Kopie mit allen Gliedern anfertige, wird sie dann nicht mehr du sein?

HYLAS Warte mal! Mir ist ein neuer Gedanke gekommen. Du sprachst vorhin über das Verfahren der Durchführung von Beobachtungen, d. h. über die Methoden, die wir wählen, um festzustellen, ob die Kontinuation eines Gegenstands vorliegt oder nicht. Diese Beobachtung muß lückenlos sein, nicht wahr? Nur solch eine Methode ist natürlich und angemessen.

PHILONOUS Keineswegs. Jeder von uns, der sich nach einem schweren Arbeitstag zur Ruhe begibt, versinkt dabei nicht selten in einen derart festen Schlaf, daß er gerade dadurch das Bewußtsein seiner Existenz verliert. Wenn du jedoch in der Frühe erwachst, so weißt du trotz dieser nächtlichen Pause mit Bestimmtheit, daß du derselbe Hylas bist, der sich am Abend schlafen gelegt hat.

HYLAS Ja, wirklich! Du hast recht. Doch höre, ist es nicht so, daß wir den Erwartungen eines Menschen, der sterben muß, zuviel Aufmerksamkeit widmen? Vielleicht verschwindet das Problem von ganz allein, wenn er von seinem jähen Tod überhaupt nichts weiß? Also, dieser Mann begibt sich zur Ruhe und weiß von nichts. Den vom Schlaf Übermannten töten wir und legen dann eine fest schlafende atomare Kopie auf sein Lager. Wenn sie aus dem Schlaf erwacht ist, wird man dann nicht sagen können, daß eine Kontinuation geschaffen wurde, daß es derselbe Mensch ist, der sich am Abend schlafen gelegt hat, und daß dies die reine Wahrheit sei?

PHILONOUS Mein guter Hylas, schon lange nicht mehr ist es mir widerfahren, daß ich aus deinem Munde so viele Sätze auf einmal höre, die vor Denkfehlern nur so strotzen. Erstens, sicherlich unbewußt – etwas anderes möchte ich gar nicht erst annehmen – hast du zu verstehen gegeben, daß, wenn man einen Menschen im Schlaf ermordet oder – allgemein gesprochen – in einem solchen Zustand, der ihm nicht erlaubt, etwas von seiner bevorstehenden Ermordung zu ahnen, daß ihm dann ein geringerer Schaden zugefügt wird, als wenn er sich seines nahen Endes bewußt wäre. Dieses Problem will ich als ein zur Ethik gehörendes mit Schweigen übergehen. Zweitens, ich beginne zu befürchten, daß du dich von völlig unvernünftigen, metaphysischen Befürchtungen leiten läßt. Aus unerfindlichen Gründen scheint es dir, als müsse – wenn nach dem Tode eines Menschen seine Kopie angefertigt wird – diese Kopie möglichst nahe dem Ort sein, an dem dieser Mensch aufgehört hat zu existieren. In dem von dir angeführten Fall sollen das Sich-Ins-Selbe-Bett-Legen und der Schlaf die angeblich besten Voraussetzungen schaffen für ein erfolgreiches »Umsteigen« des persönlichen Ichs von einem Körper in den anderen, von dem, der aufhört zu existieren, in den, der zu existieren beginnt. Das ist ein Anzeichen für den irrationalen Glauben, das »Ich« sei eine Wesenheit aus einem Guß, eine unteilbare, nicht auf irgend etwas reduzierbare Wesenheit, und dieses »Ich« müsse von Körper zu Körper übertragen werden, was eine metaphysische Interpretation reinsten Wassers ist, wie ich sie mir reiner gar nicht vorstellen kann. Indes geht es doch nicht darum, ob die Umstände, wie sie durch die äußere Situation geschaffen werden, unserem naiven Glauben entsprechen, wie z. B. die räumliche Nähe zwischen dem Verstorbenen und der Kopie, der Zustand der Bewußtlosigkeit (ich glaube, du dachtest an den Fall auf dem Operationstisch und wolltest die Situation jener angleichen), sondern es geht darum, mit den Mitteln der Logik Thesen zu entwickeln, die in gleicher Weise für alle besonderen Umstände gültig sind, unter denen eine Wiederbelebung aus Atomen überhaupt denkbar ist. Eine armselige Gravitationstheorie wäre das, die nur für zur Erde fallende Äpfel Gültigkeit besäße, Birnen oder Monden gegenüber aber völlig hilflos wäre! Was sagst du zu folgendem Bild der Zukunft? Jeder Mann, der sich auf eine gefährliche Expedition zu fernen Sternen begibt, hinterläßt zu Hause seine atomare »Personenbeschreibung«. Sobald die Nachricht eintrifft, daß er bei der Expedition ums Leben gekommen ist, setzt seine Familie die Maschine in Gang, worauf der Verblichene aus ihr emporsteigt, gesund und guter Dinge, zur allgemeinen Freude und Wonne. Wenn nun dieser Mann in den Flammen des Sirius umgekommen ist, wirst du dann auch sagen, die Kopie sei die Kontinuation des Verstorbenen oder schreckt dich hier ebenfalls die große Entfernung der Schauplätze des Todes und der Wiedergeburt von einer derartigen Erklärung ab?

HYLAS Wahrhaftig, da es in beiden Fällen, in meinem wie in deinem, keinen prinzipiellen Unterschied gibt, was das Wesen der Rekreation anbelangt, muß man sagen, daß die Kopie eine Kontinuation darstellt.

PHILONOUS Meinst du wirklich? Und wenn sich die Nachricht nun als falsch erweist, und derjenige, der auf die Reise gegangen war, heil und unversehrt zurückkehrt, was ist dann?

HYLAS Dann wird sich natürlich zeigen, daß die Familie einem Irrtum erlag, und daß der durch die Maschine erschaffene Mann nur eine Imitation ist, eine Kopie, das heißt ein Doppelgänger.

PHILONOUS Wovon hängt also die Authentizität der Kontinuation ab? Etwa davon, ob die Todesnachricht zutreffend ist?

HYLAS Ja.

PHILONOUS Welcher Zusammenhang besteht denn zwischen einer von den Sternen eintreffenden Information und der Struktur eines Menschen, der aus einer Maschine tritt, in welcher er aus Atomen zusammengebaut wurde? Zwischen dieser Information und seinen Gedanken, seiner ganzen Persönlichkeit. Keiner. Nicht wahr?

HYLAS Tatsächlich, keiner.

PHILONOUS Also wie kann das, was in keinerlei Zusammenhang mit der Person und Persönlichkeit eines Menschen steht, darüber entscheiden, ob er derselbe ist, der zu den Sternen aufbrach oder nur der gleiche, das heißt ein völlig fremder, parallel zu jenem existierender Doppelgänger?

HYLAS Wahrhaftig, ich weiß es nicht. Gestatte bitte, lieber Freund, daß ich versuche, dem Problem auf andere Weise beizukommen. Wenn du nach dem Tode eines Menschen seine Kopie hergestellt hast, so kannst du sie als seine Kontinuation bezeichnen, kannst sie aber auch nicht so bezeichnen, der Streit liegt nur in Worten, denn das Faktum bleibt das gleiche:

Dieser Mensch existiert weiter und lebt. Ebensogut könnte man sich darüber streiten, ob ich heute noch derselbe wie gestern bin oder ob es mein gestriges Ich heute bereits nicht mehr gibt. So, wie du dieses Problem nicht mit Worten entscheiden kannst, so wirst du auch nicht die Frage entscheiden können, ob die Kopie »derselbe Mensch« ist oder nur »der gleiche«. Der Unterschied ist belanglos, denn er ändert nichts an der realen Tatsache, am aktuellen Sein. Somit ist diese Alternative nur eine scheinbare.

PHILONOUS Eine Scheinalternative? Man hat also überhaupt keine Alternative? Wie denn das? Aber es ist doch nur ein einziger Stand der Dinge möglich: Entweder fällst du in einer Viertelstunde von Tyrannenhand, und das Nichts wird dich für alle Ewigkeit verschlingen, dann aber wäre deine Kopie nur ein täuschend ähnlicher Zwilling, der allen den Verlust voll und ganz ersetzt, und nur du allein wirst niemals mehr existieren – oder du selbst wirst dank der Maschine die Augen wieder aufschlagen, wirst den Himmel, den Freund erblicken, den Gesang der Vögel hören und den holden Zephir in deine Lungen saugen. Gibt es eine andere Lösung, eine dritte?

HYLAS Ich weiß es nicht. Vielleicht ja. Erlaube mir, laut zu denken. Solange ein Mensch lebt, ist seine Kontinuation unmöglich. Einverstanden?

PHILONOUS Parallel zu ihm – ist sie unmöglich. Einverstanden.

HYLAS Wenn er aufhört zu existieren, wird seine Kontinuation möglich – für alle Welt. Das ist sicher. Aber für ihn ...? Ich denke, hier liegt ein Mißbrauch der Grammatik vor, denn wenn wir sagen, bzw. fragen, ob »für ihn« eine Kontinuation möglich ist, dann sprechen wir von einem Toten, ein Toter aber ist jemand, den es nicht mehr gibt, der nicht mehr existiert, so als habe er niemals existiert – denn zugrundegegangen sind seine Empfindungen, sein Bewußtsein, seine Erinnerungen und so weiter. So haben wir es also mit einem unzulässigen Mißbrauch der Syntax zu tun.

PHILONOUS Na, du bist gut. Willst du jetzt der Syntax die Schuld geben? Aber ich diskutiere doch nicht mit einem Verstorbenen, sondern mit dir, wenn auch wenige Minuten bevor du dich in einen Verstorbenen verwandeln wirst. Einen Augenblick. Du erwähntest vor einer Weile, daß man mit Worten nicht entscheiden könne, ob du heute noch derselbe wärst wie gestern oder ob es dein gestriges Ich heute bereits nicht mehr gäbe. Ich sehe nicht die geringste Schwierigkeit, dieses Problem zu entscheiden. Wenn ich frage, wo sich dein gestriges Gewand befindet, so verstehst du darunter das Gewand, das du gestern getragen hast, nicht wahr?

HYLAS Ja.

PHILONOUS Ein Gewand ist nicht mehr und nicht weniger materiell als du selbst, somit existiert in diesem objektiven Verständnis der gestrige Hylas auch heute. Was jedoch die subjektiven Empfindungen anbelangt, die dich gestern bewegten, so gibt es auch damit kein Problem. Heute sehe ich an deinem Gewand eine bestimmte Falte nicht mehr, die sich dort gestern gebildet hatte, weil du eine Weile vor der Schwelle deines Hauses saßest. Eine sehr sorgfältige Untersuchung des Gewands würde jedoch mit Sicherheit gestatten, im Gewebe des Stoffes eine Verlagerung der Moleküle zu entdecken, die dadurch verursacht wurde, daß du gestern eine Falte hineingepreßt hast. Diese Verlagerung könnte man, natürlich nur im metaphorischen Sinne, die »Erinnerung« der Falte nennen. Jetzt siehst du, daß alle Gegenstände – also auch unsere Körper verstanden als Gegenstände –, die gestern existierten, heute weiterexistieren. Unsere Erinnerungen hingegen, allgemeiner gesagt – die gestrigen Zustände unseres Bewußtseins – existieren ausschließlich in unserem Gedächtnis, und die einzige materielle Spur, die sie hinterlassen, sind bestimmte Veränderungen der molekularen Struktur des Gehirns, die das Gedächtnis ausmachen. Wie du siehst, läßt sich die Sache ausgezeichnet erklären, wir müssen nur sehr achtgeben, welche Bedeutung wir den Worten verleihen. Sowohl der Satz »mein gestriges Ich existiert«, als auch der Satz »mein gestriges Ich existiert nicht« entsprechen der Wahrheit, und zwar in folgender Weise: Versteht man unter »meinem gestrigen Ich« jedoch den Komplex an Gedanken und Gefühlen, die sich gestern in meinem Bewußtsein zeigten, so kann man ihnen eine aktuelle, jetzige Existenz nicht zuschreiben.

HYLAS Ich gebe zu, daß ich mich geirrt habe. Doch sag mir bitte, welchen Nutzen bringt denn dein Gedankengang für unser Problem?

PHILONOUS Überhaupt keinen. Denn im objektiven Verständnis ist die Kopie – nach Abschluß der Konvention – die Kontinuation des Originals oder sie ist es nicht, wenn wir eine anderslautende Vereinbarung treffen und andere Methoden wählen, um den Stand der Dinge zu überprüfen. Das ganze Problem basiert jedoch darauf, daß wir über seine subjektive Seite entscheiden müssen, d. h., wir müssen feststellen, ob man logisch herleiten kann, daß nach einer Neuschöpfung des Gehirns aus Atomen das Bewußtsein des Verstorbenen, der dieses Gehirn zu Lebzeiten besaß, in eben demselben wieder lebendig wird, und ob dieser Gedankengang zu einem logischen Widerspruch führt.

HYLAS Ja, du hast recht. Hier liegt der Fehler verborgen! Wir verwechseln immer wieder das subjektive Verständnis der Sache mit dem objektiven! Wenn man das ganze Experiment objektiv nicht durchführen kann, dann kann auch die Logik seiner nicht Herr werden, und unsere Überlegungen werden vergeblich sein.

PHILONOUS So, meinst du? Also einverstanden, Hylas. Ich werde den Modus operandi ändern. Jetzt wird er bereits völlig objektiv sein. Auch das Problem, das sich aus dem Dilemma der Gleichzeitigkeit bzw. Nichtgleichzeitigkeit der Rekreation ergibt, ist damit beseitigt. Findest du nicht auch, daß dies die Sache erhellen und gleichzeitig beträchtlich vereinfachen wird?

HYLAS Voll Freude stimme ich dir zu. So sprich nur weiter, mein Freund, ich höre.

PHILONOUS Ich werde auch nicht einen Menschen mehr befragen, ich werde deine von Todesgedanken gepeinigte Seele nicht mit Fragen quälen, die unter den obwaltenden Umständen recht unpassend wären, allein dies werde ich tun: Zuerst werde ich dich töten, dann werde ich deine Kopie schaffen, und zwar nicht nur eine, lieber Hylas, sondern, um sicher zu gehen, gleich unendlich viele. Denn wenn du gestorben bist (und du hast nur noch fünf Minuten zu leben), und ich verfertige zahlreiche Kopien deiner Person, so wirst du als eine Vielzahl von Hylassen existieren, und zwar als unübersehbare Vielzahl, denn ich verspreche dir, ich werde nicht eher ruhen noch rasten, bis ich alle Planeten, Sonnen, Sterne, Monde, Sphären und Himmelskörper mit Hylassen bevölkert habe, und dies nur wegen der Liebe, die ich für dich empfinde. Was sagst du dazu? Kannst du auf diese Weise allgegenwärtig im Universum werden, du allein?

HYLAS Das wäre sehr merkwürdig. Liegt ein logischer Widerspruch darin?

PHILONOUS Das habe ich nicht gesagt, das mußt du selbst herausfinden. Tausende von Hylassen werden ihr Leben führen, sich den unterschiedlichsten Beschäftigungen und Vergnügungen widmen. Doch wie wird es sein, wird dein eines Ich aufgeteilt und existiert es dann unter allen zugleich, indem es sie alle einschließt? Oder werden alle Kopien durch das geheimnisvolle Band einer einzigen Persönlichkeit zu einer Einheit verbunden?

HYLAS Das ist unmöglich. Jedes derartige Individuum muß sein privates, nur ihm gehörendes, subjektives Ich besitzen, nur daß es eben das gleiche ist wie meines.

PHILONOUS Jeder – sagst du – hat das gleiche Ich wie du? Und nicht dasselbe?

HYLAS Nicht dasselbe, denn dann wären alle ein einziger Mensch, was ein Widerspruch ist.

PHILONOUS Ausgezeichnet. Jeder hat dann das gleiche Ich wie du, Hylas. Und welcher von ihnen hat dasselbe Ich wie du und stellt deine Kontinuation dar? Warum schweigst du? Was sagt denn nun die Logik?

HYLAS Die Logik sagt, niemand. Doch warte! Ich glaube, mir ist ein Licht aufgegangen. Aber ja! Natürlich! Lieber Freund, die Sache verhält sich so. Über die Identität entscheidet nicht die völlige materielle Gleichheit, sondern die Gleichheit der Struktur, wie wir vereinbart haben, nicht wahr?

PHILONOUS So ist es.

HYLAS Über die Struktur aber kann man sagen, daß sie »dieselbe« ist, nicht nur »die gleiche«. Also, ich zeichne ein gleichseitiges Dreieck. Wenn ich ein zweites zeichne, so kann ich sagen, daß in beiden »dieselbe« strukturelle Eigenschaft der Gleichseitigkeit auftritt. Ich kann viele solcher Dreiecke zeichnen, aber vom strukturellen Standpunkt werden sie eigentlich nur ein einziges Dreieck sein, das viele Male wiederholt wurde. Genauso kann ich sagen, daß alle von der Maschine erschaffenen Hylasse eigentlich »derselbe«, lediglich x-mal wiederholte Mensch sind. Was sagst du dazu?

PHILONOUS Sehr klar hast du die Sache dargelegt. Erlaubst du jetzt, daß ich bereits zu deinen Lebzeiten eine Kopie anfertige?

HYLAS Weshalb denn das?

PHILONOUS Nun, da die Kopie kein anderer Mensch ist, sondern nur »derselbe«, und da sie, wie du selbst gesagt hast, vom subjektiven Standpunkt (und um den geht es hier) »derselbe« Mensch ist wie du, so folgt daraus, daß auch du – wenn der Tyrann dich getötet hat, die Kopie aber am Leben bleibt – am Leben bleibst, denn es wird weiterhin ein Mensch existieren, der »derselbe« Hylas ist wie du. Oder bist du anderer Meinung?

HYLAS Ja sollte ich mich denn geirrt haben? Aber warum nur? Wenn man nun unbelebte Objekte in Betracht zieht, entsteht dann auch ein ähnliches Dilemma ...?

PHILONOUS Ja, ein Dilemma entsteht, aber wir liquidieren es sofort, indem wir unsere Anschauungen arbiträr festsetzen. Ob wir die Kopie als Kontinuation des Originals anerkennen oder nicht, hängt ausschließlich von unserer Vereinbarung ab. Wenn es jedoch um einen Menschen geht, sieht die Sache anders aus, denn hier macht uns das Phänomen des Bewußtseins einen Strich durch die Rechnung. Denn wir können zwei täuschend ähnliche Tonkrüge oder auch zwei täuschend ähnliche Zwillinge miteinander verwechseln, denn wir betrachten sie von außen, als Gegenstände. Ein Zwilling jedoch kann sich selbst niemals mit dem anderen verwechseln. So kannst auch du dich nicht etwa »aus Versehen« mit deiner Kopie verwechseln, die parallel zu dir existiert und durch die Maschine erschaffen wurde. Was also sollen wir tun? Jeden Moment wird der Tyrann hier erscheinen. Weißt du eigentlich, welchen Tod er dir zugedacht hat?

HYLAS Du sagtest, ich sollte vergiftet werden, später jedoch sprachst du vom Erwürgen.

PHILONOUS Nur als Beispiel, nur zur Veranschaulichung meiner Argumentation, nicht jedoch in Übereinstimmung mit dem, was er will. Du sollst einen anderen Tod erleiden. Der Tyrann wird deinen Körper erfrieren lassen, bis alle Bewegungen und feinsten Schwingungen der Atome zum Stillstand kommen, bis die Gewebe erstarren, die Lebensprozesse aufhören, die Strukturen abgestorben sind. Wird das deinen Tod bedeuten, Hylas, wenn du – eingeschlossen in eine Eisscholle – in die Tiefen eines borealen Ozeans gepreßt wirst?

HYLAS Ohne jeden Zweifel.

PHILONOUS Und wenn ich, dein Freund, die Eisscholle aus dem Abgrund auffische, sie auftaue und deinen erfrorenen Körper nach allen Regeln der Kunst auftaue und ihm solche Arzneien verabreiche, daß alle Moleküle erneut in Bewegung geraten und du wieder zum Leben erwachst, was wird dann sein? Wirst nicht du es sein – so wie du hier stehst und mich vor dem Hintergrund dieser herbstlichen Bäume siehst –, der da wieder zum Leben erwachen wird, aus deinem eisigen Gefängnis, aus der Finsternis des Nichtseins emporgebracht ans helle Licht des Tages?

HYLAS Doch, das werde ich sein.

PHILONOUS Hegst du auch nicht den geringsten Zweifel?

HYLAS Nicht den geringsten.

PHILONOUS